Liebe Gemeinde. Pilgerreise in Gedanken

Transkript

1 1 Und du, Betlehem-Efrata, zu klein, um zu den Tausendschaften von Juda zu zählen, aus dir wird er für mich hervorgehen, um Herrscher zu sein über Israel. Und seine Ursprünge liegen in der Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. 2 Darum gibt er sie hin bis zu der Zeit, da jene, die gebären soll, geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder zurückkehren zu den Israeliten. 3 Und er wird auftreten, und mit der Kraft des HERRN wird er sie weiden, mit der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Dann werden sie wohnen bleiben, denn nun wird er gross sein bis an die Enden der Erde. 4 Und mit ihm wird der Friede kommen. Micha 5, 1-4a Liebe Gemeinde Pilgerreise in Gedanken Jedes Jahr pilgern wir gedanklich nach Bethlehem. Die Geburt des Gottessohnes im Stall, weil es für ihn keinen Platz in der Herberge hat, berührt uns. An der Weihnachtsgeschichte besonders schön ist auch, dass sowohl einfache Menschen wie die Hirten, als auch vornehme Leute wie die Weisen aus dem Morgenland den Weg zur Krippe finden. Sinnbildlich bedeutet dies, dass Gott sich von allen finden lässt, die ihn ehrlich suchen gehen. Es muss niemand arm oder reich sein, diese oder jene Hautfarbe haben, diese oder jene Sprache sprechen. Nur jemand soll den Ort nicht finden, wo Gott auf die Welt kommt. Das ist der König Herodes. Er ist der Feind Gottes, derjenige, der seine Herrschaft durch diese Geburt bedroht sieht. Darum lässt er ja später in Betlehem und Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren umbringen. Jesus war zu jener Zeit bereits in Sicherheit, weil Josef mit ihm und Maria nach Ägypten geflohen war (darüber hat meine Kollegin am vergangenen Sonntag gepredigt).

2 Herodes gestern und heute Hätte Herodes die Krippe gefunden, wäre es mit dem Frieden vorbei gewesen. Er ist die Verkörperung für jene Kräfte, welche das Kommen (die Erscheinung) Gottes verhindern/abwenden wollen. Zweifelsohne gibt es heute noch Menschen, die wie Herodes vor nichts mehr Angst zu haben scheinen, als davor, die eigene Machtstellung verlieren zu können. Noch heute gibt es Menschen, die genau das verhindern wollen, was Gott uns durch diese Geburt verheissen hat: Frieden auf Erden! Offenbar gibt es von denen so viele, dass wir noch heute feststellen müssen, dass unsere Welt arm dran ist, dunkel und ungerecht geblieben ist, noch immer kein Ort des Friedens ist. Wer sind eigentlich heute die Kräfte, die das zu verhindern suchen? Der Mensch das Ebenbild Gottes In der Schöpfungserzählung von Genesis 1 können wir lesen, dass die Verbindung zwischen Mensch und Gott in der Fähigkeit besteht, zu «herrschen». Da steht: Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich. Und sie sollen herrschen über die Fische des Meers und über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die sich auf der Erde regen. Genesis 1, 26 ZUR Man könnte sagen, dass der Mensch zum Herrschen geschaffen wurde, oder sogar so weit gehen und sagen, dass der Mensch zum Herrschen geboren wird! Und das betrifft nicht nur Jesus oder Herodes, sondern alle Menschen. Auch Tiere haben durchaus das Bedürfnis, über ihre Artgenossen zu bestimmen oder ihre Umgebung zu beherrschen. Doch das Merkmal

3 der Ähnlichkeit mit Gott ist beim Menschen, dass der Machtbereich sehr umfangreich ist, dass das Herrschaftsgebiet viel umfasst. Der biblische Text nennt «die Fische des Meers», «die Vögel des Himmels», «das Vieh» und sogar «die ganze Erde» und «alle Kriechtiere»! Darum sind wir gottähnlich. Ein unstillbarer Hunger nach Macht und Herrschaft Aber die Gottähnlichkeit reicht nicht. Der Mensch möchte am liebsten so sein wie Gott und alles beherrschen, allmächtig sein! So ist doch Herodes und so sind sie alle, die sich Gott im Wege stellen: Machtwesen mit einem unstillbaren Hunger nach Alleinbestimmung der Geschicke, die nur auf den eigenen Vorteil und den eigenen Einfluss auf andere bedacht sind. Seien wir doch ehrlich: Die Herodes von heute sind nicht nur Leute wie ein Wladimir Putin oder der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un. Auch nicht die Chefs und CEOs, die Politiker und Richter. Die Herodes von heute können jede und jeder sein. Nicht deswegen, weil jeder von uns als Mensch von Natur aus ein Machtwesen ist, ein Lebewesen mit der Prädisposition zum Herrschen. Das können wir gar nicht ablegen, das ist der Mensch (vgl. Kleinkind- Egoismus). Sondern wie Herodes sind wir, wenn wir die Höhere Macht nicht anerkennen. Wenn wir mit Gott nicht rechnen wollen und letztlich nur auf den Ausbau und Erhalt unseres eigenen Vorteils und Einflusses aus sind. Doch: Es gibt den Herrn im Himmel, nicht nur für die Mächtigen, sondern für uns alle. ER will und soll unser König sein. Die Weisen und die Hirten haben sich ihm untergeordnet, Herodes nicht. Dieser gibt nur vor, dem neuen König auch huldigen zu wollen, sein Verhalten

4 spricht eine andere Sprache (er will das Jesuskind aus dem Weg räumen) Der neue ist der wahre König Es geht im christlichen Glauben nicht nur darum, dass wir in Bezug auf Gott unsere Relativität einsehen, dass wir also verstehen und anerkennen, dass es tatsächlich eine Höhere Macht gibt, die über das Leben und die Welt letztlich herrscht, und dass unsere eigene Macht beschränkt/relativ ist. Im christlichen Glauben geht es darum, dass wir lernen, unser eigenes Herrschen auf Gott, auf das Gute auszurichten. Und das geschieht (einzig und allein) durch Jesus Christus, der in und unter uns wachsen muss, der in uns und unter uns herrschen muss. Erst dann wird Frieden auf Erden möglich sein. Nicht umsonst wird im Neuen Testament Jesus Christus als Ebenbild des unsichtbaren Gottes vorgestellt (vgl. Kol 1,15; 2Kor 4,4). Durch ihn werden wir befähigt, gottesgemäss / gotteswürdig zu herrschen. Wenn wir wie er sind, so können so sein wie Gott. Mit Jesus Christus Eins werden Unsere Aufgabe (Bestimmung) als Christen ist es, mit Jesus Eins zu werden, mit Christus zu verschmelzen. Das mag zwar zunächst etwas theoretisch oder vielleicht abgehoben klingen. Aber es ist ganz konkret und praktisch gemeint. Es heisst zu Beispiel, dass unser Gegenüber, egal ob Freund oder Feind, auch ein von Gott geliebtes Wesen sein muss. Unser Reden, Handeln und Denken in Bezug auf unseren Nächsten verändern sich, wenn wir die Liebe Gottes spüren, die da ist für dieses Wesen, das uns vis-à-vis steht oder sitzt, im Alltag oder im Leben begegnet. Christus ist auch in ihm verborgen vorhanden.

5 Zudem sollten wir uns ruhig öfter die Frage stellen, was Jesus sagen würde. Was würde er uns echt zu diesem oder zu jenem sagen - im Leben und im Alltag? Es ist vielleicht schwierig zu beantworten. Und doch haben wir alle eine Ahnung, wer er ist. Und je mehr wir seine Geschichten kennen, umso mehr. Solus Christus Er hat niemanden verstossen, er hat stets Mitgefühl gezeigt. Er hat Menschen ermutigt und ihnen Hoffnung gemacht. Er hatte keine Berührungsängste vor Sündern und Zöllnern; Kranke und Blinde hat er geheilt; Tote hat er auferweckt. Er sagt mir auch, ich solle mich um den Balken in meinem Augen kümmern, bevor ich mich dem Splitter widme im Auge meines Gegenübers. Es geht um ihn, nicht um mich. Es ist nicht wichtig, was der Pfarrer und die Kirche meinen und sagen, was Gott will. Der Massstab ist letztlich auch nicht die Heilige Schrift. Sie ist da, damit unser Massstab in dieser Welt erscheine: das ist der Herr Jesus Christus, der in und unter uns leben und herrschen soll. Er verbindet uns mit dem lebendigen Gott und miteinander. Es ist an uns zu entscheiden Wir können wie Herodes der Täuschung erliegen, dass unsere Alleinherrschaft möglich und berechtigt sei. Früher oder später werden wir es merken, dass dies nicht so ist. Oder wir können durch Jesus Christus zu bewussten Mitregenten Gottes werden, die den Frieden im Blick haben. Und die Liebe, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Freiheit, das Schöne, das Gute.

6 Gott erscheint durch ihn in dieser Welt. Und wir sind wie die Pixel, wie lebendige Werkzeuge, wie Ebenbilder, die diese uns rettende, befreiende und heilende Erscheinung sichtbar werden lassen können. Wir können sein wie Gott. Aber wir müssen nicht den Weg des Herodes gehen, sondern der Weg Jesu Christi. Amen. Lebendiger Gott Im Leben von Jesus Christus bist du uns erschienen und in seiner Auferstehung erscheinst du heute noch. Lass uns empfänglich sein für seine Führung, mache ihn wirklich zur lebendigen Mitte unseres Lebens, zur Mitte der Gemeinde und der Welt. Lass uns täglich erfahren (nicht nur an Weihnachten), dass er der Weg zum Frieden ist, im Kleinen und im Grossen, zum inneren und äusseren Frieden. Durch ihn können wir selbst deine Mitregenten sein, solche die im Sinne der Liebe handeln und reden, die sich einsetzen für Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Lasse alle, die sich vom Weg des Herodes blenden lassen, zur Vernunft kommen und sich von dir verwandeln lassen: denn deine Gnade, deine Barmherzigkeit kennt keine Grenzen. Höre jetzt auf unsere persönlichen Sorgen, die wir dir in der Stille vorlegen wollen: (Stille) Unser Vater im Himmel