Stiefkind Verkehrsüberwachung? Rechtsgrundlagen und Realitäten in der Verkehrsüberwachung von Polizei und Kommunen
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- Kristina Hase
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1 Stiefkind Verkehrsüberwachung? Rechtsgrundlagen und Realitäten in der Verkehrsüberwachung von Polizei und Kommunen Prof. Dr. Dieter Müller Institut für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen
2 Gliederung 1. Grundfragen der Verkehrsüberwachung 2. Rechtsgrundlagen der Verkehrsüberwachung in Deutschland 3. Gegenstände, Ziele, Prämissen und Methoden der Verkehrsüberwachung 4. Instrumente der Verkehrsüberwachung 5. Praxisbeispiel Sachsen 6. Ausblick
3 Grundfragen 1. Welchen Sinn und Zweck hat Verkehrsüberwachung? 2. Wer oder was wird in der Verkehrsüberwachung überhaupt überwacht? 3. Wer arbeitet in der Verkehrsüberwachung? 4. Wie funktioniert Verkehrsüberwachung im Verkehrsraum? 5. Ist der Erfolg der Verkehrsüberwachung messbar? 6. Lässt sich der Erfolg in der Verkehrsüberwachung steigern? 7. Genügen die Normen für die Verkehrsüberwachung den heutigen Ansprüchen des Straßenverkehrs (Normsetzungsdefizite)? 8. Genügt die praktische Umsetzung der Verkehrsüberwachung den heutigen Ansprüchen des Straßenverkehrs (Anwendungsdefizite)?
4 Rechtsgrundlagen Schutzpflicht des Staates Wichtigste Rechtsgüter: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG Notwendige Sicherheitsarchitektur: Legislative, Exekutive, Judikative, NGO (DVR + DVW), 4. Gewalt (Medien)
5 Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlagen der Verkehrsüberwachung Eingriffsrechte: u. a. StPO, OWiG, StVO, Polizeigesetze der Bundesländer Materielle Schutznormen: u. a. StGB, StVG, FPersG, GGBefG, StVO, FeV, FZV, StVZO etc. Ermessensregelungen: Verwaltungsvorschriften, Erlasse und Weisungen der Innen- und Verkehrsministerien in den Bundesländern
6 Zwischenfazit Verkehrsüberwachung ist eine staatlich verantwortete Aufgabe der gesamten Gesellschaft
7 Rechtsgrundlagen Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts BVerfG, 2 BvR 1447/10 vom : (Zulässigkeit des Videobeweises gem. 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit 46 Abs. 1 OWiG bei Abstandsverstoß) Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht auch in Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben. Die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Begründet eine Datenerfassung keinen Gefährdungstatbestand, fehlt es an der Eingriffsqualität.
8 Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts Rechtsgrundlagen BVerfG, 2 BvR 759/10 vom : (Zulässigkeit von Bildaufnahmen gem. 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit 46 Abs. 1 OWiG bei Geschwindigkeitsverstoß) Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass bei einer Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen identifizierbar sind, ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt. Als Rechtsgrundlage hat es 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit 46 Abs. 1 OWiG herangezogen und unter Berufung auf den Wortlaut ausgeführt, dass diese Eingriffsbefugnis Bildaufnahmen zur Erforschung des Sachverhalts sowie zu Ermittlungszwecken ermöglicht, ohne auf Observationszwecke beschränkt zu sein. Die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage begegnet vielmehr keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
9 Gegenstände Verkehrsraum Verkehrsteilnehmer Verkehrsmittel
10 Ziele Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Menschen (= Gefahrenabwehr) Schutz von Sachwerten Erhalt der Leichtigkeit des Verkehrs Durchsetzung von verkehrsrechtlichen Normen
11 Die staatliche Schutzpflicht zur Verkehrssicherheit erfordert eine leistungsfähige und konsequente staatliche Verkehrsüberwachung Zwischenfazit
12 Prämissen Eine sicherheitsorientierte staatliche Verkehrsüberwachung sollte sich hauptsächlich auf das Zurückdrängen der Hauptunfallursachen fokussieren Eine konsequente staatliche Durchsetzung sämtlicher Normen des Verkehrsrechts ist faktisch unmöglich Eine notwendige Schwerpunktbildung des Einsatzes von Personal und Überwachungstechnik sollte sich am Schutzauftrag orientieren
13 Eine strategische Verkehrsüberwachung erhebt statistische Unfalldaten auf allen Ebenen (Bund, Land, Kreis etc.), stellt notwendige Fragen und erkennt frühzeitig neue Tendenzen Methoden
14 Quelle: info-mv.de
15 Bundesland VKU Getötete 2010 VKU Getötete 2011 VKU Getötete 2012 VKU Getötete je 1 Mio. Einwohner 2010/2011/2012 Baden-Württemberg (- 2,4 %) 469 (- 2,7 %) 46/45/43 Bayern (+ 11,9 %) 662 (- 15,1 %) 56/62/53 Berlin (+ 22,7 %) 42 (- 22,2 %) 13/16/12 Brandenburg (- 2,6 %) 166 (- 11,2 %) 76/75/67 Bremen (+ 1,5 %) 17 (+ 13,3 %) 20/23/26 Hamburg (+ 54,5 %) 33 (- 2,9 %) 12/19/18 Hessen (+ 5,2 %) 283 (+ 7,6 %) 41/43/46 Mecklenburg-Vorpommern (+ 32,4 %) 83 (- 42 %) 65/87/51 Niedersachsen (+ 12,7 %) 490 (- 9,3 %) 60/68/62 NRW (+ 15,2 %) 524 (- 17,4 %) 31/36/29 Rheinland-Pfalz (- 6,3 %) 209 (+ 8,9 %) 51/48/52 Saarland (- 2,4 %) 37 (- 7,5 %) 40/39/37 Sachsen (+ 15,4 %) 211 (+ 8,8 %) 40/47/51 Sachsen-Anhalt (+ 15,2 %) 140 (- 22,7 %) 67/78/61 Schleswig-Holstein (+ 11,1 %) 110 (- 8,3 %) 38/42/39 Thüringen (+ 25 %) 126 (- 16 %) 53/67/57 Deutschland gesamt (+ 9,9 %) (- 10,1 %) 45/49/44
16 Rahmenbedingungen Methoden Verkehrsunfälle mit Getöteten in Mecklenburg-Vorpommern ,4 % ,9 % Quelle: Destatis
17 Methoden Unfallursachen bei Unfällen mit Personenschaden (Bund) Nicht angepasste Geschwindigkeit (3.) Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren (1.) Nichtbeachten der Vorfahrt (2.) (2.) (1.) (3.) (1.) (2.) (3.) (3.) (1.) (2.) Ungenügender Abstand Falsche Straßenbenutzung Falsches Verhalten gegenüber Fußgängern Alkoholeinfluss ; Quelle: Destatis
18 Rahmenbedingungen Methoden VZR-Eintragungen von Verkehrsverstößen 2011 in Mecklenburg-Vorpommern Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt Alkohol km/h Unfallflucht Vorfahrt Fahren ohne FE
19 Eine strategische Verkehrsüberwachung erhebt in Echtzeit statistische Überwachungsdaten, stellt notwendige Fragen und erkennt frühzeitig neue Tendenzen Methoden
20 Rahmenbedingungen Methoden Wirkungsfaktoren Objektive Entdeckungswahrscheinlichkeit Subjektive Entdeckungswahrscheinlichkeit Sanktionswahrscheinlichkeit Unmittelbarkeit der Sanktion Sanktionshöhe Soziale Verhaltenskompetenz 2013
21 Methoden Beispiel: Steuerungsinstrument Verkehrspolizeiliche Statistik (VPS) im Freistaat Sachsen
22 Instrumente Kompetentes Personal bedarf einer gründlichen Ausbildung ( ) bedarf einer intensiven, systematischen Fortbildung bedarf einer fördernden Motivation ist das höchste Gut einer gelingenden Verkehrsüberwachung!
23 Rahmenbedingungen Instrumente Personaleinsatz der Polizei (Bundesländer) Personal Landespolizeien in Deutschland Quelle: Destatis
24 Rahmenbedingungen Instrumente Personaleinsatz der Polizei Mecklenburg-Vorpommern Personal Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern laut Haushaltsplan 2012/ ,28 % ,88 % Quelle: Landesregierung M-V (2012)
25 Rahmenbedingungen Instrumente Personaleinsatz der Polizei am Beispiel Sachsen Personal Polizeidirektionen Sachsen laut Haushaltsplan ,59 % ,33 % Quelle: SMI (2013)
26 These Personalabbau beim Kontrollpersonal führt in aller Regel zu einem Rückgang der Kontrolldelikte
27 Rahmenbedingungen Instrumente Personal der Polizei am Beispiel Sachsen Konsequenzen des Personalabbaus Ein Rückgang der Anhaltekontrollen bedeutet einen Rückgang des Entdeckens und Ermittelns von Kontrolldelikten Kontrolldelikte sind diejenigen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die regelmäßig im Rahmen von Anhaltekontrollen entdeckt werden (z. B. 316 StGB, 21 StVG, 1, 6 PflVG, 24a StVG, Bau- und Betriebsvorschriften der StVZO etc.) 2013
28 These Personalabbau beim Kontrollpersonal kann in Teilbereichen durch eine Nutzung moderner Überwachungstechnik kompensiert werden
29 Andere Bundesländer Frage: Ist die Anzahl von Neueintragungen in das VZR als Gradmesser für den Erfolg der Verkehrsüberwachung eines Bundeslandes durch das Zurückdrängen tödlicher Verkehrsunfälle zu bewerten? Prämisse: In allen Bundesländern wird mit der Motivation der Steigerung der Verkehrssicherheit überwacht.
30 Bundesland VZR 2010 Quelle: Eintrag durch Bußgeldbehörde VZR 2011 Eintrag durch Bußgeldbehörde VZR Eintragungen 2011 je 1 Mio. Einwohner Getötete je 1 Mio. Einwohner 2010/2011/2012 Baden-Württemberg (9.) 46/45/43 Bayern (8.) 56/62/53 Berlin (15.) 13/16/12 Brandenburg (1.) 76/75/67 Bremen (2.) 20/23/26 Hamburg (11.) 12/19/18 Hessen (3.) 41/43/46 Mecklenburg-Vorpommern (7.) 65/87/51 Niedersachsen (4.) 60/68/62 NRW (6.) 31/36/29 Rheinland-Pfalz (14.) 51/48/52 Saarland (13.) 40/39/37 Sachsen (12.) 40/47/51 Sachsen-Anhalt (16.) 67/78/61 Schleswig-Holstein (10.) 38/42/39 Thüringen (5.) 53/67/57 Deutschland gesamt /49/44
31 Andere Bundesländer Antwort: Ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Neueintragungen in das VZR und einem Anstieg bzw. Zurückdrängen der Anzahl tödlicher Verkehrsunfälle in einem Bundesland ist derzeit nicht darstellbar.
32 Andere Bundesländer Frage: Ist die Anzahl von Neueintragungen im Deliktfeld Drogen im Straßenverkehr in das VZR als Gradmesser für die deliktspezifische Qualität der Verkehrsüberwachung eines Bundeslandes zu bewerten? Prämisse: In allen Bundesländern ist die Anzahl der Fahrer unter BtM-Einfluss in Relation zur jeweiligen Bevölkerung ungefähr gleich groß.
33 Bundesland VZR 2011 Quelle: Berechnung: D.M. Neueinträge 316 StGB (BtM) VZR 2011 Neueinträge 24a II StVG VZR Eintragungen je 1 Mio. Einwohner 316 StGB (BtM) VZR Eintragungen je 1 Mio. Einwohner 24a II StVG Baden-Württemberg ,6 285 Bayern ,0 (3.) 316 (10.) Berlin ,4 443 Brandenburg ,4 (16.) 230 (14.) Bremen (3.) Hamburg ,7 207 (15.) Hessen Mecklenburg-Vorpommern ,7 (12.) 316 (10.) Niedersachsen ,6 404 NRW ,4 317 Rheinland-Pfalz ,7 (2.) 541 (2.) Saarland (1.) 279 Sachsen ,3 (14.) 240 Sachsen-Anhalt ,7 (15.) 171 (16.) Schleswig-Holstein ,7 317 Thüringen ,1 (13.) 585 (1.) Deutschland gesamt
34 Bundesland Quelle: Berechnung: D.M. Rauschgiftdelikte 2011 absolut Rauschgiftdelikte 2011 je 1 Mio. Einwohner VZR Eintragungen je 1 Mio. Einwohner 316 StGB (BtM) VZR Eintragungen je 1 Mio. Einwohner 24a II StVG Baden-Württemberg ,6 285 Bayern ,0 316 Berlin ,4 443 Brandenburg ,4 (16.) 230 (14.) Bremen (1.) 35 (3.) 475 (3.) Hamburg (2.) 22,7 207 (15.) Hessen Mecklenburg-Vorpommern (14.) 8,7 (12.) 316 (10.) Niedersachsen ,6 404 NRW ,4 317 Rheinland-Pfalz (3.) 55,7 (2.) 541 (2.) Saarland (1.) 279 Sachsen (16.) 5,3 (14.) 240 Sachsen-Anhalt ,7 (15.) 171 (16.) Schleswig-Holstein (15.) 11,7 317 Thüringen ,1 585 (1.) Deutschland gesamt
35 Andere Bundesländer Antwort: Die Anzahl von Neueintragungen im Deliktfeld Drogen im Straßenverkehr in das VZR als Gradmesser für die deliktspezifische Qualität der Verkehrsüberwachung eines Bundeslandes zu bewerten ist derzeit nicht möglich. Das Thema ist zu komplex und bislang wissenschaftlich nicht untersucht.
36 Ausblick Wissenschaftliche Untersuchungen von Verfahrensabläufen (Prozessevaluationen) aus Polizei und kommunaler Verkehrsüberwachung sind bislang gänzlich unerforscht Insbesondere fehlen: Untersuchungen der Relationen zwischen Personaleinsatz und Überwachungsergebnissen Untersuchungen der Qualität polizeiinterner und kommunaler Ausund Fortbildung im Bereich Verkehrsüberwachung Qualitative Vergleichsuntersuchungen hinsichtlich des praktischen Einsatzes der unterschiedlichen Überwachungstechnik (Taktik, Technik, Personal) Qualitative Vergleichsuntersuchungen der Sanktionierung von Verkehrsverstößen Polizei/Kommunale Verkehrsüberwachung Untersuchungen der Arbeitsmotivation des Überwachungspersonals etc.
37 Ausblick Insbesondere die zahlreichen Zusammenhänge und Wechselbeziehungen zu den folgenden mitwirkenden Institutionen sind bislang nicht wissenschaftlich untersucht worden: Kommunale Verkehrsüberwachung Bußgeldbehörde Staatsanwaltschaften Abteilungen für Ordnungswidrigkeiten an den Amtsgerichten
38 Wer nicht wissenschaftlich untersucht wie Verkehrsüberwachung in ihren Wechselbeziehungen funktioniert und wo die Verbesserungspotenziale verborgen sind, überlässt deren Erfolge oder Misserfolge dem Prinzip Zufall. Ausblick
39 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Haben Sie noch
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