ADLISWILER PREDIGT. Reformierte Kirche Adliswil, Gottesdienst, 10. August 2014
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- Rolf Kraus
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1 ADLISWILER PREDIGT Reformierte Kirche Adliswil, Gottesdienst, 10. August 2014 Text: Lukas 18,9-14 Titel: «Dem anderen das Beste zutrauen» Predigt: Pfrn. Bettina Krause
2 Die Gnade Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen, Amen. Liebe Gemeinde, zunächst lese ich Ihnen den Predigttext vor, er steht im Lukasevangelium, im 18. Kap, Verse 9-14 eine ganz bekannte Geschichte: Jesus erzählte einigen, die sich für untadelig hielten und auf andere herabsahen, folgende Geschichte: Zwei Männer gingen in den Tempel, um zu beten, ein Pharisäer und ein Zolleinnehmer. Der Pharisäer stellte sich ganz vorne hin und betete: Gott, ich danke dir, dass ich nicht so habgierig, unehrlich und verdorben bin wie die anderen Leute, zum Beispiel dieser Zolleinnehmer. Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe dir den zehnten Teil von allen meinen Einkünften. Der Zolleinnehmer aber stand ganz hinten und getraute sich nicht einmal aufzublicken. Er schlug sich an die Brust und sagte: Gott, hab Erbarmen mit mir, ich bin ein sündiger Mensch! Jesus schloss: Ich sage euch, als der Zolleinnehmer nach Hause ging, hatte Gott ihn angenommen, den anderen nicht. Denn, wer sich erhöht, der wird erniedrigt; aber, wer sich geringachtet, der wird erhöht. Liebe Gemeinde, das ist doch endlich eine Geschichte, in der Klartext geredet wird; wie wohltuend! An klaren Anweisungen, die sich für unsere Zeit heute eignen, ist die Bibel ja nicht besonders reich! Aber hier steht s nun mal deutlich: wer sich etwas auf sich selbst einbildet, wer sich für besser, für gescheiter, schöner, initiativer, hält als andere, der wird tief fallen und umgekehrt, wer von sich selbst nichts hält, der wird aufsteigen. Das erinnert mich an eine Begegnung mit einem Mann nach dem Sonntagsgottesdienst, die ich in meiner Zeit in Schaffhausen hatte: Eine meiner damaligen Konfirmandinnen hatte ihn nach einer Zigarette gefragt. Er entrüstete sich masslos über die verdorbene Jugend, die schon so früh anfange zu rauchen. Und natürlich seien die Eltern an allem schuld. Er selbst habe nie geraucht, seine Kinder rauchen auch nicht. Nein, bei ihnen in der Familie habe vielmehr der Sport im Mittelpunkt gestanden: Deshalb seien seine Kinder auch so gut heraus gekommen. Dieser Mann hielt sich und seine Kindererziehung eindeutig für besser als die der Eltern jener Konfirmandin obwohl er sie nicht einmal kannte. Und dazu kam: Er setzte stillschweigend mein Einverständnis voraus! 1
3 Und ich? Ich ging in diese Falle, obwohl ich es furchtbar anmassend fand, was dieser Mann da sagte. Meine Gefühle waren eigentlich bei der jungen Frau, deren Familiensituation ich kannte. Aber ich sagte nichts, dachte mir nur mein Teil. Doch dieses Erlebnis liess mich nicht los: Ich ärgerte mich einerseits über mich selbst, dass ich es nicht geschafft hatte, die Aussagen dieses Mannes in ein anderes Licht zu rücken. Andererseits kamen mir aber noch ganz andere Gedanken: Denke ich nicht ganz ähnlich wie er? Bin ich nicht auch stolz darauf, dass meine Töchter keine Probleme mit Alkohol oder Drogen haben? Dass sie überhaupt so gut herausgekommen sind und sich noch nie etwas Schlimmes haben zuschulden kommen lassen? Halte ich das nicht auch zu einem grossen Teil wenigstens mir zugute? Mir und meiner Erziehung, der Zeit, die ich für meine Kinder aufgewendet habe, die ich mit ihnen verbracht habe? Habe ich mir nicht mindestens im Geheimen schon ein paar Mal gesagt: Zum Glück sind meine Töchter nicht so, wie die oder der ich kenne ja viele junge Menschen und dass das so ist, ist sicher darauf zurückzuführen, dass ich in der Erziehung auf dies und das geschaut habe. Ja, so einfach ist das Ganze mit dem sich-für-besser-halten nicht. Man merkt s nämlich oft gar nicht! Warum: weil man es gut meint, weil man das Beste will! Jeder und jede nach seinen und ihren Möglichkeiten. Und dann will man es besser machen als andere! Der Mann, der mich ansprach, wollte dies für seine Kinder, die Mutter der Konfirmandin für ihre Tochter, und ich weiss doch von mir auch, dass ich bemüht bin, das Beste zu tun. So kann ich mit Fug und Recht davon ausgehen, dass wir alle das Beste wollen und ich kann mit gutem Gewissen sagen: ich kann deshalb auch allen das Beste zutrauen. Und trotzdem fühlen wir oder andere sich manchmal noch ein bisschen besser So, wie in der Geschichte vom Pharisäer und dem Zolleinnehmer, die wir hörten: Es sieht ja zunächst so aus: Der Pharisäer ist der Hochmütige, Anmassende, der, der sich besser fühlt als andere: ich bin nicht so habgierig, unehrlich und verdorben, sagt er. Er ist also der, der es nicht richtig macht. Er erhebt sich über den anderen, bildet sich etwas auf sich ein. Der Zolleinnehmer ist der, der sich selbst erkennt und sich gering schätzt, demütig bittet er Gott um Erbarmen. Er macht es also richtig im Sinne der Worte, die am Schluss des Textes stehen: Wer sich erhöht, der wird erniedrigt, und wer sich erniedrigt, der wird erhöht. Ein Wort, das in der Bibel öfter vorkommt und das vom Evangelienschreiber Lukas hier an diese Stelle gesetzt wurde. Lukas hat damit den Text interpretiert. Ich möchte diese Interpretation jedoch einmal auf der Seite lassen und die beiden, Pharisäer und Zolleinnehmer, von der Sichtweise aus betrachten, die ich zuvor nannte; der Sichtweise, die allen nur das Beste zutraut, die davon ausgeht, dass jeder das Beste tun will nach seinen Möglichkeiten. wie sieht das dann aus? 2
4 Wir wissen, dass Pharisäer zurzeit Jesu recht angesehene Menschen waren. Sie bemühten sich, alles besonders gut zu machen, es Gott besonders recht zu machen; also sie waren eine Art Übererfüller des Gesetzes. Zolleinnehmer waren überhaupt nicht angesehen, sie arbeiteten mit der römischen Besatzungsmacht zusammen und zogen den Menschen das Geld mit unlauteren Mitteln aus der Tasche. Doch auch sie versuchten, das Beste zu machen aus ihrer Sicht, von ihrer Sichtweise her. In der Interpretation des Lukas ist der Pharisäer im Tempel ja eher auf der Verliererseite und der Zolleinnehmer im Tempel macht s richtig. Es hat damit eine Art Umkehrung stattgefunden. Eine Umkehrung zu der damals herrschenden Meinung. Eine Umkehrung der Sichtweise. Doch es bleibt bei richtig und falsch, bei gut und böse. Am Beispiel, das ich am Anfang erzählte von dem Mann und der Konfirmandin - sahen wir aber schon, dass das eben nicht so einfach ist. So habe ich mir überlegt: Wie wär s, wenn ich die Rollen der beiden, des Pharisäers und des Zolleinnehmers, mal tauschen würde, vielleicht kommen wir dann zu einem tieferem Verständnis der Geschichte, die uns über das Schwarz-Weiss- Malen hinausführt? Wenn wir jedem zutrauen, das Beste tun zu wollen? Das heisst, ich lasse jetzt mal den Zolleinnehmer aus dem Blickwinkel des Pharisäers sprechen und dann umgekehrt: Zunächst der Zolleinnehmer: Gott ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser Pharisäer. Ich kann erkennen, dass ich eigentlich nicht viel wert bin. Und so willst du es ja haben. Ich bete nicht regelmässig, gehe nicht regelmässig in den Tempel, weil mich die vielen Pharisäer nerven, die da stehen; da fühle ich mich nicht frei. Freier fühle ich mich, wenn ich nicht so viel an dich denken muss. Und mir geht es damit ganz gut. Ich bin mit vielen anderen Dingen beschäftigt. Ich muss das Beste aus meiner Situation machen. Ich muss ums Überleben kämpfen. Es ist nämlich nicht einfach für mich, meinen Verdienst zu sichern. Das mag zwar habgierig aussehen, aber ich habe kein regelmässiges Einkommen, ich bin auf die Zolleinnahmen angewiesen, sie sind mein Lebensunterhalt. Die fallen sehr unterschiedlich aus. Und ganz verschieden ist auch das, was die römischen Soldaten von mir fordern. Alles ist unsicher. So muss ich etwas auf die Seite tun für schlechte Zeiten. Ich muss eine Grossfamilie ernähren. Dann kann es geschehen, dass ich, wenn ich einem reichen Mann am Zoll begegne, ihm ein wenig mehr abnehme als ich eigentlich sollte. Es geschieht aus der Not heraus. Ich versuche, das Beste aus meiner Situation zu machen für meine Familie. Doch dann denke ich manchmal an dich, Gott. Ich denke daran, dass das eigentlich nicht recht ist, was ich da tue. Dann bin ich so froh, dass es dich gibt und dass ich dich bitten kann, mit mir Erbarmen zu haben. Einfach so, ohne viele Gebete und ohne viel Fasten. Das tut der Pharisäer dort. Ich brauche das nicht. Ob das dem immer Spass macht? Soweit einmal der Zolleinnehmer. Und nun der Pharisäer, der könnte sich etwa so anhören: 3
5 Gott, du weisst, was ich alles mache, um dir zu gefallen. Ich bete viel mehr und länger als ich sollte und als es üblich ist. Ich beschäftige mich sehr mit dem, was über dich und über unser Volk aufgeschrieben ist. Ich faste ganz viel, und das ist wirklich nicht einfach, Gott! Aber ich will es wirklich recht machen, deshalb versuche ich auch, deine Gesetze und Gebote besser zu erfüllen, als du es erwartest. Das ist sehr anstrengend und oft denke ich, ich mache es nicht gut genug, immer noch nicht gut genug! Ich bin nicht gut genug zu den Menschen, ich gebe nicht genug Almosen. Und ich habe immer noch nicht genug Menschen überzeugt, es mir gleich zu tun, dir so zu gefallen. Manchmal verlässt mich der Mut, ich habe den Eindruck, dass ich es nicht schaffe, die Ziele, die ich mir gesteckt habe, zu erreichen; dann fühle ich mich ganz klein. Ich hoffe, Gott, dass du alles siehst, wie ich mich kasteie, was ich alles leiste. Ich möchte alles perfekt machen, und alles immer richtig machen und alles allen recht machen. Aber das habe ich noch lange nicht geschafft, ich arbeite noch daran. Hoffentlich schaffe ich das überhaupt, sonst bin ich ein absoluter Versager. Ich hoffe trotzdem, dir schon jetzt zu gefallen, auch wenn ich von der Perfektion noch meilenweit entfernt bin. Manchmal bin ich nahe dran, den Mut zu verlieren, dann hoffe ich auf dein Wohlwollen, den ich mache das Beste, was ich kann. Soweit der Pharisäer. Nun sieht das Ganze etwas anders aus: Mit diesem Rollentausch verändert sich unsere Sicht auf diese beiden Menschen, unsere Haltung zu diesen Menschen; wenn wir davon ausgehen, dass jeder und jede nur das Beste will. Und wir merken sofort, dass jeder und jede sich trotzdem schnell einmal ein bisschen besser fühlt als andere. Da können wir etwas vom Pharisäer im Zolleinnehmer entdecken und etwas vom Zolleinnehmer im Pharisäer. Ich komme auf das Beispiel vom Anfang zurück: es ging um einen Familienvater, der über eine Konfirmandin schimpfte, die ihn um eine Zigarette bat. Auch er will letzten Endes das Beste für sich und auch für die Konfirmandin. Deshalb ist er froh, dass er nicht direkt davon betroffen ist. Er will ja schliesslich, dass seine Kinder nicht rauchen; und nicht nur seine Kinder, sondern die anderen Jugendlichen auch. Sonst hätte er sich nicht so aufgeregt. Es hätte ihm ja auch gleichgültig sein können. Und dass er froh ist, selbst nicht betroffen zu sein, ist gut nachvollziehbar. In dieser Geschichte, die von Jesus überliefert ist, finden wir eine Grundaussage über unser Leben. Wir wollen das Beste und schiessen dann öfter mal über das Ziel hinaus und fühlen uns dann besser als andere. Aber das kann sich ändern: Schon allein, wenn uns das bewusst ist, ändert sich etwas und wir denken mehr über unser Reden und Handeln nach. Und wir können dann mit dem Zolleinnehmer sagen: Gott hab Erbarmen mit mir! Der Autor des Epheserbriefes, aus dem wir einige Verse in der Lesung hörten, sagt dazu: 4
6 Gott ist reich an Erbarmen. Es ist tatsächlich reine Gnade, dass ihr gerettet seid, ihr selbst könnt nichts dazu tun; durch Jesus Christus hat er uns so geschaffen, dass wir nun Gutes tun können. Darauf sind wir angewiesen, liebe Gemeinde, auf diese Gnade, die uns rettet, die uns Gutes tun lässt. Es ist eine Frage der Sichtweise: sehen wir die Welt einmal mit den Augen des Pharisäers oder denen des Zolleinnehmers? Oder eben mit den Augen der Gnade Jesu, die allen nur das Beste zutraut! Amen. 5
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