Gottesdienst am 19. Juni 2016 in der Stiftskirche Stuttgart Predigt über Römer 14,(7-)10-13 von Prälat Ulrich Mack
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- Wilhelmine Hofmeister
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1 Gottesdienst am 19. Juni 2016 in der Stiftskirche Stuttgart Predigt über Römer 14,(7-)10-13 von Prälat Ulrich Mack 7 Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. 10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23):»So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.«12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite. Liebe Gemeinde, was wären Sie gern beim Fußball? Stürmer, Verteidiger oder Mittelfeld? Oder Balljunge? Nun, suchen Sie sich s aus. Wobei ich vermute, dass eine Position besonders beliebt ist tief in unserem Wesen: nämlich Schiedsrichter sein. Ein Schiedsrichter schaut hin, er pfeift ein Foul, er zeigt die gelbe Karte, manchmal auch die rote und stellt Spieler vom Platz, er entscheidet über Elfmeter. Er hat das Schiedsrecht. Darum Schiedsrichter. Eigentlich gibt s davon nur einen auf dem Platz, abgesehen von den Linienrichter, die ihm assistieren. Aber einen Schiedsrichter gibt es nur einen. Manchmal aber doch mehr: zehntausend auf den Stadion-Rängen und noch viel mehr am Fernseher - alle nämlich, die auch hinsehen und die gern mitpfeifen würden und mitentscheiden und eben mit-schiedsrichten. Und das ja nicht nur auf dem Fußballfeld. 1
2 Auf dem Alltags-Feld unseres Lebens ist es genauso. Wie gern spielen wir Schiedsrichter. Wie oft richten wir übereinander, sehen bei anderen, was foul ist, würden am liebsten pfeifen, die Trillerpfeife im Gehirn ist jedenfalls aktiv. Wie oft würden anderen manchmal am liebsten die gelbe Karte zeigen: Das ist falsch, das ist fies, das ist foul, so geht es nicht weiter, ich warne dich und wenn s nicht besser wird, sehe ich rot für dich. Nun ist Schiedsrichter-Sein ja nichts Schlechtes, im Gegenteil. Manches Fußballspiel würde ohne den Mann mit der Pfeife im absoluten Chaos versinken. Genauso außerhalb des Stadions. Wir brauchen Richter. Eine gute, gerechte staatliche Rechtsprechung ist nötig. Im Amts- oder Landgericht muss Unrecht aufgedeckt und geahndet werden. Ob Großterror in der Welt oder Kleinkriminalität in der Stadt, ob Hooligans auf der Straße oder Gewalt in der Familie Unrecht muss erkannt und benannt und vor Gericht beurteilt werden. Staatliche Gerichte brauchen wir. Dagegen hat auch Paulus nichts, im Gegenteil. Er plädiert ein paar Abschnitte weiter vorne dafür, die staatliche Obrigkeit zu achten. Und das schreibt er damals an Christen, die unter der römischen Herrschaft manchmal heftig leiden mussten. Trotzdem: achtet die staatliche Rechtsprechung. Paulus ist kein Anarchist. Aber er ist Christ. Und wenn er schreibt: Du aber, was richtest du deinen Bruder, dann hat Paulus nichts gegen amtliche Richter. Aber er hat etwas dagegen, wenn wir uns selbst zum Richter über andere ernennen. Da fragt Paulus: Du aber, was gibt dir das Recht, über deinen Mitmenschen Recht zu sprechen? Paulus schreibt das damals nach Rom. Da hatten die Christen in der Gemeinde ein paar Probleme miteinander. Es gab unterschiedliche Ansichten, was Christen essen dürfen und was nicht, welche Feiertage man wie halten muss und so weiter. Paulus hat nichts dagegen, solche Fragen zu diskutieren. 2
3 Er sagt auch klar seine Meinung. Das ist wichtig. Sachfragen muss man klären, Unrecht nicht schlucken. Aber eines, so meint Paulus, eines darf nicht passieren: dass wir aufeinander mit Fingern zeigen und übereinander ein letztes Urteil sprechen. Damals: ihr Judenchristen, ihr Heiden, ihr seid die Schwachen, nur Halbchristen und der Zeigefinger wird immer länger. Kennen wir die langen Zeigefinger bei uns? Du Rechter, du Linker, du Schwarzer, du Flüchtling und dann folgt dem manchmal nötigen Be-Urteilen das Ver-Urteilen nach und in Gedanken die Pfeife im Gehirn oder mit Worten und am liebsten die rote Karte. Aber Paulus schreibt: Was richtest du deinen Bruder? Und wir fragen: Warum wehrt sich Paulus dagegen? Paulus hat das ja nicht erfunden. Er hat es von Jesus. Schon Jesus hat ein paarmal betont: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Und wir fragen: Warum? Warum sollen wir nicht übereinander richten? Antwort bei Jesus und bei Paulus: Weil wir dann tun, was allein Gott gehört. Es ist nämlich am Ende Gottes Sache, zu richten. Am Ende wird er das tun. Wir werden, so schreibt Paulus hier, wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Und keine Sorge, da vor Gott bleibt nichts Verbogenes verborgen, nichts Ungerechtes ungerächt, nichts Verdecktes unentdeckt. Darauf können wir vertrauen. Das bedeutet: Das letzte Richten ist Gottes Sache und nicht unsere. Wenn ich also sage: Jener Mensch ist so und so schlecht und mit dem bin ich fertig, dann verurteile ich ihn und setze mich damit an Gottes Stelle; es ist dann nicht nur eine Kränkung des Mitmenschen, sondern eine Beleidigung Gottes. 3
4 Das heißt nicht, dass wir Unrecht nicht beim Namen nennen dürften. Paulus macht das, und Jesus hat es selbst so getan. Er sagt den Leuten seine Meinung, manchmal ziemlich deutlich. Aber Jesus bringt uns etwas Wichtiges bei: nämlich das Unterscheiden zwischen Sache und Person. Die Tat eines Mitmenschen zu beurteilen ist das eine. Das andere ist ihn als Person zu verurteilen und das ist Sache Gottes. Niemand von uns hat das Recht, einem anderen die Personwürde zu nehmen. Auch der in unseren Augen unmöglichste Mensch ist ein Mensch, den Christus liebt und für den er gestorben ist. Da ist niemand, der ohne Würde und ohne Hoffnung durchs Leben gehen muss. Am Ende wird Gott richten. Überlasse ihm also das Ungelöste. Übergib ihm die Beleidigung, übergib ihm das Ungerechte beim Erben oder die Sorge, wie das verletzende Wort wieder ein heilsames wird. Wir müssen nicht meinen, wir alles selbst zurechtbringen zu müssen. Das können wir Gott überlassen. Und das kann uns als Christen gelassen machen. Wir müssen uns nicht selbst rächen. Sondern wir haben die Freiheit und Freude, in der Verbindung mit Christus und auf ihn hin orientiert zu leben. Genau das meint Paulus mit den bekannten Sätzen V.7-9. Weil wir nicht uns selbst leben, sondern dem Herrn, darum sind wir auch nicht letzte Richter. Unser keiner lebt sich selber und keiner stirbt sich selber. Es gibt da ja das Wortspiel, das ich schon mal hier erklärt habe: Es gibt Wörter, die ihren Sinn verändern, wenn man ein K streicht aus Kanne wird die Anne, aus Kerbe wird der Erbe, aus kalt wird alt. Hier in den bekannten Sätzen aus dem Römerbrief ist es genauso. Streicht man ein K, verändert sich alles: Unser keiner lebt sich selber was wird daraus?: unsereiner lebt sich selber. 4
5 Und wer nur sich selber lebt, also kreisend um sein Ich, bezogen vor allem auf sich selbst, der wird bald gefangen sein in seinem Rechthaben und Richten über andere. Warum sollen wir nicht übereinander richten? Weil Gott letzter Richter ist. Darum leben wir nicht uns selbst, sondern in der Verbindung mit Christus. Das macht uns gelassen. Und das hat noch eine Konsequenz: Wenn Paulus schreibt: Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden, dann sagt er auch: Schaut doch nicht nur kritisch auf andere. Schaut auch auf euch selbst. Jesus hat das in einem starken Bild gezeigt; wir haben es in der Schriftlesung vorhin gehört, fast eine Karikatur: das Bild vom Splitter und vom Balken im Auge. Der Splitter, den wir bei anderen sehen: wir sagen dazu ein Spreißel. Sie kennen das vielleicht: Diese kleinen Holzspitzen können einem in die Finger fahren oder, wenn es noch schlimmer kommt, ins Auge. Das kann heftig sein. Wenn das jemandem passiert, dann hilft man und zieht sorgfältig die kleine Spitze wieder raus und befreit den Geplagten vor weiteren Verletzungen. Aber nun stellen Sie sich vor: da meint einer, dem anderen seine Spreißel zu zeigen, aber er kann es gar nicht. Er hat eine gestörte Optik, denn er hat in seinem Auge auch einen Spreißel, aber nicht eine Mini-Spitze, sondern einen Riesen-Spreißel, einen ganzen Balken und er merkt es gar nicht. Er hat echt einen Sparren, sagt man schwäbisch. Und mit diesem Balken im Auge, den er nicht merkt, will er nun einem anderen helfen. Ein verrücktes, ein paradoxes Bild, das Jesus da vor Augen stellt. Aber Jesus zeigt damit: So verrückt sind wir manchmal im Umgang miteinander. Wir haben da leicht eine gestörte Optik. Bei Verletzungen anderer sind wir 5
6 mit scharfen Augen schiedsrichtermäßig dran und entdeckerfreudig, aber wenn es um eigene Fehler und Schwächen geht, dann sind wir oft blind. Und dann tappen wir mit dem Balken im eigenen Auge, den wir gar nicht merken, rum und wundern uns, dass wir gar nicht an den Mitmenschen rankommen, dem wir doch helfen möchten. Denn so eine balkengestörte Selbstwahrnehmung schafft ja Distanz. Wenn Paulus schreibt: Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden, dann macht er uns auch Mut, unsere Balken wahrzunehmen, fröhlich und glaubensgelassen. Wir sind nicht perfekt. Wir müssen weder anderen die rote Karte zeigen und sie vom Spielfeld unseres Lebens weisen, noch müssen wir uns selbst verurteilen. Sondern? Aus Gnade leben, würde Paulus jetzt sagen. Darum weist er auf Christus. Er schreibt: Dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. Er stellt niemand vom Platz seiner Liebe. Die rote Karte hat er auf sich genommen. Sie hängt am Kreuz. Da wurde Gottes Urteil über unsere Fouls schon vollstreckt. Darum können wir gelassen leben nicht uns selbst, sondern dem Herrn. Dem, der am Ende richten wird. Und weil er das tun wird, darum müssen wir keine letzten Urteile fällen. Gut, dass es auf dem Fußballfeld Schiedsrichter gibt. Auf dem Feld des Reiches Gottes will er uns als Mitspieler haben, ob vorne oder hinten, rechts, links oder in der Mitte. Das Schieds-Richten überlassen wir ihm. Amen 6
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