Mathematik für Informatik 1
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- Evagret Brandt
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1 Mathematik für Informatik 1 Inhalt : Grundbegriffe Mengen, speziell Zahlenmengen Aussagenlogik Beweistechniken Funktionen, Relationen Kombinatorik Abzählverfahren Binominalkoeffizienten Komplexität von Algorithmen Folgen, Grenzwerte, Rekursionen Graphentheorie Grundbegriffe, Zusammenhang, Euler-Pfade kürzeste Wege, minimale Spannbäume, maximale Flüsse & Matchings Galoiskörper Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung 1
2 Literatur Gerald und Susanne Teschl: Mathematik für Informatiker, Band 1 und 2, erschienen im Springer-Verlag 2006 ( auch als ebook erhältlich ) Der Inhalt der Vorlesung Mathematik für Informatik 1 entspricht im wesentlichen Band 1 ohne die lineare Algebra ( Kap. 9 bis 14 ). Die Wahrscheinlichkeitsrechnung findet sich in Band 2. Die Vorlesung basiert auf den Skripten von Prof. Marcus Martin und Dr.Ochs ( beide fbmn.h-da/~. ). Mit welchem Lehrbuch und medium, mit welcher Methode der Student bzw die Studentin am besten lernt, muss er/sie selber feststellen. 2
3 1 Logik Grundlage für die Mathematik bilden Logik und Mengenlehre. Vor allem für die Anwendungen der Mathematik in der (Theoretischen) Informatik sind logische Verknüpfungen, sog. Junktoren, essentiell. Sie kommen aber beispielsweise auch im Rahmen einer binären Verknüpfung der Wahrheitswerte - falsch (bzw. kein Strom fließt) und - wahr (bzw. Strom fließt) in physikalischer Form in der Hardware durch Schaltungen bereits zum Tragen. 3
4 Betrachtet man folgende beiden elementaren Schaltbilder, so stellt man fest, dass bei verschiedenen Schalterstellungen ein Strom im Stromkreis fließt oder nicht: AND OR Wir befinden uns damit im Bereich einer klassichen Logik, die auch als binäre oder Boolesche Logik bezeichnet wird. Das erste Schaltbild zeigt dabei die logische Und- Verknüpfung, während das zweite die logische Oder- Verknüpfung vereinfacht darstellt. 4
5 1.1 Aussagenlogik In Analogie zu dem Beispiel der Schalter definieren wir nach Aristoteles eine Aussage als einen sprachlichen Ausdruck, dem objektiv und eindeutig einer der beiden Wahrheitswerte wahr (1) (engl. true) oder falsch (0) (engl. false) zugeordnet werden kann. So kann im obigen Beispiel die Aussage "Der Schalter x ist eingeschaltet. wahr oder falsch sein. Hingegen ist der Ausdruck "Warum ist es am Rhein so schön?" keine Aussage! Durch Verneinung (oder Negation, NON) einer Aussage kann man ihren Wahrheitswert ändern. Ist zum Beispiel die Aussage "16 ist eine natürliche Zahl, die nur durch 1 und sich selbst geteilt werden kann" oder kürzer "16 ist eine Primzahl" falsch, so ist ihre Verneinung wieder wahr. 5
6 Diese einstellige logische Operation der Negation ist leicht in Form einer Wahrheitstafel darstellbar, in der man für jeden möglichen Wahrheitswert einer Aussage A den Wahrheitswert der verneinten Aussage A gegenüberstellt. A A Entsprechend kann man weitere Junktoren wie die Konjunktion (logisches Und, AND), die Disjunktion (logisches Oder, OR), das exclusive OR (exklusives Oder, XOR) und die Subjunktion (Implikation) mit Hilfe von Wahrheitstafeln für je zwei Ausgangsaussagen (Zustände, Schalterstellungen) eindeutig definieren. 6
7 Die zweistelligen logischen Verknüpfungen sind erklärt durch die Wahrheitstafel: A B A A B A B A B A B Wie man sieht, ist eine logische Verknüpfung somit durch 2 2 = 4 verschiedene Werte (der möglichen Aussagen, Zustände, Schalterstellungen) eindeutig festgelegt. Da stets einer der zwei Wahrheitswerte festzulegen ist, gibt es insgesamt = = 16 verschiedene Möglichkeiten, eine zweistellige logische Funktion zu definieren. 7
8 Insgesamt kann man sich jedoch überlegen, dass diese 16 möglichen logischen Verknüpfungsoperationen auf eine Kombination der drei elementaren Verknüpfungen der Konjunktion, Disjunktion und Negation zurückgeführt werden können. Satz 1 Jede der 16 möglichen zweistelligen logischen Verknüpfungsoperationen kann auf eine Kombination von Disjunktionen, Konjunktionen und Negationen zurückgeführt werden. Wir illustrieren diesen Satz zunächst einmal dadurch, dass wir noch zwei wichtige zweistellige logische Operatoren, die ein negiertes logisches Und - NAND - und ein negiertes logisches Oder - NOR - repräsentieren einführen. 8
9 Dabei handelt es sich um den - Sheffer-Operator (NAND, ) und den - Peirce-Operator (NOR, ): A B A B A B Offensichtlich gilt für diese A B = (A B) und A B = (A B), wie man leicht mit Hilfe der Negation aus den beiden letzten Wahrheitstafeln abliest. Man kann umgekehrt sogar zeigen, dass die Konjunktion, Disjunktion und Negation allein mit Hilfe des Sheffer- bzw. allein mit Hilfe des Peirce-Operators ausgedrückt werden können: 9
10 Lemma 1 Es seien A und B Aussagen. Für die NAND- und NOR-Verknüpfung lassen sich Negation, Konjunktion und Disjunktion wie folgt ausdrücken: 1. Negation: A = A A = A A. 2. Konjunktion: A B = (A B) (A B) = (A A) (B B). 3. Disjunktion: A B = (A A) (B B) = (A B) (A B). Beweis: Nachrechnen mit Wahrheitstafeln ( als Übungs- und Hausaufgabe überlassen ) 10
11 Schließlich müssen wir noch die Äquivalenz ( ) zweier Aussagen A und B definieren, die durch Rückführung auf die bereits eingeführte Subjunktion und Konjunktion durch (A B) (B A) gegeben ist. Entsprechend der Definitionen von und ist somit die Wahrheitstafel der Äquivalenz gegeben durch A B A B Es genügt also, wenn wir die Implikation auf einen Ausdruck in den drei elementaren logischen Operatoren zurückführen! 11
12 Dazu zeigen wir mit Hilfe einer Wahrheitstafel, dass A B genau dann gilt, wenn A B gilt : ( A B ) ( A B ) also für alle Kombinationen aus Wahrheitswerten der Aussagen A und B die Operatoren zum selben resultierenden Wahrheitswert führen: A B A => B A B A A B Damit gilt nach Definition A B genau dann, wenn ( A B) ( B A) gilt! 12
13 Der geneigte Leser hat überdies durch inzwischen geübten Blick auf die Wahrheitstafeln für die Äquivalenz und XOR bereits bemerkt, dass diese durch eine einfache Negation ineinander überführbar sind: A B A B A B (A B) Damit ist A B genau dann, wenn (( A B) ( B A)) gilt. Also ist auch die Operation ebenfalls ausschließlich mit den drei Grundoperatoren darstellbar! 13
14 Ein für eine wichtige mathematische Beweistechnik (den Beweis durch Kontraposition) zentraler Zusammenhang sei in diesem Kontext zumindest anhand der Wahrheitstafeln ebenfalls kurz aufgeführt: Es gilt nämlich A B genau dann, wenn B A gilt. A B A B A B B A Desweiteren lässt sich beispielsweise die logische Operation, deren Wahrheitswerte allesamt wahr (1) sind, mit Hilfe des Diktums tertium non datur des Aristoteles durch A A = 1 darstellen (sog. Tautologie). ( tertium non datur : Satz vom ausgeschlossenem Dritten Hans ist blond oder Hans ist nicht blond. ) 14
15 Ferner ist aus demselben Grunde eine zweistellige logische Verknüpfungsoperation, deren Wahrheitswerte allesamt nur falsch sind, durch A A = 0 darstellbar. Sollten Kritiker (nicht ganz zu unrecht) einräumen, dass damit ja eigentlich gar keine zweistellige Verknüpfungsoperation erklärt ist, können wir diese mit Hilfe der Definitionen A#B := (A A) (B B) = 1 und A$B := (A A) (B B) = 0 leicht besänftigen. 15
16 Wir haben damit für sieben (,,,,, # und $) der 14 neben Konjunktion und Disjunktion möglichen zweistelligen logischen Verknüpfungen die Behauptung von Satz 1 nachgewiesen und verzichten an dieser Stelle auf den vollumfänglichen Beweis. Damit haben wir zwar anhand der sieben Beispiele illustriert, dass sich diese durch Konjunktionen, Disjunktionen und Negationen darstellen lassen. Allerdings ist z.b. der Ausdruck (( A B) ( B A)), der ja äquivalent zum XOR ist, sowohl mathematisch betrachtet nicht wirklich elegant als auch für die technische Umsetzung extrem unhandlich. Um solche Ausdrücke zu vereinfachen, müssen wir somit noch die Rechenregeln für logische Verknüpfungen zusammenstellen. 16
17 Satz 2 (Rechenregeln der Aussagenlogik) Es seien A, B und C Aussagen. Dann gelten für die Konjunktion die Gesetze 1. Kommutativität: A B = B A, 2. Assoziativität: A (B C) = (A B) C und für die Disjunktion entsprechend die Regeln 1. Kommutativität: A B = B A, 2. Assoziativität: A (B C) = (A B) C. 17
18 Darüber hinaus gelten die 3. Distributivgesetze A (B C) = (A B) (A C) und A (B C) = (A B) (A C) sowie die sog. 4. demorganschen Regeln (A B) = ( A) ( B) Und (A B) = ( A) ( B). 18
19 Beweis: 1. Die Kommutativität der Konjunktion und Disjunktion kann direkt aus den Wahrheitstafeln abgelesen werden. 2. Die Assoziativität der Konjunktion und Disjunktion kann ebenfalls sehr einfach mit Hilfe einer Wahrheitstafel nachgeprüft werden, weshalb wir an dieser Stelle auf einen Beweis verzichten und diesen dem Leser zur eigenen Übung überlassen. 3. Die erste Distributivitätsregel ergibt sich aus der Wahrheitstafel. Der Nachweis der zweiten Regel erfolgt analog am einfachsten ebenfalls mit Hilfe einer Wahrheitstafel. 19
20 3. Die erste Distributivitätsregel ergibt sich aus der Wahrheitstafel: A B C B C A (B C) A B A C (A B) (A C) Der Nachweis der zweiten Regel erfolgt analog am einfachsten ebenfalls mit Hilfe einer Wahrheitstafel. 20
21 4. Wir beweisen hier wieder nur das erste demorgan sche Gesetz (da der Beweis der zweiten völlig analog verläuft). Das erste Gesetz ergibt sich aber unmittelbar aus der folgenden Wahrheitstafel durch Gegenüberstellung der Wahrheitswerte der linken bzw. rechten Seite: A B A B A B A B (A B) Den Abschluss eines Beweises kennzeichnen wir im Folgenden immer mit einem kleinen Kästchen: (als Symbol für quod erat demonstrandum). 21
22 Bemerkung 1 Mathematischer formuliert kann man sagen, dass die auf den Wahrheitswerten 0 und 1 erklärten Verknüpfungen der Konjunktion, Disjunktion und Negation die einfachste Form einer sog. Boolesche Algebra bilden. Wir werden im Verlauf der Vorlesung weitere Beispiele für diese algebraische Struktur kennenlernen. 22
23 Wir wollen nun noch die Rechenregeln anwenden, um das Beispiel von oben noch einmal ein wenig weiter zu vereinfachen: ( ( A B) ( B A) ) = 4. = ( A B) ( B A) = 4. = (A B) (B A) 3. = [(A B) B] [(A B) A)] 3. = [(A B) (B B)] [(A A) ( B A)] = [(A B) 1 ] [ 1 ( B A)] = [(A B) ( B A)] 23
24 Damit lässt sich die logische Funktion A B durch A B = (( A B) ( B A)) = (A B) ( B A) ausdrücken, also durch Konjunktion von Disjunktionen der logischen Variablen oder ihrer Negationen. Eine solche Form nennt man auch Konjunktive Normalform, worauf wir im nächsten Abschnitt ausführlicher eingehen wollen. 24
25 1.2 Boolesche Terme Insbesondere für die Konstruktion von Schaltungen verwendet man in der Regel Kleinbuchstaben für die sog. Booleschen Variablen anstelle der logischen Variablen. Auch folgende, alternative Schreibweisen für die verschiedenen elementaren logischen Verknüpfungen sind hierbei gebräuchlich: Komplement (Negation) : a = a. Konjunktion : a b = a b (oder bisweilen auch a b). Disjunktion : a b = a + b. 25
26 In dieser Schreibweise lautet die zweite demorgansche Regel: (a+b) = a b. Analog zu den Aussagen mit den Wahrheitswerten wahr und falsch nennt man allgemein eine Variable x eine Boolesche Variable, wenn sie die Werte 1 oder 0 annimmt. Ferner gelten dann die sich direkt aus Satz 2 ergebenden Rechengesetze: 26
27 Rechengesetze Corollar 1 Für Boolesche Variablen x, y und z gilt: (0) x + x = 1, x x = 0, x = x, 1 x = x, 0 x = 0, 0 + x = x, 1 + x = 1, x + x = x und x x = x. (1) x + y = y + x und x + (y +z) = (x+y) + z. 27
28 (2) x y = y x und x (y z) = (x y) z. (3) x (y +z) = x y +x z (4) demorgan: (x + y) = x y und (x y) = x + y. 28
29 Definition 1 Ein n-stelliger Boolescher Term p besteht dann aus den Werten 0, 1 oder den Booleschen Variablen x 1, x 2,..., x n sowie sämtlichen daraus mit den gerade eingeführten Verknüpfungen (+,, ) erklärten Ausdrücken. Definition 2 Zwei n-stellige Boolesche Terme p und q sind dabei gleichwertig, wenn für alle ( x 1,..., x n ) mit x j { 0, 1}, j { 1,..., n }, gilt: p(x 1,..., x n ) = q(x 1,..., x n ). Definition 3 Die Komplexität eines Booleschen Terms kann nun als die Anzahl der in ihm verwendeten binären Operationen + und eingeführt werden. 29
30 Beispiel 1 (1) Der Boolesche Term p(x, y, z) := xy z + xy z + x y z + x y z +xy z enthält 10 binäre Multiplikationen und 4 binäre Additionen, besitzt also eine Komplexität von 14. (2) Hingegen besitzt der Boolesche Term q(x, y, z) := x + y z nur eine Komplexität von 2, da jeweils nur eine binäre Multiplikation und eine binäre Addition zu seiner Definition verwendet werden muss. 30
31 Kann man nun zeigen, dass die Booleschen Terme in diesem Beispiel gleichwertig sind, so hat man die Komplexität von p auf die von q drastisch reduziert, was auch die Komplexität der zu entwickelnden Schaltelemente und Steuerungen deutlich vereinfacht. Definition 4: Einen Booleschen Term mit minimaler Komplexität nennen wir Minimalform des Booleschen Terms. 31
32 Mit Corollar 1 erhalten wir unter Verwendung der Idempotenz xy z + xy z = xy z an der Stelle ( ) leicht: p(x, y, z) = x y z + x y z + x y z + x y z +xy z = ( ) = x y z + x y z + x y z + x y z +xy z + x y z = = xy (z + z)+ x y (z + z)+ xy z +xy z = = xy + x y +( x+x)y z = = x (y + y) + y z = = x + y z = = q(x, y, z), sodass die Booleschen Terme p und q gleichwertig sind. Damit lässt sich p auf seine Minimalform q bringen. Wir wollen nun noch die bisher erlernten Techniken anwenden, um Schaltkreise für binäre Additionen zu ermitteln. 32
33 Beispiel 2 (Halbaddierer) Es mögen a und b zwei einstellige Dualzahlen bezeichnen. Ferner sei o das erste und s das zweite Bit in der Dualdarstellung der Summe (os) 2. Diese ergibt sich wie folgt: a b (os) Betrachten wir das rechte Bit s (sum) der Summe, so handelt es sich offenbar um die exklusive Oder-Verknüpfung s = s(a,b) = a b, während sich für den Übertrag o (overflow) der Summe ergibt: o = o(a, b) = a b. 33
34 Schematisch lässt sich die Hardwareschaltung für den Halbaddierer (vgl. auch Skript Prof. Dr. H. Meyer) wie folgt darstellen: Diese Schaltung überführt die beiden Summanden in ihre Summe in Dualdarstellung, d.h. (o, s) = (a 0 b 0, a 0 b 0 ) = HA(a, b). 34
35 Zur Abkürzung bezeichnen wir die einzelnen Komponenten der in Binärdarstellung geschriebenen Summe (des geordneten Paares (o, s)) wie in der später noch zu behandelnden Vektorschreibweise mit o := a b = HA(a, b) 1 und s := a b = HA(a, b) 2. Dieses Prinzip kann man nun ausbauen, um einen Volladierer zur Addition beliebig-stelliger Dualzahlen zu entwerfen. Beispiel 3 (Volladdierer) Für zwei n-stellige Dualzahlen a = ( a n... A 1 a 0 ) 2 und b = (b n... B 1 b 0 ) 2 kann das nullte Bit s 0 = a 0 b 0 = HA(a 0, b 0 ) 2 der Summe aus (o 0, s 0 ) = HA(a 0, b 0 ) = (a 0 b 0, a 0 b 0 ) gemäß unseres vorherigen Beispiels ermittelt werden. 35
36 Allgemein ergibt sich analog für j 2 die j.te Stufe der Addition gemäß folgender Hardwareschaltung: Die Korrektheit des Volladdierers werden wir im Rahmen der Übungen zu Vorlesung exemplarisch im Falle n = 4 nachprüfen. 36
37 1.3 Schaltalgebra und Disjunktive Normalform Der Satz 1 besagt, dass sich jede der zweistelligen logischen Operatoren einzig mit Hilfe von Konjunktionen, Disjunktionen und Negationen ausdrücken lässt. Dies lässt sich natürlich sukzessive auf drei-, vier-, fünf-,..., n-stellige Operatoren verallgemeinern, da diese durch Hintereinanderausführung der Grundoperatoren entstehen. Diese Erkenntnis hat wichtige Auswirkungen auf das Thema der Entwicklung und Konstruktion von Schaltkreisen. Dabei wird jedoch (im Gegensatz zu unserem bisherigen Vorgehen) zuerst die Anzahl der benutzten Argumente und die die Funktion realisierende Wahrheitstafel entwickelt, die dann in einen Schaltkreis transformiert werden soll, der möglichst einfach und sparsam die entsprechenden Funktionen auch erfüllt. 37
38 Ein einfaches Beispiel für eine solche Situation ist die Konstruktion eines sog. Multiplexers, auch kurz MUX genannt. Bei diesem Schaltelement werden die über zwei Leitungen eingehenden Information x 0 und x 1 auf eine Ausgangsleitung weitergeleitet. Dabei wählt die Eingabeleitung s aus, welche der beiden Informationen das Vorrecht besitzt, weitergeleitet zu werden. Ein MUX wird daher wie folgt schematisch veranschaulicht: 38
39 Nehmen wir an, der Multiplexer soll immer, wenn auf der Steuerleitung s der Boolesche Wert 1 anliegt, den auf der ersten Leitung anliegenden Wert x 0 übertragen, ansonsten den Wert x 1. Dann ist die zu konstruierende Funktion gegeben durch die folgende Wahrheitstafel: s x 0 x 1 m
40 Wie gelangt man nun von dieser Wahrheitstafel zu einem Booleschen Term über den Argumenten s, x 0 und x 1? Hierzu benötigen wir zunächst noch die folgende Definition, die wieder darauf zurückgeht, dass jeder logische Ausdruck sich mit Hilfe von Negationen sowie Konjunktionen und Disjunktionen ausdrücken lässt: 40
41 Definition 5 1. Ein Literal ist ein Boolescher Term, der entweder aus einer einzelnen Booleschen Variablen x oder ihrem Komplement x besteht. 2. Ein n-stelliger Boolescher Term über den Booleschen Variablen x 1,...,x n der Form z 1 z 2... z n heißt (konjunktiver) Minterm, wenn z j = x j oder z j = x j für j {1,..., n} gilt, also der Term das Produkt der n Literale von x 1,...,x n ist. 3. Ein Boolescher Term befindet sich in disjunktiver Normalform (DNF), wenn es sich ausschließlich um Disjunktionen von konjunktiven Mintermen handelt. 41
42 Bevor wir uns nun mit dem ursprünglichen Problem der Konstruktion eines Schaltkreises beschäftigen, wollen wir die soeben eingeführten Begriffe anhand einiger Beispiele genauer untersuchen: 42
43 Beispiel 4 Betrachten wir den zweistelligen Booleschen Term p(x, y) = x+ y, dann lässt sich dieser auf disjunktive Normalform bringen, indem jeder Term darin mit 1 multipliziert wird, der noch kein konjunktiver Minterm ist. Dabei wird 1 mit Hilfe von a+ a = 1 dargestellt, wobei a diejenige Boolesche Variable ist, die noch in dem Term fehlt, um diesen zum Minterm zu machen: p(x, y) = x y = x (y + y) + (x+ x) y = = xy +x y +x y + x y = = xy + x y + x y, wobei wir die sog. Idempotenz x y + x y = x y im letzten Schritt verwendet haben, um die DNF zu bestimmen. 43
44 Anhand dieses einfachen Beispiels kann man sich veranschaulichen, welche Rolle die DNF für die Entwicklung von Schaltkreisen spielt. Betrachten wir nämlich die Wahrheitstafel x Y P(x,y) Minterm x y x y xy zu dem im Beispiel betrachteten Booleschen Term p(x, y) = x+ y = xy + x y + x y, so stellen wir fest, dass p(x, y) = 1 gerade für diejenigen Kombinationen der Variablen x und y gilt, die gerade den Mintermen der DNF entsprechen, wenn wir die Null für das Komplement und die Eins für die Variable selbst verwenden (s.o.). 44
45 Dies liegt an der speziellen Form der Minterme, die ausschließlich aus Konjunktionen bestehen: Wir erinnern uns, dass eine Konjunktion x y nur genau dann den Booleschen Wert 1 besitzt, wenn beide (!!!) Faktoren x und y bereits den Booleschen Wert 1 annehmen. Tritt also ein Wahrheitswert 1 als Ergebnis eines Minterms auf, müssen wir die Eingabeparameter so wählen, dass diese beide den Booleschen Wert 1 bilden, was dazu führt, dass für Wahrheitswerte 0 eines der Faktoren das Komplement zu verwenden ist. Da für alle anderen Belegungen der Variablen der Minterm automatisch (als Konjunktion) den Booleschen Wert 0 hat und alle Minterm disjunktiv verknüpft werden, erhält man so gerade die vorgegebene Wahrheitstafel. 45
46 Beispiel 5 Kommen wir nun zurück auf das Beispiel das Multiplexers, so kann der zur Wahrheitstafel gehörige dreistellige Boolesche Term m = m(s, x 0, x 1 ) in DNF direkt aus dieser abgelesen werden: s x 0 x 1 m Minterm s x 0 x s x 0 x s x 0 x s x 0 x 1 Damit ist m(s, x 0, x 1 ) = s x 0 x 1 + s x 0 x 1 + s x 0 x 1 + s x 0 x 1. 46
47 Man kann nun allgemein zeigen: Satz 3: Zu jeder Wahrheitstafel in n Booleschen Variablen existiert ein n-stelliger Boolescher Term in disjunktiver Normalform, der den vorgeschriebenen Wahrheitsverlauf realisiert. Beweis: Für n = 2 folgt dies unmittelbar aus Satz 1. Für n > 2 basieren die entsprechenden Wahrheitstafeln bzw. n- stelligen Booleschen Terme auf der Kombination der drei elementaren Operationen, woraus sich (sukzessiv bzw. induktiv) die Behauptung ergibt. Ein entsprechender Satz gilt natürlich auch für die sog. Konjunktive Normalform (KNF), wie wir der Vollständigkeit halber ergänzen wollen: 47
48 Bemerkung 2: Ein n-stelliger Boolescher Term befindet sich entsprechend in konjunktiver Normalform (KNF), wenn darin ausschließlich Konjunktionen von disjunktiven Mintermen z 1 +z z n mit z j = x j oder z j = x j für j {1,..., n}. Entsprechend existiert dann auch zu jeder Wahrheitstafel in n Variablen ein n-stelliger Boolescher Term in konjunktiver Normalform, der den vorgeschriebenen Wahrheitsverlauf realisiert. Sobald eine disjunktive oder konjunktive Normalform ermittelt ist, wird man versuchen, Lemma 1 für die technische Umsetzung anzuwenden. Dies hat wirtschaftlich den großen Vorteil, dass jede beliebige Wahrheitstafel über die disjunktive Normalform ausschließlich mit Hilfe von NAND- oder ausschließlich mit Hilfe von NOR-Bausteinen umgesetzt werden kann. 48
49 Um die DNF auf Minimalform zu bringen, müssten wir (sukzessive) Corollar 1 anwenden. Für diese zeitaufwändige Vorgehensweise kann man in der Literatur eine Reihe von Optimierungsalgorithmen finden. Beispielsweise können wir bei einer nicht allzu großen Zahl an Booleschen Variablen man mit Hilfe eines sog. Karnaugh-Veitch-Diagramms (KV-Diagramm) eine Überführung in Minimalform durchführen. Für einen dreistelligen Booleschen Term können maximal alle 8 möglichen Booleschen Werte 1 sein, sodass sämtliche konjunktiven Minterme zur Bildung des Booleschen Terms in DNF benötigt würden. 49
50 Für einen beliebigen dreistelligen Booleschen Term über den Booleschen Variablen x, y und z lässt sich eine DNF stets mit Hilfe des folgenden vereinfachten Diagrammes anschaulich darstellen: y y y y x x z z z z Das linke obere Feld repräsentiert dabei den Minterm xy z, das in der rechten unteren Ecke den Minterm x yz. Wandern wir von einem Feld zu einem der nächstgelegenen, so wird stets eine Booleschen Variable negiert und die beiden anderen festgehalten. Die Felder sind dabei zyklisch angeordnet. D.h. wandern wir vom letzten Feld rechts unten (für den Minterm x y z) nach rechts weiter, landen wir im ersten Feld links unten (für xy z). 50
51 Tritt in der DNF ein Minterm auf, tragen wir in dem entsprechenden Feld des Karnaugh-Veitch-Diagrammes eine 1 ein. Für den MUX von oben ergibt sich so aus dessen DNF m(s, x 0, x 1 ) = s x 0 x 1 + s x 0 x 1 + s x 0 x 1 + s x 0 x 1. das Karnaugh-Veitch-Diagramm: x 1 x 1 x 1 x 1 s 1 1 s 1 1 x 0 x 0 x 0 x 0 Finden wir nun zwei benachbarte Felder, so haben wir zwei Minterme in der DNF gefunden, die wir durch Ausklammern der gemeinsamen Booleschen Variablen vereinfachen können. 51
52 Beispielsweise gilt für die beiden Minterme s x 0 x 1 (an der Position (Zeile,Spalte)=(1, 1)) und den Minterm s x 1 x 0 (an der Position (Spalte,Zeile)=(1, 4)): s x 0 x 1 + s x 1 x 0 = s x 0 ( x 1 + x 1 ) = s x 0 1. Entsprechend sind natürlich auch die unteren beiden Minterme benachbart und vereinfachen sich zu s x 1 x 0 + s x 0 x 1 = s x 1 1. Eine Minimalform zum MUX lautet somit m(s, x 0, x 1 ) = s x 0 + sx 1 und hat die Komplexität 3 (im Vergleich: Die DNF hatte noch eine Komplexität von 11). 52
53 Diese Minimalform des MUX lässt sich nun unmittelbar in eine Schaltung übertragen, die die Schaltbausteine für die Disjunktion, Konjunktion und Negation enthält: Für unseren MUX erhalten wir damit die folgende Schaltung: 53
54 Wollen wir nun anstelle verschiedener Bausteine die Schaltung beispielsweise ausschließlich mit Hilfe von NAND- Bausteinen realisieren, müssen wir zuerst Lemma 1 anwenden. 54
55 Dies ist natürlich nur auf Kosten der Komplexität der Schaltung zu erreichen: So ist Ferner ist wegen Noch s x 0 = (s NAND x 0 ) NAND (s NAND x 0 ). x 1 = x 1 NAND x 1 s x 1 = (s NAND (x 1 NAND x 1 )) NAND (s NAND (x 1 NAND x 1 )) und dann noch a+b = (a NAND a) NAND (b NAND b) mit a = s x 0 und b = s x 1. 55
56 Damit erhalten wir analog als Schaltbild für den Booleschen Term m(s, x 0, x 1 ) = s x 0 + sx 1 56
57 1.4 Prädikatenlogik und Quantoren Beim Programmieren treten häufig Abfragen der Form if (n < 0) auf, die je nach Wert der Variablen n dazu führen, dass eine darauffolgende Anweisung ausgeführt wird oder nicht. Hierbei wird jeweils ein Wert (meist aus einer gewissen Grundmenge G, z.b. der Integer-Zahlen) für die freie Variable n eingesetzt und die resultierende Aussage auf ihren Wahrheitswert untersucht. Definition 6: Ein sprachlicher Ausdruck A(x), für den an jeder Stelle für x dasselbe Objekt eingesetzt wird, wodurch stets eine Aussage entsteht, nennt man eine (einstellige) Aussageform oder auch ein Prädikat. 57
58 Definition 7: Ist A(x) eine Aussageform, so bezeichne (1) x : A(x) die Aussage: Für alle x gilt A(x). Das Symbol nennt man auch den Allquantor. (2) x : A(x) die Aussage: Es gibt ein x, für das A(x) gilt. Das Symbol nennt man auch den Existenzquantor. (3)!x : A(x) die Aussage: Es gibt genau ein x, für das A(x) gilt. Bisweilen sind in der Literatur hierfür auch die Symbole 1 oder 1 gebräuchlich 58
59 Behandeln wir einige einfache Beispiele, um den Umgang mit Quantoren und Prädikaten einzustudieren. Beispiel 6: Da jede ganze natürliche Zahl n N0 ein Vielfaches von 2 ist, lässt sich mit Hilfe der Quantoren leicht die Eigenschaft eine gerade Zahl zu sein wie folgt beschreiben: n gerade k N0 : n = 2 k. Analog dazu gilt natürlich n ungerade k N0 : n = 2 k +1. Besonders wichtige natürliche Zahlen sind solche, die sich nur durch sich selbst und 1 teilen lassen. Diese heißen bekanntlich Primzahlen und sind aus den modernen kryptographische Verfahren (bis zur Inbetriebnahme der ersten Quantencomputer) nicht zu ersetzen. 59
60 Darauf werden wir im nächsten Semester (Mathematik für Informatiker II) zurückkommen. Zuvor formalisieren wir allgemein, was es bedeutet, dass eine Zahl k N ein Teiler der Zahl x N ist: Beispiel 7: Ist k N ein Teiler von x N, schreibt man k x und definiert k x : n N : x = k n. Damit wird eine Primzahl wie folgt definiert: Beispiel 8: p prim : [( k N : k p) (k = 1) (k = p)]. lies: k teilt x 60
61 Ein weiteres kleines Beispiel zur Anwendung von Quantoren im Kontext der Primzahlen: Beispiel 9 : Wir formulieren die Eigenschaft, dass es nur eine einzige gerade Primzahl gibt, mit Hilfe der Quantoren wie folgt:!x N : x ist eine gerade Primzahl. Um welche Primzahl handelt es sich und wie kann man diese Behauptung zeigen? Wie lautet dann aber die Negation dieser Aussage? Dazu beweisen wir schnell einen kleinen Hilfssatz: 61
62 Lemma 2 : Für eine Aussageform A(x) gilt ( x : A(x)) ( x : A(x)) und ( x : A(x)) ( x : A(x)) Beweis: Die Aussage A(x) ist genau dann nicht für jedes x wahr, wenn es ein x gibt, für die die Aussage A(x) falsch ist. Entsprechend gibt es genau dann kein x, für das A(x) wahr ist, wenn für alle x die Aussage A(x) nicht wahr (also falsch) ist! qed 62
63 Die mit Hilfe der Quantoren formulierten Aussagen gelten in den meisten Fällen nur für ganz bestimmte x. Daher fasst man eben diese Variablenwerte x zusammen zur sogenannten Grundmenge G, für die die jeweilige Aussage gilt und schreibt bzw. x G : A(x) x G : A(x), womit wir schon mitten in der Mengenlehre angekommen sind, die wir nun behandeln müssen, um Eigenschaften von Mengen (insbesondere dieser Grundmengen) genauer zu beschreiben. 63
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