SchiedsamtsZeitung 46. Jahrgang 1975, Heft 07 Online-Archiv Seite Organ des BDS

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1 Aufsätze Grundlagen des bürgerlichen Rechts für die Schiedsmannspraxis Von Ref. Heinrich Lau, Wiss. Assistent, Göttingen Etwa 1000 bürgerliche Rechtsstreitigkeiten werden jährlich den Schrn. zur Sühne vorgetragen; ein großer Teil davon endet mit einem Sühnevergleich. Man wird hieraus entnehmen dürfen, dass die Schr. im Durchschnitt auch ihrer sich aus den einschlägigen Bestimmungen der SchsGesetze ergebenden Befugnis, bürgerliche Rechtsstreitigkeiten fakultativ im Rahmen eines Sühneverfahrens behandeln zu können, gewachsen sind. In den folgenden Ausführungen soll versucht werden, das bürgerliche Recht in seinen für den Schm. wichtigen Grundlagen darzustellen, um die für die bürgerlichrechtlichen Sühneverfahren notwendigen Kenntnisse des Schs. weiter zu fördern. Grundfunktion des Zivilrechts ist es, die Rechtsverhältnisse privater Personen und Organisationen untereinander zu regeln. Dies geschieht wesentlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) vom 1. Januar In seinen fünf Büchern (Allgemeiner Teil, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht) werden bestimmte typisierte Rechtsverhältnisse, z. B. aus Kauf- oder Mietvertrag, unerlaubte Handlung, Besitz und Eigentum, Ehe, Testament u. a. m., bereitgestellt. Von Bedeutung für die Praxis der Schr. erscheinen zwei Rechtsverhältnisse des Schuldrechts: Vertrag und unerlaubte Handlung, wobei letztere den Zusammenhang von straf- und bürgerlichrechtlichen Sühneverfahren herstellt: Ein Sühneverfahren wegen Beleidigung, Hausfriedensbruchs oder Körperverletzung wird häufig auch einen Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch, der dem Verletzten aus diesen unerlaubten Handlungen regelmäßig entstehen dürfte, zum Gegenstand haben. Die Problematik der unerlaubten Handlung hat Serwe in SchsZtg. 1973, S. 118, 135 u. 158 ff. bereits behandelt, weshalb ich mich hier auf die Problematik des Vertrages beschränken will. Unter Vertrag versteht man die durch übereinstimmende Willenserklärungen erzielte Einigung zweier (oder mehrerer) Personen über die Herbeiführung eines bestimmten rechtlichen Erfolges. Ein Vertrag kommt zustande, wenn sich diese Personen die Vertragspartner über die wesentlichen Vertragsbestandteile geeinigt, d. h. wenn sie durch Vereinbarung ihre wesentlichen, den Vertragszweck ergebenden Rechte und Pflichten festgelegt haben. Ein gesetzlicher Hinweis auf das Zustandekommen von Verträgen ist in den 145 ff. BGB enthalten. Dort ist von Angebot und Annahme als von für das Zustandekommen eines Vertrages konstitutiven Willenserklärungen die Rede. Eine Willenserklärung ist eine Willensäußerung, die auf Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/5

2 Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges gerichtet ist, also bestimmte für den Fall des Vertrages eben die vertraglich festzulegenden Rechtsfolgen auslösen soll. Angebot und Annahme eines Vertrages sind empfangsbedürftige Willenerklärungen. Sie müssen abgegeben werden und dem jeweiligen Erklärungsempfänger SCHS-ZTG 46. Jg H 7 zugehen; eine ausdrückliche, wörtlich genaue Abgabe ist jedoch nicht erforderlich. Wenn jemand eine Straßenbahn besteigt, schließt er auch wenn er hierbei wörtlich nichts erklärt einen sog. Beförderungsvertrag mit ihrem Träger (meist einer Verkehrsgesellschaft oder Gemeinde), so dass er auf Grund dessen zur Zahlung des Beförderungspreises durch Lösen einer Fahrkarte verpflichtet ist. Eine Willenserklärung ist zugegangen, wenn sie den Machtbereich des Empfängers erreicht hat, d. h. wenn sie typischerweise vom Empfänger ohne weiteres zur Kenntnis genommen werden kann. Hierzu folgender Fall: A bietet einem Freund einen Gebrauchtwagen an. Sein Angebot ist jedoch bis zum 31. März 1974 befristet. Wenn der Freund bis zu diesem Termin keine Willenserklärung abgegeben hat, nach der er den Gebrauchtwagen abnehmen will, hält A sein Angebot nicht mehr aufrecht. Am 31. März 1974 nachmittags schreibt A's Freund an A, dass er den Gebrauchtwagen abnehmen wolle, und wirft sein Schreiben am selben Tag um 21 Uhr in A's Briefkasten. A findet es dort am 2. April; am 1. April ist er nicht zu Hause gewesen. A's Freund verlangt von A die Lieferung des Gebrauchtwagen; A meint, sein Freund habe die Frist überschritten, binnen deren er sich erklären musste. Wer hat recht? Im Ergebnis hat A recht, da er die Willenserklärung seines Freundes typischerweise nicht mehr binnen der vereinbarten Frist zur Kenntnis nehmen konnte, denn um 21 Uhr sieht niemand mehr in seinem Briefkasten nach. Die vereinbarte Frist wäre gewahrt gewesen, wenn A's Freund am 31. März etwa zur Stunde der üblichen Postzustellung sein Schreiben in A's Briefkasten gesteckt hätte. Wenn er aus welchem Grund auch immer seine Erklärung erst am 31. März 1974 um 21 Uhr abgeben konnte, hätte er auf jeden Fall bei A klingeln müssen. Während in diesem Fall problematisch war, ob eine Willenserklärung überhaupt abgegeben wurde, geht es in anderen Fällen darum, ob eine eindeutig abgegebene Willenserklärung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung anfechtbar oder wegen Sittenwidrigkeit oder Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig ist. Liegen Irrtum, Täuschung oder Drohung vor, d. h. wird eine dadurch zustande gekommene Willenserklärung erfolgreich angefochten, so tritt auch hier Nichtigkeit ein. Diese gilt nicht etwa vom Augenblick der Anfechtung oder der Geltendmachung der Nichtigkeit, sondern rückwirkend von der Abgabe der Willenserklärung an. Ein Vertrag, dessen eine Willenserklärung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung angefochten oder wegen Sittenwidrigkeit oder Verstoßes gegen ein gesetzliches Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/5

3 Verbot als nichtig angegriffen wird, ist infolgedessen hinfällig, die Vertragspartner können voneinander nicht mehr die vertraglich vereinbarten Leistungen fordern; bereits gewährte Leistungen werden zurückerstattet. Hier zwei Beispiele zur Anfechtung wegen Drohung und zur Sittenwidrigkeit: A hat B einen Gebrauchtwagen zum Preise von 500 DM angeboten. Jedoch hat er hierbei gedroht, B werde seines Lebens nicht mehr sicher sein, wenn er den Gebrauchtwagen nicht abnähme. Wenn B sich unter dem Druck dieser Drohung verpflichtet, den Gebrauchtwagen abzunehmen, kann er diese Willenserklärung nach 123 BGB anfechten. A bietet dem in eine finanzielle Notlage geratenen B an, dessen Wohnungseinrichtung, deren Zeitwert etwa 3000 DM beträgt, für 500 DM abzukaufen. B willigt ein, um überhaupt auf irgendeine Weise Geld bekommen zu können. Das hier abgeschlossene Rechtsgeschäft ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, denn nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, welche den Wert der Leistung dergestalt übersteigen, dass den Umständen nach die Vermögensvorteile in auffälligem Missverhältnis zu der Leistung stehen (5 138 Abs. 2 BGB). Leistung ist hier die Zahlung von 500 DM, Vermögensvorteil die Gewinnung einer Wohnungseinrichtung mit einem Zeitwert von 3000 DM. Wenn die Willenserklärungen, die zum Abschluss eines Vertrages geführt haben, weder nichtig noch als nichtig anfechtbar sind, werden die vertraglichen Berechtigungen und Verpflichtungen wirksam. Die Vertragspartner sind also nach Maßgabe der jeweiligen Vertragsgestaltung berechtigt, etwas zu fordern, oder verpflichtet, etwas zu leisten. Berechtigungen und Verpflichtungen, die den Hauptzweck des jeweiligen Vertrages ausmachen, d. h. denjenigen Zweck, den die Beteiligten hauptsächlich erreichen wollen, werden als Hauptpflichten bezeichnet. Im Zivilrecht werden ferner sog. Nebenpflichten unterschieden, nämlich Aufklärungs-, Mitwirkungs-, Obhuts- und Sorgfaltspflichten. Auch die eingeschränkte Fürsorgepflicht des Vermieters gegenüber dem Mieter gehört hierher. Unabhängig von diesen Haupt- und Nebenpflichten unterscheidet man Primär-und Sekundärpflichten. Die Primärpflichten sind auf Erfüllung des Vertrages, d. h. auf Einhaltung der vertraglichen Pflichten gerichtet; die Normen über sekundäre Pflichten werden im Fall einer Störung des Hauptzwecks oder einer Nebenpflicht angewandt. Diese Störungen, die sog. Leistungsstörungen, betreffen die Unmöglichkeit der vertraglich vereinbarten Leistungen, den Verzug und die gesetzlich nicht geregelte Schlechterfüllung oder positive Forderungsverletzung. Im Falle solcher Störungen haftet regelmäßig der Störer auf Schadensersatz; von Bedeutung ist hier, Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/5

4 ob er selbst oder eine Hilfsperson, d. h. ein sog. Erfüllungsgehilfe (g 278 BGB), die Störung herbeigeführt hat. Hierzu folgende Beispiele: A hat den Taxifahrer B für 13 Uhr in seine Wohnung bestellt, weil er um 14 Uhr am Flughafen sein und um Uhr nach Berlin fliegen wollte. B kam jedoch, weil er A's Auftrag falsch notiert hatte, erst um Uhr, so dass A sein Flugzeug nicht mehr erreichte. Liegt hier Unmöglichkeit oder Verzug vor? Welche Ansprüche kann A gegen B stellen? Man könnte zunächst meinen, dass hier Verzug vorliegt, da die Leistung des B noch möglich erscheint, auch wenn sie verspätet erbracht wird. Allerdings hat A kein Interesse, die verspätete Leistung des B noch anzunehmen. Wesentlicher Zweck des zwischen A und B geschlossenen Vertrages war nämlich eine Taxifahrt um 13 Uhr, nicht etwa zu beliebiger Zeit. B ist wegen seiner Verspätung also nicht in Verzug geraten, sondern seine Leistung ist hierdurch unmöglich geworden. Er haftet A für den Ersatz des Schadens, den dieser hierdurch erleidet. A lässt sich vom Friseur B das Haar schneiden. B, der in ein angeregtes Gespräch mit A vertieft ist, schneidet ihm versehentlich eine Glatze. Welche Leistungsstörung liegt hier vor? Welche Ansprüche hat A gegen B? Unmöglichkeit liegt hier nicht vor, die von B dem A geschuldete Leistung, das Haarschneiden, ist in jedem Fall erfüllt. Man muss hier jedoch eine sog. Schlechterfüllung oder positive Forderungsverletzung annehmen. B muss A Schadensersatz leisten, ihm ggf. eine Perücke zur Verfügung stellen usw. Im übrigen könnte der Schm. hier sowohl straf- als auch zivilrechtlich tätig werden, da auch das Haarschneiden, soweit es vertraglich nicht vereinbart ist oder über eine vertragliche Vereinbarung hinausgeht, Körperverletzung ist. Der Installateurmeister A hat bei B eine Waschmaschine installiert. Er hat nach Abschluss der Installation vergessen, B darauf hinzuweisen, dass die Maschine erst am folgenden Tag in Betrieb genommen werden dürfe. B stellt unverzüglich nach A's Weggang die Waschmaschine an, die dadurch beschädigt wird. Welche Leistungsstörung liegt vor? Welche Ansprüche hat A gegen B? Vereinbart war hier das Installieren einer Waschmaschine, was auch geschehen ist. Unmöglichkeit oder Verzug liegen also nicht vor. Jedoch hat A eine Aufklärungspflicht verletzt, die vertragliche Nebenpflicht ist. Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht ist ebenso wie Schlechterfüllung der Hauptpflicht positive Forderungsverletzung. A muss also B den durch die Beschädigung der Maschine entstandenen Schaden ersetzen. Zur Haftung für den sog. Erfüllungsgehilfen folgendes Beispiel: A beauftragt den Malermeister M, seine Wohnung neu zu streichen und zu tapezieren. M schickt hierzu den bei ihm beschäftigten Gesellen G. Dieser lässt aus Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/5

5 Unachtsamkeit einen auf einer Fensterbank abgestellten Farbtopf, den er zum Streichen einer Wand benutzen will, fallen. Hierdurch wird ein Teppich in A's Wohnung beschädigt. A nimmt G wegen Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. G meint, er müsse sich an M wenden. Wer hat recht? Zwischen A und M ist ein Werkvertrag über das Streichen und Tapezieren der Wohnung zustande gekommen. Die Beschädigung von A's Teppich durch einen auf Grund Verschuldens des G von der Fensterbank herabgefallenen Farbtopf ist als Verletzung der Sorgfaltspflicht eine positive Forderungsverletzung dieses Vertrages. Obwohl hier ein Verschulden des M offensichtlich nicht vorliegt, muss dieser nach 278 BGB für das Verschulden von Hilfspersonen, deren er sich zur Erfüllung der von ihm aus einem Vertrage geschuldeten Leistungen bedient, ebenso wie für eigenes Verschulden aufkommen. A kann sich hiernach an M halten. An diesen einfachen Fällen dürfte klar geworden sein, wie formal der Aufbau des bürgerlichen Rechts ist und wie sehr es auf eine genaue Prüfung des jeweiligen Sachverhalts ankommt. Im übrigen muss der Schm. bei allen ihm vorgetragenen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bedenken, dass er schlichten, d. h. eine Lösung finden soll, die zweckmäßig und plausibel ist und im übrigen den Bedürfnissen der Streitparteien möglichst entspricht. Jedoch entbindet ihn dies nicht von einer getreuen Anwendung des Gesetzes. Der Schm. sollte sich bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, deren rechtliche Strukturen ihm nicht auf den ersten Blick einleuchten, folgende Fragen stellen: 1. Ist ein Vertrag zustande gekommen? Ist eine Willenserklärung oder sind beide der den Vertrag konstituierenden Willenserklärungen wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung anfechtbar bzw. schon angefochten oder wegen Sittenwidrigkeit oder Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot sogar nichtig? 2. Ist die auf Grund des Vertrages geschuldete Leistung unmöglich geworden? Liegt Verzug vor? Kommt bezüglich einer Haupt- oder Nebenpflicht positive Forderungsverletzung in Betracht? 3. Ist für dritte Personen, die nicht unmittelbar Parteien der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit sind, z. B. Erfüllungsgehilfen, zu haften? Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/5