Beitrag: Schleuserjagd im Mittelmeer Die unmögliche Mission der Bundeswehr

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1 Manuskript Beitrag: Schleuserjagd im Mittelmeer Die unmögliche Mission der Bundeswehr Sendung vom 6. Oktober 2015 von Manka Heise, Birte Meier und Asli Özarslan Anmoderation: Vor einem Jahr ging Ursula von der Leyen in die Charme- Offensive. Unsere Bundeswehr soll schöner werden, meinte sie. Attraktiv für Soldatinnen und Soldaten, sinnstiftend für Deutschland und vorbildlich für die Welt. Im Mittelmeer scheinen Ministerin und Marine derzeit voll auf Kurs. Tausende schiffbrüchige Flüchtlinge wurden gerettet und die schönen Bilder von der Bundeswehr verbreitet. Auch die zweite Phase der Operation, der bewaffnete Einsatz gegen Schlepper, wird gern als Akt der Menschlichkeit verbrämt und bekam vergangene Woche den Segen des Bundestags. Segen für Verlogenheit, wie Manka Heise, Birte Meier und Asli Özarslan zeigen. Text: Sophia - so heißt das kleine Mädchen, das Ende August irgendwo vor Sizilien auf der Bundeswehr-Fregatte Schleswig- Holstein zur Welt kommt. Das Schiff ist Teil eines EU- Militäreinsatzes im Mittelmeer. Sophias Mutter wurde aus Seenot gerettet. Und die Bundeswehr nutzt die Geburt für ein PR-Video in eigener Sache. O-Ton Marius S. Stabsarzt: Das ist natürlich an Bord eines Kriegsschiffs auch kein ganz alltäglicher Notfall, muss man sagen. Wir wussten auch, dass die Schwangere natürlich von der langen und sehr trapaziösen Reise aus Somalia teilweise sehr geschwächt war. Sophia - so heißt jetzt auch der ganze EU-Militäreinsatz gegen Schlepper im Mittelmeer, benannt nach einem Säugling. Bislang sind 320 Bundeswehrsoldaten im Einsatz, ab Mittwoch sollen es bis zu 950 werden. Der Staatssekretär aus dem Verteidigungsministerium wirbt für die Aufrüstung und bemüht dafür das Sterben der Flüchtlinge.

2 O Ralf Brauksiepe, CDU, Parlamentarischer Staatssekretär Bundesverteidigungsministerium: Diese Tragödie hat uns alle fassungslos gemacht. Der Einsatzgruppenversorger Berlin und die Fregatte Hessen sowie mittlerweile der Versorger Werra und die Fregatte Schleswig-Holstein haben bislang über 8030 Menschen aus Seenot gerettet. Die Bundeswehr hat tatsächlich viele Menschen gerettet. Allerdings: Unter nationalem Kommando waren es in sieben Wochen 5673 Menschen. Seitdem sie unter EU-Kommando steht, sind es viel weniger: In 14 Wochen nahm die Bundeswehr gerade Mal 2497 Flüchtlinge an Bord. Das ist nicht mal die Hälfte im doppelten Zeitraum. O-Ton Agnieszka Brugger, B 90/ GRÜNE, MdB: Es ist auch so, dass viele zivile Organisationen, die dort Seenotrettung betreiben, im Mittelmeer, eben auch berichten, dass die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in diesen ersten Monaten weitaus besser war. Und es gibt auch Soldatinnen und Soldaten, die das eben auch selber kritisieren, weil sie gerade diese Seenotrettung als wichtige Aufgabe empfinden. Das sehen auch sie so: Freiwillige Helfer auf der Sea-Watch. Den 100 Jahre alten Kahn haben sie wieder seetüchtig gemacht. Sie wollten dem Sterben nicht mehr tatenlos zuschauen. Hobbysegler machen das, was die EU-Militärmission Sophia unterlässt: systematisch nach Schiffbrüchigen suchen und zwar dort, wo viele hilflos im Meer treiben - vor der libyschen Küste. Er sagt, er sei vor der Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria geflüchtet. Die Sea-Watch versorgt die Flüchtlinge mit dem Nötigsten: Wasser und Rettungsinseln. Dann müssen alle auf ein Schiff warten, das groß genug ist, die Flüchtlinge aufzunehmen häufig stundenlang. Dem Sea-Watch -Initiator Harald Höppner sind die Schiffe der Bundesmarine noch nie zu Hilfe gekommen. OT Harald Höppner, Seenotrettungsaktivist, Sea-Watch: Die Bundeswehr könnte dort alle retten. Nur mal so als Beispiel: Wir haben in den letzten vier Monaten mit acht Mann Besatzung auf unserem kleinen Schiff 2000 Menschen gerettet. Die Bundeswehr hat in der Zeit nach eigenen Angaben circa 6000 gerettet. Und ich denke, wenn die Bundeswehr wollte, müsste dort keiner mehr ertrinken. Nun sollen Boote wie dieses, vollgepackt mit Flüchtlingen, von

3 Marinesoldaten angehalten, durchsucht, beschlagnahmt und gegebenenfalls umgeleitet werden - notfalls auch mit Waffengewalt gegen Schlepper. Die Bundeswehr übt schon mal am Luftballon. Die Seenotrettung hat keine Priorität mehr. Der Krieg gegen die Schlepper ist offenbar wichtiger als Leben retten. Der ehemalige Oberstleutnant Jürgen Rose sieht den bewaffneten Militär-Einsatz kritisch: O-Ton Jürgen Rose, Oberstleutnant a.d.: Na, die größte Sorge ist natürlich, dass aufgrund von Fehlperzeptionen oder aufgrund von Entwicklungen, die man ja in der Situation gar nicht vorhersehen kann, es dann zu einem unkontrollierten Waffengebrauch kommen könnte, mit der Folge, dass dann eine ganz erhebliche Anzahl auch von unbeteiligten Opfern dann entsprechend zu beklagen sein wird. Tote beim Einsatz befürchtet auch die EU. Das geht aus einem internen Papier des Europäischen Auswärtigen Dienstes hervor. Man sorgt sich ums Renommee. Zitat: Der Militärausschuss der EU sieht den Ruf der EU in Gefahr wenn das Sterben von Menschen mit Aktionen oder unterbliebenen Aktionen der EU-Mission in Verbindung gebracht wird. Bilal und Ahmad sind aus Syrien nach Deutschland geflohen über Libyen. Über ihre Schleuser wissen sie nichts. Sie bezweifeln, dass Soldaten im Mittelmeer erfolgreich Schlepper bekämpfen können. Dieses Video hat Ahmad auf dem überfüllten Flüchtlingsschiff mit dem Handy gedreht. Er musste mitten in der Nacht fliehen. O-Ton Bilal, syrischer Flüchtling: Nein, die Schlepper sind nicht mitgekommen, denn die Reise ist schwierig. Sie wird auch die Reise des Todes genannt. Die Schlepper werden doch kein Suizid begehen. Sie kennen ja die Reise. O-Ton Ahmad, syrischer Flüchtling: Kein Schleuser wird auf dem Boot sein. Da sind auch kleine Kinder, Frauen, Kranke, Schwangere. Sie haben alle so viel Angst. Und wenn die Bundeswehr diese Menschen angreift, dann werden sie vor Angst sterben. Trient in Norditalien. Hier an der Universität unterrichtet ein

4 Kriminologe, der vier Jahre lang das Schlepperwesen auf der ganzen Welt recherchiert hat. Professor di Nicola ist überzeugt: Die EU werde ihr Ziel mit ihrer Militärmission Sophia nicht erreichen. Selbst dann nicht, wenn Soldaten auf hoher See auf Schlepper treffen sollten. O-Ton Prof. Andrea di Nicola, Kriminologie, Universität Trient: Wenn wir denken, dass wir den Krieg so gewinnen, ist das, als würden wir glauben, dass wir den Drogenhandel beenden könnten, indem wir die kleinen Dealer schnappen. Das ist kurzsichtig. Die Schlepper korrumpieren, sind bestens vernetzt, auch politisch. Sie benutzen gefälschte Papiere, sie haben Boote. Man muss verstehen, dass der Mensch, der das Boot steuert, nur das letzte Glied in einer langen Kette ist. Ab Mittwoch beginnt sie, die bewaffnete Phase 2 der Mission Sophia. An deren Erfolg zweifelt sogar der Militärausschuss der EU. In einem internen EU-Papier heißt es: Zitat: Die Ergebnisse von Phase 2 könnten auch eingeschränkt sein. Konkret: Die Flüchtlinge weichen auf andere Routen aus. Deshalb fordert Barbara Lochbihler seit Jahren legale Fluchtwege - bisher ohne Erfolg. O-Ton Barbara Lochbihler, GRÜNE/Europäische Freie Allianz, MdEP, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin: Eine konsequente und an den Bedürfnissen der Flüchtlinge orientierte Politik wäre doch die, dass man den Menschen dort eben ein Visum ausstellt, dass sie normal ein Flugzeug oder eine Fähre nehmen können und nicht gezwungen sind, sich hier lebensgefährlich irgendwelchen Schleppern zu verdingen und sich auch noch zu verschulden. Ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer. Ein legaler Fluchtweg hätte ihr Leben retten können, doch die Politik sperrt sich. Solch weitreichende Entscheidungen gelten in Deutschland als nicht durchsetzbar zu unpopulär. So beschließt am vergangenen Donnerstag der Bundestag den derzeit größten Militäreinsatz - in Abwesenheit der Bundeskanzlerin und aller Minister. Selbst die Verteidigungsministerin fehlt. Abgeordnete begründen den Einsatz mit dem Flüchtlingsleid mal wieder. O-Ton Gabi Weber, SPD, MdB: Das Mittelmeer ist ein Grab geworden. Das Bild des

5 ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan hat viele Menschen aufgerüttelt. Doch das Sterben im Mittelmeer werden bewaffnete Soldaten kaum stoppen. O-Ton Jürgen Rose, Oberstleutnant a.d.: Ich denke erstens, dass das ein Zeichen für die Hilflosigkeit von Politik ist, angesichts dieser dramatischen Situation, die durch die Flüchtlingsbewegung hervorgerufen wird, und zweitens, dass man aus der Not geboren, weil man meint, kein anderes Instrumentarium zur Verfügung zu haben, nun aufs Militär zurückgreift. O-Ton Prof. Andrea di Nicola, Kriminologie, Universität Trient: Wenn es einen Auswirkung gibt, dann nur kurz. Die Schlepper organisieren sich einfach neu. Sie verändern ihre Routen und ihre Tricks. Die Schlepper denken 24 Stunden am Tag darüber nach, wie sie die Grenzen Europas bezwingen können. Wenn wir diese Grenzen aufrüsten, lachen sie über uns. Die Flüchtlinge werden weiter kommen und weiter sterben auch, weil sie ihr Leben weiter Schleppern anvertrauen müssen. Abmoderation: Während die Bundeswehr im Mittelmeer auf Luftballons ballerte, marschierten die Taliban nach Kundus, wo die Bundeswehr vor zwei Jahren abgezogen ist. Jetzt ist mehr zerplatzt als eine bunte Hülle. Zerplatzt und zerstört ist die Illusion, Afghanistan könne auf Dauer stabilisiert und Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werden. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.