Gegen ihren Willen verwandelten Bilder aus der Vergangenheit die karge Schneelandschaft in einen strahlenden Sommer. Sie sah sich, wie sie mit
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- Linus Walter
- vor 7 Jahren
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2 Gegen ihren Willen verwandelten Bilder aus der Vergangenheit die karge Schneelandschaft in einen strahlenden Sommer. Sie sah sich, wie sie mit achtzehn gewesen war. Ein wenig atemlos wegen allem, was das Leben zu bieten hatte. Ein wenig verängstigt, aber hauptsächlich glücklich und sicher in ihrer Welt. Sie hatte die Highschool mit Auszeichnung abgeschlossen, was sie nicht interessiert hatte, verfügte über ein seltenes Talent, das sie noch nicht zu schätzen wusste, und hatte keine Ahnung von den bevorstehenden Katastrophen. Die Schönheitsoperation ihrer Mutter sollte ein Routineeingriff sein. Niemand hätte auch nur im Traum daran gedacht, dass Sharon Turner an Komplikationen sterben könnte. Innerhalb einer erschreckend kurzen Zeitspanne hatte Michelle sich allein und mutterlos wiedergefunden. Mit einem Mal
3 hatte sie den Vater gebraucht, den sie kaum kannte. Sie hatte erwartet, dass er sie so schnell wie möglich auf ein College abschieben und erleichtert aufatmen würde, wenn sie weg wäre. Aber er hatte sie überrascht. Er hatte sie eingeladen, vor dem College ein Jahr eine Auszeit zu nehmen und bei ihm in Montana zu leben. Ein Jahr, um ihre Mutter zu betrauern und zu erfahren, wer ihr Vater war. In dieser einen kurzen Jahreszeit hatte sie Dinge erlebt, die ihr Leben formen sollten: Sie hatte gelernt, wie es war, eine mutterlose Tochter zu sein. Sie hatte sich verliebt. Sie war Malerin geworden. Wenn auch nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge. Alles passierte mehr oder weniger parallel. Selbst jetzt noch wogte in ihr der bittersüße Schmerz von vor all den Jahren so frisch, als wäre es erst gestern gewesen.
4 Es sollte nicht immer noch wehtun, doch das tat es, obwohl er schon lange, lange kein Teil ihres Lebens mehr war. Abgesehen von der täglichen Erinnerung, die er ihr hinterlassen hatte. Sie warf erneut einen Blick in den Rückspiegel. Cody, der sechzehn war, hatte sich von seiner halb liegenden Position auf der Rückbank nicht gerührt. Der blecherne Klang von Heavy Metal tönte aus seinen Kopfhörern. Er starrte auf die endlosen Reihen von Stromleitungen, die den Highway säumten. Als ein grün-weißes Schild sie in Montana willkommen hieß, war seine einzige Reaktion, zu blinzeln und ein wenig das Gewicht zu verlagern. Ein Billboard mit einem fürchterlichen Zeichentrick-Cowboy lud sie ein, in einer Meile anzuhalten und zu essen. Hast du Hunger? Sie sprach lauter, damit
5 er sie hörte. Er schob sich eine Handvoll Chips in den Mund. Nö, sagte er kauend. Das Café am Straßenrand mit den erleuchteten Kutschenrädern als Dekoration verschwand im schmutzigen Kunstlicht. Nur für einen Moment sah sie ihren Sohn als Kleinkind, wie er sich Cheerios in die Backen stopfte, als wäre er ein Babyeichhörnchen. Es kam ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass er ihr Codyboy in Oshkosh-Overalls gewesen war, dem die Milch vom Kinn tropfte. Dieses Kind gab es in ihrem Leben nicht mehr, erkannte sie mit einem kleinen schmerzhaften Stich in der Brust. Es hatte sich davongestohlen, als sie nicht hingeschaut hatte. Es war so schnell und unwiederbringlich verschwunden, als wäre es zum nächsten Flughafen gelaufen und danach nie wieder gesehen worden. An seine Stelle
6 war dieser zynische, kluge, anstrengende Fremde getreten, der entschlossen zu sein schien, all die empfindlichen Knöpfe bei ihr zu drücken. Seine schiere körperliche Schönheit hatte ihr damals den Atem geraubt und tat es noch heute. Nur hatte sie ihm damals sagen können, wie anbetungswürdig sie ihn fand. Jetzt konnte sie ihm gar nichts mehr sagen. Cody hatte sie angefleht, in Seattle bleiben zu dürfen, während sie diesen Trip alleine machte. Er hatte behauptet, er würde gut alleine in ihrem Haus klarkommen. Als ob sie sich jemals darauf eingelassen hätte. Cody hatte sogar vorgeschlagen, dass Brad nach ihm sehen könnte. Ja klar. Brad konnte nicht mit ihm umgehen. Oder er wollte es nicht. Und sie war nicht in der Position, dieses Maß an
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