Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 31. Mai 2015
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- Evagret Sachs
- vor 7 Jahren
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1 Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 31. Mai 2015 Nikodemus Predigt über Johannes 3,1-8 von Ulrich Mack Liebe Gemeinde, Am Mittwoch beginnt hier der Kirchentag. Über Menschen kommen zusammen. Wir sind gespannt und freuen uns darauf. Heute geht es im Bibeltext aber nicht um eine Volksmenge, obwohl das Evangelium manchmal auch von solchen berichtet. Im Johannesevangelium Kap. 3 geht es um ein Vier-Augen- Gespräch. Und das auch noch in der Nacht. Hören wir, wie Johannes diesen latenight-talk schildert: 1 Es war unter den Pharisäern ein Mann mit Namen Nikodemus, der war einer von den Oberen der Juden, auch Mitglied des Hohen Rates. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister (hebr: Rabbi), wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann solche Zeichen tun, wie du sie tust, wenn nicht Gott mit ihm ist. 3 Jesus antwortete ihm: Wahrlich, ich sage dir: wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes hineinkommen. 4 Nikodemus fragte ihn: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er schon alt ist? Er kann doch nicht wieder in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Nur wenn jemand aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in das Reich Gottes hineinkommen. 1
2 6 Was vom Fleisch geboren ist (gemeint ist: was Menschen zur Welt bringen), das ist und bleibt von menschlicher Art. Von geistlicher Art kann nur sein, was vom Geist Gottes geboren wird. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es auch bei jemandem, der aus dem Geist geboren wird. Und gegen Ende des Gesprächs mit Nikodemus sagt Jesus: 16 Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Liebe Gemeinde, wurde Nikodemus ein Christ? Und wenn ja, wie wurde er es? Wir wissen es nicht. Wie wird überhaupt jemand Christ? darum geht es in diesem Nachtgespräch. Eine Art Nachtcafé in Jerusalem, ein late-night-special mit Jesus. Nikodemus kommt zu ihm. Dieser vornehme Mann, ein Oberer der Juden, fromm war er und gelehrt, Mitglied des Hohen Rates so eine Mischung aus Oberkirchenrat und Bundestagsmitglied. Ein angesehener Mann also. Hinten im Johannesevangelium taucht er wieder auf, in dem Moment, als Jesus gestorben war am Kreuz. Da kommt an jenem Karfreitagabend Josef von Arimathäa, auch ein angesehener Mann, und nimmt Jesus vom Kreuz. Und dann ist da auch Nikodemus, und der bringt Kräuteröl für die Einbalsamierung mit aus Myrrhe und Aloe, und zwar nicht bloß ein kleines Fläschchen, sondern 100 Pfund, das waren damals 32 Kilo Luxusöl, also ein paar Kanister voll schleppt er an. Das war mutig und das war auch nicht ganz billig. Damit zeigt Nikodemus am Karfreitag, was er von Jesus hält. 2
3 Wurde Nikodemus ein Christ? Wir wissen es nicht. Wie wird jemand überhaupt ein Christ? Angefangen hat es zwischen Jesus und Nikodemus in jener Nacht. In der Nacht laufen die Gedanken ja oft anders als am Tag. Wenn draußen die Lichter ausgehen, fangen oft innen die Gedanken an. Wenn es draußen still wird, werden in der Seele Fragen laut. Wenn die einen schlafen gehen, bleiben andere voll Erinnerungen wach und voller Gedanken, die man nicht einfach ausknipsen kann wie eine Nachttischlampe. Bei der Telefonseelsorge klingeln die Telefone nachts öfters als am Tag. Und manche Großstadtpolizei kann davon erzählen, welche Abgründe sich nachts auftun. Steht es darum so betont im Bibeltext, dass Nikodemus gerade nachts zu Jesus kam? Sicherlich hatte er Jesus irgendwann vorher in Jerusalem predigen hören. Er wusste auch von dessen Wundertaten. Aber Nikodemus war vermutlich in einer noch tieferen Schicht bewegt. Da lässt ihn etwas nicht los, etwas, das mit seinem Leben zusammen hängt. Jesus hat immer wieder darüber gepredigt, wie ein Mensch wirklich glücklich wird, wie er ins Reich Gottes kommt. Vielleicht grübelt Nikodemus darüber nach. Äußerlich war Nikodemus an der Karriereleiter oben angekommen. Finanziell hatte er ausgesorgt. Aber war das alles? War er glücklich? Wir wissen ja, dass reiche Karrieretypen nicht automatisch auch glückliche Menschen sind. Nikodemus war nicht mehr jung. Vielleicht war er so in meinem Alter. Vielleicht auch älter. Jedenfalls in einer Lebensphase, in der Fragen laut werden: Jetzt noch voller Einsatz, dann Ruhestand und war s das dann? Eigentlich hatte ich mir vieles vorgenommen, vieles auch anders gedacht. Aber ich kann das Rad nicht zurückschrauben. Kann noch Neues werden in meinem Leben? Von Friedrich Hebbel stammt der Satz: Der ich bin, grüßt sehnsüchtig den, der ich sein möchte. 3
4 Wir wissen nicht, was den Nikodemus in jener Nacht alles bewegte. Jedenfalls bläst er irgendwann sein Licht aus, zieht sich den Mantel über und schleicht im Schatten der Häuser durch die nächtlichen Gassen von Jerusalem. Er geht zu Jesus. Gut, dass Nikodemus weiß, wohin er kommen kann. Gut, wenn wir in unseren Nächten wissen, wohin wir im Gebet kommen können im Klagen und Bitten und Getröstet werden. Das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus beginnt eigenartig. Nikodemus fängt an, als ob er nur zum Plaudern gekommen wäre. Ganz gekonnt beginnt er mit Komplimenten: Rabbi (so redet er Jesus an, obwohl Jesus gar kein offizieller Rabbi war), wir wissen, dass du ein großer Lehrer bist und von Gott gekommen. Tolle Komplimente. Wer hört die nicht gern!? Aber Jesus geht überhaupt nicht darauf ein. Er sieht den Nikodemus an. Und er sieht nicht nur das Äußere, er sieht das Herz an. Jesus sieht immer tiefer und das ist gut. Er blickt hinter die Fassaden unseres Lebens und das ist heilsam. Er sieht auch hinter die frommen Fassaden und sieht was fehlt. Und was nötig ist für uns. Dem Nikodemus sagt ganz direkt: Wahrlich, ich sage dir: wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes hineinkommen. Das also ist nötig. Von neuem geboren werden. Damit kommt Jesus zum Kern. Das will Jesus mit dem Nikodemus und mit uns. Dass da etwas neu wird, neu gemacht, neu geboren. Vielleicht hat Nikodemus etwas ganz anderes von Jesus erwartet zum Beispiel einige Anregungen, wie man das Leben besser in den Griff bekommt. Ein paar Anweisungen für ein glücklicheres Leben, so wie Gurus predigen: Du ahnst nicht, was in dir steckt, entdecke den Löwen in dir. Oder wie es ungezählt viele Ratgeber auf dem Büchermarkt verkünden: Sorge nicht, lebe! und wie sie alle heißen. Nicht, dass es nicht gute Anweisungen dieser Art geben kann. Nein, die haben schon vielen Menschen geholfen. Aber es gibt in solchen Ratschlägen 4
5 neben aller Hilfe auch die Gefahr einer Tyrannei des positiven Denkens, als ob man sich das immer befehlen könnte: Du musst gut denken, du musst besser werden. Du musst dich entwickeln. Du musst perfekter sein. Solche Forderungen können am Ende auch sehr unbarmherzig sein. Vielleicht dachte Nikodemus ähnlich. Er dachte religiös. Er war ja ein frommer Mann. Und soll nicht der Mensch sich anstrengen, vor Gott gut zu sein? Das Leben perfektionieren? Immer besser werden! Jesus weiß, was dem Nikodemus fehlt. Nicht vom Besser-werden spricht er. Nicht perfekter werden. Sondern neu werden. Von neuem geboren werden, und das hängt nun gar nicht an unserer Perfektion oder an unserem Können. Ein Baby, das gerade geboren wird, kann ja gar nichts selbst dazu tun. Es kann nicht beschließen: Ich komme jetzt zur Welt, sondern es wird geboren. Es kann nicht denken: Ich streng mich jetzt an und gebäre mich, sondern da passiert etwas mit ihm. Es wird zur Welt gebracht, es atmet und lebt, obwohl es noch gar nicht begreift, was da geschieht. Und Jesus sagt: Mit dem Glauben ist es genau so und mit einem glücklichen Leben in der Verbindung mit Gott. Christ werden ist wie eine Geburt, eine neue Geburt, eine Geburt von oben her, wie man auch übersetzen kann. Der hohe Rat Nikodemus blickt merkwürdig drein. Wie, so fragt er, wie soll das funktionieren? Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Er kann doch nicht wieder zurück in den Körper seiner Mutter kriechen und nochmal rauskommen? Blickt es der Gelehrte wirklich nicht, was Jesus sagen will? Oder versteht er es und weicht nur aus? Das gibt es ja auch, dass jemand genau spürt: Gott will mit mir neu anfangen, aber ich diskutiere lieber noch rum. Jedenfalls erklärt Jesus dem Nikodemus noch einmal genauer, was er meint. Er sagt: dass ein Mensch neu wird neu im Glauben -, das geschieht durch Wasser und durch Geist. 5
6 Damit beschreibt Jesus zwei Bewegungen, die da zusammen kommen. Die eine Bewegung: Wasser damit meint Jesus die Taufe, genauer gesagt: Das Untertauchen und wieder Auftauchen, wie es damals bei der Taufe üblich war (auch heute noch in manchen Kirchen): Der Täufling taucht symbolisch ein zum Zeichen: ich geb mein ganzes Leben jetzt hinein, lasse mich sozusagen in Gottes Gegenwart eintauchen, lasse mich in den Glauben fallen. Das ist die eine Bewegung. durch Wasser Und die andere ist dabei das Entscheidende: und durch Geist: von oben her, sagt Jesus. Nicht aus dem Weltall, sondern aus der Allgegenwart Gottes geschieht da was, eine Kraft, eine verändernde Stärke, ein Neuwerden. Jesus sagt dazu: Man kann das nicht von außen sehen, wir würden sagen: man kann es nicht direkt fotografieren. Es ist, so Jesus, wie mit dem Wind. Den spürt man, den merkt man. Aber begreifen kann man den Wind nicht. Man sieht nur seine Wirkung. So ist es auch, wenn ein Mensch zum Glauben kommt. Durch Wasser - das Eintauchen: das ist das eine. Das geschieht einmal bei der Taufe, aber dann in der Fortsetzung immer wieder. So wie ich meine Frau nicht nur am Hochzeitstag liebe, sondern die Liebe jeden Tag eine neue wird, so ist es auch mit dem Eintauchen: Ich darf es jeden Tag neu Martin Luther sagte: täglich neu in die Taufe kriechen. Konkret: ins Gebet eintauchen, in die Stille vor Gott, in ein Bibelwort vielleicht oder auch jetzt im Gottesdienst das kann jedesmal ein Eintauchen in Gottes Gegenwart sein, dabei alles mitnehmen, was gerade so beschäftigt die Freude am Gesundsein, den Ärger über den Strafzettel, die Fürbitte für den kranken Nachbarn, die Angst vor einer schwierigen Sitzung, die Kinder, den Kirchentag und so weiter. Was bedeutet bei all dem Glauben, Christ sein? Ich höre Jesus für uns so: Tauch mit all dem, was dein Leben ausmacht, ein zu Gott hin. Du musst nicht einen Kanister Kräuteröl zum toten Jesus schleppen. Christus lebt darum bring ihm den Kanister deines Lebens. Es ist ein guter geistlicher Ratschlag, in 6
7 besonderen Momenten des Alltags ganz still beten zu können: Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Dem Vater der seine Liebe von oben her immer neu schenkt. Dem Sohn der von oben her in unsere Welt kam, damit niemand, der an ihn glaubt, verloren geht, sondern ewiges Leben hat, und dem Heiligen Geist - der heute als Kraft von Gott in uns wirken will und kann. Und wenn er wirkt, da ist das immer ein Neu-werden. Da verändert sich was. Da wird ein trauriger Mensch wieder froh, aus einem hartherzigen wird ein gelöster. Aus Trotzigen werden Versöhnte, aus Menschen, die auf den Tod zu gehen, werden Menschen, die auf die Ewigkeit zu gehen, aus Trauernden werden Getröstete. Menschen mit neuem Leben, weil Gott in ihnen wirkt. Weil sie jeden Tag neu zu bitten wagen: Ja, Herr, nun wirke du in mir. Komm du in die Mitte meines Lebens. Fülle mich neu. Du gibst meinem Leben Sinn und Ziel. Wer so bittet und es dann zulässt, der wird Gottes verändernde Kraft erfahren. Neuschaffende Kraft. Und er kann wissen: Wenn Jesus mein Herr ist, dann bin ich neu geboren, dann bin ich sein Kind. Ich bin Christ. Wir wissen nicht, wie Nikodemus nach seinem late-night-talk, seinem Nachtcafé- Spezial mit Jesus wieder nach Hause kam. Später, so erzählt das Evangelium noch, später hat er einmal davor gewarnt, Jesus vorschnell zu verurteilen. Und dann am Karfreitagabend erwies er Jesus die letzte Ehre. Ob dieser kluge Kopf wirklich Christ wurde, wissen wir nicht. Aber durch sein nächtliches Gespräch erfahren wir, was Christ sein heißt. Am Mittwoch beginnt hier in Stuttgart der Kirchentag. Spannung und Vorfreude steigen. Was klug ist das wird dann fünf Tage lang durchbuchstabiert, am Tag und wohl auch in Nachtgesprächen. Hoffen wir, dass dabei das Klugwerden unseres menschlichen Geistes eben durch die Weisheit des Heiligen Geistes geschieht. Von unten her ist der Kirchentag gut vorbereitet. Jetzt soll Gottes Geist von oben her die Menschen neu bewegen, prägen, befreien und stärken darum können wir in der Spur des Nachtgesprächs mit Nikodemus bitten. Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab Amen 7
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