Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten

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2 Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten (c) Alexander Zinn

3 Alexander Zinn Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten Zu Genese und Etablierung eines Stereotyps Cultpress Berlin

4 Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme Zinn, Alexander: Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten : zu Genese und Etablierung eines Stereotyps / Alexander Zinn. Frankfurt am Main ; Berlin ; Bern ; New York ; Paris ; Wien : Lang, 1997 ISBN NE: GT Online-Ausgabe 2007 by Cultpress Berlin Titelbild: Zeichnung von Roger Roy Pariser Tageblatt, 8. Juli 1934 ISBN Peter Lang GmbH 1997 Cultpress Berlin Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

5 5 Geleitwort Das Thema dieser Arbeit ist originell. Es geht dem Verfasser um die soziologische und historische Untersuchung eines einflußreichen Stereotyps, seiner Entstehung und Durchsetzung - und zwar des Stereotyps vom "homosexuellen Nationalsozialisten", vom wesensmäßigen Zusammenhang zwischen Homosexualität und nationalsozialistischer Orientierung. Ein solches Stereotyp mag heute all denen, die Kenntnis vom Ausmaß nationalsozialistischer Homosexuellenverfolgung haben, als abwegig erscheinen; es ist weitgehend in Vergessenheit geraten, wenngleich nicht völlig verschwunden, wie sich an Schriften von Klaus Theweleit und Nicolaus Sombart nachweisen ließe. Während des Aufstiegs der NS-Bewegung und in der Kritik exilierter deutscher Politiker und Intellektueller am frühen "Dritten Reich" spielte dieses Stereotyp aber eine wichtige Rolle. Es verhinderte damals und für lange Zeit eine angemessene Wahrnehmung der brutalen Homophobie der Nazis. Wie läßt sich dieser merkwürdig verschlungene Sachverhalt erklären? Der Verfasser hat zur Beantwortung dieser Frage eine empirische Untersuchung vorgelegt; dabei hat er sich in der Berücksichtigung von Material vernünftige Selbstbeschränkung auferlegt. In ihrem empirischen Kern bringt die Arbeit eine Analyse des Homosexuellenbildes in ausgewählten Organen deutschsprachiger Exilpresse zwischen 1933 und In der Auswahl der Organe bemüht sich der Verfasser um eine Berücksichtigung der verschiedenen politischen Lager der Emigration. Auch innerhalb dieses Rahmens waren weitere Einschränkungen nötig, um der Materialfülle Herr zu werden. Der Verfasser begründet sein methodisches Vorgehen sehr überzeugend; an keiner Stelle entsteht der Eindruck einer tendenziösen Auswahl oder einer bloßen Illustration vorgefaßter Behauptungen. In theoretischer Hinsicht orientiert sich der Autor bei der Analyse der Stereotypenbildung an einer konstruktivistischen Perspektive; in der Frage der Aufrechterhaltung des Stereotyps zieht er zudem Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz zu Rate. Nachdem der erste Teil der aus vier Teilen bestehenden Arbeit in Thema und Vorgehensweise einführte, bietet der zweite Teil eine souveräne Rekapitulation der Vorgeschichte zum Thema, d. h. der frühen homosexuellen Emanzipationsbewegung in Deutschland, der Stellung der politischen Parteien zu ihr und der "Röhm-Affäre" von Ich nenne diese Darstellung souverän, da sie nicht nur von großer Kenntnis des Materials und der historischen Abläufe zeugt, sondern frei ist von apologetischen Tendenzen, die in der Geschichtsschreibung sozialer Bewegungen durch Aktivisten der Bewegungen so weit verbreitet sind. Die kritischen Bemerkungen zu Magnus Hirschfelds These vom "dritten Geschlecht" und Hans Blühers Konzeption des "Männerbunds" eröffnen Perspektiven für

6 6 weitere Forschung. An der "Röhm-Affäre" von 1931 kann der Verfasser zeigen, wie sich Homosexuellenfeindschaft und politische Instrumentalisierungsabsichten verschiedener politischer Seiten ineinander verstrickten. Auf der linken Seite des politischen Spektrums lag die Deutung der Homosexualität als eines Ausdrucks bürgerlicher Dekadenz nahe; auf der rechten Seite eine Deutung im Sinne "jüdischer Kulturzerstörung". Der Vorwurf der Heuchelei gegen die homophobe NSDAP angesichts der Tatsache, daß sie in Ernst Röhm selbst einen Homosexuellen zu ihren führenden Kräften zählte, ging fließend in eigene Denunziation von Homosexualität als solcher über. Das eigentliche Glanzlicht der Arbeit aber ist der dritte Teil "Homosexualität im Exildiskurs", in dem urteilssicher, detailreich und geradezu spannend die Kernfrage der Arbeit untersucht wird. Vor allem anhand der Kontroversen um den Reichstagsbrand von 1933 weist der Verfasser überzeugend die Instrumentalisierung einer angeblichen Homosexualität des Brandstifters zum Zweck der Komintern-Propaganda nach. Noch wichtiger scheint mir seine Untersuchung der Verallgemeinerung des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten "zu einer 'Faschismus-Analyse', die Homosexualität zu einem genuinen Bestandteil des Nationalsozialismus und darüber hinaus zur Ursache eines sich im NS-Terror manifestierenden 'Sadismus' erklärte". In diesem Prozeß spielte die stalinistische Gesetzgebung gegen die Homosexualität in der Sowjetunion eine wichtige Rolle; hier wäre allerdings eine getrennte Berücksichtigung der verschiedenen Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung wünschenswert gewesen. An der breiten Untersuchung des sogenannten Röhm-Putsches von 1934 und der Massenverhaftungen Homosexueller im Winter 1934/35 besticht erneut die Pionierarbeit des Verfassers; er legt die systematische Umdeutung der Ereignisse in eine Verfolgung oppositioneller Nazis auf seiten der Exilpresse dar. Im weiteren Verlauf werden kritische Stimmen (wie die Klaus Manns), eine fortschreitende theoretische Überhöhung (wie bei Erich Fromms Theorie vom sado-masochistischen Nazi) und das allmähliche Verebben des Themas gezeigt. Bitter vermerkt der Verfasser: "Die Homosexuellenverfolgung an sich war für die meisten Exilperiodika kein Thema". Die Resultate dieser Arbeit verdienen die Aufmerksamkeit aller, die sich für die Geschichte der Homosexuellenverfolgung in ihren mannigfaltigen Formen interessieren, aber auch all derer, die ganz allgemein die Entstehung und hartnäckige Verbreitung von Stereotypen zu begreifen versuchen. Berlin, Juli 1996 Prof. Dr. Hans Joas

7 7 Inhaltsverzeichnis Geleitwort Einleitung Allgemeines Das Thema Die Motive Soziologische Perspektiven Homosexualität und Wahrnehmung Die Erlebenswelt der Emigranten Methodik und Aufbau der Untersuchung Die deutsche Homosexuellenemanzipation im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts Die homosexuelle Emanzipationsbewegung und ihre theoretischen Konzepte bis Die Homosexuellenbewegung in der Weimarer Republik Zu Homosexuellenbild und -politik der Parteien Die Haltung der SPD bis Die Haltung der SPD nach Die Haltung der KPD Die Haltung der bürgerlichen und konservativen Parteien Die Position der NSDAP Die sogenannte "Röhm-Affäre" Die Pressekampagne gegen Röhm Die Reaktionen der Nationalsozialisten Die Haltung der Homosexuellenorganisationen zur NSDAP Die Zerschlagung der Homosexuellenorganisationen... 51

8 8 3 Homosexualität im Exildiskurs Der Reichstagsbrand - ein Werk von Homosexuellen Die Forschungskontroverse über den Reichstagsbrand Der Reichstagsbrand und seine Folgen Das Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror Ernst Röhm und sein Lustknabe van der Lubbe im Exildiskurs Das deutsche Sterilisationsgesetz vom Das Sterilisationsgesetz und seine Bedeutung für Homosexuelle Das Sterilisationsgesetz im Spiegel der Exilpresse Röhms Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" Röhms Erlaß und die "Sittlichkeitsdebatte" innerhalb der NSDAP Röhms Erlaß im Spiegel der Exilpresse Vom homosexuellen Nationalsozialisten zu Ansätzen einer 'Faschismus-Theorie' Berichte über weitere homosexuelle Nationalsozialisten Das Bild gewinnt Kontur: Publikationen über Homosexualität, "Sadismus" und Faschismus Kritische Stimmen Der sogenannte "Röhm-Putsch" Der "Röhm-Putsch" und die Rolle der Homosexualität Die NS-Version des "Röhm-Putsches" im Spiegel der Exilpresse Die Rettung des Stereotyps: Entdeckung neuer homosexueller Nazis Der "Röhm-Putsch" in Witz und Karikatur des Exils Kritische Stimmen Homosexuellenverfolgung oder der "trockene 30. Juni" Rekonstruktion der Ereignisse vom Dezember Alles, nur keine Verfolgung Homosexueller: Erste Interpretationsversuche der Exilpresse Klaus Manns Intervention Instrumentalisierung im Saar-Abstimmungskampf Doch eine Homosexuellenverfolgung? Die Berichterstattung außerhalb des Saargebietes Zwischen Differenzierung und Rationalisierung: Das stereotypisierte Homosexuellenbild Differenzierung: Homosexuelle als Verfolgte und Verfolger Tendenzen zur Rationalisierung des Stereotyps

9 9 4 Zwischen Instrumentalisierung und Internalisierung Die Herstellung von Evidenz im Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes Die Intensitätsunterschiede der Evidenz Die an der Verbreitung des Stereotyps beteiligten sozialen und politischen Gruppen Die Rolle der kommunistischen Presse Die Rolle der sozialdemokratischen Presse Die Presse weiterer sozialistischer Gruppierungen Das sozialistisch bis linksliberal orientierte Pressespektrum Die Rolle der bürgerlichen Presse Die Rolle der Zeitschrift Die deutsche Revolution Die Rolle der homosexuellen Autoren Resümee Dokumente Abkürzungen Literatur

10 10 (c) Alexander Zinn

11 11 1 Einleitung 1.1 Allgemeines Das Thema Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Entstehungs- und Etablierungsgeschichte eines mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geratenen Stereotyps, des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten. Nur wenigen Zeitgenossen ist bekannt, daß männliche Homosexualität seit 1933 in der durch die deutschsprachige Exilpresse im Ausland hergestellten Öffentlichkeit mit dem deutschen Nationalsozialismus in einen wesenhaften Zusammenhang gebracht, nicht selten sogar gleichgesetzt wurde. Obwohl diese Vorstellung die unterschiedlichsten Darstellungen und Erklärungen erfuhr, zählte sie bald zu den Wissenbeständen der internationalen Öffentlichkeit der dreißiger und vierziger Jahre. In Deutschland scheint dieses 'Wissen' nach dem zweiten Weltkrieg zunehmend in Vergessenheit geraten zu sein. Auch wenn sich in beiden deutschen Staaten die Erkennntnis der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung nur mit großen Schwierigkeiten verbreitete, scheint doch deren offensichtlicher Widerspruch zu der Verknüpfung von männlicher Homosexualität und Nationalsozialismus die Tradierung dieser Vorstellung behindert zu haben. Vielleicht liegt die mangelnde Präsenz dieses in den dreißiger Jahren entstandenen stereotypisierten Homosexuellenbildes in der deutschen Öffentlichkeit aber auch gerade darin begründet, daß die deutsche Exilpresse in der Phase seiner Verbreitung und Etablierung auf die deutsche Öffentlichkeit den geringsten Einfluß hatte. Im Gegensatz dazu scheint es insbesondere in den USA zu einer derartigen Verfestigung der Vorstellung einer wie auch immer gearteten Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus gekommen zu sein, daß sie dort bis heute einen hohen Verbreitungsgrad besitzt. So konstatierte Altman (1983: 112) noch Anfang der achtziger Jahre "a widespread belief that there was a link between the Nazis and homosexuality". Demgegenüber läßt sich für beide deutsche Nachkriegsgesellschaften festhalten, daß die Vorstellung einer Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus keine nennenswerte Verbreitung erfuhr. Eine erwähnenswerte Ausnahme bildete allenfalls die in der Bundesrepublik durch die Studentenrevolte von 1968 ausgelöste Rückbesinnung auf linke Faschismusanalysen der dreißiger Jahre. In ihrem Rahmen kam es auch zu einer Popularisierung und Weiterentwicklung der theoretischen Ansätze Erich Fromms (vgl. Kapitel 3.7.2) und Wilhelm Reichs (vgl. Kapitel 3.4.2). So orientierte sich Reimut Reiche (1968) an Fromms (1936: 126) Vorstellungen, nach denen homosexuelle "Strebungen" an einen auch für den Nationalsozialismus konstitutiven "autoritär-masochistischen Charakter" gebunden seien

12 12 und die "extremen Autoritätsstrukturen" des NS-Systems einen besonders hohen Verbreitungsgrad einer latenten, wie auch der "manifesten Homosexualität" nach sich zögen. Reiche (1968: 117f.) allerdings verkehrte das von Fromm unterstellte Ursache-Wirkungs-Verhältnis, indem er Fromms latente Homosexualität als "unterdrückte Homosexualität" beschrieb und erst diese Unterdrückung "zur sozialpsychologischen Basis für hochaggressive, individuell und kollektiv destruktive Verhaltensweisen und entsprechende politische Bewegungen" erklärte. Weitgehender noch wurden Fromms, aber auch Wilhelm Reichs Ideen über einen Zusammenhang zwischen männlicher Homosexualität, Sadismus und Faschismus von Klaus Theweleit adaptiert. So behauptete Theweleit (1987: 332), "Männerbünde" (so insbesondere die SA) neigten "zur Ausbildung 'homosexueller Praktiken', die, selber aggressiver Art, zum Umklappen in jede andere Form der Aggressivität fähig" seien. Doch meinte Theweleit nicht nur, aus der männerbündlerischen Homosexualität den "Terror" der SA erklären zu können, die Homosexualität geriet bei ihm zum geheimen Organisationsprinzip des Nationalsozialismus. Gerade durch die Aufrechterhaltung der Kriminalisierung der Homosexualität, so Theweleit (1987: 334), hätten die Nationalsozialisten einen "Bereich der Übertretung" geschaffen, "in den eingeweiht und aufgenommen zu werden, gleichbedeutend war mit einer Zugehörigkeit zum Bereich des Geheimen wie der Machtelite". Theweleit griff damit nicht nur die im Rahmen des Exildiskurses über Homosexualität und Nationalsozialismus entstandene Vorstellung einer außerordentlichen Verbreitung der Homosexualität unter Angehörigen der nationalsozialistischen Machtelite auf, sondern schrieb der Homosexualität darüber hinaus eine strukturelle Bedeutung für Funktion und Erhalt des nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu. Die von Theweleit konstruierte Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus erfreute sich allerdings nie der Popularität wie die sonstigen Ausführungen in seinem Buch "Männerphantasien"; Nationalsozialismus und Homosexualität in einen ursächlichen Zusammenhang zu bringen, blieb auch im Diskurs der bundesdeutschen Linken ein Randphänomen. Als eine solche Randerscheinung ist auch die Publikationstätigkeit Nicolaus Sombarts zu bewerten, dessen Versuche, den deutschen Nationalsozialismus aus der vorgeblichen Homosexualität seiner Führer zu erklären, nur selten so deutlich wurden, wie in einem 1987 in der Tageszeitung publizierten Artikel. Hier erklärte Sombart (1987) nicht nur Heß und Hitler zu Homosexuellen, er versuchte überdies, für die britische und französische Appeasementpolitik gegenüber Hitler eine "Internationale der warmen Brüder" verantwortlich zu machen, da in Großbritannien wie in Frankreich "die Sympathie für den Faschismus auf sonderbare Weise Hand in Hand mit homosexuellen Neigungen" gegangen sei. Trotz solcher vereinzelter Erscheinungen jedoch, konnten sich Vorstellungen über einen Zusammenhang zwischen männlicher Homosexualität und Nationalsozialismus abseits der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung auch in der westdeutschen Öffentlichkeit der siebziger und achtziger Jahre nicht verwurzeln.

13 Die Motive Warum nun, wird sich mancher Leser fragen, sollte man einer solchen, auf den ersten Blick doch absurd erscheinenden "Konstruktion" eine ganze Untersuchung widmen? Das Thema erscheint überholt, ein Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus durch die Geschichte widerlegt. Doch ist er das wirklich? Widerlegt allein die "evidence", that "there was a major attempt in Nazi Germany to exterminate homosexuals" (Altman 1983: 112) den behaupteten personellen wie strukturellen Zusammenhang zwischen Homosexuellen/Homosexualität und Nationalsozialismus? Zweifellos ist dies nicht der Fall, und Manfred Herzer (1990b: 36) hat nicht Unrecht, wenn er bemerkt: "Die Vorstellung, daß die Schwulen unter dem Hakenkreuz immer nur Opfer waren, Verfolgte, die ungerechterweise nie entschädigt wurden und die man mit dem Stereotyp des 'Homosexuellen Nazis' zusätzlich demütigte und ächtete - diese Vorstellung, die sich sogar zu dem schrillen Kampfbegriff vom 'Gay Holocaust' steigerte, war einigermaßen entlastend und bequem, doch sollte sie allmählich einer Überprüfung unterzogen werden". Eine "Überprüfung" des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten soll denn auch im Rahmen dieser Untersuchung geleistet werden. Allerdings setzt der Verfasser andere Prämissen als Herzer (1990b: 35), denn die Existenz eines "vielleicht vorhandenen realen Kern[s] des Klischees" beunruhigt ihn mitnichten. Daß es homosexuelle Nationalsozialisten gab, steht außer Frage, auch wenn sich dies, abgesehen von Ernst Röhm, der sich in Briefen an einen mit ihm befreundeten Arzt zu seiner Veranlagung bekannte (vgl. Kapitel 2.4.1), im Einzelfall nur schwer nachweisen läßt. Homosexuelle waren im "Dritten Reich" nicht nur Verfolgte und Opfer, manche unter ihnen wurden zu Verfolgern und Tätern. Doch war auch Letzteres ein Resultat ihrer Veranlagung? Wieso sollte sich aus der homosexuellen, im Gegensatz etwa zur als folgenlos betrachteten heterosexuellen Orientierung von Nationalsozialisten, ein wesenhafter Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus ergeben? Und selbst wenn es, wie Herzer (1990b: 37) nicht mehr ausschließen wollte, so gewesen sein sollte, daß die deutschen Homosexuellen 1933 "sozusagen scharenweise in die Nazibewegung eintraten, und daß sie ihren heterosexuellen Landsleuten darin nicht nachstanden" - erwiese dies nicht gerade, wie unbedeutend ihre Veranlagung für ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus war? Obwohl bereits ein Vorgriff auf die soziologischen Perspektiven, kann und soll an dieser Stelle mit einem Zitat Steven Epsteins (1991: 828) auf eine im Rahmen dieser Untersuchung zu überprüfende Grundannahme des Verfassers aufmerksam gemacht werden: "Sexual acts have no inherent meaning, and in fact, no act is inherently sexual. Rather, in the course of interactions and over the course of time, individuals and societies spin webs of significance around the realm designated as 'sexual'."

14 14 Die unter Schwulen auch heute noch verbreitete Neigung, an einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus zu glauben, verrät nicht nur einen Hang zur Selbstdiskrimierung, sie verweist darüber hinaus auf die geistige Tradition auch der Schwulenbewegung, homosexueller Orientierung eine "inherent meaning", so insbesondere politische Bedeutung zuzuschreiben. Genauso, wie homosexuelles Verhalten Anfang der siebziger Jahre von Teilen der Schwulenbewegung zu einer revolutionären Tat stilisiert (vgl. Dieckmann/ Pescatore 1979), und dem Homosexuellen ein aus seiner Situation erwachsendes 'politisches Bewußtsein' zugeschrieben, oder doch zumindest abverlangt wurde, wird dem Homosexuellen der zwanziger und dreißiger Jahre von verschiedenen Zeitgeschichtlern eine außerordentliche politische Weisheit abverlangt, die ihn sich, im Gegensatz zu seinen heterosexuellen Zeitgenossen, mindestens auf Abstand zum Nationalsozialismus hätte halten lassen müssen. Läßt sich dieses Wunschbild nicht bestätigen, so ist mancher Historiker schnell bereit, der homosexuellen Veranlagung von Nationalsozialisten eine politische Bedeutung für Entstehung und Stabilisierung des NS-Systems zuzuschreiben. Eine "Überprüfung" des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten kann also nicht bedeuten, zu untersuchen, ob es homosexuelle Nationalsozialisten gab. Zu überprüfen ist, was die Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus rechtfertigen sollte: ob 1933 fast alle deutschen Homosexuellen zu Nationalsozialisten wurden, und ob die NS-Bewegung darüber hinaus von Homosexuellen dominiert und in ihrem Wesen durch deren Homosexualität geprägt war. Dies waren die Paradigmen der Exilpresse, und nur die Rekonstruktion ihres Ursprungs und ohne Zweifel auch ihres "vielleicht vorhandenen realen" Kerns (Herzer 1990b: 35), wird erweisen können, inwieweit die Vorstellungen über einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus 'Konstrukt' oder Spiegelbild der 'realen Verhältnisse' waren. Spätestens hier allerdings deutet sich auch die erkenntnistheoretische Problematik dieser Untersuchung an. Denn das, was manchem Leser aus heutiger Perspektive zunächst als pure Fiktion erschien, könnte den Emigranten in den dreißiger Jahren durchaus als Abbild 'realer Verhältnisse' gegolten haben. Und auch der heutige Forschungsstand ist zweifellos nur 'Konstrukt', steht lediglich in einer "Abbildbeziehung zur ontischen Realität", denn die "ontische Realität ist erfahrbar, aber nicht erkennbar" (Stenger/Geißlinger 1991: 248). Erfahrbar ist sie auf der Ebene der "Brauchbarkeit" oder "Viabilität" konstruierter Realitätsmodelle, und so kann das Ziel dieser Arbeit nur darin bestehen, die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten auf ihre Viabilität hin zu überprüfen - aus der Perspektive der Emigration ebenso wie aus der des Zeitgeschichtlers.

15 Soziologische Perspektiven Homosexualität und Wahrnehmung Homosexuelles Verhalten wird in Europa seit Jahrhunderten als Sonderfall der menschlichen Sexualität isoliert und ausgegrenzt. Im Zuge einer im 18. Jahrhundert einsetzenden Diskursivierung von 'Sexualität' suchte man "durch Namensgebung die ganze Vegetation der verschiedenartigen Sexualitäten ans Licht zu bringen" (Foucault 1988: 56). Diese "Jagd auf die peripheren Sexualitäten" zog schließlich eine "Einkörperung der Perversionen" und die "Spezifizierung der Individuen" nach sich. War die alte Sodomie noch schlicht als ein "Typ verbotener Handlung" betrachtet worden, so wurde der nun entdeckte Homosexuelle zu einer Persönlichlkeit, "die über eine Vergangenheit und eine Kindheit verfügt, einen Charakter, eine Lebensform, und die schließlich eine Morphologie mit indiskreter Anatomie und möglicherweise rätselhafter Physiologie besitzt" (Foucault 1988: 58): "Nichts von alledem, was er ist, entrinnt seiner Sexualität. Sie ist überall in ihm präsent: allen seinen Verhaltensweisen unterliegt sie als hinterhältiges und unbegrenzt wirksames Prinzip; schamlos steht sie ihm ins Gesicht und auf den Körper geschrieben, ein Geheimnis, das sich immerfort verrät." Dieser Prozeß der Homosexualisierung der ganzen Persönlichkeit war jedoch keineswegs, wie häufig mißverstanden, eine Einbahnstraße, die nur von Kriminologen, Medizinern und anderen 'Experten' mittels der Zuschreibung von Eigenheiten 'befahren' worden wäre; neuere Untersuchungen haben vielmehr deutlich werden lassen, daß er ein durchaus interaktiver Konstruktionsprozeß war, an dem sich ungezählte 'Betroffene' mit autobiographischen Selbstdarstellungen beteiligten, und damit "wesentlich zur Bestimmung der neuen sexuellen Identität" beitrugen (Müller 1991: 25). Sind Absonderung und Ausgrenzung des Homosexuellen als Resultat eines interaktiven Prozesses der gesellschaftlichen Herstellung von Wissen über das 'Wesen' der Homosexualität zu begreifen, so erzeugten sie auch immer ihre Erklärung, ihre Rechtfertigung. Inzwischen können wir auf eine umfangreiche Ideengeschichte dessen zurückblicken, was Homosexualität sei. Wir haben es zunächst also mit zwei Phänomenen zu tun, das eine sei genannt (und bereits damit isoliert) "homosexuelles Verhalten", das andere "Homosexualität". Homosexualität wird im Rahmen dieser Untersuchung verstanden als, so Rüdiger Lautmann (1977: 17), nicht "das konkrete gleichgeschlechtliche Verhalten", sondern das, "was die gesellschaftliche Meinung daraus macht", oder, um es anders auszudrücken, ein reicher Fundus kognitiver Konzeptualisierungen des Sexualaktes zweier Personen gleichen Geschlechts. Da

16 16 diese Konzeptualisierungen im historischen und kulturellen Vergleich enorme Differenzen aufweisen, ist es korrekter, nicht von der Homosexualität, sondern von den Homosexualitäten zu sprechen. Diese Untersuchung widmet sich dem Entstehungs- und Etablierungsprozeß einer Homosexualität. Im Sinne der von Lautmann (1977: 18) angemahnten "Soziologie über die Mehrheit" soll der Interaktionsprozeß analysiert werden, der zur Verkoppelung von homosexuellem Verhalten und Nationalsozialismus führte. In der Tradition einer konstruktivistischen Geistesgeschichte muß dabei die "Wirklichkeitssicht der Zeitgenossen" (Nünning 1992: 98) im Mittelpunkt stehen. Ob ihnen ihre Wirklichkeitssicht jedoch, wie aus konstruktivistischer Perspektive fortzufahren wäre, zur "Realität sui generis" (Nünning 1992: 98) wurde, oder ob den Zeitgenossen der Konstruktionscharakter ihres Homosexuellenbildes bewußt blieb, gilt es zu überprüfen. 1 Denn ob "die Erkennbarkeit des 'objektiven' historischen Geschehens" (Nünning 1992: 98) den deutschen Emigranten unmöglich, ihr stereotypisiertes Homosexuellenbild also tatsächlich Ausdruck ihrer kognitiven Wirklichkeit war, oder ob die von ihnen geleistete Stereotypisierung als bewußte Instrumentalisierung des Stigmas Homosexualität im politischen Kampf zu betrachten ist, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. Eine soziologische Analyse wird sich zunächst den spezifischen Bedingungen der Erlebenswelt der deutschen Emigranten zuwenden müssen, denn ob, und wenn ja, für wen und wie sich die Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten als "realitätsschaffend" durchsetzte, daß heißt, auf "Evidenz" gründete, hing nicht zuletzt von den "Evidenzquellen" (Stenger/Geißlinger 1991: 253f.) ab, die in der spezifischen Strukturiertheit der Erlebenswelt der Emigration verfügbar waren. Kann eine umfassende soziologische Auswertung des empirischen Materials erst im vierten Kapitel geleistet werden kann, so soll die Analyse der Erlebenswelt der deutschen Emigranten vorgezogen werden. Sie läßt sich auf bereits vorliegende Studien über die deutsche Emigration stützen und vermag es überdies, nach der Entwicklung der Fragestellungen einen ersten Eindruck über den methodischen Fortgang der soziologischen Untersuchung zu vermitteln. 1 Grundsätzlich werden Realitätsmodelle in der Alltagswelt nicht als Konstrukt, sondern als evident erfahren, solange sie "ein erfolgreiches Handeln" gewährleisten, sich als "viabel" erweisen: "Die 'Erlebenswelt' des Subjekts hat selbstverständlich Kriterien für 'wahr' und 'falsch', für 'Illusion' und 'Wirklichkeit', für 'subjektiv' und 'objektiv'." (Stenger/Geißlinger 1991: 248). Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Realitätskonstruktion nicht auch alltagsweltlich als solche erfahren werden kann, anstatt Evidenz zu erlangen.

17 Die Erlebenswelt der Emigranten Stenger/Geißlinger (1991: ) beschreiben vier "Evidenzquellen", auf deren Basis sich Konstruktionen "subjektiv oder intersubjektiv als realitätsschaffend durchsetzen". Hier soll nun anhand der Untersuchung der spezifischen Strukturen der Erlebenswelt der Emigranten überprüft werden, an welchen Punkten Stengers und Geißlingers Modell auf die Exilsituation übertragbar ist und inwieweit es modifiziert werden muß, um als Grundlage einer soziologischen Betrachtung zu dienen. Wovon nun war die Erlebenswelt der Emigranten geprägt? Weiter oben war bereits von der durch die Exilpresse hergestellten "Öffentlichkeit" die Rede. Kam der Presse in den dreißiger Jahren - das Radio als einziges Konkurrenzmedium hatte noch keinen hohen Verbreitungsgrad - bereits unter 'normalen' Bedingungen eine herausragende Rolle im Prozeß der Herstellung von Öffentlichkeit zu, so wurde sie im Exil zum fast einzigen Medium der öffentlichen Kommunikation. Zwar waren Paris und Prag zu geographischen Schwerpunkten der Emigration geworden, an denen sich weitergehende Möglichkeiten der öffentlichen Kommunikation boten, doch schon "die freiwillige oder erzwungene Weiterwanderung von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent" sorgte dafür, daß sie eher "transitorische Provisorien" blieben, denn zu echten "Zentren" der Emigration zu werden (Walter 1974: 8). Überdies mußte die Lage der großen Mehrheit der Emigranten, die von politischer Irritation, sozialer Isolation und rechtlicher wie finanzieller Unsicherheit bestimmt war, ihr Bedürfnis nach öffentlicher Verständigung im Vergleich zu 'normalen' Zeiten erhöhen. In dieser Situation bot die Exilpresse das "beinahe einzige geeignete Mittel, dem Auseinanderbrechen von politischen Gruppen wie der Isolation von Einzelnen entgegenzuwirken": "Zeitschriften konnten die von den politischen und materiellen Verhältnissen erzwungene räumliche Trennung überwinden. Ihnen gelang es - wenn auch kaum nach außen, so doch mit beachtlichem Erfolg innerhalb der Emigration -, Öffentlichkeit zu bewahren oder wiederherzustellen. Sie waren nicht nur Ausdruck des Wollens der Herausgeber, sondern in weit stärkerem Maße als in 'normalen' Zeiten Instrumente der Selbstverständigung und der Willensbildung unter ihren Lesern." (Walter 1974: 8) Die Exilpresse prägte also die Erlebenswelt der Emigranten in weit stärkerem Maße, als dies normalerweise der Fall war. Potenziert war der Einfluß der Exilpresse zudem dann, wenn es um Informationen über Deutschland ging, denn hier fiel ihr fast eine Monopolstellung in der Berichterstattung zu. Abgesehen von den Sprachbarrieren, die es nicht wenigen Emigranten erschwerten, die Deutschland-Berichterstattung der ausländischen Presse zu rezipieren, nahm sich diese in den meisten Fällen auch äußerst dürftig aus; nicht selten bezogen die Zeitungen und Zeitschriften des Auslandes ihre Informationen zudem selbst aus der

18 18 deutschen Exilpresse. Der Einfluß der Exilperiodika auf das Deutschlandbild der Emigranten muß also als sehr hoch betrachtet werden. Überdies waren die Möglichkeiten einer kritischen Überprüfung der Deutschland-Berichterstattung der Exilpresse äußerst eingeschränkt. Inwieweit die Berichte eines Exilperiodikums die deutschen Verhältnisse 'abbildeten', ließ sich nicht mehr vor Ort eruieren. Damit fiel in der Exilsituation bereits eine der vier von Stenger/ Geißlinger (1991: 254) beschriebenen "Evidenzquellen", nämlich die der sinnlichen Wahrnehmung, weg. Die "direkte Überprüfung der Gegebenheiten der realen Welt", die normalerweise einen "selbstverständlichen Gewißheitscharakter" hat, ließ sich in Bezug auf die Verhältnisse in Deutschland nicht mehr bewerkstelligen. Um so größere Bedeutung mußte einer anderen Evidenzquelle zukommen, der der sozialen Bestätigung. Denn hinsichtlich "jener Dinge, die für das realitätskonstruierende Subjekt jenseits der eigenen sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten liegen, beginnt die Angewiesenheit auf die Konstruktionen anderer Subjekte" (Stenger/Geißlinger 1991: 256). Ihre "vielfältigen intersubjektiven Objektivationen", werden, indem sie "mir gegenüber als selbstverständliche Gegebenheiten" behandelt werden, sozial bestätigt, und erlangen somit Evidenz. Dafür spricht nicht nur, daß sich das "sozial vermittelte Wissen" als im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext im allgemeinen "sehr brauchbares Wissen" erweist; es anzuzweifeln heißt meist auch, die "rasche Selbstausgliederung aus der jeweiligen Lebensgemeinschaft und der Gesellschaft zu betreiben". Und gerade von der gesellschaflichen Ausgrenzung dürfte in der sowieso schon von sozialer Isolation geprägten Exilsituation eine erhebliche Bedrohungswirkung ausgegangen sein. Allerdings gibt es unterschiedliche Quellen sozialer Bestätigung, die in unterschiedlichem Kontext unterschiedliche Autorität besitzen. Quellen sozialer Bestätigung, denen vom realitätskonstruierenden Subjekt Autorität zugeschrieben wird, übernehmen Entlastungsfunktionen von eigener Verantwortlichkeit. Angesichts der überragenden Bedeutung der Exilpresse im Rahmen der Kommunikationsstrukturen der Emigration dürfte ihr allgemein Autorität zugeschrieben worden sein; selbstverständlich differierend insbesondere nach politischer Orientierung der Periodika wie der unterschiedlichen Emigrantengruppen (Stenger/Geißlinger 1991: 256). Auch an der Wirksamkeit einer weiteren von Stenger und Geißlinger beschriebenen Evidenzquellen, der der kognitiven Konstruktion, kann kein Zweifel bestehen. So konnte Gewißheit aus der "Erkenntnis des Zusammenhangs von Ereignissen oder Sachverhalten" resultieren, nämlich entweder durch Koinzidenz bei "zeitlich parallelen bzw. aufeinandertreffenden Ereignissen", oder durch Kongruenz, wenn Sachverhalte auf der Basis von bereits "bewährten Abstraktionen" oder Typisierungen gedeutet wurden (Stenger/Geißlinger 1991: 254f.). Diese Evidenzquelle dürfte vor allem für die Realitätskonstruktionen der Autoren der Exilpresse von Relevanz gewesen sein. Fanden sie sich einerseits in der Situation, ähnlich wie die Rezipienten ihrer Publikationen von der sinnlichen Wahrnehmung der deutschen Ereignisse abgeschnitten zu sein, so sahen sie sich

19 19 doch gleichzeitig mit dem Verlangen ihrer Leserschaft nach einer den Eindruck von Evidenz vermittelnden Deutschland-Berichterstattung konfrontiert. Koinzidenz und Kongruenz boten den gangbareren wie überzeugenderen Weg zur Bewältigung dieser Aufgabe als soziale Bestätigung, etwa die Berufung auf Informanten, oder emotionale Erkenntnis, die vierte von Stenger und Geißlinger beschriebene Evidenzquelle. Die emotionale Erkenntnis hingegen dürfte für die Rezipienten der Exilpresse von größerer Bedeutung gewesen sein. Sie produzierte, auf der reflexiven "Wahrnehmung von Emotionen" basierend, Evidenz vor allem "in mentalen und informellen sozialen Kontexten", angesichts ihres in "formellen sozialen Kontexten" der Exilsituation geringen Prestiges dagegen weniger in solchen (Stenger/Geißlinger 1991: 255). Allerdings muß davon ausgegangen werden, daß die Exilperiodika in Anbetracht des dargelegten Mangels an informellen sozialen Kontexten als "Instrumente der Selbstverständigung" (Walter 1974: 8) deren Aufgaben in einem weit höheren Maße übernahmen, als dies bei Presseerzeugnissen unter 'normalen' Bedingungen der Fall ist. Insofern dürfte die emotionale Erkenntnis in der Exilpresse kein unbedeutender Faktor gewesen sein, um Gewißheit herzustellen. Überdies ist zu berücksichtigen, daß es sich bei den zu untersuchenden Erkenntnisfeldern Homosexualität und Nationalsozialismus um (für Emigranten) stark emotionalisierende handelte. Die Evidenzquelle emotionale Erkenntnis wies hier also nicht "den Nachteil geringerer Reproduzierbarkeit" auf. Vielmehr ist davon auszugehen, daß evidenzschaffende emotionale Erkenntnis auch "in formellen sozialen Kontexten" über die durch 'sachliche' oder unreflektiert emotionale Thematisierung beim Rezipienten ausgelöste Mobilisierung von mental zu reflektierenden Emotionen produziert wurde oder werden sollte. 1.3 Methodik und Aufbau der Untersuchung Die Untersuchung ist in vier Teile gegliedert. Neben der Einleitung, die Grundsätzliches zu Thema und Struktur dieser Arbeit zu klären sucht, steht ein historisches Kapitel, das, als Leserservice gedacht, Wesentliches zur Vorgeschichte des Diskursthemas Homosexualität rekapituliert. Dargestellt werden vor allem jene Homosexualitätskonzepte, die im Entstehungsprozeß der ersten deutschen Schwulenbewegung starken Einfluß gewannen, die Entwicklung der Schwulenbewegung in den zwanziger Jahren sowie Homosexuellenbild und - politik der wichtigsten Weimarer Parteien. Darüber hinaus wird ein Überblick gegeben über die unmittelbare Vorgeschichte der Emigration, das heißt die Ereignisse der sogenannten "Röhm-Affäre" und die Zerschlagung der homosexuellen Emanzipationsbewegung nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten. Bietet dieses Kapitel weniger Neues, denn eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse der zeitgeschichtlichen Forschung, so mag es der kundige Leser getrost überschlagen.

20 20 Im Mittelpunkt der Arbeit steht das dritte Kapitel, in dem die Entstehungs- und Etablierungsgeschichte der Vorstellung von einem Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus rekonstruiert wird. Diese Untersuchung der Stereotypisierung des Homosexuellenbildes der deutschen Emigration basiert angesichts der spezifischen Bedingungen, von denen kognitive Prozesse im Exil geprägt waren (vgl. Kapitel 1.2.2), im wesentlichen auf der Auswertung der Exilpresse. Untersucht wurden 19 Periodika der deutschen Exilpresse, sowie drei weitere deutschsprachige Periodika, deren Publikationen für den Exildiskurs von Bedeutung waren; darüber hinaus wurden einige (populär-) wissenschaftliche Bücher, die im Untersuchungszeitraum im Exil erschienen, miteinbezogen. Bewußt wurde hingegen auf die Auswertung des literarischen Niederschlages des Untersuchungsgegenstandes verzichtet. Zum einen macht schon der Erscheinungszeitraum der in Frage kommenden Literatur deutlich, daß sie weniger für den Entstehungsprozeß, denn für die Tradierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes des Exils von Bedeutung war. 2 Zum anderen hat Jörn Meve in seiner 1990 erschienen Studie "Homosexuelle Nazis" die literarische Verarbeitung des Themas bereits untersucht, so daß ein Verzicht auf diesen Aspekt unter Verweis auf Meves Buch leicht fällt. Bei der Auswahl der auszuwertenden Exilpublikationen wurden nur solche berücksichtigt, die zwischen 1933 und 1937 erschienen. Erste grobe Recherchen bezüglich der Thematisierung von Homosexualität in Exilpublikationen haben diese zeitliche Eingrenzung sinnvoll erscheinen lassen. Zum einen fanden sich ab dem Erscheinungsjahr 1938, abgesehen von literarischen, nur noch sehr wenige themenbezogene Publikationen, so daß das Material vermutlich keine ausreichende empirische Grundlage geboten hätte, Aussagen über die inhaltliche Entwicklung des stereotypisierten Homosexuellenbildes des Exils seit 1938 zu treffen. Darüber hinaus gebot schon die eruierte Materialfülle insbesondere der untersuchten Erscheinungsjahre 1933 und 1934 eine Eingrenzung des Untersuchungszeitraumes, um eine Ausweitung ins Uferlose zu verhindern. Jedoch auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten muß, so läßt sich im nachhinein hinzufügen, eine Beschränkung auf die Jahre sinnvoll erscheinen, werden mit diesem Untersuchungszeitraum doch zwei wichtige Phasen, nämlich die des Entstehungsprozesses des stereotypisierten Homosexuellenbildes und die des Differenzierungs- und Rationalisierungsprozesses abgedeckt. 2 Die erste literarische Verarbeitung des Stoffes, Ludwig Renns (vgl. Anm. 15) Roman "Vor großen Wandlungen" (Renn 1989), wurde Ende 1936 publiziert. Weitere, Zusammenhänge zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus thematisierende Exilliteratur erschien dagegen erst 1939 (Vicki Baum) und 1940 (Hans Siemsen; vgl. Anm. 14), wenn nicht gar Jahrzehnte später (Weiss 1963; Zech 1980). Für den gesetzten Untersuchungszeitraum war die exilliterarische Verarbeitung des Themas also weitgehend irrelevant.

21 21 Die Auswahl der insgesamt 22 auszuwertenden Periodika wurde unter zwei Gesichtspunkten vollzogen. Da die hohe Anzahl von erschienenen Zeitungen und Zeitschriften auch hier eine quantitative Beschränkung gebot - zwischen 1933 und 1945 erschienen weltweit mindestens 436 deutsche Exilperiodika (Maas 1976: 11), im statistischen Durchschnitt erschienen jährlich etwa 75 Periodika gleichzeitig (Walter 1974: 22) -, galt es, mit der Auswahl einen möglichst repräsentativen Querschnitt durch die Presselandschaft des Exils zu erstellen. Zum einen mußte dies unter Berücksichtigung der politischen Ausrichtung der Exilperiodika geschehen. In Anbetracht der von Walter (1974: 24) festgestellten Dominanz der von KPD, SPD und sonstigen 'sozialistischen' Organisationen vertriebenen Presse, die fast zwei Drittel der zwischen 1933 und 1945 erschienenen Exilperiodika ausgemacht haben dürfte, wurden jeweils drei KPD- und SPD-Blätter, sowie drei an sonstige 'sozialistische' Gruppierungen gebundene Zeitungen und Zeitschriften ausgewählt. In die Auswertung der sozialdemokratischen Periodika wurde überdies die von der saarländischen SPD herausgegebene Volksstimme einbezogen. Dies geschah, obgleich die Volksstimme nicht unter die von Maas (1976: 13) vorgeschlagene Definition eines Exilperiodikums als "von deutschen Emigranten entweder selbst gegründet oder aber durch ihre Mitarbeit entscheidend geformt" fällt. Ihre publizistische Bedeutung im Saar-Abstimmungskampf jedoch (vgl. Kapitel 3.6.4), wie auch die Tatsache, daß sie während des Verbotes der Deutschen Freiheit "als deren Ersatz nicht nur an der Saar, sondern mit einer 'Auslandsausgabe' auch in Paris" (Maas 1990: 501) fungierte, rechtfertigt die Einbeziehung in eine Untersuchung der Exilpresse. Aus dem organisationsungebunden sozialistischen bis linksliberalen Pressespektrum wurden sechs, aus dem bürgerlich-liberalen, entsprechend dessen Schwäche im Rahmen der Presselandschaft des Exils, nur drei Exilperiodika ausgewählt. Mit Otto Straßers (vgl. Anm. 28) Zeitschrift Die deutsche Revolution wurde auch noch eine als rechtsextremistisch zu charakterisierende untersucht. Zwei weitere Sonderfälle stellen schließlich die in die Auswertung einbezogenen Periodika General-Anzeiger für das Saargebiet und Schweizerisches Freundschafts-Banner dar, deren politische Zuordnung ebenso schwer fällt wie ihre Charakterisierung als Exilperiodika. Obwohl die Tageszeitung General- Anzeiger erst 1933 gegründet wurde, wird sie von Maas (1976) nicht als Exilzeitung aufgeführt. Da die Auseinandersetzung über Homosexualität im Rahmen des Saar-Abstimmungskampfes jedoch nicht auf eindeutig als Exilperiodika zu klassifizierende Zeitungen und Zeitschriften beschränkt blieb, wurde der General-Anzeiger wie die Volksstimme in die Untersuchung einbezogen. Bezüglich des seit 1933 in Zürich erschienenen Schweizerischen Freundschafts-Banners lassen die vorhandenen Erkenntnisse hingegen den Schluß zu, daß es sich um keine Exilzeitschrift handelte. Da das Freundschafts- Banner allerdings die wohl einzige im Untersuchungszeitraum erschienene deutschsprachige Homosexuellenzeitschrift war, dürfte es schon aufgrund seiner Monopolstellung vom Gros der homosexuellen Emigranten rezipiert worden sein.

22 22 Inwieweit es von deutschen Emigranten auch als publizistisches Forum genutzt wurde, ist dagegen schwer einzuschätzen, da die meisten Artikel unter Pseudonym oder mit nur unzulänglichen Angaben zur Identität des Autors veröffentlicht wurden. Zumindest ein Emigrant schrieb jedoch für die Zeitschrift. Richard Plant (1996) veröffentlichte unter dem Pseudonym Orlando Gibbons einen Fortsetzungsroman. Nach seiner Erinnerung war er jedoch der einzige deutsche Emigrant, der für die Zeitschrift arbeitete. Dennoch wurde das Schweizerische Freundschafts-Banner in die Auswertung miteinbezogen, da davon ausgegangen werden mußte, daß seine Berichterstattung zumindest für das Selbstverständnis der homosexuellen Emigranten nicht ohne Bedeutung war. Die Ergebnisse der Auswertung konnten die Einbeziehung schließlich auch rechtfertigen; sie erwiesen, daß die Diskursivierung von Homosexualität in der deutschen Exilpresse von seiten des Freundschafts-Banners kritisch begleitet wurde. Neben der politischen Ausrichtung galt es aber auch, den Rezeptionsgrad der verschiedenen Exilperiodika zu berücksichtigen. Aussagen über die Anzahl der Leser einzelner Periodika zu treffen, erwies sich allerdings als sehr schwierig. Die bekannten Angaben über die Höhe der Auflage einzelner Exilperiodika, die meist auf den späteren Angaben ehemaliger Redakteure oder Schätzungen der Gestapo beruhen, sind äußerst unzuverlässig (vgl. Mass 1976: 18; 1990: 41f.). Ihnen kann zudem nur eine geringe Aussagekraft bezüglich der Anzahl der verkauften Exemplare und der Größe des Leserkreises zugeschrieben werden. Gerade bezüglich der Auflagenhöhe, aber auch der Erscheinungsdauer der von KPD und SPD herausgegebenen Zeitungen und Zeitschriften muß berücksichtigt werden, daß sie meist weniger aus wirtschaftlichen, denn aus Gründen der politischen Opportunität auf einem möglichst hohen Niveau gehalten wurden. Derartiges war vor allem deswegen möglich, weil die Finanzierung der KPD- Blätter im Gegensatz zu den anderen Exilperiodika durch die Komintern und die Sowjetunion, die der SPD-Presse zumindest für die ersten Jahre durch aus Deutschland gerettete Parteigelder, wahrscheinlich aber auch durch Zahlungen der 2. Internationale gesichert war (Walter 1974: 14). Um "Präsenz zu dokumentieren", wurde so beispielsweise der Neue Vorwärts vom SPD-Vorstand in hoher Auflage verteilt; "beachtet, gelesen oder gar gekauft" wurde er anscheinend weniger (Maas 1990: 41). Ein höherer Rezeptionsgrad muß demgegenüber den weitgehend partei-, und damit mehr oder minder auch finanziell unabhängigen Presseerzeugnissen unterstellt werden, hier insbesondere jenen, die sich offensichtlich ohne nennenswerte Subventionierung über einen längeren Erscheinungszeitraum halten konnten. Diese Erkenntnis hat zu einer Umgewichtung bei der Auswahl der auszuwertenden Exilperiodika geführt, so daß die partei- und organisationsgebundene Presse nicht die von Walter (1974: 24) veranschlagten zwei Drittel, sondern nur knapp die Hälfte der untersuchten Exilperiodika ausmacht.

23 23 Die ausgewählten Periodika: Titel: Erscheinungsort und -zeit: Auflage: Kommunistisch (KPD): - Deutsche Volks-Zeitung Saarbrücken 1934 unbekannt - Der Gegen-Angriff Prag Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung Basel Sozialdemokratisch (SPD): - Deutsche Freiheit Saarbrücken Neuer Vorwärts Karlsbad Neue Volks-Zeitung New York Volksstimme Saarbrücken unbekannt Sozialistisch: - Internationales Ärztliches Bulletin (IVSÄ) Prag unbekannt - Sozialistische Warte (ISK) Paris unbekannt - Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie (Sex-Pol) Kopenhagen unbekannt Sozialistisch - Linksliberal: - Aufruf Prag Das Blaue Heft Paris Europäische Hefte Prag unbekannt - Die Neue Weltbühne Prag Die Sammlung Amsterdam Simplicus (später: Simpl) Prag Bürgerlich: - Das Neue Tage-Buch Paris Pariser Tageblatt Paris Das Reich Saarbrücken Nationalistisch - Völkisch: - Die deutsche Revolution Prag unbekannt Nicht einschätzbar: - General-Anzeiger für das Saargebiet Saarbrücken unbekannt - Schweizerisches Freundschafts-Banner Zürich unbekannt

24 24 Die Auswertung der ausgewählten Periodika erfolgte in mehreren Schritten. Da nur wenige der zu untersuchenden Zeitungen und Zeitschriften als mit Stichwortregistern erschlossene Faksimiledrucke vorliegen, war die Materialsichtung mit einem erheblichen zeitlichen Aufwand verbunden. Die systematische Untersuchung von 19 Exilperiodika hätte den Rahmen des Machbaren gesprengt. Deshalb wurde zunächst ein gutes Drittel der Periodika im Hinblick auf Publikationen zum Thema Homosexualität durchsucht. Einbezogen in diese erste Sichtung des Materials waren Der Gegen-Angriff, der Neue Vorwärts, Sozialistische Warte und Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie, sowie Die Neue Weltbühne, Die Sammlung und Das Neue Tage-Buch. In einer zweiten Phase wurden die anderen Exilperiodika im Hinblick auf die sich abzeichnenden thematischen und zeitlichen Schwerpunkte, stichprobenartig aber auch darüber hinaus untersucht. Als hilfreich bei der Eruierung Homosexualität thematisierender Publikationen erwies sich schließlich die Überprüfung weiterer Veröffentlichungen jener Autoren, die sich in bereits in den ersten beiden Phasen der Untersuchung entdeckten Artikeln und Aufsätzen zum Thema geäußert hatten. Für die Darstellung des Quellenmaterials wurde eine Mischung aus chronologischer und themenzentrierter Ordnung gewählt. So bietet die chronologische Darstellung den Vorteil, Entwicklungslinien und -brüche im Entstehungs- und Etablierungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes besser deutlich machen zu können, als etwa bei einer inhaltlich an bestimmten Charakteriska dieses Homosexuellenbildes orientierten Darstellung. Gleichzeitig ergibt sich aus ihr der Nachteil, daß sich bestimmte Aspekte der stereotypisierten Vorstellungen in der Darstellung wiederholen; ein Negativum, das beim Leser hoffentlich keine Ermüdungserscheinungen auslösen wird. Um die Gefahr derartiger Auswirkungen zumindest zu reduzieren, wurde die chronologische Darstellung mittels signifikanter Fixpunkte thematisch gebündelt. Auch auf die Gefahr hin, die Ebenen zwischen zeitgenössischer Wirklichkeitskonstruktion in der Exilpresse und dem heutigen, auf zeitgeschichtlichen Untersuchungen basierenden Erkenntnisstand zu verwischen, wurde die Darstellung der Wirklichkeitsrezeption signifikanter historischer Ereignisse mit dem heutigen Forschungsstand konfrontiert. Damit sollte nicht nur der Konstruktionscharakter gesellschaftlicher Wahrnehmungsprozesse verdeutlicht werden. Auch die angemahnte Überprüfung der Paradigmen des Exildiskurses auf ihre Realitätstauglichkeit für den aktuellen Forschungsstand (vgl. Kapitel 1.1.2) ließ sich nur so bewerkstelligen, denn die "Axiome, die einen Kontext begründen, sind nicht innerhalb dieses Kontextes überprüfbar, sondern nur in anderen Sinnzusammenhängen" (Stenger/Geißlinger 1991: 268). Überdies jedoch ist für die Frage nach dem Realitätscharakter der Konstruktion eines Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus für Autoren wie Rezipienten der deutschen Exilpresse entscheidend, an welchen Punkten die Berichterstattung den aus heutiger Sicht damals realen Verhältnissen hätte näher kommen können.

25 25 Zu untersuchen war also auch, welche Informationen im Untersuchungszeitraum potentiell zugänglich waren, und warum auf sie gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zurückgegriffen wurde. Auch aus diesem Grund erschien eine Konfrontation mit dem heutigen Kenntnisstand erforderlich. Im vierten Teil der Untersuchung wurde schließlich die soziologische Analyse des empirischen Materials vorgenommen. Zunächst wurde unter Berücksichtigung der in Kapitel untersuchten Möglichkeiten der Evidenzherstellung die Herstellung von Evidenz im Prozeß der Entstehung des stereotypisierten Homosexuellenbildes analysiert. Da diese Analyse jedoch nicht geeignet war, die Intensitätsunterschiede der Evidenz zu beleuchten, die bei Autoren und Rezipienten im Rahmen des Entstehungsprozesses des Stereotyps entstanden sein konnten, wurden diese in einem zweiten Schritt untersucht. Zu diesem Zweck wurde die publizistische Verarbeitung der seit Ende 1934 ins Exil dringenden Meldungen über Homosexuellenverhaftungen in Anlehnung an Leon Festingers "Theorie der kognitiven Dissonanz" untersucht. Schließlich wurde in einem dritten Schritt dargestellt, welche Rolle die Exilperiodika je nach politischer Ausrichtung im Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes spielten, und wie sich die entstandenen Intensitätsunterschiede der Evidenz zuordnen und erklären lassen. Besondere Berücksichtigung mußte hier auch die Rolle der homosexuellen Autoren finden. Abschließend noch einige Bemerkungen zur Zitierweise. Zitiert wurde grundsätzlich buchstabengetreu. Auf eine Berichtigung von Rechtschreibfehlern wurde verzichtet. Absätze wurden hingegen nicht übernommen. Im Original gesperrt gedruckte Wörter wurden durch Unterstreichen gekennzeichnet. Alle Zitate wurden mit dem Namen des Autors (soweit nicht bekannt mit dem Titel der Zeitung, der Zeitschrift oder des Buches), mit dem Erscheinungsjahr der Publikation, bei Zitaten aus Zeitschriften und Büchern darüber hinaus mit Seitenangaben belegt.

26 26 (c) Alexander Zinn

27 27 2 Die deutsche Homosexuellenemanzipation im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts In Deutschland fanden seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend Theorien Verbreitung, die Homosexualität aus dem bislang gängigen Kontext Kriminalisierung, teilweise aber auch schon aus dem 'moderneren' Kontext Medikalisierung zu lösen suchten. Im Mittelpunkt dieser Homosexualitätskonzeptionen stand meist der Versuch, Ursachen des homosexuellen Verhaltens zu ergründen. Entgegen der weitverbreiteten Tendenz zu pathologisierenden, entstanden vereinzelt bereits solche Erklärungsansätze, die die Ursache homosexuellen Verhaltens in einer konstitutionell bisexuellen Veranlagung des Menschen suchten. In Anlehnung an insbesondere diese theoretischen Konzeptualisierungen erwuchs im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts, einhergehend mit einer zu dieser Zeit im internationalen Vergleich unverhältnismäßig starken Thematisierung homosexuellen Verhaltens, die erste Emanzipationsbewegung Homosexueller in Deutschland. 2.1 Die homosexuelle Emanzipationsbewegung und ihre theoretischen Konzepte bis 1918 Am 15. Mai 1897 gründete Magnus Hirschfeld 3 zusammen mit dem Verleger Max Spohr, dem Eisenbahnbeamten Eduard Oberg und dem Schriftsteller Franz Josef von Bülow das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), die Bürgerrechtsorganisation, die die Entwicklung der ersten deutschen Schwulenbewegung in den nächsten dreißig Jahren entscheidend beeinflussen sollte. Obwohl man davon ausgehen muß, daß ein Großteil der auf dem Höchststand 1907 etwa 500 vorwiegend männlichen (Herzer 1992b: 66f.) WhK-Mitglieder homosexuell war, verstand sich das WhK nicht als eine Homosexuellenorganisation. Man hielt es für taktisch klüger, ein rein wissenschaftlich-humanitäres Interesse am Eintreten für die Gleichberechtigung der Homosexuellen zu bekunden. Gab es auch mehrmals Diskussionen über die Möglichkeit einer massenhaften Selbstdenunziation, so blieb die Strategie des Schweigens doch bis 3 Magnus Hirschfeld, geb in Kolberg/Pommern, schloß 1892 sein Medizinstudium ab. Seit 1896 unterhielt er eine Arztpraxis in Charlottenburg, seit 1899 gab er das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, seit 1908 die Zeitschrift für Sexualwissenschaft heraus gründete er in Berlin das Institut für Sexualwissenschaft, 1928 war er Mitbegründer der Weltliga für Sexualreform. Nach seinem Rücktritt vom WhK-Vorsitz 1929 trat Hirschfeld 1930 eine Weltreise an kehrte er nicht nach Deutschland zurück, sondern ging nach Paris, 1934 dann nach Nizza, wo er 1935 verstarb.

28 28 zur Auflösung des WhK im Jahre 1933 bestimmend. Charakteristisch für diese Haltung ist die Argumentation Kurt Hillers 4 in der Vorrede zu seinem 1922 erschienenen Buch " 175: die Schmach des Jahrhunderts!". Er werde das "Geheimnis" seiner Person nicht preisgeben, denn gesetzt er sei "so", würde er seine "Argumente dem (wenn auch sinnlosen) Vorwurf des 'Befangenseins'" aussetzen, gesetzt er sei es nicht und weise "beflissen den Verdacht, persönlich beteiligt zu sein, zurück, so gebe" er damit zu, daß ihm "der Verdacht peinlich wäre, und strafe" seine "Lehren Lügen" (Hiller 1973: 168). Obgleich sich das WhK als ein elitärer Zirkel und nicht als Organisationsbasis für die breite Masse der Homosexuellen begriff, beanspruchte es doch bis in die dreißiger Jahre einen Alleinvertretungsanspruch im Kampf für die Gleichberechtigung der Homosexuellen, dessen Hauptzielrichtung die Abschaffung des 175 RStGB 5 war. Letztere wurde seit 1897 wiederholt in einer Petition an Reichstag und Bundesrat eingefordert, die bis mehr oder minder prominente Zeitgenossen unterzeichnet hatten (Herzer 1992b: 58). Nach dem Mißerfolg der ersten Petition begann das WhK mit der Broschüre "Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen" (WhK 1902) eine Aufklärungskampagne, die sich nun auch an die breite Masse der Bevölkerung wendete. Argumentativ stützte sich das WhK dabei auf die Theorien Magnus Hirschfelds. Hirschfeld hatte eine Theorie der "sexuellen Zwischenstufen" entwickelt, die (zeitgemäß) stark biologistische Züge aufwies und auch die Homosexualität erklären sollte. So sollten nach Hirschfeld zwischen den beiden Polen des Mannes ohne weibliche und der Frau ohne männliche Eigenschaften unzählige Varietäten, die sogenannten Zwischenstufen, existieren. Zu diesen "intersexuellen Varianten" zählte er jedoch nicht nur die Homosexuellen, Hermaphroditen, Androgynen oder Transvestiten, sondern fast alle Menschen. Klassifizieren lassen sollten sich diese Zwischenstufen anhand der Beschaffenheit von Geschlechtsorganen, Haarwuchs, Brustwarzen, Skelett etc. Vermutlich um die heterosexuelle Mehrheit (im Sinne einer Strafrechtsreform) nicht in ihrem Selbstverständnis zu verunsichern, verzichtete Hirschfeld jedoch weitestgehend auf die Darlegung des Verbreitungsgrades der 4 Kurt Hiller, geb in Berlin, schloß 1907 sein Studium der Rechtswissenschaften mit der Dissertation Das Recht über sich selbst ab, in der er u. a. für die Abschaffung des 175 plädierte. Seit 1908 WhK-Mitglied, lebte Hiller als freier Schriftsteller in Berlin, publizierte u. a. in der Weltbühne. Im März 1933 verhaftet, war er bis April 1934 u. a. im KZ Oranienburg, im Sept emigrierte er nach Prag, 1938 nach London. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland 1955 lebte Hiller bis zu seinem Tod 1972 in Hamburg. 5 Die reichsweite Kriminalisierung männlicher Homosexualität als "widernatürliche Unzucht" war ein Ergebnis der Reichsgründung von Wurde die "Sodomiterei" in Preußen bereits seit 1794 mit Strafe bedroht, so war sie in vielen süddeutschen Ländern vor 1871 unter dem Einfluß des französischen Code pénal straffrei. Mit dem neuen Strafgesetzbuch des norddeutschen Bundes trat am der 175 in Kraft, der 1871 reichsweit übernommen wurde (vgl. Herzer 1990a).

29 29 "intersexuellen Varianten" (vgl. Herzer 1992b: 59-61). Wesentlich für die strafrechtliche Argumentation erschien ihm vielmehr die Betonung der Angeborenheit oder doch zumindest der konstitutionellen Verankerung der Homosexualität, die eine 'freie Entscheidung' verunmögliche. 6 Hirschfelds Theorie barg jedoch eine Menge Konfliktstoff, und dies nicht nur, weil sie über den Versuch der Etablierung eines "dritten Geschlechts" traditionellen Klischees von der Weiblichkeit des homosexuellen Mannes das Wort redete, sondern auch wegen ihrer unverkennbaren Tendenz zur Medikalisierung der Homosexualität. Waren sich die WhK-Mitglieder bezüglich der Zielsetzung einer Entkriminalisierung der Homosexualität auch einig, so zeigten sich, Hirschfelds Theorien und damit die politischen Strategien im Kampf gegen die Verfemung der Homosexualität betreffend, schon bald erhebliche Differenzen. Bereits im Jahre 1903 kam es zu einer Abspaltung vom WhK. Adolf Brand 7, seit 1896 Herausgeber der vom Gedankengut des Individualanarchisten Max Stirner stark beeinflußten ersten deutschsprachigen Schwulenzeitschrift Der Eigene, und Benedict Friedländer wollten sich mit Hirschfelds Vorstellungen von einem "dritten Geschlecht" nicht abfinden. Sie gingen vielmehr von der Bisexualität des Menschen aus und erkoren das Geschlechtsleben der griechischen Antike zu ihrem Ideal. Zudem widersprachen die dem männlichen Homosexuellen in Hirschfelds Zwischenstufentheorie zugeschriebenen 'weiblichen' Eigenschaften ihrem Männlichkeitsideal. Auch den 175 RStGB betreffend wollten sie nicht, so Friedländer 1907, "durch den wissenschaftlichen Nachweis einer angeblichen Anomalie das Mitleid der Regierung und der Volksvertreter" erwecken und "auf diese unmännliche Weise" seine Aufhebung erreichen (zitiert nach Baumgardt 1992a: 24). Deshalb gründeten sie die Gemeinschaft der Eigenen (GdE), die durch das Schaffen "aktueller Fälle" 8, einer Enttarnung prominenter Homosexueller, die Abschaffung des Paragraphen erzwingen wollte. Zum ersten (und letzten) Versuch kam es 1907, nachdem den Generälen Hohenau und Moltke sowie dem Botschafter Eulenburg in Maximilian Hardens Wochenschrift Die Zukunft Homosexualität unterstellt worden war. Kaiser Wilhelm II. entließ die 6 Bis heute wird in weiten Teilen der Bevölkerung eine mögliche 'Erlernbarkeit' der Homosexualität als erhebliches Bedrohungspotential empfunden und immer wieder als Argument gegen die volle Gleichberechtigung Homosexueller ins Feld geführt. Auch die moderne Schwulenbewegung trug dem immer wieder Rechnung, indem sie in politischen Auseinandersetzungen die Angeborenheit oder konstitutionelle Verankerung der Homosexualität betonte und damit die Ausgrenzung der Homosexualität als Sonderphänomen tradierte. 7 Adolf Brand, geb. 1874, Journalist und Schriftsteller, lebte bis zu seinem Tod 1945 in Berlin- Wilhelmshagen. 8 Diese Idee stammte angeblich von August Bebel, der das WhK aufgefordert haben soll, "die rein wissenschaftliche Methode seines Vorgehens aufzugeben und endlich aktuelle Fälle... zu schaffen, da sie allein den Reichstag zwingen könnten, endlich der Wahrheit die Ehre zu geben" (Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 23: 191. Zitiert nach Baumgardt 1992a: 21).

30 30 drei, und in den folgenden Beleidigungsprozessen wurde Magnus Hirschfeld als Gerichtssachverständiger in Sachen homosexueller Veranlagung herangezogen. Adolf Brand 'outete' daraufhin in einem Flugblatt Reichskanzler von Bülow als homosexuell und gab Hirschfeld als Quelle an. Brands Strategie scheiterte jedoch in jeglicher Hinsicht; während er zu einer achtzehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, sah die Presse in Magnus Hirschfeld und dem WhK den "Quell all der schmutzigen Verleumdungen der letzten Monate" (National-Zeitung, zitiert nach Herzer 1992b: 74) - das WhK verlor mehr als die Hälfte seiner Mitglieder. Die Gemeinschaft der Eigenen überließ daraufhin dem WhK das Feld der Politik und konzentrierte sich auf die Pflege 'männlicher Kultur'. Die Fixierung des WhK auf Hirschfelds Theorie provozierte jedoch immer wieder Protest. So trennte sich 1912 auch Hans Blüher 9 nach achtmonatiger Zusammenarbeit (Blüher 1914: 7) vom WhK, dessen "Dogmatismus" kritisierend, insbesondere bezüglich der "Lehre von der unbedingten Angeborenheit der Homosexualität" (Blüher 1914: 9). Blüher verwarf den "volkstümlichen Glauben an eine festgelegte sexuelle Veranlagung" und ging vielmehr, ähnlich wie Friedländer, von "der grundsätzlichen Bisexualität jedes Menschen" aus. So habe beim "sogenannten Heterosexuellen" die "Neigung zum andern Geschlecht die zum eignen bis auf einen kleinen Rest zurückgedrängt". Während jedoch in der "heterosexuellen Liebesrichtung die Tendenz zur Absonderung" liege, so Blüher, wirke "die invertierte Richtung stets sozialisierend". Unbewußte Homoerotik wie auch ausgelebte Homosexualität erklärte er nicht nur zum Bindeglied von Männerbünden wie dem Wandervogel, er betrachtete sie als "die Grundlage der Staatenbildung" (Blüher 1914: 85f.). Dabei unterschied er als die zwei Extremfälle einer stärkeren invertierten Veranlagung den 'Typus Inversus', den sogenannten Männerhelden, und den 'Typus Inversus Neuroticus', den Verdränger. Letzterer, so Blüher gestützt auf Freud, verdränge seine invertierte Sexualität, indem er sich eine "Unmenge von Ersatzbetätigungen" schaffe, die aber durchweg "mit dem Bilde des Mannes etwas zu tun" (Blüher 1962: 137) hätten. Von "dem sehr richtigen Argwohn", seine "Neigung könne doch etwas mit der gefürchteten 'Homosexualität' zu tun haben, beunruhigt" (Blüher 1914: 129), verfolge der Verdränger jede offene Andeutung der Homosexualität. Er werde zum Sittlichkeitsfanatiker, zum Verfolger des Männerhelden. Der Männerheld dagegen war für Blüher (1914: 127) der freie und selbstbewußte Invertierte, "der seinem invertierten Liebesleben die Betätigung" gönne und außerdem "die Höherzüchtung und die Weiterführung des sexuellen Triebes auf allgemeinere Ziele, die der übrigen Menschheit nützlich sind", betreibe (Blüher 1914: 127f.). Er sei der ideale Staatsmann und Erzieher von Knaben und jungen Männern. 9 Hans Blüher, geb. 1888, wirkte bis zu seinem Tod 1955 als Schriftsteller und Psychotherapeut in Berlin. Während des "Dritten Reiches" konnte er zwar unbehelligt praktizieren, insbesondere seine Bücher über Homosexualität allerdings wurden "wegen ihrer Gefährlichkeit angeprangert und schließlich von der Reichsschrifttumskammer beanstandet" (Herzer 1992a: 45).

31 31 Aufgrund ihrer "Heldenliebe" zu ihm könne er mit seinen "päderastischen Wünschen offen hervortreten, sie durchsetzen, aber nicht das mindeste dadurch an Autorität verlieren" (Blüher 1962: 212). Während Blüher es ablehnte, den "Männerhelden im Sinne einer Krankhaftigkeit zu deuten" (Blüher 1914: 73), schreckte er vor dieser Analyse bei einer dritten von ihm beschriebenen Kategorie "mannmännlicher Einstellung" (Blüher 1914: 12) nicht zurück. Zwar sei ein "gewisses Maß von stärkerer weiblicher Substanzbegabung beim Manne... unentbehrlich", jene "Männer in Frauenkleidern" aber, die häufig beim WhK erschienen, könne man nur vom "rein medizinischen, psychiatrischen oder formal-klassifikatorischen Standpunkte" aus betrachten. Diese "überstarke Begabung an weiblicher Substanz" interpretierte Blüher merkwürdig schwammig als "Rassenentartung", ohne im folgenden auf den Hinweis zu verzichten, daß "unsere größten Geister... schwer Entartete" seien. Diese ersten rassistischen Ansätze im Denken Blühers fanden in seinen späteren antisemitischen Werken ihre Fortentwicklung. 10 Neben der Angeborenheitshypothese kritisierte Blüher bei Hirschfeld auch dessen unreflektierte Adaption tradierter Geschlechtsrollenstereotype, die im Hinblick auf die Erklärung der Homosexualität in der These "von den weiblichen Gemütsqualitäten im männlichen Körper" ihren Ausdruck fände. Solange man nicht "in aller Schärfe definiert" habe, "was eigentlich 'Mann' und 'Weib' in psychischer Hinsicht bedeuten", müsse diese These als unwissenschaftlich abgelehnt werden (Blüher 1914: 74). Allerdings ließ Blüher selbst derartige Sensibilität in seiner Polemik gegen die "Männer in Frauenkleidern" vermissen. Blühers Theorie erregte schon bald nach Erscheinen seines ersten Buches zur Homosexualität im Jahre 1912, in dem er die "Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen" deutete, Aufsehen. Bereits 1914 erschien eine zweite Auflage und 1917 erschien das Buch "Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft" (Blüher 1962), in dem er seine These von der Bedeutung der mannmännlichen Erotik für die Staatenbildung fortentwickelte. Insbesondere viele Wandervogelführer fühlten sich durch Blühers Thesen provoziert. Der offensive Charakter seiner Theorie, die jedem Menschen, und insbesondere auch den "Verfolgern", homosexuelle Anteile zuschrieb, verursachte jedoch ein Echo nicht nur bei den 'angegriffenen' Wandervogelführern. Wenn auch die Rezeptionsgeschichte der 'Homosexualitätstheorie' Blühers weitgehend unerforscht ist, so gibt es doch einzelne Anhaltspunkte, die für einen hohen Verbreitungsgrad sprechen. So etwa, wie später noch zu zeigen sein wird, die häufige, meist 10 Vgl. z. B.: Die Erhebung Israels gegen die christlichen Güter (Blüher 1931). Noch in seinen Memoiren widmete sich Blüher (1953: ) der "Judenfrage", das antisemitische Pogrom als "das letzte und imponierendste Mittel, das dieses ewige Volk gegen seine Gastvölker geschmiedet hat", um sie "schuldig zu machen", interpretierend (Blüher 1953: 167). Den plötzlichen Wandel Blühers zum Antisemiten, Monarchisten und "Gefolgsmann der evangelischen Orthodoxie" terminierte Kurt Hiller (1969: 115) auf den "Frühherbst 1918".

32 32 allerdings äußerst selektive Bezugnahme auf Blühers Theorie in Exilzeitschriften. Doch nicht nur von späteren Antifaschisten wurde Blühers Theorie rezipiert, sondern auch von späteren Nationalsozialisten, etwa von Heinrich Himmler, aus dessen Tagebucheintragung vom hervorgeht, daß auch er "Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft" gelesen hatte. Wenn bei ihm auch Zweifel ob der Rolle der Erotik in Männergesellschaften aufkamen, so ließ er sich doch in seiner Ablehnung der Homosexualität nicht beirren: "Daß es eine männliche Gesellschaft geben muß, ist klar. Ob man es als Erotik bezeichnen kann, bezweifle ich. Auf jeden Fall ist die reine Päderastie eine Irrung einer degenerierten Individualität, die der Natur zuwidrig ist." (Zitiert nach Smith 1979: 156) Ein Charakteristikum der Interpretation der Blüherschen Theorie ist bis heute das ihrer Verdrehung. So behauptet beispielsweise Smith (1979: 155), nach Blüher sei "die körperliche Anziehungskraft unter Männern die natürliche Folge von männlicher Kameradschaft", und hat dabei offensichtlich diverse Verführungstheorien im Hinterkopf. Nicht aber die "körperliche Anziehungskraft" ist nach Blüher Folge von männlicher Gesellschaft, sondern ihre Umsetzung in Sexualität oder Verfolgungseifer. Auch die Frage, welchen Einfluß Blühers 'Homosexualitätstheorie' auf die homosexuelle Emanzipationsbewegung hatte, ist bislang unerforscht geblieben; von Historikern der Schwulenbewegung wurden die Einflüsse seines Werkes weitgehend ignoriert. 11 Daß sich jedoch auch Mitglieder des WhK von Blühers Frühwerk zur Homosexualität fasziniert zeigten, so Kurt Hiller (1969: 115), der es sogar in seinem Nachruf auf Hirschfeld (Hiller 1935d: 335) zu den Standardwerken über Homosexualität zählte, spricht für einen starken Einfluß Blühers nicht nur auf 'völkisch-reaktionäre' und nationalsozialistische Homosexuelle 12, die sich auch von den späteren antisemitischen Machwerken Blühers angesprochen fühlen konnten. 11 Die Konzentration der Geschichtsschreibung der ersten deutschen Schwulenbewegung auf die als 'fortschrittlich' empfundenen Kräfte WhK und Institut für Sexualwissenschaft ist auffällig, die Befürchtung, daß hier ein apologetisches Zerrbild produziert wird, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. 12 So warf 1932 ein anonym bleibender schwuler SA-Mann dem WhK vor, den "Degout der Masse durch peinliche Sexualvorstellungen wachgerufen" zu haben. Hätte man dagegen, "von Hans Blüher geführt", den "Kampf der Aufklärung erst gegen die Verfemung gerichtet", so wäre die Strafgesetzreform "nebenbei erledigt worden" (WhK 1985: 341).

33 Die Homosexuellenbewegung in der Weimarer Republik Mit der Ausrufung der Republik im November 1918 stiegen die Hoffnungen der Schwulen und Lesben, daß sich auch für sie nun Grundlegendes ändern würde. Die neue Zeit bringe "Freiheit in Wort und Schrift und, mit der Befreiung aller bisher Unterdrückten, wie wir mit Sicherheit annehmen dürfen, auch eine gerechte Beurteilung derjenigen, denen unsere langjährige Arbeit gilt", erklärte Magnus Hischfeld Ende 1918 hoffnungsfroh in seinem Neujahrsgruß an Mitglieder und Förderer des WhK (zitiert nach Baumgardt 1992b: 31). Die erste Enttäuschung jedoch ließ nicht lange auf sich warten. Am 24. Mai 1919 fand im Berliner Apollo-Theater die Uraufführung von Richard Oswalds Spielfilm "Anders als die Anderen" statt, des ersten Filmes überhaupt, der Homosexualität offen thematisierte. Richard Oswald entwarf hier unter Mitwirkung Hirschfelds ein Drama, in dem ein Homosexueller durch Erpressung und folgende Verurteilung nach 175 RStGB in den Selbstmord getrieben wurde. Der Film rief einen Sturm der Entrüstung hervor; in München und Stuttgart wurde seine Vorführung von der Polizei verboten fiel der Film endgültig der wiedereingeführten Zensur zum Opfer (Theis 1992: 28). Dennoch gab die 'neue Zeit' der Emanzipationsbewegung der Homosexuellen erheblichen Auftrieb. In mehreren Großstädten bildeten sich noch 1919 "Freundschaftsvereine", aus denen 1920 der Deutsche Freundschaftsverband (DFV) hervorging. Seit dem zweiten Verbandstag 1922 in Hamburg nannte sich der DFV Bund für Menschenrecht e. V. (BfM), zu dessen Vorsitzendem der Verleger Friedrich Radszuweit 13 gewählt wurde (Baumgardt 1985: 178f.). Er gab zusammen mit seinem Adoptivsohn Martin Butzko-Radszuweit verschiedene Zeitungen und Zeitschriften für homosexuelle Frauen und Männer heraus, die teilweise, wie die "Insel" 1930, Rekordauflagen von Exemplaren erreichten (Stümke/Finkler 1981: 28). Mit zeitweilig angeblich Mitgliedern wurde der BfM schnell zur schwul-lesbischen 'Massenorganisation' der zwanziger Jahre, nicht zuletzt, weil sich seine Aktivitäten auf die Ausrichtung geselliger Veranstaltungen konzentrierten. In politischen Fragen, so etwa im Kampf gegen den 175 RStGB, zeigte sich der BfM wesentlich 'kompromißbereiter' als das WhK; eine Kriminalisierung homosexueller Kontakte zu unter 18jährigen, wie der homosexuellen Prostitution, war der BfM zugunsten der Abschaffung des alten Paragraphen in Kauf zu nehmen bereit (Eissler 1980: 35f.). Adolf Brands Gemeinschaft der Eigenen (GdE) scheint in den zwanziger Jahren ebenfalls nicht unter mangelnder Beliebtheit gelitten zu haben, wenn sie mit ihrer elitären Konzeption auch in erster Linie Künstler ansprach. Zu ihren 13 Friedrich Radszuweit, geb. 1876, gründete nach dem ersten Weltkrieg in Berlin den Friedrich-Radszuweit-Verlag, der sich bald zum größten 'Homosexuellen-Verlag' der Weimarer Republik entwickelte verstarb er in Berlin.

34 34 Mitarbeitern gehörten u. a. die Schriftsteller Hans Siemsen 14 (Jellonnek 1990: 39, Anm. 9) und Ludwig Renn 15 (Herzer 1992a: 44). Auch Erich Mühsam 16 scheint der GdE nahe gestanden zu haben, zumindest publizierte er 1922 in Brands Zeitschrift Der Eigene ein Liebesgedicht (vgl. Herzer 1992a: 45). Genaues über die Mitgliederstärke der GdE ist nicht bekannt (Stümke/Finkler 1981: 28), Jellonnek (1990: 41) schätzt sie auf "deutlich weniger als ". Das WhK dagegen geriet in den zwanziger Jahren in zunehmende Isolation von der Homosexuellenbewegung, auch deswegen, weil es seiner Politik, in erster Linie prominente Wissenschaftler und Intellektuelle als 'Aushängeschilder' für sich zu gewinnen, treu blieb. So wurden beispielsweise das KPD-Mitglied Richard Linsert 17 oder der Schriftsteller Bruno Vogel 18 als Mitarbeiter geworben, aber auch Heterosexuelle wie der Rechtsanwalt Felix Halle 19. Der 1923 unternommene Versuch, über die Gründung eines "Aktionskomitees" die Aktivitäten der Homosexuellenorganisationen WhK, BfM und GdE zu koordinieren, wobei dem WhK der wissenschaftliche Kampf, den anderen beiden die allgemeine Aufklärungsarbeit zugeteilt wurde, scheiterte schnell an persönlichen und inhaltlichen Auseinandersetzungen (vgl. Jellonnek 1990: 41). Neben der 14 Hans Siemsen, geb. 1891, arbeitete als Journalist u. a. für das Berliner Tageblatt und veröffentlichte mehrere homoerotische Bücher emigrierte er nach Frankreich, wo er unter anderem an Willi Münzenbergs Zeitung Die Zukunft mitarbeitete, später in die USA kehrte er nach Deutschland zurück, 1969 verstarb er in Essen. 15 Ludwig Renn, geb. 1889, trat 1928 in die KPD ein und schrieb unter anderem für die Rote Fahne verhaftet, gelang ihm nach seiner Entlassung 1936 die Flucht in die Schweiz. Dort veröffentlichte er seinen einzigen Homosexualität thematisierenden Roman "Vor großen Wandlungen" (Renn 1989). Nach seiner Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg emigrierte Renn 1939 nach Mexiko kehrte er nach Deutschland zurück und lebte bis zu seinem Tod 1979 als Schriftsteller in Berlin (Ost). 16 Erich Mühsam, geb. 1878, anarchistischer Schriftsteller, veröffentlichte 1904 die Broschüre Die Homosexualität (Herzer 1992a: 45) gehörte er der Münchner Räteregierung an wurde Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg ermordet. 17 Richard Linsert, geb. 1899, veröffentlichte 1931 das "sexualsoziologische Nachschlagewerk" (Hiller 1969: 221) "Kabale und Liebe". Im Februar 1933 verstarb Linsert an den Folgen einer Lungenentzündung. 18 Bruno Vogel, geb. 1898, nach dem ersten Weltkrieg Mitbegründer der Gemeinschaft Wir, die in Leipzig im Sinne des WhK wirken wollte. Vogel lebte als Journalist und Schriftsteller in Leipzig, später in Berlin, wo er 1929 zum 3. Beisitzer im WhK-Vorstand gewählt wurde ging Vogel nach Wien, 1933 emigrierte er über die Schweiz und Frankreich nach Norwegen, 1937 schließlich nach Südafrika. Seit 1952 lebte Vogel in London (Vogel 1977: ). 19 Felix Halle, geb. 1884, studierte Jura, war nach dem 1. Weltkrieg kurzfristig Professor in Berlin, ab 1922 jurist. Hauptberater der KPD, ab 1927 im ZK. Seit Feb mehrere Monate in Haft, emigierte Halle nach seiner Entlassung nach Frankreich, 1937 in die Sowjetunion, wo er im Zuge der stalinistischen "Säuberungen" verhaftet wurde und seither verschollen ist.

35 35 Frage, wer das Recht habe, für die deutsche Homosexuellenbewegung zu sprechen, entwickelte sich Hirschfelds Theorie des "dritten Geschlechts" zum Hauptstreitpunkt zwischen dem WhK und den anderen Homosexuellenorganisationen. War die GdE bereits 1902 in bewußter Absetzung von Hirschfelds Gedanken gegründet worden, so bezog nun auch der BfM, an der konstitutionellen Verankerung der Homosexualität festhaltend, gegen Hirschfelds Vorstellungen vom männlichen Homosexuellen mit weiblichen Eigenschaften Stellung. Die Position des BfM ging jedoch über eine Kritik an der Zuschreibung weiblicher Eigenschaften weit hinaus, verriet sie doch deutliche Ressentiments gegen "alle 'Feminierlichen', die sich auf der Straße und in Gesellschaft so absonderlich gebärden" und damit "die homosexuelle Bewegung... in Gefahr bringen" (Blätter für Menschenrechte: Mai 1926; zitiert nach Stümke/Finkler 1981: 31) würden. Daß zumindest die popularisierte Variante der Hirschfeldschen Theorie tradierte Klischees von der Weiblich- und Weichlichkeit der Schwulen bestätigte, führte dazu, daß sich nach dem Rücktritt Hirschfelds vom WhK-Vorsitz 20 Ende 1929 zunehmend auch das WhK, nun unter der Leitung von Otto Juliusburger, 21 von der Zwischenstufentheorie distanzierte. So kritisierte etwa Kurt Hiller (1932: 346), die "ständige Verbindung des homoerotischen Phänomens mit Effeminationserscheinungen" habe "der Aufklärungs- und Befreiungsaktion für die mann-männliche Liebe nicht genützt, sondern geschadet". Auch im Sinne der strafrechtlichen Argumentation hielt man Hirschfelds Strategie der Betonung der Angeborenheit der Homosexualität nicht länger für notwendig. So meinte etwa der ehemalige Mitarbeiter Hirschfelds am Institut für Sexualwissenschaft (IfS), Arthur Kronfeld 22 (1929: 226f.), die "Nichtstrafwürdigkeit homosexueller Handlungen" folge "grundsätzlich aus rechtstheoretischen Erwägungen", unabhängig von der Frage der "Existenz einer 'homosexuellen Konstitution'". Die eigentliche Problematik der Zwischenstufentheorie bestand allerdings weniger in ihrem Gehalt, denn in ihrer Mißverständlichkeit, wie es Kurt 20 Dieser Rücktritt fand seinen unmittelbaren Anlaß in verschiedenen Vorwürfen Richard Linserts, so etwa, Hirschfeld habe Gelder des WhK veruntreut, es 1926 gar aus dem Vereinsregister löschen lassen (vgl. Pfäfflin 1985: XI). 21 Otto Juliusburger, geb. 1867, lebte als frei praktizierender Psychiater in Berlin wollte er in die USA emigrieren, verstarb laut Neuer Deutscher Biographie (1974: 658) aber angeblich auf dem Weg "nach New York". Laut Maas (1978: 400) hat er dagegen zwischen 1944 und 1948 realtiv regelmäßig in der New Yorker Neuen Volks-Zeitung publiziert. 22 Arthur Kronfeld, 1919 bis 1926 Leiter der neurologischen Abteilung am IfS, verließ Deutschland Ende 1932, um an der Moskauer Universität eine Professur zu übernehmen wurde ihm laut "Internationalem Ärztlichen Bulletin" (1935: 41) seine außerordentliche Professur an der Berliner Universität entzogen, 1942 beging er in Moskau angeblich Selbstmord. J. R. Becher behauptete nach 1945 gegenüber Kurt Hiller (1969: 114), Kronfeld habe sich "aus Angst vor Hitler" umgebracht. Hiller glaubt demgegenüber, Kronfeld sei ermordet worden oder habe sich aus "Angst vor Stalin" umgebracht.

36 36 Hiller (1935c: 335) in seinem Nachruf auf Magnus Hirschfeld andeutete: Entgegen weitverbreiteter Auffassung müsse nach Hirschfeld "weder ein Effeminierter homosexuell sein", noch "ein Homosexueller effeminiert. Es gibt sowohl Weiblinge, die durchaus nur Frauen lieben, wie mannliebende Männer von äußerster Virilität. Die Natur spielt eben alle überhaupt möglichen Permutationen durch". Obwohl von seiten der homosexuellen Emanzipationsbewegung zunehmend angegriffen, kam Magnus Hirschfeld mit seinen Theorien in den zwanziger Jahren zu internationaler Popularität. Bereits 1919 hatte er in Berlin das Institut für Sexualwissenschaft und damit einen institutionellen Rahmen für die Fortentwicklung seiner Theorien begründet. Regelmäßige Vorträge, Kurse und Beratungen über sexuelle Probleme gehörten ebenso zur Arbeit des Instituts, wie der Versuch einer internationalen Vernetzung der Sexualwissenschaft. Das IfS war international bald so bekannt, daß unter Berufung auf seine Forschungsergebnisse die Sexualstrafgesetze der Sowjetunion, Norwegens und der Tschechoslowakei gelockert wurden (vgl. Baumgardt 1992b: 32) veranstaltete das IfS die "1. Internationale Tagung für Sexualreform auf wissenschaftlicher Grundlage", auf einem weiteren Kongreß in Kopenhagen wurde 1928 die Weltliga für Sexualreform (WLSR) 23 gegründet und Magnus Hirschfeld zu einem ihrer Präsidenten gewählt. Auch innenpolitisch engagierte sich das IfS vor allem für eine Liberalisierung des Sexualstrafrechts, so zum Beispiel im Kartell zur Reform des Sexualstrafrechts (KRS). Die Gründung des KRS im Jahre 1925 war eine Reaktion auf die Veröffentlichung eines amtlichen Entwurfs für eine Strafrechtsreform (E 1925), der u. a. eine deutliche Verschärfung des 175 RStGB vorsah. Richard Linsert führte im KRS jene Organisationen zusammen, die ein Interesse an einer liberalen Gestaltung des Sexualstrafrechts hatten, unter ihnen beispielsweise der von Helene Stöcker geleitete Bund für Mutterschutz, aber auch das WhK und der BfM. Im Auftrag des KRS erarbeitete Kurt Hiller unter Mitarbeit von Felix Halle und Arthur Kronfeld einen Gegenentwurf für ein liberales Sexualstrafrecht, der noch vor dem amtlichen Entwurf (1927) den Reichstagsabgeordneten und der Presse zugeleitet wurde. Einen Höhepunkt erreichte die Aufklärungsarbeit des KRS im Herbst 1928, als WhK und IfS "maßgebliche Persönlichkeiten des Reichsjustizministeriums" empfingen, um diesen Gelegenheit zu geben, "persönlich Homosexuelle im Institut für Sexualwissenschaft kennen zu lernen". Am wurde darüber hinaus eine Delegation "einer der großen Reichstagsparteien" empfangen (WhK 1985: 145). Am 16. und kam es im Strafrechtsausschuß des Reichstages zur entscheidenden Verhandlung, in deren Verlauf die Einführung des mit dem alten 175 RStGB vergleichbaren 296 des amtlichen Entwurfs mit denkbar knapper Mehrheit von 15 gegen 13 Stimmen abgelehnt wurde; damit sah das neue Strafgesetzbuch eine Kriminalisierung der 23 Zur Geschichte der WLSR vergleiche Hertoft (1988) und Dose (1993).

37 37 "Unzucht" zwischen zwei erwachsenen Männern nicht mehr vor. Ausschlaggebend für den Erfolg im Strafrechtsausschuß war neben den Stimmen von DDP, SPD und KPD die des Vorsitzenden, des DVP-Abgeordneten Wilhelm Kahl gewesen. Während laut Kurt Hiller (1973: 102) Richard Linsert im Vorfeld der Abstimmung die Vertreter der KPD "bearbeitete" und auf die Linie des WhK brachte, verhandelte Hirschfeld mit "Maßgebenden der Sozialdemokratie (welche ebenfalls wenig Ahnung hatten) und mit dem Ausschußpräsidenten Kahl". Die Sozialdemokraten allerdings verhalfen dem neuen 297, der erstmals nicht nur "beischlafähnliche Handlungen" sondern "harmlose und harmloseste homosexuelle Liebesbetätigungen (sogar leidenschaftliche Küsse)" (WhK 1985: 207) mit Jugendlichen sowie die homosexuelle Prostitution kriminalisieren sollte, zu einer Mehrheit im Ausschuß. Im März 1930 wurde dann sogar im Interparlamentarischen Ausschuß für die Rechtsangleichung des Strafrechts mit Österreich mit 23 gegen 21 Stimmen beschlossen, den 296 doch einzuführen. Zu einer Abstimmung im Reichstagsplenum kam es in Folge von Wirtschaftskrise und Notverordnungskabinetten nicht, der alte 175 RStGB blieb bis zu seiner Verschärfung 1935 unverändert bestehen. 2.3 Zu Homosexuellenbild und -politik der Parteien Im folgenden sollen Homosexuellenbild und -politik der wichtigsten Parteien der Weimarer Republik in ihren Grundzügen dargestellt werden. Wegen ihrer besonderen Bedeutung für die spätere Thematisierung von Homosexualität in Exilpublikationen muß den sehr widersprüchlichen Positionen der Arbeiterparteien SPD und KPD besondere Aufmerksamkeit zukommen Die Haltung der SPD bis 1918 Die Position der Sozialdemokratie zur Homosexualität war während des Kaiserreichs von Widersprüchlichkeit gekennzeichnet. So unterstützte die SPD die Forderungen nach Entkriminalisierung der männlichen Homosexualität, ohne ihre Ablehnung derselben als "Laster" oder "Krankheit" in Frage zu stellen. Zwar hatte bereits 1895 Eduard Bernstein in der Neuen Zeit (zitiert nach Eissler 1980: 40) im Rahmen eines Plädoyers für die Abschaffung des 175 RStGB den strafrechtlichen Begriff des "Widernatürlichen" in Frage gestellt und durch "das Wort widernormal" ersetzt, um zudem die historische und kulturelle Relativität des "Normalen" zu betonen. Aber schon bei ihm blieb diese einer marxistischen Analyse naheliegende Erkenntnis rudimentär; zur Beurteilung der Homosexualität adaptierte er schließlich doch Begriffe der Sexualpathologie (vgl. Eissler 1980: 41) unterstützte die SPD gleich die erste Petition des WhK zur Abschaf-

38 38 fung des 175 RStGB. August Bebel begründete die Forderung im Petitionsausschuß (1898) mit der Ungleichbehandlung der Geschlechter, 1907 anläßlich der Eulenburg/Harden-Affäre (vgl. auch Kapitel 2.1) auch mit einer klassenmäßig ungleichen Rechtspraxis, die die Herren der Hofgesellschaft im Gegensatz zu den Angehörigen der Arbeiterschaft ungeschoren lasse. Zudem prägte Bebel die wohl taktisch motivierte (bereits bei Bernstein erkennbare) Aufteilung der Homosexuellen in die "Besseren, so Veranlagten, und die 'Schlimmeren', die ihre Homosexualität erworben hätten" (Eissler 1980: 37f.). Auf der Basis dieser Kategorisierung meinte die SPD offensichtlich aus dem Homosexualitätsvorwurf gegenüber der 'herrschenden Klasse' politisches Kapital schlagen zu können, ohne ihre Forderung nach Abschaffung des 175 RStGB aufgeben zu müssen. Bereits bei der "Krupp-Affäre" 1902 kristallisierte sich eine solche Haltung heraus, als der Industrielle Alfred Krupp 24 vom Vorwärts (zitiert nach Eissler 1980: 44) des homosexuellen Verkehrs beschuldigt wurde, nicht nur, um hier "ein kapitalistisches Kulturbild krassester Färbung" darzustellen, sondern angeblich auch, um "endlich jenen 175 aus dem deutschen Strafgesetzbuch zu entfernen". Bei der Harden/Eulenburg-Affäre interpretierte der Vorwärts (zitiert nach Eissler 1980: 46) die Homosexualität in Hofkreisen dann nicht nur als "erworbene" und deswegen lasterhafte, sondern zudem als "Produkt des Verfalls" der "herrschenden Klasse". Der mit dieser Affäre einhergehenden homophoben Hysterie paßte sich die Sozialdemokratie an, indem sie ihre Forderung nach Streichung des 175 RStGB nicht mehr thematisierte. Das Verhältnis der SPD zur Homosexualität war während des Kaiserreiches ein machtstrategisches; die Forderung nach Entkriminalisierung der Homosexualität war nicht gefestigt genug, um nicht in 'Krisensituationen' geopfert zu werden Die Haltung der SPD nach 1918 Auch in den zwanziger Jahren war die Haltung der SPD zur Homosexualität von Inkonsequenz gekennzeichnet. Obwohl mehrmals an der Regierung beteiligt, ergriff sie nie die Initiative zur Abschaffung des 175 RStGB. Erst während der Beratungen über einen regierungsamtlichen Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch, der eine Verschärfung der Strafandrohung für homosexuellen Verkehr vorsah, bezog die SPD zugunsten einer Entkriminalisierung des einfachen homosexuellen Verkehrs Stellung, nicht ohne allerdings für erhebliche Strafverschärfungen für den homosexuellen Verkehr mit Jugendlichen zu stimmen (vgl. Kapitel 2.2). Die Begründungen für die Entkriminalisierung der einfachen Homosexualität stützten sich in den zwanziger Jahren jedoch kaum noch auf die von Bebel angeführte Ungleichbehandlung der Geschlechter und der Klassen. 24 Eine Woche später wurde Krupp tot aufgefunden; wahrscheinlich beging er Selbstmord.

39 39 Vielmehr wurden nun, neben dem grundsätzlichen rechtsphilosophischen Gedanken, daß, solange keine Rechte Dritter verletzt seien, der Staat die Freiheit des einzelnen nicht einschränken dürfe, immer wieder Argumente angeführt, die Ressentiments gegenüber der Homosexualität verdeutlichten. So etwa das 'pragmatische' Argument, die Homosexualität könne durch Strafgesetze nicht "ausgerottet" (vgl. Eissler 1980: 58) werden, das das Fortbestehen des Wunsches nach ihrer Ausrottung zum Ausdruck brachte. Meist wurde allerdings die von breiten Strömungen der Sexualwissenschaft übernommene Klassifizierung der Homosexualität als krankhaft benutzt, um ihre Bekämpfung als Aufgabe der Medizin und nicht der Justiz zu deklarieren. Die Adaption der sexualwissenschaftlichen Theorien blieb dabei oft oberflächlich, widersprüchlich und von Ressentiments durchsetzt (Eissler 1980: 74). So wurde mitunter auch Hirschfelds Zwischenstufentheorie im Sinne einer Krankhaftigkeit der Homosexualität interpretiert (vgl. Moses, zitiert bei Eissler 1980: 75). Wenn auch die noch im Kaiserreich vorherrschende Spaltung der Homosexualität in krankhafte und lasterhafte zugunsten einer unterstellten Krankhaftigkeit an Bedeutung verlor, so wurde doch die Vorstellung der Erlernbarkeit noch ab und an vertreten. Die Interpretation dieser 'erworbenen' Homosexualität als Verfallserscheinung der 'herrschenden Klasse' spielte in den zwanziger Jahren allerdings keine Rolle mehr (Eissler 1980: 80); nicht zuletzt wohl deswegen, weil zu dieser 'herrschenden Klasse' inzwischen auch Sozialdemokraten gehörten Die Haltung der KPD Die 1918 gegründete KPD übertraf die SPD noch in der Widersprüchlichkeit ihrer Haltung zur Homosexualität. Da mit Richard Linsert und Felix Halle, dem juristischen Experten der Partei, zwei WhK-Mitglieder in der KPD entscheidenden Einfluß nehmen konnten, stimmte ihre offizielle Position weitgehend mit den Forderungen und Auffassungen der sexualreformerischen Bewegung überein. Dennoch bestanden unterschwellig erhebliche Ressentiments, die sich, verquickt mit revolutionärer Ideologie, immer wieder Bahn brachen. Rechtlich forderte die KPD die völlige Gleichberechtigung des homosexuellen Verkehrs mit dem heterosexuellen, bei einem gemeinsamen Schutzalter von 16 Jahren (Eissler 1980: 71). Diese Haltung wurde mit Hirschfelds Theorie gestützt. Insbesondere wandten sich die KPD-Abgeordneten bei den Beratungen im Strafrechtsausschuß des Reichstages gegen die (vor allem von Zentrum und DNVP vertretene) These einer Verführbarkeit zu einem homosexuellen Triebleben; allenfalls sei eine Verführung zu einzelnen homosexuellen Handlungen vorstellbar (Eissler 1980: 82). Die meisten angeführten Argumente für die Abschaffung des 175 RStGB blieben jedoch auffallend dürftig. So wies der Abgeordnete Maslowski auf die Ungleichbehandlung der Geschlechter wie auch der "Triebabartungen" hin: entweder müßten beide Geschlechter und alle

40 40 "Abartungen, wie die Onanie" bestraft werden, oder sie müßten eben alle straflos sein (zitiert nach Eissler 1980: 65). Zeigte sich hier 'nur' eine gewisse Indifferenz, so deutete sich eine mögliche Grenze der kommunistischen Toleranz an, als der Abgeordnete Ewers (zitiert nach Eissler 1980: 64) dem "heutigen Staat der Bourgeoisie" (sic!) das Recht absprach, "Eingriffe in die Betätigung erwachsener Menschen auf sexuellem Gebiete vorzunehmen". Bei böswilliger Interpretation ließ sich schon hier herauslesen, daß einer "Diktatur des Proletariates" sehr wohl das Recht zu Eingriffen in die Betätigung auf sexuellem Gebiet zuzugestehen sei; ein 'Recht', das sich die Sowjetunion 1934, von den inzwischen emigrierten deutschen Kommunisten ohne ein Wort der Kritik hingenommen, mit der Kriminalisierung der Homosexualität nahm (vgl. Kapitel 3.4.2). Die offizielle Linie der Partei deckte sich zudem wenig mit der Bewertung der Homosexualität, die in der kommunistischen Presse vorgenommen wurde. Berichtete diese auch manchmal wohlwollend über die Aktivitäten von WhK und IfS (Eissler 1980: 51), so galt ihr Homosexualität doch meist, so etwa der Roten Fahne vom (zitiert nach Eissler 1980: 62), als "unproletarisch" und "Entartungserscheinung", wenn nicht gar als Perversität, "die die Zeit des Verfalls mit sich bringt und die sich die Bourgeoisie als Monopol sichert" (zitiert nach Eissler 1980: 84). Solche Charakterisierungen waren nicht nur geeignet, mittels des Homosexualitätsvorwurfes den politischen Gegner zu disqualifizieren, wie etwa im Fall des homosexuellen Massenmörders und Spitzels der politischen Polizei Haarmann (vgl. Eissler 1980: ), sie zeigten vielmehr auch an, daß es in einer künftigen kommunistischen Gesellschaft keinen Platz für Homosexualität gebe. Eine von solch revolutionären Ressentiments freie, womöglich gar eine Gleichwertigkeit mit der Heterosexualität betonende Darstellung der Homosexualität, blieb, von den Werken Linserts und Halles abgesehen, selten Die Haltung der bürgerlichen und konservativen Parteien Ähnlich wie die Arbeiterparteien SPD und KPD, ließen die bürgerlichen und konservativen Parteien an ihrer Ablehnung der Homosexualität keinen Zweifel; wünschenswert erschien ihnen vielmehr, dieses Phänomen, wenn nur irgend möglich, zum Verschwinden zu bringen. Über Sinn und Nutzen der Kriminalisierung homosexuellen Verhaltens gingen die Meinungen allerdings auseinander, wie die Beratungen des Strafrechtsausschusses des Reichstages 1929 zeigten. Die einzige bürgerliche Partei, die hier eine liberalere Position einnahm, war die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP). Sie trat für eine Abschaffung des 175 RStGB ein und entsprechend stimmten ihre Vertreter bei der Abstimmung im Strafrechtsausschuß gegen die Einführung des 296. Der Abgeordnete Ehlermann begründete dieses Stimmverhalten dahingehend, daß es dem Staat nicht zustehe, sich um die "im geheimen erfolgende sexuelle Betätigung des Menschen" (zitiert nach Eissler 1980: 54) zu kümmern.

41 41 Die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) war dagegen gespalten. Ihre Vertreter stimmten 1929 für die Einführung des 296, allerdings mit einer (entscheidenden) Ausnahme. Der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses Kahl stimmte gegen den Paragraphen und begründete dies ähnlich wie Ehlermann rechtstheoretisch, zudem mit den Erpressungen, die aus der Existenz des 175 RStGB sich ergäben, sowie mit einer "zügellosen Agitation und Propaganda für die Ausübung der Homosexualität" (zitiert nach Eissler 1980: 53), welcher der Boden nur durch die Beseitigung der Strafbestimmung entzogen werden könne. Im Falle Kahls hatte die Aufklärungsarbeit Hirschfelds und des WhK Wirkung gezeigt, was sein Stimmverhalten anbetraf. Die Konzeption von Homosexualität als konstitutioneller Anlage hatte Kahl jedoch nicht überzeugen können 25. Eindeutig ablehnend standen einer Entkriminalisierung homosexueller Handlungen die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und das Zentrum gegenüber. So betonte der DNVP-Vertreter Strahtmann die "erhebliche Bedeutung" der "Unwerturteile" des Strafgesetzbuches für die "Entwicklung des sittlichen Volksbewußtseins" um seine Ablehnung einer Entkriminalisierung zu begründen. Zudem sah er in der Sexualität eine Angelegenheit, die fundamentale Interessen des Staates betreffe, weil auf ihr "der Fortbestand der Gemeinschaft" (zitiert nach Eissler 1980: 54) beruhe. Strahtmann sah insofern durch einvernehmliche homosexuelle Handlungen erwachsener Männer im Gegensatz zu Ehlermann und Kahl sehr wohl das 'Recht' eines Dritten beeinträchtigt, nämlich das des Staates, dem er folgerichtig das Recht auf Reglementierung dieser Sexualität zugestand. Auch der Zentrums-Vertreter Schetter sah in der Homosexualität eine Bedrohung der Ehe, Familie und damit einer "gesunden Nation". In seinen Augen hatte Homosexualität Seuchencharakter, er sah sie "trotz gewisser Schwankungen in stetem Zunehmen begriffen". Daraus ergebe sich ein "Verfall der Volkskraft", dem nur durch strafrechtliche "Generalprävention" (zitiert nach Eissler 1980: 54) begegnet werden könne. Damit lag Schetter nicht weit von den Bedrohungsszenarien, die das Homosexuellenbild der Nationalsozialisten prägten Die Position der NSDAP Weder im Programm der NSDAP von 1920, noch in Hitlers Buch "Mein Kampf" wurde Homosexualität thematisiert. An der Ablehnung der Homosexualität durch die NSDAP konnte jedoch kein Zweifel bestehen. Insbesondere in Artikeln des Völkischen Beobachters offenbarte sich immer wieder die homophobe Grundhaltung der Partei. Dabei wurde Homosexualität oftmals mit 25 Daß Kahl trotz der Annahme der Möglichkeit einer Verführbarkeit zur Homosexualität für eine Entkriminalisierung derselben Partei ergriff, dokumentierte das Scheitern der WhK- Strategie selbst auf dem Gebiet der rechtlichen Argumentation. Zur Veränderung der WhK- Haltung vergleiche auch Kapitel 2.2.

42 42 anderen 'Grundübeln' verquickt, etwa indem sie als Ausgeburt jüdischen Denkens, die "unter dem besonderen Schutze des Marxismus" (Völkischer Beobachter 1930) stünde, dargestellt wurde. Magnus Hirschfeld war regelmäßigen Angriffen solch antisemitisch-homophober Natur ausgesetzt. So etwa durch den NSDAP-Abgeordneten Frick, der 1927 im Reichstag erklärte, im Kampf gegen den 175 RStGB, dessen Abschaffung "zum Untergang des deutschen Volkes führen" würde, wirkten "Juden, Magnus Hirschfeld und seine Rassegenossen... wieder führend und bahnbrechend..., wie ja überhaupt die ganze jüdische Moral das deutsche Volk geradezu verwüstet" (zitiert nach WhK 1985: 60). Hinzu traten Angriffe auf die parlamentarische Demokratie. So mühte sich der NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg, 'den' Demokraten eine homosexuelle Veranlagung zu unterstellen; selbstverständlich mit der Intention, die Demokratie damit zu diskreditieren. Würde gar "eine lesbisch-demokratische Partei" gegründet, zu der auch "die männlichen Lilastrümpfe... in Scharen kommen" würden, könnten, so prophezeite Rosenberg (1930: 116), "die Demokraten... ihre Bude zumachen". 26 In den Augen der NSDAP waren Homosexualität und Demokratie, Marxismus und Kapitalismus Erfindungen 'des Judentums', um das deutsche Volk zugrunde zu richten; folgerichtig konnte eine 'Befreiung' Deutschlands nur mit einer Bekämpfung der Homosexualität einhergehen, wie aus einer Stellungnahme von 1928 hervorgeht: "Wer gar an mannmännliche oder weibweibliche Liebe denkt, ist unser Feind. Alles was unser Volk entmannt, zum Spielball unserer Feinde macht, lehnen wir ab... Wir verwerfen darum jede Unzucht, vor allem die mannmännliche Liebe, weil die uns der letzten Möglichkeiten beraubt, jemals unser Volk von den Sklavenketten zu befreien, unter denen es jetzt frohnt." (Zitiert nach Jellonnek 1990: 54) 26 Mit den "Lilastrümpfen" meinte Rosenberg die Homosexuellen. Lila galt in Deutschland bis in die dreißiger Jahre als die 'Farbe der Homosexuellen'. Die Identifizierung bestimmter Eigenschaften mit einer Farbe hat nicht nur unter Homosexuellen eine lange Tradition. Garber (1993: 11) berichtet, Anfang des Jahrhunderts seien in den USA rote Schlipse ein Erkennungszeichen Homosexueller gewesen; in den fünfziger Jahren habe dagegen Grün als die Farbe der Homosexuellen gegolten. Warum die Nationalsozialisten männliche Homosexuelle in Konzentrationslagern ausgerechnet mit einem rosa Winkel kennzeichneten, ist bislang ungeklärt. Zunächst hatte es noch verschiedene Symbole, etwa einen gelben Streifen mit einem A (für 'Arschficker') darauf gegeben (vgl. Lautmann 1977: 334). Jellonneks (1990: 11) Erklärungsversuch, schon in den zwanziger Jahren seien Homosexuelle auch mit der Farbe Rosa in Verbindung gebracht worden, ist weder belegt noch überzeugend. Ein Versuch der Zuschreibung weiblicher Eigenschaften mit der Farbe Rosa ist zumindest unwahrscheinlich, da Paoletti/ Kregloh (1989: 27) nachweisen konnten, daß die heute übliche Identifizierung von Rosa als weibliche und Blau als männliche Farbe noch Anfang des Jahrhunderts entgegengesetzt war, und zwischen "1900 and 1940 both colors were often used interchangeably".

43 43 Wie die Bekämpfung der Homosexualität nach einer nationalsozialistischen Machtübernahme aussehen sollte, machte der Völkische Beobachter (1930) am deutlich: "Alle boshaften Triebe der Judenseele, den göttlichen Schöpfungsgedanken durch körperliche Beziehungen zu Tieren, Geschwistern und Gleichgeschlechtlichen zu durchkreuzen, werden wir in Kürze als das gesetzlich kennzeichnen, was sie sind, als ganz gemeine Abirrungen von Syriern, als allerschwerste, mit Strang oder Ausweisung zu ahndende Verbrechen." 2.4 Die sogenannte "Röhm-Affäre" Im August 1930 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen SA und NSDAP, in deren Mittelpunkt Fragen nach Aufgabe und Finanzierung der SA standen. Besonders der Berliner SA-Führer Walter Stennes tat sich hierbei hervor, indem er die SA zur Speerspitze der NS-Bewegung stilisierte (Jellonnek 1990: 59) und die Kandidatur von drei SA-Führern aus seinem Dienstbereich für die bevorstehenden Reichstagswahlen forderte. Letzteres, um die weitere Arbeit der SA zu erleichtern, da infolge der Vergrößerung der SA auf mehrere zehntausend Mitglieder und der Weltwirtschaftskrise die bis dato übliche Finanzierung der Büroarbeit aus eigener Tasche der SA-Führer nicht mehr gewährleistet war (Bennecke 1962: 148). Vor den Wahlen auf innerparteiliche Konsolidierung bedacht, erkannte Hitler die finanziellen Forderungen an. Ende August 1930 trat der bisherige Oberste SA-Führer Franz von Pfeffer zurück, wohl auch auf Drängen von Stennes (Bennecke 1962: 149). Daraufhin übernahm Hitler die oberste SA-Führung und im Herbst 1930 kam es zu verschiedenen Umstrukturierungen wie zu der Entscheidung, die SA zu einer Partei-Armee auszubauen, die den Kern eines künftigen deutschen Nationalheers bilden sollte (Bennecke 1962: 151). Anfang Januar 1931 ernannte Hitler den homosexuellen Reichswehrhauptmann a. D. Ernst Röhm 27 zum Stabschef der SA, auf dessen Loyalität (wohl auch als Gegengewicht gegen die Rebellen um Stennes), wie auf seine militärischen Kenntnisse setzend. In Teilen der NSDAP war Röhms Homosexualität bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt und führte offensichtlich schon in den ersten Wochen 27 Ernst Röhm, geb. 1887, beteiligte sich 1919 im Freikorps Epp am Sturz der bayerischen Räteregierung, 1923 an Hitlers Putsch-Versuch in München, wurde daraufhin aus der Reichswehr entlassen und zog sich ins Privatleben zurück entdeckte er nach eigener Aussage seine Homosexualität (WhK 1985: 394), wurde später sogar Mitglied im Bund für Menschenrecht (Baumgardt 1992b: 41) ging Röhm nach Bolivien, um am Aufbau der bolivianischen Armee mitzuwirken.

44 44 nach Röhms Dienstantritt zu zahlreichen Beschwerden. Am 3. Februar sah sich Hitler genötigt, "Angriffe wegen des Privatlebens" verschiedener SA-Führer und -Männer in einem Erlaß zurückzuweisen: "Abgesehen davon, daß wertvolle Zeit, die im Freiheitskampf notwendiger ist, nutzlos vertan wird, muß ich feststellen, daß die SA eine Zusammenfassung von Männern zu einem bestimmten politischen Zweck ist. Sie ist keine moralische Anstalt zur Erziehung von höheren Töchtern, sondern ein Verband rauher Kämpfer." (Hitler 1931) Die Pressekampagne gegen Röhm Röhm wurde schon bald zur Zielscheibe von Sexualdenunziationen sozialdemokratischer Zeitungen. Die entsprechenden Informationen wurden der sich dabei hervortuenden Münchner Post wohl, wie ein Dossier der Bayrischen Politischen Polizei (B.P.P.) behauptete, von dem NSDAP-Dissidenten Otto Straßer 28 zugespielt (Jellonnek 1990: 64). Zum Auftakt zitierte die Münchner Post am unter dem Titel "Stammtisch 175" den Brief eines ehemaligen "Hakenkreuzler[s]", in dem dieser behauptete, Hitler habe "Heines, Röhm, Zentner und wie sie alle heißen" als "175iger" (WhK 1985: 349f.) bezeichnet. Am folgte der Artikel "Rassehochzüchter", in dem eine Begegnung Röhms mit einem Strichjungen beschrieben wurde (WhK 1985: 350): "Der 'Freund' [Röhm] hatte alles in Szene gesetzt, das männliche Boudoir lockte, er selbst zeigte sich in adamitischer Bekleidung und zog alle Register einer männlichen Kokotte. Schmuste und schmarotzte und gab sich... na ja. Viel kosten darf solche Liebe nicht. Und darüber - über dem Strumpfgeld - kam es zu Differenzen... weil er, der 'Freund', wie er es als Offizier gewöhnt war, auch hier 'nach dem Fest' kommandierte." Am veröffentlichte die Münchner Post dann unter dem Titel "Warme Brüderschaft im Braunen Haus. Das Sexualleben im Dritten Reich" einen Artikel, der erstmals die Intention der bisherigen Publikationen erahnen ließ. Der "widerlichen Heuchelei, die die Nazipartei" betreibe, "nach außen 28 Otto Straßer, geb. 1897, war wie Röhm 1919 im Freikorps Epp an der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik beteiligt trat er in die NSDAP ein und war dort Vertreter einer streng antikapitalistischen Strömung verließ er die NSDAP und gründete die Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten (KRN) emigrierte Straßer nach Prag, wo er seit 1934 seine Zeitschrift Die deutsche Revolution neu herausgab. Die Bekanntmachung der angeblichen Homosexualität führender Nationalsozialisten schätzte Straßer als politisches Kampfmittel auch in der Emigration (vgl. Kapitel 3.5.3).

45 45 sittliche Entrüstung, in den eigenen Reihen schamlosester Betrieb der widernatürlichen Unzucht", solle Einhalt geboten werden. Doch nicht nur um die Verlogenheit der NSDAP gehe es, stehe doch hier, "unbeschadet jeder Parteirichtung, die moralische und körperliche Gesundheit der deutschen Jugend auf dem Spiel. Was sich in den Reihen der den Lüsten Röhms ausgelieferten nationalsozialistischen Jugend tut, das geht das ganze deutsche Volk an" (WhK 1985: 351). Den Beleg des angedeuteten Mißbrauchs der "Jugend" blieb die Münchner Post allerdings schuldig. Statt dessen druckte sie in den folgenden Tagen zwei fingierte Lageberichte (Jellonnek 1990: 63), den eines "Dr. Naier" (der am 23. Juni dann "Meyer" hieß; vgl. WhK 1985: 351f.) an Röhm, sowie den des "Gruppenführers Ost" Paul Schulz an Hitler ab. Doch auch aus diesen 'Berichten' ergab sich neben der Homosexualität Röhms nur, daß diese Auslöser heftigster parteiinterner Auseinandersetzungen und Intrigen sei; wahrlich kein schlagkräftiger Beweis für die "widerliche Heuchelei" der NSDAP in Sachen Homosexualität Röhms. So habe beispielsweise Goebbels erklärt, "daß er nicht daran dächte, dem 'schwulen bolivanischen Oberstleutnant' die Berliner SA. Auszuliefern" (WhK 1985: 358). Tatsächlich ging es der Münchner Post mit ihrer Artikelserie darum, über das Stigma Homosexualität an homophobe Ressentiments zu appellieren und die Nationalsozialisten damit zu diskreditieren. Davon zeugten auch die abgedruckten Berichte, gerade weil sie fingiert und vom Fälscher Meyer zumindest unbewußt auf die Bedürfnisse der Münchner Post zugeschnitten wurden. Sie strotzten geradezu von negativen Konnotationen, mit denen Homosexualität belegt war und teilweise bis heute ist. Traditionell Schwulen zugeschriebene Eigenschaften wie Eitelkeit, Falschheit, Erpressbarkeit, Untreue usw. leisteten, auch wenn sie sich bei objektiver Betrachtung der Berichte keineswegs nur den auftauchenden Homosexuellen zuordnen ließen, ihren Beitrag, um den Eindruck homosexueller Cliquen- und Günstlingswirtschaft zu evozieren: So etwa, wenn der schwule SA-Mann Röhrbein "schon im November im Kleist-Kasino coram publico erklärt: 'Wenn erst mein Freund Röhm aus Bolivien zurück und Stabschef geworden ist, dann werde ich wohl Osaf werden.'" (WhK 1985: 352) Unwidersprochen blieb die Publikationspraxis der Münchner Post, die unzählige ähnlicher Artikel in Zeitungen des ganzen Reiches nach sich zog, nicht, offenbarte sie doch die ganze Widersprüchlichkeit vor allem der sozialdemokratischen Haltung zur Homosexualität. So veröffentlichte die Weltbühne (1931: 117) im Juli unter dem Titel "Mucker" einen Artikel, in dem sie gegen die "mit sittenstrenger Überheblichkeit" geführte Kampagne protestierte: "Sind wir Linken für die Aufhebung des Paragraphen 175, dann ist es inkonsequent, ihn gegen den Feind auszuspielen. Uns scheint wichtiger, auf die moralische Verlogenheit des Hitler-Kreises hinzuweisen". Auch die Neuen Blätter für den Sozialismus wendeten sich gegen die linke Doppelmoral:

46 46 "Wenn hundertmal der Nationalsozialismus die organisierte Muckerei, die organisierte Verlogenheit gewesen ist, so darf zum hunderteinsten Male ein Sozialist nicht in Versuchung geraten, die abscheulichen Waffen des Gegners selber zu gebrauchen." (D. 1931: 358) Das WhK (1985: 315f.) machte darauf aufmerksam, daß die Münchner Post, "in Anlehnung an den Apostel Paulus, mit dem ganzen Vokabular des konservativ-klerikalen Verfolgertums" arbeite, schien aber auch die noch größere Gefahr der sich anbahnenden Konstruktion des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten zu erkennen, wenn es darauf insistierte: "Die Homosexualität lagert sich quer durch alle Rassen, Klassen und Parteien". Diese vereinzelten Proteste verhinderten nicht, daß es kurz vor den Reichspräsidentenwahlen im März 1932 zur Veröffentlichung drei authentischer Privatbriefe und eines polizeilichen Vernehmungsprotokolls Röhms durch den sozialdemokratischen Pressedienst kam. Das SPD-Mitglied Helmut Klotz 29 veröffentlichte die Briefe zudem faksimiliert in einer Broschüre (Klotz 1932a). 30 In den in Bolivien an den Berliner Arzt Karl-Günther Heimsoth geschriebenen Briefen gab Röhm recht offen Auskunft über seine sexuellen Wünsche und die Probleme, diese in Bolivien zu erfüllen. Kein angeblicher Mißbrauch Jugendlicher, ja noch nicht einmal ein Vergehen gegen den 175 RStGB ließ sich aus ihnen ableiten. So konnte die Veröffentlichung dieser Briefe nur auf homophobe und auch rassistische Ressentiments des Rezipienten zielen. Die Grüße beispielsweise, die Röhm (1929b) ausrichten ließ, "wenn Sie meine übrigen schwarzen Bekannten - dieser Typ ist mein Ideal - im Bade oder Dampfbad wiedersehen", boten den gewünschten Nährboden. In der sozialdemokratischen Zeitschrift Das freie Wort (1932: 28) hörte sich das dann so an: "So bleibt es auch bei Hitlers Stabschef Röhm dabei, daß er nach eigenem Geständnis vollständig pervers ist, die Liebe zu Frauen als unnatürlich empfindet und jungen Negern in Uniform seine ganze Liebe schenkt." 29 Helmut Klotz, geb wurde 1922 NSDAP-Mitglied und war 1923 an Hitlers Putsch- Versuch beteiligt wurde er aus der NSDAP ausgeschlossen, 1929 trat er in die SPD ein emigrierte Klotz über Prag nach Paris, wo er 1940 von den deutschen Besatzern verhaftet wurde wurde er in Berlin hingerichtet. Ein Großteil seiner Publikationen erschöpfte sich in der Enttarnung der angeblichen Homosexualität führender Nationalsozialisten (vgl. auch Kapitel 3.4.1). 30 Die Briefe Röhms waren bei einer Hausdurchsuchung bei Dr. Heimsoth beschlagnahmt worden und über eine undichte Stelle der Berliner Justiz an Helmut Klotz gelangt. Hintermann war auch hier wieder Otto Straßer, der in einer Aussage gegenüber der B.P.P. behauptete, die Hausssuchung bei seinem KRN-Genossen veranlaßt zu haben (vgl. Jellonnek 1990: 66).

47 47 Die Phantasie der Leser wurde durch die Briefe offensichtlich stark angeregt, wie auch die Flugschrift Nr. 4 der kommunistischen "Antifaschistischen Aktion" zeigt: "Herr Röhm.... mißbraucht die jungen SA. - Proleten zu unsittlichen, homosexuellen Zwecken.... wer sich die Schweinereien Röhms nicht gefallen läßt, ist ein verfluchter 'Roter' und fliegt sofort aufs Straßenpflaster" (WhK 1985: 431). Auch dieses Mal blieb der Protest nicht aus. Das WhK reagierte mit der Veröffentlichung einer Dokumentation des bisherigen Geschehens (Linsert: 1932/33). Ignaz Wrobel (1932: 641) alias Kurt Tucholsky warnte in der Weltbühne davor, "in den Chor jener" miteinzustimmen, "die einen Mann deshalb ächten wollen, weil er homosexuell" ist: "Seine Veranlagung widerlegt den Mann gar nicht". Interessanterweise sah sich hierdurch Helmut Klotz (1932b: 799) herausgefordert. Ihm sei es bei der Veröffentlichung der Briefe nicht um ein "Werturteil", sondern nur um die "Doppelzüngigkeit der 'Täter' und ihrer Partei" gegangen, schrieb er in einem Leserbrief an die Weltbühne, um sich gleich darauf wieder über "die Brunstschreie des Herrn Röhm, der sich in Bolivien mit 'schwarzer Kost' begnügen mußte", zu erregen: "Hier geht es um andres. Um moralische Abirrungen!" Die Weltbühne (1932: 799) kommentierte: "Es sollte selbst in Tempelhof [dem Wohnort des Herrn Klotz] bekannt sein, daß Homosexualität keine moralische Abirrung darstellt". Diese Auseinandersetzung ließ Klotz in seiner Argumentation vorsichtiger werden. In einem im September 1932 veröffentlichten Artikel behauptete er nun, er und seine Freunde seien "über den Verdacht erhaben, in der Homosexualität etwa eine ehrenrührige, gar verbrecherische Eigenschaft zu sehen" (Klotz, 1932c: 1506). Die Inszenierung der "Röhm-Affäre" erreichte ihr Ziel, die Nationalsozialisten über deren Diskreditierung von der Macht fernzuhalten, letztendlich nicht. Dagegen trug sie zum Entstehen erster Ansätze einer Faschismus-'Theorie' bei, in deren Mittelpunkt die Konstruktion einer ursächlichen Verknüpfung von homosexueller Veranlagung und Nationalsozialismus stand. Der 1932 noch bestehende offene Widerspruch dieser Theorie zu den Parteiprogrammen von KPD und SPD läßt sich kaum schöner, als es die der KPD nahestehende "Welt am Abend" vermochte, zuspitzen: "Die Hitlerkamarilla ist auf dem Boden homosexueller Veranlagung und Heuchelei gewachsen. Wir lehnen es entschieden ab, selbst einem Gegner gegenüber, von unserer grundsätzlichen Haltung im Kampf gegen den 175 abzuweichen." (WhK 1985: 423)

48 Die Reaktionen der Nationalsozialisten Das Bekanntwerden der Homosexualität Röhms durch die Pressekampagne der Münchner Post löste in den Reihen der NSDAP große Verunsicherung aus. Die offizielle Parteilinie war vom Beschweigen der Vorwürfe gekennzeichnet. So erregte sich der Völkische Beobachter meist nur allgemein über die "ordinäre Hetze" der "roten Novemberpresse" (WhK 1985: 361f.), ohne den Inhalt dieser "Hetze" zu erwähnen. Lediglich ein Artikel, der den Vorwurf der Heuchelei, an ihren jahrzehntelangen Kampf gegen den 175 RStGB erinnernd, an die SPD zurückverwies, ließ erahnen, worum es sich bei den Vorwürfen handeln könnte (WhK 1985: 363). Der offensichtliche Widerspruch zwischen antihomosexueller Parteilinie und der bewußten Rückendeckung, die Röhm durch die Parteiführung erhielt, sollte mit der holprigen "Sprachregelung", homosexuell "sei nur der, der gegen den 175 verstoße" (was bei Röhm nicht der Fall war), aufgelöst werden (Jellonnek 1990: 73). Vielen Parteimitgliedern waren solche Spitzfindigkeiten jedoch nicht eingängig, besonders, nachdem Röhms Klagen gegen die Veröffentlichung seiner Briefe an Heimsoth erfolglos blieben 31. So etwa einem NSDAP- Stützpunktleiter, der am schrieb: "Wir Kämpfer in der Bewegung tun [uns] in unserer Arbeit ungeheuer schwer, wenn uns immer wieder solche Argumente entgegengeschleudert werden, wie die Angelegenheit unseres Stabschefs, die wir dann nicht recht oder gar nicht widerlegen können." (Zitiert nach Jellonnek 1990: 73) Während die antihomosexuelle Propaganda infolge der "Röhm-Affäre" deutlich zurückgeschraubt wurde, um der linken Presse nicht ständig neue Anlässe zu liefern, auf der "Heuchelei" der NSDAP herumzureiten, kam es innerparteilich zu erheblichen Spannungen, die 1932 in einem Mordkomplott gipfelten. Drahtzieher war der Vorsitzende des Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses der NSDAP (Uschla), Walter Buch. Als im März 1932 Röhms Briefe an Heimsoth veröffentlicht wurden, beauftragte er den ehemaligen SA-Mann Danzeisen mit der Ermordung Röhms und vier seiner engen Mitarbeiter, des angeblich ebenfalls homosexuellen SA-Nachrichtenchefs Graf Du Moulin-Eckart, des Grafen Spreti, des Stabsführers Uhl und des Journalisten Georg Bell, der außer für Röhm auch für die SPD arbeitete (Höhne 1976: 71). Danzeisen wiederum beauftragte den "verkrachten Architekten" (Jellonnek 1990: 70) Karl Horn mit der Ausführung der Morde. Horn jedoch, in dem Glauben gelassen, eine "deutschnationale oder monarchistische Clique" (zitiert nach Jellonnek 1990: 71) 31 Röhm bestritt die Authentizität der Briefe gegenüber der Staatsanwaltschaft München nicht (Jellonnek 1990: 67), versuchte ihre weitere Verbreitung jedoch auf dem Weg der Privatklage zu verhindern, wohl nicht zuletzt, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu evozieren, es handele sich, wie bei den Meyer-Briefen, auch hier um Fälschungen.

49 49 beseitigen zu sollen, kamen bald Zweifel an dem vorgeschobenen Mordmotiv, so daß er sich schließlich Moulin-Eckart anvertraute. Moulin-Eckart und Spreti schalteten daraufhin die Polizei ein, während Bell im Auftrag Röhms den sozialdemokratischen Vorwärts über den Tötungsplan unterrichtete, "damit, falls er ausgeführt würde, die Welt den Schuldigen kennen solle", so der damalige Vorwärts-Chef Friedrich Stampfer (zitiert nach Jellonnek 1990: 71). Damit wurde der Mordcoup zwar vereitelt, aber auch eine der NSDAP sehr unangenehme juristische und publizistische Aufarbeitung der ganzen Angelegenheit ausgelöst, bei der wiederum die Homosexualität Röhms im Mittelpunkt stand. Die verordnete Stillhaltepolitik stieß auf erhebliche innerparteiliche Widerstände. Daß Hitler Röhm dennoch hielt, war in erster Linie der Tatsache geschuldet, daß er auf seine Fähigkeiten wie auf seine und die Loyalität der SA "im Endkampf um die Macht" (Mau 1953: 123) angewiesen war. Eine Hintertür für den Fall, daß die Widerstände in der NSDAP zu groß würden, hatte er sich allerdings schon in seinem Erlaß vom offengehalten: "Das Privatleben", so Hitler (1931), könne "nur dann Gegenstand der Betrachtung sein, wenn es wesentlichen Grundsätzen der nationalsozialistischen Anschauung zuwiderläuft". 2.5 Die Haltung der Homosexuellenorganisationen zur NSDAP Sowohl das WhK, als auch der BfM begriffen sich als Organisationen, die sich in ihrem "Kampfe der striktesten parteipolitischen Neutralität zu befleißigen" (Linsert 1927: 61) hätten. Dies bedeutete auch, daß die Mitgliedschaft in beiden Organisationen Angehörigen sämtlicher Parteien offenstand. Tatsächlich scheinen WhK und BfM NSDAP-Mitglieder angehört zu haben. So wies Richard Linsert (vgl. Anm. 17) 1927 (61) auf die "zahlreichen Mitglieder in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und in der Deutschvölkischen Freiheitspartei" unter den WhK-Angehörigen hin. Der BfM rechnete sogar Ernst Röhm zu seinen Mitgliedern (vgl. Herzer 1991: 14). Rücksichten auf die Nationalsozialisten unter ihren Mitgliedern nahmen aber weder WhK noch BfM in ihrem "Kampf gegen die gesellschaftliche Aechtung und gesetzliche Verfolgung der Homosexuellen" (Linsert 1927: 61). Vielmehr bezog insbesondere das WhK offensiv Stellung gegen die homophoben, ebenso wie gegen die antisemitischen Ausfälle etwa des NSDAP-Reichstagsabgeordneten Frick (vgl. Kapitel 2.3.5), nicht ohne auch die Nationalsozialisten unter seinen Mitgliedern "dringend aufzufordern, ihren Abgeordneten energisch zur Ordnung zu rufen" (Linsert 1927: 61). Die im Gefolge der Entdeckung der Homosexualität Röhms im Jahre 1931 deutlich nachlassende antihomosexuelle Propaganda der NSDAP verunsicherte schließlich jedoch auch die Homosexuellenorganisationen. Sie zeigten sich zunehmend irritiert über die undeutliche Position der NSDAP, sahen sogar die Chance für einen Wandel. So forderte das WhK Ende 1931:

50 50 "Die Parteileitung der NSDAP sollte endlich einsehen, daß falsche Rücksichtnahme auf die rückständigen Sexualmeinungen der Mehrheit ihrer Anhängerschaft zum Verhängnis wird, wenn sie sich in Gegensatz stellt zu den Erfahrungen und Forschungsergebnissen der Wissenschaft. Eine Partei, die Homosexuelle in ihrer Führerschaft duldet, aber außerhalb ihres Bereiches die Homosexuellen in den Kerker werfen, ja auszurotten fordert, macht sich lächerlich." (WhK 1985: 315f.) Anfang 1932 ließ das WhK überdies einen schwulen SA-Mann zu Wort kommen, der, sich auf die Duldung Homosexueller in der SA berufend, behauptete, nach einer nationalsozialistischen Machtübernahme werde es sich für Homosexuelle "besser leben lassen als heute" (WhK 1985: 345). Kurt Hiller allerdings konterte, solange es keinen offiziellen Kurswechsel der NSDAP gäbe, gelte dem WhK "als Standpunkt Ihrer Partei, was in den Organen Ihrer Partei zu lesen steht - nicht das Gegenteil" (WhK 1985: 348). In der letzten Ausgabe seiner Mitteilungen vom Februar 1933 gab sich das WhK dennoch der trügerischen Hoffnung hin, daß die NSDAP "zum 175 allmählich die Stellung gewinnt, die unser Komitee bereits im Jahre 1897 eingenommen und den Gerechtdenkenden zugemutet hat" (WhK 1985: 431). Der BfM-Vorsitzende Radszuweit gab sich der Illusion hin, eine Partei, die einen Homosexuellen im Gegensatz zur üblichen parteipolitischen Praxis wider alle Angriffe in ihrer Führung halte, sei als 'Bündnispartner' zu gewinnen. Entsprechend versuchte Radszuweit im August 1931, Hitler mittels eines offenen Briefes dazu zu bewegen, aus der Tatsache, daß "einige Ihrer besten Mitarbeiter... der gleichgeschlechtlichen Liebe huldigen" (zitiert nach Baumgardt 1992b: 41), die Konsequenz zu ziehen, die antihomosexuelle Programmatik der NSDAP aufzugeben. Blieb dieser Brief selbstverständlich unbeantwortet, so fand er doch ein Echo in der 'linken' Presse, die in Teilen schon seit 1929 bemüht war, einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus herbeizuschreiben. 32 So berichtete Die Welt am Montag (1931) unter dem Titel "Das Dritte Geschlecht grüßt das Dritte Reich", seit bekannt geworden sei, "daß in der Umgebung Hitlers auch der mannmännliche Eros sein Wesen treibt", witterten "die Homosexuellen im Dritten Reich Morgenluft": "Hoffentlich läßt sich's Hitler gesagt sein, damit ihm der Zuzug derer nicht verloren geht, die sich mit einem 'Huch Hitler' um sein Banner zu scharen bereit sind." 32 Das WhK berichtete in seinen Mitteilungen vom März 1929, also bereits zwei Jahre vor der Berufung Röhms zum Stabschef der SA, "eine Berliner Abendzeitung" habe die NSDAP als eine Partei bezeichnet, in der "die Homosexualität die Norm ist" (WhK 1985: 161).

51 51 Entgegen der Erwartung der Welt am Montag gab der auf seine parteipolitische Neutralität Wert legende BfM im Juli 1932 allerdings die Wahlempfehlung, Parteien, die nicht "frei und offen für die Beseitigung des Schandparagraphen 175 eintreten", die "Stimme zu verweigern" (zitiert nach Baumgardt 1992b: 41). Trotz einer spürbaren Verunsicherung und einiger daraus resultierender Versuche, die Programmatik der NSDAP zu beeinflussen, war die Haltung der Homosexuellenorganisationen WhK und BfM der NSDAP gegenüber auch Anfang der dreißiger Jahre von kritischem Mißtrauen geprägt. Daß einige Homosexuelle angesichts ihrer Stillhaltepolitik zu einer weniger umsichtigen Einschätzung der Nationalsozialisten kamen und Sympathie für das Festhalten an Röhm in offene Unterstützung der NSDAP umschlug, liegt allerdings genauso nahe, wie die Annahme, daß die meisten Homosexuellen ihre politischen Auffassungen nicht von ihrer sexuellen Veranlagung abhängig machten; ein Phänomen, das bis heute bei den unterschiedlichsten stigmatisierten Randgruppen zu beobachten ist. Insofern dürfte der Anteil der NSDAP-Wähler unter den Homosexuellen kaum geringer gewesen sein, als der an der Gesamtbevölkerung. 2.6 Die Zerschlagung der Homosexuellenorganisationen Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am setzte zunächst nicht die systematische Verfolgung Homosexueller ein, die vielleicht mancher in Anbetracht wiederholt vernommener homophober Haßtiraden der Nationalsozialisten erwartet hätte. Insbesondere Massenverhaftungen, die nach dem Reichstagsbrand vom Sozialdemokraten, Kommunisten und andere den Nationalsozialisten politisch unbequeme Personen trafen, blieben unter Homosexuellen aus. Es ist viel darüber spekuliert worden, ob diese als 'zögerlich' empfundene Politik mit Ernst Röhms homosexueller Veranlagung in kausalem Zusammenhang stand. Dabei wurde jedoch meist außer acht gelassen, daß es den Nationalsozialisten in den ersten Monaten nach der Machtübernahme um die Konsolidierung ihrer Herrschaft gehen mußte und sich Verfolgungsmaßnahmen folglich auf die ihnen gefährlich erscheinenden politischen Gegner konzentrierten. Homosexuelle Veranlagung an sich wurde angesichts solcher Prioritäten noch als eher ungefährlich betrachtet, im Gegensatz zu dem später von Himmler (1937: 95) entwickelten Wahngebilde, das Homosexuelle zu Staatsfeinden erklärte. Zudem waren die Verfolgungsmaßnahmen gerade im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft generell 'erstaunlich' unsystematisch; sie wurden meist von zentral wenig steuer- und kontrollierbaren SA-Einheiten umgesetzt, die nicht auf einen gut organisierten bürokratischen Verfolgungsapparat zurückgreifen konnten, wie später die 1933 noch im Aufbau befindliche Geheime Staatspolizei. Unter solchen Bedingungen konzentrierte sich die Verfolgung notwendig auf prominente oder zumindest bekannte NS-Gegner; ein groß angelegtes Ausfindigmachen Homosexueller mußte 1933 schon an

52 52 organisatorischen Hindernissen scheitern. Demgegenüber ließ sich die Zerschlagung der bekannten Institutionen und Organisationen der Homosexuellen schnell umsetzen. Bereits am wies der neue Preußische Minister des Innern (1933: 189), Hermann Göring, die Polizeibehörden in einem Erlaß an, insbesondere jene Gastwirtschaftsbetriebe zu schließen, "die den Kreisen, die der widernatürlichen Unzucht huldigen, als Verkehrslokale dienen". Dieser Erlaß wurde von dem seit dem amtierenden nationalsozialistischen Berliner Polizeipräsidenten Magnus von Levetzow (vgl. Diels 1950: 129) schnell umgesetzt, so daß das Berliner Tageblatt (1933a) schon am die Schließung von 14 "Nachtlokalen" vermelden konnte, "gegen die in sittlicher Beziehung Beanstandungen erhoben wurden". Die Schließung dieser "Bars und Kaffees, die bekannte Treffpunkte der Mann-Männlichen waren" (Diels 1950: 129), soll Ernst Röhm laut Rudolf Diels 33 "als einen Hieb gegen sich gedeutet" und zum Anlaß einer Beschwerde bei Hitler genommen haben, woraufhin dieser Diels dafür verantwortlich gemacht habe, "daß dieser dummen polizeilichen Praxis ein Ende bereitet wird". Es gibt allerdings keine Anhaltspunkte dafür, daß Diels entsprechend auf Levetzow einwirkte, geschweige denn, daß bereits geschlossene Homosexuellenlokale "wieder geöffnet wurden", was Stümke/Finkler (1981: 236) aus Diels Bemerkung herauszulesen meinen. Über die Schließung von Homosexuellenlokalen in anderen deutschen Städten ist bisher wenig bekannt. Auch, ob beispielsweise in Berlin alle den Polizeibehörden bekannten Homosexuellenlokale geschlossen wurden, ist ungeklärt - fraglos bestanden aber auch nach den Schließungen Anfang März 1933 noch Lokale, in denen sich Homosexuelle bevorzugt trafen, auch wenn es sich hier vermutlich nicht mehr um eindeutige Homosexuellenlokale handelte (vgl. Kapitel 3.6.1). Die Homosexuellenorganisationen und ihre Einrichtungen wurden in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten geplündert und aufgelöst, soweit sie sich nicht dem Druck des Terrors beugten und ihre Selbstauflösung beschlossen. Am 6. Mai 1933 plünderte die SA Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft, Bände der Bibliothek wurden abtransportiert und am 10. Mai auf dem Berliner Opernplatz verbrannt. 34 Da die 33 Rudolf Diels, geb. 1900, war nach dem Studium der Rechtswissenschaften im preußischen Innenministerium für Kommunismus-Bekämpfung zuständig. Göring ernannte ihn 1933 zum Leiter der für politische Delikte zuständigen Abteilung IA des Polizeipräsidiums, später zum Chef der aus ihr hervorgegangenen Geheimen Staatspolizei. Anfang April 1934 wurde Diels von Himmler abgelöst. Diels wurde daraufhin Regierungspräsident in Köln, 1940 in Hannover; später wurde er mehrmals verhaftet und auf Intervention Görings freigelassen veröffentlichte er seine apologetischen Memoiren "Lucifer ante Portas", die angeblich auf während des "Dritten Reiches" verfaßten Aufzeichungen basieren. 34 Zur Plünderung des IfS vergleiche auch den erstmals im Braunbuch (1973: ) abgedruckten anonymen Augenzeugenbericht.

53 53 Nationalsozialisten Magnus Hirschfelds, der von seiner Ende 1930 angetretenen Weltreise auf Anraten von Freunden nicht nach Deutschland zurückgekehrt war, nicht habhaft wurden, verbrannten sie stellvertretend seine Büste. Das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee vollzog seine Auflösung selbst. Es lud für den zu den zwei letzten Mitgliederversammlungen, um über Auflösung und Verwendung des Vereinsvermögens zu beschließen (WhK 1985: XXXI). Adolf Brands (1933: 42f.) Verlag wurde bei fünf Konfiskationen der Kriminalpolizei zwischen dem 3. Mai und dem 24. November 1933 "geschäftlich ruiniert"; für seine Zeitschrift Der Eigene sah er "nur noch im Auslande" eine Perspektive. Über die Auflösung des Bund für Menschenrecht hingegen gibt es nur wenige gesicherte Erkenntnisse. So schreibt Baumgardt (1992b: 41), das Potsdamer Verlagshaus des Radszuweit-Verlags sei 1933 durch Nationalsozialisten geplündert worden, macht aber ebensowenig Quellenangaben wie Stümke/Finkler (1981: 32), die von Überfällen auf die Berliner Geschäftsräume in der Neuen Jacobstraße schon während der "Weimarer Jahre" berichten. Auch ihre Angabe, Martin Butzko-Radszuweit sei "im März 1933 von einem Rollkommando der SA festgenommen und in ein KZ geschafft" worden, "nachdem man ihn zuvor halbtot geschlagen hatte" (Stümke/Finkler 1981: 32), bleibt unbelegt. Laut Herzer (1991: 20) überlebte Butzko-Radszuweit das "Dritte Reich" und starb "in den achtziger Jahren in seinem Haus in Berlin-Köpenick". Zur formellen Auflösung des BfM kam es laut Schoppmann (1991: 165) erst Ende So habe der letzte BfM-Vorsitzende Paul Weber am dem zuständigen Amtsgericht die Auflösung des Vereins mitgeteilt. Im Gegensatz zu der beschriebenen Zerschlagung der Institutionen der Homosexuellen ist in den ersten Monaten der nationalsozialistischen Herrschaft keine eindeutige Verfolgung Homosexueller um ihrer Homosexualität willen nachweisbar. Die nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 einsetzenden Massenverhaftungen politischer Gegner trafen zwar auch viele Protagonisten der Homosexuellenbewegung und prominente Linke, deren homosexuelle Veranlagung den Nationalsozialisten nicht verborgen geblieben sein konnte, so etwa Kurt Hiller, Ludwig Renn und Erich Mühsam; ausschlaggebend scheint ihre Veranlagung für die Verhaftung aber nicht gewesen zu sein. 35 Allerdings trifft auch Jellonneks (1990: 82) Behauptung, Fragen nach ihrer sexuellen Orientierung hätten "in den Verhören keine Rolle" gespielt, nicht zu. So berichtete Hiller (1969: 258) etwas unbestimmt, ihm seien Sexualakte angedichtet worden, "vor denen mir ekelt, über deren Vorkommen mich als kritischer Jurist zu entrüsten ich freilich einen wissenschaftlichen Grund nie sah". Erst ab Herbst 1933 lassen sich eindeutige Bestrebungen zur Verfolgung Homosexueller aufgrund ihrer sexuellen Orientierung belegen. Im Konzentrationslager Fuhlsbüttel wurde im Herbst 1933 die Häftlingskategorie Homosexueller eingeführt. Die Hamburger Polizeibehörde 35 Kaum anders läßt sich die Tatsache deuten, daß beispielsweise Adolf Brand vor einer Verhaftung verschont blieb.

54 54 wurde bei einer Präsidentenbesprechung der Inneren Verwaltung am aufgefordert, "Transvestiten besonders zu beachten und erforderlichenfalls in das Konzentrationslager zu überführen" (zitiert nach Timpke 1970: 18). Unter diesen Bedingungen entschieden sich viele Protagonisten der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung dafür, Deutschland zu verlassen. Während Hans Blüher und Adolf Brand, zum Schweigen verurteilt, in Deutschland verblieben, hatten andere keine Wahl. So etwa Magnus Hirschfeld, der von seiner Weltreise nicht zurückkehrte, sondern in Paris blieb und erfolglos versuchte, das Institut für Sexualwissenschaft neu zu gründen. Hirschfelds Freund, der Archivleiter des IfS Karl Giese, folgte ihm nach Paris und Nizza, nach Hirschfelds Tod ging er nach Brünn und nahm sich dort 1938 das Leben. Kurt Hiller, der erstmals am 23. März 1933 verhaftet worden war, hatte insgesamt knapp ein Jahr Gefängnis- und KZ-Haft hinter sich, als er Ende September 1934 nach Prag emigrierte. Während Bruno Vogel Deutschland bereits 1932 verlassen hatte, emigrierte Otto Juliusburger, der letzte Vorsitzende des WhK, erst 1941 (vgl. Anm. 21). Unter den Emigranten waren auch mehrere schwule Schriftsteller, die (abgesehen von Becher) die Weimarer Schwulenbewegung mehr oder weniger offen unterstützt hatten. So ging Hans Siemsen 1934 ins Exil nach Frankreich. Klaus Mann emigrierte 1933 über Paris nach Amsterdam und pendelte bis zu seiner Übersiedlung in die USA 1936 zwischen Paris, Zürich, Budapest, Prag und anderen Städten. 1934/35 gab er die Literaturzeitschrift Die Sammlung heraus. Ludwig Renn konnte nach 2½-jährigem Gefängnisaufenthalt 1935 in die Schweiz flüchten. Johannes R. Becher schließlich emigrierte 1933 in die Tschechoslowakei, 1935 in die UdSSR.

55 55 3 Homosexualität im Exildiskurs 3.1 Der Reichstagsbrand - ein Werk von Homosexuellen Die Forschungskontroverse über den Reichstagsbrand Am Abend des 27. Februars 1933 brannte das Berliner Reichstagsgebäude. Die Entdeckung von 30 Brandherden (Mommsen 1964: 362) und die feste Erwartung der Nationalsozialisten, daß die KPD einen Umsturzversuch unternehmen würde (Mommsen 1987: 45f.), ließen Spekulationen, hier sei eine kommunistische Brandstifterkolonne am Werk gewesen, noch am gleichen Abend zur 'Gewißheit' werden. Das Ergebnis der sofortigen Vernehmung des am Tatort verhafteten Marinus van der Lubbe, dieser habe den Brand allein gelegt, wurde von Seiten der Nationalsozialisten nicht akzeptiert (Mommsen 1964: 362). Aus der Annahme aber, es seien mehrere Täter am Werk gewesen, entstand schon bald eine Auseinandersetzung über die Urheberschaft des Reichstagsbrandes, die bis heute andauert. Auch die angeschuldigten Kommunisten übernahmen die "Mehrtäterschaftstheorie", um nun ihrerseits den Nationalsozialisten die Brandstiftung zu unterstellen. In den unter der Leitung der Komintern 1933/34 entstandenen Braunbüchern (vgl. Kapitel 3.1.3) erklärten sie van der Lubbe zu einem Werkzeug der Nationalsozialisten. Diese Spekulation prägte bis in die fünfziger Jahre weltweit die Vorstellungen über das Zustandekommen des Reichstagsbrandes. Auch die westdeutsche Geschichtswissenschaft übernahm diese These in den fünfziger Jahren als die wahrscheinlichste aller Annahmen, sich gleichzeitig auf den Standpunkt zurückziehend, daß eine endgültige "Aufklärung nicht mehr möglich sein würde" (Mommsen 1964: 355). 36 Erst eine Spiegel-Serie von 1959/60, die auf den Forschungen des 'Amateurhistorikers' Fritz Tobias basierte und die Alleintäterschaft van der Lubbes zu erweisen suchte, ließ ernsthafte Zweifel an der Täterschaft der Nationalsozialisten aufkommen. Anfang 1962 legte Tobias (1962) dann eine umfangreiche Untersuchung vor, die anfängliche Vorbehalte gegenüber dem 'Amateurhistoriker' zerstreute (Jesse 1987b: 69). Dennoch erhielt sich eine starke Skepsis gegenüber Tobias' Ergebnissen, die auch durch das Tobias bestätigende Ergebnis eines vom 36 Die DDR-Geschichtswissenschaft stellte den im Braunbuch (1978) angeblich erbrachten "Nachweis, daß die Nazis selbst den Brand im Reichstag gelegt hatten" (Sohl 1980: 289) bis 1989 nicht grundlegend in Frage, auch wenn sie sich im einzelnen nicht festlegte, "auf wen die Brandstiftung zurückgehen oder wer sie ausgeführt haben soll" (Jesse 1987b: 76). Vielmehr setzte sie insbesondere in den achtziger Jahren die "nationalsozialistische Urheberschaft gleichsam als er- und bewiesen" (Jesse 1987b: 76) voraus.

56 56 Münchner Institut für Zeitgeschichte bei Hans Mommsen (1964) in Auftrag gegebenen Gutachtens kaum zu beeinflussen war. Diese Skepsis war meist von der Befürchtung motiviert, eine Entlastung der Nationalsozialisten von der Schuld am Reichstagsbrand könne in den Augen der Bevölkerung nun auch ihre Schuld an anderen Verbrechen zweifelhaft erscheinen lassen und müsse daher als "sozusagen volkspädagogisch unwillkommen" betrachtet werden, wie es Golo Mann (zitiert nach Jesse 1987a: 22) in einem Brief an Tobias ausdrückte - wissenschaftlich haltbar war sie nicht. Zudem konterkarierte Tobias Forschungsergebnis die in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft bislang vorherrschende Tendenz, "aus einer apologetischen Haltung heraus den Manipulationscharakter des Nationalsozialismus" überzubewerten (Mommsen 1964: 357). Im Dezember 1966 allerdings behauptete der Journalist Edouard Calic, bisher unbekannte Dokumente bewiesen die Täterschaft der Nationalsozialisten, legte die Dokumente jedoch nicht vor (Backes 1987: 94). Auch das 1968 von Calic in Luxemburg gegründete und später mehrfach umbenannte Europäische Komitee zur wissenschaftlichen Erforschung der Ursachen und Folgen der Gewaltherrschaft, als dessen Verantwortlicher für die Reichstagsbrand-Forschung seit 1969 der schweizer Historiker Walther Hofer fungierte (Backes 1987: 98f.), kündigte mehrfach den Nachweis der NS-Täterschaft an, legte aber erst 1972 eine "wissenschaftliche Dokumentation" (Hofer et al. 1972) vor. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Calic bereits eine lange Liste bekannter Wissenschaftler und Politiker für sich gewonnen, die die Aktivitäten des Komitees zumindest mit ihrem Namen unterstützten, unter ihnen Charles Bloch, Karl Dieter Bracher, Ernst Fränkel und Friedrich Zipfel. Die Beweiskraft und Glaubwürdigkeit der 1972 veröffentlichten "neuen Dokumente" stand allerdings in einem erstaunlichen Mißverhältnis zur wissenschaftlichen Reputation dieser Komiteeförderer. Im Prinzip handelte es sich bei der "Dokumentation" von 1972 um nicht mehr als die Veröffentlichung der Sachverständigengutachten von 1933 und ihre Bestätigung durch ein neues Gutachten, demzufolge die Brandentwicklung im Reichstagsgebäude nicht durch die von van der Lubbe gelegten Brandherde hätte verursacht werden können legte das Komitee eine weitere "Dokumentation" (Hofer et al. 1978) vor, die den "positiven" Beweis der Täterschaft der Nationalsozialisten erbringen sollte. Die nun veröffentlichten "Dokumente" bestanden größtenteils aus erstaunlich detailgetreuen Erinnerungen von Zeitzeugen, die diese dem Komitee zu Protokoll gegeben haben sollten. Diese Zeugenaussagen wurden meist jedoch nur Ausschnittweise veröffentlicht; der Überprüfung ihrer Authentizität stimmte das Komitee bis heute nicht zu. Da zudem nicht wenige der Zeugen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Aussagen bereits verstorben waren, war eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der "Dokumente" bis heute nicht möglich. Indirekt jedoch konnten Uwe Backes et al viele der 1978 veröffentlichten "Dokumente" als

57 57 Fälschungen erweisen. 37 Das hinderte das Komitee allerdings nicht daran, die "Dokumentationen" von 1972 und 1978 im Jahre 1992 (Bahar 1992) erneut zu veröffentlichen. Die zweifelhafte Glaubwürdigkeit der von ihm vorgelegten "Dokumente" pflegte das Komitee immer wieder mit polemischen Angriffen auf die Vertreter der "Alleintäterschaftstheorie" zu kompensieren. So unterstellte Eugen Kogon (1978: XIII), daß hier "neonazistische und rechtsradikale Kreise ihre Hand" im Spiel hätten, Hans Mayer 38 ging gar so weit, die Aufdeckung bisher unbekannter Tatsachen (gemeint ist wohl die Studie von Fritz Tobias) wie folgt zu deuten: "Die neuen Tatsachen wurden geschaffen durch Kinder und Enkel der Brandstifter von damals. Durch Neonazis, um die Sache beim Namen zu nennen." (Mayer 1978: XXII) Die Kontroverse zwischen den Vertretern der Alleintäterschaft van der Lubbes und dem Komitee zur wissenschaftlichen Erforschung der Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkrieges hinterließ in der Öffentlichkeit bis heute den Eindruck, der Reichstagsbrand sei nicht aufzuklären. Legt man an die Publikationen beider Seiten jedoch nur die einfachsten wissenschaftlichen Maßstäbe an, so zeigt sich deutlich, daß einzig die Studien von Fritz Tobias und Hans Mommsen einen seriösen Beitrag zur Aufklärung dieses Ereignisses leisten können Der Reichstagsbrand und seine Folgen Im folgenden wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Ereignisse um den Reichstagsbrand gegeben. Die Darstellung basiert auf den Forschungsergebnissen von Fritz Tobias (1962) und Hans Mommsen (1964; 1987). Anfang Februar 1933 reiste der holländische Rätekommunist Marinus van der Lubbe 39 nach Deutschland, um sich über die politische Situation nach der 37 Hier sei nur ein Fall erwähnt: Im "Dokumentenband" von 1978 wird die Aussage des Heizers im Reichstagspräsidentenpalais, Johann Wittkowski, zitiert (Hofer et al. 1978: 227f.), die dieser nach Calic (1978: 114) "1969 für Arno Scholz machte". Backes et al. (1987: 292) konnten jedoch nachweisen, daß Johann Wittkowski bereits am in Berlin-Lichtenberg verstorben war. 38 Den ehemaligen Emigranten Hans Mayer (1978: XXII) und Kurt Hiller (1969: 224) genügt wie im Exil die Frage "Cui bono" als Beweis für die Täterschaft der Nationalsozialisten. 39 Marinus van der Lubbe, geb in Leiden, arbeitete zunächst als Verkäufer, später absolvierte er eine Maurerlehre. Schon früh engagierte er sich im Jugendverband der holländischen KP (CPH). Mit letzterer kam es wiederholt zu Konflikten wegen van der Lubbes Aktionismus, der sich mit den autoritären Strukturen der CPH nicht vertrug trennte sich

58 58 Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler zu informieren (Tobias 1962: 603). Am 18. Februar traf er in Berlin ein und fand im Obdachlosenheim in der Alexandrinenstraße eine Unterkunft. Hier führte er mit Arbeitern auf der Straße und vor den Wohlfahrtsämtern Gespräche oder besuchte politische Veranstaltungen der Arbeiterbewegung. Sein Resümee, daß "Anhänger der nationalen Konzentration volle Freiheit in Deutschland haben, der Arbeiter aber nicht", sowie die Erkenntnis, daß der "Kampf der Organisationen der Arbeiter nicht der richtige" sei, um "die Arbeiter zum Kampf für die Freiheit aufzurütteln", ließ ihn auf Mittel und Wege sinnen, "wie man das richtig machen muß" (Tobias 1962: 603). Spektakuläre Brandstiftungen erschienen ihm als ein adäquates Mittel, das gewünschte revolutionäre Fanal für einen Arbeiteraufstand zu setzen. Am 25. Februar legte er drei Brände; im Neuköllner Wohlfahrtsamt, im Roten Rathaus und im Berliner Schloß. Die Brände wurden jedoch rechtzeitig entdeckt und gelöscht, so daß weder großer Schaden noch das gewünschte Aufsehen enstand. Am 27. Februar kaufte van der Lubbe daher nochmals Kohleanzünder und Streichhölzer, um sich damit gegen 14 Uhr in die Nähe des Reichstagsgebäudes zu begeben und dessen Zugänglichkeit zu prüfen. Gegen 21 Uhr stieg er in das Reichstagsgebäude ein und legte an mehreren Stellen Feuer, bis er um Uhr verhaftet wurde (vgl. Mommsen 1987: 37-40). Die Nationalsozialisten hatten seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit zunehmender Nervosität auf einen kommunistischen Aufstandsversuch gewartet, mit der wiederholten Durchsuchung des Karl-Liebknecht-Hauses einen solchen sogar herauszufordern gesucht (Mommsen 1987: 45f.). Die Politik der KPD wie auch der SPD blieb demgegenüber abwartend. Indem die NSDAP den Kampf gegen den Marxismus und die Beschwörung einer kommunistischen Revolutionsgefahr in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes für die Reichstagswahlen am 5. März 1933 stellte, gelang es ihr dennoch, die "verbreiteten antikommunistischen Ressentiments zu aktivieren" und eine "wahre Anti- Kommunistenpsychose" auszulösen (Mommsen 1987: 44). In diesem politischen Klima war es nicht weiter verwunderlich, daß sich sofort nach der Verhaftung van der Lubbes entgegen seiner Selbstbezichtigung das Gerücht verbreitete, der Reichstagsbrand sei das Werk der KPD. Der Vermutung des Hausinspektors Scranowitz, an der Brandlegung müßten sechs bis acht Personen beteiligt gewesen sein 40, und die irrtümliche Beschuldigung des KPD-Reichstagsabvan der Lubbe endgültig von der CPH und schloß sich den moskaufeindlichen Internationalen Rätekommunisten (vgl. Karasek 1980: 30-34) an. 40 Scranowitz wollte entgegen den Zeugenaussagen der Feuerwehrleute, als er um Uhr "für den Bruchteil einer Sekunde" in den Plenarsaal schaute, eine große Zahl von Einzelbränden gesehen haben, woraus er auf mehrere Täter schloß. Im folgenden Prozeß schenkte ihm das Gericht Glauben, und auch die Brandexpertisen basierten auf dieser Prämisse (Mommsen 1964: 373). Nach 1945 widerrief Scranowitz "seine Ansicht, daß van der Lubbe Mittäter gehabt haben müsse" (Mommsen 1964: 354).

59 59 geordneten Ernst Torgler, als letzter das Reichstagsgebäude verlassen zu haben, schienen die verbreitete Erwartung eines kommunistischen Aufstandsversuches zu bestätigen. Hinzu kam die verkürzte Darstellung van der Lubbes als holländischer Kommunist, die Kontakte zur KPD nahelegte. Hermann Göring, der als erster NS-Politiker bereits um Uhr im Reichstagsgebäude eintraf, gab sich schnell von einem kommunistischen Hintergrund überzeugt und veranlaßte schon kurz nach 22 Uhr die ersten Anordnungen zur Bewachung öffentlicher Gebäude (Mommsen 1964: 383f.). Gegen Uhr trafen auch Hitler und Goebbels ein, die sich bald Görings Interpretation der Lage anschlossen (Mommsen 1964: 384). 41 Im Zimmer des Reichstagspräsidenten kam es zu einer Besprechung der NS-Prominenz, in deren Gefolge Göring eine "Fülle ziemlich durcheinander gehender Anweisungen" (Mommsen 1964: 386) gab, die von Presseverboten bis zur Verhaftung von Kommunisten und Sozialdemokraten reichten. Bei einer weiteren Besprechung im Preußischen Innenministerium wurden Görings Anordnungen nochmals bekräftigt; darüber hinaus wurde die Verhängung des Ausnahmezustandes erwogen, dann aber zugunsten des Gedankens fallengelassen, die Verhaftungen mittels einer Notverordnung zu legalisieren (Mommsen 1964: 389). Inzwischen hatte sich die Vorstellung von einer KPD-Brandstiftung bereits so gefestigt, daß die Ergebnisse der Vernehmung van der Lubbes keine Chance mehr hatten, gewürdigt zu werden. Vielmehr änderte Göring persönlich das auf der Vernehmung van der Lubbes basierende Kommuniqué seines Pressereferenten Sommerfeldt "bezüglich der Menge des Brandmaterials und der Täterzahl" (Mommsen 1964: 362). Noch in der Nacht kam es zu ersten Verhaftungen von Kommunisten. Dazu wurde auf Listen der politischen Polizei zurückgegriffen, die bereits vor 1933 für den Fall eines KPD-Verbots erstellt und auf Anweisung Görings vervollständigt worden waren (Mommsen 1964: 395). Die kommunistische Presse wurde gänzlich, die sozialdemokratische für 14 Tage verboten. 42 Im Laufe des wurde schließlich eine "Verordnung zum Schutze von Volk und Staat" erarbeitet, die wesentliche Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte, der Reichsregierung die Einsetzung von Reichskommissaren in den Ländern ermöglichte, und die Todesstrafe für Hochverrat, Brandstiftung und andere Delikte einführte. Im Gegensatz zu Walther Hofers (1982: 44) Behauptung, daß die Verordnung "bereits am Morgen des [auf den Reichstags- 41 Mommsen (1964: 391) geht davon aus, daß die Nationalsozialisten zumindest "von dem kommunistischen Ursprung der Brandstiftung überzeugt waren", diese Interpretation also nicht taktisch motiviert war. Die Beantwortung der Frage, inwieweit sie an den Reichstagsbrand als Auftaktsignal zu einem kommunistischen Aufstand glaubten, hält er für schwieriger. 42 Görings Anweisung zur Verhaftung von Sozialdemokraten wurde von Diels nicht umgesetzt (Mommsen 1964: 389). Mommsen (1987: 51) erkennt in der von ihm als taktisch verfehlt gewerteten Einbeziehung der Sozialdemokraten in den Verhaftungsbefehl einen weiteren Hinweis darauf, daß Göring "keinem vorbereiteten und in sich schlüssigen Konzept folgte".

60 60 brand] folgenden Tages veröffentlicht wurde, also von langer Hand vorbereitet sein mußte", läßt sich ihr Entstehungsprozeß anhand der Kabinettsprotokolle (vgl. Tobias 1962: ) bis zur Verabschiedung um Uhr und Unterzeichnung durch den Reichspräsidenten "am Abend des 28. Februar" (Jesse 1987b: 60) rekonstruieren. 43 Das Verhalten der NS-Führer während und nach dem Reichstagsbrand kann nur in dem Sinne gedeutet werden, daß sie von einer kommunistischen Brandstiftung nicht nur überzeugt waren, sondern daß diese Vorstellung zu einer 'fixen Idee' wurde. Weder das Ausbleiben des erwarteten Aufstandes der Kommunisten, noch das Göring am 3. März vorgelegte Ermittlungsergebnis der Kriminalpolizei, in dem van der Lubbe als Alleintäter betrachtet, und eine Tatbeteiligung Torglers ausgeschlossen wurde, verunsicherte die NS-Führung. Statt dessen ließ sie sich schließlich auf die Behandlung des Reichstagsbrandes in einem regulären Strafprozeß ein, bei dem die im Vorfeld erfolgte Auswechslung des Untersuchungsrichters die einzige direkte politische Intervention blieb (Mommsen 1964: 364). Ein wichtiger Grund für diese Entscheidung dürfte zudem die Verhaftung der drei bulgarischen Kommunisten Dimitroff 44, Popoff und Taneff am (vgl. Tobias 1962: ) gewesen sein, die Göring wohl "jeden Zweifel" nahm, daß sich ein unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfindender Prozeß "als Farce entpuppen könne" (Mommsen 1964: 366). Doch schon hier gingen die NS-Politiker in die Falle, die sie sich durch die Einsetzung des neuen Untersuchungsrichters Paul Vogt selbst gestellt hatten, denn dieser verschaffte sich keineswegs "Gewißheit über die Zuverlässigkeit der Behauptungen" (Tobias 1962: 128) eines Kellners, die nach der Aussetzung einer Belohnung von Reichsmark zur Verhaftung der drei Bulgaren geführt hatten. Vielmehr erging sich Vogt in der gesamten Voruntersuchung darin, ihm wünschenswert erscheinende Zusammenhänge "mühselig aus dubiosen Zeugenaussagen" (Mommsen 1964: 367) zu konstruieren. In dem ab dem vor dem IV. Strafsenat des Leipziger Reichsgerichts an 57 Tagen verhandelten Verfahren gegen van der Lubbe, Torgler und die drei Bulgaren brach das von Vogt "kunstvoll errichtete Gebäude der Anklage" schließlich "wie 43 Mommsen (1964: 403) geht davon aus, daß die Nationalsozialisten "durch diesen klaren Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung... die Sympathien mancher Wählerkreise aufs Spiel setzten", mithin taktisch unklug handelten. Zur Legalisierung der Verhaftungen und Presseverbote sei die Notverordnung nicht notwendig gewesen, da diese bereits auf auf eine Verordnung vom 4. Februar "gestützt worden" (Mommsen 1964: 402) seien; zudem wären den Nationalsozialisten die "durch die Notverordnung vorweggenommenen Vollmachten mit der beabsichtigten parlamentarischen Ermächtigung in den Schoß gefallen" (Mommsen 1964: 403). 44 Georgi Dimitroff, geb. 1882, nahm am bulgarischen Aufstand von 1923 teil und war seitdem in verschiedenen europäischen Ländern im Exil. Nach seinem Freispruch im Reichstagsbrandprozeß wurde er in die Sowjetunion abgeschoben bis 1943 Generalsekretär der Komintern, war Dimitroff von 1946 bis zu seinem Tod 1949 bulgarischer Ministerpräsident.

61 61 ein Kartenhaus" zusammen (Mommsen 1964: 367). Zeitweise war das Verfahren von nichts anderem als der "Selbstverteidigung der nationalsozialistischen Regierungsmitglieder" (Mommsen 1964: 410) gegen die im weltbekannten Braunbuch (1973) erhobenen Anschuldigungen (vgl. Kapitel 3.1.3) geprägt, die für die internationale Öffentlichkeit durch die Inszenierung eines "Gegenprozesses" in London spektakulär aufbereitet worden waren. 45 Am wurden Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff freigesprochen; eine Verurteilung schied schon angesichts der großen Aufmerksamkeit, mit der der Prozeß vom Ausland verfolgt worden war, aus, wenn "das Gericht auch nur einigermaßen glaubwürdig bleiben wollte" (Mommsen 1964: 410). Dennoch übernahm das Gericht die Auffassung der Anklage, daß mehrere Täter am Werk gewesen sein müßten (vgl. Anm. 39), sprach zudem ohne jeden Anhaltspunkt von "kommunistischen" Urhebern, die eine "Machtergreifung durch die KPD" angestrebt hätten (Tobias 1962: 460). Marinus van der Lubbe wurde wegen "Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tode" (Tobias 1962: 457) verurteilt und am 10. Januar 1934 in Leipzig hingerichtet. Indem es mit diesem Urteil die rückwirkende Verschärfung der Strafandrohung durch die Reichsregierung anerkannte, verletzte das Gericht das grundlegende rechtsstaatliche Prinzip, nach dem ein Täter nur nach zum Tatzeitpunkt geltendem Recht verurteilt werden darf Das Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror Das "Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror" (Braunbuch 1973) erschien am 1. August 1933, wurde in mindestens 19 Sprachen übersetzt und erreichte eine Auflage von etwa einer halben Million Exemplaren (Sohl 1980: 325). Es war innerhalb der seit dem Reichstagsbrand vergangenen fünf Monate in Paris unter der Leitung von Willi Münzenberg 47 entstanden. 48 Ziel des Buches 45 Der "Gegenprozeß" war laut Koestler (1955: 207) Willi Münzenbergs (vgl. Anm. 47) Idee gewesen. Er dauerte vom bis zur Verkündung des Urteils, "das die Kommunisten für unschuldig und die Nazis für schuldig erklärte", am , einen Tag vor Prozeßbeginn in Leipzig (vgl. Kapitel 3.1.4). 46 Die Reichsregierung hatte Ende März 1933 "im Gedanken an van der Lubbe" (Mommsen 1964: 365) die "Verordnung zum Schutze von Volk und Staat" auf Taten ausgeweitet, die "zwischen dem 31. Januar und dem 28. Februar 1933 begangen sind" (Tobias 1962: 630). 47 Willi Münzenberg, geb. 1889, seit 1924 Mitglied im ZK der KPD, baute in den zwanziger Jahren mit Unterstützung der Komintern ein umfassendes kommunistisches Medienunternehmen auf. Nach seiner Emigration nach Paris im Februar 1933 kaufte er den Verlag Editions du Carrefour, in dem er unter anderem die Braunbücher publizierte. Im Zuge der Moskauer Prozesse der trotzkistischen Abweichung beschuldigt, wurde Münzenberg bis zu seinem endgültigen KPD-Ausschluß im April 1939 nach und nach seiner Parteiämter enthoben. Im

62 62 war es unter anderem, die Behauptung der Nationalsozialisten zu widerlegen, der Reichstagsbrand sei das Ergebnis einer 'kommunistischen Verschwörung' gewesen. Der überzeugendste Weg aber, die Unschuld der Kommunisten zu beweisen, konnte nur der sein, den Reichstagsbrand aufzuklären, ein Unterfangen, dessen Durchführung im Pariser Exil mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet war, gab es hier doch, so Arthur Koestler 49 (1955: 205), "keine unmittelbaren Beweise, keinen Zugang zu den Zeugen und nur unterirdische Verbindungen mit Deutschland". Die naheliegendste und für die Kommunisten entlastendste Erklärung des Reichstagsbrandes war zweifellos die, daß die allgemein als die Hauptnutznießer des Brandes betrachteten Nationalsozialisten seine Urheber waren. Diese Vorstellung hatte schon unmittelbar nach dem Reichstagsbrand Verbreitung gefunden und wurde bald zur 'Gewißheit'. 50 So etwa im Leitartikel der ersten Ausgabe der Neuen Weltbühne Anfang April 1933, nachdem der ehemalige Röhm-Mitarbeiter Bell 51 in Österreich von einem Rollkommando der SA ermordet worden war (vgl. Höhne 1976: 93f.): "Es ist erwiesen, daß Bell über die geheimen Zusammenhänge des Reichstagsbrandes mehr wußte als irgendein Mensch außerhalb des nationalsozialistischen Generalquartiers: er wurde erschossen, damit van der Lübbe gehängt werden kann. Dann bleibt von den Mitwissern wohl nur noch Reichsminister Goering übrig." (Schlamm 1933a: 409) Sommer 1940 starb er unter bisher ungeklärten Umständen auf der Flucht vor den in Frankreich einmarschierenden deutschen Truppen. 48 Der DDR-Historiker Sohl (1980: 292) verschweigt die Beteiligung des "Renegaten" Münzenberg an der Entstehung des Braunbuches und nennt statt dessen Alexander Abusch als von der KPD beauftragten (Sohl 1980: 293) Koordinator für die Erstellung des Braunbuchs. Zum "engeren Kreis" der Braunbuch-Mitarbeiter zählt er des weiteren Otto Katz, Rudolf Feistmann, Albert Norden und Max Schroeder (Sohl 1980: 295). Koestler (1955: 207) nennt Otto Katz als den anonymen "Autor des Braunbuchs". 49 Arthur Koestler, geb. 1905, kam erst während des Reichstagsbrandprozesses nach Paris und arbeitete dort für Münzenberg als Beobachter der internationalen Prozeß-Berichterstattung (vgl. Koestler 1955: 201; 205). Obgleich er an der Erstellung des Braunbuches nicht beteiligt war, hatte er doch Einblick in die Beweislage bezüglich der Braunbuch-Behauptungen. 50 Bereits am forderte Hermann Göring in einer Ministerbesprechung Schritte "gegen die Auslandspresse..., die zum Teil berichtete, der Reichstag sei von ihm selbst in Brand gesteckt" worden (Tobias 1962: 624). 51 Der Journalist Georg Bell (vgl. Kapitel 2.4.2) agierte neben seiner Tätigkeit für Röhm auch als Informant der SPD (Höhne 1976: 71). Spätestens seit seinem NSDAP-Austritt am (vgl. Tobias 1962: 695f.) erfreute er sich der "Feindschaft der höchsten Parteileitung und Röhms zugleich" (Tobias 1962: 576). Zur angeblichen Mitwisserschaft Bells bezüglich des Reichstagsbrandes vergleiche Tobias (1962: ).

63 63 Auch die Autoren des Braunbuches machten die These von der Täterschaft der Nationalsozialisten zur Grundlage ihrer Erklärung des Brandes, waren dabei aber weitgehend auf Spekulationen angewiesen: 52 "Das einzige, was wir mit Sicherheit wußten, war, daß irgendwelche Nazikreise es irgendwie zustande gebracht hatten, das Gebäude abbrennen zu lassen. Alles andere waren Schüsse ins Blaue, die aber ins Schwarze trafen." (Koestler 1955: 206) Entscheidendes Hindernis für die These der Nazitäterschaft blieb, daß mit dem Rätekommunisten Marinus van der Lubbe ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied der holländischen KP am Tatort verhaftet worden war und keineswegs leugnete, der Brandstifter zu sein. Er mußte irgendwie in das Konzept der Nazitäterschaft integriert werden, sollte hier nicht der Widerspruch bestehen bleiben, daß die Nationalsozialisten einen geständigen Täter präsentieren konnten, der zudem der KPD näherzustehen schien, als ausgerechnet den Nationalsozialisten. Schon in den ersten Wochen nach dem Reichstagsbrand war in der Presse des Auslands über eine Zusammenarbeit van der Lubbes mit den Nationalsozialisten und deren Motive wild spekuliert worden. Diese Spekulationen basierten weitgehend auf 'Informationen' 53 der sowjetischen Propaganda, die unkritisch kolportiert wurden. So verbreitete nach einer Meldung der Neuen Volks-Zeitung (1933a) der Moskauer Rundfunk am 14. März 1933 die Behauptung, "dass von der Lippe, der angeblich das Reichstagsgebäude in Berlin angezündet hat, 5000 Mark von der jetzigen deutschen Regierung erhalten hat und die Zusicherung, daß er nach zwei Monaten als unzurechnungsfähig entlassen werden wird". Fand diese Meldung auch schnelle und phantasievolle Verbreitung, 54 so mußte sie doch langfristig durch eine plausibelere Erklärung ersetzt werden, insbesondere, nachdem sich abzeichnete, daß die NS-Führung keineswegs Anstalten machte, die Brandstiftung zu honorieren. 52 Auch sie konstruierten einen Zusammenhang zwischen Bell, van der Lubbe und dem Reichstagsbrand (vgl. Braunbuch 1973: 54f.); eine Konstruktion, die sich schon wegen Bells zwischenzeitlichen Todes anbot. 53 Die Vorstellung einer Verbindung van der Lubbes mit den Nationalsozialisten hatte Anfang März 1933 aus Deutschland 'Nahrung' erhalten, nachdem van der Lubbe, der auf einer Reise 1932 im sächsischen Sörnewitz genächtigt hatte, mit dem Hochstapler Wilhelm Barge verwechselt worden war. Dieser hatte sich sechs Wochen später im benachbarten Brockwitz unter der Vorgabe, er sei bei der NSDAP-Reichsleitung tätig, auf Kosten der NSDAP-Ortsgruppe in einem Gasthaus unterbringen lassen (vgl. Tobias 1962: 68-71). Obwohl sich die Verwechslung bald aufklärte, wurde diese Geschichte im Braunbuch (1973: 58f.) kolportiert. 54 Laut Rotbuch (1983: 47) berichteten Humanité und De Tribune kurz darauf, van der Lubbe sei ein "bezahlter Provokateur", der Mark erhalten habe und nach zwei Monaten wieder freigelassen werde.

64 64 Die Autoren des Braunbuchs 'schossen' nun in eine Richtung, die bezüglich ihres Wahrheitsgehaltes das "Blaue" war, bezüglich ihrer Überzeugungskraft jedoch "ins Schwarze" traf: Marinus van der Lubbe wurde zum Homosexuellen. Die Instrumentalisierung von Homosexualität lag in diesem Fall auf der Hand, bot sie doch gleich mehrere entscheidende Vorteile. Zunächst ließ sich über über die Diskreditierung van der Lubbes als Homosexueller die notwendige Distanzierung von dem ehemaligen KP-Mitglied einleiten. Gleichzeitig bot das Stigma Homosexualität die geeignete Folie, auf die sich alle negativen Eigenschaften projizieren ließen, die die einzige, aber komplizierte Lösung des Problems, eine Verbindung des Kommunisten van der Lubbe mit den Nazi- Tätern, glaubhaft erscheinen ließen. Zudem ließ sich die Homosexualität selbst als 'glaubhaftes' Verbindungsglied zu bestimmten "Nazikreisen" verkaufen, war doch ein diffuser Zusammenhang der Nationalsozialisten mit Homosexualität über die Röhm-Kampagne bereits in den öffentlichen Diskurs eingeführt. Nun harrte die Homosexualität van der Lubbes ihrer Entdeckung. Das Braunbuch (1973: 44) widmete der Lebensgeschichte van der Lubbes ein zwanzigseitiges Kapitel unter der Überschrift "Van der Lubbe, das Werkzeug". Der Autor dieses Kapitels, Otto Katz 55, war extra in die Heimatstadt van der Lubbes, nach Leiden gefahren, um dort zu 'recherchieren'. In dem Kapitel wurde die Entwicklung van der Lubbes von seiner Geburt bis zu seiner Festnahme im Berliner Reichstagsgebäude chronologisch (re-) konstruiert. Dabei wurden unbelegte Auskünfte von Verwandten, Freunden, Kollegen und (Partei-) Genossen van der Lubbes mit "protokollierten" Aussagen meist nur mit Initialen benannter "Zeugen" montiert. Charakteristisch ist, daß viele eindeutige, für die Beweiskette unverzichtbare Aussagen, schon im nächsten Halbsatz relativiert wurden. Durch eine geschickte Zusammenstellung suggerierten sie letztendlich ein Charakterbild van der Lubbes, das ihn geradezu zwangsläufig am in das Berliner Reichstagsgebäude führen mußte. Der Entdeckung der Homosexualität van der Lubbes kam dabei entscheidende Bedeutung zu, begründete sie doch seine Verbindung mit den Nationalsozialisten und wurde damit zum Drehund Angelpunkt der Theorie. Bereits in der Jugend van der Lubbes spürte Otto Katz einige 'Besonderheiten' auf, so etwa, daß er "schon in der Schule von dem Bestreben besessen war, sich hervorzutun". Damals allerdings konnten, da er der Älteste war, noch vier "Zauberkunststücke genügen, um die Herrschaft zu sichern". Der Hang, sich 55 Otto Katz, geb in Prag, war seit 1922 in Berlin im Verlagswesen tätig wurde er KPD-Mitglied, seit 1929 arbeitete er für Willi Münzenberg. Ende 1930 flüchtete Katz wegen einer Anklage der Steuerhinterziehung nach Moskau, im Frühjahr 1933 wurde er von Münzenberg nach Paris geholt. Dort war er maßgeblich an der Entstehung der beiden Braunbücher beteiligt und organisierte den sogenannten Londoner 'Gegenprozeß' (vgl. Anm. 45) emigrierte Katz in die USA, 1941 nach Mexiko ging er in die Tschechoslowakei, wurde Mitglied der KSC und 1952 als zionistischer und britischer Agent hingerichtet.

65 65 hervorzutun, kannte jedoch keine Tabus und so sprach er als Zwölfjähriger "oft und ausführlich von der kirchlichen Laufbahn, die er einschlagen will" (Braunbuch 1973: 46). Schon diese Eigenheiten verwiesen sehr deutlich auf das "Zauberkunststück", das er als Vierundzwanzigjähriger vollbrachte. Katz sparte auch nicht mit Andeutungen, worauf sie möglicherweise zurückzuführen seien: "Sie [die Schulkameraden] necken ihn aber auch wegen seiner Scheu vor Mädchen. Diese Besonderheit des Marinus van der Lubbe ist so stark und augenfällig, dass seine früheren Schulkameraden heute noch übereinstimmend davon erzählen. Er war nicht zu bewegen, in Mädchengesellschaft zu gehen. Er suchte seine Liebe in den Reihen der Schulknaben und Altersgenossen." (Braunbuch 1973: 46) Die "Besonderheit" van der Lubbes kam offensichtlich nicht von ungefähr, sie schien vielmehr tief in seiner Persönlichkeit verwurzelt. Obwohl sich "der Handelsgeist des Vaters auf ihn vererbt" (Braunbuch 1973: 46) hatte, so die (nicht gerade von marxistischem Geist geprägte) Feststellung des Autors, beschloß van der Lubbe zunächst, Maurer zu werden. Gerade wegen seines kräftigen Körperbaus allerdings blieb es seinen Maurerkollegen "umso unerklärlicher", daß er "eine solche Scheu vor Frauen hat" (Braunbuch 1973: 47). Hier appellierte Katz erstmals deutlich an das Klischee von der Weiblichkeit des Homosexuellen. Ließ sich van der Lubbe auch nicht in dieses Bild integrieren, so gewährleistete doch die Thematisierung eines Widerspruchs zwischen Erscheinungsbild und 'Wesen' die Glaubwürdigkeit der Darstellung. Der Abschnitt über das "Haus in der Uiterste Gracht" sollte schließlich den letzten Beweis der Homosexualität van der Lubbes erbringen. Schon einleitend wurde im Stil von Kriminal- oder Gruselromanen Befremden evoziert: "Das Haus Nr. 56 in der Uiterste Gracht unterscheidet sich äusserlich keineswegs von den typischen holländischen Häusern. Aber wenn du mit einem Leidener über dieses Haus sprichst, dann merkst du, dass es ein besonderes Haus ist, ein Haus, in dem merkwürdige Menschen hausen und merkwürdige Dinge geschehen. Es gibt Leidener Bürger, die dieses Haus für eine Lasterhöhle halten." (Braunbuch 1973: 51) Marinus van der Lubbe zählte natürlich zu den Bewohnern dieses Hauses, ebenso wie "ein 'geheimnisvoller' deutscher Student" (Braunbuch 1973: 52). Auch dies wieder ein Beispiel dafür, wie die Autoren mit der Suggestivkraft ihrer Aussagen spielten. Der "geheimnisvolle" Deutsche wurde im ganzen Braunbuch nie wieder erwähnt. Seine Erwähnung an dieser Stelle diente einzig dazu, den Eindruck einer Verbindung van der Lubbes mit "geheimnisvollen" deutschen Kreisen hervorzurufen, zumal er mit diesem deutschen Studenten eine wichtige Eigenschaft teilte:

66 66 "Die eben genannten Mieter waren alle durch eine gemeinsame Eigenschaft verbunden: sie waren homosexuell, der eine oder der andere vielleicht bisexuell. An sich wäre diese Tatsache ohne jeden Belang und nicht erwähnenswert. In unserem Bericht muss sie hervorgehoben werden, weil die Homosexualität van der Lubbe bei seinen späteren Reisen nach Deutschland mit den Nazis in Verbindung brachte." (Braunbuch 1973: 52) Die eindeutige Aussage, die Mieter seien "alle" homosexuell, wurde sofort wieder relativiert. Die Tatsache, daß außer van der Lubbe nur zwei andere Mieter in dem Haus wohnten, eine "zeitlang" zusätzlich noch der deutsche Student, macht die Aussage, "der eine oder der andere" sei "vielleicht bisexuell", besonders interessant, sollte doch die Homosexualität der Mitmieter auch die des van der Lubbe erweisen (Braunbuch 1973: 52): "Piet van Albada hat nach seinem Auszug aus dem Haus in der Uiterste Gracht geheiratet, und auch der Chauffeur Izak Vink lebt jetzt mit einer Frau zusammen. Trotzdem steht fest, dass van der Lubbe zu diesen beiden und auch zu anderen in homosexuellen Beziehungen stand. Izak Vink hat unserem Berichterstatter erzählt, dass er mit van der Lubbe oft in einem Bett geschlafen hat. Piet van Albada hatte homosexuelle Beziehungen zu einem Leidener Universitätsprofessor. Van der Lubbe ist seinem ganzen Wesen nach homosexuell. Seine Art ist weibisch, seine Zurückhaltung und Scheu Frauen gegenüber ist durch viele Aussagen erhärtet, sein Anlehnungs- und Zärtlichkeitsbedürfnis Männern gegenüber notorisch." Der einzige konkrete 'Beweis' für van der Lubbes Homosexualität blieb hier die Aussage, er habe mit einem Mitbewohner "oft in einem Bett geschlafen", offensichtlich auch für den Autor nicht glaubwürdig genug, denn er schob nun die "bei einem Notar" protokollierte Aussage 56 eines allerdings anonym bleibenden deutschen "Jungarbeiters" (Braunbuch 1973: 52) nach, derzufolge van der Lubbe versucht habe, dessen "Geschlechtsteil zu berühren" (Braunbuch 1973: 53). Damit war eine homosexuelle Veranlagung van der Lubbes in den Augen des Autors endgültig bewiesen: "Die Homosexualität van der Lubbes hat neben seinem Geltungstrieb sein Leben entscheidend beeinflußt" (Braunbuch 1973: 53). Um die Homosexualität wurden neben dem "Geltungstrieb" noch weitere negative Eigenschaften angesiedelt, die auch van der Lubbes Bruch mit dem kommunistischen Jugendverband erklären sollten. Etwa eine "Verbohrtheit", die Diskussionen mit ihm fruchtlos macht: 56 Die Authentizität dieser, wie auch aller anderer angeblich bei Notaren hinterlegter Aussagen, die im Braunbuch angeführt werden, wurde nie nachgewiesen. Das Ersuchen des Leipziger Reichsgerichtes, die Aussagen für die Beweisaufnahme im Reichstagsbrandprozess bereitzustellen, wurde von den Verfassern des Braunbuches abgelehnt (Tobias 1962: 216).

67 67 "Parallel mit dieser Verbohrtheit geht eine merkwürdige Weichheit, wie sie bei Homosexuellen oft zu finden ist. Daneben ein Hang zu lügen und zu übertreiben. Frau van Zijp, die van der Lubbe sehr gut kennt, erzählt, dass er es mit der Wahrheit nicht genau nimmt. Und auch seine besten Freunde, der Maurer Harteveld, der Chauffeur Izak Vink und dessen Bruder Koos Vink bestätigen van der Lubbes Eitelkeit, die ihn vielfach zu Lügen und Übertreibungen veranlasst." (Braunbuch 1973: 54) Diese Charakterisierung van der Lubbes ließ seine im folgenden beschriebenen Kontakte zu Georg Bell (vgl. Anm. 51), der "in der nationalsozialistischen Bewegung eine große Rolle" gespielt habe, nicht mehr unglaubwürdig erscheinen. Diesen sollte er 1931 auf einer Deutschlandreise kennengelernt haben, wie ein "Freund Dr. Bells, Herr W. S." (Braunbuch 1973: 55) zu berichten wußte: "Der junge Holländer hat Bell später auch in München besucht. Bell nannte ihn Renus oder Rinus. Er ist öfter mit ihm zusammengekommen." Auch der anonyme deutsche "Jungarbeiter" konnte die Bekanntschaft Bells mit van der Lubbe bestätigen, hatte ihm letzterer doch erzählt, "dass ein gewisser Dr. B. sich seiner angenommen und ihn mit vielen Menschen bekannt gemacht habe". Welcher Art diese Bekanntschaften waren, deutete sich im nächsten Abschnitt an, denn Bell war "nicht nur der aussenpolitische Berater Röhms, er war auch sein Vertrauter in Liebesdingen", kurz, "Dr. Bell war der Zutreiber Röhms". Natürlich führte Bell auch "eine genaue Liste über alle Jünglinge, die er Röhm zugetrieben hatte" (Braunbuch 1973: 56). Zwar wurde diese "Liebesliste" bei der Ermordung Bells "geraubt", doch "W. S." hatte sie schon einmal gesehen: "Es waren ungefähr 30 Namen darauf vermerkt. Ich erinnere mich genau an einen Vornamen 'Rinus', hinter dem in Klammern ein holländischer Name, beginnend mit 'van der' stand." (Braunbuch 1973: 57) Hier erweist sich nun, was die Homosexualität als Verbindungsglied zu den Nationalsozialisten für die Braunbuch-Autoren so interessant machte. Über sie ließ sich nicht nur mittels subtilen Appells an Klischees Befremden evozieren, sie bot auch die Basis, weitere Stigmata wie Zuhälterei und Promiskuität anzusprechen. Skepsis des Leser gegenüber der Beweisführung sollte angesichts des sich darbietenden 'Sumpfes', in dem herumzustochern es sich nicht schickt, eliminiert werden: wen konnte denn noch ernsthaft interessieren, wer jener Jungarbeiter oder Herr W. S. waren, ob Dr. B. tatsächlich mit Bell oder "Renus oder Rinus" mit van der Lubbe identisch war. Die Verbindung van der Lubbes mit den Nationalsozialisten sollte als erwiesen gelten und aus ihr folgte zwingend die gemeinsame Täterschaft:

68 68 "Van der Lubbes homosexuelle Beziehungen zu nationalsozialistischen Führern, seine materielle Abhängigkeit von ihnen, machten ihn dem Willen der Brandstifter hörig und gefügig. [... ] Aus allen diesen Gründen wurde van der Lubbe zum Werkzeug der Brandstifter gewählt. Seht die Hauptfiguren des Komplotts: Den Plan zur Brandstiftung ersann der fanatische Verfechter der Lüge und Provokation: Dr. Goebbels. Die Leitung der Aktion hatte ein Morphinist: Hauptmann Göring. Die Führung der Brandstifterkolonne war einem Fememörder anvertraut: Edmund Heines. Das Werkzeug war ein kleiner, halbblinder Lustknabe: Marinus van der Lubbe." (Braunbuch 1973: 62) Ernst Röhm und sein Lustknabe van der Lubbe im Exildiskurs Die Wahrheiten des Braunbuches fanden nach seinem Erscheinen innerhalb weniger Wochen weltweite Verbreitung. Sie prägten außerhalb Deutschlands nicht nur die Vorstellungen über das Zustandekommen des Reichstagsbrandes, sie erwiesen auch von neuem ein enges Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Homosexualität. Marinus van der Lubbe wurde zu dem (noch) lebenden Beweis für die Anfälligkeit des 'homosexuellen Charakters' für faschistische Ideologie. Viele deutsche Exilzeitschriften kolportierten unkritisch die Geschichte des Lustknaben van der Lubbe. Angesichts der politischen Polarisierung, die das Terrorregime der Nationalsozialisten ausgelöst hatte, erschien die Beweisführung des Braunbuches wenig zweifelhaft: "Und nun folgt im 'Braunbuch' die überzeugende Darstellung des Reichstagsbrandes, wie er wirklich angestiftet wurde. Wer sich das 'Braunbuch' aus Geldmangel nicht besorgen kann, verkaufe seine Bibliothek: In dieser Zeit wiegt die nüchterne, materialgesättigte Enthüllung des größten Verbrechens der Geschichte zwei Schränke Weltliteratur auf. Das 'Braunbuch' muß Millionen Leser finden." (Neue Weltbühne 1933a: 1079) Doch selbst wenn manchem Autor Zweifel an der Braunbuch-Geschichte gekommen sein sollten: letztendlich ging es nicht mehr darum, ob die Beweisführung des Braunbuches einer juristischen Prüfung standhalten könnte. Die Auseinandersetzung um den Reichstagsbrand war längst zu einem Kampf um die Meinung der Weltöffentlichkeit geworden, der für die deutschen Emigranten existentielle Bedeutung hatte, ging es doch auch um die Bedingungen ihrer Exilsituation. Kristallisationspunkte dieser Auseinandersetzung wurden der Londoner 'Gegenprozeß' (vgl. Anm. 45), der sich in seiner Beweisführung auf das Braunbuch stützte, und der sich anschließende Leipziger Prozeß gegen die angeblichen kommunistischen Brandstifter:

69 69 "Erhärtet sich die Vermutung, daß die deutsche Regierung den Brand gewünscht hat, dann weiß jeder ausländische Staatsmann, der mit einer solchen Regierung Verträge abschließen und Freundschaft halten wollte, daß er von seinem eignen Volk in Hinkunft als Verbrecher behandelt würde. Kann aber der formelle Beweis der planmäßigen Brandstiftung durch die kommunistische Parteizentrale vom leipziger Gericht konstruiert werden, dann geht die öffentliche Meinung der ganzen Welt ins Konzentrationslager des deutschen Regimes über." (Schlamm 1933b: 1138) Es ist nicht weiter verwunderlich, daß viele Exilpublikationen die Darstellung des Braunbuches unverändert in ihre Argumentation übernahmen, zumal der als dessen Herausgeber fungierende Lord Marley 57 (1933: 7) als Garant für die Existenz des angeblich bei Notaren hinterlegten Beweismaterials auftrat. Der Umgang mit dem Beweismittel Homosexualität war allerdings differenzierter. Nicht in allen Exilzeitschriften wurde den diesbezüglichen Ausführungen ein so hoher Stellenwert beigemessen, wie im sozialdemokratischen Neuen Vorwärts: "Es ist von ungeheurer Wichtigkeit, daß van der Lubbe ferner auf jener berüchtigten Liste steht, auf der Hauptmann Röhm die Namen seiner 'Lieblinge' verzeichnet hat. Jahrelang hat van der Lubbe in engen Beziehungen zum Braunen Haus gestanden." (Neuer Vorwärts 1933a): Auf die Redakteure sozialdemokratisch orientierter Zeitschriften scheint der Braunbuch-Beweiskomplex Homosexualität einen starken Eindruck gemacht zu haben. Dabei sprach das Reizthema Homosexualität offensichtlich auch dort an, wo es als Instrument zur Diskreditierung des politischen Gegners noch nicht etabliert war, so bei der sozialdemokratischen New Yorker Neuen Volks-Zeitung (1933c), die sich bislang ob der räumlichen und politischen Entfernung zu Europa kaum dem homosexuellen Nationalsozialisten gewidmet hatte. Von den "in juristisch einwandfreier Weise" dargelegten Braunbuch-Thesen zeigte sie sich (in formal und inhaltlich weniger einwandfreier Form) überzeugt: "Der 'Kronzeuge', der Verbrecher v. d. Lübbe wird vorgestellt und auch der Nachweis erbracht, dass Lübbe, ein feiler Lustknabe, mit den Nazis Verbindung hatte; zumindest mit den Führern, Staatschef Röhm und den von den Nazis in Kufstein ermordeten Dr. Bell, der 'zuviel' davon wusste, ist der Beweis erbracht!" 57 Als weiterer Herausgeber war schon frühzeitig Albert Einstein bekannt gegeben worden, ohne daß dieser hierzu sein Einverständnis gegeben hätte (vgl. Tobias 1962: 210). Im Braunbuch (1973) tauchte sein Name schließlich gar nicht auf.

70 70 Besonders die spektakuläre Aufbereitung der Braunbuch-Geschichte im Londoner 'Gegenprozeß' erwies sich als Multiplikator in der Berichterstattung über van der Lubbes Homosexualität, die hier "einwandfrei festgestellt" (Gegen- Angriff 1933b) wurde. Zu diesem Zweck war eigens eine Untersuchungskommission, bestehend aus dreien der insgesamt acht "Untersuchungskommissare" 58, nach Holland entsandt worden. Durch eine von Otto Katz "zielbewußt durchgeführte Vorauslese" (Tobias 1962: 223) bestätigten die von ihr am vernommenen 16 Zeugen durchweg die von Katz im Braunbuch gegebene Charakterisierung van der Lubbes. Entsprechend wurde im Untersuchungsbericht der Kommission immer wieder auf van der Lubbes "Veranlagung und seine Beinflussbarkeit" rekuriert, die schon "den Einwirkungen des Millieus keinen Widerstand boten", eines Milieus, das aus "asozialen Elementen und aus Homosexuellen bestand" und "natürlich auf die politische, geistige und charaktermäßige Entwicklung des van der Lubbe stärksten Einfluss" (Gegen-Angriff 1933b) hatte. Untermauert wurde der Untersuchungsbericht durch den Zeugen Freek van Leeuwen, der beim 'Gegenprozeß' am aussagte, daß van der Lubbes Beziehung zu seinem Mitbewohner Koos Vink so gewesen sei, "wie zwischen einem Mädchen und einem Jungen", und daß van der Lubbe dabei "die Rolle des Mädchens spielte" (Gegen-Angriff 1933a). Den Beweis, daß van der Lubbe auch den "Einwirkungen" der Nationalsozialisten keinen Widerstand hatte bieten können, sollte mit seiner Aussage anschließend ein "unbekannter Zeuge" (Deutsche Freiheit 1933a), der wohl mit dem Braunbuch-Zeugen "W.S." (vgl. Kapitel 3.1.3) identisch sein sollte, erbringen. Dieser trat angeblich "aus Rücksicht auf seine in Deutschland lebenden Angehörigen" (Deutsche Freiheit 1933a) anonym auf. Tatsächlich war die Anonymität wohl eher der Tatsache geschuldet, daß "W.S." nicht existierte. 59 Dieser 'anonyme' Zeuge erklärte, von Georg Bell Anfang 1932 "Röhms Liebesliste" gezeigt bekommen zu haben, auf der er unter anderem den Namen "Marinus van der" und "die Buchstaben '... ubbe' deutlich lesen konnte" 58 Bei den acht Untersuchungskommissaren handelte es sich um "international renommierte Anwälte liberaler Prägung" (Tobias 1962: 212), die Münzenberg über sein Weltkomitee für die Opfer des Hitlerfaschismus für den Londoner 'Gegenprozeß' hatte gewinnen können. 59 Die Rolle des anonymen Zeugen übernahm wahrscheinlich der KPD-Funktionär Albert Norden. Tobias (1962: 221f.) berichtet, Norden sei als "aus Deutschland stammender SA- Führer" aufgetreten, der "Einzelheiten der Brandstiftung unter Beteiligung von Göring, Bell und Röhm" wiederholt habe, bezeichnet "W.S." aber fälschlicherweise als "holländischen Zeugen". Tatsächlich wird "W.S." im Braunbuch (1973: 57) nie als Holländer, sondern lediglich als "Freund Bells" bezeichnet, von dem er "Röhms Liebesliste" gezeigt bekommen hätte - genau wie der anonyme Zeuge des Londoner 'Gegenprozesses' (vgl. Deutsche Freiheit 1933a). Daß Norden als Zeuge über "Bell und Röhm" ausgesagt haben soll, spricht dafür, daß er die Rolle dieses (im Braunbuch "W.S." genannten) anonymen Zeugen spielte.

71 71 (Deutsche Freiheit 1933a). 60 Die Braunbuch-Autoren hatten die entsprechende 'Aussage' von "W.S." als Beweis dafür gewertet, daß van der Lubbe ein "Lustknabe" Röhms gewesen sei; die Londoner Untersuchungskommissare allerdings maßen ihr in ihrem Urteil "wenig Beweiswert" bei. Demgegenüber hielten sie es für erwiesen, daß van der Lubbe in einem "Milieu von mehr oder minder anarchistischen Elementen, von Homosexuellen, zu denen er selbst gehörte", gelebt habe (Tobias 1962: 22f.). Auf die Redakteure der meisten deutschen Exilzeitungen allerdings wirkten die "sensationellen Aussagen" des anonymen Zeugen überzeugend; den Widerspruch zwischen der im Braunbuch veröffentlichten und der im 'Gegenprozeß gemachten Aussage (vgl. Anm. 60) nahmen sie nicht zur Kenntnis. So betrachtete es die sozialdemokratische Tageszeitung Deutsche Freiheit (1933a) als mit dieser Aussage erwiesen, daß van der Lubbe "auf seinen Reisen nach Deutschland durch homosexuelle und andere Beziehungen mit den höchsten Stellen der SA. in Verbindung gekommen" sei. Und selbst der Londoner Untersuchungskommissar Vincent de Moro-Giafferi (1933: 4), der den anonymen Zeugen persönlich verhört hatte, scheute sich nicht, diese These im Prager Aufruf zu stützen: "Es ist meine Überzeugung, dass van der Lubbe auf seiner abenteuerlichen Reise sentimentaler Art die Bekanntschaft von Persönlichkeiten gemacht hat, von denen es unter den Führenden Deutschlands eine ganze Reihe gibt. Wenn man eines gefügigen Exaltierten bedurft hat, eines Mannes, der von sich reden machen wollte, hätte man ein besseres 'Subjekt' finden können, als diesen van der Lubbe?" Auch der Neue Vorwärts setzte voll auf die Beweiskraft einer homosexuellen Beziehung zwischen Röhm und van der Lubbe für die unterstellte NS-Brandstifterschaft. Dabei zeigte sich, daß der Londoner 'Gegenprozeß' eine besonders phantasievolle Ausschmückung der subtilen Andeutungen des Braunbuches förderte. Stand etwa im Braunbuch (1973: 58) bezüglich einer frühen Deutschlandreise van der Lubbes, es bleibe "die Frage offen, woher er das Geld dazu nahm", so gab der Neue Vorwärts (1933d) das diesbezügliche Ergebnis des 'Gegenprozesses' folgendermaßen wieder: "Er steckte dauernd in Schulden und gerade wenn er nicht mehr finanziell weiterkonnte, pflegte er nach Deutschland zu reisen, um sich zu sanieren." Der im Braunbuch im Mittelpunkt der Konstruktion einer Beweiskette stehenden Appell an die Phantasie des Rezipienten zeitigte mit solch phantastischen 'Interpretationen' den gewünschten Erfolg. Die Vernehmung Freek van Leeuwens und zwei weiterer holländischer Zeugen über die Persönlichkeit van der Lubbes, aus der sich seine Charakterisierung als 60 Man beachte den Unterschied zum Braunbuch (1973: 57), nach dem sich der Zeuge "genau an einen Vornamen 'Rinus', hinter dem in Klammern ein holländischer Name, beginnend mit 'van der' stand", erinnern konnte.

72 72 "politischer Wirrkopf", "halb blind" und Homosexueller, der "notorisch das 'Mädchen' war", ergab, erlangte für den Neuen Vorwärts (1933d) schließlich eine solche Beweiskraft, daß "nunmehr nicht einmal die wertvollen und schlüssigen Bekundungen" anderer Zeugen Erwähnung finden müßten. Der Reichstagsbrand ließ sich also aufklären, wenn man van der Lubbe nur solange nach seinen "sexuellen Neigungen" befragte, "bis er die Wahrheit zugibt, daß er nämlich ein Werkzeug jener im Präsidentenhaus verkehrenden SA-Homosexuellen war". Doch keineswegs alle Exilzeitschriften zeigten eine so ausgeprägte Bereitschaft wie der Neue Vorwärts, die 'Beweise' von Braunbuch und 'Gegenprozeß' vollkommen unhinterfragt zu kolportieren. So erwähnte Das Neue Tage-Buch (1933b: 305) zumindest "einzelne Kritiker des Braunbuches und des sogenannten Londoner Gegenprozesses", die bemängelt hätten, daß "auch die These der nationalsozialistischen Schuld an dem Reichstagsbrand nicht genügend belegt sei". Dennoch sprach es der in Braunbuch und 'Gegenprozeß' dargelegten "Kette indirekter Indizien" letztendlich sogar mehr Beweiskraft zu, als einer möglichen Aussage van der Lubbes, "der Hauptmann Röhm, dessen Bettgenosse er gewesen, habe ihn für die Brandstiftung gedungen": "Es sind nur einige wenige nackte Tatsachen, die man kennen muss, um die Wahrheit mit den Händen zu greifen" (Neues Tage-Buch 1933b: 306). Die Neue Weltbühne erwies sich bezüglich der Thematisierung etwaiger Verbindungen zwischen van der Lubbe und Röhm als etwas vor- und umsichtiger, auch wenn sie die Aussage des Zeugen "W.S." nicht grundsätzlich in Frage zu stellen schien. Zudem lassen sich nur subtile Hinweise auf die angebliche Homosexualität van der Lubbes finden. Die Weitergabe der diesbezüglichen 'Erkenntnisse' von Braunbuch und 'Gegenprozeß' blieb zurückhaltend: "Die in London erfolgte eidesstattliche Versicherung eines Freunds des von der NSDAP ermordeten Doktor Bell, letzterer habe ihm ein auch Lubbes Namen aufweisendes Verzeichnis von Leuten gezeigt, für die sich Röhm privat interessiert, wurde vom Reichsgericht, das dem 'Braunbuch' in anderen Punkten alle erdenkliche Aufmerksamkeit zuwendet, nicht erörtert. Röhm wurde bisher nicht verhört." (Neue Weltbühne 1933b: 1338) Diese Zurückhaltung in der Berichterstattung der Neuen Weltbühne dürfte nicht zuletzt dem Einfluß ihres damaligen Chefredakteurs Willi Schlamm Willi Schlamm, geb. 1904, war seit 1918 im Jugendverband der KP Österreichs, seit 1923 auch im ZK der KPÖ engagiert wurde er als "Rechtsabweichler" ausgeschlossen war Schlamm Chefredakteur der Wiener Weltbühne, anschließend der Neuen Weltbühne. Anfang 1934 wurde er aufgrund seiner trotzkistischen Position als Chefredakteur abgelöst und durch den moskaufreundlichen Hermann Budzislawski ersetzt (vgl. Hiller 1980: 73f.). Daraufhin gründete er die Europäischen Hefte, die bis 1935 erschienen emigrierte Schlamm nach New York, wo er unter anderem für die Neue Volks-Zeitung arbeitete. Nach dem Krieg

73 73 geschuldet gewesen sein. Er verwahrte sich in seinen Artikeln immer wieder (vgl. Kapitel 3.4.3) gegen den Versuch, mittels der Thematisierung vorgeblicher Zusammenhänge zwischen Faschismus und Homosexualität das "Dritte Reich" und den Nationalsozialismus moralisch diskreditieren oder gar erklären zu wollen. Eine ironische Bemerkung in einem Artikel über den Leipziger Reichstagsbrandprozeß verdeutlicht Schlamms Ablehnung solcher Versuche, die sich in ihrer Argumentation nicht selten auf Hans Blühers Homosexualitätstheorie (vgl. Kapitel 2.1) stützten, indem sie Männerbünde per se als faschistoid, Blühers "Männerhelden" als Faschisten charakterisierten. Statt wie etwa der Neue Vorwärts (1933d), auf die moralische Empörung des Rezipienten spekulierend, die "SA-Homosexuellen" ins Feld zu führen, brachte Schlamm (1933c: 1203) die Kategorien gründlich durcheinander, indem er Blühers "Männerhelden" entpolitisierte: "Der Eindruck dieser ersten Prozeßtage ist nicht die hinreißende Mannhaftigkeit der Angeklagten Torgler und Dimitroff, - wenn die auch groß genug ist, um jener gefährdeten Jugend, die sich ins 'Heldische' des Fascismus verlieben will, leibhaftige und wahre Helden zu geben. Den überwältigenden Eindruck vermittelt Marinus van der Lubbe." Schlamms Bemerkung ist nicht nur Indikator für die Relevanz, die Blühers Homosexualitätstheorie als Stütze der Erklärungsversuche des Nationalsozialismus im Exildiskurs zukam. Sie ist auch subtile Gegenrede gegen die Konstruktion eines genuinen Zusammenhangs von Homosexualität und Faschismus: Der Verweis auf die kommunistischen "Männerhelden" Torgler und Dimitroff sollte die angebliche Erklärungskraft der Homosexualitätstheorie Blühers für den Faschismus ad absurdum führen. Die Berichterstattung über den seit dem verhandelten Leipziger Reichstagsbrandprozeß förderte zudem auch Erkenntnisse zu Tage, die geeignet waren, die "Kette indirekter Indizien" des Braunbuches auseinanderzureißen. Auch wenn die Deutsche Freiheit die Relevanz des von ihr veröffentlichten Prozeß-Berichtes nicht zur Kenntnis nahm, sich mithin nicht in ihrem Glauben an die 'Erkenntnisse' von Braunbuch und 'Gegenprozeß' erschüttern ließ, dokumentiert seine Veröffentlichung doch, daß der Exildiskurs nicht durch vollkommene Blindheit gegenüber unangenehmen Wahrheiten gekennzeichnet war. Der Bericht der Deutschen Freiheit (1933b) schilderte eine Episode vom zweiten Verhandlungstag des Leipziger Prozesses. Demnach befragte Torglers Verteidiger Sack den van der Lubbe von seiner Familie empfohlenen, von ihm aber abgelehnten Rechtsanwalt Stomps nach der angeblichen Homosexualität van der Lubbes: arbeitete er als Kolumnist für stern und Welt am Sonntag. Als solcher sprach er sich wiederholt für eine offensive Politik gegenüber der UdSSR aus und war ein vehementer Gegner der Ostpolitik Willy Brandts.

74 74 "Auf eine Frage des Verteidigers von Torgler, R.-A. Dr. Sack, bestätigt R.-A. Stomps, daß von allen Freunden und Bekannten des Angeklagten van der Lubbe entschieden bestritten worden sei, daß van der Lubbe homosexuell veranlagt sei. R.-A. Dr. Sack: Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil in dem sogenannten Braunbuch nur der Anfang des Satzes steht: 'Ich habe ein halbes Jahr mit van der Lubbe zusammengewohnt'. Die entscheidende Fortsetzung aber: 'und ich kann sagen, daß er nicht homosexuell ist,' ist im Braunbuch unter den Tisch gefallen. Welche Schlüsse aus dieser Weglassung gezogen werden müssen, ist ja verständlich." Trotz solcher Berichte wurde die Theorie des Braunbuches bezüglich des Zustandekommens des Reichstagsbrandes von der deutschen Exilpresse alles in allem anerkannt. Auch die sehr unterschiedlich ausgeprägte Kolportage der Braunbuch-Geschichte vom Röhm-Lustknaben van der Lubbe kann darüber nicht hinwegtäuschen. Skepsis gegenüber der Beweisführung von Braunbuch und 'Gegenprozeß' fand ihren Ausdruck allenfalls in einer zurückhaltenden oder verkürzten, sich mehr auf die grundsätzliche 'Erkenntnis' der NS-Brandstifterschaft konzentrierenden Berichterstattung. Das Konzept der Mobilisierung homophober Ressentiments wurde dagegen bevorzugt von sozialdemokratischen Zeitungen und Zeitschriften ausgereizt. Das Ende 1933 als Reaktion auf das Braunbuch von den anarchistischen Freunden van der Lubbes herausgegebene "Rotbuch" 62 vertrat demgegenüber vollkommen andere Vorstellungen über den Reichstagsbrand und mußte schon deshalb den Protest der deutschen Exilpresse evozieren. Braunbuch und Rotbuch waren zudem Schauplatz eines traditionsreichen Kampfes zwischen (stalinistischen) Parteikommunisten und libertären Sozialrevolutionären. Die Rotbuch- Autoren interpretierten van der Lubbes Tat in anarchistischer Tradition als den Versuch eines einzelnen, "das Signal zum proletarischen Aufstand" (Rotbuch 1983: 42) zu geben. Ihre Intention war es, die Ehre van der Lubbes zu retten, seine angebliche Verbindung zu Nationalsozialisten zu widerlegen. Detailliert widersprachen sie im Rotbuch den Aussagen des Braunbuches zum Leben van der Lubbes. So wurden Erklärungen sämtlicher im Braunbuch zu diesem Komplex namentlich genannter Zeugen abgedruckt, in denen diese ihre angeblich gegenüber Otto Katz gemachten Aussagen richtigstellten. Etwa die von Izak Vink, über den im Braunbuch (1973: 52) stand, er habe "erzählt, dass er mit van der Lubbe oft in einem Bett geschlafen hat": 62 Das genaue Erscheinungsdatum des Rotbuchs ist unbekannt. Bereits am zweiten Verhandlungstag ( ) des Leipziger Prozesses lag dem Gericht eine von den Brüdern van der Lubbes herausgegebene Broschüre vor, in der sich diese "mit großer Leidenschaft gegen die Behauptung" wendeten, daß "van der Lubbe ein faschistischer Spitzel sei" (Deutsche Freiheit 1933b). Um das Rotbuch (1983: 62) kann es sich hierbei allerdings nicht gehandelt haben, da in ihm ein Zeitungsbericht vom zitiert wird.

75 75 "Als Otto Katz mich fragte, ob ich jemals etwas von homosexuellen Neigungen bei Marinus van der Lubbe bemerkt habe, sagte ich ungefähr: 'Nein, ich habe so etwas nie bei ihm bemerkt oder davon etwas gehört.' Und im übrigen, wenn jemand davon wissen könnte, dann wohl ich, denn er hat verschiedene Male bei mir geschlafen. Ich hätte das dann doch wohl gemerkt, wenn da etwas dran wäre. Im Braunbuch mußte ich feststellen, daß meine Erklärungen völlig verkehrt und verdreht wiedergegeben worden sind. gez. I. de Vink" (Rotbuch 1983: 57) Auch die Argumentation der Rotbuch-Autoren konzentrierte sich auf die angebliche Homosexualität van der Lubbes, nicht ohne 'Liberalität' zu proklamieren: "Nun ist es uns persönlich zwar einerlei, ob einer Homosexueller, Schwergewichts-Champion, Spiritist oder sonst etwas ist, da Marinus' angebliche Homosexualität hier aber den Zweck erfüllen soll, später seine Bekanntschaft mit den Nazis zu erklären, müssen wir auf diesen Punkt trotzdem eingehen" (Rotbuch 1983: 55). Daß eine homosexuelle Veranlagung van der Lubbes einen Kontakt mit einer "schwülen, vergifteten Atmosphäre der Nazi-Homos" (Rotbuch 1983: 80) grundsätzlich wahrscheinlich erscheinen ließe, wurde von den Rotbuch- Autoren zumindest nicht in Frage gestellt. Und auch in der Bewertung, daß es sich bei der Unterstellung von Homosexualität um eine Zerstörung "des proletarischen Rufes" handele, stimmten die Rotbuch- (1983: 56) mit den Braunbuch-Autoren überein. Insofern war für die Rotbuch-Autoren die Widerlegung der Homosexualität van der Lubbes von großer Bedeutung. Hierfür jedoch konnten sie die glaubwürdigeren Aussagen vorweisen, zitierten sie ihre Zeugen doch nicht nur in Halbsätzen; zudem nannten sie sie mit vollem Namen und Adresse. Die Braunbuch-Autoren hatten ihnen den Widerspruch mit ihrer auf allzu dreisten Verdrehungen der Aussagen ihrer 'Zeugen' basierenden Konstruktion der Homosexualität van der Lubbes nicht schwer gemacht. Im Rotbuch wurde diese Methode schließlich so beschrieben: "Jedermann hereinspaziert! Das große Kungel- und Greuelzelt der III. Internationale. Tretet ein und seht, wie hier alle Geheimnisse mit Ei und Kaffeesatz entschleiert werden, wie man beweist ohne Beweise, wie man Schandknaben und Päderasten züchtet. Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. Und die Fälscher sprachen: Dort sei ein Schwuler. Und es war dort einer!" (Rotbuch 1983: 62) Das Rotbuch erfuhr im Gegensatz zum Braunbuch nur eine geringe Verbreitung. Stand hinter dem Braunbuch die Komintern, die die Finanzierung sicherte, so scheiterte beim Rotbuch (1983: 65) bereits die geplante Veröffentlichung "in vier Sprachen"; es erschien lediglich auf holländisch und wurde u. a. auf Märkten vertrieben. Entsprechend leicht war es, das Rotbuch und seine Gegenbeweise in der deutschen Exilpresse zu ignorieren oder diffamieren. Eine insgesamt

76 76 erstaunlich 'selbstkritsche' Reaktion veröffentlichte allerdings Robert Larus (1934: 86f.) in der Neuen Weltbühne. Zwar konstatierte er die "politische Gefährlichkeit" der "fanatischen Agitatoren einer Legende", unterstellte gar, unter ihnen gäbe es "gekaufte Naziagenten", deren Interesse es sei, "den Orkan der Entrüstung, der sich heute etwa in Holland gegen die Henker van der Lubbes erhebt, in Anbetung für den Falschgoldglorienschein des Hingerichteten und damit in Absolution für die Henker zu verwandeln". Dennoch erklärte Larus die Rotbuch-Autoren zu weitgehend "gutgläubigen Wirrköpfen" und suchte die Schuld für ihr Abfallen von der (stalinistischen) Parteilinie auch bei den "offiziellen sozialistischen Organisationen und Regierungen" (Larus 1934: 87): "Diese Organisationen und Regierungen erklären die Vergangenheit falsch und schätzen die Zukunft nach Kilometern ab. Wo ist die mit Aktivität verbundene Perspektive, die allein die Indifferenten bewegen, die Lauen mutig und die Tapferen geduldig machen kann? Sie wäre das Licht, das den jungen Rebellen in Brüssel, in Rouen und in Leyden fehlt." Doch auch die 'verständnisvolle' Position Larus' verdeutlicht eines: In der extrem polarisierten und emotionalisierten Debatte über den Reichstagsbrand gab es kaum Platz für Selbstkritik, es gab nur Freund oder Feind. Wer den Braunbuch-Wahrheiten widersprach, der wurde zum zumindest unfreiwilligen Kollaborateur der Nationalsozialisten erklärt. Die skrupellose Instrumentalisierung der Homosexualität im Kampf um die "öffentliche Meinung der ganzen Welt" (Schlamm 1933b: 1138) zu kritisieren, hätte in diesem Zusammenhang bedeutet, auch die Braunbuch-Theorie von der Nazi-Urheberschaft des Reichstagsbrandes in Frage zu stellen. Insofern drückte sich Skepsis gegenüber bestimmten Braunbuch-Beweisen allenfalls in ihrem Beschweigen aus. Die Braunbuch-Autoren konnten mit dieser Entwicklung zufrieden sein; ihre Strategie war aufgegangen, auch wenn die Londoner Untersuchungskommissare die "zu starke Zumutung" (Tobias 1962: 222) der Aussage von "W.S." nicht akzeptiert hatten. Bestärkt durch diesen Erfolg veröffentlichten sie 1934 ein "Braunbuch II - Dimitroff contra Göring" (Braunbuch II 1981: 138), in dem sie jeden "Zweifel darüber, dass van der Lubbe homosexuell war", zurückwiesen. Und aus der vorgeblichen Nichtthematisierung der Homosexualität van der Lubbes im Leipziger Verfahren (sic!) zogen die "besten Juristen der Welt", so der Neue Vorwärts (1933a) über die Braunbuch-Autoren, erstaunliche Schlüsse: "Das Gericht ist dieser wichtigen Spur nicht nachgegangen. Da dies nur zum Schutze der Nazis geschehen sein konnte, hat das Gericht damit bestätigt, dass van der Lubbe mit homosexuellen Naziführern in Verbindung gestanden hat." (Braunbuch II 1981: 138)

77 Das deutsche Sterilisationsgesetz vom Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 betraf Homosexuelle zunächst nicht. Dennoch wurde im Rahmen seiner Diskussion in der deutschen Exilpresse Homosexualität wiederholt thematisiert, weshalb auf eine Darstellung an dieser Stelle nicht verzichtet werden soll Das Sterilisationsgesetz und seine Bedeutung für Homosexuelle Schon im Februar 1929 hatte der Völkische Beobachter (1929) in einem Artikel über Homosexualität die Sterilisation als ein Mittel bezeichnet, dessen sich der nationalsozialistische Staat bedienen werde, "um degenerierte Menschen zum Aussterben zu bringen". Mit der Forderung nach Sterilisationen standen die Nationalsozialisten jedoch keineswegs allein. Die Vorstellung, mittels Sterilisation Krankheiten, ja selbst unerwünschte Charaktereigenschaften verhüten zu können, erfreute sich allgemeiner Popularität. So kam es, daß die nach der NS- Machtübernahme in Deutschland verbliebenen Ärzte und Wissenschaftler dem Gesetzgeber die Legalisierung der Sterilisation "fast einmütig anempfahlen", obwohl deren "körperliche wie psychische, aber auch soziale Auswirkungen auf den Betroffenen selbst beim Inkrafttreten des Gesetzes wissenschaftlich noch kaum ausgeleuchtet waren" (Jellonnek 1990: 143). Am 25. Juli 1933 wurde das am von der Reichsregierung verabschiedete "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" im Reichsgesetzblatt (1933a: ). veröffentlicht. Es ermöglichte die Unfruchtbarmachung eines Erbkranken "auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden" (Reichsgesetzblatt 1933a: 530), wenn "nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden" (Reichsgesetzblatt 1933a: 529). Die Entscheidung über eine Sterilisation wurde den neu eingerichteten Erbgesundheitsgerichten übertragen. Als Erbkrankheiten im Sinne des Gesetzes waren angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkuläres Irresein, erblicher Veitstanz, erbliche Fallsucht, Blindheit und Taubheit, schwere erbliche körperliche Mißbildungen sowie schwerer Alkoholismus definiert. Auf Homosexuelle hatte das Gesetz dagegen noch keine Auswirkungen, auch wenn es "bereits als ein Indiz gelesen werden" konnte, "wohin die Reise künftig gehen sollte" (Jellonnek 1990: 140). Tatsächlich ließ der nächste Schritt nicht lange auf sich warten. So wurde am im "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" (Reichsgesetzblatt 1933b: ) die zwangsweise "Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher" erlaubt. Doch auch dieses Gesetz traf noch nicht explizit Homosexuelle; eine Verurteilung nach 175 RStGB rechtfertigte nicht die nun beispielsweise bei Unzucht mit Kindern ( 176) ermöglichte gerichtliche Anordnung der Ent-

78 78 mannung. Am schließlich wurde das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" um die Möglichkeit einer 'freiwilligen' Entmannung ergänzt, um den Unfruchtbarzumachenden "von einem entarteten Geschlechtstrieb zu befreien, der die Begehung weiterer Verfehlungen im Sinne der 175 bis 178, 183, 223 bis 226 des Strafgesetzbuches befürchten läßt" (Reichsgesetzblatt 1935a: 773). Um die Freiwilligkeit der Entmannung war es in der Rechtspraxis allerdings schlecht bestellt; insbesondere für sich noch im Strafvollzug befindende Homosexuelle. Für sie war mit der 'freiwilligen' Entmannung die Hoffnung auf eine Gnadenerweisung oder Strafaussetzung durch einen entsprechenden Erlaß des Reichsjustizministers gerechtfertigt. Zudem drohte ihnen nach der Haftentlassung die Einweisung in ein Konzentrationslager. Unter Verweis hierauf wurde unter Umständen sogar von der Staatsanwaltschaft eine 'freiwillige' Entmannung angeraten (vgl. Jellonnek 152f.) Das Sterilisationsgesetz im Spiegel der Exilpresse Das deutsche Sterilisationsgesetz erregte schon im Vorfeld seiner Verabschiedung die Aufmerksamkeit der Exilpresse. So veröffentlichte Franz Rath (1933) Anfang Juli 1933 einen Artikel im Gegen-Angriff, in dem er sich mit den nationalsozialistischen Rechtfertigungsversuchen eines Sterilisationsgesetzes auseinandersetzte. Die von ihm konstatierten 'Fälle', die im Sinne nationalsozialistischer Programmatik eine Unfruchtbarmachung rechtfertigen sollten, gingen dabei allerdings weit über das hinaus, was sich letztendlich im "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" niederschlug. So unterstellte Rath, es sei die Sterilisierung von "Unsozialen" geplant, um schließlich eine Unfruchtbarmachung Arbeitsloser und "aller nicht hundertprozentigen Anhänger des Hitler- Regimes bis weit in die Reihen des Zentrums und der Deutschnationalen" (Rath 1933) zu prophezeien. In erster Linie kam es Rath darauf an, mittels solcher Überspitzungen die Relativität jener Kategorien zu dokumentieren, bei denen eine Sterilisation gewünscht wurde. Zudem dokumentierte er so die irrationale Potenz, die die Forderungen nach einer Legalisierung der Sterilisation beinhalteten. Konsequenterweise sah Rath (1933) auch Homosexuelle von der Unfruchtbarmachung bedroht: "Schließlich verfallen dem Messer der Sterilisierung: Fremdrassige, welche dafür eine Prämie erhalten, Geisteskranke und Verbrecher, obwohl die moderne Erforschung gerade hier wegen der nahen Beziehung zwischen Genie und Irrsinn vor der Operation warnt, und dann alle Homosexuellen. Warum diese? Sie sind seinerzeit 'schuld gewesen an dem Kulturverfall der Antike'!"

79 79 Dabei stand Rath mit seiner Strategie, die Ungeheuerlichkeit und Grenzenlosigkeit des nationalsozialistischen Rassismus mittels Zuspitzung zu verdeutlichen, unter den Journalisten des Exils nicht allein. Die Effektivität derartig zugespitzter Erwartungen nationalsozialistischen Unrechts, die durch das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vorerst entkräftet werden mußten, bleibt allerdings zweifelhaft. Darüber hinaus ließ es sich Rath nicht nehmen, den Nationalsozialisten in polemischen Randbemerkungen jene Eigenschaften zu unterstellen, die, wie er aus der NS-Diskussion über ein Sterilisationsgesetz zu erkennen glaubte, nach ihren eigenen Vorstellungen eine Unfruchtbarmachung nach sich ziehen sollten. Meinte Rath damit die Verlogenheit der Nationalsozialisten zu brandmarken, so entlarvte er doch gleichzeitig seine eigene, war er doch bereit, jene Eigenschaften, die eine Sterilisierung seiner Ansicht nach nicht rechtfertigten, zur Stigmatisierung der Nationalsozialisten zu instrumentalisieren: "Gemeingefährliche, Schwachsinnige, Unsoziale, Sadisten, Morphinisten, Homosexuelle, wollt ihr sterilisieren? Nun, wenn dieser Wahnsinn Wirklichkeit werden soll, wozu in die Ferne schweifen? Die beste Prüfung der Methode ist der Selbstversuch!" (Rath 1933) Dennoch bleibt Raths Polemik angesichts seines Versuches, vor der genauen Kenntnis des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" die irrationale Potenz des NS-Regimes zu dokumentieren, verständlich. Die weitere Berichterstattung über das nunmehr verabschiedete Sterilisationsgesetz erwies allerdings, daß sich auf derartige Polemik auch in Kenntnis des Gesetzes schwer verzichten ließ. So etwa Ende Juli 1933 in der Neuen Volks-Zeitung (1933b): "Als erste, die nach dem Gesetz sterilisiert werden, kämen in Betracht: Göring, unheilbarer Morphinist; Goebbels, angeborener Klumpfuss, Zeichen der Degenerierung; Dr. Ley, Alkoholiker; v. Röm, Päderast, Homosexueller; Hitler, Hysteriker und schlechte Mischrasse; 2,000,000 Deutsche, die Hitler blind folgen und 10,000,000, die nicht hören wollen, also taub sind!" Daß insbesondere die Homosexualität weiterhin mit solcher Selbstverständlichkeit zu den Sterilisierungsgründen gezählt wurde, zeigt nicht nur, daß es hier um alles andere als eine sachliche Auseinandersetzung ging: auf antihomosexuelle Polemik konnte auch dort nicht verzichtet werden, wo Homosexualität (noch) vollkommen irrelevant war. Es drängt sich auch der Verdacht auf, daß so manchem Journalisten der Exilpresse die Sterilisierung Homosexueller als adäquates Mittel zur Bekämpfung der Homosexualität erschien. Einer Besorgnis um das Schicksal der deutschen Homosexuellen dürfte das Rekurieren auf die Sterilisation von Homosexuellen angesichts der im Exildiskurs verbreiteten antihomosexuellen Ressentiments jedenfalls kaum geschuldet gewesen sein.

80 80 Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" führte dagegen Magnus Hirschfeld. Sein Aufsatz "Das Erbgericht" erschien nach dem Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 1934 in Klaus Manns neuer Literaturzeitschrift Die Sammlung (Hirschfeld 1934a) und wurde Anfang Februar 1934 in gekürzter Fassung im Pariser Tageblatt (Hirschfeld 1934b) abgedruckt. Die Sterilisation lehnte Hirschfeld nicht grundsätzlich ab, glaubte er doch vielmehr, sie könne in den "gütigen Händen von Ärzten weiser Mässigung zum Segen werden" (Hirschfeld 1934a: 309). Die eigentliche Problematik sah er vielmehr darin, daß es sich bei den im Gesetz angeführten Sterilisierungsgründen zum Großteil um "geistige Störungen" handele, "die keineswegs scharf umrissen, sondern diagnostisch weniger präzise, zum Teil wissenschaftlich überhaupt nicht völlig geklärt" (Hirschfeld 1934a: 310) seien: "Die Grenzen vom Physiologischen zum Pathologischen sind verwischt und daher von einer ziemlich subjektiven Diagnostik abhängig" (Hirschfeld 1934a: 311). Zudem machte Hirschfeld (1934a: 309) die historische Relativität von Krankheitsbildern gegen einen "von Übereifer, Fanatismus und Vorurteilen" beseelten Willen zur Sterilisation geltend. So sei die Schizophrenie "jetzt fast ebenso Mode geworden, wie in meiner Jugend die psychopathische Konstitution und noch früher die 'moral insanity' (Hirschfeld 1934a: 311)". Damit entlarvte Hirschfeld jedoch auch die Relativität des Normalen, das in seiner Differenz zum konstruierten Kranken definiert wird. Doch nicht nur gegen die Unschärfe und Fragwürdigkeit der im Sterilisationsgesetz angeführten "Erbkrankheiten" intervenierte Hirschfeld (1934a: 311), wenn er betonte, es sei "von dem Normalen zum Abnormalen oft nur ein kleiner Schritt". Indem er auf die Nähe von Genie und Wahnsinn und die sich aus ihr ergebende politisch beliebige Instrumentalisierbarkeit beispielsweise des Homosexualitätsvorwurfes aufmerksam machte, traf seine Kritik auch die von Rath (1933) und der Neuen Volks-Zeitung (1933b) verfolgte Strategie, die Nationalsozialisten über die Denunziation ihrer vermeintlichen 'Sterilisierungswürdigkeit' zu diskreditieren: "Man hat schon seit langem darauf hingewiesen, dass unter den grossen Menschheitsförderern auffallend viele geistig nicht Normale sind. Man braucht dabei nicht nur an Lombrosos 'Genie und Wahnsinn' zu denken, denn Lombroso war ja ein Jude und daher möglicherweise kein vollwertiger Gewährsmann für das Dritte Reich, sondern an 'arische' Gelehrte, die wiederholt darauf hinwiesen, wie viele schwere Hysteriker, wie viele Süchtige, namentlich Morphinisten, wie viele psychosexuell Abnormale, besonders Homosexuelle, wie viele körperlich und seelisch Minderwertige von teils hemmungsloser, teils überkompensiert forscher Beschaffenheit unter leitenden Persönlichkeiten vorzukommen pflegen. Ist die eine Gruppe am Ruder, so hält sie leicht diejenigen, die nicht ihre Ansichten teilen, für mehr oder minder pathologisch, und gelangt die Gegenseite zur Herrschaft, so sieht sie die andere Seite im gleichen Lichte." (Hirschfeld 1934a: 311f.)

81 Röhms Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" Röhms Erlaß und die "Sittlichkeitsdebatte" innerhalb der NSDAP Die Berufung Ernst Röhms zum Stabschef der SA und das mit der Pressekampagne der Münchner Post zunehmende Bekanntwerden seiner homosexuellen Veranlagung hatte schon vor der nationalsozialistischen Machtübernahme zu erheblichen Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP geführt, die schließlich sogar in einem Mordkomplott gegen Röhm und einige seiner engen Mitarbeiter gegipfelt waren (vgl Kapitel 2.4). Diese Auseinandersetzungen gründeten jedoch nicht nur in der homosexuellen Veranlagung Röhms, sondern hatten durchaus eine programmatische Komponente, der nach der Machtübernahme am eine noch größere Relevanz zukam, galt es doch nun, das NSDAP-'Programm' in die Tat umzusetzen. Entscheidender Dissens zwischen Röhm und großen Teilen seiner Partei, namentlich Alfred Rosenberg, waren Fragen von Moral und Sittlichkeit, insbesondere auch die Parteihaltung zur Homosexualität. Röhm (1934: 269) hatte schon in der 1928 erschienenen ersten Auflage seiner Biographie "Die Geschichte eines Hochverräters" keinen Hehl daraus gemacht, daß sein Kampf auch "einer gesellschaftlichen Ordnung, die an Stelle gesunder Anerkennung natürlicher Vorgänge und Erkenntnisse Heuchelei, Lüge, Verstellung, Prüderie und unangebrachte Entrüstung vorschreibt", gelte. Dabei galt seine Kritik dieser "doppelten Moral der bürgerlichen Philister" durchaus auch den eigenen Reihen: "Daß bestimmte völkische Kreise auch in dieses abgeleierte Jammerhorn blasen, um der Gesellschaft ihren Kotau zu machen, will mir gar nicht gefallen. Revolutionär erscheint mir diese Prüderie gewiß nicht, sondern bis zum Überdruß abgeschmackt und reaktionär. Diese Übung sollen sie doch ruhig den Schildhaltern der heutigen bürgerlichen Gesellschaftsordnung überlassen." (Röhm 1934: 268) Aus taktischen Erwägungen vermied es Röhm (1928), obwohl er "mit dem Absatz über Moral vor allem gegen den 175" zu kämpfen gedachte, Homosexualität ausdrücklich anzusprechen. Dennoch ließen seine allgemein gehaltenen Ausführungen deutlich erkennen, daß mit "dem ureigensten, dem Menschen in die Wiege gelegten Triebleben" (Röhm 1934: 269) auch einem Homosexuellen die Anerkennung eines nationalsozialistischen Staates zu gelten habe. Jeglicher staatlichen Reglementierung des menschlichen Trieblebens widersprach er: "Nimmt gar der Staat für sich das Recht in Anspruch und glaubt, durch Gesetze menschliche Triebe regeln zu können, so erscheint mir das so laienhaft und vernunftwidrig, daß ich mich wundern müßte, wenn eben nicht die Gesetzgeber dieses Staates die Hüter dieser Gesellschaftsordnug

82 82 wären. Denn daß durch staatliche Eingriffe in die Bestimmung des Menschen die Familien geschützt oder mehr Kinder erzeugt werden, ist doch eine Annahme, die selbst die Nachtwächter dieses sonderbaren 'Freistaates' sich nicht zu eigen machen werden." (Röhm 1934: 269) Daß derartige Ausführungen in weiten Teilen der NSDAP auf wenig Gegenliebe stießen, ist angesichts der homosexuellenfeindlichen Haltung der Partei (vgl. Kapitel 2.3.5) nicht weiter verwunderlich. Insbesondere die Haßtiraden des "tölpelhaften Moralathleten" (Röhm 1928) Rosenberg (1930: 141), der sich wiederholt über die "Propaganda der Lilastrümpfe" und den "Päderastenschutz" der "November-Demokratie" erregte, sah Röhm (1928) wohl nicht zu Unrecht "an meine Adresse gerichtet". Die von der Partei nach der Berufung Röhms verfolgte 'Stillhaltepolitik' (vgl. Kapitel 2.4.1) verhinderte bis 1933 jedoch eine klärende 'Auseinandersetzung', die wohl am ehesten in einer Absetzung Röhms ihren Ausdruck gefunden hätte; zweifellos waren seine Ansichten zu Moral und Sittlichkeit innerhalb der NSDAP nicht konsensfähig. Doch Röhms Position als Stabschef einer im Frühjahr 1933 bereits auf über zwei Millionen Mitglieder angewachsenen SA war zu bedeutsam, um sich seiner in der Phase von Machtübernahme und -konsolidierung zu entledigen. Die inhaltlichen Konflikte blieben ungelöst und brachen angesichts der weitgehenden Zurückhaltung Röhms auch nur an wenigen Punkten auf. Röhms Beschwerde über die Schließung von Homosexuellenlokalen durch den Berliner Polizeipräsidenten Levetzow ist hier ebenso zu nennen, wie der Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" (Röhm 1933). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte die Frage nach der Zukunft der SA zunehmend an Relevanz gewonnen. Zwar war mit einem Erlaß vom 22. Februar 1933 die SA-Hilfspolizei geschaffen worden (Mommsen 1964: 395), doch blieb der Großteil der SA-Leute beschäftigungs- und einkommenslos. In dieser Situation "entlud sich der unbefriedigte Aktionsdrang der SA in einem brutalen Terror der einzelnen Einheiten im Bereich ihres örtlichen Einflusses" (Mau: 1953: 123). Dieser Terror wendete sich in erster Linie gegen Juden und politische Gegner, nicht selten war er aber auch von jenem moralischen Eifer geprägt, der dem SA-Stabschef im Gegensatz zu Antisemitismus 63 und Demokratiefeindlichkeit übel aufstieß. Am 8. September 1933 gab Röhm (1933) deshalb einen Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" heraus, in dem er sich insbesondere gegen "Einzelpersönlichkeiten und 'Bünde'" wendete, die "in Ermangelung anderweitiger zweckmäßiger Betätigung" und "unter Berufung auf staatliche oder parteiamtliche Befugnisse" als "Sittenverbesserer" hervorträten: 63 Allerdings scheint Röhms Antisemitismus 'gemäßigter' als der vieler seiner Parteifreunde gewesen zu sein. So soll er zwar die Ausweisung der seit dem nach Deutschland eingewanderten Juden befürwortet haben, dagegen sollten jedoch jüdische Teilnehmer des ersten Weltkrieges "dieselben Vorrechte haben, die Staatsbürgern anderen Glaubens zuteil" (Der Spiegel 1957: 22) wurden (vgl. auch Wilde 1959: 378).

83 83 "Der deutschen Frau wird verboten, sich zu pudern oder in Lokalen zu rauchen; in den Großstädten sollen alle irgendwie aus dem Spießerrahmen fallenden Vergnügungsstätten ausgerottet werden; gegen die sogenannte 'Prostitution' wird ein Kampf geführt, der ebenso heuchlerisch in seinem Wesen, wie brutal in seiner Durchführung ist und vom Standpunkt der Volksgesundheit aus unheilvoll in seinen Auswirkungen sein wird." Insbesondere jedoch, daß sich an solchen "seit Jahrhunderten immer wieder" geübten Befriedigungsversuchen "von Heuchlern, Muckern und Trägern verdrängter Komplexe" in der jüngsten Zeit "auch SA. (SS.)-Führer und - Männer" beteiligt hätten, indem sie "weibliche Personen aus oben genannten Gründen in Badeanstalten, Gaststätten oder auf der Straße belästigt, beschimpft, ja sogar mißhandelt haben", erregte Röhms (1933) Mißfallen: "Ich verbiete daher sämtlichen Führern und Männern der SA. und SS., ihre Aktivität auf diesem Boden einzusetzen und sich zum Handlanger verschrobener Moralästheten herzugeben. Dies gilt vor allem auch für diejenigen SA.- und SS.-Führer, die von mir als Polizeipräsidenten oder für sonstige staatliche Stellen zur Verfügung gestellt sind." Deutlicher war die Konfliktlinie innerhalb der NS-Bewegung wohl kaum auf den Punkt zu bringen. Allerdings mußte sich Röhm mit seinem Erlaß auf die SA beschränken, und wie unangenehm selbst dies anderen Instanzen der NSDAP war, zeigt, daß der Erlaß nur in zensierter Form veröffentlicht wurde. So durfte nur eine von den Nachrichtenbüros herausgegebene Version in den deutschen Zeitungen publiziert werden (Bohrmann 1984: 131). Diese zensierte Version zeichnete sich zum einen dadurch aus, daß sie Röhms Erlaß im konjunktiv referierte. Zudem wurden jene Stellen, die Tatbestände beschrieben, die den Zensoren offensichtlich zu weit gingen, gestrichen. So wurden in der zensierten Fassung "weibliche Personen" nur noch "belästigt", nicht mehr jedoch "beschimpft, ja sogar mißhandelt", und dies auch nicht mehr "unter Berufung auf staatliche oder parteiamtliche Befugnisse". Röhms Feststellungen und Bedenken den Kampf gegen die Prostitution betreffend wurden sogar gänzlich verschwiegen (vgl. Völkischer Beobachter 1933). Und auch der folgende Abschnitt fiel der Kürzung anheim: "Dies alles geschieht vorgeblich im Gefühl heiliger Verantwortung für das Wohl des Volkes; in Wahrheit sind es seit Jahrhunderten immer wieder geübte Befriedigungsversuche von Heuchlern, Muckern und Trägern verdrängter Komplexe. Aus mir vorliegendem Material ist mir nur zu gut bekannt, wie gerade bei manchen, die in dieser Richtung als Sittenverbesserer hervorgetreten sind, die Praxis von der Theorie abweicht." (Röhm 1933)

84 84 Im Völkischen Beobachter (1933) wurde er durch folgenden Satz 'wiedergegeben': "Dies alles geschähe angeblich im Gefühl heiliger Verantwortung für das Wohl des Volkes". Möglicherweise jedoch versuchte Röhm, die Zensur des Propagandaministeriums zu umgehen. Das zumindest legte ein Bericht der Deutschen Freiheit (1933c) nahe. So behauptete die Zeitung, ihr sei Röhms Erlaß samt des Begleitschreibens einer Magda Aman zugegangen, in dem diese mitteile, "ihr Mann, der mit dem Stabschef gut befreundet ist", habe von Röhm "die Ermächtigung erhalten, diesen Erlaß der deutschen Presse zu übergeben". Handelte es sich bei der Autorin um die Frau des NSDAP-Verlegers Max Amann? 64 Anscheinend jedenfalls sollte dieser Eindruck erweckt werden. Doch wer steckte tatsächlich hinter dem mysteriösen Brief? Nicht auszuschließen ist, daß die Deutsche Freiheit das Begleitschreiben erfand, um innerhalb der NS-Bewegung Verwirrung zu stiften. In der antifaschistischen Propaganda, das hatten schon die Auseinandersetzungen über den Reichstagsbrand gezeigt, nahm man es nicht immer so genau mit der Wahrheit. Vielleicht aber handelte es sich auch um einen Schachzug Röhms oder des ihm verbundenen Amann. Die Deutsche Freiheit und damit ausgerechnet eine sozialdemokratische Exilzeitung mit einem Exemplar des Röhm-Erlasses zu versorgen, erinnert zumindest stark an ein ähnliches Ereignis aus dem Jahre Damals unterrichtete Röhm den sozialdemokratischen Vorwärts über ein gegen ihn gerichtetes Mordkomplott (vgl. Kapitel 2.4.2). Die reichsdeutschen Zeitungen hielten sich an die Presseanweisung des Propagandaministeriums und veröffentlichten nur die von den Nachrichtenbüros verbreitete zensierte Fassung des Röhm-Erlasses. Bemerkenswert hierbei ist jedoch, daß ursprünglich nicht nationalsozialistische Zeitungen wie das Berliner Tageblatt oder die Frankfurter Zeitung bereits am Morgen des über den Erlaß berichteten, während der Völkische Beobachter erst am nachzog. Während allerdings die Frankfurter Zeitung (1933) eine noch weitgehender gekürzte Fassung als der Völkische Beobachter (1933) veröffentlichte, brachte das Berliner Tageblatt (1933b) einen Kommentar des Erlasses, in dem aus der Tatsache seiner Veröffentlichung geschlossen wurde, daß "die in ihm gerügten Erscheinungen" nicht lediglich vereinzelte gewesen sein konnten. Grundsätzlich jedoch lobte das Berliner Tageblatt (1933b) im Gegensatz zum Röhm-Erlaß das Einschreiten "gegen die Schrankenlosigkeit, gegen den 64 Max Amann, geb. 1891, wurde 1921 erster Geschäftsführer der NSDAP, seit 1922 war er Direktor des Zentralverlags der NSDAP (Franz Eher Verlag) und Reichsleiter für die gesamte NS-Presse. Am wurde Amann Präsident der Reichspressekammer. Daß Max Amann zum fraglichen Zeitpunkt mit einer Magda Amann verheiratet war, ließ sich nicht bestätigen. Im Berliner Adreßbuch von 1933 ist bei der als Absender des Briefes angegebenen Adresse Riehlstraße 6A niemand namens Amann eingetragen. Auch die allerdings nur teilweise erhaltenen Berliner Meldeunterlagen enthalten keine Angaben zu einer Magda Amann.

85 85 Exhibitionismus und Snobismus auf geschlechtlichem Gebiete" und betrachtete lediglich dessen Ausarten "in eine Orgie des Philistertums" kritisch. Röhms Erlaß war letztendlich nicht nur inhaltlich, sondern auch formal, nämlich bezüglich der ihn betreffenden Veröffentlichungspolitik, Schauplatz einer der vielen Macht- und Kompetenzkämpfe im "Dritten Reich". Und diese Machtkämpfe boten 1933 noch verhältnismäßig 'unabhängigen' Zeitungen die Möglichkeit, in ihren Artikeln unter Berufung auf eine der konkurrierenden 'Machtgruppen' ab und an kritische Töne unterzubringen, die, wie im vorliegenden Fall, dem Tenor der Zensurmaßnahmen des Propagandaministeriums widersprechen konnten Röhms Erlaß im Spiegel der Exilpresse Die deutsche Exilpresse zeigte in ihren Interpretationen von Röhms Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" zum Teil eine ausgeprägte Ignoranz gegenüber den inhaltlichen Konflikten, die er repräsentierte. Insbesondere Zeitschriften der exilierten Arbeiterparteien SPD und KPD, so der sozialdemokratische Neue Vorwärts und der kommunistische Gegen-Angriff, verbauten sich mit der von ihnen gepflegten Homophobie die Möglichkeit einer differenzierten Betrachtung. Auch Widersprüche in der eigenen Berichterstattung fielen angesichts der vordringlichen Strategie, Röhms Homosexualität auszuschlachten, nicht weiter auf. So hatte der Neue Vorwärts (1933c) noch am für die buchstäblichen Anprangerungen insbesondere von "arischen" Frauen, die Liebesbeziehungen zu Juden hatten, folgende 'passende' Erklärung gefunden, durch die Antisemitismus und Rassismus zu Phänomenen wurden, die ihre tieferen Wurzeln in einer homosexuellen Veranlagung der NS-Führer haben sollten: "Unter einem Regime, an dessen Spitze Perverse und erotisch Anormale wie Göring, Röhm und Heines stehen, müssen Weib und Weibesehre tief im Preise sinken". Daß sich derselbe homosexuelle Röhm erst zwei Tage zuvor mit seinem Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" für die "Weibesehre", wenn auch nicht dieser als "Judenliebchen" beschimpften Frauen, eingesetzt hatte, ließ die Autoren des Neuen Vorwärts (1933e) in ihrem Artikel über den Erlaß dann auch nicht weiter aufmerken. Vielmehr hatten sie schon wieder ein neues Interpretationsmuster kreiert, nach dem Röhms Homosexualität nunmehr seinen Erlaß als ein egoistisches Machwerk entlarven sollte: "Von Röhm selbst ist bekannt, daß er nicht nur homosexuell ist (das wäre eine Privatsache), sondern auch Jugendliche mißbraucht und mehrfach in Briefen, die später durch die Weltpresse gingen, zynischste und übelste Auffassungen über sexuelle Fragen geäußert hat. Vielleicht drohen die losgelassenen Reiniger jetzt auch sein Privatleben anzutasten, jedenfalls versucht er energisch zu bremsen." (Neuer Vorwärts 1933e)

86 86 Auch wenn der Neue Vorwärts (1933e) einräumte, Röhm könne sich mit seinem Erlaß bei der "braunen Regierung" schon "unbeliebt genug gemacht" haben, bemühte er sich doch darum, den sich hier andeutenden inhaltlichen Konflikt zu verschleiern, und die Existenz einer anders gelagerten 'Konfliktlinie' zu suggerieren. So wurde Röhms Erlaß zu dem Versuch eines ganzen Regimes "von Homosexuellen, Morphinisten und Betrügern" stilisiert, "sich der Mucker und Spießer", derer sie sich noch vor kurzem "bedienten und mit ihrer Hilfe die Schlacht gewannen", zu entledigen, um nicht selbst zu Opfern dieser "losgelassenen Reiniger" zu werden (Neuer Vorwärts 1933e). Inhaltliche Widersprüche zwischen Röhm und seinen Parteigenossen, gerade auch bezüglich der Parteihaltung zur Homosexualität, wurden so eingeebnet. Röhms Erlaß sollte als bloße Machtabsicherung egozentrischer Perverser, nicht jedoch als Ausdruck programmatischer Auseinandersetzungen innerhalb der NS-Führung erscheinen. Auch dem kommunistischen Gegen-Angriff (1933c) gab die beiläufige Erkenntnis, Röhms Erlaß hätte "von den wütendsten Antifaschisten nicht besser erdacht werden können", nicht zu denken. Im Gegensatz zum Neuen Vorwäts (1933e) fand die Möglichkeit eines Konfliktes innerhalb der NS-Führung erst gar keine Erwähnung. Vielmehr schwenkte der Gegen-Angriff (1933c) sofort auf die vom Neuen Vorwärts angebotene Interpretation ein, die gesamte NS-Führung fühle sich durch das Muckertum "beengt", Röhms Erlaß sei mithin der Versuch, sich ihre Privilegien zu sichern: "Dieser Aufruf kommt nicht von ungefähr, er gehört in die gleiche Linie wie Hitlers Rede 'gegen den Neid'. Die Revolution ist beendet, nun lasst uns geniessen. Wozu haben wir die deutsche Revolution gemacht, wenn wir nicht unseren Spass dran haben sollen. Bereichert Euch! Lasst Euch im Luxus und im Genuss nicht stören!" Zudem spielte der Gegen-Angriff auf Röhms Homosexualität an, um seinen Erlaß auf bloßen Eigennutz zu reduzieren. Dabei erfuhr die Vorstellung vom 'Dritten Reich der Homosexuellen' eine phantasievolle Variation, ließen sich in der Redaktion des Gegen-Angriffs (1933c) doch noch ganz andere vom Eigennutz diktierte Erlasse des Stabschefs imaginieren: "Und das alles ausgerechnet von Röhm! Die gesetzliche Einführung der Zwangshomosexualität ist noch nicht verordnet, aber was nicht ist, kann noch kommen." Nicht alle Exilperiodika berichteten jedoch in einem derartig polemischen Stil, der insbesondere im Fall des Gegen-Angriffs auch einer Konzeption geschuldet war, die in Form und Geist der Tradition "der klassischen Kampfpresse der KPD" (Maas 1990: 55) verpflichtet war. Die skrupellose Instrumentalisierung des Themas Homosexualität zur Diskreditierung des "Dritten Reiches" gehörte hier

87 87 schon bald zum Standardrepertoire. Demgegenüber zeigte die sozialdemokratische Deutsche Freiheit eine größere Zurückhaltung gegenüber der Versuchung, den Röhm-Erlaß auf puren Eigennutz zu reduzieren. Zudem verzichtete sie darauf, Röhm unter Verweis auf persönliche Motive das Recht auf die Herausgabe eines solchen Erlasses streitig zu machen. Vielmehr, meinte die Deutsche Freiheit (1933c), könne man ihm "aus bestimmten persönlichen Gründen eine gewisse Berechtigung zum Kampfe gegen die Mucker in seinem Lager nicht absprechen". Auch die Tatsache, daß der Röhm-Erlaß in Deutschland nur in zensierter Fassung erschien, fand in der Deutschen Freiheit Erwähnung; die hiefür ursächliche Moral- und Sittlichkeits-Kontroverse innerhalb der NSDAP erfuhr allerdings keine Kommentierung. Letztendlich neigte die Deutsche Freiheit sogar zu einer Überschätzung der positiven Qualitäten Röhms, sah sie in seinem Erlaß doch nicht nur ein Wagnis. Vielmehr ließ sie sich dazu hinreißen, Röhms Antisemitismus (vgl. Anm. 61) zu ignorieren, indem sie ihm unterstellte, ein fehlendes Einschreiten Röhms gegen antisemitische Exzesse sei lediglich mangelndem Wagemut zuzuschreiben: "Aber Röhm bleibt Röhm. Gegen die Gewalttaten an Juden und an jungen, mit ihnen angeblich befreundeten Mädchen, die man schamlos durch die Straßen und Lokale Nürnbergs und anderer Großstädte schleppte, wagt er kein Wort." (Deutsche Freiheit 1933c) Für die Erkenntnis der Konflikte innerhalb der NS-Führung allerdings blieb die Berichterstattung über Röhms Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" weitgehend blind, eine Blindheit, die zumindest bei Neuem Vorwärts und Gegen- Angriff dem Ausschlachten antihomosexueller Ressentiments geschuldet war. Weit entfernt von solchen Ressentiments kam dagegen Willi Schlamm (1933d: 1521) der Brisanz des Röhm-Erlasses in der Neuen Weltbühne näher: "Dieser Röhm ist nicht für einen Augenblick der Parteifaszination erlegen; er allein hats gewagt - und hats allerdings wagen können - in den Hochgang der enthemmten Spießerei unmutig hineinzurufen, man möge doch mit Blaublümchenromantik und 'keuschen' Narreteien aufhören, das Dritte Reich sei nicht solcher Dinge wegen geschaffen worden, sondern um eine Generation kräftiger, rüder Landsknechte zu liefern."

88 Vom homosexuellen Nationalsozialisten zu Ansätzen einer 'Faschismus-Theorie' Berichte über weitere homosexuelle Nationalsozialisten Neben der Berichterstattung über Reichstagsbrand, Sterilisationsgesetz und Röhms Erlaß gegen die "Ausbreitung des Muckertums" prägten die deutsche Exilpresse 1933 viele Einzelberichte über vermeintlich homosexuelle Nationalsozialisten. Zu der gängigen Thematisierung der homosexuellen Veranlagung Röhms traten dabei auch Berichte über die vorgeblich homosexuelle Veranlagung bisher weniger bekannter Nationalsozialisten. Diese 'flankierende Berichterstattung' gewann im Laufe des Jahres 1933 zunehmend an 'Qualität'; die geschilderten homosexuellen Nazis wurden immer furchterregender. Insofern unterstützten diese Berichte nicht nur eine Verallgemeinerung und damit die Entstehung des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten, sie wiesen auch den Weg zu einer 'Faschismus-Analyse', die Homosexualität zu einem genuinen Bestandteil des Nationalsozialismus und darüber hinaus zur Ursache eines sich im NS-Terror manifestierenden 'Sadismus' erklärte. Anläßlich der Ermordung Georg Bells (vgl. Anm. 51) durch ein Rollkommando der SA am (Höhne 1976: 93f.) wärmte der Prager Aufruf am abermals Geschichten über "Roehm und dessen lila Kreis" 65 im Braunen Haus auf. Dabei suchte der Autor einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und nationalsozialistischem Cliquenwesen zu suggerieren (Aufruf 1933: 5): "Bell wusste die ergötzlichsten und widerwärtigsten Geschichten von dem Cliquenwesen im Braunen Hause, wo sich jeder Führer und Unterführer mit einem Schwarm von Anhängern umgab und umgibt." Allerdings blieb dieser Versuch wenig überzeugend, erfuhr man doch schon im nächsten Satz, daß neben "der Roehm-Clique... vor allem die Rosenberg-Clique sehr gross" sei, was angesichts Rosenbergs bekannter Homophobie (vgl. Kapitel und Kapitel 3.3.1) den Eindruck homoerotischer Bindungen innerhalb der NS-Cliquen schnell wieder zunichte machen mußte. Helmut Klotz, der sich schon eingehend mit der Enttarnung der homosexuellen Veranlagung Röhms beschäftigt hatte (vgl. Kapitel 2.4.1), widmete sich 1933 in einem Artikel für die Neue Volks-Zeitung der Homosexualität eines anderen Nationalsozialisten. So erfuhr der Leser aus dem Privatleben des Fememörders Edmund Heines (Klotz 1933) folgendes: 65 Mit Röhms "lila Kreis" wird hier auf die angebliche Homosexualität seiner Mitarbeiter angespielt. Zur Bedeutung der Farbe Lila vergleiche auch Anmerkung 26.

89 89 Der dicke Röhm, er ist zwar etwas kitzlig Liebt Weihnacht nur à la hundertfünfundsiebzig Abb.: Roter Pfeffer. Beilage des Gegen-Angriffs vom 24. Dezember Stabschef Röhm: Was eine Frau im Frühling träumt Abb.: Gegen-Angriff vom 14. April1934.

90 90 "Heines hatte in jenen Jahren ein homosexuelles Verhältnis mit einem jungen Mann. Gleichzeitig war er verlobt mit Gertrud D-l. Diese doppelseitig orientierte Tätigkeit des Herrn Heines führte zu schwersten Differenzen, die sich zum Teil in der Oeffentlichkeit der SA. abspielten." Der Artikel des ehemaligen NSDAP-Mitglieds Klotz (vgl. Anm. 29) hob sich allerdings von dem Gros ähnlicher Berichte in einem wichtigen Aspekt ab. Klotz bemühte sich keineswegs, die Konflikte, die die Veranlagung des Edmund Heines innerhalb der NSDAP auslöste, zu beschönigen, um den Eindruck einer 'NSDAP der Homosexuellen' zu evozieren. Vielmehr betonte er den Konflikt, den "einige verantwortungsbewusste Nationalsozialisten (die inzwischen der NSDAP. vor Ekel den Rücken gekehrt haben)" wegen Heines' Homosexualität mit der Parteiführung austrugen. Daß Klotz zwischen "verantwortungsbewussten" und verantwortungslosen Nationalsozialisten differenzierte, war offensichtlich seiner Biographie geschuldet. Zu den Verantwortungslosen allerdings zählte Klotz auch Hitler persönlich, weil er angeblich zögerte, Heines wegen seines "würde- und schamlosen Benehmens" aus der Partei auszuschließen. 66 Und dafür, so suggerierte Klotz, mußte Hitler auch einen guten Grund gehabt haben, einen, der ihn angreifbar machte. Denn nachdem Hitler, angeblich "dem Drängen" der 'verantwortungsbewußten Nationalsozialisten' nachgebend, Heines aus der Partei ausschloß, soll dieser seine Wiederaufnahme erpreßt haben: "er drehte den Spiess um und drohte seinerseits mit Enthüllungen. Hitler war gezwungen, diesem Druck nachzugeben" (Klotz 1933). Tatsächlich jedoch wurde Heines von Röhm nach dessen Berufung zum Stabschef zurück in die Partei geholt (Höhne 1984: 106). Klotz allerdings evozierte letztlich doch wieder den Eindruck, die NSDAP sei von Homosexuellen dominiert, wenn auch nicht unbedingt quantitativ, so zumindest in ihren Entscheidungen über die Androhung von "Enthüllungen". Der Neue Vorwärts dagegen arbeitete mit weniger subtilen Methoden, um Homosexualität und Nationalsozialismus in Zusammenhang zu bringen. In einem Artikel über den aus Österreich ausgewiesenen Nationalsozialisten Hönig, der sich im bayrischen Rundfunk erregt hatte, er sei vor seiner Abschiebung nach Deutschland mit "Verbrechern und Homosexuellen" in eine Zelle gesperrt worden, suchte der Neue Vorwärts (1933b) die angebliche Absurdität dieser Klage herauszustellen: "Ein Nazi beklagt sich über das Beisammensein mit Homosexuellen? In welcher Welt lebt der Mann eigentlich? Und was sagen die Röhm, Hitler, Heines und andere Römlinge zu dieser Klage? Setzt Hönig die Homosexuellen mit Verbrechern gleich, weil er seine Partei zu gut kennt, oder weil er sie zu wenig kennt?" (Neuer Vorwärts 1933b) 66 Tatsächlich wurde Heines "wegen seiner Beteiligung an einem Fememord" 1927 aus der Partei ausgeschlossen (Höhne 1984: 89).

91 91 Dem Neuen Vorwärts galt es offensichtlich nicht nur als Selbstverständlichkeit, daß die NSDAP von Homosexuellen durchsetzt sei, vielmehr schien sie diesen auch ein Gutteil ihrer verbrecherischen Energie zu verdanken. Daß die homosexuelle Veranlagung eines Nationalsozialisten eine besondere Bedeutung für seine verbrecherische Tätigkeit habe, suggerierte auch ein Artikel über das Konzentrationslager Oranienburg, den Das Neue Tage-Buch (1933a) veröffentlichte. Im Rahmen der Beschreibung der "Bewachungsmannschaft" wurde einzig der sexuellen Orientierung des Adjudanten des Lagerkommandanten, Hans Hugo Daniels, Aufmerksamkeit zuteil: "Dieser Daniels zählte bis zum Siege der nationalsozialistischen Erhebung zu den bekanntesten Figuren der homosexuellen Unterwelt von Berlin. Er war Stammgast des 'Kleist-Kasinos', das zu den beliebtesten Rendez-vous-Orten der männlichen Prostitution im Berliner Westen gehörte." (Neues Tage-Buch, 1933a: 263) Diese Aufmerksamkeit schenkte Das Neue Tage-Buch der homosexuellen Veranlagung Daniels jedoch keineswegs grundlos, sollte sie doch seine Tätigkeit im Konzentrationslager Oranienburg erklären: "Als der nationalsozialistische Polizeipräsident von Berlin das Kleist- Kasino aus Gründen der Sittlichkeit geschlossen hatte, tröstete sich Sturmbannführer Daniels mit dem Konzentrationslager Oranienburg. Wenn der 'Adjudant' nachts in angetrunkenem Zustand in das Lager zurückkehrt, werden einige jugendliche Gefangene aus dem Schlaf geweckt und zum Sturmbannführer Daniels befohlen. Wer sich weigert, muss zur 'Vernehmung'." (Neues Tage-Buch, 1933a: 263) Das Betätigungsfeld zumindest des Homosexuellen Daniels hatte sich im "Dritten Reich" also vom Kleist-Kasino in das Konzentrationslager Oranienburg verlagert und war zudem an die Androhung von Gewalt gegenüber, auch dies wieder ein antihomosexuelles Klischee, "jugendlichen Gefangenen" gekoppelt. Doch die sexuelle Nötigung war nicht die einzige "sadistische Uebung" des Hans Hugo Daniels, sollte er doch auch der Erfinder eines traditionell insbesondere beim Militär verbreiteten 'Initiationsrituals' sein (Neues Tage-Buch 1933a: 263): "Von diesem Daniels stammt eine sadistische Uebung, die unter den Wachmannschaften des Oranienburger Lagers unter dem Namen 'Fünf- Zentner-Heben' gebräuchlich wurde. Sie nennen es 'Fünf Zentner-Heben', die Gefangenen zu zwingen, sich zu entkleiden, und ihren Geschlechtsteil mit schwarzer Stiefelwichse zu beschmieren."

92 92 Indem der Autor ausgerechnet einen homosexuellen KZ-Schergen zum Erfinder eines allenfalls von unterbewußter Homoerotik motivierten, weitverbreiteten, und hier zudem von den "Wachmannschaften" praktizierten Rituals stilisierte, entlarvte er, wie sehr sein Bericht von homophoben Projektionen bestimmt war. Inwieweit die Andeutungen über sexuelle Nötigungen "jugendlicher Gefangener" durch Hans Hugo Daniels der Wahrheit entsprachen, oder ob auch sie eher auf den Projektionen eines homophoben Autors beruhten, läßt sich heute leider nicht mehr klären. Grundsätzlich vorstellbar sind derartige Ereignisse zweifelsohne. Ebenso jedoch ist angesichts der im Exildiskurs über Homosexualität üblichen Übertreibungen Skepsis angebracht. Zu erinnern sei hier nur an das immer wieder strapazierte antihomosexuelle Klischee vom Mißbrauch Jugendlicher, so etwa an die jeden Beweises entbehrende Behauptung, daß Röhm "auch Jugendliche mißbraucht" (Neuer Vorwärts 1933e) habe. Skepsis auslösen muß zudem der Bericht des ehemaligen Reichstagsabgeordneten Gerhart Seger 67 (1934), der nach seiner Flucht in einer ausführlichen Schrift über das Konzentrationslager Oranienburg zwar den Adjudanten Daniels, nichts jedoch über dessen angebliche homosexuelle Aktivitäten erwähnte: "Der Adjudant des Lagerkommandanten ist der Sturmführer Daniels. An direkten tätlichen Mißhandlungen hat sich dieser Mann, soweit ich es bezeugen kann, zwar nicht beteiligt, er gehört aber trotzdem zu demjenigen Kreise der SA-Führer im Oranienburger Lager, die für die ganzen Zustände verantwortlich sind. Seiner Stellung beim Kommandanten nach wäre er durchaus in der Lage gewesen, einen mäßigenden Einfluß auszuüben. Von einem solchen Einfluß ist nicht nur nichts fühlbar gewesen, sondern das Verhalten des Daniels gegenüber den Gefangenen war solcherart, daß seine Billigung aller dieser Zustände daraus hervorging." (Seger 1934: 31) Von entscheidender Bedeutung an dem Bericht des Neuen Tage-Buches ist letztendlich jedoch auch nicht der Wahrheitsgehalt der angedeuteten sexuellen Nötigungen, sondern die Tatsache, daß derartiges mit Vorliebe in homosexuellem Zusammenhang geschildert wurde; der Exildikurs über Homosexualität erwies in dieser Beziehung eine besondere Sensibilität für homosexuell Veranlagte. Demgegenüber wurde der seit Herbst 1933 nach und nach eingeführten Kategorisierung homosexueller KZ-Häftlinge (vgl. Kapitel 2.6) ebenso wenig Aufmerksamkeit zuteil, wie der homosexuellen Veranlagung in Konzentrationslagern inhaftierter prominenter Antifaschisten. Weder in Berichten über ihre Haftbedingungen, für die ihre sexuelle Orientierung zweifellos nicht vollkommen 67 Gerhart Seger, geb. 1896, SPD-Mitglied, war 1928 bis 1933 Chefredakteur des Volksblatt für Anhalt und 1930 bis 1933 Mitglied des Reichstages. Im März 1933 verhaftet, war Seger von Juni 1933 bis zu seiner Flucht in die CSR Anfang Dezember 1933 im Konzentrationslager Oranienburg inhaftiert emigrierte Seger in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1967 lebte.

93 93 irrelevant war, noch in allgemeineren Berichten über die Person fand diese Erwähnung. So taugte Erich Mühsam (vgl. Anm. 16) während seiner Gefangenschaft und nach seiner Ermordung in Oranienburg durchaus zum antifaschistischen Märtyrer; seine homosexuellen Seiten allerdings wurden in den Berichten über seine Person dezent verschwiegen. Mit der in der Exilberichterstattung gängigen Konzentration auf nationalsozialistische Homosexuelle und ihre Untaten wurde schließlich ein Zusammenhang zwischen politischer Ausrichtung, sexueller Orientierung und Gewalttätigkeit suggeriert, der zu einer verallgemeinernden Einbindung in eine 'Theorie' einlud Das Bild gewinnt Kontur: Publikationen über Homosexualität, "Sadismus" und Faschismus Die sich bereits vor der Machtübernahme Hitlers andeutende Integration von Homosexualität in eine 'Faschismus-Theorie' erfuhr im Exil, flankiert von immer neuen Berichten über homosexuelle Nationalsozialisten, ihre Fortentwicklung. Nicht unbeteiligt hieran waren auch die Theorien von Wilhelm Reich 68, Leitfigur der ins dänische Exil gegangenen Sex-Pol 69. Er veröffentlichte Ende 1933 in Kopenhagen sein Buch "Massenpsychologie des Faschismus", in dem er homosexuelle Gefühle zur Grundlage gleichermaßen wie zum Produkt der faschistischen 'Ordnung' erklärte (Reich 1980: 259f.): "Der deutsche Faschismus versucht es derzeit mit aller Macht, sich in den psychischen Strukturen zu verankern und legt daher das grösste Gewicht auf die Erfassung der Jugend und der Kinder. Er hat keine 68 Wilhelm Reich, geb. 1897, studierte Medizin und führte seit 1918 eine psychoanalytische Praxis in Wien, seit 1930 in Berlin. Von 1928 bis zu seinem Parteiausschluß 1933 Mitglied der KPD, emigrierte Reich 1933 nach Dänemark, 1934 nach Norwegen bis 1938 leitete er die Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie. Nach seiner Emigration in die USA 1939 entwickelte Reich die Orgontherapie, deren Anwendung 1956 zu seiner Verurteilung zu zwei Jahren Haft führte starb Reich im Gefängnis von Lewisburg. 69 Die Sex-Pol, auch Einheitsverband für proletarische Sexualreform und Mutterschutz (EV), war 1931 im Zuge der Bemühungen der KPD, eine parteigesteuerte Sexualreformorganisation zu gründen, entstanden. Zu der von der KPD gewünschten Gründung einer Einheitsorganisation unter dem Dach der EV kam es jedoch nicht. Die theoretischen Konzepte der EV waren an der vom EV-Mitbegründer Wilhelm Reich entwickelten, Marxismus und Psychoanalyse integrierenden Sexualtheorie orientiert. Inhaltliche und organisatorische Konflikte zwischen Reich, EV und KPD führten jedoch bald zu Reichs Rückzug aus dem EV-Vorstand, Anfang 1933 schließlich zum Bruch mit KPD und EV (vgl. Rackelmann 1993). Während der EV im Exil anscheinend nicht fortbestand, orientierte sich die im dänischen Exil bestehende Sex-Pol wieder deutlich an Reichs Theorien.

94 94 anderen Mittel zur Verfügung, als Weckung und Pflege der Hörigkeit zur Autorität, deren psychologische Grundvoraussetzung die asketische, sexualverneinende Erziehung ist. Die natürlichen sexuellen Strebungen zum anderen Geschlecht, die von Kindheit an zur Befriedigung drängen, werden im wesentlichen durch verstellte, abgelenkte homosexuelle und sadistische Gefühle, teils auch durch asketische Neigungen ersetzt." Entsprechend mußte die "Entwicklung homosexueller Neigungen und Beziehungen zwischen Jungs, die sonst nie an derartiges dachten", die Reich (1980: 262) als die Folge der Einrichtung von "Arbeitsdienst-Lagern" (vgl. Anm. 114) betrachtete, von existentieller Bedeutung für das NS-System sein. Zudem brachte Reich, indem er zumindest die von ihm ganz im Sinne anderer Exilpublikationen behauptete Ausbreitung "homosexueller Neigungen" wie auch sadistischer "Gefühle" als Ausdruck und Grundlage des NS-Systems beschrieb, beide Kategorien in einen, wenn auch diffusen, Zusammenhang miteinander. Eine sogar ursächliche Verknüpfung von 'Sadismus' und homosexueller Veranlagung deutete Ende 1933 Konrad Heiden 70 (1933: 569) im Neuen Tage- Buch an. Allerdings erging sich Heiden nur in Anspielungen auf die besondere Eigenart der Männer "mit dem vielbesprochenen Privatleben", so daß man bei ihm schon zwischen den Zeilen lesen muß. So kommentierte er ein Zitat aus Röhms (1934) Memoiren, er sei ein "Freund der deutlichen Aussprache" und habe aus seinem "Herzen keine Mördergrube gemacht", folgendermaßen: "Nein, aus seinem Herzen sicher nicht. Zur Mördergrube hat er vielmehr jenen Teil der deutschen Jugend gemacht, den dieser gefährliche Jugendfreund in die SA. hineinzubringen vermochte. Die Mordlust der heutigen SA. kommt nicht von ungefähr; sie entspringt auch keinen Charaktereigenschaften, die im deutschen Volke besonders heimisch wären. Sie erklärt sich vielmehr zum guten Teil daraus, dass in dieser SA. an allen verantwortlichen Stellen Art- und Gesinnungsgenossen Röhms stehen." Ist der "gefährliche Jugendfreund" nur als Anspielung auf einen Röhm immer wieder angelasteten angeblichen Mißbrauch von Jugendlichen zu verstehen, so fällt die Interpretation dessen, was Heiden mit den "Art- und Gesinnungsgenossen" gemeint haben könnte, schon schwerer. Die 'Artgenossen' Röhms jedoch nur als Personen mit besonderem Hang zu Aggression, Gewalt und 70 Konrad Heiden, geb. 1901, seit Anfang der zwanziger Jahre Mitglied der SPD, arbeitete als Journalist unter anderem für die Frankfurter und die Vossische Zeitung. Bereits 1932 veröffentlichte Heiden eine "Geschichte des Nationalsozialismus" emigrierte er in das Saarland, wo er für die Deutsche Freiheit und die Volksstimme, Ende 1934 nach Frankreich, wo er für das Pariser Tageblatt und Das Neue Tage-Buch schrieb emigrierte Heiden in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1966 lebte.

95 95 'Sadismus' zu interpretieren, würde Heidens Erklärungsansatz ad absurdum führen: Die "Mordlust" der SA als Produkt der Mordlust ihrer Führer? Heiden hatte mit den 'Artgenossen' wohl anderes im Sinne: 'Artgenossen' spielte auf die Homosexualität Röhms an und nahm damit den Diskurs über die 'SA der Homosexuellen' auf. Die "Mordlust" der SA sollte sich also aus der Homosexualität ihrer Führer erklären. Röhm nimmt die Parade der SA ab. Abb.: Roter Pfeffer, Nr. 3. Beilage des Gegen-Angriffs vom

96 96 Einen wenn auch nur vermittelt ursächlichen Zusammenhang zwischen dem in Deutschland allgegenwärtigen "Sadismus" 71 und der Homosexualität sah auch Walter Tschuppik 72 (1933: 187). Er ordnete in einem Aufsatz für den Prager Aufruf "Homosexualismus" wie "Sadismus" derselben Ursache zu, sah er doch beide Phänomene in einem Deutschland erwachsen, in dem "seit der Mensch immer weniger" gegolten habe: "Der deutsche Humanismus projizierte die deutschen Freiheiten ausschliesslich auf die Wolken des Himmels. Daher die Dumpfheit des öffentlichen Lebens, der Puritanismus in der Gesellschaft, die Unmenschlichkeit in der Rechtssprechung, die Herabwürdigung der Frau zum Dienstboten und zur Kindergebärmaschine. Daher der Homosexualismus, ein Laster, dessen Primat Deutschland vorbehalten geblieben und das heute sogar offiziös geworden ist. Daher auch die Bösartigkeit der Bürokratie; daher der Sadismus, der sich nun Bahn bricht." (Tschuppik 1933: 187) Zum integralen Bestandteil einer Faschismus-'Analyse' wurde Homosexualität insbesondere in der Sowjetunion. War das alte zaristische Anti-Homosexuellengesetz nach der Oktoberrevolution im Rahmen einer freiheitlicheren Sexualpolitik zumindest in der russischen Sowjetrepublik (RSFSR) abgeschafft worden, 73 so wurde Homosexualität seit Anfang der dreißiger Jahre zunehmend als Ausdruck kapitalistischer Dekadenz und Degeneration betrachtet. Der zeitliche Zusammenhang dieser Umbewertung mit der Anti-Röhm-Kampagne in Deutschland ist sicherlich nicht zufällig, allerdings lagen ihre tatsächlichen Ursachen wohl vornehmlich in dem sich nach der relativen Offenheit der zwanziger Jahre 71 Eine zwischen sadomasochistischen Sexualpraktiken und (unterbewußt möglicherweise ebenfalls sexuell motivierten) Gewalttätigkeiten differenzierende Betrachtungsweise gab es im Exildiskurs kaum, geschweige denn, daß die Möglichkeit einvernehmlicher sadomasochistischer Sexualität erörtert worden wäre. Der Begriff "Sadismus" wurde diffus für "sexuelle Grausamkeit" (Reich 1980: 280), wie ganz allgemein für alle erdenklichen Formen von Gewalttätigkeit verwendet. Lediglich Kurt Hiller (1935a: 148) reflektierte diese begriffliche Unklarheit, indem er die Bezeichnung von KZ-Schergen als Sadisten als "eine ungenaue, fast falsche wissenschaftliche Bezeichnung für diese sexualpathologische Spielart" kennzeichnete. 72 Walter Tschuppik, geb. 1899, war 1926 bis 1933 Chefredakteur der Süddeutschen Sonntagspost in München. Von März bis November 1933 in Haft, emigrierte Tschuppik anschließend in die CSR, wo er unter anderem die Wochenschrift Der Montag herausgab flüchtete Tschuppik nach Großbritannien, 1948 kehrte er nach Deutschland zurück starb Tschuppik in Wien. 73 Über die Strafbarkeit der Homosexualität in anderen Sowjetrepubliken gibt es widersprüchliche Angaben. So kriminalisierten die Sowjetrepubliken Azerbajdzan, Georgien, Turkmenien und Uzbekistan laut Brockmann (1977: 449) die Homosexualität auch in den zwanziger Jahren. Maurach (1969: 232; zitiert nach Hauer et. al 1984: 128) nennt lediglich Azerbajdzan.

97 97 nun zunehmend manifestierenden "Rigorismus, der das gesamte sowjetische System nach und nach ergriff und die Individuen rücksichtslos staatlichen Zwecken unterordnete" (Brockmann 1977: 454). Die im Zuge dieser 'Stalinisierung' der Sowjetunion betriebene neue Bevölkerungspolitik propagierte im Sinne eines "puritanischen Produktivismus" (Brockmann 1977: 456) die traditionelle Familienstruktur als den Ort der einzig legitimen reproduktiven (Hetero-) Sexualität. Die Existenz einer zudem "politisch unkontrollierbaren homosexuellen Subkulur mit 'ungeregeltem Sexualleben'" (Brockmann 1977: 456) wurde unter derartigen Rahmenbedingungen nicht länger geduldet. Die erneute Kriminalisierung der Homosexualität wurde schließlich mit ihrer Stilisierung zu einer "Entartungserscheinung der faschistischen Bourgeoisie" (Reich 1971: 213) durch den Sowjetjournalisten Kolzow eingeleitet. Seit Januar 1934 kam es laut Reich (1971: 213) in verschiedenen sowjetischen Großstädten zu Massenverhaftungen von Homosexuellen. Am 7. März 1934 dann erließ das Präsidium des Zentralen Exekutivkomitees des Sowjetkongresses der UdSSR eine Verordnung, die es den Republiken zur Auflage machte, ihre Strafgesetzbücher durch Homosexualität kriminalisierende Paragraphen zu ergänzen (Brockmann 1977: 449). Hatte sich in SPD- und zunehmend auch in KPD-Kreisen bereits mit der Anti- Röhm-Kampagne ein Stimmungsumschwung gegen eine liberale Homosexuellenpolitik vollzogen, so gab die Änderung der sowjetischen Politik nun für viele deutsche Emigranten das Signal, die letzten Skrupel abzuschütteln; schließlich war die Sowjetunion das Land des sozialistischen Aufbaus, auf den viele unter ihnen die größten Hoffnungen setzten. Welche Blüten die Rechtfertigung dieses in eine Faschismus-'Theorie' eingekleideten Kurswechsels trieb, verdeutlichte Ende Mai 1934 ein am bereits in der Pravda erschienener und in der kommunistischen Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung ausgerechnet unter dem Titel "Proletarischer Humanismus" veröffentlichter Artikel Maxim Gorkis (1934: 1298): "Nicht Dutzende, sondern hunderte Tatsachen sprechen von dem zerstörenden, zersetzenden Einfluß des Faschismus auf die Jugend Europas. Es widerstrebt einem, Tatsachen anzuführen; sogar die Erinnerung wehrt sich dagegen, sich mit dem Schmutz zu beladen, den die Bourgeoisie immer eifriger, in immer größerem Ueberfluß produziert. Ich weise jedoch darauf hin, daß in dem Lande, wo das Proletariat tapfer und erfolgreich wirtschaftet, der die Jugend verderbende Mißbrauch der Homosexualität als sozial verbrecherisch und strafbar angesehen wird, während er im 'Kultur'-Land der großen Philosophen, Gelehrter und Komponisten frei und ungestraft ist. Es ist sogar das sarkastische Sprichwort entstanden: 'Rottet die Homosexuellen aus - und der Faschismus verschwindet.'"

98 Kritische Stimmen Die in der Exilpresse 1933/34 geübte Praxis der Denunziation der homosexuellen Veranlagung mehr oder minder bekannter Nationalsozialisten wurde nicht von allen Emigranten stillschweigend hingenommen. Allerdings blieben kritische Stimmen im Rahmen dieser Diskursivierung der Homosexualität eher eine Randerscheinung. Schon sehr früh 'intervenierte' Magnus Hirschfeld mittels eines Aufsatzes über die Eulenburg/Harden Affäre, die 1907 durch die von Maximilian Harden in seiner Zeitschrift Die Zukunft erhobene Behauptung, engste Berater des Kaisers seien homosexuell, ausgelöst woren war (vgl. Kapitel 2.1). In seinem Mitte Juni 1933 erstmals im Blauen Heft veröffentlichten Artikel bemühte sich Hirschfeld (1933a), anhand des historischen Beispiels die Fehlerhaftigkeit der Instrumentalisierung der sexuellen Orientierung in politischen Auseinandersetzungen zu dokumentieren: "Der erste Fehler Hardens war, dass er die sexuelle Veranlagung der Höflinge ausnutzte, um sie zu stürzen. Er musste aus der Geschichte wissen, dass es ebenso gute homosexuelle wie heterosexuelle Staatsmänner und Herrscher gegeben hat, dass die Eigenschaften, die in dieser Beziehung massgebend sind (wie sich jemand einmal ausdrückte) nicht unter sondern über dem Nabel liegen." (Hirschfeld 1933a: 692) Hirschfelds (1933a: 692) "nicht nur aus historischen Gründen" geübte Kritik an Hardens Vorgehen mußte auch als eine Kritik der permanenten Denunziation der sexuellen Veranlagung insbesondere Ernst Röhms gelesen werden. Allerdings blieb dieser Mitte Oktober 1933 nochmals in leicht gekürzter Fassung in der Deutschen Freiheit (Hirschfeld 1933b) abgedruckte Aufsatz eine der seltenen Auseinandersetzungen, die außerhalb der Neuen Weltbühne mit der Strategie der Sexualdenunziation geführt wurden. Denn insbesondere Die Neue Weltbühne bot 1933 noch ein Forum, in dem mehrmals gegen den Versuch, Nationalsozialisten mittels der Anprangerung ihrer vermeintlichen oder tatsächlichen homosexuellen Veranlagung zu diskreditieren, interveniert, und auf die Gefahr einer damit einhergehenden Unterschätzung ihrer politisch-strategischen Fähigkeiten (besonders derer Röhms) aufmerksam gemacht wurde. So etwa in einem Artikel von Hermann Britt alias Heinz Pol 74 (1933: 1094) über Ernst Röhm: 74 Heinz Pol, geb. 1901, arbeitete in den zwanziger Jahren als Journalist unter anderem für die Vossische Zeitung und Die Weltbühne. Schon früh kritisierte er die KPD aus trotzkistischer Perspektive. Im Februar 1933 verhaftet, flüchtete Pol im Juni 1933 nach Prag, wo er bis zu seinem wegen ihrer zunehmenden KPD-Nähe 1936 vollzogenen Bruch für Die Neue Welbühne arbeitete. 1934/35 zudem Chefredakteur der Satirezeitschrift Simplicus (ab Sept. 1934: Simpl), emigrierte Pol 1936 nach Paris, 1940 in die USA, wo er 1972 verstarb.

99 99 "Man hat in der antifascistischen Propaganda jahrelang den ebenso dummen wie erfolglosen Versuch gemacht, das Privatleben und die persönlichen Neigungen der Naziführer vor den Massen zu 'enthüllen'. Röhm insbesondere war und ist für diese peinlichen Antifascisten noch heute weiter nichts als ein Homosexueller, den man mit mehr oder weniger penetranten Witzen zu erledigen sucht. Mit solchen Läppereien kann nie eine propagandistische Massenwirkung erzielt werden. Auch Friedrich II. war homosexuell; deshalb wird niemand seine Feldherrenfähigkeiten in Frage ziehn." Doch diese Erkenntnisse Heinz Pols, die möglicherweise nicht ganz zufällig unter Pseudonym veröffentlicht wurden, schlugen sich, wie noch zu zeigen sein wird, in seinen späteren Aufsätzen für Die Neue Weltbühne nicht nieder. Neben Heinz Pols Artikel allerdings beschränkte sich auch die in der Neuen Weltbühne veröffentlichte Kritik an der Strategie der Sexualdenunziation auf die wiederholten Stellungnahmen ihres Chefredakteurs Willi Schlamm (vgl. Anm. 61). Die Ernennung Röhms zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich am veranlaßte Schlamm (1933d: 1521), auf die Unterschätzung Röhms, die mit seiner Stigmatisierung einherging, aufmerksam zu machen: "Er heißt Ernst Röhm und wurde eben Minister des Deutschen Reichs. Eine geistverlassene Linkspublizistik hat sich gewöhnt, diesen bedeutendsten aller Unterführer Hitlers mit dem stupiden Vorwurf der Homosexualität abzutun; als ob solche Diffamierung grade der 'aufgeklärten' Linken zustünde, die doch endlich begreifen sollte, daß die Niederlage eine größere Sünde ist als Päderastie! Ernst Röhm hingegen hat gesiegt." Nach seiner Anfang 1934 erfolgten Ablösung als Chefredakteur der Neuen Weltbühne durch den moskaunahen Hermann Budzislawski 75, arbeitete Schlamm ab April 1934 als Chefredakteur der von ihm mitbegründeten Europäischen Hefte. Auch dieses Forum nutzte Schlamm zu neuerlicher Kritik an einer auf ein vermeintlich 'gesundes' Volksempfinden spekulierenden Publizistik. Gleich in 75 Hermann Budzislawski, geb. 1901, studierte Volkswirtschaft und war in den zwanziger Jahren unter anderem als wirtschaftspolitischer Mitarbeiter der Weltbühne tätig. Seit 1929 SPD-Mitglied, emigrierte Budzislawski im März 1933 zunächst nach Zürich, 1934 nach Prag. Anfang 1934 wurde ihm aufgrund eines erheblichen Auflagenrückgangs (Maas 1990: 114), und, wie Kurt Hiller (1980: 74) mutmaßte, aus politischen Gründen die Chefredaktion der Weltbühne von der im schweizer Exil lebenden Witwe des Verlegers Jacobson "unter Vertragsbruch" mit dem bisherigen Chefredakteur Schlamm übertragen flüchtete Budzislawski nach Paris, 1940 in die USA kehrte er nach Deutschland (Ost) zurück, wurde SED-Mitglied und übernahm in Leipzig eine Professur für Zeitungswissenschaften. Seit 1967 bis zu seinem Tod 1978 gab er die DDR-Weltbühne heraus.

100 100 der ersten Ausgabe der Europäischen Hefte protestierte er gegen das Mißverstehen der Sexualdenunziation als 'Faschismus-Analyse', das den Blick auf die "Quellen der Niederlage" verstelle: "Das Ausmaß der Niederlage des europäischen Sozialismus wird durch seine Unfähigkeit übersteigert, ihre Ursachen zu verstehn. Jene repräsentative Parteipublizistik, deren analytische Bemühung sich im Nachweis erschöpft, daß Hitler ein Fascist und Röhm ein Homosexueller ist, wird bis an ihr nahes Ende nicht begreifen, daß der Sieg unsrer Feinde uns und nicht sie belastet." (Schlamm 1934: 8) 3.5 Der sogenannte "Röhm-Putsch" In der Folge der Veränderung der sowjetischen Haltung zur Homosexualität kam es zu einer deutlichen Steigerung der Versuche, nicht nur die Homosexualität der gesamten NS-Führung, sondern auch einen genuinen Zusammenhang zwischen Faschismus und Homosexualität nachzuweisen. Unterstützend wirkten dabei absurder Weise die Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches" Der "Röhm-Putsch" und die Rolle der Homosexualität Die Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches", besser die Ermordung von etwa 80 vornehmlich SA-Angehörigen, insbesondere der SA-Führung um Ernst Röhm, durch SS-Einheiten und die Gestapo, werden von Historikern bis heute unterschiedlich bewertet. Insbesondere der Anteil Adolf Hitlers und der der Reichswehr an der Herbeiführung dieser Ereignisse ist strittig. In dieser Diskrepanz der Bewertung kommen zwei verschiedene historische Ansätze der Interpretation des "Dritten Reiches" zur Geltung. Im Streit liegen hier jene, die das "Dritte Reich" als einen von Adolf Hitler auf seine Person zugeschnittenen und von ihm weitestgehend kontrollierten totalitären Führerstaat, und jene, die es als polykratisch strukturiert begreifen. Daß der Verfasser letzterer Position zuneigt, soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Lediglich in ihrer Gewichtung umstritten sind jedoch die drei inhaltlichen Grundkonfliktlinien, die schließlich die blutige Entmachtung Röhms und der SA am 30. Juni 1934 nach sich zogen. Zunächst ist hier der in der SA im Frühjahr 1934 immer vehementer zu vernehmende Ruf nach einer "zweiten Revolution" zu nennen. Diese Forderung lag schon in der sozialen Struktur der SA begründet. Die mittlerweile auf annähernd vier Millionen Mitglieder angewachsene SA war seit der Weltwirschaftskrise zu einem Sammelbecken Arbeitsloser geworden; nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten Ende Januar 1933 riß der

101 101 Zustrom an neuen Mitgliedern nicht mehr ab. Neben politischem Opportunismus war hierfür jedoch auch ein wirtschaftlich motivierter verantwortlich, erhofften sich doch viele, daß die SA-Männer für ihre 'Dienste' nun bald finanziell entlohnt werden würden. Zu einer solchen generellen Finanzierung der SA durch den Staat kam es jedoch nicht, vielmehr wurde sogar die am eingerichtete Hilfpolizei, die zum großen Teilen aus SA-Männern bestanden und diesen ein wenn auch schwer erkämpftes finanzielles Auskommen (vgl. Höhne 1984: 146f.) garantiert hatte, im September 1933 wieder aufgelöst (Bennecke 1964: 39). Die Kasernierung von Teilen der SA muß in diesem Zusammenhang als ein Versuch, die soziale Lage vieler SA-Männer zu entschärfen, verstanden werden; allerdings war sie, im Gegensatz zu den apologetischen Ausführungen Benneckes 76 (1964: 37), zweifellos auch machtstrategisch motiviert. In einer solchen Situation mußten sich die sozialen Nöte vieler SA-Mitglieder in der Forderung nach Verwirklichung der 'sozialistischen' Ansätze des NSDAP-Programms niederschlagen, einer Forderung, die auch von der finanziell abgesicherten SA-Führung, insbesondere von Röhm, der "den Sozialismus des nationalsozialistischen Programms ernst" (Mau 1953: 125) nahm, vertreten wurde. Für Röhm jedoch hatte die Forderung nach einer "zweiten Revolution" noch andere Aspekte. Er betrachtete im Gegensatz zu Hitler die SA als einen Wehrverband, dem gegenüber der politischen Organisation der NSDAP eine klare Vorrangstellung zustünde. Die "nationale Revolution" sollte nach seinen Vorstellungen von der SA verwirklicht werden, wie er generell das "Primat des Soldaten vor dem Politiker" (Röhm 1934: 349) verlangte. Röhm wünschte eine Revolution nach klassischen Vorbildern, in der SA sah er nichts weniger als die "barrikadenstürmenden Avantgarden" (Mau 1953: 126) einer solchen Revolution. Hitler dagegen hatten sich mit der Übernahme des Reichskanzleramts "die Methoden der kalten Revolution ergeben: die Scheinlegalität, der latente Terror, die Auflösung der Revolution in vorsichtig dosierte, erst im Zusammenhang in ihrer Bedeutung erkennbare Einzelakte" (Mau 1953: 126). An dieser Strategie hielt Hitler allein schon aus machttaktischen Erwägungen fest, hätte doch eine klassische Revolution nach Röhms Vorstellungen Hitlers Bündnis mit den Machteliten aus Reichwehr und Großindustrie, gegen die sich der Unmut der SA ja gerade richtete, gebrochen und die Gefahr eines Eingreifens der Reichswehr heraufbeschworen. Bereits Anfang Juli 1933 erklärte er die "nationale Revolution" daher für abgeschlossen. 76 Heinrich Bennecke, geb. 1902, war bereits seit 1922 SA- und NSDAP-Mitglied und avancierte 1934 zum SA-Gruppenführer, 1936 zum SA-Obergruppenführer. Nach Angaben des DDR-HIstorikers Gossweiler (1986: 301) soll er 1932 an der Ermordung des SA-Mannes Hentsch beteiligt gewesen sein. Benneckes (1964) Buch "Die Reichswehr und der 'Röhm- Putsch'" weist in seinen Aussagen über die SA deutlich apologetische Züge auf. So versucht er den SA-Terror des Jahres 1933 übergelaufenen Kommunisten anzulasten (Bennecke 1964: 38).

102 102 Die zweite Konfliktlinie verlief zwischen SA und Reichswehr. Röhm wünschte die grundlegende Umgestaltung der Reichswehr zu einer Milizarmee nach schweizer Vorbild und wollte zu diesem Zweck das Reichswehrministerium übernehmen. Das Konzept der Milizarmee bot in seinen Augen zum einen die größten Chancen, eine Zustimmung der Siegermächte des ersten Weltkrieges zu einer Vergrößerung des deutschen Heeres zu erreichen, zum anderen ließ sich so eine von ihm schon im Sinne der Finanzierung der SA gewünschte weitgehende 'Einbindung' der SA in die Reichswehr auf einem Weg organisieren, der dennoch eine größtmögliche Souveränität der örtlichen SA-Einheiten gegenüber der alten Reichswehrorganisation garantierte. Die Reichswehr allerdings lehnte Röhms Milizpläne, die die zukünftige deutsche Armee zu einer Verteidigungstruppe gemacht hätten (Bennecke 1964: 40), vehement ab. Zudem fühlte sich die hunderttausend Mann starke Reichswehr von der totalen Umstrukturierung, die eine 'Übernahme' des Viermillionenheeres der SA mit sich bringen mußte, bedroht. Sie verfolgte seit dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund im Oktober 1933 vielmehr Aufrüstungspläne zu einer Offensivarmee, die auch Hitlers Plänen einer Eroberung neuen "Lebensraumes" eher entgegenkommen mußten (Bennecke 1964: 34f.). Die im Sommer 1933 begonnene Kooperation mit der SA, insbesondere die vom Versailler Vertrag untersagte vormilitärische Ausbildung betreffend, für deren Koordination am 1. Juli 1933 die Institution des Chefs des Ausbildungswesen (AW) der SA geschaffen worden war (vgl. Bennecke 1964: 26-30), hatte in den Plänen der Reichswehrführung keine langfristige Perspektive mehr. Die dritte Konfliktlinie schließlich verlief zwischen SA und der von Heß geleiteten politischen Organisation (PO) der NSDAP. Die "nie überwundene Rivalität zwischen Partei und SA" (Mau 1953: 128) hatte sich nach der Machtübernahme, in deren Zuge die Partei und nicht die SA den bestimmenden Einfluß erlangt hatte, verschärft. Röhms Verlangen nach einer "zweiten Revolution" verunsicherte führende Parteifunktionäre, die nun "ihren persönlichen Anteil an der neugewonnenen Macht durch ihn bedroht fühlten" (Mau 1953: 128). Doch der Konflikt zwischen Parteiorganisation und SA beschränkte sich nicht nur auf die führenden Funktionäre, hatten doch ganz allgemein "überwiegend die Führer der PO die freigemachten Staats- und Kommunalstellen besetzt, Ortsgruppenleiter waren Bürgermeister, Kreisleiter, Oberbürgermeister oder Regierungspräsidenten geworden u. s. f." (Krausnick 1954: 318). Die immer weiter wachsende SA hingegen war leer ausgegangen und nach dem Ende der "Kampfzeit" ohne Aufgabe; sie "schien Selbstzweck geworden" (Krausnick 1954: 318). Neben dieser Problematik der Machtverteilung, mit der die Frage nach der Finanzierung der SA unmittelbar zusammenhing, bestimmte die Konfliktlinie jedoch auch die "antibürgerliche Aggressivität" der SA, die die "traditionell bürgerlich-bäuerlichen Führungsschichten" (Höhne 1984: 147) der PO schreckte. Hiermit zusammen hing auch eine Abneigung gegen den "Lebensstil Röhms und seiner Umgebung", die in der PO "ihre lange Tradition" (Mau 1953: 128) hatte. Hatte

103 103 die Homophobie führender Parteifunktionäre schon vor der nationalsozialitischen Machtübernahme ein Mordkomplott gegen Röhm ausgelöst (vgl. Kapitel 2.4.2), so mußte in den Augen dieser Parteifunktionäre nun der Zeitpunkt für eine Beseitigung des homosexuellen Stabschefs gekommen sein. Die Tatsache, daß Röhm unter seinen Mitarbeitern weitere Homosexuelle beschäftigte 77, führte dazu, daß sich diesbezügliche "Vorwürfe gegen SA-Führer bei der Reichsleitung der Partei" (Bennecke 1964: 42f.; 59) ansammelten. Insbesondere Himmler scheint "gerade diese Entwicklung in Teilen der SA besonders aufmerksam verfolgt" (Bennecke 1964: 43) zu haben, zumal Röhms Einfluß Himmlers Plänen für eine konsequente Homosexuellenverfolgung nicht gerade förderlich war. Welche Position Hitler in diesem Konflikt um Röhms Homosexualität einnahm, ist nicht eindeutig zu klären. Vieles spricht jedoch dafür, daß auch er von einer homophoben Grundhaltung geprägt war, diese aber im Gegensatz zu vielen seiner Parteifreunde aus machtstrategischen Erwägungen auch noch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zurückzustellen bereit war. Der ehemalige Gestapo-Chef Rudolf Diels (vgl. Anm. 33) berichtete in diesem Zusammenhang über ein Gespräch, daß er im Januar 1934 mit Hitler führte und in dem dieser von Diels (1950: 379) die Anfertigung eines Berichtes über "Herrn Röhm und seine Freundschaften" verlangt haben soll. Diels habe das Gespräch dann auf "die Rolle der Homosexualität in der Geschichte und der Politik", insbesondere aber auch in Männerbünden wie der SA gebracht: "Ich erzählte ihm dann einiges über den aus der Literatur bekannten besonderen Charakter solcher 'Männerbünde', wie ihn Hans Blüher einmal treffend beschrieben hat, und daß es hier in der Tat nur ein Ganz oder Garnicht gäbe. Das seien wirklich verschworene Gemeinschaften. Die Päderastie sei eine Stärke aktivistischer Verbände. 'Das Reichsbanner wäre Ihnen jedenfalls gefährlicher geworden, wenn es etwas von diesem Stimulans besessen hätte', konnte ich nicht unterlassen, hinzuzufügen." (Diels 1950: 381) Interessant an Diels Ausführungen ist hier nicht nur, daß er Blüher (vgl. Kapitel 2.1) bemühte, sondern vor allem auch, daß er es im gleichen Sinne wie viele Autoren der Exilpresse tat, implizierte seine Bemerkung zum sozialdemokratischen Reichsbanner doch, daß die "Päderastie" offensichtlich eine "Stärke" nur des nationalsozialistischen Männerbundes SA, und daß sie zudem für dessen 'Gefährlichkeit' bestimmend sei. Die angeblich folgende Erklärung Hitlers zum Charakter der Homosexualität beschäftigte sich darüberhinaus mit ihrer Gefährlichkeit für ein Staatswesen: 77 Bennecke (1964: 42) nennt "5 SA-Gruppenführer und einige Brigadeführer".

104 104 "Sie [die Homosexualität] habe das alte Griechenland zugrunde gerichtet. Ihre ansteckende Wirkung erstrecke sich mit der Sicherheit eines Naturgesetzes auf die besten und männlichsten Charaktere, wenn sie einmal grassiere; sie schalte schließlich diejenigen von der Fortpflanzung aus, auf deren Nachkommen ein Volk angewiesen sei. Die unmittelbare Folge des Lasters sei aber, daß die widernatürliche Passion alsbald in den Staatsgeschäften dominiere, wenn man sie walten lasse." (Diels 1950: 381) Diese Äußerung Hitlers spricht dafür, daß er die Homosexualität, obwohl er sie zur Staatsgefahr stilisierte, für ein heilbares "Laster" hielt, wollte er doch auf "die besten und männlichsten Charaktere" nicht verzichten. Dies paßt auch zu einer ihm vom Spiegel (1957: 21) zugeschriebenen, aber unbelegten Äußerung, mit der er nach der Veröffentlichung der Briefe Röhms an Heimsoth (vgl. Kapitel 2.4.1) auf die Forderung seiner Parteigenossen nach der Absetzung Röhms reagiert haben soll: "Das mag schon sein, daß die Briefe stimmen. Das kommt eben davon, wenn einer lange in den Tropen lebt, dann kriegt er einen Tropenkoller. Wir müssen Ernst Röhm in eine andere Umgebung setzen, dann gibt sich das." 78 Daß Hitlers Zurückhaltung im Falle Röhms ebenso machttaktisch, wie auch von der Hoffnung auf eine 'Heilung', die sich erst nach den auch 1933/34 weiterhin erhobenen Anschuldigungen zerschlug, motiviert gewesen sein könnte, ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Zumindest läßt sich daraus, daß Hitler Anfang 1934 zweifellos auch "der anhaltende Widerstand Röhms gegen seine Entscheidung" für die Aufrüstungspläne der Reichswehr "hellhörig für Vorwürfe gegen die SA und die Person Röhms" (Bennecke 1964: 41) machte, nicht schließen, daß Röhms Homosexualität für Hitler "nur ein Vorwand" für seine Entmachtung war, wie Diels (1950: 382) meint. 79 Hitlers grundsätzliche Ausführungen zur Homosexualität, die in ihrem paranoiden Tenor erstaunliche 78 Hitler scheint im Gegensatz zu der immer wieder kolportierten Behauptung Ludendorffs (vgl. Wilde 1973: 350), er habe Hitler bereits "in der Münchner Zeit, also vor 1923, auf die Veranlagung Röhms hingewiesen", tatsächlich erst im Rahmen der Röhm-Affäre (vgl. Kapitel 2.4) von der Homosexualität Röhms erfahren zu haben. Ludendorffs Behauptung paßt auch nicht zu Röhms (1929a) Schilderung in einem seiner Briefe an Heimsoth, nach der er seine Veranlagung "richtig erst 1924 'entdeckt'" habe. 79 Daß Diels Hitlers Anfang 1934 erwachendes Interesse an der Homosexualität Röhms als Suche nach einem Vorwand zur Rechtfertigung einer angeblich schon zu diesem Zeitpunkt geplanten Entmachtung Röhms deutet, hängt wohl vornehmlich mit der Stilisierung seiner Demission als Chef der Gestapo zu einem Akt persönlichen Widerstandes zusammen (vgl. Diels 1950: ).

105 105 Parallelen zu Heinrich Himmlers (1937: 95) später in einer Geheimrede vor SS- Offizieren entwickeltem Bedrohungsszenario aufweisen, nach dem, "wenn ein geschlechtliches Prinzip im Männerstaat von Mann zu Mann" einkehre, "die Zerstörung des Staates" beginne, sprechen jedenfalls nicht dafür. Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß sich "der kalt berechnende Techniker der Macht" (Mau 1953: 130), in einen homophoben Wahn steigernd, zunehmend von einer homosexuellen Verschwörung bedroht fühlte und sein Entschluß zur Entmachtung Röhms auch in diesem Sinne machtstrategischem Kalkül entsprang. Ein Festhalten an Röhm jedenfalls machte auch dessen Homosexualität immer problematischer, und dies nicht nur wegen der diesbezüglichen Konflikte mit der Parteiorganisation. Ressentiments existierten ebenso bei der Reichswehr, die ihre Aufrüstung am liebsten natürlich ohne die SA, schon gar nicht aber unter "Beteiligung von Kassendieben, Trunkenbolden und Homosexuellen", so General von Brauchitsch (zitiert nach Shirer 1963: 247), durchzuführen gedachte. Und ein weiterer Faktor sollte in diesem Zusammenhang nicht außer acht gelassen werden, nämlich der Einfluß der Exilpresse, die stetig um den Nachweis der Homosexualität führender Nationalsozialisten bemüht war. Derartige Behauptungen werden innerhalb der NSDAP nicht gerade mit Freude aufgenommen worden sein. Entsprechendes berichtet Wilde (1969: 13), allerdings ohne Quellenangabe: "Hitler, der alle Diskussionen über sexuelle Themen vermied und in seiner Gegenwart nicht einmal zweideutige Witze erlaubte, empfand es als besonders lästig, daß alle Welt dank der sich ständig steigernden kommunistischen Propaganda von der Veranlagung des Stabschefs und anderer SA-Führer wußte. Um Röhm zu schaden, spielte man dazu dem deutschen Regierungschef noch zahlreiche mehr oder minder gelehrte Artikel und Bücher zu, in denen man den 'Beweis' zu führen versuchte, für die Welt seien 'Faschismus' und 'Homosexualität' nur zwei Worte für eine Sache." Tatsächlich scheinen die sich nicht nur in der Exilpresse verbreitenden Vorstellungen über einen hohen Verbreitungsgrad der Homosexualität unter den NS- Führern zu den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" beigetragen zu haben. Zumindest legt dies auch eine Bemerkung, mit der Josef Goebbels (1934: 2) die Ermordung Röhms und anderer SA-Führer am 2. Juli 1934 in einer Rundfunkrede zu rechtfertigen suchte, nahe: "Sie waren im Begriff, die ganze Führung der Partei in den Verdacht einer schimpflichen und ekelerregenden sexuellen Abnormität zu bringen." Auch wenn sich Hitlers Position zur Homosexualität Röhms und einiger anderer SA-Führer nicht eindeutig klären läßt, ist festzustellen, daß die Homophobie weiter Parteikreise ein nicht unwesentlicher und von der historischen

106 106 Forschung bislang zu Unrecht vernachlässigter Faktor war, der zu den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" beitrug. Bis heute gibt es nur wenige eindeutige Erkenntnisse über die Entwicklung im Frühjahr 1934, aufgrund derer sich die Verantwortung für die Ereignisse des 30. Juni 1934 klar bestimmten Personen und Gruppen zuweisen ließe. Dennoch erlauben die bekannten Tatsachen nach Auffassung des Verfassers den Schluß, daß die Reichswehrführung, namentlich der Chef des Ministeramtes des Reichswehrministeriums Reichenau, und die im April 1934 von Heinrich Himmler übernommene Gestapo maßgeblich an der Zuspitzung zu einer Situation beteiligt waren, die den Anschein eines bevorstehenden SA-Putsches erwecken sollte. Waren aus den Reihen der SA und insbesondere von Röhm im Frühjahr 1934 auch wiederholt Äußerungen zu vernehmen gewesen, die Putschgerüchte zu nähren geeignet waren, so ist doch festzustellen, daß es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, daß die SA am 30. Juni oder auch zu einem späteren Zeitpunkt eine gewaltsame Durchsetzung der geforderten "zweiten Revolution" plante (vgl. Krausnick 1954: 320). Daß sich große Teile der SA im Juni 1934 in höchstem Alarmzustand befanden, muß in diesem Zusammenhang als Reaktion auf "militärische Maßnahmen, die der Reichswehr unter dem Vorwand, daß ein SA- Putsch bevorstehe, befohlen waren" (Mau 1953: 132), verstanden werden. Reichswehr und SA wurden im Juni 1934 durch fingierte Nachrichten aufeinandergehetzt, und daran waren neben Himmler und Göring auch Teile der Reichswehrführung, insbesondere Reichenau, beteiligt. Hitler jedoch war "mehr der Getriebene... als der Treibende" (Mau 1953: 127), und es spricht vieles dafür, daß der Konflikt zwischen Reichswehr und SA bewußt auf die Spitze getrieben wurde, um Hitler zu einer Entscheidung zu zwingen. 80 Neben der militärischen Zuspitzung der Lage schließlich dürften noch zwei weitere Ereignisse Hitlers Entschluß zu einer Entmachtung der SA-Spitze herbeigeführt haben. Am 17. Juni 1934 hielt der stellvertretende Reichskanzler von Papen in der Marburger Universität eine Rede, die sich in moderater Form gegen die Gewaltexzesse der SA und die Unterdrückung 'konstruktiver Kritik' richtete. Auch wenn Krausnicks (1954: 321) Interpretation, Papens Rede habe auf eine "Aktion" gezielt, "die auf Mitwirkung von Reichswehrkreisen rechnete", übertrieben wirkt, so mußte die Rede Hitler dennoch beunruhigen, signalisierte sie doch immerhin eine wenn auch zurückhaltende Abwendung seiner nationalkonservativen Bündnispartner. Im Mittelpunkt auch ihrer Kritik stand die SA und deren Drohung mit einer "zweiten Revolution". Diese Entwicklung drängte Hitler ebenfalls zu einer Entscheidung, zumal noch ein zweiter wesentlicher Faktor hinzutrat. Nicht erst seit Juni 1934 war der bevorstehende Tod des Reichspräsi- 80 Krausnicks (1954: 321) Darstellung, die Hitler als den eigentlichen Drahtzieher des 30. Juni sieht, indem sie unterstellt, er habe "der Bildung zweier einander feindlicher 'Fronten', der Reichswehr und der SA, geflissentlich Vorschub geleistet", ist durch die bekannten Tatsachen nicht zu rechtfertigen.

107 107 denten Hindenburg absehbar. Um die Nachfolge in seinem Sinne zu regeln, mußten Hitler gerade zu diesem Zeitpunkt Spannungen sowohl mit seinen nationalkonservativen Bündnispartnern, wie auch mit der Reichswehr ungelegen kommen. Auch diese Situation legte also eine Entscheidung zugunsten einer Entmachtung der SA nahe. Am frühen Morgen des 30. Juni 1934 verhafteten SS-Einheiten unter der Führung Adolf Hitlers Ernst Röhm und andere in Bad Wiessee zu einer Führertagung versammelte SA-Führer; einige, so etwa der Breslauer SA-Führer Edmund Heines, wurden an Ort und Stelle erschossen. Noch am gleichen Tag wurde eine großangelegte Verhaftungs- und Hinrichtungswelle eingeleitet, maßgeblich wiederum von Himmler und Göring organisiert, der nicht nur SA- Angehörige, sondern auch Regimekritiker im weitesten Sinne, so etwa der Redenschreiber Papens, Edgar Jung, oder der ehemalige Reichskanzler, General von Schleicher und seine Frau zum Opfer fielen. Ernst Röhm wurde am erschossen. Am 3. Juli 1934 legalisierte das Reichskabinett die zwischen dem 30. Juni und dem 2. Juli begangenen etwa 83 Morde als "Staatsnotwehr" (vgl. Bennecke 1964: 67). Gegenüber der Öffentlichkeit wurden die Morde schließlich mit der Abwehr des angeblich bevorstehenden SA-Putsches gerechtfertigt. Die angeblichen Putschvorbereitungen jedoch wurden immer wieder in einen ursächlichen Zusammenhang mit der "unglücklichen Veranlagung" einiger SA- Führer gestellt und entsprachen damit der von Hitler gegenüber Diels wie der später von Himmler (1937) vertretenen These von dem staatszerstörenden Charakter der Homosexualität. So erklärte Göring (1934: 184) am : "Leider Gottes hat auch der Stabschef Röhm, ein alter Kämpfer, für den der Führer besonders leidenschaftlich und treu in schwerer Zeit eingetreten ist, infolge seiner unglücklichen Veranlagung sich auf ein Gebiet treiben lassen, das für ihn verhängnisvoll werden sollte. Vielleicht gerade durch seine Veranlagung umgab er sich in seinem ganzen Stab und den führenden Stellen der SA mit solchen Männern, die nun ihrerseits in ihm den Gedanken erweckten, daß er der starke Mann Deutschlands wäre. So kam es, daß von seiten der obersten SA-Führung Pläne geschmiedet wurden, um die Bewegung zu schädigen, den Staat zu stürzen und einen Staat aufzurichten, der dann ein Staat dieser kranken Individuen geworden wäre." Und auch Hitler wiederholte in einer am vor dem Reichstag gehaltenen Rede seine von Diels überlieferten Vorstellungen: "Das Schlimmste aber war, daß sich allmählich aus einer bestimmten gemeinsamen Veranlagung heraus in der SA. eine Sekte zu bilden begann, die den Kern einer Verschwörung nicht nur gegen die normalen Auffassungen eines gesunden Volkes, sondern auch gegen die staatliche Sicherheit abgab." (Hitler 1934: 415f.)

108 108 Mit der Verknüpfung des Vorwurfes von Putsch-Absichten mit der Vorstellung von einer homosexuellen Verschwörung aber makierte die Rechtfertigung der Morde vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 einen Wendepunkt in der offiziellen NS-Politik gegenüber Homosexuellen. Die Homophobie großer Teile der NSDAP-Mitgliedschaft erfuhr nun nicht nur ihre offizielle Bestätigung, sie wurde darüber hinaus in eine Verschwörungstheorie eingebunden, die fortan die theoretische Grundlage der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung bildete Die NS-Version des "Röhm-Putsches" im Spiegel der Exilpresse Die Ermordung der von der Exilpresse immer wieder als Kronzeugen für einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Faschismus angeführten homosexuellen SA-Führer zog keineswegs die naheliegende Konsequenz eines Nachlassens derartiger Publikationen nach sich. Auch daß sich die Nationalsozialisten in ihren Rechtfertigungen der Morde des sogenannten "Röhm- Putsches" nun ganz ähnlicher Homosexualitäts-Vorwürfe bedienten, wie es die Exilpresse bereits seit über einem Jahr tat, löste keine kritischen Reflexionen in der Berichterstattung der Exilzeitschriften aus. Vielmehr wurde nun der prinzipiell zweifellos nicht unberechtigte Vorwurf der Heuchelei erhoben, der allerdings den Blick auf die durchaus auch politische Dimension der nun offiziellen Antihomosexualität des NS-Regimes verstellte. Die Erkenntnis, daß das heuchlerische an der NS-Rechtfertigung der Ermordung Röhms nicht die nun kundgegebene Antihomosexualität, sondern die vorangegangene machtstrategisch motivierte Duldung des Homosexuellen Röhm ausmachte, erschloß sich der Exilpresse genauso wenig, wie der in Bezug auf die sich hier ankündigenden Homosexuellenverfolgungen politische Charakter der nun zutage tretenden Homophobie. Charakteristisch hierfür ist die Haltung des neuen Chefredakteurs der Neuen Weltbühne (vgl. Anm. 75), Hermann Budzislawski (1934: 831): "Und damit niemand mit dem ermordeten Minister Mitleid empfinde, wird dem deutschen Volk ein furchtbares Geheimnis verraten: Röhm war Päderast! Und Fememörder Heines, der Schrecken Schlesiens, liebte Lustknaben. Sehen wir von der widerlichen Heuchelei ab, mit der die Toten beschimpft werden, deren Laster zu Lebzeiten gedeckt wurden, und halten wir uns an die politische Bedeutung des Ereignisses." Vermied es Budzislawski jedoch, in den Chor der moralischen Entrüstung einzustimmen, so zeigten insbesondere die sozialdemokratischen Exilperiodika auch in dieser Beziehung keine Hemmungen. Die homophoben Hetztiraden des Nationalsozialisten Dr. Johann von Leers etwa gab die Tageszeitung Deutsche Freiheit (1934a) mit Genugtuung wieder:

109 109 "Das haben wir Greuelhetzer immer behauptet. So steht es jetzt auch in der nationalsozialistischen Presse. Mehr noch: es wird warnend hervorgehoben, daß die Säuberung nicht vollendet ist, sondern daß von oben bis unten die Korruption noch tiefe Wurzeln hat....die Geschichte wird einmal mit hohem Lob feststellen, wie sauber in jeder Beziehung es in der marxistischen Bewegung zugegangen ist, wie uneigennützig, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch die deutsche Demokratie gewesen ist. Der Saustall, der größte, den die europäische Geschichte kennt, ist in Deutschland erst unter Adolf Hitler geschaffen worden. Für immer wird sein Name durch die nun von ihm selbst eingestandenen Zustände in seiner eigenen Bewegung geschändet bleiben." Noch deutlicher wurden die Autoren des Neuen Vorwärts. Daß sie bezüglich ihrer Abscheu vor der Homosexualität in Hitler einen neuen Bündnispartner gefunden hatten, schien auch sie nicht zu irritieren. Vielmehr sahen sie ihre moralischen Anklagen der letzten Jahre bestätigt: "Seit Jahren haben wir das Treiben dieses Mannes angeprangert, so ekelhaft es uns war, haben wir auf die Verderbnis der Jugend in der SA hingewiesen. Heute benutzen die Hitler, Göring und Goebbels diese Anklagen zu einer frechen Verhüllungslegende für ihre wahren Motive, zu einer ekelerregenden Ausschmückung ihrer erlogenen dramatischen Morderzählung." (Neuer Vorwärts 1934a) Zudem deutete der Neue Vorwärts (1934a) an, wie sich das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten auch nach der Ermordung seiner Kronzeugen aufrecht erhalten ließe: "Alles, was Hitler jetzt an Beschuldigungen gegen Röhm und Genossen schleudert, das haben wir viele Jahre lang wohlbegründet und wohlbewiesen immer wieder vorgehalten - und nicht nur den jetzt Erschossenen, sondern den Hitler, Göring und Göbbels selbst! Damals haben sie über Lügen geschrien, damals haben sie mit oder ohne falsche Eide den Schutz von feilen Gerichten gegen unsere Anklagen gefunden. Heute ist alles wahr - aber natürlich nur, soweit es ihre Opfer betrifft." Von Heuchelei und Verlogenheit, so suggerierte der Neue Vorwärts, war die nun zu Gehör gebrachte Antihomosexualität der NS-Führung gekennzeichnet. Der Beweis hierfür jedoch mußte erbracht werden, indem die homosexuelle Veranlagung nicht nur der "Opfer" des sogenannten "Röhm-Putsches", sondern auch weiterhin sich im Amt befindlicher NS-Führer erwiesen wurde. Die Suche nach weiteren homosexuellen Nationalsozialisten hatte begonnen.

110 110 Auch die Theorien, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Faschismus behaupteten, erfuhren nach der Ermordung Röhms zunächst eine eher noch lebhaftere Weiterentwicklung. Ausgerechnet der Sexualreformer Magnus Hirschfeld bediente mit drei kurz nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" veröffentlichten, weitgehend deckungsgleichen Artikeln dieses Stereotyp. Am 15. Juli 1934 publizierte er im Prager Aufruf den Aufsatz "Die Gemordeten und ihre Mörder" (Hirschfeld 1934c), der am 17. Juli 1934 in der schweizer Zeitung Das Volk unter dem Titel "Röhm und Genossen" (Hirschfeld 1934d), und am in etwas veränderter Form unter dem Titel "Männerbünde" (Hirschfeld 1934e) im Pariser Tageblatt erschien. In beiden Versionen des Aufsatzes mühte sich Hirschfeld zu erklären, warum, wie er unterstellte, Homosexuelle bei "regierenden Persönlichkeiten lange Zeit in hohen Gnaden" stünden: "Der Grund ist zweifellos, dass die in ihrer Wesensart meist schmiegsamen, selbst im stärksten Fanatismus noch weichen, zu Schmeichelei und Byzantinismus neigenden invertierten Persönlichkeiten eigenwilligen Führern, die von Energie strotzen, am wenigsten Widerstand entgegensetzen und daher für sie am bequemsten sind, während die häufig innerlich zerrissenen Invertierten selbst sich in der Huld der Führer sonnen und gut aufgehoben fühlen." (Hirschfeld 1934c: 512f.) Damit kam Hirschfeld etwa den im Braunbuch vertretenen Vorstellungen von der charakterlichen Schwäche des Homosexuellen, der seine politischen Auffassungen jederzeit zugunsten eines neuen "eigenwilligen Führers" verrate, weit entgegen. Zwar verwahrte sich Hirschfeld (1934c: 513) dagegen, "dass die sexuelle Eigenart eines Menschen ihn für sonstige Leistungen untauglich macht": "Dies trifft nur dann zu, wenn anderweitige Charakterfehler vorhanden sind". Wofür aber, wenn nicht zum Geführtwerden, sollten derartig charakterschwache Homosexuelle tauglich sein, waren sie doch nicht in der Lage, "Führern, die von Energie strotzen", Widerstand entgegenzusetzen. Hier lag Hirschfeld Wilhelm Reich (1980: 259) sehr nahe, der "homosexuelle und sadistische Gefühle" als "psychologische Grundvoraussetzung" des Faschismus definiert hatte, auch wenn Hirschfelds Charakterisierung den Homosexuellen nicht speziell als für den Faschismus, sondern allgemein als für autoritäre Strukturen anfällig beschrieb. Allerdings widersprach Hirschfeld (1934c: 513) einem wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen homosexueller Veranlagung und Gewaltätigkeit: "Heines war nicht Fememörder, weil er homosexuell empfand, sondern weil er ausserdem ein roher Patron war. Die meisten Fememörder sind heterosexuell, also sexuell normal. Haarmann war nicht Massenmörder, weil er homosexuell, sondern weil er Sadist war, wie es solche auch unter den weibliebenden Männern leider nur allzu viele gibt."

111 111 Die These, Blühers Theorien und homoerotische "Männerbünde" seien die theoretischen wie praktischen Wegbereiter der Nationalsozialisten gewesen, stützte Hirschfeld (1934c: 514) allerdings genauso wie die Vorstellung, die Rechtfertigungen der Ermordung Röhms seien nichts als "eitel Heuchelei", Homosexuelle spielten mithin nach wie vor eine tragende Rolle im "Dritten Reich": "Sind denn nicht andere von den nationalsozialistischen Machthabern nach wie vor verherrlichten Heroen, von Fridericus Rex bis zu Stefan George gleichfalls homosexuell veranlagt gewesen! Sind es nicht vor allem jetzt noch viele, die nach wie vor im dritten Reich im höchsten Ansehen stehen? Es ist sicherlich kein Zufall, dass der 'Führerbegriff' in seiner heutigen Auffassung und Gestaltung sich zuerst in einer vielgelesenen Schrift des fanatischen Rassentheoretikers Hans Blüher findet" (Hirschfeld 1934e). Hirschfeld versuchte anhand von Beispielen historischer "Männerbünde" nachzuweisen, daß diese grundsätzlich von Homoerotik und Homosexualität geprägt seien, allerdings schwebte ihm im Gegensatz zu Blüher wohl eher eine Erklärung dieses Phänomens aus der vermeintlichen Charakterschwäche der "Invertierten" vor. Zumindest erklärte er die Kenntnis der Homosexualität zur Voraussetzung, "die zum Verständnis eines 'Männerbundes' wie der S.A. unbedingt erforderlich" (Hirschfeld 1934c: 514) sei. Ihre besondere, charakterlich bedingte Affinität zum 'Führerprinzip', sollte also erklären, was im Exildiskurs immer wieder behauptet worden war, daß sich nämlich in der SA besonders viele, wenn nicht fast ausschließlich "Invertierte" sammelten. Die Theorien über einen genuinen Zusammenhang zwischen Faschismus und homosexueller Veranlagung bestätigte Hirschfeld damit weitgehend, auch wenn er diesen Zusammenhang auf eine charakterliche Affinität zum 'Führerprinzip' reduzierte, und somit die Möglichkeit der Integration der "Invertierten" in "Männerbünde" anderer politischer Ausrichtung offenhielt. In der für das Pariser Tageblatt überarbeiteten Fassung seines Aufsatzes zog Hirschfeld (1934e) dann auch die logische Konsequenz aus seiner Charakterisierung des Homosexuellen, behauptete er doch nun, daß die meisten deutschen Homosexuellen zu den Nationalsozialisten übergelaufen seien: "Hitler dürfte sich durch sein scharfes Vorgehen gegen die homosexuellen Jugendführer, bei dem er 'über Leichen ging', eine neue Gruppe von Gegnern geschaffen haben, die ziffernmäßig die der Juden in Deutschland übertrifft. Dieselben 'Urninge', die Hitler wegen seiner Toleranz gegen Röhm und Genossen nicht genug preisen konnten und deshalb scharenweise in sein Lager überliefen, fühlen sich nun schwer getroffen und enttäuscht."

112 112 Ob die Niederschrift dieser Zeilen ein knappes Jahr vor seinem Tod nicht auch einer Verbitterung Hirschfelds über die Vernichtung seines Lebenswerkes geschuldet war, der diejenigen, deren Rechten er es gewidmet hatte, so gut wie keinen Widerstand entgegengesetzt hatten, sei dahingestellt. In jedem Fall verdeutlichen sie, mit welcher Vehemenz die im Exildiskurs konstruierte Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus auch auf die Protagonisten der homosexuellen Emanzipationsbewegung wirkte. Die Vorstellung, die Homosexuellen seien "scharenweise" zu den Nazis übergelaufen, war zweifellos der Adaption des Exildiskurses durch Hirschfeld geschuldet; auf eigener Erfahrung hätte sie gerade in seinem Fall nicht beruhen können, denn Hirschfeld war seit dem Antritt seiner Weltreise Ende 1930 nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Im Rahmen des Exildiskurses jedoch kam der Verbreitung derartiger Vorstellungen darüber hinaus eine besondere politische Bedeutung zu. Was aus der Perspektive des Zeitgeschichtlers für einen wiederholt behaupteten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus keine Relevanz besitzen kann - wieso hätten die deutschen Homosexuellen klüger sein sollen, als die restliche Bevölkerung, die zweifellos "scharenweise" zu den Nationalsozialisten überlief -, kam im Rahmen des Exildiskurses über den homosexuellen Nationalsozialisten einer Bestätigung dieses stereotypisierten Homosexuellenbildes gleich. Auch die Sex-Pol (vgl. Anm. 69) bezog nach der Ermordung Röhms "zur Frage der Homosexualität in der SA Stellung" (Sex-Pol 1934: 271f.). Wenn auch ablehnend, so nahm sie doch den in den NS-Stellungnahmen zwischen Röhms Homosexualität und seinen angeblichen Putsch-Plänen konstruierten Zusammenhang zur Kenntnis: "Hitler ist in seiner Rede sogar so weit gegangen, Röhms staatspolitische Pläne dadurch zu diffamieren, dass er sie als im wesentlichen aus der unnatürlichen Veranlagung Röhms erklärte". Allerdings wurde diese Stellungnahme nicht ernst genommen, sondern als vordergründige "Propaganda der Nazis" betrachtet, die es "in ihrer Heuchelei zu entlarven" galt. Die Entlarvung der "Heuchelei" bewegte sich auf den von Wilhelm Reich vorgezeichneten Bahnen: "Sie selbst [die Nationalsozialisten] sind es doch, die durch den Aufbau der SA in dieser Truppe die Homosexualität geradezu erzeugten und züchteten. Die strenge Disziplin und Unterordnung unter den 'Führer', die Verherrlichung der unbedingten Treue und Hingabe an ihn, musste die unbewussten Neigungen zur Homosexualität, die viele bürgerlich erzogene Jungens in der Pubertät und Nachpubertät haben, aktivieren.... Kein Wunder, wenn Menschen, die schon von vorneherein homosexuell veranlagt sind, eine Institution wie die SA ausnützen, um zu Führerstellungen zu gelangen und diese dann im Sinne ihrer Neigungen missbrauchen." (Sex-Pol 1934: 271f.)

113 113 Wie Hirschfeld galt auch den Autoren dieser Stellungnahme als gesichert, daß die SA ein Sammelbecken von Homosexuellen (gewesen) sei. Während Hirschfeld jedoch, ganz im Sinne seiner Theorie einer konstitutionellen homosexuellen Veranlagung, das 'Führerprinzip' lediglich dafür verantwortlich machte, daß sich die charakterschwachen "Invertierten" in "Männerbünden" wie der SA sammelten, erklärte die Sex-Pol (1934: 272) aus ihm zudem die Entstehung von Homosexualität: Die SA wurde für sie zur 'Schule der Homosexualität', und dies ganz im Sinne der Nationalsozialisten, nicht nur, weil "die so homosexuell und sadistisch umgebauten Männer" skrupellos die von ihnen erwarteten Gewalttaten begingen, sondern auch, "weil die Homosexualität eine ausserordentlich starke psychische Verankerung der faschistischen Ideologie darstellt" Die Rettung des Stereotyps: Entdeckung neuer homosexueller Nazis Die Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten hatte sich bis zum 30. Juni 1934 schon zu sehr verselbständigt, als daß die Ermordung Röhms und anderer von Exilzeitschriften wiederholt der Homosexualität bezichtigter Nationalsozialisten ihr hätte Abbruch tun können. Einen Bruch in der Haltung der Nationalsozialisten zur Homosexualität nahmen die Autoren der Exilpresse nicht wahr, und auch die durch die Tatsache ausgelöste kognitive Dissonanz, daß sie ihre moralische Abscheu vor den Homosexuellen plötzlich mit den Nationalsozialisten teilten, reduzierten sie schnell, indem sie deren Empörung zu ungeschminkter Heuchelei erklärten. Langfristig jedoch mußte der Tod jener Kronzeugen eines Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus die Glaubwürdigkeit dieser Theorie beeinträchtigen, wenn es nicht zur Behebung des plötzlichen 'Personalmangels' an homosexuellen NSDAP-Parteigrößen kam. Und auch der Vorwurf der Heuchelei gegenüber den Verantwortlichen für die Morde des sogenannten "Röhm-Putsches" konnte eine ganz neue Qualität gewinnen, wenn es gelang, ihnen über die Enttarnung weiterer vermeintlich homosexueller Nationalsozialisten Inkonsequenz in ihrer Haltung zur Homosexualität nachzuweisen. Zur Aufrechterhaltung der alten Theorien mußte man sich also auf die Suche nach neuen Nazi-Homosexuellen begeben. Zu einem bedeutenden Faktor in der publizistischen Aufarbeitung der Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches" durch die Exilpresse wurde dann auch die Entdeckung noch amtierender homosexueller Nationalsozialisten. Bereits am meinte die kommunistische Deutsche Volks-Zeitung (1934a), den "Röhm-Putsch" als Liquidierung der "Mitwisser" des Reichstagsbrandes wie des Privalebens Hitlers deuten und überdies auch gleich das Ende des "Dritten Reiches" verkünden zu können:

114 114 "Im Blut der Spießgesellen Hitlers, der gefährlich gewordenen Mitwisser des Reichtagsbrandes, anderer ungezählter Volksverbrechen und nicht zuletzt des Privatlebens des selbst homosexuellen 'Führers' wälzte sich der 'deutsche Sozialismus', niedergeschossen wie ein toller Hund. Zum Teufel ging die ganze faschistische Ideologie, der Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts." Wurde die Deutung des "Röhm-Putsches" als Liquidierung der Mitwisser und Mittäter des Reichstagsbrandes später in das von Willi Münzenberg herausgegebene "Weissbuch über die Erschiessungen des 30. Juni" (vgl. Weissbuch 1934: 106) übernommen 81, so erfreute sich die zweifellos originelle Interpretation, es habe sich auch um die Beseitigung der Kenner des Privatlebens Hitlers gehandelt, in den Exilpublikationen geringerer Beliebtheit. In der Nähe des "Führers" allerdings, wurden die zu enttarnenden Homosexuellen mit Vorliebe angesiedelt. So etwa von der New Yorker Neuen Volks-Zeitung (1934a), die sich am allerdings noch nicht in der Lage sah, Namen zu nennen: "Hitler hat angeblich Roehm und Konsorten in nicht wiederzugebender Weise im Bett gefunden und war so entrüstet, dass er aus diesem Grunde ihre Ausstossung aus der Partei vornahm. Wie wäre es denn, wenn Hitler das mit allen denen machen würde, die derartige Neigungen haben! Wir fürchten, dass nicht sehr viele übrig bleiben, die in unmittelbarer Nähe des 'Führers' leben." Demgegenüber konnte der Neue Vorwärts (1934b) am die Namen gleich fünf angeblich homosexueller Nationalsozialisten nennen. Vermittelt wurden diese 'Informationen', indem man die NS-Stellungnahmen zur Ermordung Röhms mit fiktiven Hitler-Kommentaren konfrontierte, die dieser "sicher selbst gegeben hätte, wenn er mit Worten weniger kargte": "Zwar bliebe, wenn alle Homosexuellen aus der SA-Mannschaft und aus der SA-Führung entfernt würden, nur noch ein jämmerliches Häufchen übrig; zwar ist, obgleich es einen 175 gibt, Minister Heß heute noch mein Stellvertreter; Baldur von Schirach heute noch Jugendführer, Herr Kaufmann heute noch Statthalter von Hamburg, Helmut Bruckner heute noch Oberpräsident in Breslau, Koslo heute noch Gauleiter der SA in Liegnitz; zwar ist es unter den deutschen Bühnenangehörigen allgemein 81 Die Darstellung des Weissbuches wurde von der DDR-Geschichtswissenschaft "als zuverlässig" (Gossweiler 1983: 9) anerkannt. Auch einige der Vertreter der westlichen Geschichtswissenschaft, die die NS-Urheberschaft am Reichstagsbrand bis heute unterstellen, haben einen Zusammenhang zwischen den Morden im Zuge des "Röhm-Putsches" und dem Reichstagsbrand herzustellen versucht (vgl. Bloch 1970: ).

115 115 bekannt, daß im Dritten Reiche nur die 'unglücklich Veranlagten' eine gute Theaterkarriere machen; zwar herrschen in der Hitlerjugend erschreckende Zustände, abertausend Gruppen sind Schulen der Homosexualität" Das "Dritte Reich" sollte also weiterhin als in allen nur erdenklichen Lebensbereichen von Homosexuellen geprägt begriffen werden; mit Ausnahme wahrscheinlich nur des antifaschistischen Widerstandes. Auch auf die Geburtenrate in Deutschland, so suggerierte die Überschrift eines Artikels in der nächsten Ausgabe des Neuen Vorwärts (1934c), schien die angeblich weite Verbreitung der Homosexualität inzwischen Einfluß zu haben. Einen aus der "Hitler-Presse" übernommenen Artikel, der den mangelnden "Kindersegen" der Deutschen beklagte, versahen die Autoren des Neuen Vorwärts (1934c) mit dem Titel: "Das gleichgeschlechtliche Vorbild". Bei dieser Gelegenheit geriet auch der "Führer" in die Schußlinie der Homosexuellenenttarner: "Adolfs Kinderreichtum läßt ebenfalls schön grüßen". Besonders engagiert auf der Suche nach noch lebenden homosexuellen Nationalsozialisten erwies sich die vom NS-Renegaten Otto Straßer (vgl. Anm. 28), dessen Bruder Gregor Straßer den Morden vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 ebenfalls zum Opfer gefallen war, herausgegebene Exilzeitschrift Die Deutsche Revolution (1934a). Am wurde hier "jener widerwärtigen Heuchelei, die ein Hauptcharakteristikum des Hitlersystems ist" mit der öffentlichen Drohung der Enttarnung homosexueller NS-Führer begegnet. Auf seinen Befehl an die SA bezugnehmend, demzufolge "Verfehlungen nach 175 mit dem sofortigen Ausschluß des Schuldigen aus SA. und Partei beantwortet werden" müßten, wurde an Hitler folgendes Ultimatum gestellt: "Eine Frage aber richten wir vor aller Welt an Herrn Adolf Hitler: Gilt dieser Befehl nur gegenüber den ermordeten SA.-Führern, oder auch gegenüber lebenden Ministern und Großwürdenträgern Ihres Systems? Wir warten 8 Tage auf Antwort! Dann aber veröffentlichen wir eine erste Liste amtierender Großwürdenträger des Hitlersystems, die wir - in voller Kenntnis der juristischen Folgen - vor dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit der homosexuellen Gesinnung und der widernatürlichen Geschlechtsbetätigung bezichtigen." (Die Deutsche Revolution 1934a) Entsprechend wurden dann in der Ausgabe vom fünf NS-Führer der Homosexualität beschuldigt: "Wir klagen daher vor dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit zunächst folgende Großwürdenträger des Hitlersystems der homosexuellen Veranlagung und Betätigung an: Reichsminister Rudolf Heß, Stellvertreter des Führers und oberster Parteifunktionär; Reichsjugendführer Baldur von Schirach, dem nicht nur die gesamte Hitlerjugend, sondern nunmehr auch

116 116 die konfessionelle, und bündische Jugend ausgeliefert ist; Reichsstatthalter Karl Kaufmann, im Rang eines Reichsministers, zugleich Gauführer von Hamburg; Oberpräsident Hellmuth Brückner, Oberpräsident von Schlesien, zugleich Gauleiter; Oberleutnant Brückner, persönlicher Adjudant Adolf Hitlers und SS.-Führer." (Die Deutsche Revolution 1934b) Nicht in allen Exilzeitschriften allerdings nahm die Suche nach den neuen Kronzeugen eines Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus einen derartig spektakulären Charakter an, wie in der Deutschen Revolution. Nicht selten wurde eher mittels zurückhaltender Anspielungen die Homosexualität von NS-Führern suggeriert. Walter Tschuppik (vgl. Anm. 72) etwa versuchte dies im Prager Aufruf bezüglich Hermann Görings, indem er ihn mit dem im Zuge des sogenannten "Röhm-Putsches" ermordeten und angeblich homosexuellen SA-Führer von Berlin, Karl Ernst, in Verbindung brachte: "Dieser Bursche, der auf der Leiter der Homosexualität zum mächtigsten Mann von Berlin avanciert, war Goerings intimer Freund" (Tschuppik 1934: 517). Auch in der Neuen Weltbühne wurde mit Suggestion gearbeitet, um den Eindruck hervorzurufen, die nationalsozialistische Führung sei nach wie vor von Homosexuellen dominiert. Zwar wurde in der ersten auf die Ermordung Röhms folgenden Ausgabe Hermann Britts alias Heinz Pols (vgl. Anm. 74) Artikel von 1933 (vgl. Kapitel 3.4.2), in dem er die Angriffe der "peinlichen Antifaschisten" auf Röhms Homosexualität als dumm und erfolglos gegeißelt hatte, nochmals abgedruckt (Pol 1934b). In der gleichen Ausgabe veröffentlichte jener Heinz Pol (1934a: 839) nun aber seinen ersten eigenen derartigen Angriff, die angebliche Homosexualität von Schirachs betreffend: "Ein fetter, weiblicher Bursche mit entsprechenden Neigungen, dumm, rüde und wenig beliebt". Die Anspielung auf das Klischee von der Weiblichkeit der Homosexuellen nutzte Pol hier als Brücke, um die "entsprechenden Neigungen" von Schirachs als homosexuelle erscheinen zu lassen. Mit dem Klischee von der Weiblichkeit operierte zwei Wochen später auch Waldemar Grimm (1934) in der Neuen Weltbühne. Er versuchte nun allerdings Rudolf Heß zu enttarnen: "In rauher deutscher Männertafelrunde nennen sie ihn Frau Hitler. Rudi teilt sich mit Baldur von Schirach in die Gunst des Führers. Wie er aussieht? Fast auf jedem Photo steht hinter Hitler ein baumlanger Schatten. Das ist Rudolf Hess, einst ein unbekannter SA-Mann, aus dem Vorzimmer aufgestiegen zur Stellvertretung des Halbgottes. Schlagetot, stets in zugriffbereiter Nähe des starken Mannes; in der Hosentasche trägt er schießfertig den Revolver." (Grimm 1934: 899f.) "Frau Hitler" suggerierte mehr als eine nur 'berufliche' Beziehung zwischen Hitler und Heß, und auch die Doppeldeutigkeit der Formulierung über den

117 117 "schießfertig" getragenen Revolver dürfte der Feder des Autors nicht unbeabsichtigt entflossen sein. Welcher Natur die Beziehung zwischen Hitler und Heß sei, erklärte Grimm (1934: 901) auf der nächsten Seite noch deutlicher. Die Begegnung mit Hitler, so erfuhr der Leser, sei für Heß die "Schicksalswende seines Lebens" gewesen, Hitler sei zu "seinem Angebeteten" geworden. Schließlich seien die beiden "zu einer Seelengemeinschaft" zusammengewachsen, Hitler nenne Heß "in seinen Memoiren" gar "zärtlich beim Kosenamen Maurice". Grimm spielte bewußt mit der Zweideutigkeit seiner Aussagen. Auch wenn er kein einziges Mal aussprach, was er meinte, mußte doch beim Rezipienten der gewünschte Eindruck zurückbleiben: Heß war anscheinend homosexuell und hatte womöglich sogar eine homosexuelle Beziehung zu Hitler. Die Wandlung in der Berichterstattung der Neuen Weltbühne blieb jedoch auf einzelne Autoren beschränkt. Ob sie mit der Übernahme der Redaktion durch Hermann Budzislawski in Zusammenhang stand, bleibt in das Reich der Spekulation verwiesen. Deutlich ist allerdings, daß unter der Herausgeberschaft Willi Schlamms keine Artikel mit sexualdenunziatorischem Inhalt erschienen waren. Entscheidenden Einfluß auf die Veränderungen wird mit Sicherheit auch die neue Position der Sowjetunion (vgl. Kapitel 3.4.2) gehabt haben. Ob sich hiervon allerdings Heinz Pol beeinflussen ließ, der sonst eine eher distanzierte Position zu KPD und Sowjetunion vertrat (die ihn sich später ebenso wie Kurt Hiller mit Hermann Budzislawski überwerfen ließ), bleibt dahingestellt. Tatsächlich hatte die Sowjetunion mindestens bis zum Bekanntwerden der Moskauer Prozesse einen sehr großen, und keineswegs nur finanziellen, Einfluß auf die deutschen Emigranten. Und dies nicht nur, weil sie der einzige europäische Staat war, der (bis zum Hitler-Stalin-Pakt 1939) eindeutig gegen das NS-Regime Stellung bezog. So unterschiedlich sie auch in ihrer publizistischen Umsetzung war: in den ersten Wochen nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm Putsches" prägte die Berichterstattung der Exilpresse die Suche nach in Amt und Würden befindlicher homosexueller NS-Prominenz. Dabei erfreuten sich von Schirach und Heß besonderer Beliebtheit, während es ansonsten eine erstaunliche Variationsbreite gab. Am waren die Namen der homosexuellen Nationalsozialisten dann auch nach New York vorgedrungen, so daß sich die Neue Volks-Zeitung (1934c) den Vorwurf der Heuchelei gegenüber Hitler zu erneuern imstande sah. Sie reicherte die Liste der homosexuellen Nationalsozialisten dabei um den neuen Chef der Gestapo, Heinrich Himmler, an: "Erstens ist ihm die Veranlagung die[ser] Leute schon lange bekannt. Zweitens, wenn er aufräumen wollte, warum dann nicht gründlich, ihm ist doch aus eigener Erfahrung bekannt, dass sein Busenfreund Hess ein Teil dieser Klique war. Er hat noch eine ganze Menge dieser Art Leute um sich. Wenn er also aus diesen Gründen die Röhm, Heines, u.s.w. erschiessen

118 118 liess, dann mussten Himmler, Hess und Baldur von Schirach dasselbe Schicksal erleiden." (Neue Volks-Zeitung 1934c) In den Augen der Exilpresse ging die Strategie der Entdeckung homosexueller Nationalsozialisten auf. Der Vorwurf der Heuchelei gegenüber der NS-Führung erschien so plausibel, man befreite sich aus der unangenehmen Allianz der moralischen Empörung, die, wie so 'erwiesen' wurde, nur vordergründig zwischen Nationalsozialisten und dem Gros der Emigranten bestand, und schließlich rettete man das im antifaschistischen Kampf als bewährte Waffe betrachtete Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten. Entsprechend stolz zog die Neue Volks-Zeitung (1934d) am denn auch Bilanz: "Es mag im Dritten Reich auch jetzt noch Unentwegte geben, die ihm glauben, die Presse des Auslands hat dem deutschen Kanzler klar und deutlich die Namen jener Führer genannt, von denen feststeht, dass sie den gleichen Passionen mit derselben Hemmungslosigkeit frönen. Und die fester im Sattel sitzen, die heute stolzer in Amt und Würden sind denn je." Der "Röhm-Putsch" in Witz und Karikatur des Exils Witze, die die Homosexualität Röhms ausschlachteten, oder darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen SA, Nationalsozialismus und Homosexualität zu suggerieren suchten, hatten schon seit der Anti-Röhm-Kampagne der Münchner Post (vgl. Kapitel 2.4.1) Verbreitung gefunden. Wie der gewöhnliche 'Schwulenwitz', spielten sie in ihrem überwiegenden Teil auf den mann-männlichen Analverkehr an; nicht selten handelte es sich hierbei lediglich um Abwandlungen bereits bekannter 'Schwulenwitze'. Leider kann diese bemerkenswerte 'humoristische' Fixierung auf eine vorgeblich befremdliche Sexualpraktik im Rahmen dieser Studie keiner eingehenderen Untersuchung unterzogen werden. Zwei Beispiele sollen jedoch zunächst angeführt werden, um ihren Charakter zu dokumentieren. Zunächst die 'klassische' Variante: "Der Schwule läßt die Arbeit ruhn, er freut sich auf den Afternoon." Die auf Röhm bezogene Variante dieses Witzes lautete dann folgendermaßen: "Wandspruch bei Röhm: Nach vier Uhr laß die Arbeit ruhn und freu dich auf den Afternoon". (Gamm 1990: 89) Auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme sind deratige Witze in Deutschland verbreitet gewesen (vgl. Danimann 1983; Gamm 1990). Insbesondere jedoch auch die Exilpresse publizierte solche nicht selten als 'antifaschistisch' verstandenen Witze unter der Überschrift "Man flüstert in Deutschland" (Neue Volks-Zeitung 1934e). Der Ursprung der Witze ist insofern schwer zu eruieren. Man sollte allerdings vorsichtig sein, ihre Herkunft grundsätzlich dem 'deutschen Volksmund' zuzuschreiben.

119 119 Wie die Rede vom homosexuellen Nazi generell, erfuhr auch der Witz über homosexuelle Nationalsozialisten nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm- Putsches" einen hohen Verbreitungsgrad in den Publikationen der deutschen Exilpresse. Neben den bereits bekannten Witzen wurden nun auch solche publiziert, die auf die Morde an Röhm und anderen unmittelbar Bezug nahmen. Gerade auch die bemerkenswert schnelle Publikation dieser "Flüsterwitze" muß Zweifel daran zurücklassen, daß sie in Deutschland entstanden. Einen jener Witze veröffentlichte die Neue Volks-Zeitung (1934e): "Ehe es zur Ermordung Röhm's durch Hitler's schwarze Mordbrenner kam, hatte Hitler Röhm telefonisch auffordern lassen, sofort nach Berlin zur Rechtfertigung zu kommen. Darauf antwortete Röhm durch Telegramm - Am Kommen verhindert, Röhm. - Durch ein Versehen des Postbeamten lief dann einige Stunden später, in Hitler's Büro, ein Telegramm Röhm's in folgender Entstellung ein - Am Hintern verkommen Röhm. -" Neben die Publikation der angeblichen "Flüsterwitze" traten im Rahmen der 'humoristischen' Verarbeitung der Ereignisse vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 satirische Kommentare und Karikaturen, die auf die Homosexualität Röhms anspielten. Die kommunistische Deutsche Volks-Zeitung (1934b) wartete am etwa mit folgender Karikatur auf: Das ist der Duzfreund des Führers. Einst unantastbarer Halbgott, heute als "krankhaft veranlagtes Element" wie ein Hund verscharrt. Wie paradox soll der 'witzige' Göbbels nach der Blutarbeit gesagt haben, einen warmen Bruder kalt zu machen.

120 120 Die Neue Volks-Zeitung (1934b) dagegen variierte das Lied "Der treue Husar", um die Ermordung Roehms zu 'kommentieren' und nebenbei gleich noch ein Liebesverhältnis zwischen Röhm und Hitler zu suggerieren: "Es war einmal ein treuer S.A. Der liebte Hitler. Und was geschah? Der Roehm, der liebte ihn zu sehr, Und nun, nun ist der Roehm nicht mehr!" Zweifellos sollte die behauptete Liebe Röhms zu Hitler hier die Funktion erfüllen, Lacher zu provozieren. Dennoch darf die Bedeutung des Witzes für die Verbreitung von 'Wahrheiten' nicht unterschätzt werden. Daß Hitler unter Umständen auch 'ernsthaft' eine homosexuelle Veranlagung unterstellt wurde, wurde bereits im Kapitel gezeigt. Zudem war dies bei weitem nicht die einzige satirische Anspielung auf eine homosexuelle Veranlagung Hitlers. Zwei weitere Varianten lieferte beispielsweise Der Simplicus. Auch hier wurde Hitler eine homosexuelle Beziehung zu Röhm unterstellt. Das ganze wurde im Rahmen fiktiver Göbbels-Interviews angesiedelt. In der ersten, am auch von der Deutschen Volks-Zeitung (1934c) wiedergegebenen Variante, versuchte man Hitler über seine Verweiblichung zur "Witwe Röhms" eine homosexuelle Veranlagung zuzuschreiben: "Eine letzte Frage, Herr Minister: wird man für die Angehörigen der Erschossenen sorgen? Es sind doch wohl Ihre Parteigenossen. Wird man sich zum Beispiel um Röhms Witwe kümmern?" "Die Witwe Röhms? Seien Sie unbesorgt: wir sind alle bemüht, unserem Führer seinen schweren Verlust zu ersetzen!" (G.G. 1934) In der zweiten Variante versuchte man überdies auch den 'befragten' Goebbels in den Verdacht homosexueller Veranlagung geraten zu lassen: Die günstige Gelegenheit In Deutschland sind bekanntlich in diesem Monat Juli die wichtigsten Stützen des Regimes beurlaubt. Jemand fragt Goebbels, ob er nicht auch auf Urlaub gehen wolle. "Halten Sie mich für so dumm?", antwortet der Wendige, "ausgerechnet jetzt, wo Hitlers Hintern endlich nach langer Zeit wieder einmal frei ist!" (Der Simplicus 1934) Die von Heinz Pol (vgl. Anm. 74) herausgegebene Satirezeitschrift Der Simplicus hingegen veröffentlichte eine Karikatur, die Röhms Ermordung mit einer Anspielung auf seine vorgeblich sexuellen Präferenzen verkoppelte.

121 121 Abb.: Der Simplicus vom Zusätzlich zu den personenbezogenen Satiren und Karikaturen kam es nach dem 30. Juni 1934 zu Publikationen, die eine allgemeine Verbreitung der Homosexualität vor allem in der SA zu suggerieren suchten. Im Prager Aufruf nutzte ein Autor unter dem Kürzel Ddd. (1934) eine Meldung der Essener Nationalzeitung über Richtlinien zur Ausführung des "Arschleders" an "bergmännischen Uniformen", um einen hohen Verbreitungsgrad des homosexuellen Analverkehrs im "Dritten Reich" anzudeuten: "Freilich, nach den Enthüllungen Hitlers über seine S.A. Stabsführer ist es verständlich, dass im 3. Reich Rangunterschiede nicht wie allgemein üblich an der Vorderseite der Uniform angebracht werden sondern vorsichtshalber auch im Arschleder. Offenbar gibt es Situationen, in denen dem Vorgesetzten noch im letzten Augenblick Gelegenheit gegeben werden soll, sich darüber zu orientieren, mit wem er es zu tun hat."

122 122 Und auch eine im Simplicus veröffentlichte Karikatur suchte die homosexuelle Veranlagung als ein SA-typisches Phänomen darzustellen. Abb.: Der Simplicus vom Und am veröffentlichte der Aufruf (1934) folgenden Witz, der bei Danimann (1983: 43) in leicht abgewandelter Form als "Flüsterwitz" auftaucht: "Hitler stösst 'heßliche' Klagen über die in den Reihen der SA-Führer eingerissene[n] Perversitäten aus. Jetzt verstehen wir erst den Sinn eines Satzes, den wir in einer seiner Reden an die Jugend gefunden haben. Er lautet: 'In jedem Hitler-Jungen steckt ein SA-Führer'."

123 Kritische Stimmen War im ersten Jahr der Emigration in der Exilpresse noch vereinzelte Kritik insbesondere an der Strategie der Denunziation der homosexuellen Veranlagung Röhms laut geworden (vgl. Kapitel 3.4.3), so verstummte solche nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" fast vollkommen. Neben Hermann Britts alias Heinz Pols (1934b) erstmals bereits 1933 erschienener Auseinandersetzung mit den 'antifaschistischen' Angriffen auf Röhms Sexualleben (vgl. Kapitel 3.5.3), fanden sich in den ausgewerteten Exilperiodika lediglich in Magnus Hirschfelds (1934c: 513) bereits erwähntem Aufsatz (vgl. Kapitel 3.5.2) kritische Töne zu der sich zunehmend verfestigenden Vorstellung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität, Gewalttätigkeit und Nationalsozialismus, die aber durch andere, zumindest mißverständliche Äußerungen Hirschfelds konterkariert wurden. Blieb die Kritik in der Exilpresse also äußerst dürftig, so kam es in der wohl einzigen zu diesem Zeitpunkt existenten deutschsprachigen Homosexuellenzeitschrift, dem Schweizerischen Freundschafts-Banner, zu einer Auseinandersetzung mit den Sexualdenunziationen der deutschen Exilpresse. So thematisierte ein Karl Pfenninger (1934) in der Ausgabe vom die (exil-) publizistische Aufarbeitung der Ermordung Röhms. Während er den "vorbildlich objektiv gehaltenen Aufsatz" Hermann Britts lobend hervorhob, kritisierte er die sonstigen Elaborate einer "niveaulosen Journalistik", die "kurzerhand Homosexualität wieder zum tausendundsovielten Male" gleichsetze "mit Verworfenheit, Bestialität, Abschaum der Menscheit". Demgegenüber betonte Pfenninger (1934: 1), daß die "jüngsten Vorgänge in Deutschland... mit dem eigentlichen Wesen der Homosexualität soviel zu tun" hätten, "wie ein Bordell mit einer glücklichen Ehegemeinschaft". Widersprach Pfenninger schon damit dem von weiten Teilen der Exilpresse behaupteten wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus, so mußte er den Glauben an einen solchen überdies ad absurdum führen, indem er, erstmals überhaupt in einem der ausgewerteten Periodika, betonte, daß "die Diffamierung der Homoerotik" in Deutschland "sofort mit der Machtergreifung Hitlers einsetzte" (Pfenninger 1934: 2), also nicht erst mit der Ermordung Röhms. Darüber hinaus, so Pfenninger (1934: 2) einem weiteren Paradigma des Exildiskurses widersprechend, habe Röhm nichts zugunsten Homosexueller bewirkt, sondern, ganz im Gegenteil, den "Totschlag der ganzen Aufklärungsbewegung" zugelassen. Konsequenterweise machte Pfenninger (1934: 1) auch auf die von den meisten Autoren der Exilperiodika geflissentlich ignorierte, oder als 'vordergründig' entlarvte Allianz, die zwischen ihnen und den Nationalsozialisten bezüglich der Verurteilung der Homosexualität bestand, aufmerksam: "Nimmt man die verschiedensten Blätter zur Hand, so sind die Journalisten der extremsten politischen Richtungen sich doch in einem einig: in der Verächtlichmachung homoerotischer Neigungen."

124 124 Zwei Monate später geriet dann die Praxis der von Heinz Pol (vgl. Anm. 74) geleiteten satirischen Wochenschrift Simplicus, die vorgeblich homosexuelle Veranlagung von Nationalsozialisten, so insbesondere Röhms zu thematisieren, in das Blickfeld des Schweizerischen Freundschafts-Banners (1934). So hatten entsprechende 'satirische' Publikationen auch nach der Ermordung Röhms kein Ende gefunden (vgl. Kapitel 3.5.4). Diese Instrumentalisierung der Homosexualität in politischen Auseinandersetzungen wurde vom Freundschafts-Banner scharf kritisiert. Die Argumente jedoch, die angeführt wurden, waren im Rahmen des Exildiskurses nicht nur neu; sie deuten zudem darauf hin, daß der anonyme Autor mit vielen deutschen Emigranten zumindest in Kontakt stand, wenn er nicht sogar selbst Emigrant war: "Mit dieser Art des Kampfes sollte endlich einmal Schluß gemacht werden, insbesondere wenn man sich bei dieser tschechisch-deutschen, angeblich emigrantischen Zeitschrift dessen bewußt würde, welcher Prozentsatz gerade in den Reihen der Emigranten vorhanden ist. Wir kennen kein doppeltes Maß, welches die Homosexualität bei den Hakenkreuzlern verurteilt und bei den Emigranten toleriert. In Sachen der Homosexualität gibt es für anständige Leute keine Politik und darf es auch keine geben und wir möchten bloß unsere Ansicht hinzu fügen, daß es an der Zeit sei, daß diese Vorwürfe der Homosexualität gegen politische Gegner bei jenen Parteien aufhören mögen, welche die Aufhebung der homosexuellen-gegnerischen Paragraphen in ihrem Programme haben." 3.6 Homosexuellenverfolgung oder der "trockene 30. Juni" Die Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches" stellten einen historischen Wendepunkt in zweierlei Hinsicht dar. Zum einen wurde mit der Ermordung Röhms innerhalb Deutschlands jene einflußreiche Person beseitigt, die bislang die Umsetzung einer von breiten Teilen der NSDAP gewünschten Verfolgung Homosexueller, wenn auch nicht gänzlich verhindert, so doch behindert hatte. Mit der Ermordung Röhms war auch der Startschuß für die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung gefallen. Zum zweiten bezeichnen die Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches" einen Wendepunkt in der Berichterstattung der Exilpresse. War schon 1933 wiederholt der Versuch unternommen worden, nicht nur die Nationalsozialisten als zum überwiegenden Teil homosexuell veranlagt, sondern den Nationalsozialismus schlechthin als in seinem Wesen durch die Homosexualität geprägt zu erweisen, so steigerte sich diese irrationale Komponente des Exildiskurses ausgerechnet nach der Ermordung jener angeblich

125 125 homosexuellen Nationalsozialisten 82, die als Kronzeugen für eine Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus gedient hatten, ins Grenzenlose. Nun wurde fast die gesamte NS-Prominenz der Homosexualität bezichtigt. Der Blick für die die Verfolgung Homosexueller betreffenden Entwicklungen in Deutschland konnte so nur verstellt bleiben. Wie sich die ersten großangelegten Verfolgungsmaßnahmen im Herbst und Winter 1934/35 unter diesen Bedingungen im Spiegel der Exilpublikationen darstellten, soll in diesem Kapitel gezeigt werden Rekonstruktion der Ereignisse vom Dezember 1934 In seiner bereits erwähnten Geheimrede vor SS-Gruppenführern am rühmte Heinrich Himmler (1937: 98) den Beginn der Homosexuellenverfolgung durch die von ihm seit April 1934 geleitete preußische Geheime Staatspolizei (Gestapo) folgendermaßen: "Wir haben in den ersten sechs Wochen unserer Tätigkeit auf diesem Gebiet im Jahre 1934 mehr Fälle dem Gericht zugeführt, als das gesamte Polizeipräsidium in Berlin in 25 Jahren." Bereits einen Monat nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches", am , wies das sächsische Innenministerium auf Veranlassung der NSDAP-Gauleitung die Polizeibehörden an, "Personen, die nach 175 StGB. bestraft oder homosexueller Betätigung verdächtig sind, als Mitglieder der NSDAP. oder, auch ohne Parteizugehörigkeit, als Angehörige der Jugendorganisationen bekannt sind" (Grau 1993: 71), der Gauleitung zu melden. Bei der preußischen Gestapo wurde nach der Ermordung Röhms das Sonderdezernat II1So geschaffen, das zunächst die im Zuge des sogenannten "Röhm- Putsches" Verhafteten "im Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung kritisch unter die Lupe" (Jellonnek 1990: 102) nahm. Anlaß für die Gründung des Sonderdezernats war nach Darstellung des Mitarbeiters Gerhart Kanthack, daß die Bearbeitung homosexueller "Verfehlungen für das gesamte deutsche Reichsgebiet vom Führer und vom Preußischen Ministerpräsidenten dem Gestapa in Berlin übertragen" (zitiert nach Hockerts 1971: 12) worden war. Besonders in historischen Forschungsarbeiten der fünfziger und sechziger Jahre ist behauptet worden, die eigentliche Aufgabe des Sonderdezernats habe in der Aufdeckung politisch instrumentalisierbarer homosexueller Delikte bestanden, während die Verfolgung der 'gewöhnlichen' Homosexualität der "traditionellen Polizei" 82 Fast alle der bis zum 30 Juni 1934 in der Exilpresse der Homosexualität bezichtigten NS- Führer, das heißt Ernst Röhm, Edmund Heines und Karl Ernst, wurden im Rahmen des sogenannten "Röhm-Putsches" ermordet.

126 126 überlassen worden sei (Hockerts 1971: 12). 83 Tatsächlich war die Verfolgung "der Personenkreise, an denen ein politisches Interesse bestand" (Hockerst 1971: 11f.), ein nicht unwesentliches Arbeitsgebiet des Sonderdezernats. Eine Reduzierung seiner Aufgaben auf politisch relevante Fälle wird jedoch dem homphoben Arbeitseifer, den der Leiter des Sonderdezernats Josef Meisinger und seine Mitarbeiter schon in den ersten Monaten seines Bestehens an den Tag legten, nicht gerecht. Ihre Maßnahmen zumindest dieser Anfangsphase, in der sie, wie Himmler (1937: 96) später einräumte, "an die Dinge als unwissende Toren" herangingen, lassen keine klare Zielsetzung im Sinne einer politischen Instrumentalisierung einzelner Fälle erkennen, sondern deuten auf eine undifferenziert antihomosexuelle Verfolgungspolitik hin. Am ordnete das Sonderdezernat in einem an alle Polizeibehörden versandten Telegramm die reichsweite Erfassung "sämtlicher Personen, die sich irgendwie homosexuell betätigt haben" (Grau 1993: 74), an. Namentliche Listen waren bis zum beim Sonderdezernat in Berlin einzureichen. Am wurde, "um Zweifeln zu begegnen", in einem zweiten Telegramm präzisiert, daß unter anderem auch die Mitgliedschaft in "politischen Organisationen" zu melden sei, ebenso sei auf homosexuelle "Vefehlungen, insbesondere von seiten politischer Persönlichkeiten" (Grau 1993: 74) zu achten. Zweifellos verriet das Sonderdezernat hier ein besonderes Interesse an Homosexuellen in politisch bedeutsamen Positionen. Unkorrekt wäre es aber anzunehmen, "der eigentliche Zweck" der angeordneten Erfassung homosexueller Männer sei es gewesen, lediglich "politisch prominente Persönlichkeiten unter dem Vorwande homosexueller Betätigung zu erfassen" (Vismar 1977: 318), denn nach wie vor sollten "sämtliche Personen (Männer)" gemeldet werden. Eine solche Interpretation ist also durch den Wortlaut der Telegramme nicht zu rechtfertigen, und auch der Charakter der im Dezember 1934 einsetzenden, noch darzustellenden Verfolgungsmaßnahmen, widerspricht einer derartigen Deutung. Ohne Frage jedoch muß es gerade auch wegen ihrer zeitlichen Nähe zum sogenannten "Röhm-Putsch" als eine der Zielrichtungen dieser Erfassungsaktion angesehen werden, "homosexuelle Verschwörergruppen innerhalb der Bewegung auf diese Weise ausheben zu können" (Jellonnek 1990: 104). Die wenigen noch erhaltenen Listen, die von den Polizeibehörden an die Gestapo gingen, deuten allerdings darauf hin, daß die Erfassungsaktion im Hinblick auf NSDAP-Mitglieder von wenig Erfolg gekrönt gewesen sein dürfte (vgl. Jellonnek 1990: 104). Anfang Dezember 1934 setzten umfangreiche, gegen Homosexuelle gerichtete Verfolgungsmaßnahmen ein. Sie richteten sich zum Teil gezielt gegen homo- 83 Indem man sie auf eine gewöhnliche Angelegenheit der Strafverfolgung reduzierte, die nur in besonderen Fällen zum Zwecke der politischen Instrumentalisierung von der Gestapo an sich gezogen worden sei, wurde, ganz im Sinne der Übernahme der NS-Version des 175 StGB in das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik, die über die gewohnte Strafverfolgung hinausgehende Homosexuellenverfolgung durch das "Dritte Reich" ignoriert.

127 127 sexuelle NSDAP-Mitglieder und -Führer, überwiegend jedoch gegen Personen, die man wahllos, das heißt ungeachtet ihrer politischen Haltung oder gesellschaftlichen Stellung, in von Homosexuellen besuchten Lokalen aufgriff. Am 3. Dezember 1934 wurde der schlesische Gauleiter Helmuth Brückner von der Gestapo verhaftet und sämtlicher Ämter entbunden. Brückners Absetzung, die in der Öffentlichkeit zunächst mit "parteischädigendem Verhalten" (Berliner Tageblatt 1934a) begründet worden war, wurde intern mit einer Brückner vorgeworfenen homosexuellen Handlung gerechtfertigt (vgl. Jellonnek 1990: 109). 84 Wahrscheinlich in der Nacht von Samstag, dem , auf Sonntag, den kam es in Berlin zu ersten Razzien in Lokalen, die überwiegend von Homosexuellen besucht wurden. Mehrere weitgehend übereinstimmende Zeugnisse hierüber liegen bis heute vor, wobei es sich zum einen um eine Vielzahl von Zeitungsberichten 85, zum anderen um einen anonymen Brief an den damaligen Reichsbischof Müller handelt, der zur Zeit im Freiburger Militärarchiv aufbewahrt wird. 86 Unter den Zeitungsberichten kommt einem Artikel des Pariser Tageblattes vom besondere Bedeutung zu, da er sich bei der Darstellung der Ereignisse wahrscheinlich auf "Zuschriften der deutschen Homosexuellen" 84 Jellonnek (1990: 109) meint, Himmler habe im Fall Brückner von "seinem Wissen über homosexuelle Verstrickungen" vor allem deshalb Gebrauch gemacht, um den ihm sowieso mißliebigen "Widersacher" auszuschalten. Daß, wie Jellonnek suggeriert, Himmler Brückner verschont hätte, wenn es anderweitige Konflikte nicht gegeben hätte, widerspricht aber nicht nur Himmlers Homophobie, die ihn sich, wie Jellonnek (1990: 96) selber anführt, schon vor seinem Konflikt mit Brückner für dessen "Veranlagung" interessieren, und ihn darüber hinaus diesen angeblich anders bedingten Konflikt noch 1937 (Himmler 1937: 96) mit der Homosexualität Brückners erklären ließ; dieser Annahme widersprechen zudem die bald nach Brückners Verhaftung auch auf anderen Ebenen der NS-Verwaltung einsetzenden antihomosexuellen 'Säuberungen' (vgl. dieses Kapitel). 85 Die Heranziehung von Zeitungsberichten zur Stützung der Darstellung birgt im Rahmen dieser Arbeit eine besondere Problematik, da bereits wiederholt gezeigt werden konnte, wie unzuverlässig insbesondere im Rahmen des Exildiskurses über die Homosexualität erschienene Berichte waren. Auf eine Auswertung von Zeitungsartikeln auch im Rahmen der historischen Rekonstruktion der Ereignisse vom Dezember 1934 kann dennoch nicht verzichtet werden, da sich bei entsprechenden Recherchen in Sekundärliteratur wie Archiven nur äußerst spärliche Hinweise auf jene Ereignisse fanden. Eine besondere Zurückhaltung bei der Verwertung von Informationen aus Zeitungsberichten ist allerdings angebracht. Der besonderen Problematik wird durch die Auswertung von drei schweizer Tageszeitungen, deren Berichterstattung der Verfasser eine größere Distanz zu den Paradigmen des Homosexualitätsdiskurses der Exilpresse zu attestieren geneigt ist, sowie durch eine vergleichende Analyse der Berichterstattung von insgesamt sieben Tageszeitungen Rechnung getragen. 86 Bundesarchiv, Abteilung VI - Militärarchiv, Film 1842/AN Vgl. Faksimile- Druck im Anhang dieser Arbeit (Dokument 1).

128 128 (Expertus 1935) stützte. Hierbei handelte es sich um den unter dem Pseudonym Expertus (1935) verfaßten Bericht eines "bekannten Wissenschaftlers". 87 Demzufolge wurden in "der Nacht vom 8. bis 9. Dezember... viele Hunderte" Homosexuelle "in den Wirtschaften, in denen sie sich treffen, von der geheimen Staatspolizei überrascht, gefangen genommen und direkt in Konzentrationslager verbracht..., wo man sie mit wüsten Beschimpfungen und Mißhandlungen empfing" (Expertus 1935). Neben einer Vielzahl weiterer Zeitungsberichte sind die Razzien Anfang Dezember 1934 durch den am 12. Juni 1935 verfaßten anonymen Brief eines schwulen Mannes zu belegen, in dem dieser den deutschen Reichsbischof Müller um dessen Einsatz zugunsten der verfolgten Homosexuellen bat. Die Angaben in diesem Brief sind wesentlich detaillierter als in dem oben angeführten Zeitungsbericht, auch wenn sie kein exaktes Datum der Razzien nennen: "In dem letzten halben Jahre werden in Berlin und im ganzen Reiche Razzien auf Homosexuelle oder als homosexuell Verdächtigte gemacht. Entweder holte man sie (wie vor etwa 1/2 Jahre) aus Lokalen bezw. man suchte sie in Wohnungen, auf der Straße usw." Rechnet man diesen Angaben entsprechend ein halbes Jahr zurück, so ergibt sich der als Datum der Razzien in "Lokalen". Daß in diesem Brief von denselben Ereignissen wie in dem angeführten Zeitungsartikel die Rede ist, erscheint somit plausibel. Dennoch muß die Nacht vom 8. auf den als das wahrscheinlichere Datum der Razzien betrachtet werden, da das Pariser Tageblatt (1934a) bereits am über Razzien in Lokalen, "in denen Homosexuelle zu verkehren pflegen", zu berichten wußte. Bestätigt wird "eine Razzia in allen Lokalen, die ihrer homosexuellen Kundschaft wegen bekannt sind" auch durch einen auf telefonischen Angaben beruhenden Bericht der Basler National-Zeitung (1934a) vom , die Terminierung auf "Samstag vor acht Tagen", also den , zudem durch einen Artikel der Basler Nachrichten (1934d) vom Ausgeführt wurden die angeblich auf "persönlichen Befehl Hitlers" (Basler Nachrichten 1934d) veranlaßten Razzien unter Leitung des Gestapo-Sonderdezernats von der SS-Leibstandarte Adolf Hitler (LAH), die seit Februar 1934 in Berlin-Lichterfelde stationiert war und sich vornehmlich aus Bayern zusammensetzte (Reitlinger 1957: 64). Daß die LAH grundsätzlich zu Razzien in Homo- 87 Inhaltlicher Aufbau des Artikels, wie auch die dargebrachten Detailkenntnisse über die Homosexuellenpolitik der Berliner Kriminalpolizei in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, legen den Schluß nahe, daß es sich bei dem Autor um Magnus Hirschfeld handelte. Daß der Autor seine Kenntnisse über die aktuellen Ereignisse auf "Zuschriften der deutschen Homosexuellen" (Expertus 1935) stützte, spricht dafür, daß der Bericht von einem wie Hirschfeld im Ausland lebenden "Wissenschaftler" verfaßt wurde.

129 129 sexuellenlokalen eingesetzt wurde, belegt der bei Tuchel/Schattenfroh (1987: ) wiedergegebene Bericht eines LAH-Angehörigen über Razzien in der Nacht vom 9. auf den , die unter der Leitung des Kriminalkommissars Gerhard Kanthak standen. Ihren Einsatz bei den Razzien Anfang Dezember 1934 erweist der anonyme Brief an Reichsbischof Müller: "Diese Razzien wurden von der Geh. Staatspolizei arrangiert und von jungen S.S. Männern, - meistens Bayern und andere Süddeutsche - ausgeführt." Auch die meisten Zeitungsberichte sprechen über Verhaftungen durch die "Gestapo" (Pariser Tageblatt 1934a) oder "bewaffnete Abteilungen der S.S." (Neue Zürcher Zeitung 1934). Die bei den Razzien Verhafteten, 88 wozu nach verschiedenen Berichten alle angetroffenen Personen, also "auch durchaus normale Herrschaften" (National-Zeitung 1934a) gehörten, wurden zunächst in das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht, wo sie nach den Angaben des Briefes an Reichsbischof Müller "12 und mehr Stunden in den Gängen" stehen mußten, ohne auch nur ihre "Notdurft verrichten zu dürfen". 89 Zudem kam es zu Beschimpfungen und Mißhandlungen, die der "Leiter der Aktion, ein Obersturmführer Meisinger" durch sein Verhalten unterstützte. Anschließend wurden die Gefangenen "entweder entlassen oder in das sogenannte 'Kolumbia-Haus' (Tempelhof) gebracht", 90 von wo ein "sehr großer Teil" später "in das Konzentrationslager Lichtenburg" verlegt wurde. Diese Angaben decken sich mit einem Bericht des Pariser Tageblattes (1934i), nach dem die Verhafteten "in das Columbiahaus eingeliefert" wurden, "wo sie schrecklichsten Misshandlungen ausgesetzt und teilweise ermordet worden" seien, wie auch mit einem der Neuen Zürcher Zeitung (1935b), demzufolge später eine "größere Zahl von Inhaftierten... in dem südlich von Berlin gelegenen Konzentrationslager Lichtenburg" gefangengehalten wurde. Oftmals wurden die Häftlinge in den 88 Die Angaben über die Anzahl der Verhafteten schwankten in den verschiedenen Zeitungsberichten beträchtlich. Während die Basler Nachrichten (1934d) am unter Berufung auf eine Meldung von United Press von "ungefähr siebenhundert" Verhafteten sprachen, gab die National-Zeitung (1934a) "nicht weniger als 2000 Personen" an. Am gaben Basler Nachrichten (1934f) und National-Zeitung (1934b) übereinstimmend eine Meldung von United Press wieder, derzufolge zu diesem Zeitpunkt in Berlin nach "zuverlässigen Informationen" noch "etwa dreihundert Personen in Haft" gewesen seien. 89 Bei den von einem Angehörigen der LAH beschriebenen Razzien Anfang März 1935 scheinen dagegen nur Personen verhaftet worden zu sein, die "verdächtig erschienen" (Tuchel/Schattenfroh 1987: 148). 90 Der Gestapo-Chef Heinrich Himmler hatte die "Verwaltung der staatlichen Konzentrationslager" bereits am übernommen. Das "Polizeigefängnis in der Columbiastraße" taucht in den erhaltenen Unterlagen des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa) jedoch erst am unter der Bezeichnung "Konzentrationslager Columbia" auf. Schon vorher allerdings nutzte die Gestapo das Columbiahaus "für die Unterbringung der Häftlinge, die bei den Razzien" festgenommen worden waren (Schilde/Tuchel 1990: 44; 50).

130 130 Konzentrationslagern monatelang festgehalten, nach Angaben des anonymen Autors jenes Briefes an Reichsbischof Müller waren auch am 12. Juni 1935 noch bei den Razzien verhaftete Homosexuelle in den Konzentrationslagern inhaftiert. Ob es nach den Razzien in der Nacht vom 8. auf den im Dezember 1934 in Berlin oder anderen Städten zu weiteren Razzien in von Homosexuellen bevorzugten Lokalen kam, ist nicht eindeutig feststellbar. Nach einer Meldung der Neuen Zürcher Zeitung (1934) soll es in Berlin "in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten" zu Razzien gekommen sein. Auch die Basler Nachrichten (1934d) berichteten unter Berufung auf eine Meldung der amerikanischen Nachrichtenagentur United Press, daß "vor allem in Berlin, aber auch in anderen großen deutschen Städten" seit dem "fast täglich Durchsuchungen in derartigen Lokalen vorgenommen" worden seien, und diese sogar "eine 'Massenflucht' homosexueller Männer aus den großen Städten entweder auf das Land, vielfach aber auch ins Ausland" ausgelöst hätten. Es spricht jedoch vieles dafür, daß die Razzien Bestandteil einer groß angelegten Aktion zur Verhaftung Homosexueller waren. In deren Rahmen scheint es überdies zur Verhaftung von NSDAP-Mitgliedern, Angehörigen der Hitlerjugend, der SA und der SS gekommen zu sein, wie in verschiedenen Zeitungsberichten behauptet wurde. Bereits am meldeten die Basler Nachrichten (1934b), "vorige Woche" seien "40 leitende Mitglieder der Hitlerjugend" in Berlin verhaftet worden. Obwohl die Verhaftung dieser Hitlerjugendführer insbesondere von verschiedenen Exilzeitungen relativ schnell, so etwa vom Pariser Tageblatt (1934b) bereits am , mit "der Razzia, die dieser Tage in berliner Nachtbars und homosexuellen Lokalen vorgenommen wurde", in Verbindung gebracht wurde, muß es angesichts der Tatsache, daß die Basler Nachrichten (1934b) hierüber bereits am berichteten, also schon zwei Tage, bevor die ersten Berichte über die Razzien erschienen, für unwahrscheinlich gehalten werden, daß diese Hitlerjugendführer im Rahmen jener Razzien verhaftet wurden. Daß die Verhaftungen wie im Falle Helmuth Brückners auf Vorwürfe wegen homosexueller Betätigung zurückzuführen waren, wie die saarländischen Tageszeitungen Volksstimme (1934a) am und General-Anzeiger (1934a) am berichteten, paßt zwar zu dem besonderen Interesse an "homosexuellen Verfehlungen... politischer Persönlichkeiten" (Grau 1993: 74), das das Gestapo-Sonderdezernat mit seinem Telegramm vom verriet, ist jedoch nicht zu belegen. Sollten diese Verhaftungen tatsächlich mit den antihomosexuellen Verfolgungsmaßnahmen in Zusammenhang gestanden haben, muß aufgrund ihrer Datierung auf "vorige Woche" jedoch davon ausgegangen werden, daß man sich hierbei auf die von den örtlichen Polizeibehörden angeforderten Listen Homosexueller stützte. Bei deren Erstellung war es anscheinend zur "Beschlagnahme der seit langem in Berlin am Alexanderplatz geführten Kartothek" (Expertus 1935) gekommen, und von ihrem generellen Einsatz bei der Verhaftungsaktion im Dezember 1934 sprach auch ein Artikel des Pariser Tageblattes (1934i): "So sind auf Grund einer im Berliner

131 131 Polizeipräsidium schon früher geführten Kartothek solcher besonders veranlagten Personen Massenfestnahmen erfolgt." Es ist insofern nicht auszuschließen, daß es abgesehen von den Razzien im Dezember 1934 zu weiteren Verhaftungen auf der Basis der erstellten Homosexuellen-Listen kam, und im Rahmen dieser Verhaftungen Nationalsozialisten möglicherweise auch besonders berücksichtigt wurden. Darüber hinaus werden auch im Rahmen der Razzien in Lokalen nationalsozialistische Funktionäre verhaftet worden sein. 91 Es ist jedoch davon auszugehen, daß es sich beim Gros der Verhafteten keineswegs um Angehörige von NS-Organisationen handelte. Dies ist besonders deswegen zu betonen, da es ab dem zunächst in den Berichten der Exilpresse, später ansatzweise auch in denen der schweizer Tageszeitungen zu einer (vorübergehenden) Umbewertung kam, nach der es sich bei den Razzien nunmehr um eine "groß angelegte Polizeijagd gegen oppositionelle junge Nationalsozialisten" (Deutsche Freiheit 1934c) gehandelt haben sollte (vgl. Kapitel 3.6.2). Daß die Verhaftungen vom Dezember 1934 demgegenüber als Bestandteil einer groß angelegten Aktion, die Homosexuelle ungeachtet ihrer politischen Haltung treffen sollte, betrachtet werden müssen, erweist jedoch nichts besser als die Tatsache, daß die Hauptaktivität der Gestapo offensichtlich in der Durchführung von Razzien bestand, die ein differenziertes Vorgehen nahezu ausschlossen. Gegen eine ausschließlich auf Funktionäre der NS-Organisationen konzentrierte Aktion spricht auch das folgende Ereignis. So kam es wenige Tage nach den ersten Razzien zur Verhaftung einer ganzen "Teegesellschaft". Die Nachricht über diese Festnahmen ging nach einer Meldung des General-Anzeigers (1934b) vom auf einen Bericht der britischen Nachrichtenagentur Reuter zurück. Demnach seien "mehrere SS-Leute in die Berliner Wohnung einer russischen Gräfin" eingedrungen und hätten dort alle "23 anwesenden Personen", darunter "einige SS- und SA-Führer, zwei bekannte deutsche Journalisten und mehrere andere Herren" (General- Anzeiger 1934b) verhaftet. Über die Ursachen für diese Verhaftungen mutmaßte der General-Anzeiger (1934b), "daß Razzien, die vor einer Woche in drei Nachtlokalen des Berliner Westens vorgenommen wurden, damit in Zusammenhang" stünden. Auch das Pariser Tageblatt (1934c), das die Verhaftung der "23 Personen auf dem Teeabend einer russischen Gräfin" erstmals am erwähnte, unterstellte einen Zusammenhang mit den Razzien. Am konnte das Pariser Tageblatt (1934g) "nunmehr mitteilen", daß es sich bei der russischen Gräfin "um die 23jährige Gräfin Bentheim, die wegen einer etwas ungewöhnlichen Veranlagung in gewissen Berliner Kreisen keine unbekannte 91 Zweifellos hatte jedoch insbesondere die Exilpresse ein besonderes Interesse an Meldungen über Verhaftungen von Nationalsozialisten, weil sie damit die Instabilität des NS-Systems belegen zu können glaubte. Insofern besteht bei einer Rekonstruktion der Ereignisse anhand von Zeitungsberichten eher die Gefahr einer Überbewertung der Bedeutung von Verhaftungen von Nationalsozialisten.

132 132 Erscheinung" sei, gehandelt habe. 92 Zu der Verhaftung sei es gekommen, weil um 5 Uhr morgens "einer ihrer Gäste in etwas zu rosiger Laune einen Blumentopf auf die Strasse" geworfen hätte. Die Gesellschaft, bei der die Gastgeberin "die einzige Dame" war, sei bei ihrer Verhaftung "halbnackt" angetroffen worden. Nach der Razzia sei es zu "Haussuchungen in den Wohnungen der Verhafteten" gekommen. Dabei habe man Aufzeichnungen entdeckt, "die politische Bedeutung besitzen sollen". Welche Bedeutung die gefundenen Aufzeichungen tatsächlich hatten, ergibt sich aus folgenden Ausführungen des Zeitzeugen Hans Grafe (1992: 15): "Da gab es eine Frauensperson hier, die hieß Prinzessin Bentheim. Die sammelte Schwule um sich. Und diese Frau hatte selber Freude an Schwulen, und brachte die zusammen und so, und die war da im Mittelpunkt. Sie wurde eines Tages verhaftet und man fand ihr Adressenbüchlein, und ich stand auch darin. Und da wurde ich abgeholt, früh am Morgen." Während man Hans Grafe nach drei Tagen wieder entließ, wurden andere im Gefolge der Razzia Verhaftete über mehrere Monate in Konzentrationslagern gefangengehalten. So auch der Schauspieler Kurt von Ruffin (1992: 5), der seine Verhaftung später folgendermaßen schilderte: 93 "Ich wurde denunziert von einem Freund, den sie so geschlagen hatten, daß er verschiedene Leute angab. Deshalb kamen die beiden Kommissare 92 Das Berliner Adreßbuch weist in den Jahrgängen 1933 und 1934 eine Meline Gräfin zu Bentheim mit der Berufsbezeichnung "Empfangsdame" aus. Eine Identität mit der angeführten Gräfin ist wahrscheinlich, auch wenn Meline zu Bentheim nach Angaben einer Verwandten bereits 1878 geboren wurde (Bentheim 1994). Möglicherweise beruhen die vom Pariser Tageblatt als Alter gemeldeten 23 Jahre auf einer Zahlenverwechslung mit der Anzahl der Gäste. Zweifelhaft sind auch die Angaben zu Titel und Herkunft Bentheims. Kurt von Ruffin (1996) spricht wie Hans Grafe von einer "Prinzessin Bentheim", die "die Tochter eines holländischen Adeligen" gewesen sei. 93 Kurt von Ruffin, geb. 1901, arbeitete als Schauspieler in Berlin, seit September 1934 am Deutschen Theater. Bei einem Interview im Juli 1996 machte er "Prinzessin Bentheim" indirekt für seine Verhaftung verantwortlich: "Und die hat immer viele schwule Jungens eingeladen bei sich. Darunter war ein sehr junger Graf aus gutem Haus. Dessen Großvater war ein reicher Industrieller, Kramer-Kierdorf hieß er, der Minen in dem Kohlengebiet besaß und der Hitler finanzierte - ein Kommerzienrat. Und der Enkel machte sich an mich heran, warum weiß ich nicht. Ich wußte aber von seinem Bentheim-Verhältnis nichts. Und die Bentheim hat also jeden Abend, oder jeden besseren Abend 30, 40 Jungens eingeladen, die es dann bei ihr treiben mußten. Und die hat alle angezeigt." (Ruffin 1996) Ruffins Angaben zu seiner Haftdauer sind allerdings zweifelhaft, denn bereits am 13. April 1935 spielte er wieder am Deutschen Theater (vgl. auch Anm. 100).

133 133 zu mir und sagten, sie müßten mich für eine Vernehmung mitnehmen, es wäre nur für kurze Stunden. Es waren dann Dreivierteljahre..." Nach seiner Verhaftung war Kurt von Ruffin über Weihnachten zunächst im Kolumbiahaus inhaftiert (vgl. Ruffin 1992: 6; Dillmann 1990: 50). Später wurde auch er in das Konzentrationslager Lichtenburg verlegt. Über die dortigen Verhältnisse berichtete Ruffin (1992: 7): "Unten im Hof mußte man dann erleben, daß Transvestiten, die gebracht wurden, die zwangsweise als Frauen reisen mußten, dann vor allen ausgekleidet und geprügelt wurden, gestoßen und geschunden bis sie nackt waren. Die Bonzen, die SS-Schergen haben sich an der Verzweiflung dieser Menschen geweidet. Einer von ihnen - ich weiß nicht, wie er hieß - wurde zur Strafe in die Latrine, die unten war, wurde mit dem Kopf in die Kloake [gestoßen] und erstickte da." Kurt von Ruffin wurde schließlich nach ein paar Monaten wieder entlassen (vgl. Anm. 93): Der Intendant des Deutschen Theaters Heinz Hilpert hatte sich bei Himmler für Ruffin stark gemacht (vgl. Ruffin 1992: 7f.; Dillmann 1990: 50). Die Razzien und Verhaftungen richteten sich im Dezember 1934 gegen Homosexuelle in allen nur erdenklichen gesellschaftlichen Stellungen. Homosexuelle in privilegierten Positionen jedoch hatten die besten Chancen, sich den Verfolgungsmaßnahmen zu entziehen, wie der folgende Fall zeigt. Nach einer Meldung des Pariser Tageblattes (1935b) wurde im Dezember 1934 auch der Intendant des Berliner Staatstheaters, Gustaf Gründgens, "wegen seiner altbekannten Veranlagung vorübergehend festgenommen". 94 Ist die Festnahme von Gründgens auch nicht zu belegen, so deutet doch ein Demissionsgesuch, das er am an seinen Dienstherren, den preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring richtete, darauf hin, daß Gründgens seine homosexuelle Veranlagung im Dezember 1934 in arge Bedrängnis gebracht hatte. 95 Dieses Gesuch begründete er wie folgt: 94 Im Januar und Februar 1935 meldete das Pariser Tageblatt die Verhaftung verschiedener prominenter Persönlichkeiten im Rahmen der Razzien vom Dezember Die Zuverlässigkeit dieser Meldungen ist schwer einzuschätzen. Eine Meldung vom , nach der "im Verlaufe der letzten Razzien, wobei die Polizei auch Hunderte von Homosexuellen sistierte, der zweite Sohn des Kronprinzen Prinz Louis Ferdinand mitverhaftet und nach vier Tagen Gefängnis entlassen worden" (Pariser Tageblatt 1935a) sei, wurde von diesem gegenüber dem Verfasser als "völlig falsch und... in keiner Weise den Tatsachen" (Louis Ferdinand 1993) entsprechend dementiert. 95 Informationen über Gründgens' Schwierigkeiten erhielt im Dezember 1934 auch dessen ehemaliger Schwager Klaus Mann. Am schrieb er an Franz Goldstein: "Ich denke, die letzten Razzias im Reich dürften für ihn [Erich Ebermayer] recht fatal gewesen sein. Ich

134 134 "Der einzige zwingende Grund sind die wiederholten Aktionen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen, mit denen ich mich keineswegs identifiziere, mit denen man mich aber identifiziert. Und ich würde mich eher in Stücke hauen lassen, ehe ich in dieser Sache ein Wort zu meiner Verteidigung über die Lippen brächte. Zehn Jahre meines Lebens - in denen die Kunst nur die Hilfe und der Ausgleich war - galten der Beherrschung meines privaten Menschen; und daß ein Mensch wie ich durch alles durch muß, um es zu erkennen, ist klar." (Gründgens 1934) Es ist nicht davon auszugehen, daß Gründgens im Dezember 1934 ernsthaft mit seiner Absetzung durch Göring rechnete. Sein Brief muß vielmehr als taktisches Manöver gedeutet werden, um sich einen besonderen Schutz seines Privatlebens garantieren zu lassen. Die "wiederholten Aktionen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen", wenn er von ihnen denn nicht persönlich betroffen war, scheinen auf Gründgens im Dezember 1934 zumindest einen so nachhaltigen Eindruck gemacht zu haben, daß er sich zu einem solch offensiven Schritt genötigt sah, um sein Privatleben durch den formellen Gestapo-Chef Göring vor dem Zugriff Himmlers schützen zu lassen. 96 Und Gründgens' Rechnung ging auf, denn Göring weigerte sich, ihn zu entlassen und stellte ihn zudem unter sein persönliches Protektorat, eine 'Regelung', von der 1936 auch Gründgens' Privatsekretär profitierte, nachdem er "beim Stelldichein mit einem Schauspielschüler verhaftet" worden war (vgl. Mühr 1981: 71-76). Es ist schwer einzuschätzen, in welchem Ausmaß die Razzien und Verhaftungen seit Mitte Dezember 1934 fortgesetzt wurden. Ausschließen läßt sich allerdings, daß die "Aktion gegen die homosexuellen Elemente" am 20. Dezember abgeschlossen war, was nach einer Meldung von United Press angeblich "der Chef der Geheimen Staatspolizei und der S.S., Himmler, zu dieser Säuberungsaktion erklärte" (Basler Nachrichten 1934f; National-Zeitung 1934b). Vielmehr spricht einiges dafür, daß die "Verfolgung der Homosexuellen... seither mit großem Nachdruck weitergeführt" wurde, wie die Neue Zürcher Zeitung (1935a) am berichtete. Spätestens seit Ende Januar 1935 sind Razzien und Verhaftungen auch wieder nachweisbar. So liegt ein Zeugnis darüber vor, daß das "Gestapa" am eine Razzia in einem "Berliner Fremdenheim" (E. Gisevius 1935: 111) durchführte. Gerade daß das Gestapa hier federführend war, darf als Hinweis darauf gewertet werden, daß auch diese Razzia in erster Linie höre auch, daß unser alter Gustaf [Gründgens] recht gefährdet war - oder ist? - und nur zur Not noch durch die Gunst eines noch-mächtigen Protektors gehalten wird - der aber seinerseits stürzen kann, über Nacht." (zitiert nach Kroll 1992: 309f.) 96 Göring war formal zwar der Chef der Gestapo, faktisch lag die Befehlsbefugnis aber bei ihrem stellvertretenden Chef und Inspekteur Himmler. Erst am hatte Göring diese Regelung durch einen Erlaß bekräftigt (vgl. Buchheim 1965: 46f.).

135 135 der Verhaftung Homosexueller diente. Der Regierungsrat Erich Gisevius 97 (1935: 111), dem wir das Zeugnis über die Razzia verdanken, wurde bei dieser Gelegenheit "wegen Verdachtes eines Vergehens gegen 175 StGB verhaftet und nach der Prinz-Albrecht-Strasse gebracht". 98 Gisevius, der bei seiner Vernehmung "aus besonderen Gründen einen Tatbestand" eingestand, wurde, wie auch die Verhafteten der Dezember-Razzien, am "in das Columbia- Haus" überführt, wo man ihn bis zu seiner Überstellung in die reguläre Untersuchungshaft am gefangenhielt. Auch bezüglich der teilweise mehrmonatigen "Schutzhaft"-Dauer werden damit die Angaben des anonymen Briefes an Reichsbischof Müller (vgl. Anm. 86) bestätigt. Zudem ergibt sich aus dem Beschwerdeschreiben (vgl. Anm. 97) von Erich Gisevius (1935: 112f.) eines von sicherlich vielen Motiven der Gestapo, Homosexuelle längerfristig in Konzentrationslagern festzuhalten. Offensichtlich erhoffte sich die Gestapo, von den verhafteten Homosexuellen Angaben über weitere Homosexuelle zu erhalten. So zitiert E. Gisevius (1935: 113) die ihm gegenüber gefallene Bemerkung eines Kriminalbeamten: "Ihre persönliche Sache interessiert überhaupt nicht; da wären Sie nach spätestens einer Woche draussen gewesen". Dementsprechend, so meinte E. Gisevius (1935: 112), sei die "Schutzhaft" gegen ihn "zur Erzwingung von mir verweigerter 'Denunzianten'-Aussagen erlassen" worden. Er habe es jedoch "abgelehnt, gelegentliche, von mir auch sonst nicht erörterte Mitteilungen Dritter über angebliche Homosexualität führender Persönlichkeiten in Partei und Staat weiterzugeben" (E. Gisevius, 1935: 112f.). Möglicherweise sollte mit solchen Befragungen dem im Rahmen der Erstellung der Homosexuellen-Listen anscheinend zutage getretenen Defizit begegnet werden, daß sich auf den Listen zwar "viele Arbeiter und Handwerker", jedoch kaum Männer in höherer sozialer Stellung fanden (Wilde 1969: 32). Tatsächlich scheint ein wesentlicher Aspekt der Verfolgungsaktivitäten der Gestapo im Februar 1935 in der Enttarnung und Verhaftung von Homosexuellen in gesellschaftlich und politisch als bedeutsam erachteten Positionen gelegen zu haben. So wurden nach verschiedenen Berichten der Neuen Zürcher Zeitung (1935a; 1935b) und des Pariser Tageblattes 97 Erich Gisevius, geb. 1901, studierte Rechtswissenschaften und war seit 1928 als Regierungsrat in der Provinzialregierung Königsberg tätig, zuletzt nach einer Meldung des Pariser Tageblattes (1935e) als "Propagandachef des ostpreussischen Oberpräsidenten Koch". Nach seiner Verhaftung wurde er im Februar 1935 aus dem Staatsdienst entlassen (vgl. H.-H. Gisevius 1976: 54). Am 5. August 1935 verfaßte er im Untersuchungsgefängnis Charlottenburg einen an Hitler, Göring und fünf Reichsminister gerichteten Beschwerdebrief, in dem er sich gegen die durch seine anfängliche "Schutzhaft" im Columbiahaus und die darauf folgende Untersuchungshaft bedingte "Doppelbestrafung" wendete (E. Gisevius, 1935: 114). 98 Die Verhaftung von Erich Gisevius scheint zu einer evtl. beabsichtigten Namensverwechslung mit Hans Bernd Gisevius, damals Beamter im Reichsinnenministerium, geführt zu haben. So behauptet H. B. Gisevius (1947: 284), Himmler habe "ein Vergehen eines Namensvetters" genutzt, um ihm dessen "Schandtaten anzuhängen" und ihn darüber zu Fall zu bringen.

136 136 (1935c; 1935d; 1935e; 1935f) allein fünf namentlich genannte Ministerialbeamte verhaftet und entweder in Untersuchungsgefängnisse oder in Konzentrationslager überführt. 99 Doch auch dieses Interesse des Sonderdezernats an Personen in politisch einflußreichen Stellungen spricht nicht für die von Hockerts (1971: 11f.) unterstellte Fixierung auf politisch instrumentalisierbare Fälle, denn es läßt sich weder ein differenziertes Vorgehen gegen politisch mißliebige Personen, noch eine propagandistische Nutzung der Verhaftungen erkennen. Vielmehr wurde eine strikte Geheimhaltungspolitik betrieben (vgl. unten). Zudem kam es auch weiterhin zu dem undifferenzierten Vorgehen in Form von Razzien in von Homosexuellen besuchten Lokalen und an anderen Orten, an denen man Homosexuelle vermutete. Hier sei nur an die Razzien in der Nacht vom 9. auf den erinnert, über die der bereits zitierte Bericht eines Angehörigen der LAH vorliegt (vgl. Tuchel/Schattenfroh 1987: ). Allein in dieser Nacht wurden sechs Lokale durchsucht. Daß sich die Verfolgungsmaßnahmen der Gestapo auch Anfang 1935 keineswegs allein gegen Homosexuelle in politisch einflußreichen Positionen richteten, erweist nicht zuletzt der Fall des Arbeiters Heinz Hoppe, der am in der Nähe des Bahnhofs Zoologischer Garten verhaftet wurde. Da er nicht nur seiner "politischen Einstellung nach Kommunist" war, sondern auch "im dringenden Verdacht homosexueller Betätigung" stand, es sich bei ihm "also um eine ganz asoziale Person handelte, wurde gegen ihn die Schutzhaft verhängt und er im Konzentrationslager Columbia in Berlin untergebracht". Die Unterbringung gestaltete sich so, daß Hoppe auf einer "Pritsche liegend festgebunden" wurde, die Handgelenke "mit einem Stahlachter zusammengeschlossen". Am Abend des wurde Hoppe in seiner Zelle zunächst angeschossen, gegen drei Uhr nachts dann auf der Krankenstation mit einem direkten Herzschuß getötet. 100 Die ungewöhnlichen Todesumstände Hoppes lösten schließlich ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aus, 99 So sollen der Leiter des Rasseamtes im Reichsinnenministerium Achim Gercke, der Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium Helmut Nicolai, der Hauptabteilungsleiter im Reichsernährungsministerium Karl Motz, der stellvertretende Chef des Protokolls im Auswärtigen Amt Herbert von Mumm sowie der Adjudant des Reichsernährungsministers Harro von Zeppelin im Februar 1935 verhaftet worden sein. Die Verhaftung von Helmut Nicolai während "der Homosexuellenhatz des Jahres 1935" wird auch durch H. B. Gisevius (1947: 278) und durch Recherchen Jellonneks (1990: 109) bestätigt. 100 Über einen Mordfall berichtet auch Kurt von Ruffin (vgl. Anm. 93), der kurz vor seiner Entlassung nochmals "sechs oder sieben Tage" im Kolumbiahaus inhaftiert war: "Es wurde ein Junge totgepeitscht auf seiner Pritsche. Warum, weiß man nicht. Jedenfalls zwei Nächte lang hörte man Stöhnen und Schreien, einmal bei der Brotausgabe mußte ich die Tür aufmachen und sah ihn blutüberströmt mit blutigen geschwollenen Geschlechtsteilen liegen - sie peitschten immer darauf... In der nächsten Nacht fielen ein paar Schüsse, und dann am Morgen bei der Brotausgabe sah ich aus dieser Zelle raus Blutspuren bis zum sogenannten Sanitätsraum. Da hat man wohl den Leichnam wegbefördert. Der Junge war weg." (Ruffin 1992: 8)

137 137 nicht zuletzt auch deswegen, weil schon wenige Tage später, am , auch der "als angeblicher Homosexueller" inhaftierte Kurt Wirtz im KZ Columbia ermordet wurde (Schilde/Tuchel 1990: 52). Wie die Ermittlungen ergaben, waren sowohl Hoppe wie auch Wirtz "erheblich mißhandelt worden". Im Fall Hoppe erhob die Generalstaatsanwaltschaft gegen die Todesschützen Joest und Schmid am sogar Anklage wegen Totschlages. Am 5. Februar 1936 wurde das Verfahren jedoch durch einen persönlichen Erlaß Hitlers niedergeschlagen (Schilde/Tuchel 1990: 53-55). Ein Charakteristikum der seit Dezember 1934 stattfindenden Homosexuellenverfolgungen, das ihre historische Aufarbeitung besonders erschwert, stellt ihre weitgehende Geheimhaltung dar. Den reichsdeutschen Zeitungen war es offensichtlich verboten, über die Verhaftungen zu berichten. Lediglich die Verhaftung des schlesischen Oberpräsidenten Brückner fand kurze Erwähnung (Berliner Tageblatt 1934a; Deutsche Allgemeine Zeitung 1934a). Das halbamtliche Deutsche Nachrichten-Büro (DNB), das am unter Beteiligung des Propagandaministeriums gegründet worden war (Höhne 1977: 126), gab für die reichsdeutsche Presse keine Meldungen über die Verhaftungen heraus. Einzig eine DNB-Meldung vom , die ein Interview, daß Goering dem "Sonderberichterstatter des Reuterbüros" gegeben hatte, auszugsweise wiedergab, wies auf erfolgte Verhaftungen hin: "General Goering erwähnte, dass kürzlich eine Anzahl von Parteigenossen und SA-Männer verhaftet worden seien. Er betonte aber, dass diese Männer keiner politischen Vergehen schuldig seien, sondern dass sie das bürgerliche Recht verletzt hätten und daher auf dem gewöhnlichen Wege bestraft würden. Der frühere Gauleiter von Schlesien, Brückner, zum Beispiel sei aus 'moralischen' und nicht aus politischen Gründen seines Postens enthoben worden. Das Recht nehme keine Rücksicht auf das Parteibuch oder auf die Stellung, die jemand habe." 101 Die restriktive Informationspolitik von Gestapo und Propagandaministerium führte dazu, daß die erfolgten Verhaftungen zunächst selbst dem Reichsministerium des Innern (RMI) verborgen blieben. Das RMI erfuhr von den Verhaftungen erst durch einen Artikel "der Baseler Zeitung vom 19. Dezember 1934", wie aus einer am verfaßten Nachfrage an die Gestapo hervorgeht. 102 Tatsächlich war wohl ein Artikel der Basler Nachrichten (1934d) 101 DNB, Weißer Dienst, , Abenddienst, Blatt 18. Bundesarchiv Koblenz (BAK): ZSg. 116/108. Vergleiche auch entsprechende Berichte des Berliner Tageblattes (1934b) und der Deutschen Allgemeinen Zeitung (1934b). 102 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA): 90P, Nr. 65, Heft 1, Blätter 86 und 86R. Vgl. Faksimile-Druck im Anhang dieser Arbeit (Dokument 2).

138 138 gemeint, dessen Inhalt sich mit den in dem an die Gestapo gerichteten Schreiben wiedergegebenen Informationen deckt. 103 Das RMI erhielt jedoch auf seine Nachfrage, in der es seine Unterstützung im Kampf gegen die "Entartung des Geschlechtstriebes" anbot, von der Gestapo keine Antwort, wie aus einer neuerlichen Nachfrage vom hervorgeht. 104 Ein weiteres Erinnerungsschreiben vom läßt den Schluß zu, daß auch die Nachfrage vom April 1935 unbeantwortet geblieben war. 105 Diese Tatsache gewinnt dadurch, daß seit der Unterordnung des preußischen Innenministeriums unter das RMI Anfang Mai 1934 (Reitlinger 1957: 94), erst recht jedoch seit der Vereinigung beider Ministerien am , die Gestapo der Kontrolle des RMI unterlag (Buchheim 1965: 56), besondere Brisanz. Faktisch allerdings war der Einfluß des RMI auf die Gestapo, wie auch diese ergebnislosen Nachfragen bezüglich der Vehaftungen Homosexueller erweisen, gleich null (vgl. Buchheim 1965: 55; Reitlinger 1957: 94). Angesichts einer Informationspolitik der Gestapo, die selbst den vorgesetzten Behörden die Unterrichtung versagte, mußten alle im Ausland verbreiteten Meldungen notwendig auf den Recherchen der Korrespondenten ausländischer Zeitungen und Nachrichtenagenturen beruhen. Diese Situation war selbstverständlich den gewagtesten Interpretationen der eingehenden Nachrichten sehr förderlich (vgl. Kapitel 3.6.2). Erst als die Berichterstattung der Exilpresse im Rahmen des Saar-Abstimmungskampfes nach Weihnachten 1934 in einen regelrechten Propagandafeldzug ausartete, der einen neuen 30. Juni beschwor (vgl. Kapitel 3.6.4), wurden die Verhaftungen Homosexueller durch das nationalsozialistische Saarbrücker Abendblatt (1934a) am bestätigt. Am wurde dann die erste DNB-Meldung für die Auslandspresse, 106 die die Verhaftung von 300 Personen "wegen Verstoßes gegen den Unzuchtsparagraphen" (Basler Nachrichten 1934h; National-Zeitung 1934d) einräumte, veröffentlicht. 107 Die Inlandspresse hingegen veröffentlichte auch weiterhin keine Nachrichten über die Verhaftungsaktion, und die Ausgaben der in Deutschland 103 Eine "Baseler Zeitung" existierte zu diesem Zeitpunkt nicht. Bemerkenswert ist im übrigen, daß dem RMI die DNB-Auslandsmeldung vom , die die Verhaftungen Homosexueller bestätigte, unbekannt geblieben zu sein scheint (vgl. Anm. 106). 104 GStA: 90P, Nr. 65, Heft 1, Blatt GStA: 90P, Nr. 66, Heft 1, Blatt In seinen Auslandsmeldungen, die über Morsefunk und auf Kurzwelle über den drahtlosen Hellschreiber verbreitet wurden, war das DNB in der Regel "offener als in seinen Inlandsmeldungen". Ihre Veröffentlichung war den reichsdeutschen Zeitungen "daher streng verboten" (Höhne 1977: 128). Die Auslandsmeldungen scheinen im Original nicht erhalten zu sein. Entsprechende Recherchen im Bundesarchiv Koblenz blieben erfolglos. 107 Die Informationen, die Pol (1934c: 1633) nach seinem in der Neuen Weltbühne am erschienen Aufsatz einer DNB-Meldung entnommen haben will, basieren vielmehr auf einer United Press-Meldung vom (vgl. Basler Nachrichten 1934d).

139 139 noch keinem Verkaufsverbot unterliegenden schweizer Tageszeitung Basler Nachrichten, in denen sich ausführlichere Berichte über die Verhaftungen fanden, wurden beschlagnahmt (vgl. Basler Nachrichten 1934e; 1934i; 1935b; 1935c). 108 Den einzigen Hinweis auf die Ereignisse konnte der Leser einer Meldung des Völkischen Beobachters (1935) vom entnehmen, in dem die "Lügenhetze" der Exilpresse gebrandmarkt werden sollte: "Dann werden geheimnisvolle Andeutungen gemacht - Tatsachen kann man natürlich niemals bringen - über Verhaftungen, Maßregelungen, Umbesetzungen auf hervorragenden Posten usw...." Auch über die Verhaftungen höherer Ministerialbeamter im Februar 1935 erschienen in den Zeitungen des Inlandes keine Berichte. Nach Informationen des Pariser Tageblattes (1935d) war zu diesem Zweck eigens eine Presseanweisung herausgegeben worden. Zwar läßt sich diese Angabe durch die überlieferten NS- Presseanweisungen (vgl. Bohrmann 1987) nicht bestätigen, inhaltlich erscheint sie jedoch plausibel und soll deswegen an dieser Stelle wiedergegeben werden: "Ueber die Verhaftung des bisherigen Ministerialdirektors Nicolai vom Reichsministeriums des Innern und seines Dieners wegen Vergehen gegen den Paragraphen 175 St.G.B.: Nur amtliche Mitteilung veröffentlichen, falls solche erfolgt. Die Zeitungen werden dringend gebeten, bei Nachrichten über derartige Verhaftungen grösste Zurückhaltung zu üben. Veröffentlichung nie ohne Rückfrage beim Propaganda-Ministerium." (Pariser Tageblatt 1935d) Die Pressepolitik der Gestapo und des Propagandaministeriums bezüglich der gegen Homosexuelle gerichteten Razzien und Verhaftungen um die Jahreswende 1934/35 verdeutlicht, daß der breit angelegten Verfolgung Homosexueller keineswegs die Möglichkeit einer propagandistischen Ausnutzung attestiert wurde, wie dies bei der Ermordung Röhms, oder bei den in den Jahren 1936 und 1937 inszenierten Prozessen gegen katholische Geistliche (vgl. Hockerts 1971) der Fall war. Die Geheimhaltungspolitik zeugt vielmehr davon, daß im Falle eines Bekanntwerdens der Verhaftungen unerwünschte Reaktionen der Öffentlichkeit befürchtet wurden, man sich eines 'positiven' Effektes zumindest nicht sicher war. Von Bedeutung war hier zweifellos, daß auch homosexuelle Nationalsozialisten verhaftet worden waren, und man seit der sogenannten Röhm-Affäre (vgl. Kapitel 2.4) auch im Inland, insbesondere jedoch durch die Exilpresse im Ausland verbreitete Vorurteile über einen hohen Verbreitungsgrad der Homo- 108 Das Verbot der Basler National-Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung war nach einer Meldung der Deutschen Allgemeinen Zeitung (1934c) vom wegen "der Haltung der Blätter in den letzten Wochen" gerade erst verlängert worden.

140 140 sexualität unter Nationalsozialisten nicht bestätigen wollte. Dies wird auch durch eine NS-Presseanweisung vom (Bohrmann 1987: 412f.) untermauert, die schon die Verbreitung von Dementis über Verhaftungen von homosexuellen HJ-Angehörigen verbot. Doch waren im Dezember 1934 nicht nur homosexuelle Nationalsozialisten verhaftet worden, und es spricht vieles dafür, daß man der Verfolgung Homosexueller bei der Gestapo generell weniger Akzeptanz durch die deutsche Bevölkerung, aber auch durch die Öffentlichkeit des Auslandes zuschrieb, als etwa antisemitischen Exzessen. Die Verfolgung Homosexueller stieß in den Augen der Gestapo anscheinend nur in besonderen Fällen, in denen die Sittenverderbnis von Autoritätspersonen gebrandmarkt werden konnte, nicht aber generell auf die ungeteilte Zustimmung der Öffentlichkeit Alles, nur keine Verfolgung Homosexueller: Erste Interpretationsversuche der Exilpresse In der Berichterstattung der Exilpresse wurden die Verhaftungen Homosexueller im Dezember 1934 bereits wenige Tage nach den ersten Meldungen über die Razzien vom 8./ mit verschiedenen anderen Ereignissen in Deutschland in Verbindung gebracht. Die Verhaftungen eigneten sich hervorragend, andere Nachrichten aus Deutschland zu dramatisieren und damit den gewünschten Eindruck hervorzurufen, daß das "Dritte Reich" kurz vor dem Zusammenbruch stünde. War auch schon in den anderthalb Jahren zuvor die Tendenz in der Berichterstattung der Exilpresse unverkennbar, das "Dritte Reich" und den Nationalsozialismus stets als dem Zusammenbruch nahe zu beschreiben, so wurden derartige Berichte im Vorfeld der für den angesetzten Volksabstimmung über den zukünftigen Status des Saarlandes zu einem politischen Kampfinstrument von besonderer Bedeutung. 109 Im folgenden soll der publizistische Prozeß der zunehmenden Verquickung verschiedener Nachrichten zu einem Untergangsszenario des Nationalsozialismus im einzelnen nachvollzogen werden. Bereits die Verhaftung des schlesischen Oberpräsidenten Helmuth Brückner (vgl. Kapitel 2.6.1) löste wilde Spekulationen über die Ereignisse in Deutschland aus. Am ordnete der Neue Vorwärts (1934c) die Verhaftung Brückners unter der Überschrift "Zeichen der Zersetzung" einer Nachricht über Spannungen zwischen Reichswehr und SS zu, die die Times dazu veranlaßt hätte, "einen zweiten 30. Juni" zu prophezeien. Gleichzeitig kolportierte der Neue Vorwärts (1934c) verschiedene Nachrichten über Verhaftungen und "Erschießungen von 109 Der Versailler Vertrag sah eine fünfzehnjährige Verwaltung durch den Völkerbund und eine anschließende Volksabstimmung über den zukünftigen Status des Saargebietes vor, bei der zwischen einer Beibehaltung des Status quo, einem Anschluß an Deutschland oder einem an Frankreich abzustimmen war.

141 141 Nationalsozialisten in München". Auch die Deutsche Freiheit (1934b) kolportierte am sowohl "Gerüchte", nach denen "schon vor der Festnahme Brückners in Bayern standrechtliche Erschießungen rebellischer Nationalsozialisten stattgefunden hätten", wie "das einstweilen unbestätigte Gerücht", auch Brückner "sei erschossen worden". Am titelte der Gegen-Angriff (1934b) "Der trockene 30. Juni", um über die Verhaftung Brückners, der "bereits erschossen sein" solle, sowie die Absetzung des Reichskommissars für das Siedlungswesen Gottfried Feder und weiterer Nationalsozialisten zu berichten 110. Am schließlich zog die Deutsche Volks-Zeitung (1934d) mit einem Bericht über den "30. Juni auf kaltem Wege" nach, der, "wenn nicht alles täuscht, bereits begonnen" habe. Die Informationen, auf denen diese Artikel beruhten, waren keineswegs alle aus der Luft gegriffen, wurden jedoch in ihrer Bedeutung überbewertet und zu Unrecht miteinander verquickt. So war die Absetzung Feders für den Prozeß der Abkehr von den "sozialistischen" Aspekten des NSDAP-Programms, der bereits mit der Ermordung Röhms seinen Höhepunkt erreicht hatte, nicht mehr von großer Bedeutung. Zudem hatte sie nichts mit den Intrigen zu tun, die der Reichsführer der SS Himmler im Herbst 1934 keineswegs gegen die Reichswehr im allgemeinen, sondern gegen den Chef der Heeresleitung von Fritsch sponn (Fritsch 1938: 70f.), weil dieser versuchte, die Ansprüche Himmlers, "die SS als Waffenträger zu entwickeln" (Koch 1986: 38), zu bremsen. 111 Genausowenig jedoch, wie Brückner, dessen Verhaftung vornehmlich mit einer ihm vorgeworfenen homosexuellen Handlung in Zusammenhang stand, erschossen worden war, lassen sich Hinweise darauf finden, daß es zu den behaupteten "Erschießungen von Nationalsozialisten" (Neuer Vorwärts 1934c) kam. Die Dramatisierung unterschiedlichster Ereignisse und Gerüchte zu einem "trockenen 30. Juni" läßt sich nur auf die Suche nach Themen zurückführen, mit denen die Autoren der zitierten Exilperiodika den Saar- Abstimmungskampf in ihrem Sinne, daß heißt zugunsten der Beibehaltung des Status quo, zu entscheiden hofften. Daß in einer Situation, in der ein "zweiter 30. Juni" auf der Basis nicht sehr beweiskräftiger Informationen angekündigt worden 110 Tatsächlich kam es im Dezember 1934 zu verschiedenen personellen Umbesetzungen, die teilweise auch politische Bedeutung hatten. So wurde Gottfried Feder, der Autor des Parteiprogramms der NSDAP, der dem "sozialistisch" orientierten Flügel der Partei angehörte und sich mit seinem Antikapitalismus den Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht zum Gegner gemacht hatte, Anfang Dezember 1934 als Honorarprofessor an die TH Berlin abgeschoben. 111 Himmler intrigierte über Jahre gegen den ihm "unliebsamen konservativen Militärführer" (Koch 1986: 38) von Fritsch sah er die Chance gekommen, von Fritsch über den auf einer nicht ganz zufälligen Namensverwechslung beruhenden Vorwurf der homosexuellen Betätigung auszuschalten, scheiterte aber bei Hitler, der die Vernichtung der entsprechenden Unterlagen forderte. Vor der Vernichtung wurde im Gestapa allerdings eine Kopie angefertigt, die dann Anfang 1938, als Hitler eine Absetzung von Fritschs opportun erschien, weil dieser sich gegen seine Kriegspläne sträubte, doch noch genutzt wurde (vgl. Koch 1986: 35-46).

142 142 war, Nachrichten über Razzien und Massenverhaftungen relativ schnell als neuer Beweis für das angekündigte Ereignis gewertet wurden, kann nicht weiter verwundern. Bereits die erste Meldung des Pariser Tageblattes über die Razzien in Homosexuellenlokalen wies einen Weg, wie den Verhaftungen der Charakter politischer Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP verliehen werden konnte. In den Homosexuellenlokalen, so behauptete das Pariser Tageblatt (1934a), habe man gehofft, "Leute aus dem Kreis der am 30. Juni Ermordeten zu finden". Am behauptete das Pariser Tageblatt (1934b) wahrscheinlich zu Unrecht (vgl. Kapitel 3.6.1), daß bei den Razzien in "homosexuellen Lokalen" einige "Unterführer der Hitlerjugend" verhaftet worden seien, und gab damit einen weiteren Hinweis, der den Weg zu einer Interpretation der Razzien als Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten wies. Am schließlich setzte mit zwei Artikeln der von Max Braun 112 geleiteten saarländischen Tageszeitungen Deutsche Freiheit (1934c) und Volksstimme (1934b) 113 eine radikale Umbewertung der Razzien vom 8./ und ihre Integration in das Konstrukt "trockener 30. Juni" ein. Obwohl in beiden Artikeln weiterhin die Verhaftung Homosexueller eingeräumt wurde, sollte es sich hierbei nun eigentlich um "eine groß angelegte Polizeijagd gegen oppositionelle junge Nationalsozialisten" (Deutsche Freiheit 1934c), beziehungsweise um "eine große Aktion gegen die Opposition in der eigenen Bewegung" (Volksstimme 1934b) handeln. Wie bei den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" (vgl. Kapitel 3.5.2) wurden die Nachrichten über Homosexuellenverhaftungen als Versuch, die "rein politische Aktion in der Art des moralischen Entrüstungsgetues nach dem 30. Juni als eine sittliche Säuberungsaktion zu tarnen", gewertet. Auf der Basis welcher Informationen es zu dieser Umbewertung gekommen war, enthüllen folgende Ausführungen der Deutschen Freiheit (1934c): "Man teilt mit, es sei lediglich eine Razzia gegen Homosexuelle durchgeführt worden, aber man wird nicht bestreiten können, daß sich unter den Verhafteten in Berlin und im Reiche mehrere Dutzend Unterführer der Hitlerjugend befanden. Wenn man sie in Bars, zweifelhaften Nachtcafes und in Stundenhotels aufgegriffen haben will, so wirft das auf jeden Fall 112 Max Braun, geb. 1892, hatte bereits 1923 die Chefredaktion der sozialdemokratischen Saarbrücker Volksstimme übernommen. Seit 1928 Vorsitzender der saarländischen SPD, war er seit 1933 einer der publizistisch einflußreichsten Verfechter der Beibehaltung des Status quo. Seit 1933 war Braun zudem Chefredakteur der im Verlag der Volksstimme erscheinenden Exilzeitung Deutsche Freiheit emigrierte Braun nach Frankreich, wo er 1937 bis 1939 erneut die Deutsche Freiheit herausgab, 1940 dann nach Großbritannien, wo er 1945 verstarb. 113 Exemplarisch wird hier der Artikel der Deutschen Freiheit (1934c) analysiert. In seinen Aussagen gleicht dieser Artikel dem der Volksstimme (1934b) weitgehend.

143 143 ein bezeichnendes Licht auf die Qualität der Hitlerjugendführer, die zur sittlichen Ertüchtigung der deutschen Jugend berufen werden." Beachtenswert ist zunächst, daß die Deutsche Freiheit hier suggerierte, es gäbe offizielle Stellungnahmen aus Deutschland, die (zur Tarnung) von einer Homosexuellenverfolgung sprächen. Wie in Kapitel nachgewiesen wurde, war dies zu diesem Zeitpunkt jedoch keineswegs der Fall; die Informationen über die Razzien beruhten vielmehr auf den Korrespondentenberichten ausländischer Zeitungen und Nachrichtenagenturen. Indem sich die Deutsche Freiheit jedoch auf vorgeblich amtliche, und deswegen per se zweifelhafte Mitteilungen bezog, ließ sie eine Verhaftung Homosexueller suspekt erscheinen. Einziger 'Beleg' für die These von der Verfolgung einer innerparteilichen Opposition blieb hier zudem die angeblich im Rahmen der Razzien erfolgte Verhaftung von "Unterführern der Hitlerjugend". Selbst wenn diese Verhaftungen im Rahmen der Razzien erfolgt sein sollten, woran berechtigte Zweifel bestehen (vgl. Kapitel 3.6.1), war dies selbstverständlich kein Beweis dafür, daß es sich hier um keine antihomosexuelle Razzia, geschweige denn, daß es sich um eine Aktion gegen "oppositionelle junge Nationalsozialisten" handelte. Um den Verdacht, daß es sich eventuell doch um gegen Homosexuelle gerichtete Verhaftungen handeln könnte, gänzlich auszuräumen, verfiel die Deutsche Freiheit auf ein weiteres, bereits nach dem sogenannten "Röhm-Putsch" genutztes Argumentationsmuster. Der gegen die Nationalsozialisten schon damals erhobene Vorwurf der Heuchelei war mit der 'Enttarnung' der angeblichen Homosexualität fast aller bedeutenden NS-Führer gestützt worden (vgl. Kapitel 3.5.3). Auch nun sollte die vorgebliche Homosexualität der höchsten NS-Führer die Unglaubwürdigkeit einer Verhaftung Homosexueller erweisen (Deutsche Freiheit 1934c): "Man fragt sich übrigens, warum, wenn eine sittliche Reinigung vorgenommen werden soll, die Säuberung nicht von ganz oben beginnt. Es erhalten sich die Gerüchte, daß homosexuelle Betätigung noch immer in den höchsten Kreisen der Hitlerjugend und auch in der allernächsten Umgebung des "Führers" anzutreffen ist. Diese Herren, so erzählt man sich allgemein, würden nur geschont, weil sie hitlertreue Politik betrieben." Da sich die NSDAP sowieso fast gänzlich aus Homosexuellen zusammensetzte, so die Logik der Deutschen Freiheit, mußte es unter den homosexuellen Nationalsozialisten oppositionelle und "hitlertreue" geben. Aus dieser Perspektive mußte eine Verhaftung Homosexueller fast zwingend als Schlag gegen Oppositionelle innerhalb der NSDAP gedeutet werden. Wie zynisch die Redakteure der Deutschen Freiheit (1934c) bei ihrer Umbewertung der Homosexuellen-Verhaftungen vorgingen, und auf welche Quellen sie ihren Artikel tatsächlich stützten, dokumentiert folgender Abschnitt:

144 144 "Mit vielsagendem Lächeln wird vermerkt, daß ein großer Teil der jungen politischen Räsoneure in die Arbeitsdienstlager gebracht werden sollen. Wenn es sich wirklich um Homosexuelle handelte, wäre das eine sehr verfehlte Kur, denn die Arbeitsdienstlager sind nicht weniger als die Hitlerjugend und die SA. und die SS. Brutstätten invertierter Sexualität." Die Information über geplante Einweisungen in "Arbeitsdienstlager" ging auf folgende irrtümliche Meldung der Basler National-Zeitung (1934a) vom über die "nächtliche Razzia auf Homosexuelle" zurück: "Ein großer Teil der Verhafteten hat mit der Ueberführung ins Arbeitsdienstlager zu rechnen." Lag hier von seiten der National-Zeitung offensichtlich eine Verwechslung oder Gleichsetzung mit Konzentrationslagern vor, in die ein Teil der Verhafteten tatsächlich eingewiesen wurde (vgl. Kapitel 3.6.1), so war den Redakteuren der Deutschen Freiheit der Unterschied zwischen Konzentrationslagern und Arbeitsdienstlagern sehr wohl bewußt. 114 Sie nutzten das Versehen der National-Zeitung aus, um auf Wilhelm Reichs (1934: 573) Theorien über die "Entwicklung homosexueller Neigungen und Beziehungen" in den Arbeitsdienstlagern anzuspielen. 115 Bemerkenswert ist überdies, daß sie die auf einem telefonischen Korrespondentenbericht basierende Mitteilung der National-Zeitung in eine offizielle, mit "vielsagendem Lächeln" verkündete, umdeuteten. Mit der Integration der Razzien in das Konstrukt "trockener 30. Juni" wollten Deutsche Freiheit und Volksstimme wiederum den nahenden Zusammenbruch des "Dritten Reiches" erweisen. Gerade daß diese angebliche Ausschaltung der Opposition kurz vor der Saar-Abstimmung stattfand, geriet zum Beweis des maroden Zustands des NS-Regimes (Deutsche Freiheit 1934c): "Es zeigt sich jeden Tag mehr, wie schwer es für Hitler ist, die geplante umfassende Ausschaltung aller oppositionellen Kräfte in der Bewegung bis nach der Saarabstimmung am 13. Januar zu vertagen." 114 Arbeitsdienstlager waren in Deutschland erstmals 1926 von Teilen der bündischen Jugendbewegung errichtet worden, 1931 führte die Regierung Brüning den Freiwilligen Arbeitsdienst ein wurden der Arbeitsdienst gleichgeschaltet, 1934 der NSDAP angeschlossen wurde eine sechsmonatige Arbeitsdienstpflicht eingeführt, die zwischen dem 18. und dem 25. Lebensjahr abzuleisten war. Laut Brockhaus (1935: 40) sollten die Arbeitslager das "kameradschaftliche Zusammenleben" sichern und "in der nationalsozialist. Arbeitsanschauung" erziehen. 115 Reich (1980) hatte seine Thesen in seinem erstmals 1933 erschienenen Werk "Massenpsychologie des Faschismus" dargelegt (vgl. Kapitel 3.4.2). Insbesondere seine Vorstellungen über die "Entwicklung homosexueller Neigungen" in Arbeitsdienstlagern hatten in der Exilpresse seither rege Verbreitung gefunden (vgl. Reich 1934).

145 145 Doch zu einem richtigen "30. Juni" gehörten auch Hinrichtungen, es mußte Blut fließen. In ihrem Resümee schraubte die Volksstimme (1934b) die Erwartungen der Leser entsprechend in die Höhe: "Nur die Rücksicht auf die Saarabstimmung hält von einer blutigen Abrechung nach dem Muster des 30. Juni ab. Man versucht vorläufig mit Verhaftungen und mit der Difamierung der Gegner auszukommen. Vielleicht wird das bis zum 13. Januar gelingen. Um so schrecklicher wird das Blutbad nach dem 13. Januar sein." Mit den Artikeln von Volksstimme (1934b) und Deutscher Freiheit (1934c) war die Wende in der Interpretation der Razzien eingeleitet worden. Am schwenkte das Pariser Tageblatt (1934c) mit einem Artikel, der am unter dem Titel "Der neue 30. Juni" bis aufs Wort genau von der kommunistischen Deutschen Volks-Zeitung (1934e) wiedergegeben wurde, voll auf die neue Linie ein. Unter der Überschrift "500 Nationalsozialisten verhaftet", bemühte sich das Pariser Tageblatt (1934c) erst gar nicht mehr um den Nachweis, daß es sich bei den Razzien um keine gegen Homosexuelle gerichtete Aktion gehandelt habe. Vielmehr galt ihm nunmehr als gesichert, daß unter "dem Vorwand der 'moralischen Reinigung'... der neue, trockene 30. Juni in Hitlerdeutschland immer weitere Kreise" ziehe. Die noch am gemeldeten Razzien in Lokalen, "in denen Homosexuelle zu verkehren pflegen" (Pariser Tageblatt 1934a), wurden, sprachlich angelehnt an die Deutsche Freiheit (1934c), zur "Arrestation zahlreicher Führer der Hitler-Jugend in 'zweifelhaften' Lokalen" (Pariser Tageblatt 1934c). Collageartig fügte das Pariser Tageblatt weitere Meldungen aus Deutschland hinzu, die das Konstrukt vom "trockenen 30. Juni" abzurunden geeignet waren. So fand die Verhaftung Helmuth Brückners ebenso Erwähnung, wie die Festnahme "der 23 Personen auf dem Teeabend einer russischen Gräfin", die vermutlich nur eine Folge nächtlicher Ruhestörung gewesen war (vgl. Kapitel 3.6.1). Entsprechend ließen sich die "kaum vier Wochen vor der Saarabstimmung" angeblich unvermeidbaren Maßnahmen als "das Anwachsen des Fiebers, von dem die Hitlerdiktatur erneut geschüttelt wird", interpretieren. Auch am deutete das Pariser Tageblatt (1934e) die Razzien "in Verkehrslokalen der Homosexuellen" als "einen Schlag gegen die Opposition". Nun allerdings lieferte man eine neue Interpretation, mit der man die etwas seltsame Annahme, daß sich die nationalsozialistische Opposition gegen Hitler in Homosexuellen-Lokalen traf, plausibler zu machen suchte: "Die Gestapo vermutet, dass in homosexuellen Kreisen, in denen der ermordete Gruppenführer Ernst verkehrte, die Leute zu finden sind, die das Geständnis Ernsts über den Reichstagsbrand ins Ausland gebracht haben."

146 146 Angedeutet hatte sich eine solche Interpretation bereits im ersten Artikel über die Razzien, als das Pariser Tageblatt (1934a) berhauptete, man habe in den Homosexuellen-Lokalen "Leute aus dem Kreis der am 30. Juni Ermordeten zu finden" gehofft. Zudem war das "Ernst-Dokument", nach dessen Überbringern ins Ausland nun angeblich gesucht wurde, erst zwei Wochen zuvor als Vorabdruck des Weissbuches (1934) in der Exilpresse veröffentlicht worden (vgl. Gegen-Angriff 1934a); es lag also auch aus diesem Grund nahe, hier eine Verbindung zu den Razzien herzustellen. Bei dem "Ernst-Dokument" sollte es sich um einen Brief, den der am im Zuge des sogenannten "Röhm- Putsches" ermordete Berliner SA-Führer Karl Ernst angeblich an den bei dieser Gelegenheit ebenfalls ermordeten Breslauer Polizeipräsidenten Edmund Heines geschrieben hatte, sowie um eine beiliegende Erklärung Ernsts vom handeln, die im Falle seines "gewaltsamen Todes" zu veröffentlichen sei. Als Überbringer beider Schriftstücke an Heines wurde in dem Brief der SA-Führer Richard Fiedler genannt, der laut Weissbuch (1934: 108) ebenfalls zu den Ermordeten des zählte. In jener Erklärung bezichtigte sich Ernst, "am 27. Februar 1933 gemeinsam mit meinen beiden in der Beilage bezeichneten Unterführern den deutschen Reichstag in Brand gesetzt" zu haben (Weissbuch 1934: 112). Tatsächlich jedoch handelte es sich bei Brief und Erklärung um Fälschungen der Weissbuch-Autoren, wie Tobias (1962: ) nachweisen konnte. 116 Dies schließt zweifelsohne noch nicht die Möglichkeit aus, daß neben der Exilpresse auch die Gestapo dem gefälschten "Dokument" aufsaß, und nach dessen vermeintlichen Überbringern ins Ausland suchte. Allerdings war der als Überbringer an Heines genannte Fiedler am 30. Juni 1934 keineswegs ermordet worden, wie die Weissbuch-Autoren annahmen. Gerade er hätte also eines der ersten Opfer möglicher Nachforschungen der Gestapo bezüglich der Authentizität des "Ernst-Dokuments" sein müssen. Doch Fiedler erklärte 1968 gegenüber Fritz Tobias, er sei "weder von der SA noch von der SS über den Reichstagsbrand befragt worden, noch wurde je mit mir darüber gesprochen" (Fiedler 1968). Obwohl es andere Hinweise darauf gibt, daß bei der Gestapo nach der Ermordung Karl Ernsts Zweifel bestanden, ob dieser nicht doch an der Reichstagsbrandstiftung beteiligt gewesen sein könnte, muß also davon ausgegangen werden, daß die Gestapo bezüglich des "Ernst-Dokuments" keine Nachforschungen anstellte. 117 Der verhältnismäßig plausible Versuch des Pariser Tageblattes (1934e), den Razzien in Homosexuellen-Lokalen über eine angeb- 116 Nach den Aussagen von Harry Schulze-Wilde und Erich Wollenberg soll der bereits beim Londoner "Gegen-Prozeß" in Erscheinung getretene KPD-Funktionär Albert Norden (vgl. Anm. 59) einer der Urheber des "Ernst-Dokuments" gewesen sein (Tobias 1962: 252). 117 Der am verhaftete Ernst-Freund Hans-Georg Gewehr (1960: 2) wurde nach seiner Verhaftung angeblich von der Gestapo danach befragt, "wer den Reichstag angezündet hätte". Auch der oberste Gestapo-Chef Göring wollte noch 1945 eine Tatbeteiligung Ernsts nicht ausschließen (vgl. Tobias 1962: ).

147 147 liche Suche nach Überbringern des "Ernst-Dokuments" einen 'politischen' Charakter zu verleihen, war dementsprechend auch eine Fehlinterpretation. Am startete das Pariser Tageblatt (1934g) erneut den Versuch, die Razzien und Massenverhaftungen von Homosexuellen mit anderen Ereignissen in Zusammenhang zu bringen, um ihnen einen 'politischen' Charakter zu verleihen. So waren in der Nacht vom 20. auf den angeblich im sogenannten Bendlerblock rund um das Reichswehrministerium die Wachposten verdoppelt und die "Schutzpolizei in Alarmbereitschaft" (Basler Nachrichten 1934g) versetzt worden. War dieses Ereignis nach einer Meldung der Basler Nachrichten (1934g) vom 22./ auf eine optische "Täuschung" eines Wachpostens zurückzuführen, der meinte, "eine Gestalt auf den Dächern der umliegenden Häuser beobachtet" zu haben, so stilisierte es das Pariser Tageblatt (1934g) am nächsten Tag zu Abwehrmaßnahmen gegen "einen etwa beabsichtigten Putsch der S.S.". Zweifelsohne gab es im Herbst und Winter 1934/35 Spannungen zwischen der SS und Teilen der Reichswehrführung, die auf Intrigen des stellvertretenden Gestapo-Chefs Himmler gegen den Chef der Heeresleitung von Fritsch zurückgingen. So versuchte Himmler, Göring von einem bevorstehenden Putsch der Reichswehr zu überzeugen (Fritsch 1938: 70). Insofern ist nicht auszuschließen, daß die Sicherungsmaßnahmen vom 20./ auf die von Himmler gestreuten Putschgerüchte zurückzuführen waren, die bei der Reichswehr die Besorgnis ausgelöst hatten, "daß die SS einen großen Schlag plane" (Fritsch 1938: 71). Daß die SS tatsächlich einen Putsch plante, wie das Pariser Tageblatt (1934g) behauptete, ist jedoch auszuschließen. Neben den angeblichen Putschplänen der SS führte das Pariser Tageblatt (1934g) wiederum die Verhaftung der "Tee-Gesellschaft" einer Gräfin an, um die "Unsicherheit, die überall herrscht" zu dokumentieren. Erwies die detaillierte Schilderung jener Verhaftung auch ihren zufälligen Charakter (vgl. Kapitel 3.6.1), so wurden jetzt "Haussuchungen in den Wohnungen der Festgenommenen", bei denen angeblich "Aufzeichungen entdeckt" wurden, "die politische Bedeutung besitzen sollen", angeführt, um die Festnahmen zum Beweis der politischen Instabilität des NS- Systems zu erheben. Sowohl den angeblich "beabsichtigten Putsch der S.S.", als auch die Verhaftung der "Tee-Gesellschaft", brachte das Pariser Tageblatt (1934g) schließlich mit den "Massenverhaftungen und Verschickungen ins Konzentrationslager" in einen diffusen Zusammenhang, ohne deren antihomosexuelle Zielrichtung überhaupt noch zu erwähnen. Allerdings machte sich nun eine größere Vorsicht bermerkbar, als noch in den vorangegangenen Artikeln, räumte man doch ein, daß die "Massenverhaftungen" möglicherweise nur in einem indirekten, taktisch motivierten Zusammenhang mit den unterstellten politischen Auseinandersetzungen standen (Pariser Tageblatt 1934g): "Vielerlei Massnahmen gehen im Augenblick offenbar durcheinander. Die Machthaber bemühen sich, die Zielrichtung ihres Vorgehens zu verschleiern. Sie attackieren deshalb gleichzeitig verschiedene Personen-

148 148 kreise, obgleich kein Zweifel darüber besteht, dass die Hauptschwierigkeit von der S.S. herrührt, und dass Hitler den Schutz der Reichswehr braucht, um sein System vor Ueberraschungen bewahren zu können." Wenn auch nicht ausdrücklich erwähnt, räumte diese Interpretation der Ereignisse immerhin die Möglichkeit einer Massenverhaftung Homosexueller als Ablenkungsmanöver ein. Unvorstellbar war den Autoren des Pariser Tageblattes jedoch eine Verfolgung Homosexueller durch das "Dritte Reich", die nichts weiter als antihomosexuellen Motiven geschuldet war. Auf dieser Linie lag auch der am veröffentlichte Kommentar des Chefredakteurs des Pariser Tageblattes, Georg Bernhard 118. Obwohl auch er nicht wußte, was "die hundertweis erfolgten Verhaftungen in zweifelhaften Berliner Nachtlokalen in Wirklichkeit zu sagen haben", meinte er doch eines mit Sicherheit ausschließen zu können: "Denn die Angaben,... dass der Führer angeordnet hätte, jetzt endlich energisch die Päderastie in Deutschland zu bekämpfen, sind zu dumme Vorwände, als dass man sie glauben könnte. Sie sprechen viel eher dafür, dass Herr Göbbels erfindungsarm geworden ist." (Bernhard 1934) Überdies machte sich Bernhard mit diesem Kommentar die Strategie der Deutschen Freiheit (1934c) zu eigen, Meldungen ausländischer Nachrichtenagenturen zu Verlautbarungen des Propagandaministeriums umzumünzen. Denn die Nachricht, Hitler persönlich habe Anweisung gegeben, "mit großer Strenge gegen die Homosexualität" (Basler Nachrichten 1934f) vorzugehen, ging auf zwei Meldungen der amerkanischen Nachrichtenagentur United Press vom 18. und vom zurück (vgl. Basler Nachrichten 1934d, 1934f; National- Zeitung 1934b). Die erste deutsche amtliche Meldung zu den Razzien dagegen wurde erst am herausgegeben (vgl. Kapitel 3.6.1). Am 23./ berichtete auch die Deutsche Freiheit (1934d) wieder über die "Massenverhaftungen", die sie "schon am 15. Dezember melden konnte", und die "nun durch Himmler, den Chef der SS. und der Geheimen Staatspolizei bestätigt" worden seien. Was die Deutsche Freiheit nicht mitteilte, war, daß diese Information wiederum nur auf der bereits erwähnten United Press-Meldung vom beruhte (vgl. Kapitel 3.6.1). Im großen und ganzen war auch dieser Artikel der Deutschen Freiheit, wie der vom (Deutsche Freiheit 118 Georg Bernhard, geb. 1875, war als Bankbeamter, seither als Journalist bei den unterschiedlichsten Zeitungen, so als Chefredakteur bei der Vossischen Zeitung tätig. Bis zu seinem Ausschluß 1906 SPD-Mitglied, war er seit 1924 in der DDP engagiert, auch Reichstagsabgeordneter. Im Februar 1933 flüchtete Bernhard über Kopenhagen nach Paris, wo er im Dezember 1933 das Pariser Tageblatt gründete bei Bordeaux interniert, emigrierte Bernhard 1941 in die USA, wo er 1944 verstarb.

149 c), um den Beweis bemüht, daß es sich bei den Verhaftungen um eine "rein politische Aktion", die lediglich "moralisch begründet" werde, gehandelt habe, denn: "Hitler kann nicht mehr wagen, zuzugeben, daß Oppositionelle um ihrer politischen Haltung willen beseitigt werden". Gegen einen gezielt antihomosexuellen Charakter der Massenverhaftungen führte die Deutsche Freiheit (1934d) erneut die "homosexuellen Nester", die sich in der "unmittelbaren Umgebung" Hitlers befänden, ins Feld. Doch schon das große Bemühen, nochmals den "politischen" Charakter der Verhaftungen nachzuweisen, macht deutlich, wie unsicher sich die Redakteure der Deutschen Freiheit letztendlich waren. Entsprechend schlossen auch sie schließlich eine Verhaftung Homosexueller nicht vollkommen aus, zumal sich eine solche problemlos in die Vorstellung vom 'Dritten Reich der Homosexuellen' integrieren ließ: "Die Aktion richtete sich lediglich gegen oppositionelle Kräfte in der SS. und SA. und in der Hitlerjugend, wobei es durchaus wahrscheinlich ist, daß auch zahlreiche Homosexuelle verhaftet worden sind, denn diese Art Liebe ist die führende erotische Mode im 'dritten Reich', insbesondere aber in seinen Jugendorganisationen." (Deutsche Freiheit 1934d) Am 25./ schloß sich die Deutsche Freiheit (1934e) dann der neuesten Deutung des Pariser Tageblattes (1934g) an, und brachte die Massenverhaftungen mit einem angeblichen "Putsch auf das Reichswehrministerium" in Verbindung. Von einer Verschleierungstaktik mittels Homosexuellenverhaftungen war bei der Deutschen Freiheit (1934e) allerdings nicht mehr die Rede. Vielmehr wurden nunmehr putschwillige "SS.-Leute" zu den Verhaftungsopfern der Gestapo: "Alles war gut vorbereitet, um den großen Schlag zu führen. Aber im Reichswehrministerium hatte man rechtzeitig Wind bekommen, die Gestapo hat überall ihre Spitzel, und während äußerlich in der Bendlerstraße zunächst alles programmmäßig vonstatten ging, erfolgen in den Quartieren der SS. Haussuchungen und Verhaftungen, denen wohl auch in aller Stille in allernächster Zeit etliche Hinrichtungen nach dem Muster des 30 Juni folgen werden." (Deutsche Freiheit 1934e) Die Absurdität ihrer Behauptung, die Gestapo arbeite im Konflikt zwischen Reichswehr und SS auf Seiten der Reichswehr, reflektierten die Redakteure der Deutschen Freiheit nicht. Statt dessen integrierten sie die inzwischen gut zwei Wochen zurückliegenden Razzien und Massenverhaftungen Homosexueller in ihr neues Interpretationsmuster vom "SS.-Putsch" (Deutsche Freiheit 1934e): "Nach Hunderten zählen die SS. und SA.-Leute, die man in den beiden letzten Wochen verhaftet hat. Ihr Schicksal ist für den Augenblick noch

150 150 ungewiß. Für den Augenblick! Denn man fürchtet Rückwirkungen aller rigorosen, aller Terrorakte auf die Saarabstimmung." Die Redakteure der Deutschen Freiheit allerdings schienen derartige "Rückwirkungen" geradezu zu ersehnen, und scheuten sich auch nicht, zu diesem Zweck neue "Terrorakte" herbeizuschreiben Klaus Manns Intervention Die ersten Nachrichten über Razzien in von Homosexuellen besuchten Lokalen veranlaßten Klaus Mann (1934) Mitte Dezember 1934, sein bisheriges Schweigen zu den immer dreisteren Versuchen, Homosexualität und Nationalsozialismus in einen engen Zusammenhang zu bringen, zu brechen. Am erschien in den von Willi Schlamm herausgegebenen Europäischen Heften sein vierseitiger Aufsatz "Die Linke und 'das Laster' ". Doch selbst Klaus Mann war diese Intervention nicht leicht gefallen, wie aus einem Ende Dezember verfaßten Brief an Franz Goldstein hervorgeht (zitiert nach Kroll 1992: 309): "Ich habe mir's lange überlegt, ob ich ihn veröffentlichen sollte, und man hat mir vielfach abgeraten. Jetzt aber bin ich doch froh darüber. Das Thema verlangte nach einer aufrichtigen und ernsthaften Behandlung. Vielleicht wäre es besser gewesen, ein 'nicht Interessierter' hätte sich seiner angenommen. Der fand sich aber doch nicht." Nicht leicht gemacht hatte ihm seine Entscheidung insbesondere jenes von ihm gebrandmarkte "Mißtrauen und jene Abneigung gegen alles Homoerotische, die in den meisten antifascistischen und in fast allen sozialistischen Kreisen einen hohen Grad erreicht" (Mann 1934: 675) hatten. Dennoch bot gerade die Situation im Dezember 1934 eine geeignete Gelegenheit zum Protest, denn erstmals drangen Nachrichten aus Deutschland ins Ausland, die die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung dokumentierten. Die Absurdität einer Identifizierung von Homosexualität und Faschismus mußte, so hätte man erwarten sollen, angesichts solcher Meldungen ins Auge springen. Davon ging wohl auch Klaus Mann (1934: 677) aus, der seine Informationen über die Razzien aus der Basler National-Zeitung (1934a) vom bezog, wie aus folgendem Zitat in seinem Aufsatz hervorgeht: "Aber in jeder Linkszeitung liest man schon blöde Afterwitze, während gleichzeitig in Berlin 'nächtliche Razzien auf Homosexuelle' veranstaltet werden, die ins Arbeitsdienstlager müssen!" Die am durch Deutsche Freiheit (1934c) und Volksstimme (1934b) eingeleitete Umbewertung der Razzien scheint Mann dagegen noch nicht bekannt gewesen zu sein, als er seinen Aufsatz verfaßte; seine Ende Dezember geäußerte Befriedigung über

151 151 die Veröffentlichung dürfte nicht zuletzt auch der Kenntnis dieser dreisten Verdrehungen geschuldet gewesen sein. Klaus Manns (1934: 675) Aufsatz geriet zu einem einsamen aber konsequenten Protest gegen den Versuch, "die Homosexualität und den Fascismus miteinander zu identifizieren". Als erster kritisierte er, daß die Sowjetunion als "ein sozialistischer Staat die Entrechtung und Diffamierung einer bestimmten Menschengruppe rechtfertigt, deren 'Verschulden' in ihrer naturgegebenen Triebrichtung besteht" (Mann 1934: 675). Für die im März 1934 in der Sowjetunion beschlossene neuerliche Kriminalisierung der Homosexualität (vgl Kapitel 3.4.2) machte er antihomosexuelle "Stimmungsmomente" verantwortlich, die er auch unter Emigranten am Wirken sah. Besonders absurd erschien ihm, dessen Moskau- Reise im August 1934 "den Höhepunkt der Annäherung" (Kroll 1992: 308) an den Kommunismus markiert hatte, dabei die Verkehrung der 'gewohnten' Fronten, hatte in seinen Augen doch bislang die "reaktionäre Bourgeoisie" eine Abschaffung des 175 RStGB verhindert: "Und nun beginnt der Sozialismus eine Position zu beziehen, die sogar die Bourgeoisie als eine veraltete zu räumen begann" (Mann 1934: 675). Mehr noch jedoch, als dieser 'neue' linke Moralismus, stieß ihm die sich immer weiter verbreitende Gleichsetzung von Homosexuellen und Nationalsozialisten auf, die er auf eine allgemeine Vorliebe für ein stereotypisiertes Homosexuellenbild zurückführte: "Glaubt man denn immer noch, daß die exklusiv Homosexuellen eine einheitliche Menschenart bilden? Das unglückliche Schlagwort vom 'dritten Geschlecht' hat zu diesem dummen Irrtum beigetragen; in Wahrheit gibt es unter den exklusiv Homosexuellen alle Typen - vom dekadenten Ästheten bis zum Landsknecht; es gibt nicht nur den 'aktiven' und den 'passiven' Typus sondern alle Arten der Aktivität und Passivität, alle Nuancen zwischen diesen beiden Gefühlslagen: Die Homosexualität war verbreitet in asketischen Militärstaaten (Sparta, Preußen) und in überfeinerten Spätkulturen (spätes Rom, das Paris und London der Jahrhundertwende); sie spielt eine Rolle auch in Epochen, die wir als solche der Blüte zu bezeichnen pflegen - man denke an die beste Zeit Athens, an die Renaissance. Es hat zu jeder Zeit hunderterlei verschiedene Typen von Homosexuellen gegeben, auch sehr minderwertige und fatale." (Mann 1934: 677) Der Stereotypisierung 'des' Homosexuellen zum Nationalsozialisten galt Manns Kritik. Erst recht jedoch jene Faschismus-'Theorie', die, Hans Blüher (vgl. Kapitel 2.1) zitierend, einen Zusammenhang zwischen Homosexualität, Männerbund und Faschismus zu konstruieren suchte, griff Klaus Mann (1934: 678) an: "Das 'Bündische', sagt man, habe stets homoerotischen Charakter, und auf dem 'bündischen' Prinzip basiere der Fascismus. Es ist aber gar nicht klar, bis zu welchem Grade der wirklich Invertierte immer dem 'Bündi-

152 152 schen' zuneigt - er ist oft einsamkeitssüchtig und scheu, man hat ihm auch einen asozialen Charakter vorgeworfen; aber selbst vorausgesetzt, alle Invertierten suchten den Männerbund und der Männerbund habe stets die invertierte Note - worauf es ankommt, ist nur der Geist, in dem der Bund geschlossen wurde, nicht der erotische Kitt, durch den er zusammenhält." Hier zweifelte Klaus Mann nicht nur an der Gültigkeit der Blüher-Theorien, sondern machte überdies auf einen entscheidenden Fehler in ihrem Verständnis aufmerksam, hatte Blüher doch lediglich Aussagen über einen homoerotischen und angeblich staatskonstitutiven Charakter, keinesfalls jedoch über den politischen Geist des Männerbundes getroffen. Entsprechend erinnerte Mann (1934: 678) an die Existenz auch linker 'Bünde': "Man erkundige sich doch, ob in proletarischen, linken Jugendbünden dergleichen ausgeschlossen war - die Antwort wird den überraschen, der die Homosexualität für eine Eigenart des Fascismus hält". Und auch den 'unmarxistischen' Charakter solcher Faschismus- 'Theorie' hielt Mann, nicht ohne seinerseits mit Klischeevorstellungen zu operieren, ihren Schöpfern vor: "Haben die Marxisten denn vergessen, daß Dogma und Typus des 'Führers', den wir vor allem bekämpfen, wesentlich mitbestimmt werden durch ökonomische Tatsachen? Und daß Hitler - der übrigens von kleinbürgerlichen Frauen sicherlich heißer und hysterischer geliebt wird als von soldatischen oder effeminierten Männern - nicht deshalb zur Herrschaft kommen konnte, weil 'die deutsche Jugend homosexuell verseucht' ist, sondern weil Thyssen zahlte und weil bezahlte Lügen die Gehirne Hungernder verwirrten?" (Mann 1934: 678) Klaus Mann hatte den Exildiskurs über die homosexuellen Nationalsozialisten aufmerksam verfolgt, ohne in seinen Bann zu geraten. Im Gegensatz etwa zu Hirschfeld weigerte er sich, einen auch noch so vermittelten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Faschismus anzuerkennen. Und gerade auch weil er der im Exil entwickelten Vorstellung nicht ausdrücklich widersprach, daß "es in nationalsozialistischen Verbänden Viele geben soll, die junge Männer lieben statt Frauen", mußte Manns (1934: 676) Kritik die angegriffenen Antifaschisten hart treffen, widersprach er damit einer Gleichsetzung von Homosexualität und Nationalsozialismus doch auch für den Fall, daß die Behauptungen über einen hohen Verbreitungsgrad der Homosexualität unter Nationalsozialisten zuträfen: "Man ist im Begriffe, aus 'dem' Homosexuellen den Sündenbock zu machen - 'den' Juden der Antifascisten. Das ist abscheulich. Mit ein paar Banditen die erotische Veranlagung gemeinsam zu haben, macht noch nicht zum Banditen." (Mann 1934: 678)

153 Instrumentalisierung im Saar-Abstimmungskampf In der Neuen Weltbühne vom erschien der von Heinz Pol (vgl. Anm. 74) verfaßte Aufsatz "Die Dezembermorde" (Pol 1934c). Auf der Basis der Informationen dieses Artikels kam es seit dem in den im Saargebiet erscheinenden Exilzeitungen und -zeitschriften zu einem Höhepunkt in der publizistischen Auseinandersetzung über die Verhaftungen Homosexueller. Diese Instrumentalisierung der Verhaftungen im Saar-Abstimmungskampf soll daher gesondert dargestellt werden. Schon der Titel des Aufsatzes von Heinz Pol sollte das in der Exilpresse wiederholt angekündigte und geradezu herbeigesehnte Blutvergießen bestätigen. Die Grundlage von Pols Artikel bildeten jedoch die Meldungen über Massenverhaftungen Homosexueller: "Immerhin muß sich das deutsche Nachrichtenbüro jetzt schon zu einer Mitteilung bequemen, dass bei einer grossen sittlichen Säuberungsaktion im ganzen Reich rund siebenhundert Homosexuelle festgenommen wurden, darunter zahlreiche Mitglieder der Partei, der Hitlerjugend, SAund SS-Leute. Der Führer habe das selbst verlangt; er wolle, dass mit diesen Schweinereien endlich aufgeräumt werde." (Pol 1934c: 1633) Hatte sich die Deutsche Freiheit (1934c) noch darauf beschränkt, die Existenz amtlicher Verlautbarungen aus Deutschland zu suggerieren, so behauptete Pol nun, seinen auf einer United Press-Meldung vom (vgl. Basler Nachrichten 1934d) beruhenden Informationen läge eine DNB-Meldung zugrunde (vgl. Anm. 107). Tatsächlich gab das DNB jedoch erst am eine Meldung über die Verhaftungen heraus, und auch diese war nur für die Auslandspresse bestimmt (vgl. Kapitel 3.6.1). Der Grund für die Umfälschung der United Press- in eine DNB-Meldung war für Pol (1934c: 1633) wie schon für die Deutsche Freiheit (1934c) der, daß nur so, wie schon nach dem sogenannten "Röhm-Putsch", mit dem Heuchelei-Vorwurf operiert werden konnte: "Den Leuten fällt auch nichts mehr ein! Die Homosexualitätsplatte wurde schon am dreißigsten Juni gespielt. Alle Welt lachte darüber, besonders mokant grinste die nähere und nächste Umgebung des Führers selbst. Wenn Herr Hitler alle Parteifunktionäre verhaften und erschiessen liesse, die für männliche Schönheit Verständnis haben, würden die Krematorien Deutschlands nicht ausreichen." Auch das Argumentationsmuster, die "nächste Umgebung des Führers" für homosexuell zu erklären, um die Unglaubwürdigkeit der angeblich offiziellen Meldungen über Verhaftungen zu erweisen, glich dem der Deutschen Freiheit (1934c). Doch Pol übernahm nicht nur die Argumentationsstrategie des sich seit

154 154 dem in verschiedenen Exilperiodika vollziehenden Umberwertungsprozesses der Verhaftungen. Darüber hinaus bestätigte er das in dessen Rahmen wiederholt angekündigte "Blutbad", das bislang in kolportierten Gerüchten über eine Erschießung Helmuth Brückners seinen einzigen 'Beleg' gefunden hatte. Heinz Pol (1934c: 1632) verkündete nun das Sensationelle: "Die Zahl der Erschießungen seit Anfang Dezember ist vorläufig auch nicht annähernd zu übersehen. Von absolut glaubwürdiger deutscher Seite wird uns berichtet, dass bis zum fünfzehnten Dezember rund zweihundertdreissig SA- und SS-Führer sowie andere höhere Funktionäre der Partei erschossen worden sind. Unter ihnen befinden sich, ausser Brückner, der alte SA-Führer Heinz Hauenstein, einer der ältesten aktiven deutschen Fascisten, und Hauptmann a. D. Pfeffer, der Organisator der SA und Vorgänger Ernst Roehms." Pol sprach hier nicht etwa von Ereignissen, die sich zusätzlich zu den Verhaftungen vollzogen haben sollten. Vielmehr behauptete er die Erschießung von 230 der 700 Verhafteten: "Unter den zugestandenen siebenhundert 'Homosexuellen' befinden sich zweifellos auch die bereits exekutierten SA- und SS-Funktionäre" (Pol 1934c: 1633). Die verkündeten Erschießungen jedoch waren ebenso wie die Meldung des DNB eine freie Erfindung - ob von "absolut glaubwürdiger deutscher Seite", oder von Heinz Pol persönlich, tut hier nichts zur Sache. Nun läßt sich zweifellos nicht ausschließen, daß im Dezember 1934 oppositionelle Nationalsozialisten verhaftet oder erschossen wurden. Erschießungen in den von Heinz Pol verkündeten Ausmaßen sollten der historischen Forschung allerdings nicht entgangen sein. 119 Vor allem jedoch das Schicksal der drei angeblich ermordeten Parteifunktionäre Brückner, Pfeffer und Hauenstein wirft ein bezeichnendes Licht auf die Qualität der 'absolut glaubwürdigen' Informationen Pols. Es war wohl kein Zufall, daß zumindest mit Heinz Oskar Hauenstein und Franz von Pfeffer die Ermordung zwei schon vor längerer Zeit geschaßter Parteifunktionäre gemeldet wurde, die sich "nie völlig in die NSDAP eingliederten, weil sie deren kritiklose Führergläubigkeit nicht mitmachen wollten" (Brandenburg 1982: 28); vermutlich hielt man sie für die ersten Opfer potentieller Erschießungen. Tatsächlich jedoch wurden weder Hauenstein, der 1939 laut Berliner Adreßbuch (1939: 991) in Friedrichshagen lebte, noch der sich 1945 als "Kommandeur einer Volkssturmdivision" (Stockhorst 1985: 322) betätigende Pfeffer 1934 ermordet. Und auch Helmuth Brückner war keineswegs erschossen, sondern bis zur Verschärfung des 175 RStGB im Sommer 1935 in Haft gehalten worden, um ihn rückwirkend nach dieser neuen Version des Paragraphen zu verurteilen (Jellonnnek 1990: 110). Es muß also davon 119 Im Zuge des "Röhm-Putsches" wurden etwa 80 Personen ermordet; die Ermordung von 230 Personen ein halbes Jahr später hätte sich wohl kaum besser verheimlichen lassen.

155 155 ausgegangen werden, daß es sich bei den von Pol gemeldeten 230 Erschießungen um nichts anderes, als die skrupellose Umdeutung bereits verbreiteter Gerüchte in 'glaubwürdige' Informationen handelte. Diese Umdeutung jedoch fiel auf einen bereiteten Boden: der erwartete "zweite dreissigste Juni" (Pol 1934c: 1632) bedurfte keiner Belege mehr, sondern nur noch eines Verkünders auch seiner blutigen Komponente. Diese Aufgabe hatte Heinz Pol übernommen. Die offiziell am erscheinende Neue Weltbühne war bereits seit dem 25. oder erhältlich. Am erschienen die zwei saarländischen Tageszeitungen General-Anzeiger (1934d) und Volksstimme (1934c) mit groß aufgemachten Leitartikeln über die "neue Säuberungs-Aktion im Dritten Reich", in denen sie die Meldungen der Neuen Weltbühne über "neue Massenmorde" wiedergaben und mit den "geheimnisvollen Truppenbewegungen in der Nähe des Reichswehrministeriums" in Verbindung brachten, um die "Aktion" als einen siegreichen "Kampf der Reichswehr gegen die letzten Reste des alten Nationalsozialismus" darzustellen (General-Anzeiger 1934d). Im Gegensatz zu Pol jedoch, der in der Neuen Weltbühne von einer DNB-Meldung gesprochen hatte, stellten Volksstimme und General-Anzeiger die Geheimhaltung der "Säuberungsaktion" heraus: "Man versuchte dabei, die ganze Aktion völlig geheim durchzuführen. Nur die Absetzung des niederschlesischen Oberpräsidenten Brückner, die nicht unbemerkt bleiben konnte, wurde der Öffentlichkeit bekanntgegeben." (Volksstimme 1934c) Während die Volksstimme (1934c) offen ließ, woher sie ihre Informationen über die "heuchlerische Begründung" der Aktion als eine "moralische Säuberung" bezog, berief sich der General-Anzeiger (1934d) auf "die konfusen Erklärungen, die von amtlicher Seite auf die indiskreten Fragen der Vertreter der Auslandspresse abgegeben" worden seien. Dennoch führte gerade die Volksstimme eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der vorgeblich offiziellen Rechtfertigung der "Säuberungsaktion", ohne allerdings andere Argumente als die bereits von Deutscher Freiheit (1934c) und von Heinz Pol (1934c) in der Neuen Weltbühne strapazierten anzuführen: "Wie heuchlerisch aber diese ganze angebliche Bekämpfung der Homosexualität ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Persönlichkeiten, deren anormale Veranlagung bekannt ist, die aber zu keiner oppositionellen Richtung gehören, durch die neue moralische Säuberung nicht bertroffen werden. Solche Persönlichkeiten gibt es auch in der nächsten Umgebung des Führers. Oder weiß Hitler nicht, daß sein Stellvertreter als Parteiführer, Heß, seit jeher in den führenden nationalsozialistischen Kreisen unter dem Spitznamen "Fräulein Heß" bekannt war?"

156 156 Einzig bezüglich der Meldungen, nach denen es sich bei den Opfern der Verhaftungen nicht, wie immer behauptet, ausschließlich um NS-Parteifunktionäre handelte, lieferte die Volksstimme (1934c) einen neuen Erklärungsversuch, um den Verdacht, es könnte sich doch um eine Verhaftung Homosexueller gehandelt haben, zu entkräften: "Es sind aber auch diesmal, wie am 30. Juni, Verhaftungen in anderen Kreisen vorgenommen worden: Bei den Industriellen und Kaufleuten und Intellektuellen. Man versucht auch diesmal mit einem Schlag die Opposition zu treffen, die von verschiedenen Richtungen kommt und aus verschiedenen Gründen entstanden ist." Die in den Leitartikeln von Volksstimme und General-Anzeiger collagierten 'Meldungen' hatten in ihrer Verdichtung zu einem "neuen 30. Juni", in dessen Rahmen sich nicht nur "hunderte Ermordungen", sondern, wie der General Anzeiger kolportierte, auch die Ablösung Himmlers "an der Spitze der Geheimen Staatspolizei durch General Daluege, den Freund Görings" vollzogen haben sollten, einen so durchschlagenden publizistischen Erfolg, daß sich noch am Abend des das nationalsozialistische Saarbrücker Abendblatt genötigt sah, mit der Dementierung der gemeldeten Erschießungen, die "regelrecht aus der Luft gegriffen" seien, die Verhaftungen Homosexueller zu bestätigen: "Schon vor einigen Wochen wurde eine Aktion der zuständigen Polizeibehörden eingeleitet, um homosexuellen Kreisen endlich ihr gesellschaftsund kulturschädigendes Treiben zu legen. Es handelt sich hierbei um eine Aktion, die auch in keiner Weise irgendwie mit politischen Fragen in Zusammenhang steht, sondern einzig und allein die restlose Beseitigung jener Gesellschaftsseuche zum Ziel hatte, ein Unternehmen, das übrigens in der Bevölkerung stärksten Beifall findet. Im Zuge dieser Säuberungsaktion sind in Berlin rund 300 Verhaftungen vorgenommen worden. Auch im übrigen Reich hat man durchgegriffen." (Abendblatt 1934a) Die Verzerrungen auch dieser Meldung bedürfen wohl keines Kommentars. Dennoch handelte es sich hierbei um die erste halbwegs offizielle Bestätigung der Verhaftungen, denn ohne Informationen, geschweige denn die Ermächtigung des Propagandaministeriums, dürfte das Abendblatt zu den Berichten der Exilpresse auch weiterhin geschwiegen haben. Allerdings läßt es ein sprachlicher und inhaltlicher Vergleich mit der DNB-Meldung (vgl. Basler Nachrichten 1934h; National-Zeitung 1934d) vom nächsten Tag unwahrscheinlich erscheinen, daß der Bericht des Abendblattes (1934a), wie der General-Anzeiger (1934e) am mutmaßte, durch "Angestellte des Propagandaministeriums" verfaßt wurde. Vielmehr spricht insbesondere folgende Formulierung, die sich zwar inhaltlich voll mit den NS-Verschwörungstheorien bezüglich der Homosexualität

157 157 deckte, im Rahmen der aktuellen Auseinandersetzung aber zu Fehlinterpretationen einladen mußte, dafür, daß der Abendblatt-Leitartikel vom von Abendblatt-Redakteuren geschrieben wurde (Abendblatt 1934a): "Von den 300 Homosexuellen sind bereits bis zu Weihnachten 200 Personen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die übrigen hundert Mann mußten in Haft behalten werden, da Verdunkelungsgefahr besteht und die Untersuchungsbehörden gewillt sind, das Intrigenspiel restlos aufzudecken, das von dieser Clique seit geraumer Zeit betrieben wurde." In der Logik der NS-Ideologie, von Hitler (1934: 415f.) bereits nach der Ermordung Röhms vor dem Reichstag dargelegt, konnte "aus einer bestimmten gemeinsamen Veranlagung heraus" nicht nur "Intrigenspiel", sondern sogar der "Kern einer Verschwörung... gegen die staatliche Sicherheit" erwachsen. Heinrich Himmler (1937: 96) trieb diese Wahnvorstellung in seiner drei Jahre später vor SS-Gruppenführern gehaltenen Geheimrede auf die Spitze: "Wenn Sie an irgendeiner Stelle einen so [homosexuell] veranlagten Mann im Männerstaat haben, der etwas zu sagen hat, können Sie mit Sicherheit drei, vier, acht, zehn und noch mehr gleichveranlagte Menschen finden; denn einer zieht den anderen nach, und wehe, wenn da ein oder zwei Normale unter diesen Leuten sind, sie werden in Grund und Boden verdammt, sie können machen was sie wollen, sie werden kaputtgemacht." Insofern hatte die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung durchaus 'politischen' Charakter, einen Charakter allerdings, der die Reflexionsmöglichkeiten der Exilpresse überforderte, wie ihre Reaktionen auf die Formulierung des Abendblattes zeigten: "Daß in Wirklichkeit die Homosexualität mit dieser neuen Säuberungsaktion nicht das geringste zu tun hat, geht aus dem Satze der "Abendblatt"-Meldung hervor, daß die Untersuchungsbehörden das Intrigenspiel der betreffenden Nazis restlos aufdecken wollen. Das heißt mit anderen Worten, daß eine heimliche Opposition gegen den neuen, reaktionären Kurs der Nazipolitik besteht, den die alten Nationalsozialisten nicht mitmachen wollen." (General-Anzeiger 1934e) Obgleich General-Anzeiger (1934e), Deutsche Freiheit (1934g) und Volksstimme (1934d) die Bestätigung von Verhaftungen durch das Abendblatt nicht zu Unrecht als von ihnen erzwungen feierten, wollten sie deren Inhalt nicht anerkennen. Gegen die Meldung über Verhaftungen Homosexueller wurde neben der "Aeußerung vom Intrigenspiel" (Volksstimme 1934d) abermals der angeblich hohe Verbreitungsgrad der Homosexualität unter Nationalsozialisten angeführt:

158 158 "Alle Organisationen der NSDAP. von oben bis unten, einschließlich der Jugendorganisationen sind Brutnester der Homosexualität, wie sie nie vorher in der deutschen Geschichte sich entwickelt hatte" (Deutsche Freiheit 1934g). Neben den vom Abendblatt bestätigten Homosexuellenverhaftungen wollten die saarländischen Exilzeitungen auch die Dementierung der von ihnen kolportierten Meldung über die Erschießung Brückners, Pfeffers und Hauensteins nicht akzeptieren. Vielmehr sollte gerade das Dementi erweisen, daß es zu Erschießungen gekommen sei (Deutsche Freiheit 1934g): "Die Dementis sind das beste Eingeständnis, daß sich ein neuer 30. Juni entwickelt. Massenverhaftungen werden zugegeben. Die Erschießungen, obwohl sie stattgefunden haben, werden noch bestritten. Noch..." Letztendlich jedoch wurde die Homosexualität zum Kristallisationspunkt einer Auseinandersetzung zwischen Abendblatt und Exilzeitungen, bei der die Frage nach Verhaftungen und Erschießungen nur noch eine Nebenrolle spielte. Hatten die Exilzeitungen bei der Thematisierung der Homosexualität bislang allerdings auf die negative Wirkung des Begriffes allein gesetzt, so wurde nun zunehmend mit Werturteilen operiert. Schließlich versuchten sich beide Seiten gegenseitig mit Sympathievorwürfen für und Distanzierungen von Homosexualität zu übertreffen. Eingeleitet hatte diese Auseinandersetzung das Abendblatt (1934a): "Wenn die separatistische Presse heute diese Vorgänge als besondere Sensation politisch auszuschlachten versucht, so gibt sie damit nur ihre Sympathie mit jenen asozialen und minderwertigen Subjekten zum Ausdruck, eine Sympathie, die aus der Stellungnahme der ehemaligen deutschen Sozialdemokratie bei der Beratung der Strafbestimmung über den 175 sattsam bekannt ist." Diesen Sympathievorwurf wollten die Exilzeitungen, so etwa der General- Anzeiger (1934e), allerdings nicht auf sich sitzen lassen: "Damit wird auch die blöde Behauptung des 'Abendblatt' gegenstandslos, daß wir mit 'jenen asozialen und minderwertigen Subjekten' (gemeint sind die Homosexuellen) Sympathie haben. Nicht wir haben mit solchen Elementen jemals Sympathie gehabt, sondern vielmehr Hitler und seine Freunde, die diese Leute als Werkzeug ihrer Politik benutzt und sie in die höchsten Stellen des Staates befördert haben." In der Volksstimme (1934f) erreichte diese Distanzierungsstrategie einen neuen Höhepunkt, behauptete sie doch nicht nur, daß "die NSDAP. geradezu zur Bewegung der Homosexuellen geworden" sei, die damit (!) "das deutsche

159 159 Ansehen, den deutschen Namen und den deutschen Mann derartig in den Dreck" gezogen habe, sondern auch umgekehrt: "Auch das 'Abendblatt wagt nicht zu behaupten, daß sich die Homosexuellen aus anderen Kreisen rekrutieren. Es sind ausschließlich Pgs., Führer und Unterführer aus der SA. und der SS. sowie die gesamte Führerschaft der Berliner Hitlerjugend. Kein Marxist, kein Anhänger des Zentrums befindet sich unter diesen zweifelhaften Menschen, die jetzt ausgerottet werden sollen." (Volksstimme 1934f) Das Saarbrücker Abendblatt (1934b) behauptete jedoch auch am ungerührt, daß die Exilpresse "ihre traurigen Lanzen für entartete Individuen und Homosexuelle zu brechen sich" bemühe, während "man sich im Reich von anderen gesellschaftlichen und moralischen Gesichtspunkten führen" ließe. Die am ihren Höhepunkt erreichende Verlagerung der Auseinandersetzung auf gegenseitige Sympathievorwürfe bezüglich der Homosexualität muß als Indikator für eine erhebliche Verunsicherung, die mit den Erklärungen des Abendblattes und des DNB bei den saarländischen Exilperiodika ausgelöst worden war, betrachtet werden. Auch wenn General-Anzeiger (1934e), Deutsche Freiheit (1934g) und Volksstimme (1934e) nochmals im Ton voller Überzeugung den "neuen 30. Juni" verkündet hatten, dürften bei ihren Redakteuren beträchtliche Zweifel an den von der Neuen Weltbühne verkündeten Erschießungen und dem immer wieder behaupteten 'politischen' Charakter der Verhaftungen zurückgeblieben sein. Zumindest ist bei allen drei Tageszeitungen nach dem ein deutlicher Bruch in der Berichterstattung zu verzeichnen: der "neue 30. Juni" wurde kaum noch thematisiert. 120 Wenn jedoch Berichte erschienen, so setzten sie sich auch inhaltlich deutlich von den bis zum erschienenen ab. So gab der General-Anzeiger (1935a) am eine Meldung der französischen Nachrichtenagentur Havas wieder, nach der zur Planung "der neuen Säuberungsaktion" ein "aus fünf Nazipersönlichkeiten bestehender Ausschuß" beauftragt worden sei, "die Aktion zur Säuberung des öffentlichen Lebens und der NSDAP in die Wege zu leiten". Über den Charakter dieser "Säuberungen" wurden in der wiedergegebenen Meldung keine Aussagen getroffen. Allerdings mußte sowohl die Nachricht über die Erstellung einer "Liste von Personen", von denen nur "5000 Mitglieder der NSDAP" waren, wie auch Hitlers angebliche Entscheidung, "daß eine Aktion von derartigem Ausmaß zur Zeit wegen der wirtschaftlichen und außenpolitischen Pläne der Regierung nicht durchführbar sei", den Eindruck hinterlassen, daß es sich bei dieser 120 Vom bis zum freilich hatte die Deutsche Freiheit infolge eines Publikationsverbotes gar keine Möglichkeit zur Berichterstattung über den "neuen 30. Juni". In diesen Tagen "fungierte die Volksstimme als deren Ersatz nicht nur an der Saar, sondern mit einer 'Auslandsausgabe' auch in Paris" (Maas 1990: 501).

160 160 "Säuberungsaktion" nicht um einen unaufschiebbaren Schlag gegen die Opposition in den eigenen Reihen, sondern wohl doch eher um eine Aktion gegen Homosexuelle handelte. Entgegen diesem Bruch in der Berichterstattung der saarländischen Exilzeitungen, zogen die wöchentlich erscheinenden Exilzeitschriften zunächst mit Berichten über den "neuen 30. Juni" nach. So wartete die kommunistische Deutsche Volks-Zeitung (1934f) am mit einem Leitartikel über die "zweite blutige Explosion der tiefen Krise der Hitlerdiktatur" auf. Die Behauptung der "Göbbels-Journallie an der Saar", bei den Massenverhaftungen habe es sich um die Festnahme Homosexueller gehandelt, war der Deutschen Volks- Zeitung allerdings keine so intensive Auseinandersetzung wert, wie etwa den sozialdemokratischen Zeitungen Deutsche Freiheit und Volksstimme. Dieses Thema ließ sich für sie in zwei Sätzen erledigen: " 'Es handelt sich um Homosexuelle', zetert der Lügenchor, aber zu kindisch plump ist dieses Ammenmärchen, das schon am 30. Juni stark abgenutzt wurde. Hieß es denn nicht schon am 30. Juni, daß mit der Homosexualität unter den Kameraden Hitlers aufgeräumt worden sei?" Im Gegensatz zur Deutschen Volks-Zeitung verzichtete die Ende November 1934 als Reaktion auf den durch die Nationalsozialisten erfolgten Aufkauf der Exilzeitschrift Westland (vgl. Maas 1990: 507f.) gegründete Wochenschrift Das Reich auf einen groß aufgemachten Bericht über einen "neuen 30. Juni". Diese Zurückhaltung der von Hubertus Prinz zu Löwenstein 121 herausgegebenen Zeitschrift muß wohl darauf zurückgeführt werden, daß sich ihre Redakteure der Westland-Tradition einer vergleichsweise "nüchtern-aufklärenden" (Maas 1990: 511) Berichterstattung verpflichtet fühlten. Auf eine polemische Auseinandersetzung mit der Abendblatt-Erklärung über die Verhaftung Homosexueller wollten jedoch auch die Redakteure der eher bürgerlichen Zeitschrift Das Reich nicht verzichten. Sie schossen sich in der Ausgabe vom auf die Verlautbarung ein, von "den verhafteten 300 Homosexuellen" seien "bereits bis zu Weihnachten 200 Personen wieder auf freien Fuß gesetzt worden" (Abendblatt 1934a). Diese angebliche Freilassung von zweihundert Verhafteten sollte wiederum die Unglaubwürdigkeit der Erklärung über die Verhaftung Homo- 121 Hubertus Prinz zu Löwenstein, geb. 1906, freier Mitarbeiter unter anderem bei der Vossischen Zeitung und dem Berliner Tageblatt, Mitglied der katholischen Zentrumspartei, emigrierte Ende April 1933 nach Österreich, 1934 in das Saargebiet. Seit Ende November 1934 Herausgeber der vom ehemaligen Westland-Herausgeber Siegfried Thalheimer begründeten und zusammen mit Rudolf Olden (vgl. Anm. 128) geleiteten Zeitschrift Das Reich, emigrierte Löwenstein nach dem hohen Sieg der Anschlußbefürworter bei der Saarabstimmung im Februar 1935 in die USA.

161 161 sexueller erweisen, wie der folgende, weniger "nüchtern-aufklärende", denn polemische Kommentar erweist: "Dem Nationalsozialismus gelingt so viel Unerwartetes, es ist ihm auch gelungen, das so lang vergeblich gesuchte Heilmittel gegen die Homosexualität zu entdecken. Ein Tag Haft - und die asozialen, minderwertigen Homosexuellen verlassen das nationalsozialistische Gefängnis tadellos heterosexuell und normal." (Das Reich 1935a) Auch Das Reich gab sich, indem es hier die nationalsozialistischen Aktivitäten zur Homosexualitätsbekämpfung als uneffektiv brandmarkte, redlich Mühe, die Nationalsozialisten in ihrer Homophobie zu übertreffen. Der entscheidende Hebel, die Bestätigung der Verhaftungen Homosexueller als eine Verschleierungstaktik darzustellen, blieb jedoch auch für Das Reich die in der Exilpresse gemeinhin unterstellte homosexuelle Veranlagung der meisten NS-Führer. Sich auf die bereits von den saarländischen Tageszeitungen angegriffene Verlaubarung des Abendblattes (1934a) bezüglich des Intrigenspiels "dieser Clique" beziehend, erklärte Das Reich (1935a): "Wir dachten bisher, wir kennen die 'Spiele', die von solchen Cliquen betrieben würden. Nun aber sind es Intrigenspiele. Was wollen sie? Also doch etwas Staatsgefährliches? Vielleicht den Rest der Normalen aus der Regierung entfernen, der sich irrtümlicherweise dort noch befindet? Aber wegen einer solchen Kleinigkeit wird man doch nicht verhaften!" Der Versuch, mit dieser Polemik die Erklärungen über die Verhaftung Homosexueller als Schutzbehauptungen zu entlarven, wurde jedoch durch eine Bemerkung in einem weiteren, in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift veröffentlichten Artikel, konterkariert. Die sich in Berichten insbesondere des Pariser Tageblattes seit Anfang des Jahres dokumentierende neuerliche Umbewertung der Verhaftungen (vgl. Kapitel 3.6.5) war offensichtlich nicht ohne Einfluß geblieben. So räumte Das Reich in diesem zweiten Artikel eine Verfolgung Homosexueller ein, auch wenn sie als Zufallsprodukt dargestellt wurde: "Die Homosexualität, ohne die das Heraufkommen der NSDAP. gar nicht zu denken wäre, ist endgültig in Ungnade gefallen, nachdem zufällig eine Reihe von Parteiführern zugleich homosexuell und oppositionell waren. Wäre es umgekehrt, so gäbe es heute schon Konzentrationslager für Normale." (Das Reich 1935b) Die immer neuen aus Deutschland dringenden inoffiziellen Nachrichten über Verhaftungen Homosexueller, wie die inzwischen vorliegenden diesbezüglichen amtlichen Bestätigungen, ließen sich immer schwerer leugnen. An der Behaup-

162 162 tung jedoch, es habe sich bei diesen Verhaftungen zumindest auch um eine Verfolgung oppositioneller Nationalsozialisten gehandelt, wurde zunächst noch festgehalten. Die von der saarländischen Exilpresse Ende Dezember 1934 initiierte Instrumentalisierung des Themas Homosexualität im Saar-Abstimmungskampf wurde kurz vor der Saar-Abstimmung vom nationalsozialistischen Abendblatt neuerlich aufgegriffen. Am nutzte das Abendblatt (1935) die Strategie der Sexualdenunziation, um in einem Leitartikel "die Herren vom Status quo und die Emigranten" mit dem Homosexualitätsvorwurf zu disqualifizieren. So behauptete das Abendblatt, gegen "den Prinzen Hubertus zu Löwenstein und den Grafen von Alvensleben" sei "bei der Oberstaatsanwaltschaft Saarbrücken Anzeige wegen des Verdachtes des Vergehens gegen den Paragr. 175" erstattet worden. Zweifellos besagte eine solche Anzeige, die überdies jeder hätte erstatten können, noch gar nichts. Das Abendblatt jedoch meinte, auf die Unkenntnis seiner Leser spekulierend, hieraus ableiten zu können, daß Löwenstein "nun angeklagt wird". Damit wiederum war der Nachweis einer homosexuellen Veranlagung von Löwensteins in den Augen des Abendblattes bereits erbracht. Entsprechende Konsequenzen mußte dies natürlich auch für die Interpretation der angeblichen Empörung der Exilpresse über die "Säuberungsaktion" haben, gewann der Sympathievorwurf doch nun eine ganz neue Qualität (Abendblatt 1935): "Ueber diese Säuberungsaktion, die ein Zeichen der hohen moralischen Verantwortung ist, mit der heute in Deutschland regiert wird, hat die Presse der sogenannten Einheitsfront den Mund aufgerissen, als ginge es ihr an den Kragen. Wer konnte auch, außer den Eingeweihten, wissen, daß prominente Mitglieder dieser sogenannten Einheitsfront in der Tat allen Anlaß zu haben scheinen, gegen die Rückgliederung an Deutschland Propaganda zu treiben - weil sie im sauberen nationalsozialistischen Staat einen solchen Lebenswandel nicht würden führen können." Das Abendblatt hoffte offensichtlich noch in den letzten Tagen vor der Saar- Abstimmung, mit einem Appell an das 'gesunde Volksempfinden' die als Folge der Auseinandersetzung um die "Säuberungsaktion" verloren geglaubten Punkte wieder gut machen zu können. In diesem Sinne entwarf das Abendblatt (1935) ein 'Horrorszenario', demzufolge die Emigranten aus dem Saarland "einen 'Naturschutzpark' für Kreaturen, die sich selbst aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen haben, einen zoologischen Garten für Abnormitäten" zu machen wünschten, um dann an das vermeintlich gesunde Volksempfinden zu appelieren: "An der Saar aber haben solche Abnormitäten nicht das geringste zu suchen. An der Saar wohnen arbeitsame, gute, anständige deutsche Menschen, die es sich nicht gefallen lassen würden, wenn man Subjekte solcher Art in seine Mitte setzen würde."

163 163 Weder der General-Anzeiger, noch die Volksstimme (1934f), die erst vor kurzem erklärt hatte, unter Homosexuellen ließe sich "kein Marxist, kein Anhänger des Zentrums" finden, reagierten auf die Publikation des Abendblattes. Nur in der Deutschen Freiheit (1935a) erschien eine Stellungnahme zu dem Artikel des Abendblattes, das sich "in jüngster Zeit mit homosexuellen Komplexen zu quälen" hätte. Doch die zwischen Nationalsozialisten und Emigranten bestehende Allianz, nicht nur in der Ablehnung, sondern auch bezüglich der politischen Instrumentalisierung der Homosexualität, die das Abendblatt nochmals vorgeführt hatte, stimmte die Redakteure der Deutschen Freiheit nicht bedenklich. Vielmehr setzten sie das 'Spiel' der gegenseitigen Bezichtigungen fort (Deutsche Freiheit 1935a): "Er [der Abendblatt-Redakteur] wußte nicht, daß Herr von Alvensleben, den man oft in der Begleitung des Prinzen sieht, sein - jüngerer Halbbruder ist. Zwei Männer öfters zusammen: die verfallen heute im braunen Lager notwendig gewissen Vorstellungen. Sie können und können es sich nun einmal nicht anders denken, nach Röhm, nach Heines und vielen, vielen anderen einstigen und früheren Kameraden des 'Führers'." Weder die Stilisierung der Verhaftungen Homosexueller zu einem "neuen 30. Juni", noch die Instrumentalisierung des Homosexualitätsvorwurfes zur Disqualifizierung der Nationalsozialisten und damit des "Dritten Reiches", brachte allerdings den von den Befürwortern der Beibehaltung des Status quo erhofften Effekt, die Saarbevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Welche Auswirkungen die gesamte Auseinandersetzung auf das Stimmverhalten am hatte, ist nicht feststellbar. Angesichts eines Votums von 90,76% für die Rückgliederung an Deutschland, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, daß die Instrumenatlisierung der Homosexualität für die Kampagne zur Beibehaltung des Staus quo sogar kontraproduktiv wirkte. Zumindest leistete die wiederum vornehmlich von sozialdemokratischen Zeitungen betriebene Kampagne, wie schon die Inszenierung der sogenannten "Röhm-Affäre" 1931/32 (vgl. Kapitel 2.4), nicht die gewünschte Verkoppelung von homophoben Ressentiments mit dem Nationalsozialismus zu einem emotionalisierten Antifaschismus. Hierzu mag die sich in den homophoben Tiraden von Deutscher Freiheit und Volksstimme anscheinend manifestierende Heuchelei der Sozialdemokratie, die noch fünf Jahre zuvor im zuständigen Reichstagsausschuß für die Abschaffung des 175 RStGB gestimmt hatte (vgl. Kapitel 2.2), nicht unwesentlich beigetragen haben. Auch wenn die scheinbar neue Haltung der SPD angesichts schon immer vorhandener homophober Tendenzen (vgl. Kapitel 2.3) so neu und damit so heuchlerisch nicht war, mußte der ihrerseits gegenüber den Nationalsozialisten erhobene Heucheleivorwurf scheinheilig wirken.

164 Doch eine Homosexuellenverfolgung? Die Berichterstattung außerhalb des Saargebietes. Die von Deutscher Freiheit (1934c) und Volksstimme am begonnene Umwertung der Verhaftungen Homosexueller zu einer "Polizeijagt gegen oppositionelle junge Nationalsozialisten" wurde zunächst von den meisten Exilperiodika übernommen. Sicherlich war die Exilpresse durch die andauernde Verkoppelung von Homosexualität und Nationalsozialismus schon so disponiert, daß Meldungen über Verhaftungen Homosexueller von vorne herein keine Glaubwürdigkeit zugesprochen wurde. Die Hauptursache für die Umbewertung der Verhaftungen lag jedoch in der Instrumentalisierbarkeit eines "neuen 30. Juni" im Saar-Abstimmungskampf begründet. Nicht zufällig dürften wohl deswegen zwei saarländische Zeitungen als erste, und zudem mit der radikalsten Umbewertung hervorgetreten sein. Nicht zufällig auch dürfte die Umbewertung im fernen New York, wo der Saar-Abstimmungskampf eine eher untergeordnete Rolle spielte, nicht zur Kenntnis genommen worden sein. 122 In der einzigen diesbezüglichen Meldung der Neuen Volks-Zeitung (1934f) war am nur von Verhaftungen Homosexueller die Rede: "In Berlin und auch ausserhalb der Reichshauptstadt werden Razzien veranstaltet, die den Zweck haben, Homosexuelle aus ihren Schlupfwinkeln zu vertreiben. Da dabei keine führende Nazis verhaftet worden sind, kann darauf geschlossen werden, dass diesen Kreisen die Razzien vorher angekündigt wurden." Bemerkenswert an dieser Meldung ist insbesondere, daß an den Verhaftungen Homosexueller nicht gezweifelt wurde, obwohl man die Botschaft der europäischen Berichte, führende Nationalsozialisten seien vor einer Verhaftung verschont geblieben, übernahm. Doch auch in der europäischen Exilpresse hatte sich die Umbewertung der Verhaftungen nicht hundertprozentig durchgesetzt. Zumindest das Pariser Tageblatt (1934g), das nach dem vorübergehend auf die von Deutscher Freiheit und Volksstimme vorgezeichnete Linie eingeschwenkt war, ließ in einem Bericht vom Zweifel daran erkennen, ob es nicht auch zu Verhaftungen Homosexueller gekommen sei, die man nicht ohne weiteres als "oppositionelle junge Nationalsozialisten" (Deutsche Freiheit 1934c) bezeichnen konnte. Diese Zweifel verdichteten sich in einem vom Pariser Tageblatt (1934i) am unter dem Titel "Hitlers Regie der neuen Blutaktion" veröffent- 122 Möglicherweise stützte die Neue Volks-Zeitung ihren Artikel auch auf einen Bericht ihres Korrespondenten Julius Epstein (vgl. Anm. 125), dessen Haltung zur Homosexualität nicht von der im Exil weitverbreiteten Verblendung gekennzeichnet war (vgl. Kapitel 3.7.1) und zweifelte aus diesem Grunde nicht an einer Verhaftung Homosexueller.

165 165 lichten Artikel, der sich angeblich auf "den Bericht einer dieser Tage aus Deutschland im Zusammenhang mit diesen Ereignissen geflüchteten Persönlichkeit" stützte. Hier nun wurden erstmals wieder zielgerichtet antihomosexuelle Verhaftungen eingeräumt. Allerdings sollten sie, wie das Pariser Tageblatt (1934g) bereits am angedeutet hatte, lediglich dazu gedient haben, die eigentliche Zielrichtung des "Vorgehens zu verschleiern" (vgl. Kapitel 3.6.2): "Allerdings hat man auch diesmal auf das moralische Mäntelchen nicht verzichtet. Aus diesem Grunde gehen Massenverhaftungen homosexueller Personen Hand in Hand mit der Festnahme nationalsozialistischer Führer. Man verhaftet auf der einen Seite politisch Verdächtige und auf der anderen Seite Menschen, die überhaupt keine Berührung mit dem Nationalsozialismus haben." Überdies war der einzige Hinweis des Artikels auf die mit dem Titel "Blutaktion" suggerierten Morde, daß während der "Verfolgungswelle gegen ganz harmlose Menschen" diese "schrecklichsten Mißhandlungen ausgesetzt und teilweise ermordet worden" seien. Damit setzte sich das Pariser Tageblatt (1934i) von den auf Heinz Pols (1934c) Aufsatz beruhenden Berichten über Erschießungen oppositioneller Nationalsozialisten ab (vgl. Kapitel 3.6.4). Dennoch blieb die Interpretation der dargestellten Verhaftungen und Ermordungen Homosexueller 'politisch korrekt', indem sie als "das moralische Mäntelchen" einer nur "bestimmten, sehr mächtigen und einflussreichen Persönlichkeiten" geltenden "Reinigungsaktion" betrachtet wurden. Und auch auf das alte 'Argument' von der homosexuellen NS-Führung wollte das Pariser Tageblatt (1934i) noch nicht verzichten, um die Bekämpfung der "Homosexualität als Vorwand" zu entlarven: "Der homosexuelle Vorwand ist allerdings bei der Führergruppe der Nationalsozialisten stets gegeben. Man hat deswegen den Oberpräsidenten Brückner verhaften können und man kann morgen mit dem gleichen Recht den Reichsminister Rudolf Hess, den Reichsminister Dr. Frank und den Reichsjugendführer Baldur von Schirach einsperren, ins Konzentrationslager schicken oder totschlagen. Die Stichhaltigkeit dieses Arguments ist jedenfalls stets gegeben." Dennoch stellte dieser Artikel den ersten Schritt einer neuerlichen Umbewertung der Verhaftungen dar. Zumindest leugnete das Pariser Tasgeblatt den antihomosexuellen Charakter der meisten Verhaftungen nicht mehr. Veranlaßt haben dürften diese neue Wendung der Berichterstattung verschiedene Umstände. Zum einen war die Haltung des Pariser Tageblattes generell noch verhältnismäßig liberal, was schon in der Veröffentlichung der ersten Meldungen, die von Verhaftungen Homosexueller sprachen, seinen Ausdruck gefunden hatte (vgl.

166 166 Kapitel 3.6.2); demgegenüber waren derartige Berichte in anderen Exilzeitungen und -zeitschriften unterblieben. Insofern war das Pariser Tageblatt für neue Berichte über die Verhaftungen, wie sie offensichtlich dem Artikel vom zugrunde lagen, offener als andere Exilperiodika. Doch auch Klaus Manns (1934) in den Prager Europäischen Heften veröffentlichter Aufsatz (vgl. Kapitel 3.6.3) dürfte auf die neuerliche Wende in der Berichterstattung des Pariser Tageblattes nicht ohne Einfluß gewesen sein. Daß die Veröffentlichungen Klaus Manns von seiten des Pariser Tageblattes gerade zu diesem Zeitpunkt aufmerksam verfolgt wurden, ergibt sich aus der Tatsache, daß man ihn zu Beginn des Jahres 1935 zur Mitarbeit einlud (vgl. Kroll 1992: 318). Am erschien das Pariser Tageblatt dann mit einem Leitartikel über "die 'Ausrottung' der Homosexuellen im Dritten Reich", der von einem "bekannten Wissenschaftler" unter dem Pseudonym "Expertus" (1935) verfaßt worden war (vgl. Anm. 87). Dieser Artikel widmete sich erstmals ausschließlich der Homosexuellenverfolgung im "Dritten Reich", ohne diese mit angeblichen Verhaftungen nationalsozialistischer Oppositioneller in Zusammenhang zu bringen. Im Mittelpunkt standen Situation und Befindlichkeit der Homosexuellen: "Seit einigen Wochen erhalte ich mündliche und schriftliche Berichte, aus denen hervorgeht, dass unter den homosexuell veranlagten Personen Deutschlands eine schwere Panik ausgebrochen ist. Sie gleicht ungefähr dem panischen Schrecken, der sich der deutschen Juden nach dem 1. April 1934, dem Boykotttage, bemächtigte." Neben einer Schilderung der Razzien "vom 8. bis 9. Dezember" (vgl. Kapitel 3.6.1) wurde, auch dies ein Novum, auf die rechtsstaatliche Zweifelhaftigkeit dieser Maßnahmen aufmerksam gemacht. Hatte die bisherige Berichterstattung der Exilpresse nur selten Zweifel an ihrem Einverständnis mit einer Bekämpfung der Homosexualität erkennen lassen, so hieß es bei Expertus: "Um die ganze Härte dieser Massnahmen zu begreifen, muss man wissen, dass der Besuch dieser konzessionierten Restaurants keineswegs ein Beweis für vorgenommene strafbare Handlungen ist. Vielmehr pflegen die meisten Besucher solche Treffpunkte nur aufzusuchen, um sich mit gleichgearteten Menschen aussprechen und für kurze Zeit die Maske lüften zu können, die sie in ihrer gewöhnlichen Umgebung zu tragen gezwungen sind." (Expertus 1935) Dennoch attestierte Expertus der "Reinigungsaktion" wenig Erfolgsaussichten; und dies nicht etwa, weil sie nicht konsequent genug durchgeführt werde, was in anderen Exilpublikationen in diesem Zusammenhang behauptet wurde, sondern weil ein zu hoher Prozentsatz "der Bevölkerung in Deutschland (wie übrigens in anderen Ländern auch) homosexuell geartet" sei, "sodass es sich nicht um

167 167 Hunderte und Tausende, sondern um Hunderttausende handelt, die er [Hitler] ausrotten möchte": "Komplizierte Vererbungsgesetze, auf denen Erscheinungen wie die Homosexualität beruhen, lassen sich wohl von einem Gregor Mendel ergründen, aber nicht von einem Adolf Hitler meistern und aus der Welt schaffen." (Expertus 1935) Dem Hinweis, daß der Anteil der Homosexuellen an der deutschen Bevölkerung nicht höher sei, als in anderen Ländern, kam im Rahmen des Exildiskurses, der sich mehr und mehr der Vorstellung näherte, daß, so laut Volksstimme (1934f) der Eindruck in "Inland und Ausland, Deutschland seit dem Aufstieg Hitlers nur noch aus Homosexuellen" bestehe, eine besondere Bedeutung zu. Und tatsächlich scheint die Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten bereits 1934 das Deutschlandbild des Auslandes stark beeinflusst zu haben. So soll nach Gerber (1934: 395) in der US-Zeitung Nation behauptet worden sein, "that the whole Hitler movement was based on the homosexual Greek attachements of men for each other". Und auch die Neue Weltbühne berichtete Ende 1934 über den Artikel einer US-Zeitschrift, aus dem angeblich entsprechendes hervorging: "Weiter behauptet die genannte amerikanische Zeitschrift, dass sich die Homosexualität in Deutschland erschreckend ausgebreitet habe; sie sei das deutsche Modelaster. Die Zeitschrift erklärt, dass man, nach zuverlässigen Angaben, die Zahl der Homosexuellen in Berlin allein mit eher zu niedrig als zu hoch einschätze. Auch die männliche Prostitution habe zugenommen." (Neue Weltbühne 1934: 1625) Der Hinweis von Expertus mußte in diesem Zusammenhang als ein Widerspruch gegen die Identifizierung von Homosexualität und Faschismus wirken, auch wenn hierauf nicht ausdrücklich verwiesen wurde. Im Gegensatz zu den beiden angeführten Publikationen des Pariser Tageblattes, hielt die übrige Berichterstattung der außerhalb des Saargebietes erscheinenden Exilperiodika an der Leugnung der antihomosexuellen Zielrichtung der Massenverhaftungen fest. So berichtete der sozialdemokratische Neue Vorwärts (1934f) am über "die Razzien in den ausgedehnten Revieren der braunen Homosexuellen". Wurde hier auch wieder eingeräumt, daß Homosexuelle verhaftet worden seien, so sollte es sich bei ihnen doch nur um Nationalsozialisten handeln. Von ihnen mußte es besonders viele geben, denn, so der Neue Vorwärts, wenn "sich die sexuell Abnormen in einer Partei sicher und wohlgelitten fühlen mußten, dann in der Hitlerschen". Der einzige Grund für die Verhaftung der "warmen Kameraden" Hitlers sei, daß "auch in ihren Reihen die Meckerei grassiert". Neben dem üblichen Vorwurf der Heuchelei gegenüber

168 168 Hitler tauchte nun jedoch auch noch der der Treulosigkeit gegenüber seinen "warmen Kameraden" auf (Neuer Vorwärts 1934f): "Aber wenn jemand, der Röhm "seinen lieben Stabschef" und Heines seinen Freund nannte, sich ausgerechnet mit dem 175 zum Tugendwächter Deutschlands machen will, so fehlt für so viel heuchlerische Treulosigkeit der richtige deutsche Sammelbegriff." Im nächsten Satz verfolgte der Neue Vorwärts allerdings schon wieder die Strategie, die eben noch gebrandmarkte Treulosigkeit einzufordern: "Die Welt fragt sich, was nun eigentlich mit den hochgestellten Röhmlingen wird. Dicht neben Hitler sehen wir noch immer seinen Stellvertreter Heß, im Moment wohl der Prominenteste unter den totalen 175ern. Und wie stehts mit dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach, dem durchaus illegitimen Schwager Görings. Auch er entstammt Röhms Zucht und besang den Führer in Versen, die weniger von dichterischer, als von anderer Veranlagung kündeten". Am erschien die Neue Weltbühne erneut mit einem Aufsatz Heinz Pols, der, obwohl er die Aussagen seines Aufsatzes vom (vgl. Kapitel 3.6.4) aufrecht erhielt, die sich verbreitenden Zweifel am Konstrukt "trockener 30. Juni" dokumentierte. Pol schrieb aus einer Defensivhaltung, die nicht allein den zwischenzeitlich aus Deutschland vorliegenden Dementis der von ihm eine Woche zuvor gemeldeten Erschießungen geschuldet gewesen sein konnte; sie muß vielmehr als Indikator für den Zusammenbruch der Vorstellung von einem "neuen 30. Juni" betrachtet werden, der mit der neuerlichen Umbewertung der Verhaftungen durch das Pariser Tageblatt einsetzte (Pol 1935a: 21): "Ob wir die Zahl der im Dezember 1934 erfolgten politischen Hinrichtungen schon in wenigen Monaten authentisch ermitteln können, ist noch zweifelhafter, da diesmal geschickter und ganz in der Stille gearbeitet wurde. Aber dessenungeachtet halten wir die in der vorigen Woche gemachten Angaben über die Dezembermorde voll aufrecht. Das deutsche Dementi, das zu erwarten war, ist falsch. Unsre Informationen stammten aus einwandfreier Quelle, die uns bisher stets richtig unterrichtet hat." Wie "einwandfrei" Pols Quelle tatsächlich war, wurde bereits im letzten Kapitel dargelegt. Der Rückzug darauf, es sei "ganz in der Stille gearbeitet" worden, ist im übrigen ein Paradebeispiel für die Reduktion kognitiver Dissonanzen, die infolge des Nichteintretens angekündigter Ereignisse zu reduzieren sind. Doch nicht nur die zunehmenden Zweifel an den von ihm verkündeten Erschießungen ließen Pol in die Defensive geraten. Auch die nicht nur von ihm

169 169 betriebene Instrumentalisierung der vermeintlich homosexuellen Veranlagung prominenter NS-Führer brachte ihn nun in Verteidigungshaltung - eine Reaktion wohl insbesondere auf Klaus Manns (1934) Brandmarkung dieser Praxis. Pol (1933: 1094), der sich 1933 noch selbst gegen Versuche von "peinlichen Antifascisten" gewendet hatte, "die persönlichen Neigungen der Naziführer vor den Massen zu 'enthüllen' ", verteidigte derartiges nun, nachdem er sich offensichtlich selbst bei einer neuerlichen Anspielung, diesmal auf die angebliche Homosexualität des am 30. Juni 1934 ermordeten Berliner SA-Führers Karl Ernst, 'ertappt' hatte: "Manche Leute sind empört, dass wir uns über die hohe Zahl Homosexueller in der nationalsozialistischen Bewegung aufregen. Die Homosexualität interessiert uns nicht, wohl aber die Verlogenheit und Heuchelei, mit der sich diese Herren umgeben. Wer hat die Homosexualität früher am schärfsten verdammt? Die Nazis. Wer ist gegen fortschrittliche Sexualgesetze Sturm gelaufen? Die Nazis. Wenn Röhm, Ernst, Heines, Schirach, Brückner, Hess und hundert andere höhere und höchste Naziführer homosexuell veranlagt waren und sind, warum sind sie Scheinehen eingegangen? Die Moral dieser Leute prangern wir an, nicht ihre Veranlagung. Nicht umsonst beschäftigen sich die meisten in Deutschland geflüsterten Witze mit der Homosexualität der Naziführer. Das Volk hat eine bessere Nase, als Herr Goebbels denkt." (Pol 1935a: 21) Pol, der hier bemerkenswerter Weise im Plural formulierte, sich inzwischen also mit jenen einst kritisierten "peinlichen Antifascisten" zu identifizieren schien, interessierte die Homosexualität selbstverständlich genauso, wie die anderen Redakteure der Exilpresse, die sie unablässig ins Feld führten. Über die allgemein negativ konnotierte Homosexualität sollten Ressentiments des Rezipienten mobilisiert werden. Der Vorwurf der Heuchelei hingegen interessierte nur dann, wenn es, wie teilweise bereits nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches", erst recht jedoch bezüglich der Razzien und Verhaftungen vom Dezember 1934, die Homosexuellenfeindlichkeit des NS-Regimes zu leugnen galt. In diesem Sinne wurde der Heuchelei-Vorwurf am nochmals von Otto Straßers (vgl. Anm. 28) Exilzeitschrift Die deutsche Revolution (1935) genutzt. Wie in ungezählten Artikeln der Exilpresse zuvor, sollte er auch hier erweisen, daß die "zugegebenen Massenverhaftungen" sich nicht "mit 'homosexuellen Verfehlungen' erklären" ließen, sondern einzig mit "der offen rebellierenden Gesinnung, die heute alle Parteigliederungen, ganz besonders aber die Jugend, erfüllt". Zur Untermauerung des Heuchelei-Vorwurfes wurden erneut die Namen prominenter und angeblich homosexueller NS-Führer genannt: "Um ihm [Hitler] die Entschuldigung mangelnder Informiertheit zu nehmen, gehen wir ihm mit einigen Namen zur Hand, die er in seiner aller-

170 170 nächsten Umgebung duldet: sein Privatsekretär und Minister Heß, genannt 'Frl.' Heß; sein persönlicher Adjudant Oberlt. Brückner; sein Pressechef Dr. Dietrich; sein Jugendführer Baldur von Schirach, genannt 'Die Braut des Führers'; Minister Frank, Obergruppenführer von Jagow, Reichstatthalter Kaufmann - um nur einige der Prominentesten zu nennen - werden alle seit Jahr und Tag zur 'warmen Partei' gerechnet, die heute von offizieller Seite angeblich 'ausgerottet' werden soll." Im Rahmen des Exildiskurses über den "trockenen 30. Juni" jedoch, war dieser Artikel ein 'Nachzügler'; seit Jahresbeginn hatten die wachsenden Zweifel an diesem Konstrukt entweder in Berichten, die den antihomosexuellen Charakter der Verhaftungen einräumten (vgl. Expertus 1935), oder aber in beredtem Schweigen ihren Ausdruck gefunden. Das Schweigen aber dominierte, und dies insbesondere bis zur Saar-Abstimmung am Erst seit dem erschienen wieder Berichte über die "Säuberungsaktion". In diesen wurde nun nicht selten, wie von Henry Jordan 123 (1935), mit der größten Selbstverständlichkeit unterstellt, daß "die Homosexualität nun von der Gestapo als staatsfeindliche Betätigung verfolgt werden wird". An den Vorstellungen über die angeblich homosexuelle Veranlagung der höchsten NS-Führer jedoch änderte diese neue Einsicht im allgemeinen nichts. So meinte etwa Jordan (1935) eine Meldung, derzufolge angeblich zum ersten Mal "Damen an einem Diner des Reichskanzlers" teilgenommen hätten, mit folgender Bemerkung kontrastieren zu müssen: "Zum ersten Mal... das wahrscheinlich wegen der Gerüchte". Zudem blieb diese nun relativ regelmäßige Berichterstattung über die "letzten Razzien, wobei die Polizei auch Hunderte von Homosexuellen sistierte" auf das Pariser Tageblatt (1935a) beschränkt; die übrigen Exilperiodika hatten das Interesse mit dem Zusammenbruch des Konstruktes vom "trockenen 30. Juni" verloren. Im Rahmen der Berichterstattung des Pariser Tageblattes allerdings kristallisierte sich zunehmend heraus, daß es sich bei der "Reinigungsaktion" doch ausschließlich um eine antihomosexuelle handelte: "Der Kampf gegen die Homosexuellen, der im Dezember auf persönliche Anweisung des 'Reichsführers' Adolf Hitler plötzlich als eine etwas seltsame Reinigungsaktion entfesselt wurde, hat zum Schluss zu ausserordentlich seltsamen Ergebnissen geführt. Die Zahl hoher Würdenträger, die plötzlich verfolgt wurden, war, wie man sich denken kann, ausserordentlich gross." (Pariser Tageblatt 1935b) 123 Henry Jordan, geb. 1897, arbeitete seit 1926 im Diplomatischen Dienst, unter anderem als Vizekonsul in Memel, später in New York aus dem Dienst entlassen, emigrierte Jordan im Oktober in die USA, wo er unter anderem als Gastprofessor an der New York University tätig war kehrte er nach Deutschland zurück und trat erneut in den Auswärtigen Dienst.

171 171 Wurde hier nun, ohne die Vorstellung einer außerordentlichen Verbreitung der Homosexualität unter den "Würdenträgern" des "Dritten Reiches" aufzugeben, der "Kampf gegen die Homosexuellen" zur Kenntnis genommen, so konnte man sich doch noch nicht vorstellen, daß er gegen hohe "Würdenträger" mit der gleichen Konsequenz geführt werde, wie gegen den 'gewöhnlichen' Homosexuellen. Daher unterstellte man, es sei "ein besonderes System geschaffen worden, um die Privilegierten aus dieser Kategorie zu schützen" (Pariser Tageblatt 1935b). Die Verallgemeinerung des Einzelfalles Gustaf Gründgens (vgl. Kapitel 3.6.1) zu einem "System" allerdings, ebenso wie die Schlußfolgerung, dieses System bedinge das "Ende einer Moralaktion", wurde schon bald durch Meldungen über die Verhaftung und KZ-Einweisung von weiteren "Würdenträgern" konterkariert. So berichtete das Pariser Tageblatt (1935c; 1935d) am über die Verhaftung des stellvertretenden Chefs des Protokolls im Auswärtigen Amt, Herbert von Mumm, am über die des Ministerialdirektors im Reichsinnenministerium, Helmut Nicolai (vgl. Anm. 99). Am schließlich meldete es auch die Festnahme der "Reichsbeamten" Achim Gercke, Erich Gisevius und Harro von Zeppelin "im Rahmen der Aktion zur Bekämpfung der Homosexualität" (Pariser Tageblatt 1935e). Diese Meldungen veranlaßten das Pariser Tageblatt (1935f), in Anlehnung an einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (1935a) am 21. Februar zu konstatieren, daß die "planmässige Verfolgung der Homosexuellen" neuerdings eine "Verschärfung" erfahren habe, die "auch vor Personen in sehr einflussreichen Stellen nicht Halt" mache. Entsprechend der Meldung der schweizer Zeitung wurde nun erstaunlich detailliert berichtet: "Bei der Kriminalpolizei wurde eine besondere Kommission gebildet, die sich der Ueberwachung verdächtiger Kreise widmet. Bei dieser geheimen Sittenpolizei laufen bei den Razzien und sämtlichen Untersuchungshandlungen die Fäden zusammen." (Pariser Tageblatt 1935f) Besonders interessant allerdings ist die Umbewertung der vormals als "heuchlerisch" gebrandmarkten Erklärungen Hitlers nach dem 30. Juni 1934: "In seiner pathetischen Erklärung nach jener blutigen Mordnacht des 30. Juni hatte Hitler dem staunenden Volke versichert, dass er gründlich aufräumen werde und dass in Zukunft jede deutsche Mutter unbesorgt ihren Sohn in die SA. schicken könne. Die späteren Ereignisse, nicht zuletzt die Absetzung des schlesischen Oberpräsidenten Brückner haben gezeigt, dass man sich selbst in der SA. mit dieser 'Aufräumarbeit' reichlich Zeit gelassen hat. In der neugebackenen Nazi- Beamtenschaft hat diese 'Säuberungsaktion' noch länger auf sich warten lassen, obwohl auch dort vieles in dieser Beziehung zu tun war."

172 172 Nun plötzlich wurde die Erklärung Hitlers ernst genommen und 'nur' noch kritisiert, er habe sich mit der Umsetzung der angekündigten "Aufräumarbeit" allzu viel Zeit gelassen. Diese Kritik allerdings offenbarte einen hohen Grad des Einverständnisses mit der antihomosexuellen "Säuberungsaktion"; eine naheliegende aber nicht notwendige Konsequenz der Instrumentalisierung der Homosexualität im antifaschistischen Kampf. Hatte die Instrumentalisierung, wie die Leugnung der Homosexuellenverfolgung im "Dritten Reich" zwar eine antihomosexuelle Grundhaltung weiter Teile der Exilpresse dokumentiert, so war auf die Pflege eines liberalen Images in Form von Verweisen auf die noch Ende der zwanziger Jahre zumindest von Sozialdemokratie und KPD propagierte Entkriminalisierung der Homosexualität bislang doch nicht verzichtet worden. Nun jedoch signalisierte der verantwortliche Redakteur des Pariser Tageblattes (1935f) unverhohlen seine Zustimmung zur "Herstellung gesunder pädagogischer Zustände". Am schließlich erschien im Pariser Tageblatt (1935g) nochmals ein Bericht über den "Kampf gegen die Homosexuellen", der weiterhin "energisch und rücksichtslos ohne Ansehen der Person fortgesetzt" werde. Lediglich "knapp vor der Schranke der hohen Hierarchie des Staates und der Partei" fände dieser Kampf seine Grenzen, so das Pariser Tageblatt (1935g) in dem Bemühen, die Vorstellungen über eine homosexuelle Veranlagung der höchsten NS-Führer aufrecht zu erhalten. Zudem geriet nun die breit angelegte Verfolgung Homosexueller zum Beweis einer besonders hohen Verbreitung der Homosexualität im "Dritten Reich": "Grossunternehmer, Diplomaten, Bühnengrössen, alle müssen daran glauben; der Besitzer eines der bekanntesten Hotels in Thüringen hat sich das Leben genommen. Eine in der Berliner Gesellschaft wohl bekannte Dame wurde unter der Anklage verhaftet, in ihrer Wohnung Jungmännerorgien verfilmt zu haben, um sie als Dokumente des Dritten Reiches im Ausland zu verbreiten." "Jungmännerorgien" als "Dokumente des Dritten Reiches" darzustellen, setzte den Diskurs über ein 'Drittes Reich der Homosexuellen' fort. Doch auch wenn sich das Pariser Tageblatt in seinen Berichten über den Kampf gegen die Homosexuellen vom Sterotyp des homosexuellen Nationalsozialisten nicht verabschiedete, gebührt ihm doch das Verdienst, die Berichterstattung nach der Saar-Abstimmung überhaupt fortgeführt und die Homosexuellenverfolgung zur Kenntnis genommen zu haben; in den anderen Exilperiodika hatte seither Schweigen über die antihomosexuellen Verhaftungen geherrscht. Das Pariser Tageblatt ermöglichte mit seinen Berichten insofern überhaupt erst das Einsetzen einer Überprüfung des stereotypisierten Homosexuellenbildes der meisten Emigranten. Zu einer kritischen Überprüfung der Instrumentalisierung der Homosexuellenverfolgung mittels ihrer Stilisierung zu einem "trockenen 30. Juni" kam es unter

173 173 diesen Bedingungen nicht. Immerhin jedoch hielt es Willi Schlamm (vgl. Anm. 61), der sich der Tendenz der Exilpresse, allwöchentlich den Untergang des "Dritten Reiches" zu prophezeien, schon länger widersetzte, zumindest "nach dem 13. Januar 1935" (Schlamm 1935: 68) für geboten, in den von ihm herausgegebenen Europäischen Heften den von der Exilpresse im Vorfeld der Saar-Abstimmung betriebenen Enthüllungsjournalismus zu kritisieren: 124 "So, und nun wird weiter 'publiziert', 'enthüllt' und 'informiert': wie die Reichswehr mit dem Schacht schon an der Ecke steht; wie eine (und selbstverständlich eine führende) Persönlichkeit aus dem Reich dem Herrn Herausgeber es nach Paris oder Prag schriftlich gibt,... was sich in der Nacht vom soundsovielten auf den soundsovielten in der Bendlerstrasse, respektive in Hitlers Privatkino ereignet hat... Ein paar Wochen später ist zwar alles falsch - aber es war so spritzig geschrieben, so hohnvoll überlegen, so informiert und so animierend!" (Schlamm 1935: 66f.) Die Instrumentalisierung der Homosexuellenverfolgung in diesem Zusammenhang kritisierte auch Schlamm nicht. Zumindest jedoch wirft sein Aufsatz ein Licht auf das Maß an Glaubwürdigkeit, das nicht nur Schlamm dem Konstrukt "trockener 30. Juni" nach der Saar-Abstimmung noch zugestand. Mit einer verantwortungsvollen "Emigrationspublizistik", in der er "eine ungeheure Verpflichtung, eine Arbeit von geschichtlicher Grösse und darum von unbedingter Strenge, von letzter Härte gegen sich selbst" sah, ließ sich der gelinde gesagt fahrlässige Umgang mit der Wahrheit, den jene Exilperiodika pflegten, die "von Kolporteuren vertrieben werden", für Schlamm (1935: 66-68) nicht vereinbaren: "Man höre doch endlich auf, diese Produktion zu lesen! Wer sich gegen einen so radikalen Entschluss sträubt, der stelle ein Experiment an: Er nehme die in den Dezember- und Jännerwochen besorgten Ausgaben dieser unterschiedlichen, sehr unterschiedslosen Blätter, lese sie noch einmal - mit dem Wissen des heutigen Tages. Und der Entschluss wird unabweisbar. Nicht etwa deshalb, weil die eine oder die andere Prognose nicht gestimmt hat - das wäre wahrhaftig nicht einmal ein Betriebsunfall solcher Publizistik; sondern weil sie sich generell und in der Gesamthaltung als unwahr, als - im tiefsten Wortsinn - unproblematisch erweist, als das Produkt einer teilweise peinlichen und teilweise überheblichen Lebensfremdheit und Instinktlosigkeit." (Schlamm 1935: 67) 124 Die politisch polarisierte Exilsituation machte eine solche Kritik auch nach der Saar- Abstimmung zum Wagnis. Emigranten wie Schlamm (1935: 68), die die antifaschistischen Dogmen auch "auf die Gefahr hin, dass man sichs mit vielen Nachbarn und einigen Freunden endgültig verdirbt", kritisierten, wurde von politisch Korrekten wie Heinz Pol (1935a: 19) die Bezeichnung als "Antifascisten" mittels Anführungszeichen streitig gemacht.

174 Zwischen Differenzierung und Rationalisierung: Das stereotypisierte Homosexuellenbild Der Exildiskurs über einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus hatte im Dezember 1934 seinen qualitativen und quantitativen Höhepunkt erlebt. Angesichts der Ende 1934 ins Exil dringenden Nachrichten über Razzien und Massenverhaftungen war das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten von einem Großteil der Exilperiodika nochmals instrumentalisiert und dabei teilweise in einer bislang nicht dagewesenen Form zugespitzt worden. Klaus Manns Intervention gegen die Identifizierung von Homosexualität und Faschismus (vgl. Kapitel 3.6.3) scheint hierauf zunächst keinen mäßigenden Einfluß gehabt zu haben. Erst nach der Saar- Abstimmung, als das Interesse an der Instrumentalisierung der Massenverhaftungen im Abstimmungskampf nicht mehr bestand, setzte sich, wenn auch nur im Pariser Tageblatt, eine Berichterstattung durch, die nicht mehr von der Leugnung der Homosexuellenverfolgung geprägt war. Mit der Kenntnisnahme der Homosexuellenverfolgung aber wurde 1935 ein Differenzierungsprozeß eingeleitet, der schließlich das stereotypisierte Homosexuellenbild der Exilpresse veränderte. Die Verfolgung Homosexueller wurde nun meist als gegeben hingenommen, ohne daß allerdings auf die Figur des homosexuellen Nationalsozialisten verzichtet worden wäre. Die Homosexualität aller Nationalsozialisten oder eine nationalsozialistische Gesinnung aller Homosexuellen ließ sich unter diesen Bedingungen jedoch nicht mehr behaupten. Vielmehr trat nun neben den Typus des homosexuellen Nationalsozialisten der des verfolgten Homosexuellen. Dennoch kam es auch weiterhin zu Publikationen, in denen die Homosexuellenverfolgung ignoriert, und einzig ein personeller oder struktureller Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus thematisiert wurde. Blieben diese Publikationen nunmehr auch eher quantitative Randerscheinungen, so kennzeichnete sie doch meist eine deutliche Steigerung ihres intellektuellen Niveaus. Besonders 1936 und 1937 steigerten sich die Bemühungen, das stereotypisierte Homosexuellenbild im Rahmen verschiedener Faschismus-Theorien zu rationalisieren. Neben den angedeuteten qualitativen Veränderungen jedoch, scheinen die Nachrichten über die Verfolgungen Homosexueller insgesamt einen quantitativen Rückgang der Thematisierung der Homosexualität in der Exilpresse bewirkt zu haben. Seit dem Frühjahr 1935 bis Ende 1937 ließ die diesbezügliche Publikationstätigkeit zunehmend nach. Ähnlich schon wie das totale Verstummen der meisten Exilperiodika nach dem , dokumentierte auch dieser langfristige Rückgang der Publikationstätigkeit das mangelnde Interesse an einem Thema, dessen politische Instrumentalisierbarkeit angesichts der Nachrichten aus Deutschland zunehmend komplizierter wurde. Die Homosexuellenverfolgung an sich war für die meisten Exilperiodika kein Thema.

175 Differenzierung: Homosexuelle als Verfolgte und Verfolger Bereits am 1. Februar 1935 deutete sich in einem Artikel der Homosexuellenzeitschrift Schweizerisches Freundschafts-Banner (1935) an, welch herausragende Bedeutung nicht zuletzt die Berichterstattung über die Homosexuellenverhaftungen vom Dezember 1934 für die Etablierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes gehabt haben mußte. Die Paradigmen des Exilsdiskurses, insbesondere die Vorstellungen über die homosexuelle Veranlagung großer Teile der NS-Führerschaft, waren nunmehr auch vom Freundschafts-Banner, das sich gegenüber der Exilberichterstattung über den sogenannten "Röhm-Putsch" noch als äußerst kritisch erwiesen hatte (vgl. Kapitel 3.5.5), adaptiert worden. Zwar zweifelte das Schweizerische Freundschafts-Banner (1935) nicht an den "Verfolgungen der Homosexuellen, die in letzter Zeit in Berlin und anderen deutschen Städten schon stattfanden", ebensowenig aber stellte es, auf Henry Jordans (vgl. Anm. 123) Andeutungen im Pariser Tageblatt bezugnehmend (vgl. Kapitel 3.6.5), in Frage, "daß fast alle maßgebenden Persönlichkeiten in Hitlers Umgebung sich homosexuell betätigen". Auch die Verfolgung zumindest homosexueller NS-Führer betreffend, schloß sich das Schweizerische Freundschafts- Banner (1935) dem in der Exilpresse vorherrschenden Interpretationsmuster an, demzufolge diese "politisch", nicht jedoch antihomosexuell motiviert sei: "Solange solche Persönlichkeiten bei Hitler in Gnaden sind, dürfen sie (wie seinerzeit der bedauernswerte Staabschef Röhm) tun und treiben, was ihnen beliebt Fallen jedoch diese Großen bei Hitler in Ungnade, dann schießt er den vergifteten Pfeil, den er sorgfältig als Waffe gegen sie im Köcher verwahrte, unbarmherzig ab: sie werden öffentlich dessen beschuldigt, was man vorher niemals hätte beim Namen nennen dürfen: der Homosexualität - die Hitler doch längst bekannt und von ihm geduldet, ja beschützt war." Daß die Paradigmen des Exildiskurses sogar von einer schweizer Homosexuellenzeitschrift, deren Autoren wohl keine finanzielle und ideelle Abhängigkeit von der deutschen 'Emigrantengemeinde' unterstellt werden muß, so weitgehend adaptiert wurden, ließ bereits Anfang Februar 1935 erkennen, daß auch im Rahmen des Exildiskurses weniger mit ihrer kritischen Überprüfung, denn mit ihrer Ergänzung um den Typus des verfolgten Homosexuellen zu rechnen war. Das nach der Saar-Abstimmung in den meisten Exilperiodika plötzlich um sich greifende Verstummen der Rede von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus, die Kenntnisnahme der Homosexuellenverfolgung durch das Pariser Tageblatt, und nicht zuletzt Klaus Manns (1934) Aufsatz für die Europäischen Hefte trugen Anfang 1935 zu einer

176 176 Liberalisierung des Exildiskurses über Homosexualität bei. Diese erleichterte es verschiedenen Autoren, gegen eine Gleichsetzung von Homosexuellen und Nationalsozialisten, aber beispielsweise auch gegen die neuerliche Kriminalisierung der Homosexualität in der Sowjetunion, die ja mit der Brandmarkung der Homosexualität als "Entartungserscheinung der faschistischen Bourgeosie" (Reich 1971: 213) gerechtfertigt wurde (vgl. Kapitel 3.4.2), zu intervenieren. Die erste längere Kritik des inzwischen seit einem Jahr geltenden Anti-Homosexuellen-Gesetzes der Sowjetunion veröffentlichte Julius Epstein 125 im Frühjahr 1934 in der Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie. Epstein beschrieb in seinem Artikel die Entwicklung des russischen Anti-Homosexuellen-Strafrechts, um den gegenüber den letzten zaristischen Gesetzen strafverschärfenden Charakter des neuen sowjetischen Gesetzes zu verdeutlichen. Wie Kurt Hiller (vgl. Anm. 4), wertete er die strafrechtliche Verfolgung der Homosexualität als Verstoß "gegen das Prinzip vom Rechte über sich selbst", da mit ihr "in Wirklichkeit keinerlei Rechtsgut" geschützt werde (Epstein 1935a: 51): "Es war daher ein selbstverständlicher und keines besonderen Ruhmes werter Akt sowjetrussischer Rechtsschöpfung, dass homosexueller Verkehr jeglicher Form an sich ebenso unverfolgt blieb, wie der heterosexuelle. Niemand hatte etwas anderes vom bolschewistischen Strafrecht erwartet." Über die Gründe für die Kriminalisierung wußte Epstein allerdings, wie schon Klaus Mann (1934: 676), der das neue Anti-Homosexuellen-Strafrecht der UdSSR in seinem Aufsatz als erster Emigrant überhaupt kritisiert hatte, nur vom 'Hörensagen' zu berichten; auch er kannte die Äußerungen Gorkis nicht im Wortlaut, mit denen dieser das neue Strafgesetz in der kommunistischen Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung gefeiert hatte: "Dieses Gesetz, das nur für das Gebiet der 'RSFSR' gilt, nicht für die übrigen autonomen Sowjetrepubliken, soll im Hinblick auf zunehmende Männerbünde innerhalb der Roten Armee, nicht ohne Billigung, ja Förderung durch Maxim Gorki zustande gekommen sein. Dieser habe angeblich in einer Rede Front gegen die Homosexuellen gemacht, habe die Homosexualität als typisches Symptom faszistischer Staaten dargestellt und dergestalt einen Rückschritt ins Reich mittelalterlicher Behandlung sexueller Minderheiten vollzogen." 125 Julius Epstein, geb. 1901, arbeitete als Journalist und Schriftsteller emigrierte er in die Tschechoslowakei, wo er als Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften tätig war, unter anderem auch als Korrespondent der New Yorker Neuen Volks-Zeitung flüchtete Epstein in die Schweiz, von wo er 1939 in die USA emigrierte. Dort arbeitete er zunächst für verschiedene Zeitungen, 1965 bis zu seinem Tod 1975 als Professor für internationale Politik an der Lincoln University San Francisco.

177 177 Die geradezu hymnische Verklärung der Sowjetunion als das Land des Fortschritts, die mindestens bis zu den Moskauer Prozessen weite Teile des Exils prägte und allzu viele Emigranten gegenüber negativen Entwicklungen unkritisch und blind machte, brachte auch Epstein (1935a: 51) zum Ausdruck. Er behielt sich jedoch das Recht zur Kritik vor: "Der neue 154a des sowjetischen Strafgesetzbuches stellt einen tief bedauerlichen Atavismus inmitten des sonst strahlenden Geists planetarischen Fortschritts der Sowjet-Union dar. Hoffen wir, dass er den leuchtenden Himmel gesellschaftlichen Fortschritts, gespannt über einem Sechstel der Erde, nicht allzu lange verdunkle!" Im Mai 1935 schaltete sich schließlich auch Kurt Hiller (1935b: 601f.) in den Diskurs über Homosexualität ein. Er, der bereits Ende September 1934 nach Prag geflüchtet war, und dort kurz nach seiner Flucht in einem Interview mit Epstein angekündigt hatte, "in ruhiger aber sozusagen scharfer Sachlichkeit Kritik zu üben am überlieferten Vulgärinhalt der linken Ideologien" (Hiller 1934: 1307), hatte seitdem nicht wenige Gelegenheiten hierzu versäumt. Lediglich in einer Bemerkung seiner in der Neuen Weltbühne publizierten KZ-Erinnerungen hatte Hiller (1935a: 148) Ende Januar 1935 auf den Exildiskurs über Homosexualität Bezug genommen. Ganz im Sinne von Freuds Verdrängungsmodell hatte er hier, von rassistischem Gedankengut selbst nicht ganz unbeeinflußt, behauptet, daß "roher Rassenhass nahezu ausschließlich bei Unrassigen, bei faulen Mischungen, bei schlechtgeratenen, sozusagen objektiv hässlichen Menschen auftritt". Entsprechend den Vorstellungen Blühers (vgl. Kapitel 2.1) galt ihm dies auch für die Homophobie: "Und nur ein vor sich selbst verlogner homosexueller Verdränger hat es in sich, Chef einer Verfolgungsaktion gegen Sokratiker zu werden" (Hiller 1935a: 148). Mit dieser etwas unvermittelten Schlußbemerkung bezog sich Hiller zweifellos auf die seit Dezember 1934 andauernden Verhaftungen Homosexueller in Deutschland. 126 In einer Situation, in der in der Exilpresse versucht wurde, die antihomosexuellen Motive der "Verfolgungsaktion" über die vorgeblich homosexuelle Veranlagung der Verfolger als unglaubwürdig zu erweisen, löste Hiller den behaupteten Widerspruch, Homosexuelle könnten keine Homosexuellen verfolgen, indem er die angeblich homosexuellen Verfolger zu Verdrängern ihrer homosexuellen 126 Hiller (1935f: 1206) umschrieb homoerotische Gefühle oft als "Empfindungen..., wie sie Sokrates, wie sie Michelangelo, wie sie Sodoma erfüllten". Dem Umstand, daß sich die Bedeutung von Hillers Bemerkung nur vor dem Hintergrund der antihomosexuellen "Verfolgungsaktion" vom Dezember 1934 erschließt, ist es darüber hinaus zuzuschreiben, daß sie in seinen 1969 publizierten Memoiren, in denen die KZ-Erinnerungen fast wörtlich wiedergegeben sind, gestrichen ist (vgl. Hiller 1969: 274).

178 178 Veranlagung erklärte. An dem Bild einer (wenn auch verdrängend) homosexuell veranlagten NS-Führerschaft kratzte er damit aber nicht. Im Mai 1935 nun nahm Hiller (1935b: 601) die in Deutschland erschienene Erzählung "Die Templer" (Sommer 1935) zum Anlaß, auf die Ermordung Röhms und die Diskussion über Männerbünde einzugehen: "Nun hängt aber die Geschichte der Templer, um es kurz zu sagen, nicht bloss mit Rom sondern auch mit Röhm zusammen; denn als man die zu mächtig, zu angesehen, zu reich, zu gefährlich Gewordnen entmachtete, entehrte, enteignete, als man sie massenweis einkerkerte, grauenhaft folterte und ihre Führer lebendig verbrannte, da beging man diese legalen Verbrechen unter dem Vorwand, man müsse den Orden strafen, weil seine Mitglieder den Götzen Baphomet angebetet, das heilige Kreuz bespien und 'mit ihren eigenen Körpern ruchlos Unfug getrieben' hätten.... Der historische Hauptvorwurf lautete: sie hätten einander aufs Gesäss geküsst." Hiller (1935b: 601f.) schien jedoch im Gegensatz zu Blüher und Hirschfeld nicht bereit, der Homosexualtät einen konstitutiven Charakter für solche Männerbünde zuzugestehen: "Sollte dergleichen in der Tat bisweilen passiert sein, so wäre es für das Wesen dieses Männerbunds so nebensächlich, für das Walten seines innern Gesetzes so gleichgiltig und unbezeichnend wie jeder andre Auswuchs, jede andre ekle Wunderlichkeit im Betriebe jeder andern Gemeinschaft, deren konstitutives und produktives Prinzip irrationale Bindungen bilden." Mit dieser Argumentation erteilte Hiller jeglichen Konzepten, die Homosexualität in einen ursächlichen Zusammenhang mit Männerbünden, und darüber hinaus mit dem Nationalsozialismus zu stellen suchten, von vorneherein eine Absage. Taktisches Geschick bewies er, indem er mit seinem Begriff der 'irrationalen Bindungen' durchaus auch solche homoerotischer Natur als "konstitutives und produktives Prinzip" von Männerbünden nicht ausschloß, sie aber so lediglich als mögliche unter vielen erscheinen ließ und damit in ihrer Bedeutung abwertete. Insofern ließ Hiller doch noch eine Hintertür zu Blühers Theorien geöffnet, auf die er sich ansonsten des öfteren zu berufen pflegte. Der Ablehnung einer genuinen Verknüpfung von Homosexualität und Männerbund ließ Hiller (1935b: 602) die Analyse möglicher Reaktionen auf Fälle von Homosexualität in einem solchen folgen: "Der Chronist, aus einem Abstand von gut sechs Jahrhunderten, hat den bizarren Bezichtigungen gegenüber drei Möglichkeiten einer Haltung. Erstens kann er in Brusttönen sittlicher Entrüstung sich dem Verdikt von damals anschliessen; das würde freilich Parteinahme für Frankreich und

179 179 die Kirche bedeuten. Er kann zweitens - geschult an Freud, belehrt durch Hirschfeld, gestützt auf Blüher - im Monströsen die Natur, im Schändlichen das Schöpferische aufzeigen, kann die auf den Pöbelgeschmack berechnete Inquisitoren-Verzerrung des zarten Geheimnisses ins Phallisch- Grobe brandmarken, kann durch psychologische und sozialphilosophische Analyse den Orden exkulpieren, ja legitimieren. Hätte Ernst Sommer das getan, dann würde sein Buch eine geistige Leistung gewesen und im Staate A. Hitlers als 'kulturbolschewistisch' verboten worden sein. Er wählte tatsächlich die dritte Haltung: er verteidigt die Templer - aber er verteidigt sie, indem er alles schlankweg auf böswillige Verleumndung zurückführt, die Vorwürfe einfach für gegenstandslos erklärt, auf Unschuld plädiert." Anhand der Parallele des Umgangs mit den Vorwürfen gegen die Tempelritter, hielt Hiller jenen Antifaschisten, denen zu der Ermordung Röhms nichts besseres eingefallen war, als ihre alten Anwürfe gegen Röhm nun endlich bestätigt zu sehen, einen Spiegel vor. Sie waren diejenigen, die mit Frankreich und der Kirche, im Falle Röhms mit Hitler und Konsorten, in den Chor der sittlichen Entrüstung miteinstimmten. Zudem verdeutlichte Hiller, auf welcher Ebene nur die Duldung der Homosexualität Röhms "im Staate A. Hitlers" möglich gewesen war: mittels ihrer Leugnung. Er rückte die im Exildiskurs ignorierte Homophobie der Nationalsozialisten in den Blickpunkt, die das "als 'kulturbolschewistisch' verboten", was "im Monströsen die Natur, im Schändlichen das Schöpferische" aufzeige, um es zu "exkulpieren, ja legitimieren". Zweifellos jedoch hatten die Parallelen zwischen Templern und SA auch ihre Grenzen, wäre es doch keine Alternative für den antifaschistischen Diskurs gewesen, bei Röhm oder der SA nach schöpferischen Gehalten ihres Wirkens zu suchen. Indem er aber "gestützt auf Blüher" eine potentiell schöpferische Kraft des Männerbundes behauptete, riss Hiller ihn aus dem grundsätzlich negativen Kontext, in den ihn der Exildiskurs gestellt hatte. Charakteristisch für Hillers Beiträge zum Exildiskurs über Homosexualität war vor allem 1935, daß er sie in einen zunächst inhaltsfern erscheinenden Kontext kleidete. Es spricht vieles dafür, daß dies auch der Publikationspolitik der Neuen Weltbühne geschuldet war, für die Hiller bis zu einer Auseinandersetzung mit ihrem Herausgeber Budzislawski (vgl. Anm. 75) Ende 1936 schrieb; zumindest thematisierte die Neue Weltbühne Homosexualität ansonsten fast überhaupt nicht mehr. Beispielhaft für die in der Neuen Weltbühne veröffentlichten Aufsätze Hillers, in denen er Homosexualität am Rande thematisierte, ist einer über André Gide, in dem er sich über den "Anstoss, den" dieser mit seinen Thesen "dort erregen muß, wo man ihn eben frisch bewillkommnet," (Hiller 1935c: 625) amüsierte. Willkommen geheißen wurde Gide zu diesem Zeitpunkt noch in der Sowjetunion, die das Bündnis mit 'bürgerlichen Kräften' suchte, in eben jener Sowjetunion, die inzwischen seit über einem Jahr die Homosexualität kriminalisierte. Anstoß erregen müssen hätte Gide dort zweifellos "mit der - schon von

180 180 Wilde verfochtenen - These, dass Kommunismus und Individualismus alles andre als ein Gegensatz sei. Oder mit der Behauptung, dass die Unerfreulichkeit unserer Gesellschaft und der Verfall unserer Sitten zu einem guten Teil daher rühren, dass man sich anmasst, den Uranismus aus ihr zu verbannen, welcher als Bestandteil einer Gesellschaft unentbehrlich bleibt, die gut funktionieren soll." (Hiller 1935c: 625) Auch Magnus Hirschfelds Tod am 14. Mai 1935 in Nizza, wohin er sich zurückgezogen hatte, nachdem seine Versuche, in Paris ein neues Institut für Sexualwissenschaft zu begründen, erfolglos geblieben waren, hätte Anlaß bieten können, die Paradigmen des Exildiskurses über Homosexualität zu reflektieren. Obwohl jedoch in mehreren Exilzeitschriften Nachrufe auf Hirschfeld publiziert wurden, kam es meist nicht zu einer selbstkritischen Überprüfung des stereotypisierten Homosexuellenbildes. So veröffentlichte der ehemalige Mitarbeiter Hirschfelds, Max Hodann 127 (1935: 73f.), im Internationalen Ärztlichen Bulletin einen Nachruf, in dem er dem Eindruck, Hirschfelds "Tätigkeit habe sich im wesentlichen darauf erstreckt, eine Befreiung der Homosexuellen von der gesellschaftlichen und juristischen Verfemung zu erreichen", entgegenzuwirken versuchte. Dabei offenbarte Hodann, daß er von dieser Tätigkeit Hirschfelds erstaunlich unbeeinflußt geblieben war, tradierte er doch unkritisch die Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten: "Es ist aber Tragikomik, daß die Nazis, deren Reihen so stark von homosexuellen Menschen durchsetzt sind, ausgerechnet den Mann für einen ihrer schlimmsten Widersacher gehalten haben, dem es zu verdanken ist, daß das Lebensrecht dieser zwei Prozent sexuell abweichend veranlagter Menschen heute in der europäischen Öffentlichkeit überhaupt diskutiert wird." (Hodann 1935: 73) Im Gegensatz zu Hodann sah Kurt Hiller (1935d: 336), der Hirschfeld in einem in der Prager Zeitschrift Die Wahrheit (Hiller 1935e) sowie in der schweizer Gesundheit und Wohlfahrt (Hiller 1935d) publizierten Nachruf würdigte, Hirschfelds "Kampf gegen die Entrechtung einer Spielart" als den "Kern und Sinn seines Lebens". Wie umstritten Hirschfelds Theoriebildung jedoch inzwi- 127 Max Hodann, geb. 1894, war in den zwanziger Jahren als Stadtarzt, Leiter des Gesundheitsamtes Reinickendorf und Mitarbeiter des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin tätig. Darüber hinaus war Hodann Vorstandsmitglied der Vereinigung sozialistischer Ärzte und anderer sozialistischer Organisationen. Im Februar 1933 in 'Schutzhaft' genommen, flüchtete er im Sommer 1933 in die Schweiz, von dort über Frankreich nach Norwegen. Von 1936 bis 1938 Militärarzt im Spanischen Bürgerkrieg, kehrte er anschließend nach Norwegen zurück. Vor der deutschen Besetzung Norwegens flüchtete er nach Schweden, wo er 1946 starb.

181 181 schen war, zeigte sich daran, daß Hiller (1935d: 333) auf Distanz ging: "Seine Stärke lag nicht dort, wo etwa Sigmund Freuds Stärke liegt: in der Deutung von Tatsachen (der magischen Werfung des Strahls unter den Wasserspiegel); sie lag in der Aufzeigung von Tatsachen". Hiller nutzte den Nachruf auf Hirschfeld zudem zu zwei 'Angriffen', einer gegen die Nationalsozialisten und deren Haß auf Hirschfeld gerichtet, der zweite gegen die Feigheit jener Emigranten, die die sowjet-russische Kriminalisierung der Homosexualität wider die eigene Überzeugung beschwiegen. Interessant machte diese beiden Angriffe jedoch nicht nur ihr Inhalt, sie wurden zudem zum Ausdruck der extremen Polarisierung der europäischen Öffentlichkeit in den dreißiger Jahren. Während nämlich in der um Neutralität gegenüber dem "Dritten Reich" bemühten Schweiz die Zeitschrift Gesundheit und Wohlfahrt, die im übrigen auch Artikel von nach wie vor in Deutschland wohnhaften Autoren veröffentlichte, die gegen die Nationalsozialisten gerichteten Stellen Hillers strich, zog die Prager Wahrheit mit der Streichung der 'moskaufeindlichen' Stelle in Sachen Zensurgebaren gleich. Zunächst die Stellen, die in der Schweiz nicht erschien (der erste Halbsatz bis zum Semikolon wurde noch gedruckt): "Für einen der größten Sexuskenner des Jahrhunderts hatte die Republik keinen Lehrstuhl; das Dritte Reich hatte für diesen Solitär der Wissenschaft den Scheiterhaufen - auf den es seine Bücher und seine Büste schmiß und dem es ihn wohl auch persönlich überantwortet haben würde, hätte es Gelegenheit gehabt, ihn anders als in effigie zu verbrennen. Schon 1920 war, in München, ein Schüler A. Hitler's auf den schöpferischen Einfall gekommen, Magnus Hirschfeld's Theorien in der Weise zu widerlegen, daß er dem Theoretiker abends in dunkler Straße auflauerte und ein Stück Eisen über den Schädel hieb; mit knapper Not entging das Opfer einer gegen den vergiftenden, zersetzenden, zerstörenden Geist gerichteten, aufbauend völkischen Weltanschauung damals dem Tode. Ja, den Ratten der Lüge Gift zu streuen, die Dummheit zu zersetzen, traditionelle Vorurteile zu zerstören, war schon zu jener Zeit untersagt!" (Hiller 1935e: 7) Auch durfte Goebbels Hirschfelds Andenken nicht zerstören wollen: in Hillers (1935e: 7f.) Bemerkung, Hirschfelds Schriften seien "Blöcke eines Denkmals, das kein Goebbels zerstören kann", wurde letzterer durch "niemand" (Hiller 1935d: 336) ersetzt. Der Wahrheit stieß dagegen folgende Wahrheit auf. Einen Vergleich mit dem Journalisten von Kupffer ziehend, der 1898 zwar die WhK- Petition gegen den 175 zu unterschreiben, nicht jedoch diese "bedeutsame Angelegenheit" in seiner Zeitung zu erörtern bereit war, schrieb Hiller (1935d: 334): "Man muß nicht Scherlredakteur sein, um zwischen Überzeugung und Opportunität so ängstlich einherzutrippeln. Übrigens war von Kupffers Haltung, gemessen am Standard des Wissens von 1898, noch mutvoll,

182 182 beherzter jedenfalls, als die manches 'revolutionären' Knickebeins von heute, der nicht Piep zu sagen wagt, wenn die Sowjetrussische Regierung (welche in andern Punkten liebenswerter handelt) das durch die Oktoberrevolution beseitigte zarische Ausnahmegesetz gegen die Gleichgeschlechtlichen wiedereinführt und noch verschärft - weiß der Teufel, ob unter dem Einfluß ignoranter Mucker à la Gorki oder unter dem Bann scheinkennerisch-absurder Hypothesen Alfred Adlers (Individualpsychologie schützt vor Torheit nicht)." Auch wenn Hillers " 'revolutionäre' Knickebeins" mehr noch denn auf jene Antifaschisten, die schon seit Jahren an der Konstruktion eines genuinen Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Faschismus arbeiteten, auf schwule Kommunisten vom Schlage eines Johannes R. Becher oder Ludwig Renn gemünzt gewesen sein dürften: der Wahrheit war es so oder so zu viel; sie druckte die Stelle nicht. Daß sich allerdings ausgerechnet Hiller zu einer solchen Kritik berufen sah, zeugt von seiner Selbstgerechtigkeit, denn auch er hatte das neue sowjetische "Ausnahmegesetz gegen die Gleichgeschlechtlichen" bislang nicht kritisiert. Am kam die seit Dezember 1934 zu verzeichnende Verschärfung der Homosexuellenverfolgung im "Dritten Reich" mit der Ausweitung der Tatbestandsmerkmale des 175 RStGB zu einem weiteren Höhepunkt. Insbesondere die Ersetzung des Begriffes "widernatürliche Unzucht" durch "Unzucht" (vgl. Reichsgesetzblatt 1935b: 841) verschärfte den Straftatbestand erheblich, war doch, im Gegensatz zur bisherigen Regelung, die lediglich eine "beischlafähnliche Handlung" (vor allem die anale Penetration) kriminalisierte, nunmehr "jegliche sexuelle bzw. als sexuell gewertete (!) Handlung" (Grau 1990: 109) zwischen Männern mit Strafe bedroht. Auch die Verschärfung des 175 RStGB mußte zu einer Differenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse beitragen, obgleich sie zunächst von den meisten Exilperiodika ignoriert wurde. So berichtete das Pariser Tageblatt (1935h) am sogar noch, es sei geplant, daß "die Unzucht zwischen Männern in gleicher Weise bestraft wird wie bisher". Ein Bericht des Pariser Tageblattes (1935i) vom über "eine wesentliche Verschärfung der Strafbestimmung für die Unzucht zwischen Männern" blieb dagegen einer der wenigen Artikel über den neuen Paragraphen. Dennoch zeigte sich, insbesondere auch nach der Verschärfung des 175 RStGB, daß die Homosexuellenverfolgung des "Dritten Reiches" in der Exilpresse zunehmend ernster genommen wurde. Von dieser Tendenz zeugt nicht nur die vermehrte Publikationstätigkeit von Autoren wie Kurt Hiller und Julius Epstein, sondern gerade auch das weitgehende Schweigen jener, die bislang einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Faschismus zu erweisen sich bemüht hatten. Die wenigen Artikel jedoch, in denen letztere weiterhin Homosexualität thematisierten, wiesen darüber hinaus

183 183 auch einen qualitativen Wandel auf. So ließ es sich Heinz Pol (1935b: 934) in einem in der Neuen Weltbühne veröffentlichten Artikel zwar nicht nehmen, darauf hinzuweisen, daß der neue Berliner Polizeipräsident Wolf Heinrich Graf von Helldorf, von Pol als "der fesche Helldorf" tituliert, homosexuell sei; der Kontext, in dem er es tat, war allerdings neu. "Seine homosexuelle Veranlagung und seine Trunksucht verhinderten, dass er bei der allgemeinen Postenverteilung auf einen allzu hell beleuchteten Platz kam", schrieb Pol (1935b: 934), und räumte damit erstmals ein, daß eine "homosexuelle Veranlagung" einer Karriere im "Dritten Reich" durchaus hinderlich sein könne. Auch wenn Pols Formulierung von dem "hell beleuchteten Platz", der Helldorf verwehrt blieb, den Diskurs über die homosexuellen NS-Führer nicht grundsätzlich in Frage stellte, so nuancierte er ihn immerhin deutlich, war doch bis dato auch von ihm eine homosexuelle Veranlagung zur Voraussetzung stilisiert worden, um in die "nächste Umgebung des Führers" (Pol 1934c: 1633) aufzusteigen. Kennzeichnend für die Differenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse war 1935 nicht etwa eine Verabschiedung vom Typus des homosexuellen Nationalsozialisten, sondern die Entwertung seiner Stellung im, und seiner Bedeutung für das "Dritte Reich". Die Berichterstattung insbesondere des Pariser Tageblattes über die seit Dezember 1934 erfolgten Massenverhaftungen Homosexueller und die Verschärfung des 175 RStGB ließen in der zweiten Hälfte des Jahres 1935 die Vorstellung sich durchsetzen, daß im "Dritten Reich" trotz der angeblich homosexuellen Veranlagung vieler Nationalsozialisten eine systematische Homosexuellenverfolgung betrieben würde. Angedeutet hatte eine solche Interpretation Ende 1934 bereits Klaus Mann (1934: 678): "Den Nazis steht es wohl an, teils homosexuelle Cliquen zu bilden, teils die Homosexuellen einzusprerren, zu kastrieren oder zu erschießen". Nach der Verschärfung des 175 RStGB entwickelte Julius Epstein (1935b) diese Vorstellung in einem Aufsatz für die Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie weiter. So verwies Epstein (1935b: 178) gleich im ersten Satz seines Artikels auf "die grosse Rolle der Homosexualität bei Aufbau und Untergang des Dritten Reichs". Einer bedeutenden "Rolle der homosexuellen Bindungen in SA, SS und in der Hitlerjugend" war er sich ebenso gewiß, wie dessen, "dass hervorragende Führer des Nationalsozialismus homosexuell waren und sind" (Epstein 1935b: 178). Im Gegensatz jedoch zu dem noch ein halbes Jahr zuvor in vielen Exilperiodika verbreiteten Bild vom 'Dritten Reich der Homosexuellen', war Epsteins Betrachtungsweise nun differenzierter, identifizierte er 'die' Homosexuellen doch nicht mehr mit 'den' Nationalsozialisten. Vielmehr integrierte er die Tatsache in seine Vorstellungswelt, daß es im "Dritten Reich" eine Verfolgung Homosexueller aufgrund ihrer Homosexualität, und nicht nur als solche Bezeichneter aufgrund innerparteilicher Machtkämpfe gäbe. So hätten "unmittelbar nach Etablierung" des NS-Regimes "die Razzien in den entsprechenden Lokalen Berlins" begonnen, die "männlichen Prostituierten wurden misshandelt, verhaftet, ermordet". Auch die Emigration Homosexueller regi-

184 184 strierte Epstein: "Zahlreiche flüchteten ins Ausland, wo sie die grauenhaften Einzelheiten der erlittenen Misshandlungen schilderten". In dieser "offiziellen Behandlung der Homosexuellen durch das Dritte Reich" sah Epstein (1935b: 178) "beispiellose Heuchelei", verfolgten in seinen Augen doch Homosexuelle ihresgleichen; zu einer Differenzierung zwischen ihre homosexuelle Veranlagung verdrängenden Verfolgern, und nicht verdrängenden Verfolgten, wie bei Hiller (1935a: 148), kam es bei Epstein nicht. Er glaubte diesen Widerspruch vielmehr auflösen zu können, indem er die Verschonung homosexueller Nationalsozialisten vor Verfolgung unterstellte. Entsprechend meinte er zumindest eine Ausnahmeregelung des neuen 175 RStGB interpretieren zu können, nach der Tatbeteiligte unter einem Alter von einundzwanzig Jahren in "besonders leichten Fällen" straffrei ausgingen: "Hat er [der Richter] z. b. zwei oder mehrere gesinnungstüchtige Hitlerjungen vor sich, die vielleicht von nicht nationalsozialistischer Seite angezeigt wurden - soweit dies überhaupt in Deutschland denkbar ist - so kann er selbst bei klarstem Tatbestand stets durch Annahme eines besonders leichten Falls freisprechen." (Epstein 1935b: 180) Für "bemerkenswerter" an der Neufassung des 175 RStGB hielt Epstein (1935b: 178) allerdings "die Erweiterung dieses Strafrahmens nach oben", wie er den neuen Paragraphen überhaupt als beispiellose "Barbarei in der Behandlung sozial unschädlicher sexueller Minderheiten" interpretierte. Doch auch als Ursache der Verschärfung des Strafrahmens sah er nur die Intention, "in allen Fällen, in denen politisches Interesse dies geboten erscheinen" lasse, auf die Höchststrafe erkennen zu können. Mit dieser Interpretation ignorierte Epstein nicht nur die im Frühjahr 1935 erfolgten Verhaftungen einflußreicher NS- Beamter, er nahm bereits die Deutung der NS-Homosexuellenverfolgung als Strategie zur Ausschaltung politischer Gegner, die in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik an Popularität gewann, vorweg. Hatte Epstein allerdings noch die systematische Verfolgung nicht nationalsozialistisch gesonnener Homosexueller als Folge ihrer Veranlagung betrachtet, und damit übrigens die Vorstellung von einer fast notwendigen Interdependenz zwischen homosexueller Veranlagung und nationalsozialistischer Gesinnung aufgebrochen, so sahen die Historiker in der Homosexuellenverfolgung später vornehmlich einen Vorwand zur Ausschaltung politischer Gegner (vgl. Kapitel 3.6.1). Wie Epsteins Aufsatz, zeigte auch ein von Kurt Hiller (1935f) im September 1935 in der Neuen Weltbühne veröffentlichter Artikel, daß mit der Differenzierung des Homosexuellenbildes der Exilpresse weniger eine Loslösung vom Stereotyp des homosexuellen Nationalsozialisten, denn eine Ergänzung des 'alten' Bildes um den Typus des nicht faschistischen, und deshalb verfolgten Homosexuellen einherging. Hiller legte in seiner Glosse "Der Unterschied" insbesondere auf eine differenzierte Betrachtungsweise der vermeintlichen Parallelen

185 185 zwischen nationalsozialistischer und schwuler 'Kultur' und Ästhetik wert. Anhand einer Bemerkung Hitlers, der "deutsche Junge der Zukunft" solle "schlank und rank sein, flink wie ein Windhund, zähe wie Leder und hart wie Kruppstahl", konstatierte Hiller (1935f: 1206) eine "äusserst positive Beziehung des Reichskanzlers zu jungmännlicher Schönheit" und nahm damit den Diskurs über die angeblich auch homoerotische Veranlagung des "Führers" auf. Bereits mit seiner Anspielung auf den "Chef einer Verfolgungsaktion", der nur ein "vor sich selbst verlogner homosexueller Verdränger" sein könne, hatte Hiller (1935a: 148) wahrscheinlich auf Hitler gezielt. Auch Epstein (1935b: 178) hatte, vermutlich in Anlehnung an seinen Freund Hiller, behauptet, nach "Meinung der tiefsten Kenner der Materie" sei Hitler ein "homosexueller Verdränger par excellence", wobei dieser Begriff des "homosexuellen Verdrängers" von ihm sicherlich im Sinne von Blüher gebraucht wurde, dessen "homosexueller Verdränger" zum "Verfolger" von ausgelebter Homosexualität wird (vgl. Kapitel 2.1). Den Unterschied zwischen den Idealen eines Verdrängers Hitler, und den antiken Idealen so manches nicht verdrängenden Schwulen, bemühte sich nun Hiller (1935f: 1206) in seiner Glosse aufzuzeigen: "Freilich spielt in den Schönheitsträumen dieser Hellenen und Hellenisten [gemeint sind u. a. Sokrates, Michelangelo, Wilde, George] die sportliche, die tierisch-muskuläre Qualität der Jünglinge keine ausschließliche Rolle, weder das Windhündische noch das Kruppstählerne; ein nichtkörperliches Element tritt beseelend hinzu. Beim Reichskanzler ist dies der 'Gehorsam'." Der "Kanzler" zeige "pädagogische Milde; er stellt bescheidene Ansprüche", so Hiller sarkastisch, denn "Wissen und Bildung" verlange "er nicht; der Intellekt hat während des Dritten Reiches Ferien". Entsprechende "nichtkörperliche" Tugenden seien für das "Dritte Reich" eben untragbar (Hiller 1935f: 1206f.): "Erziehung der Jugend zur Ritterlichkeit, zum Feingefühl, zur Gerechtigkeit fordert er ebensowenig: zu schweigen von einer Anleitung zur Betätigung der kritischen Vernunft, zu geistiger Besinnung, zu männlicher Selbständigkeit des Denkens. Tugenden dieser Art sind, begreiflicherweise, in den Augen des Autokraten Laster: sie zersetzen die Autokratie. Kenntnisse, tieferer Blick, Kultur des Fühlens, Fairness, Kritizität, Charakter -: selbstverständlich 'Degenerations-erscheinungen'." Während der hellenische Humanismus diese Tugenden "in sein Ideal vom Jüngling hineinnimmt, ja dessen Schönheit als ihren Ausdruck fasst", begreift sie der 'Führerstaat' als "Entartung", und, so Hiller (1935f: 1207): "Aus der Entartung erlöst das Gehorchen". Auch Hiller konzessierte, indem er eine zumindest unterbewußt homosexuelle Veranlagung Hitlers nachzuweisen suchte, einen

186 186 Zusammenhang zwischen 'homosexueller' Veranlagung und Faschismus. Dieser sollte hier allerdings in vermittelter Form bestehen: über den "homosexuellen Verdränger", der mit hellenisch-homoerotischen Idealen allenfalls die der Körperlichkeit teile. Insofern verwies er auf die positiven Traditionen der Geschichte der Homosexualität und widersprach der Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten, die die Homosexualität als "eine ausserordentlich starke psychische Verankerung der faschistischen Ideologie" (Sex-Pol 1934: 272) begreifen wollte. Dennoch muß festgehalten werden, daß sich auch relativ kritische 'Geister' wie Kurt Hiller zumindest nicht von dem Paradigma des Exildiskurses, nach dem es unter den Nationalsozialisten besonders viele Homosexuelle gäbe, lösten; Hiller trug, wie schon Epstein, lediglich zu einer Differenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse bei, indem er der Notwendigkeit einer Verknüpfung der homosexuellen Veranlagung mit nationalsozialistischer Gesinnung widersprach. Daß der im Jahre 1935 einsetzende Differenzierungsprozeß die Vorstellung von einer fundamentalen Bedeutung der Homosexualität für den Nationalsozialismus nicht grundsätzlich in Frage zu stellen geeignet war, erweist auch, daß sie gerade in diesem Zeitraum in die populärwissenschaftliche Literatur übernommen wurde. So erklärte Rudolf Olden 128 in seiner 1935 veröffentlichten Hitler-Biographie: "Daß ihm [Hitler] die besondere Veranlagung Röhms und seines Kreises seit vielen Jahren bekannt ist, daß sie nicht auf den engen Kreis des Stabschefs beschränkt ist, sondern einer der Grundpfeiler der nationalsozialistischen Gemeinschaft, - das Alles ist weitbekannt." (Olden 1981: 324) Im Frühjahr 1936 nahm Kurt Hiller (1936a) schließlich doch zu dem sowjetrussischen Anti-Homosexuellen-Gesetz von 1934 Stellung. Diese Kritik gleichzeitig auch des geplanten Verbots der Abtreibung in der UdSSR veröffentlichte Hiller bereits in der vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) 129 herausgegebenen Pariser Zeitschrift Sozialistische Warte, die eine von Moskau unabhängige Position zum Sozialismus verteidigte; vermutlich hatte sich die Neue Weltbühne geweigert, entsprechendes zu drucken. Ende 1936 zumindest 128 Rudolf Olden, geb. 1885, studierte Rechtswissenschaften und arbeitete nach dem ersten Weltkrieg als Journalist, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur des Berliner Tageblattes flüchtete er über Prag nach Paris, 1934/35 in das Saargebiet, wo er als Chefredakteur der Zeitschrift Das Reich, die Hubertus Prinz zu Löwenstein (vgl. Anm. 121) herausgab, tätig war emigrierte er nach Großbritannien, 1940 kam er bei einer Atlantiküberfahrt ums Leben. 129 Der ISK, eine kleine sozialistische Gruppierung, die sich, den Marxismus ablehnend, um die "Entwicklung eines neuen sozialistischen Konzepts aus der Ethik Kants" (Maas 1990: 376) bemühte, hatte bereits in der Weimarer Republik existiert etablierte sich das Zentrum der ISK-Emigration in Paris, nach Kriegsausbruch in London. Ende 1945 löste sich der ISK auf und empfahl seinen Mitgliedern den Eintritt in die SPD.

187 187 zogen Querelen zwischen Hermann Budzislawski und Kurt Hiller (1980: 78f.) über die Frage, unter welchen Bedingungen Hillers Artikel zu veröffentlichen seien, dessen Trennung von der Neuen Weltbühne nach sich. Tatsächlich erging sich Hiller in seinem "Rückschritte der Sowjetunion" betitelten Aufsatz auch nicht gerade in moskaufreundlichen Erklärungen: "Sozialismus gleich Unterdrückung: schlimm genug, wenn man dort, wo der Gläubige wirklichen Sozialismus sucht, diese rückschrittliche Auffassung zur eignen macht. In Russland ist das neuerdings, zumindest auf dem Gebiete des Sexualstrafrechts, geschehen." (Hiller 1936a: 326) Hiller (1936a: 326) erkannte in der neuen repressiven Haltung der Sowjetunion auch eine Folge dessen, daß Sozialisten "kulturrevolutionäre Ideen", etwa von der Gleichberechtigung der Homosexuellen, meist nur "in ihr Agitationsrepertoire" aufnahmen: "Wahr ist, dass die reformatorische Initiative auf all diesen Gebieten keineswegs von Marxisten ausging". Die das neue Gesetz rechtfertigenden Äußerungen eines Gorki oder auch Barbusse (nach letzterem etwa war Homosexualität als "ein Merkmal des tiefen sozialen und sittlichen Verfalls eines bestimmten Teiles der gegenwärtigen Gesellschaft" zu begreifen) analysierte Hiller (1936a: 328) folgendermaßen: "Beide Aeusserungen verraten einen starken Kontra-Instinkt gegen einen ihnen vom Gefühl her fremden, unbegreiflichen, unheimlichen Menschentyp, und man kann diesen instinktiven Hass gegen das Fremde eigentlich nur mit dem Rassenhass vergleichen; sie verraten im übrigen starke Unkenntnis. Wer die sexualsoziologischen Tatbestände einigermassen durchforscht hat, weiss, dass im Proletariat die sexuellen Anomalien einschliesslich der Gleichgeschlechtlichkeit, nicht minder verbreitet sind als in der Bourgeoisie und dass weder in Deutschland noch in anderen Ländern die mannmännliche Liebe ein Monopol der nationalistischen Kreise ist. Dass sie in Berufsheeren und uniformierten Männerbünden häufiger vorkommt als anderswo, bleibt unbestreitbar, ergibt sich dem Psychologen zwanglos von vornherein und steht ausser jedem Zusammenhang mit dem Inhalt der politischen Gesinnung, die in diesen Heeren, diesen Bünden herrscht." Gefährliche Folgen der Homosexualität sah Hiller (1936a: 327) dagegen, ganz im Sinne des Konzepts vom "homosexuellen Verdränger", nur im Falle der Kriminalisierung dieser biologischen "Minderheit, die, als solche, der Mehrheit weder über- noch unterlegen, weder gesellschaftsnützlich noch gesellschaftsschädlich ist und höchstens dadurch schädlich werden kann, dass man sie zu unterdrücken sucht und verfolgt, was den Charakter dieser Menschen, falls er nicht stahlhart ist, verbiegt und ihr Nervensystem zerrüttet". Statt sich "kritisch kastrieren und" zum "devoten Eunuchen machen" zu lassen, der "unter keinen

188 188 Umständen einen Widerspruch wagt", forderte Hiller (1936a: 331) die Gleichberechtigung Homosexueller ein: "Dass Gleichgeschlechtliche ihrer Natur entsprechend handeln dürfen..., dass diese sexualbiologische Minderheit desselben staatlichen und internationalen Schutzes würdig ist, dessen sich, zumindest in der Theorie, religiöse, rassische und nationale Minderheiten erfreuen - auch hieran ändert die Forderung und Wirklichkeit einer sozialistischen Gesellschaftsstruktur nicht das geringste. Wenn die Sowjetrussen in dieser Sache umlernten, so ist das alles andre als ein Grund für uns, unsrerseits umzulernen." (Hiller 1936a: 330f.) Auch Wilhelm Reich (vgl. Anm. 68) bezog in seinem 1936 veröffentlichten Buch "Die sexuelle Revolution" zu dem Anti-Homosexuellen-Gesetz der Sowjetunion Stellung. Reich, nach seinem KPD-Ausschluß inzwischen selbst äußerst moskaukritisch, relativierte die noch 1933 in seinem Buch "Massenpsychologie des Faschismus" gemachten Aussagen über Zusammenhänge von Faschismus und Homosexualität (vgl. Kapitel 3.4.2). Zwar unterstellte er weiterhin, daß die Homosexualität in der "Zentralorganisation Röhms" verbreitet gewesen sei, erklärte sie aber nunmehr als "männerbündlerische" (Reich 1971: 213) und damit nicht an nationalsozialistische Organisationen gebundene. Auch die mittlerweile bekannt gewordene nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung diente ihm als Argument gegen einen beispielsweise von Gorki (1934: 1298) behaupteten originären Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus: "Man übersah [in der Sowjetunion] darüber hinaus völlig die ideologische Stellung des Faschismus zur Homosexualität, die gleichfalls ablehnend war, vgl. 30. Juni 1934, in der Hitler die ganze Führung der SA mit der gleichen Begründung ausrottete, mit der in der Sowjetunion die Homosexuellenverfolgungen eingesetzt hatten. Es ist klar, das mit derartigen chaotischen Vorstellungen über die Beziehungen der Sexualität zum Faschismus und zu allgemeinen Fragen des Geschlechtslebens überhaupt nichts zu erzielen ist." (Reich 1971: 214) Im Frühjahr 1936 veröffentlichte die Neue Weltbühne die "Warnung" eines anonymen "SS-Standartenführers X" (1936: 580) an die "nationalsozialistischen Machthaber". Dieser Artikel war ohne Begleitschreiben "aus einer Stadt Südosteuropas" (Hiller 1936b: 581) an die Neue Weltbühne gesandt worden. Kurt Hiller (1936b: 583) zweifelte nicht an "seiner Authentizität", und so wurde er mit einer sich anschließenden Replik Hillers gedruckt. Die "Warnung" des angeblichen Standartenführers (1936: 578f.) bezog sich auf die "am 30. Juni 1935" (sic! Tatsächlich war es der 28. Juni, was sogar im Exil bekannt war; veröffentlicht

189 189 wurde das neue Gesetz am 5. Juli 1935) ergangene Verschärfung des 175 RStGB, von der sich er und "22 SS- und SA-Führer nebst einigen jüngeren und älteren Offizieren, die" trotz ihrer "Gleichgeschlechtlichkeit am Nationalsozialismus" festhielten, bedroht fühlten. Sollte einer von ihnen "wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen verfolgt" werden, so die Drohung des "Standartenführers" (1936: 580f.), so würden sie "Material, das uns ermöglichen würde, der Hitlerpartei einen Schlag zu versetzen, von dem sie sich nicht erholen würde", und das an "zwei nur uns 22 bekannten Stellen im Auslande hinterlegt" sei, veröffentlichen: "Wir werden im Notfalle nicht davor zurückschrecken, die ganze nationalsozialistische Bewegung auffliegen zu lassen". 130 Welcher Art dieses Material sein sollte, ergab sich aus dem Artikel nicht, er suggerierte jedoch, daß es sich um Beweise bezüglich der Homosexualität nicht unbedeutender Persönlichkeiten der "Hitlerpartei" handeln müsse. Daß die "nationalsozialistischen Machthaber" die Homosexuellen trotz dieser angeblich homosexuellen Veranlagung führender NS-Parteifunktionäre kriminalisierten und verfolgten, erklärte der "Standartenführer" (1936: 581) mit ihrer Unkenntnis der Lage: "Sie mögen den Anteil der Gleichgeschlechtlichen am Triumph der nationalsozialistischen Bewegung noch so gering veranschlagen, dass er gewaltig war, wird selbst der Verblendetste nicht leugnen können. Im Grunde waren es die Gleichgeschlechtlichen, die den Nationalsozialismus zum Siege geführt haben. Es könnte leicht sein, dass auch sie ihn wieder stürzen werden." Die Authentizität dieser "Warnung" dürfte sich kaum mehr überprüfen lassen. Frappierend ist allerdings, daß sie den Exildiskurs über die homosexuellen Nationalsozialisten und deren Bedeutung für die "nationalsozialistische Bewegung" mit einer kaum zu überbietenden Treffsicherheit bestätigte. Auch die Datumsverwechselung (hier hatte der Autor anscheinend das Jahr 1934 im Kopf) sollte skeptisch machen. Kurt Hiller (1936b: 584) jedoch zog die Authentizität in seiner Entgegnung nicht in Zweifel; er meinte, ein "Bluff" wäre sinnlos: "Niemandem wäre gedient damit und niemandem geschadet". Allein schon diese Reaktion Hillers zeugt von dem trotz aller Differenzierungstendenzen nach wie vor hohen Verbreitungs- und Glaubwürdigkeitsgrad des Stereotyps vom homosexuellen Nationalsozialisten: der Brief des Standartenführers X fiel auf fruchtbaren Boden. Kurt Hiller (1936b: 582) verdeutlichte mit seiner Entgegnung "Ein anonymer Brief" nochmals, daß er das Paradigma des Exildiskurses, demzufolge "die 130 Zu einer Veröffentlichung des "Materials" kam es damals freilich nicht, auch wurde derartiges bis heute nicht gefunden. Ähnlichkeiten zu den Behauptungen im Braunbuch (1973: 52), das ebenfalls nie gefundene Beweismaterial für die NS-Brandstifterschaft sei bei Notaren hinterlegt, sind überdies unverkennbar (vgl. Anm. 56).

190 190 nationalsozialistische Bewegung heftig durchsetzt von Gleichgeschlechtlichen war", adaptiert hatte. Darüber hinaus wertete er die unterstellte außerordentliche Verbreitung der Homosexualität unter Nationalsozialisten auch als eine der "Wurzeln" des Nationalsozialismus. Mit Blüher den homoerotischen Charakter der "bündischen Jugendbewegung" betonend, sah Hiller (1936b: 582) von ihr auch einen Strang ins "Dritte Reich" laufen: "Unter den zahlreichen Wurzeln des Nationalsozialismus entschlängelte sich eine, und nicht die schwächste, dem Erdreich der 'bündischen Jugendbewegung' und also des 'Wandervogels'; auch der Nationalsozialismus ist - neben allem, was er sonst noch ist (das Verbrechen von Analytikern bleibt der Simplismus) - ein erotisches Phänomen." Allerdings interpretierte Hiller den Nationalsozialismus keineswegs als nur homoerotisches Phänomen: neben Homoerotik und "Sublimierungen homoerotischer Triebtendenzen" sah er auch "Autoerotik (Nazismus: ein Fall von Narzissmus)" am Werke; Judenhaß sah er "als auf erotischem Kontrainstinkt, auf 'Antifetischismus' " beruhend. Dennoch erkannte er in der "nationalsozialistischen Bewegung", besonders "in ihren Ur- und Kernkreisen" auch Symptome eines ganz offenen "Homoerotismus"; um dies zu belegen müsse man gar nicht "erst an Röhm, Heines, Ernst" oder "Unerschossene wie Helldorf" erinnern: "Der oben abgedruckte Brief belegt das" (Hiller 1936b: 583). Aus Argumentationsstrang und Stil dieses Briefes meinte Hiller (1936b: 583) auch den Autor als dem "Typus... des nationalistischen Invertierten" zugehörig identifizieren zu können. Und so kam Hiller (1936b: 585) zu dem Schluß, daß "die Homosexualität, mit einem Wort Rudolf Oldens, 'einer der Grundpfeiler der nationalsozialistischen Gemeinschaft' ist". Allerdings zweifelte Hiller einige Behauptungen des Briefes auch an, ohne seine grundsätzliche Auffassung, daß "der Brief echt" sei, in Frage zu stellen. Vielleicht, so Hiller (1936b: 584), stimmten "gewisse Einzelheiten nicht, ist aus Sebstschutzgründen geflissentlich Irreführendes eingebaut; vielleicht handelt es sich um weniger Verschworene als 'zweiundzwanzig', vielleicht tarnt sich der Verfasser mit der Charge, die er angibt". Insbesondere jedoch zweifelte er daran, daß es noch bedeutsame NS-Führer gäbe, deren Privatleben zu enttarnen den gewünschten Effekt haben könne, "die ganze nationalsozialistische Bewegung auffliegen zu lassen"; und dies, obgleich sich Hiller (1936b: 584) davon überzeugt gab, daß mit der angedrohten Veröffentlichung von "Material" einzig "Enthüllungen intimer, biographischer, biologischer Art" gemeint sein könnten: "Aber Material über wen? Die Frauenzugeneigtheit der Goebbels, Göring, Streicher ist notorisch. Helldorf oder sonst einer der kleineren Götter - wo bleibt (siehe Röhm) da die Sprengkraft? Die Auswahl die wir haben... gross ist sie nicht."

191 191 Auch wenn nicht auszuschließen ist, daß gerade der letzte Satz als neuerliche Anspielung auf vorgeblich homoerotische Empfindungen Hitlers gelesen werden muß, zeigt dieses Zitat doch, daß Hiller der Rolle der homosexuellen Nationalsozialisten im NS-System des Jahres 1936 keine große Bedeutung mehr zuschrieb. Vielmehr dokumentierte Hillers Entgegnung erneut den Paradigmenwechsel, der sich mit der Ausdifferenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse vollzogen hatte. So machte er auf die traditionelle Homophobie der NSDAP ebenso aufmerksam, wie auf die Verschärfung des 175 RStGB, die er wie Epstein als "ekelhafte Heuchelei" interpretierte. Und auch mit der Tatsache, daß "hunderte von homosexuell Veranlagten in die Konzentrationslager geschleift und dort den grauenhaftesten Erniedrigungen und Folterungen ausgesetzt" wurden, daß sie dort gar "noch eine Stufe unter den Politischen, zwei mithin unter den Kriminellen" rangierten, kontrastierte Hiller (1936b: 585) die tradierte Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten. Der beschriebene Differenzierungsprozeß manifestierte sich in den Jahren 1935 und 1936 vornehmlich in Veröffentlichungen von Kurt Hiller und Julius Epstein. Andere Autoren beschäftigten sich in ihren Publikationen fast gar nicht mehr mit dem Thema Homosexualität. Die seltenen Stellungnahmen allerdings, die hierzu dennoch erschienen, zeugten oft noch nicht einmal von einer Integration der Homosexuellenverfolgung in das Weltbild vom homosexuellen Nationalsozialisten, wie sie Hiller und Epstein leisteten; auch wenn seltener thematisiert, wurde das in diesem Sinne stereotypisierte Homosexuellenbild von vielen Emigranten beibehalten. Auch Konrad Heiden (vgl. Anm. 70) bildete hier keine Ausnahme, wenn er in seiner 1936 veröffentlichten Hitler-Biographie zwar den Mutmaßungen gerade auch Hillers und Epsteins über die erotische Orientierung Hitlers, nicht jedoch den Vorstellungen von der Verbreitung der Homosexualität in der nächsten "Umgebung des Führers selbst" (Pol 1934c: 1633) widersprach: "Das üppige Wuchern der Homosexualität im engsten Kreise um Adolf Hitler hat diesen bei vielen Menschen in einen naheliegenden Verdacht gebracht. Leute, denen man gute Informationen zutrauen dürfte, wußten von sehr freundschaftlichen Beziehungen zu einem jungen Menschen namens Schiller in Berlin zu berichten; dieser Schiller habe Briefe Hitlers in der Schweiz an sicherer Stelle untergebracht. Ohne daß nach der Person dieses Schiller hier weiter geforscht sei, kann gesagt werden, daß die Behauptungen von einer Homosexualität Hitlers reine, durch die handgreiflichsten Tatsachen widerlegte Kombination sind. Bis vor wenigen Jahren wäre es niemandem eingefallen, ihn nach dieser Richtung zu verdächtigen; erst der Röhm-Skandal legte die Vermutung der Gesinnungsverwandschaft mit dem Duzfreund nahe." (Heiden 1980: 363)

192 192 Auch wenn Heiden mit dem Rückbezug der Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten auf den "Röhm-Skandal" deren Wurzeln offenlegte, vermochte er sich nicht von ihr zu distanzieren. Das Bild vom homosexuellen Nationalsozialisten hatte sich festgesetzt Tendenzen zur Rationalisierung des Stereotyps Bereits die vorgestellten Publikationen aus den Jahren 1935 und 1936 mußten verdeutlichen, daß die Reaktionen der Exilpresse auf die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung als Differenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes nicht ausreichend beschrieben sind. Das vorherrschende Schweigen, aber auch die sich in manchen Veröffentlichungen ausdrückende Ignorierung der antihomosexuellen NS-Politik, weisen vielmehr auf die Existenz nicht unbedeutender Widerstände gegenüber einer Differenzierung des Homosexuellenbildes hin. Diese Widerstände traten in einigen Publikationen der Jahre 1936 und 1937 wieder offener zutage. Von der Kenntnisnahme der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung durch zumindest einen Teil der Exilpresse blieben aber auch solche Veröffentlichungen nicht unbeeinflußt. Entsprechend waren diese Versuche, das stereotypisierte Homosexuellenbild der Exilpresse aufrecht zu erhalten, von einer deutlichen Tendenz zur Rationalisierung desselben geprägt. Einen bedeutsamen Versuch, das stereotypisierte Homosexuellenbild der Exilpresse zu rationalisieren, dokumentiert der von Erich Fromm 131 (1936) verfaßte sozialpsychologische Teil der von Max Horkheimer 1936 herausgegebenen "Studien über Autorität und Familie". Hier versuchte Fromm (1936: 110) den von ihm beschriebenen "autoritär-masochistischen Charakter", dessen hoher Verbreitungsgrad als Funktionsbedingung autoritär strukturierter Gesellschaften, so insbesondere auch der faschistischen betrachtet wurde, als "einen historisch bestimmten seelischen Tatbestand" zu erweisen. Im Sinne auch der Möglichkeit einer historischen "Überwindung des Sado-Masochismus" konstatierte Fromm (1936: 121f.), daß die "Stärke, mit der sich die sado-masochistische Struktur entwickelt" habe, "in verschiedenen Epochen und für verschiedene Klassen nicht gleich" sei. Wie Wilhelm Reich und andere (vgl. Anm. 71) betrachtete auch Fromm (1936: 113f.) sado-masochistische Sexualität als "nur einen Sonderfall einer viel allgemeineren seelischen Haltung", die, egal ob "bewusst oder ganz durch Rationalisierungen" verdeckt, "beinahe automatisch" die Unterordnung unter "die Macht eines Menschen, einer Institution oder eines durch die 131 Erich Fromm, geb. 1900, Soziologe und Psychoanalytiker, arbeitete bereits seit 1928 am Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfSoz) emigrierte Fromm in die USA, wo er unter anderem an der Columbia University, aber auch weiterhin am in der Emigration weitergeführten IfSoz tätig war.

193 193 Gesellschaft anerkannten Gedankens" (Fromm 1936: 115) nach sich ziehe. Doch auch Homosexualität koppelte Fromm (1936: 125) an den autoritär-masochistischen Charakter, sah er "das Vorhandensein von homosexuellen Strebungen" doch "als recht häufig mit der sado-masochistischen Struktur verknüpft". Zum einen sei die fundamentale Angst des sado-masochistischen Charakters "vor allem Fremden und Unbekannten", mithin auch vor der "Frau, die in vieler Hinsicht auf Grund ihrer biologischen und psychologischen Verschiedenheit eine fremde und andere Welt repräsentiert", ein Faktor, der "in der Richtung der Homosexualität hindrängt". Zum anderen lasse sich die behauptete Verknüpfung zwischen "sado-masochistischer Struktur" und Homosexualität schon aus der "gesellschaftlichen Struktur der patriarchalischen autoritären Gesellschaften", in denen die Frau "regelmäßig die Schwächere sei", erklären (Fromm 1936: 125). So resultiere aus der Verachtung, die der sado-masochistische Charakter allem Schwachen entgegenbringe, eine "feindselige und grausame" Einstellung gegenüber der Frau. Demgegenüber werde, so Fromm (1936: 126) in unverkennbarer sprachlicher Anlehnung an Blüher (vgl. Kapitel 2.1) "der männliche Held und Führer auf Grund seiner Stärke und Überlegenheit verehrt und geliebt". Zwar bliebe der "durchschnittliche autoritäre Mann" in physiologischer Hinsicht heterosexuell, in seelischer "aber ist er homosexuell". Doch sah Fromm (1936: 126) den "sado-masochistischen Charakter" nicht nur auf einer asexuellen Ebene mit "homosexuellen Strebungen" verknüpft: "Dieses Stück Homosexualität wird relativ häufig bei einer Reihe von Individuen sich auch zur manifesten Homosexualität im engeren Sinne verwandeln, wofür ja die extremen Autoritätsstrukturen der neuesten Zeit genügend Beispiele bieten." Gerade an dieser Stelle erweist sich, auf welcher empirischen Basis Fromms Ausführungen über Homosexualität gründeten. Auch Fromm diente die Rede von den homosexuellen Nationalsozialisten als Beweis für einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus. Er allerdings rationalisierte das stereotypisierte Homosexuellenbild der Exilpresse, indem er den Zusammenhang als einen über den "sado-masochistischen Charakter" vermittelten darstellte. Damit koppelte er Homosexualität an autoritäre Gesellschaftsstrukturen im allgemeinen, und die faschistische im besonderen. Mit den "extremen Autoritätsstrukturen" des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, der besonderen "Stärke, mit der sich die sado-masochistische Struktur" hier entwickelt hatte, ließ sich überdies der immer wieder behauptete besonders hohe Verbreitungsgrad der Homosexualität im "Dritten Reich" erklären. Darüber hinaus bestätigte Fromm die insbesondere von Wilhelm Reich bereits theoretisierte Verbindung zwischen Homosexualität und Sadismus (vgl. Kapitel 3.4.2). Selbst die Vorstellungen, nach denen Homosexualität ein unproletarisches Laster

194 194 sei, ließen sich mit Fromms Theorie stützen, sah er die Stärke der "sadomasochistischen Struktur" doch auch als von Klasse zu Klasse differierend. Einen weiteren, etwas differenzierteren Weg zur Rationalisierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse deutete eine Bemerkung in einem 1937 von Ernst Bloch 132 in der Neuen Weltbühne veröffentlichten Aufsatz an. Zwar zeigte sich auch Bloch (1937: 607) vom Stereotyp des homosexuellen Nationalsozialisten stark beeinflußt, nahm er die seit 1935 unter maßgeblicher Beteiligung des Gestapo-Sonderdezernats (vgl. Kapitel 3.6.1) gegen katholische Ordensangehörige inszenierten Sittlichkeitsprozesse 133 doch zum Anlaß, die in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe wegen homosexueller Betätigung an die Adresse der Nationalsozialisten zurückzuverweisen: "Was der Stürmer gegen die Juden begonnen hat, das setzt Rosenberg gegen die Pfarrer und Ordensbrüder fort. Eines ist so glaubhaft wie das andere, und der sogenannte Sumpf findet sich gewiss nur in der Anlage derer, die ihn beschreiben." Dennoch hatte Bloch anscheinend die nicht nur gegen katholische Ordensangehörige, und in diesem Fall zweifellos aus primär antikirchlichen Motiven betriebene Homosexuellenverfolgung zur Kenntnis genommen. Zumindest läßt eine weitere Bemerkung Blochs erkennen, daß er das sich bereits bei Hiller (1936b) andeutende Rationalisierungsmuster, die angebliche Bedeutung der Homosexualität für den Nationalsozialismus in dessen Frühphase zu verweisen, adaptierte, mithin unausgesprochen konzessionierte, daß der Einfluß des homosexuellen Nationalsozialisten inzwischen zurückgegangen sei: "Rosenberg denunziert das 'fast planmässige Treiben einer Clique, die das Sexualverbrechen zu einem System zu machen droht'; der Parteigenosse Röhms, der Nutznießer all der Freundschaftsbünde, denen die Nazis - mit oder ohne Blüher-Ideologie - ihren ersten Auftrieb verdanken, spricht von einem 'römischen Männerbund'." (Bloch 1937: 608) 132 Ernst Bloch, geb. 1885, studierte Philosophie, Musik und Physik und war seit seiner Dissertation 1908 als Privatdozent in Berlin und Heidelberg tätig. Vor dem ersten Weltkrieg SPD-Mitglied, ging Bloch während des Krieges in der Schweiz; 1919 zurückgekehrt, trat er in die KPD ein emigrierte Bloch erneut in die Schweiz, 1936 in die Tschechoslowakei und 1938 in die USA. In diesen Jahren publizierte er vornehmlich in der Neuen Weltbühne und verschiedenen Literaturzeitschriften in die DDR zurückgekehrt, übernahm Bloch an der Leipziger Universität eine Professur für Philosophie, doch bereits 1957 wurde er nach verschiedenen politischen Konflikten zwangsweise emeritiert ging Bloch in die Bundesrepublik und übernahm eine Professur in Tübingen, wo er 1977 starb. 133 Zu den Sittlichkeitsprozessen liegt eine umfassende Studie von H. G. Hockerts (1971) vor.

195 195 Um das stereotypisierte Homosexuellenbild der Exilpresse zumindest der Jahre nachträglich zu rationalisieren, wurden die Homosexuellen von verschiedenen Autoren des Exils weiterhin für den Aufstieg der Nationalsozialisten zur Macht verantwortlich gemacht. Insbesondere Blüher wurde in diesem Zusammenhang zunehmend als Kronzeuge bemüht. Einen Höhepunkt erreichte deartige 'Theoriebildung' Ende 1937 in einem in der Neuen Weltbühne unter dem Pseudonym Walther Bartz publizierten Aufsatz von Wofgang Bretholz 134. Aus Anlaß der Verhaftung Heinrich Ruthas und 14 weiterer Mitglieder der den reichsdeutschen Nationalsozialisten nahe stehenden Sudetendeutschen Partei (SdP) unter dem Vorwurf homosexueller Betätigung, die vor allem in der "deutschsprachigen marxistischen Presse der Tschechoslowakei eine großangelegte Kampagne zur moralischen Verunglimpfung der SdP" (Sator 1994: 1) ausgelöst hatte, kam es auch in der deutschen Exilpresse zu einer neuerlichen Thematisierung vermeintlicher Zusammenhänge zwischen Homosexualität und Faschismus. Bretholz (1937) nutzte Ruthas Verhaftung zu einer längeren Auseinandersetzung mit der Homosexualitätstheorie Blühers (vgl. Kapitel 2.1). Dabei übernahm er Blühers Ausführungen über die Bedeutung der Homosexualität für die Wandervogelbewegung, für Männerbünde und deren staatskonstitutiven Charakter, um mit ihr die Entstehung der Sudetendeutschen Partei ebenso wie des Nationalsozialismus im allgemeinen zu erklären, denn der "Fall Heinz Rutha" galt Bretholz (1937: 1377) als Beweis, "dass auch der sudetendeutsche Wandervogel der Nachkriegszeit seine Blüte (wenn nicht seine Existenz) dem 'Typus inversus' verdankt". Die "Jugendbewegung" des Wandervogels aber habe sich "zwangsläufig" zur "bündischen Bewegung" entwickelt, weil die Homosexuellen "das Gefüge des grossen, demokratisch organisierten Jugendbundes" gesprengt, und an seiner Stelle den "nur durch erotische Bindung zusammengefügten" Männerbund geschaffen hätten, der nun ausschließlich aus Homosexuellen bestanden habe. Der "Schritt von dieser zweiten Etappe, der des Männerbundes und der 'Heldenliebe' zur dritten", habe dann schließlich in den "Bereich des Politischen und damit: der politischen Pathologie" (Bretholz 1937: 1378) geführt, aus dem Männerbund der Homosexuellen sei sowohl die Sudetendeutsche Partei, als auch die nationalsozialistische Bewegung entstanden. Bretholz (1937: 1381) stilisierte Blühers zweifellos nicht von demokratischem Geist geprägte Interpretation des Männerbundes als ideale staatliche Herrschaftsinstanz bewußt zu einer Ideologie, um sie als "zu einem beträchtlichen Masse Bestandteil jener Ideologien" zu erweisen, "die zur Begründung ihrer Herrschaft auf alle rationalistischen Erwägungen verzichten und ihre Herrschaftsbefugnis aus ihrem Anders-, und das heisst in ihren Augen: Bessersein herleiten": 134 Wolfgang Bretholz, geb. 1904, arbeitete seit Mitte der zwanziger Jahre für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt für das Berliner Tageblatt emigrierte er in die Tschechoslowakei, wo er unter anderem für verschiedene Exilperiodika tätig war, 1939 nach Polen und 1940 über Rumänien in die Türkei.

196 196 "Der Begriff der Herrschaft und der herrschenden Schicht wird unmittelbar aus der homosexuellen Erotik hergeleitet, und am Ende dieser 'moralischen' Begründung eines Herrenrechtes des 'Typus inversus' steht klar und deutlich die Diktatur der Homosexuellen über die Masse." (Bretholz 1937: 1380) Ein Männerbund der Homosexuellen sollte also, so Bretholz, unter Berufung auf ein angeblich aus Blühers Theorie abgeleitetes "Herrenrecht" die Keimzelle des Nationalsozialismus gewesen sein. Doch nicht nur dies, beschrieb Bretholz doch das "Dritte Reich" als Ausdruck der Herrschaft dieses Männerbundes der Homosexuellen. In dessen Zentrum allerdings sah er, offensichtlich auf Hitler anspielend, den von Blüher beschriebenen Typus des homosexuellen Verdrängers stehen; wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die mittlerweile nicht mehr zu leugnende Verfolgung Homosexueller, wie auch die Denunziation Ruthas aus den eigenen Reihen: "Und es ist nicht zu bezweifeln, dass wir Zeugen der von Blüher als abstrakte Theorie gezeichneten Herrschaft eines Männerbundes sind, in dessen Mitte ein blüherscher 'Typus inversus neuroticus' steht; dass in dem heutigen Führerkult ein gut Teil von Blühers 'Männerheldentum' steckt; und dass die Überbetonung der 'Männlichkeit' durch höchst unmännliche Figuren, die Errichtung von Ordensburgen zur Erziehung eines Blutadels, die Rolle, die der Frau in der neuen Gesellschaft zugewiesen wird und vieles andere Folge-Erscheinungen der von Blüher erstmals betriebenen, systematischen Umdeutung einer Erscheinung der Sexualpathologie zu einer Weltanschauung sind. Wenn man sich das klarmacht, wird man sich weniger über den Einbruch des Pathologischen in die Bereiche der Politik wundern, deren Folgen wir schaudernd miterleben." (Bretholz 1937: 1381) Daß es sich beim "Typus inversus neuroticus" (dem homosexuellen Verdränger) und dem "Männerhelden" nach Blüher um zwei vollkommen verschiedene Erscheinungen handelte, wobei sich ersterer gerade durch die Bekämpfung jeglicher Äußerung von Gleichgeschlechtlichkeit auszeichnete, wurde von Bretholz allerdings verschwiegen, galt es ihm doch, den Nationalsozialismus als eine aus 'der' Homosexualität entwickelte "Weltanschauung" zu erweisen. "Männerheld" und "Verdränger" sollten daher möglichst undifferenziert als Homosexuelle verstanden werden, die die "Diktatur der Homosexuellen über die Masse" ausübten. Aus der Herleitung der NS-Herrschaft aus der "Sexualpathologie" aber ergab sich für Bretholz (1937: 1381f.) auch eine Strategie ihrer Bekämpfung; zumindest, so suggerierte er, sei es nicht auszuschließen, daß durch eine rechtzeitige Anwendung des Sexualstrafrechts das "Dritte Reich" verhindert worden wäre:

197 197 "Und es mag müssig erscheinen, Überlegungen darüber anzustellen, was geschehen wäre, wenn der Strafrichter rechtzeitig in eine andere 'mannmännliche Gesellschaft' eingegriffen, das Band zwischen 'Männerheld' und 'Erstem Liebling' zerissen und mit dem Gesetze der normalen Mehrheit die abnormale Minderheit bezwungen hätte, die aus ihrer Abnormalität ihren Herrschaftsanspruch über die Normalen ableitet." Gerade Bretholz' Aufsatz für die Neue Weltbühne zeigt nochmals sehr deutlich, daß das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten trotz nachlassender Thematisierung keineswegs ausgedient hatte, sondern weiterhin zum Repertoire der Exilpresse gehörte, auf das bei aktuellem Bedarf zurückgegriffen werden konnte. Bretholz jedoch leistete mehr, indem er den homosexuellen Nationalsozialisten unter Berufung auf die Theorien Blühers zum Schöpfer des Nationalsozialismus stilisierte. Die aus dem gegen einzelne Nationalsozialisten erhobenen Homosexualitätsvorwurf entstandene ursächliche Verknüpfung von Homosexualität und Faschismus, deren erste Ansätze bereits 1933/34 sichtbar wurden (vgl. Kapitel 3.4.2), erfuhr seit den Homosexuellenverhaftungen von 1934/35 keineswegs eine kritische Überprüfung, sondern eine theoretische Verfestigung. Bei Bretholz erschloß sich überdies allenfalls dem Blüher-Kenner, wie er sich die Integration der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung in diese 'Faschismus-Theorie', die andere Autoren seit 1935 vollzogen hatten, vorstellte. Dabei lag er mit seiner Deutung Hitlers als "homosexuellem Verdränger" durchaus auf der Linie Hillers oder Epsteins. Da er Hitler aber als Verfechter einer bewußt aus der Homosexualität abgeleiteten "Weltanschauung" erscheinen lassen wollte, um das "Dritte Reich" im Gegensatz zu Hiller etwa als nach wie vor durch Homosexuelle regiert darzustellen, mußte Bretholz auf die Beschreibung der Charakteristik von Blühers Typus des "homosexuellen Verdrängers" verzichten. Um die Rationalisierung der verbreiteten Vorstellungen über einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Faschismus bemühte sich anläßlich der Verhaftung Ruthas auch die Internationale Vereinigung Sozialistischer Ärzte (IVSÄ). Zwar betonte die IVSÄ (1937: 114) in einer im Dezember 1937 im Internationalen Ärztlichen Bulletin veröffentlichten Stellungnahme, daß Homosexuelle "durchaus den Eindruck normaler Menschen" machten und verwahrte sich im Gegensatz zu Bretholz gegen eine Kriminalisierung der Homosexualität, da es gelte, ihre "Ursachen zu beseitigen, aber nicht mit dem Zuchthause gesellschaftliche Mißstände heilen zu wollen" (IVSÄ 1937: 116). Dennoch erkannnte sie in der Homosexualität eine "große gesellschaftliche Gefahr", da "im Homosexuellen... der Trieb" lebe, "der gleichgeschlechtlichen Liebe neue Adepten zuzuführen" (IVSÄ 1937: 115):

198 198 "Der Urning, für den die Befriedigung seines abnormen Dranges ein Ziel ist, dem er seine ganze Lebensführung unterordnet, sucht Machtpositionen zu erreichen. Zu diesem Zweck begründen die Homosexuellen Organisationen, in denen sie Leiter und Funktionäre werden und dadurch möglichst großen Einfluß ausüben." Ihren Einfluß, so die IVSÄ (1937: 115f.), nutzten die Homosexuellen in diesen Männerbünden, um den "von ihnen beherrschten Jünglingen" eine "weitgehende Mißachtung des weiblichen Geschlechtes" einflößen und "ihre Gelüste nach Herzenslust befriedigen zu können". Entsprechend sah die IVSÄ (1937: 115f.) "die gegenwärtig in faschistischen Staaten herrschende Zurücksetzung und Verachtung der Frau" zwar nicht ausschließlich, aber doch auch als Folge der behaupteten "Verachtung der Frau durch den Homosexuellen", tradierte mithin die Rede vom außerordentlichen Einfluß 'des Homosexuellen' in den "faschistischen Staaten". Überdies behauptete die IVSÄ, ähnlich wie 1933 schon Wilhelm Reich (vgl. Kapitel 3.4.2), die Existenz eines Zusammenhangs zwischen Homosexualität und 'Sadismus'. So werde "der zum gleichgeschlechtlichen Verkehr Verführte nach Rückkehr in normale Verhältnisse wieder normal", allerdings komme es zu "ungünstigen Veränderungen des Charakters" (IVSÄ 1937: 116): "Der Mißbrauchte wird verschlossen, verlogen, unzuverlässig, bisweilen auch brutal und roh". Auch die IVSÄ reflektierte die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung nicht. Die in ihrer Stellungnahme zum Ausdruck gebrachte geradezu selbstverständliche Verknüpfung der Homosexualität zumindest mit bestimmten in den "faschistischen Staaten" zutage getretenen Phänomenen, zeigt erneut, daß das Bestehen eines wie auch immer gearteten Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Faschismus 1937 zu den gesicherten Wissensbeständen der Emigration zählte.

199 199 4 Zwischen Instrumentalisierung und Internalisierung Ob Autoren wie Rezipienten der Exilpresse die Vorstellungen über einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus zur "Realität sui generis" (Nünning 1992: 98) wurden, oder ob die Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten demgegenüber als bewußte politische Instrumentalisierung in der publizistischen Auseinandersetzung mit dem "Dritten Reich" betrachtet werden muß, soll im folgenden Kapitel untersucht werden. Es bedarf nach der Lektüre des empirischen Kapitels wohl keiner tiefschürfenden Analyse, um schon an dieser Stelle feststellen zu können, daß es auf diese Frage keine pauschale Antwort wird geben können. Vielmehr wird eine soziologische Untersuchung den Konstruktionsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes sowohl bezüglich seiner zeitlichen Entwicklung, wie auch bezüglich der an ihm beteiligten sozialen und politischen Gruppierungen differenzierend zu analysieren haben. So waren die ersten Schritte des Konstruktionsprozesses fraglos von der politischen Instrumentalisierung des Homosexualitätsvorwurfes geprägt. Wann sich aber die Rede vom homosexuellen Nationalsozialisten für wen als "realitätsschaffend" (Stenger/Geißlinger 1991: 253) durchsetzte, gilt es zu untersuchen. In diesem Sinne wird zu überprüfen sein, von der Nutzung welcher Evidenzquellen der Erlebenswelt der Emigranten (vgl. Kapitel 1.2.2) der Konstruktionsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes geprägt war. 4.1 Die Herstellung von Evidenz im Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes Das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten war keineswegs eine vollkommen neuartige Erscheinung. Vielmehr war es von vielen Aspekten tradierter Homosexuellenstereotype geprägt, die im Rahmen seines Entstehungsprozesses "realitätsschaffend" wirkten. Bereits mit dem ersten Schritt zur Konstruktion des stereotypisierten Homosexuellenbildes, der Instrumentalisierung der homosexuellen Veranlagung Röhms durch die Münchner Post im Jahre 1931, wurde auf klassische Homosexuellenklischees zurückgegriffen, um die Homosexualität Röhms über die Kongruenz mit tradierten Typisierungen evident erscheinen zu lassen. An die Herstellung von Evidenz über das Wiedererkennen bewährter Homosexuellenstereotype jedoch war die emotionale Erkenntnis untrennbar gekoppelt. Zwar wurden die antihomosexuell emotionalisierenden Aspekte bewährter Typisierungen von den sie thematisierenden Autoren nur selten reflektiert, was Stenger/Geißlinger (1991: 255) zur Voraussetzung der emotionalen Erkenntnis erklären (vgl. Kapitel 1.2.2). Die Wirkungsstruktur von Massenmedien jedoch erlaubt es durchaus, über den bloßen Verweis auf tradierte

200 200 Stereotype die emotionale Erkenntnis des Rezipienten zu evozieren, denn "der semantische Gehalt eines Stereotyps ist kollektiv fixiert, löst ähnliche bis gleiche Assoziationen" (Hannemann 1987: 134) und folglich auch Emotionen aus. Wenn daher im folgenden von der Herstellung von Evidenz über Kongruenz die Rede ist, so ist darin auch immer die Möglichkeit der emotionalen Erkenntnis mit eingeschlossen. Schon im ersten Artikel der Münchner Post wurde Ernst Röhm als homosexueller Jugendverführer charakterisiert (vgl. WhK 1985: 350). Auch das Klischee vom homosexuellen Cliquenwesen, das zu "Intrigenspiel" und "Futterkrippendrang innerhalb der Hitlerpartei" führe, wurde bemüht (vgl. WhK 1985: 355). Als Reaktion auf die Kritik an der Nutzung der Sexualdenunziation ausgerechnet durch eine sozialdemokratische Zeitung (vgl. Kapitel 2.4.1) kam es zudem bald zur Rationalisierung der öffentlichen Brandmarkung der Homosexualität Röhms. So sollte Röhm als SA-Stabschef die "moralische und körperliche Gesundheit der deutschen Jugend" (WhK 1985: 351) gefährden. Und auch mit der "widerlichen Heuchelei, die die Nazipartei auch auf diesem Gebiet treibt" (WhK 1985: 351) versuchte die Münchner Post die Denunziation der sexuellen Veranlagung Röhms zu rechtfertigen. Obgleich aber mit den tradierten Homosexuellenstereotypen homosexueller Jugendverführer und homosexuelles Cliquenwesen bereits 1931 zwei wesentliche Bestandteile des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse in den Diskurs über homosexuelle Nationalsozialisten eingeführt wurden, kam es zu diesem Zeitpunkt nicht zu einer wesenhaften Verkoppelung dieser Momente mit dem Nationalsozialismus. Die Koinzidenz von Röhms Veranlagung und seiner Funktion als SA-Stabschef wurde noch als eher zufällig gedeutet. Der Vorwurf der Verführung 'der' Jugend durch Röhm aber, zunächst im Sinne der Rationalsierung noch instrumentalisiert, setzte sich auf der Basis eines die SA integrierenden Jugendbegriffes bald als "realitätsschaffend" durch. Hierzu trug nicht nur die "materielle Basis" des Vorwurfes, ein sexuelles Abenteuer Röhms mit einem Strichjungen, dessen Alter allerdings nicht bekannt wurde (vgl. WhK 1985: 350), bei, sondern auch der realitätsschaffende Charakter seiner ständigen Wiederholung insbesondere in der linken Presse, denn "Wiederholung ist in unserer Wirklichkeitserfahrung ein entscheidendes Kriterium für die Zuschreibung eines ontologischen Status" (Stenger Geißlinger 1991: 264f.). Die zweite Etappe des Konstruktionsprozesses eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus knüpfte nahtlos an die Vorstellungen vom Jugendverführer Röhm an. So wurde der 24-jährige Reichstagsbrandstifter Marinus van der Lubbe von den Autoren des Braunbuches zum Lustknaben Ernst Röhms erklärt. Obwohl davon ausgegangen werden muß, daß den meisten Braunbuch-Autoren die NS-Brandstifterschaft aufgrund der "zeitlich parallelen bzw. aufeinandertreffenden" (Stenger/Geißlinger 1991: 254) Ereignisse NS-Machtübernahme und Reichstagsbrand evident war, handelte es sich bei der Herstellung einer homosexuellen Verbindung zwischen Röhm und

201 201 van der Lubbe nicht nur um einen Schuß "ins Blaue" (Koestler 1955: 206), sondern um eine bewußte Manipulation. Der Rückgriff auf das Klischee des Jugendverführers war nicht zufällig gewählt. Denn über die "Ähnlichkeit zu bewährten Abstraktionen", hier zu der des homosexuellen Jugendverführers Röhm, ließ sich beim Rezipienten bezüglich der Braunbuch-Darstellung "Evidenz durch Kongruenz" (Stenger/Geißlinger 1991: 254f.) herstellen. Auch zur Glaubhaftmachung einer homosexuellen Veranlagung van der Lubbes wurde von den Autoren auf bewährte Abstraktionen, so die der weiblichen Eigenschaften Homosexueller, oder auf klassische Konnotationen wie Eitelkeit, Ruhmsucht, (politische) Verführbarkeit etc. zurückgegriffen (vgl. Kapitel 3.1.3). Und schließlich spielte die Instrumentalisierung des Klischees vom homosexuellen Cliquenwesen eine bedeutende Rolle, um dem Zusammentreffen von Röhm und van der Lubbe Gewißheitscharakter zu verleihen. Evident wurde der Exilpresse die Darstellung des Braunbuches jedoch nicht nur durch den Rückgriff auf bewährte Homosexuellenstereotype. Vielmehr erforderte der politische Kontext Emigration fast notwendig, daß sich die Vorstellung von der NS-Brandstifter-schaft als realitätsschaffend durchsetzte, weil allgemein befürchtet wurde, daß andernfalls, wie der den Paradigmen des Exildiskuses gewöhnlich kritisch gegen-überstehende Willi Schlamm (1933b: 1138) bemerkte, die "öffentliche Meinung der ganzen Welt ins Konzentrationslager des deutschen Regimes" übergehe. Neben diesem kontextuellen Moment spielte bei der Realitätsproduktion jedoch auch die soziale Bestätigung durch die internationale Presse, die im Gegensatz zu Schlamms Befürchtungen schon seit Anfang März 1933 eine NS-Brandstifterschaft unterstellte (vgl. Kapitel 3.1.3), eine entscheidende Rolle. Der international überwältigende Erfolg der Braunbuch-Darstellung verlieh ihr Gewißheitscharakter, ernsthaft angezweifelt wurde sie von der Exilpresse nicht. Und auch den Manipulatoren selbst dürfte der Erfolg ihrer Darstellung das Gefühl verliehen haben, "ins Schwarze" (Koestler 1955: 206) getroffen zu haben, denn auch "ihre Realitätsperspektive" war nun "(zumindest teilweise) an den kategorialen Apparat des inszenierten Kontextes gebunden" (Stenger/Geißlinger 1991: 267). Für die Entstehungsgeschichte des stereotypisierten Homosexuellenbildes der Exilpresse war das Gelingen der Glaubhaftmachung der Braunbuch-Geschichte von entscheidender Bedeutung. Erstmals nämlich suggerierte das Braunbuch eine wesenhafte Verbindung zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus, indem es die angeblich homosexuelle Veranlagung Röhms und van der Lubbes als Vorraussetzung des 1933 populärsten, den Nationalsozialisten in diesem Falle nur zugeschriebenen Verbrechens darstellte. Homosexuelles Cliquenwesen und Jugendverführung, bislang nur in einem gleichsam zufälligen Zusammenhang mit der NSDAP gesehen, erhielten hier Bedeutung für das Zustandekommen eines NS-Verbrechens und damit erstmals für das Wesen des Nationalsozialismus schlechthin. Damit wurde im Exildiskurs ein der Wahrnehmung zugrundeliegender axiomatischer Kontext etabliert, der einen nicht mehr nur zufälligen Zusammenhang zwischen der homosexuellen Veranlagung einiger Nationalsozia-

202 202 listen und dem NS-System voraussetzte. Gleichwohl blieb der unterstellte Zusammenhang im Braunbuch äußerst diffus, basierte er doch noch auf der Übertragung tradierter Homosexuellenstereotype. Und auch die Allgemeingültigkeit des unterstellten Zusammenhangs konnte noch keinen Gewißheitscharakter beanspruchen. Die große Bedeutung der NS-Reichstagsbrandstifterschaft für das Selbstverständnis der deutschen Emigranten jedoch, ebenso wie die homosexuelle Verbindung zwischen Röhm und van der Lubbe für die Braunbuch-Erklärung der NS-Täterschaft, machten den unterstellten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus relevant. Eine "Suchrelevanz" (Stenger/ Geißlinger 1991: 265), den vermuteten wesenhaften Zusammenhang empirisch zu erhärten und theoretisch zu erklären, entstand. Die dritte Phase der Entstehungsgeschichte der Vorstellung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus war sowohl von Evidenzherstellung auf der Basis empirischen Materials, das die Typisierung homosexueller Nationalsozialist bestätigte, wie von einer "Suche nach erklärenden Tatsachen" (Stenger/Geißlinger 1991: 265), nach einem Sinnzusammenhang geprägt. Die Berichterstattung über weitere homosexuelle Nationalsozialisten (vgl. Kapitel 3.4.1) wurde zur Basis einer empirischen Bestätigung des unterstellten Zusammenhangs. Und so wie die Betonung der homosexuellen Veranlagung aus dem axiomatischen Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus resultierte, reproduzierte sie auch die Vermutung eines solchen, denn wie "alle Daten bzw. Wahrnehmungen aus der axiomatischen Grundlegung hervorgehen, so wirken sie auch zurück auf diese Grundlagen, die sie hervorgebracht haben: der Kontext ist selbstbestätigend" (Stenger/Geißlinger 1991: 267). Wurde die Unterstellung eines verallgemeinerbaren Zusammenhangs durch die Berichterstattung über die homosexuelle Veranlagung weiterer Nationalsozialisten bestätigt, so war damit doch noch keine Erklärung des 'Phänomens' verbunden. Der Übergang von der statistischen Koinzidenz Homosexuelle/Nationalsozialisten zur Herstellung eines erklärenden Sinnzusammenhangs basierte erneut auf Übertragung bewährter Homosexuellenstereotype. Diese erhielten aber eine neue Qualität, sollten sie doch nunmehr signifikante Phänomene des NS-Systems erklären. Die Etablierung eines Sinnzusammenhangs bewegte sich auch hier noch auf einer empirischen Ebene. Die Koinzidenz beispielsweise der durch eine entsprechende Berichterstattung eingeführten Kognition viele homosexuelle Nationalsozialisten mit der Erkenntnis der als frauenfeindlich begriffenen Stigmatisierung mit Juden liierter "arischer" Frauen, wurde auf der Basis des tradierten Homosexuellenklischees von der Frauenfeindlichkeit männlicher Homosexueller sinnhaft verknüpft (vgl. Kapitel 3.3.2). Auch diese Verknüpfung konnte im Rahmen des axiomatischen Wahrnehmungskontextes Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus selbstbestätigend wirken, denn die konstatierte Frauenfeindlichkeit des NS-Systems wies vor dem Hintergrund der bewährten Typisierung auf einen großen Einfluß Homosexueller auf die Politik des "Dritten Reiches" zurück. Zu der Verknüpfung

203 203 dissonante Kognitionen dagegen, erschienen infolge der im Rahmen des axiomatischen Wahrnehmungskontextes vollzogenen "Umorientierung von Aufmerksamkeit" (Stenger/Geißlinger 1991: 266) irrelevant. Die Koinzidenz zwischen der Kognition Frauenfeindlichkeit des NS-Systems und der Kenntnis des Röhm- Erlasses gegen bestimmte frauenfeindliche Aktivitäten führte zu keiner sinnhaften, den konstruierten Zusammenhang Frauenfeindlichkeit/homosexuelle Nationalsozialisten konterkarierenden Verknüpfung. Vielmehr zeigte sich die Realitätsperspektive der Exilpresse auch hier an den kategorialen Apparat des axiomatischen Wahrnehmungskontextes gebunden. Eine weitere sinnherstellende Verknüpfungsleistung, die empirisch untermauert wurde, war die zwischen den Phänomenen homosexuelle Nationalsozialisten und Sadismus. Die durch die kontextgebundene Sensibilisierung für die homosexuelle Veranlagung von Nationalsozialisten erzeugte Thematisierung derselben etablierte zwangsläufig die Koinzidenz der betonten sexuellen Veranlagung mit dem wohl hervorstechendsten NS-Phänomen, der brutalen Verfolgung Andersdenkender und -'artiger'. Die sinnhafte Verknüpfung dieses als "Sadismus" abstrahierten Phänomens mit der Kognition homosexuelle Nationalsozialisten, war wiederum über eine bewährte Abstraktion, das Vorurteil von der Neigung des Homosexuellen zur Delinquenz, so insbesondere zum (Sexual-) Mord, vermittelt. Indem den durch als Homosexuelle identifizierte Nationalsozialisten verübten Gewalttaten eine sexuelle Qualität zugeschrieben wurde (vgl. Kapitel 3.4.1), kam es zu einer sinnhaften Verknüpfung beider Phänomene. Die auf Koinzidenz und tradierten Typisierungen gründende empirische Verknüpfung der Phänomene Homosexualität und Nationalsozialismus verlieh der unterstellten Existenz eines wesenhaften Zusammenhangs der beiden Gewißheitscharakter. Der axiomatische Wahrnehmungskontext hatte sich selbst bestätigt und damit etabliert. Dennoch war die Sinnherstellung an der Oberfläche geblieben, basierte sie doch vornehmlich auf der Übertragung bewährter Abstraktionen, die, selbst nur Produkte konstruierter Koinzidenz, auf einen sinnhaften Zusammenhang hinwiesen, einen solchen jedoch nicht erwiesen. Der Bedarf an als analytisch fundiert anerkannten Erklärungen des wesenhaften Zusammenhangs Homosexualität/Nationalsozialismus bestand nach wie vor. Hier nun traten "sozial legitimierte Experten" (Stenger Geißlinger 1991: 265) auf den Plan, die die als nationalsozialistisches Phänomen identifizierte Homosexualität in ihre theoretischen Entwürfe integrierten. Der kontextuell zugrundegelegte Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus fand Eingang in die Faschismusanalyse (vgl. Kapitel 3.4.2). Auch diese Herstellung eines theoretischen Sinnzusammenhangs basierte auf den durch Koinzidenz und klassische Abstraktionen konstruierten sinnhaften Verbindungsgliedern, so insbesondere dem Sadismus. So sah der als Sexualtheoretiker etablierte Wilhelm Reich Homosexualität und Sadismus gleichsam parallel aus der faschistischen Gesellschaftsordnung erwachsen, erklärte sie überdies zum Garanten ihres Fortbestands. Sadismus übernahm bei ihm also keine Vermittlungsfunktion mehr. Demgegenüber

204 204 beließ es der als NSDAP-Experte anerkannte Konrad Heiden bei einem bewährten Abstraktionen entsprechenden direkten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Sadismus, die Koppelung an die SA erfuhr keine Erklärung. Blieb also nicht selten auch die Integration in theoretische Erklärungsansätze rudimentär und kaum über die durch Koinzidenz und Kongruenz hergestellten kognitiven Verknüpfungen hinausweisend, so war sie doch für die Herstellung von Evidenz von großer Bedeutung. Die soziale Reputation der "Experten" verlieh ihnen im Exildiskurs Autorität. Die Tatsache, daß Wilhelm Reich und Konrad Heiden (oder auch Maxim Gorki) den axiomatischen Wahrnehmungskontext in ihren Faschismusanalysen bestätigten, auch dies Produkt ihrer Eingebundenheit in die von diesem Wahrnehmungskontext bestimmte Alltagsrealität des Exils, wirkte als soziale Bestätigung realitätsschaffend. Der mit den Braunbuch-Manipulationen installierte axiomatische Wahrnehmungskontext hatte sich damit voll entfaltet. Unter Bezug auf empirische Gegebenheiten, die über die Umorientierung von Aufmerksamkeit aus dem axiomatischen Wahrnehmungskontext hervorgingen, war es zur Herausbildung von Kategorien und zur Ableitung von Zusammenhängen gekommen. Diese waren dem Großteil der Exilpresse durch die Koinzidenz zwischen der entdeckten Homosexualität einzelner Nationalsozialisten und bestimmten NS-Phänomenen, die Kongruenz dieses Zusammentreffens mit bewährten Typisierungen Homosexueller, und schließlich durch die soziale Bestätigung der kognitiv konstruierten Zusammenhänge durch sozial legitimierte Experten evident geworden. Auch wenn die erklärende Ausformung eines wesenhaften Zusammenhangs Homosexualität/Nationalsozialismus rudimentär geblieben war, galt die Verantwortlichkeit der Homosexualität für bestimmte NS-Phänomene nunmehr als erwiesen. Und selbst die vereinzelt publizierten kritischen Einwände (vgl. Kapitel 3.4.3) hatten an der Herstellung der Evidenz dieses wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus nichts ändern können, zielten sie doch lediglich auf die Strategie der Sexualdenunziation. Zu einer Auseinandersetzung mit der zwischenzeitlich beherrschenden Vorstellung eines nicht nur zufälligen, sondern wesenhaften Zusammenhangs Homosexualität/ Nationalsozialismus, dessen Existenz auch die Denunziation der homosexuellen Veranlagung von Nationalsozialisten rechtfertigen mußte, kam es hingegen nicht. Die vierte Phase der Entstehungsgeschichte der Vorstellung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus war durch die publizistische Verarbeitung mit dem axiomatischen Wahrnehmungskontext dissonanter Kognitionen geprägt. Die Rechtfertigung der Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches" durch die NS-Führung hatte in der Exilsituation eine so hohe Relevanz, daß neben ihren bestätigenden Aspekten auch die den axiomatischen Wahrnehmungskontext konterkarierenden reflektiert wurde. Wurden die nun auch von den Nationalsozialisten gegen Röhm erhobenen Anschuldigungen einerseits als Bestätigung der eigenen "viele Jahre lang wohlbegründet und wohlbewiesen" (Neuer Vorwärts 1934a) erhobenen Vorwürfe

205 205 betrachtet, so mußte die in ihnen zum Ausdruck gebrachte Antihomosexualität der NS-Führung doch andererseits eine mit dem Wahrnehmungskontext der Exilpresse dissonante Kognition auslösen. Da die Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus jedoch mit der Braunbuch-Manipulation zentrale Bedeutung für die materielle wie ideelle Lebensituation der Emigranten erlangt hatte, wurde die entstandene kognitive Dissonanz nicht durch eine Modifizierung des axiomatischen Wahrnehmungskontextes, sondern durch die "Änderung des kognitiven Elements der Umwelt" (Festinger 1978: 31) reduziert. Die nun kundgetane Antihomosexualität der NS-Führung wurde als "Heuchelei" interpretiert. Damit wurde sprachlich zwar auf das aus dem Jahre 1931 bereits bekannte Rationalisierungsmuster der Münchner Post zurückgegriffen, inhaltlich jedoch wurde es modifiziert. So waren die Heucheleivorwürfe der Münchner Post, obgleich auch sie schon die unverkennbare Tendenz aufwiesen, weniger das parteioffizielle Desinteresse an der homosexuellen Veranlagung des neuen SA-Stabschefs Röhm, denn die Antihomosexualität der NSDAP als heuchlerisch zu begreifen, noch eher doppeldeutig geblieben. Vor dem Hintergrund des Wahrnehmungskontextes Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus erlangte der Gebrauch des Heucheleivorwurfes nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" eindeutig die Funktion, die Antihomosexualität der Nationalsozialisten zu bestreiten. Da sich die "Ausgestaltung des Kontextes", hier in Form des Heucheleivorwurfes, "nicht ohne Bezug auf empirische Gegebenheiten" realisieren ließ (Stenger Geißlinger 1991: 267), das Gros der bislang der Homosexualität beschuldigten Nationalsozialisten jedoch ermordet worden war, entstand von neuem "Suchrelevanz". Zwar ließ sich ein diffuser Heucheleivorwurf unter Verweis auf die empirische Gegebenheit der dreijährigen Duldung des Homosexuellen Röhm durch Hitler erhärten, ein hinreichender Beweis geheuchelter Antihomosexualität jedoch ergab sich daraus noch nicht. Daher kam es zu einem Prozeß interaktiver Manipulation, in dessen Verlauf die homosexuelle Veranlagung eines Großteils der prominenten NS-Führer konstruiert wurde - denn nur eine solche konnte die aus dem Wahrnehmungskontext hervorgegangene, auf dem Vorwurf geheuchelter Antihomosexualität basierende Methode der Dissonanzreduktion glaubhaft machen. Die spezifischen Bedingungen der Exilsituation garantierten im Prozeß der interaktiven Manipulation der Wahrnehmung seine Grundvoraussetzung, "eine ausreichende Kontrolle über die Umwelt" (Festinger 1978: 32), oder besser, über die Wahrnehmung der Umwelt. Denn die kognitiven Prozesse der durch die Exilpresse dominierten Öffentlichkeit der Emigration waren von der Bedeutungslosigkeit der sinnlichen Wahrnehmung und einer infolgedessen überragenden Bedeutung der sozialen Bestätigung geprägt (vgl. Kapitel 1.2.2). Doch so manipulativ der interaktive Konstruktionsprozeß der dringend benötigten empirischen Gegebenheiten auch war, unter vollständigem Verzicht auf die Verwertung von 'Fakten' hätte auch er sich nicht bewerkstelligen lassen. Und so war die Herstellung von Evidenz im Prozeß der Entdeckung neuer homosexueller

206 206 Nationalsozialisten nicht selten von der über Kongruenz, über die Erkenntnis der Ähnlichkeit bestimmter Eigenschaften prominenter Nationalsozialisten mit abstrakten Typisierungen Homosexueller vermittelten kognitiven Konstruktion geprägt. Die Kinder- und Ehelosigkeit Hitlers, oder die als 'weiblich' gefaßten Eigenschaften von Schirachs wurden zum Hinweis auf deren homosexuelle Veranlagung. Meist jedoch blieben die 'Fakten', die die homosexuelle Veranlagung führender Nationalsozialisten erweisen sollten, noch dünner. So wurden unter Nationalsozialisten angeblich gebräuchliche Spitznamen, etwa "Frau Hitler" für Rudolf Heß, genannt, oder die Beziehungen zwischen NS- Führern zu Intimfreundschaften stilisiert (vgl. Kapitel 3.5.3). Neben der kognitiven Konstruktion spielte im Prozeß der Evidenzherstellung aber auch die soziale Bestätigung eine wichtige Rolle. Die durch die Ermordung der Kronzeugen eines Zusammenhangs Homosexualität/Nationalsozialismus entstandene Relevanz seiner neuerlichen empirischen Absicherung evozierte einen Prozeß der publizistischen Selbstbestätigung. Die Kolportage wurde zum Prinzip einer interaktiven Realitätskonstruktion, die schließlich die empirischen Grundlagen des axiomatischen Wahrnehmungskontextes reproduzierte. Die manipulative Energie, die der einzelne Journalist dabei zu investieren hatte, blieb denkbar gering; meist bestand sie in nicht mehr als der apodiktischen Darstellung kolportierter Behauptungen. Die Hemmschwelle hierzu dürfte in Anbetracht des nach wie vor wirksamen Wahrnehmungskontextes äußerst niedrig gelegen haben, mußte dieser doch die Homosexualität weiterer führender Nationalsozialisten per se evident, und höchstens im Einzelfall als ungesichert erscheinen lassen. Die soziale Bestätigung durch entsprechende Publikationen anderer Journalisten wirkte für den einzelnen Journalisten in diesem Kontext auch bezüglich des ungesicherten Einzelfalles realitätsschaffend - die gegenseitige soziale Bestätigung löste einen Prozeß interaktiver Manipulation aus. Ein die Hemmschwelle zur Teilnahme an diesem manipulativen Prozeß senkender Faktor dürfte überdies die in vielen Exilperiodika übliche Praxis der anonymen Publikation gewesen sein. So erweist die Analyse des Publikationsprozesses, daß die aus dem Wahrnehmungskontext erwachsene Annahme eines hohen Verbreitungsgrades der Homosexualität "in unmittelbarer Nähe" (Neue Volks-Zeitung 1934a) Hitlers lediglich namentlich nicht gekennzeichnete Publikationen nach sich zog, in denen die homosexuelle Veranlagung verschiedener NS-Führer ohne erkennbares Bemühen um deren Nachweis behauptet wurde. In nicht anonym publizierten Artikeln hingegen wurde mit Suggestion auf der Basis der Herstellung von Ähnlichkeiten zu bewährten Homosexuellenstereotypen gearbeitet. Die Reproduktion seiner empirischen Grundlagen im Rahmen der exilpublizistischen Aufarbeitung der Ereignisse des sogenannten "Röhm-Putsches" macht deutlich, daß sich der axiomatische Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus zuvor bereits voll etabliert haben mußte. Die Existenz eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus war großen Teilen der Exilpresse nicht nur gewiß, sondern

207 207 offensichtlich auch ausreichend relevant, um eine Modifizierung des Wahrnehmungskontextes zu verhindern. Dennoch ist zu betonen, daß auch im Rahmen des sozialen Zusammenhangs Exil die "axiomatische Grundlegung nicht für alle Mitglieder in gleicher Weise bzw. mit gleicher Intensität evident" (Stenger/ Geißlinger 1991: 266) war. Dies macht schon die vereinzelt publizierte Kritik an der Strategie der Sexualdenunziation deutlich. Auch wenn sie die Vorstellungen über einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus nicht zu widerlegen geignet war, erwies sie doch zumindest, daß einzelne Autoren der Exilpresse den Wahrnehmungskontext (noch) nicht adaptiert hatten. Allerdings lassen die Tatsachen, daß nach dem sogenannten "Röhm-Putsch" Heinz Pol mit der von ihm zuvor kritisierten Strategie der Sexualdenunziation zu operieren begann und Magnus Hirschfeld zumindest äußerst mißverständliche, und den Wahrnehmungskontext zu bestätigen geeignete Mutmaßungen über Charakter und Verhalten der Homosexuellen publizierte, daß schließlich Willi Schlamm schon seit dem Frühjahr 1934 zur Denunziation der vorgeblich homosexuellen Veranlagung von Nationalsozialisten schwieg, darauf schließen, daß auch diese kritischen Autoren die Vorstellungen über einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus zu adaptieren begannen. Aber auch den Manipulatoren, die sowohl im Braunbuch, wie auch bei der Entdeckung neuer homosexueller Nationalsozialisten nach dem "Röhm-Putsch" an Installation und Etablierung des Wahrnehmungskontextes arbeiteten, dürften die von ihnen konstruierten Belege zumindest nicht mit gleicher Intensität evident gewesen sein, wie beispielsweise dem durchschnittlichen Rezipienten ihrer Werke. Allerdings entstand mit der erfolgreichen Entfaltung des Wahrnehmungskontextes "eine Sogwirkung, der sich auch die Manipulateure nicht entziehen" konnten. Auch wenn ihnen der manipulative Charakter ihrer Konstruktionen bewußt blieb, diese ihnen also nicht evident wurden, muß davon ausgegangen werden, daß auch "ihre Realitätsperspektive" zunehmend "an den kategorialen Apparat des inszenierten Kontextes gebunden" (Stenger/Geißlinger 1991: 267) wurde. Die soziale Bestätigung, die ihre Manipulationen in der Exilpresse erfuhren, mußte ihnen das Gefühl geben, wenn auch nicht im Detail, so doch immerhin im Grundsatz "ins Schwarze" (Koestler 1955: 206) getroffen zu haben. Es bleibt festzuhalten, daß, obgleich der Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus 1933/34 erfolgreich etabliert wurde, den in welcher Form auch immer am Exildiskurs beteiligten Emigranten ein wesenhafter Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialimus keineswegs mit gleicher Intensität evident wurde. Diese Intensitätsunterschiede sollen im folgenden anhand der Untersuchung der verschiedenen Wege des exilpublizistischen Umgangs mit den seit Ende 1934 bekanntwerdenden Informationen über nationalsozialistische Homosexuellenverhaftungen beleuchtet werden.

208 Die Intensitätsunterschiede der Evidenz Mit dem Bekanntwerden der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung wurde der Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus Ende 1934 substantiell in Frage gestellt. Die unterschiedlichen Methoden, mit denen die entstandene kognitive Dissonanz reduziert wurde, sollen im folgenden in Anlehnung an Leon Festingers (1978) "Theorie der kognitiven Dissonanz" analysiert werden, denn sie müssen als Indikatoren dafür gelten, wie evident den jeweils Beteiligten die Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus geworden war. Der an den unterschiedlichen Methoden der Dissonanzreduktion ablesbare Grad des "Änderungswiderstandes" (vgl. Festinger 1978: 35f.), daß heißt des Widerstandes gegen eine den dissonanten Kognitionen angemessene Änderung des axiomatischen Wahrnehmungskontextes, weist auch auf unterschiedliche Formen der Relevanz und damit auf Intensitätsunterschiede der Evidenz des stereotypisierten Homosexuellenbildes hin. So stehen Relevanz und Evidenz des stereotypisierten Homosexuellenbildes in einer Beziehung gegenseitiger Abhängigkeit. Gewinnt das stereotypisierte Homosexuellenbild Relevanz, so wird damit ein Prozeß der Herstellung von Evidenz ausgelöst, der jedoch nicht unbedingt erfolgreich sein muß. Ist das Stereotyp jedoch erst einmal evident geworden, so erzeugt seine Relevanz einen hohen Änderungswiderstand. Im folgenden soll zwischen zwei wesentlichen Gesichtspunkten, unter denen dem stereotypisierten Homosexuellenbild Relevanz zukommen konnte, unterschieden werden. Zum einen konnte das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten für die Disqualifizierung der Nationalsozialisten in der politischen Auseinandersetzung mit dem "Dritten Reich" relevant sein. Die Relevanz seiner rein funktionalen Nutzung jedoch mußte nicht zwangsläufig die Gewißheit des So-seins nach sich ziehen. Soweit die Evidenz hier auf einer eher niedrigen Intensitätsstufe blieb, mußte auch der Änderungswiderstand gering sein - lediglich in einer Situation, in der der instrumentelle Gebrauch des Stereotyps besondere Relevanz gewann, konnte sich der Änderungswiderstand kurzfristig erhöhen. Demgegenüber ist in den Fällen, in denen das stereotypisierte Homosexuellenbild für die Erklärung des NS-Systems Relevanz gewonnen hatte, davon auszugehen, daß es auch evident geworden war. In diesen Fällen ist von einem hohen Änderungswiderstand auszugehen. Die Mitte Dezember ins Ausland dringenden Nachrichten über Razzien in Homosexuellenlokalen evozierten zunächst einen Rückgriff auf die bereits nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" erprobte Methode der Dissonanzreduktion. Es kam erneut zu einer "Änderung des kognitiven Elements der Umwelt" (Festinger 1978: 31f.). Aus dem etablierten Wahrnehmungskontext, der die Antihomosexualität der Nationalsozialisten und damit auch eine Homosexuellenverfolgung unmöglich erscheinen ließ, ging die Interpretation hervor, es handele sich bei den Verhaftungen um eine Verfolgung oppositioneller Nationalsozialisten. Diese kognitive Konstruktion basierte auf der Koinzidenz der Homo-

209 209 sexuellenverhaftungen mit verschiedenen personellen Umbesetzungen innerhalb der NS-Verwaltung, so etwa der Absetzung Gottfried Feders (vgl. Anm. 110). Für den Saar-Abstimmungskampf hatte zudem jede Information, die Instabilität und Blutrünstigkeit des NS-Systems zu erweisen geeignet war, erhebliche Relevanz. Die Neuinterpretation der Verhaftungen war also auch im Sinne ihrer politischen Instrumentalisierbarkeit relevant. Anders aber als bei der Entdeckung neuer homosexueller Nationalsozialisten nach dem sogenannten "Röhm-Putsch" wurde die Umbewertung der Homosexuellenverhaftungen durch fortgesetzt aus Deutschland dringende Nachrichten über Verfolgungen Homosexueller konterkariert. Infolgedessen kam es zu Problemen bei der Dissonanzreduktion, weil sich das "Auffinden von Personen, die die neue Kognition" (Festinger 1978: 38) unterstützten, schwieriger gestaltete als noch bei der Entdeckung neuer homosexueller Nationalsozialisten nach dem "Röhm-Putsch". Die Herstellung von Evidenz über soziale Unterstützung gelang nicht. Indikator hierfür ist nicht nur Klaus Manns Intervention (vgl. Kapitel 3.6.3), insbesondere auch die Publikationstätigkeit des Pariser Tageblattes verweist auf eine erhebliche Verunsicherung bezüglich des Geschehens in Deutschland, die nicht zuletzt durch die die Umbewertung der Verhaftungsaktion konterkarierende Berichterstattung der ausländischen Presse verursacht wurde. Dennoch evozierte die politische Relevanz, die die Umbewertung im Saar-Abstimmungskampf gewonnen hatte, eine Art Burgfrieden, der den totalen Zusammenbruch dieses ersten Versuches der Dissonanzreduktion bis zum , dem Tag der Saar-Abstimmung, hinauszögerte. So stellte auch das Pariser Tageblatt (1934i) die Dissonanzreduktion über die Neuinterpretation der Verhaftungen als politisch motivierte nicht in Frage, wenn es als Verschleierungstaktik erklärte antihomosexuell motivierte Verhaftungen einräumte. Der relativ hohe Widerstand gegen eine Änderung des stereotypisierten Homosexuellenbildes, der sich in dem Versuch zur Änderung des kognitiven Elements der Umwelt ausdrückte, läßt jedoch nicht den Schluß zu, daß das Stereotyp allgemein einen hohen Grad der Gewißheit erlangt hatte. Vielmehr wurde der Änderungswiderstand hier primär durch die Relevanz erzeugt, die der Annahme einer politisch motivierten Verhaftungsaktion im Rahmen des Saar-Abstimmungskampfes zukam. Nach der Saar-Abstimmung wurde mit der Kenntnisnahme des antihomosexuellen Charakters der Verhaftungen durch das Pariser Tageblatt die im Saar- Abstimmungskampf entwickelte Methode der Dissonanzreduktion unbrauchbar. In der Berichterstattung des Pariser Tageblattes wurde daher der Versuch unternommen, die neuen Kognitionen in den axiomatischen Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus über dessen Modifizierung zu integrieren. Diese Methode der Dissonanzreduktion ist im Sinne Festingers (1978: 33f.) am ehesten als das "Hinzufügen neuer kognitiver Elemente" zu deuten. Allerdings handelte es sich bei den hinzugefügten kognitiven Elementen in erster Linie um die dissonanten und zunächst weniger um mit dem axiomatischen Wahrnehmungskontext konsonante, die dazu geeignet sind, "die

210 210 Gesamtstärke der Dissonanz zu reduzieren" (Festinger ). Durch das Hinzufügen dissonanter kognitiver Elemente hingegen ließ sich die Gesamtstärke der Dissonanz nur reduzieren, indem gleichzeitig bestimmte Aspekte des axiomatischen Wahrnehmungskontextes geändert wurden. Bezüglich anderer Aspekte blieben infolge der Integration dissonanter Kognitionen kognitive Dissonanzen bestehen. Deren Dissonanzstärke war jedoch nicht mehr groß genug, um dem von ihr erzeugten "Druck zur Reduktion oder Beseitigung der Dissonanz" (Festinger 1978: 30) besondere Relevanz zu verleihen. Die durch die Kognition der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung erzeugte Dissonanzstärke war für das Pariser Tageblatt zu groß, um die Vorstellung von der Homosexualität als einem NS-Massenphänomen durch das Hinzufügen mit dem etablierten Wahrnehmungskontext konsonanter Kognitionen aufrecht zu erhalten. Die Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus allerdings versuchte das Pariser Tageblatt (1935b) zu retten, indem es die Privilegierten des NS-Staates als durch "ein besonderes System" vor antihomosexuellen Verfolgungen geschützt beschrieb. Daß man sich hier an die sozialdemokratischen Vorstellungen von einer klassenspezifischen Ungleichbehandlung Homosexueller im Kaiserreich (vgl. Kapitel 2.3.1) anlehnte, ist unverkennbar. Doch auch dieser Versuch der Dissonanzreduktion wurde durch weitere dissonante Kognitionen, die Meldungen über Verhaftungen homosexueller NS-Beamter, konterkariert, so daß man die Verfolgungen schließlich als nur "knapp vor der Schranke der hohen Hierarchie des Staates und der Partei" (Pariser Tageblatt 1935g) halt machend beschrieb. Als empirischer Beweis hierfür konnte die nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" 'entdeckte' homosexuelle Veranlagung der höchsten NS-Führer gelten. Der axiomatische Wahrnehmungskontext wurde also in modifizierter Form aufrecht erhalten, indem man den unterstellten Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus auf die angebliche Homosexualität der höchsten NS-Führer reduzierte. Dieses vom Pariser Tageblatt eingeführte Muster der Dissonanzreduktion wurde 1935 von Julius Epstein und Kurt Hiller adaptiert und durch die Reduktion weiterer kognitiver Dissonanzen fortentwickelt (vgl. Kapitel 3.7.1). Auch hierbei spielte das Hinzufügen neuer, nun allerdings vornehmlich mit dem Wahrnehmungskontext konsonanter kognitiver Elemente eine wichtige Rolle. So griff Hiller den von Blüher beschriebenen Typ des homosexuellen Verdrängers, der zum Verfolger wird, auf, um die Dissonanz, daß homosexuelle NS-Führer Homosexuellenverfolgungen inszenieren sollten, zu reduzieren. Auch Epstein übernahm in seiner Beschreibung Hitlers den Begriff des homosexuellen Verdrängers, erklärte den Widerspruch zwischen angeblich homosexuellen NS-Führern und nationalsozialistischer Homosexuellenverfolgung schließlich jedoch, indem er die Verfolgung nur politisch unbequemer Homosexueller unterstellte. Dieses Muster der Dissonanzreduktion stützte Epstein auf konsonante kognitive Elemente, die aus dem modifizierten Wahrnehmungskontext infolge einer durch ihn bedingten "Umorien-

211 211 tierung von Aufmerksamkeit" (Stenger/Geißlinger 1991: 266) hervorgingen und somit selbstbestätigend wirkten. So deutete er einen Abschnitt des 1935 verschärften 175 RStGB, der die Möglichkeit der Straffreiheit für Täter unter 21 Jahren regelte, als Schutzklausel für "gesinnungstüchtige Hitlerjungen" (Epstein 1935b: 180). Damit entwickelte er die Vorstellung einer primär instrumentellen Homosexuellenverfolgung, die das Bild der nationalsozialistischen Homosexuellenpolitik bis in die siebziger Jahre prägte (vgl. Anm. 83). Schließlich machten Hiller und Epstein auch den Versuch, die zwischen der Kognition der Homosexuellenverfolgung und den Tendenzen zur Integration der Homosexualität in Faschismustheorien bestehende Dissonanz zu reduzieren. Waren jene Theorien, die Homosexualität als ein für den Bestand des Nationalsozialismus wesentliches Element beschrieben, durch die Integration der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung nur mühsam aufrecht zu erhalten, so ließ sich die Dissonanzstärke durch die Betonung der Bedeutung der Homosexualität für den "Aufbau" des "Dritten Reichs" (Epstein 1935b: 143) doch zumindest reduzieren. Die insbesondere von Pariser Tageblatt, Kurt Hiller und Julius Epstein entwickelte Methode der Dissonanzreduktion über das Hinzufügen auch dissonanter kognitiver Elemente verrät, daß ihnen nur bestimmte Aspekte des stereotypisierten Homosexuellenbildes evident geworden waren. Vorstellungen über eine Identität von Homosexualität und Nationalsozialismus, eine nationalsozialistische Gesinnung nahezu aller Homosexueller, waren ihnen zumindest ungewiß genug geblieben, um mit dem Gewahrwerden dissonanter kognitiver Elemente wieder aufgegeben zu werden. Die Vorstellung einer außerordentlichen Verbreitung der Homosexualität unter Nationalsozialisten und einer sich aus ihr ergebenden wesenhaften Bedeutung der Homosexualität für den Nationalsozialismus war ihnen jedoch ausreichend gewiß geworden, um auch nach dem Auftreten von kognitiver Dissonanz aufrecht erhalten zu werden. Denn gerade dem Homosexuellen Hiller und dem mit ihm befreundeten Epstein kann kein Interesse am Aufrechterhalten des stereotypisierten Homosexuellenbildes, etwa im Sinne seiner politischen Instrumentalisierbarkeit, unterstellt werden. Eher schon ließe sich die Annahme rechtfertigen, daß beiden an einer Differenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes gelegen war. Demgegenüber jedoch war ihnen die Kognition eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus im Zusammenhang der Erklärung des NS-Systems zumindest ansatzweise relevant geworden. Der bezüglich bestimmter Aspekte des stereotypisierten Homosexuellenbildes hohe Änderungswiderstand, der offensichtlich eine nur partielle Änderung der Kognition Zusammenhang Homosexualität/ Nationalsozialismus erlaubte, zeugt nicht nur davon, daß Hiller und Epstein diese (partiell) evident war, sondern spricht auch dafür, daß die Gewißheit bestimmter Aspekte dieser Kognition zur Alltagswirklichkeit des Exils gehörte. Die zweite Methode, mit der nach der Kenntnisnahme des dissonanten kognitiven Elements Homosexuellenverfolgung Dissonanz reduziert wurde, ist in Kapitel als Rationalisierung beschrieben worden. Auch sie war durch das

212 212 Hinzufügen neuer, nunmehr aber ausschließlich mit dem axiomatischen Wahrnehmungskontext konsonanter kognitiver Elemente geprägt. So reduzierte Erich Fromm (1936: 125) die Gesamtstärke der Dissonanz durch das Hinzufügen des kognitiven Elements einer für den Nationalsozialismus konstitutiven "sadomasochistischen Struktur", an die häufig homosexuelle "Strebungen" geknüpft seien. Ernst Bloch, vor allem aber auch Wolfgang Bretholz fügte dem axiomatischen Wahrnehmungskontext hingegen Blühers Theorie als neues kognitives Element hinzu, um Dissonanz zu reduzieren. Zudem verlagerten sie, wie von Epstein und Hiller bereits angedeutet, den Schwerpunkt des unterstellten wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus in dessen Frühphase. Ohne diese zu thematisieren, reduzierten sie auch so die mit dem Wahrnehmungskontext dissonante Kognition Homosexuellenverfolgung. Auf eine starke Intensität der Evidenz weist die von Fromm, Bloch und Bretholz angewandte Methode der Dissonanzreduktion hin. Ihnen war die Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus weitgehender noch als Hiller und Epstein gewiß geworden. So waren sie nicht in der Lage, die dissonante Kognition Homosexuellenverfolgung in ihre Vorstellungswelt zu integrieren und den axiomatischen Wahrnehmungskontext damit zumindest partiell zu modifizieren; der Änderungswiderstand des stereotypisierten Homosexuellenbildes erwies sich als sehr hoch. Zwar muß gerade Bloch und Bretholz unterstellt werden, daß das stereotypisierte Homosexuellenbild für sie, insbesondere im Hinblick auf seine Instrumentalisierbarkeit in politischen Auseinandersetzungen, eine höhere Relevanz besaß, als für Hiller und Epstein. Die Form jedoch, in der sie sich mit dem stereotypisierten Homosexuellenbild auseinandersetzten, zeugt davon, daß ihnen weniger an dessen instrumentellen Gebrauch im alltäglichen Geschäft der Politik, denn an der Erklärung des Phänomens Nationalsozialismus gelegen war. Zur Erklärung des Nationalsozialismus war ihnen die Vorstellung von dessem wesenhaften Zusammenhang mit Homosexualität evident geworden und relevant geblieben. Die dritte Methode der Dissonanzreduktion schließlich wurde mit der "Änderung eines kognitiven Elements des Verhaltens" vollzogen. Sie fand in dem deutlichen Nachlassen der Publikationstätigkeit eines Großteils jener Exilperiodika, die am Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes beteiligt gewesen waren, ihren Ausdruck. Besonders augenfällig ist diese Entwicklung der Publikationstätigkeit insbesondere bei den von den Arbeiterparteien SPD und KPD herausgegebenen Periodika, in denen die Thematisierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes nahezu zum Erliegen kam. Doch auch bei den meisten anderen ausgewerteten Exilperiodika kam es zum einem quantitativen Rückgang der themenbezogenen Publikationen. Diese Methode der Dissonanzreduktion zeugt von einem relativ geringen Änderungswiderstand des stereotypisierten Homosexuellenbildes. Auch wenn in der nachlassenden Thematisierung kein ausreichender Beweis für eine Änderung der Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexua-

213 213 lität und Nationalsozialismus zu sehen ist, so zeigt sie doch, daß diese für die Erklärung des NS-Systems nicht relevant und für die politische Instrumentalisierung nach dem Auftreten dissonanter Kognitionen nicht mehr ausreichend relevant war. Das stereotypisierte Homosexuellenbild war also jenen, die es seit Anfang 1935 nicht mehr thematisierten, nur in geringem Maße evident geworden. 4.3 Die an der Verbreitung des Stereotyps beteiligten sozialen und politischen Gruppen Nachdem in Kapitel 4.1 der Prozeß der Evidenzherstellung im allgemeinen und in Kapitel 4.2 die von diesem Prozeß evozierten Intensitätsunterschiede der Evidenz analysiert wurden, soll im folgenden Kapitel eine nach politischer Orientierung differenzierende Bewertung der Rolle der unterschiedlichen Periodika und Autoren im Prozeß der Produktion von Gewißheit vorgenommen werden; überdies soll der Einfluß der homosexuellen Autoren einer gesonderten Betrachtung unterworfen werden. In welcher Hinsicht die Thematisierung des Stereotyps relevant war, und inwieweit es evident wurde, soll vor dem Hintergrund der festgestellten Intensitätsunterschiede der Evidenz geklärt werden. Um über die qualitativen und quantitativen Unterschiede der Thematisierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes einen ersten Eindruck zu vermitteln, wurde eine Statistik erstellt (vgl. Seite 215). Die Publikationen der verschiedenen Exilperiodika mußten zu diesem Zweck einer qualitativen Bewertung unterzogen werden. Kriterium der Bewertung war, ob die jeweilige Publikation das stereotypisierte Homosexuellenbild im Prozeß seiner Entstehung bzw. Etablierung unter Berücksichtung der Faktoren, die in Kapitel 4.1 als für die Herstellung von Evidenz relevant erwiesen wurden, eher bestätigte, oder eher konterkarierte. Jene Publikationen, die sich sowohl von bestätigenden, als auch von konterkarierenden Aspekten geprägt zeigten, wurden mit der Kategorie "Sonstiges" erfaßt. Überdies wurden unter "Sonstiges" Publikationen subsumiert, die weder bestätigende, noch konterkarierende Aspekte aufwiesen Die Rolle der kommunistischen Presse Die Rolle der kommunistischen Exilperiodika war von einem vornehmlich instrumentellen Gebrauch des stereotypisierten Homosexuellenbildes geprägt. Die ausgewerteten Publikationen erweisen, daß das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten in Publikationen der kommunistischen Exilperiodika nahezu ausschließlich bestätigt wurde. Relevant war das Stereotyp den kommunistischen Periodika jedoch vornehmlich im Sinne einer die Nationalsozialisten diskreditierenden Wirkung. Dies erweist schon die meist äußerst plakative Themati-

214 214 sierung der angeblich homosexuellen Veranlagung führender Nationalsozialisten. Bedeutung und Auswirkungen der vorgebrachten Beschuldigung wurden im Gegensatz zu anderen Periodika kaum reflektiert. Für die Erklärung des Nationalsozialismus hatte das Stereotyp keine Bedeutung. Das Phänomen Faschismus wurde entsprechend der kommunistischen Parteidoktrin als Resultat ökonomischer Entwicklungen gedeutet. Der instrumentelle Gebrauch des Stereotyps allerdings war nicht selten mit bewußter Manipulation verknüpft. Zumindest mit der Konstruktion der Braunbuch-Geschichte und der Entdeckung der Homosexualität Hitlers durch die Deutsche Volks-Zeitung (1934a) leisteten kommunistische Publikationen einen bedeutenden Beitrag zum Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes. Hier lieferten sie die Hinweise, die die Diskursivierung eines wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus, und damit den Prozeß der Herstellung von Evidenz evozierten. Bei den Autoren der kommunistischen Periodika selbst allerdings, scheint die instrumentelle Nutzung des Stereotyps zur Herstellung der Gewißheit allenfalls bestimmter Aspekte des stereotypisierten Homosexuellenbildes geführt zu haben. Zwar verursachte der nicht zuletzt infolge kommunistischer Manipulationen installierte Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus eine "Sogwirkung" (Stenger/Geißlinger 1991: 267), der sich auch die Manipulatoren nicht vollkommen entziehen konnten. So mag manchen der Manipulatoren die Homosexualität führender Nationalsozialisten evident geworden sein. Ein wesenhafter Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen wurde ihnen jedoch nicht gewiß. Entsprechend erklärt sich die Entwicklung der Publikationstätigkeit der kommunistischen Periodika nach dem Auftreten der relevanten dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung. Nachdem die Evidenz der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung hergestellt war, verlor der Homosexualitätsvorwurf in der politischen Auseinandersetzung an Schlagkraft. Daher verzichteten die kommunistischen Periodika nun weitgehend auf die Thematisierung von Homosexualität. Der dem Thema aus kommunistischer Perspektive anhaftende Geruch des Unanständigen, mit dem eben noch Politik zu machen versucht worden war, evozierte nun ein breites Schweigen nicht nur bezüglich der neuen Kognition Homosexuellenverfolgung. Gereizt reagierten führende KPD-Funktionäre, wenn Homosexualität fürderhin "überbetont" wurde. So erregte Ludwig Renns (1989) Roman "Vor großen Wandlungen" das Mißfallen Wilhelm Piecks (1989: 196): "Auch wirkt bei einem kommunistischen Schriftsteller die allzu starke Hervorkehrung homosexueller Momente peinlich. Es ist bekannt, wie stark gerade die Homosexualität in der faschistischen Führerclique eine Rolle spielt, aber wir Kommunisten haben diese Tatsache bei unserem Kampfe gegen das faschistische Regime nicht in den Vordergrund gestellt. Wir wenden andere Waffen an, um es zu bekämpfen."

215 215 Stereotypisiertes Homosexuellenbild Titel: bestätigend: konterkarierend: Sonstiges: Insgesamt: Kommunistisch: Deutsche Volks-Zeitung Der Gegen-Angriff Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung Sozialdemokratisch: Deutsche Freiheit Neuer Vorwärts Neue Volks-Zeitung Volksstimme Sozialistisch: Internat. Ärztliches Bulletin (IVSÄ) Sozialistische Warte (ISK) Zeitschrift für polit. Psychologie und Sexualökonomie (Sex-Pol) Sozialistisch - Linksliberal: Aufruf Das Blaue Heft Europäische Hefte Die Neue Weltbühne Die Sammlung Simplicus Bürgerlich: Das Neue Tage-Buch Pariser Tageblatt Das Reich Nationalistisch - Völkisch: - Die deutsche Revolution Nicht einschätzbar: - General-Anzeiger f. d. Saargebiet Schweiz. Freundschafts-Banner Insgesamt:

216 Die Rolle der sozialdemokratischen Presse Widersprüchlicher als die Rolle der kommunistischen Presse war die der sozialdemokratischen Periodika. Relevanz hatte die Thematisierung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus zwar auch für sie vornehmlich im Sinne einer instrumentellen Nutzung zur Diskreditierung des politischen Gegners. Mehr aber als die Publikationen der kommunistischen Presse weisen die der sozialdemokratischen die Tendenz auf, Homosexualität auch als ein den Nationalsozialismus verursachendes Phänomen zu werten. Dies liegt zweifellos in der Tatsache begründet, daß die SPD im Gegensatz zur KPD kein allgemein verbindliches und inhaltlich bis ins Detail geregeltes Konzept zur Erklärung des Nationalsozialismus anbot. Hauptmotivation der sozialdemokratischen Beiträge zum Exildiskurs über Homosexualität war gleichwohl die Hoffnung, die Nationalsozialisten über die durch ihre Gleichsetzung mit Homosexuellen erhoffte Mobilisierung von Ressentiments politisch anzugreifen. Die Ausprägung des NS-Erklärungsmodells Homosexualität blieb dagegen doch eher rudimentär. Beleg hierfür ist nicht zuletzt auch das schlechte Gewissen vieler Autoren von Homosexualitätsvorwürfen geprägter Publikationen, daß sich in Verweisen auf die sexualreformerische Tradition der SPD oder auf ihren "Kampf" gegen den 175 RStGB ausdrückte. Diesem schlechten Gewissen dürfte es überdies geschuldet gewesen sein, daß Magnus Hirschfeld (1933a) einen die Strategie der Sexualdenunziation versteckt kritisierenden Aufsatz in der Deutschen Freiheit veröffentlichen konnte. In einem im Vergleich der Exilperiodika äußerst hohen Maße allerdings siegte bei den sozialdemokratischen über das schlechte Gewissen das Bedürfnis, die als pervers und krank empfundene Homosexualität in der politischen Auseinandersetzung zu instrumentalisieren. Und hierbei kam es, wie in der kommunistischen Presse auch, zur Veröffentlichung von Artikeln, deren manipulativer Charakter nicht nur über die Umorientierung von Aufmerksamkeit aus dem axiomatischen Wahrnehmungskontext Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus hervorging, sondern deren Autoren zumindest teilweise bewußt gewesen sein muß. Zu verweisen ist hier auf die Veröffentlichungen der Neuen Volks-Zeitung und des Neuen Vorwärts nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" (vgl. Kapitel 3.5.3) und die der Deutschen Freiheit nach den ersten Meldungen über Homosexuellenverhaftungen (vgl. Kapitel 3.6.2). Für die Herstellung von Evidenz im Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes war die insbesondere aber auch quantitativ herausragende Publikationstätigkeit der sozialdemokratischen Presse von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Insbesondere sie lieferte in ihrer Berichterstattung empirische Belege, die Etablierung und Entfaltung des axiomatischen Wahrnehmungskontextes stützten. Trotz unverkennbarer Tendenzen zur Thematisierung auch eines wesenhaften, zur Erklärung des NS-Systems geeigneten Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus allerdings, wurde den Autoren der sozialdemokratischen

217 217 Presse ein solcher allenfalls auf einer sehr niedrigen Intensitätsstufe evident. Kaum anders jedenfalls, läßt sich das ähnlich wie bei der kommunistischen Presse nach der Saar-Abstimmung zu verzeichnende Schweigen zum Thema Homosexualität erklären. Gewißheit hatte im sozialdemokratischen Pressespektrum hauptsächlich die Annahme der homosexuellen Veranlagung eines Großteils der NS-Führer erlangt. Deren politische Instrumentalisierung jedoch hatte nach dem Auftreten der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung an Schlagkraft verloren Die Presse weiterer sozialistischer Gruppierungen Als insbesondere für den Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes unbedeutend erwies sich die Publikationstätigkeit der an drei kleinere sozialistische Gruppierungen gebundenen Exilperiodika. So wurde in den Ausgaben der Jahrgänge 1933/1934 lediglich eine Publikation gefunden. Bei dieser handelte es sich um eine Stellungnahme, die die Sex-Pol (1934) nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" in der Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie veröffentlichte. Der Erscheinungszeitpunkt und Inhalt dieser Publikation erweisen jedoch, daß es sich selbst hierbei weniger um einen Beitrag zum Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes handelte. So wurde die Evidenz einer außerordentlichen Verbreitung der Homosexualität in NS-Organisationen bereits vorausgesetzt, um, angelehnt an Wilhelm Reichs 1933 veröffentlichte Faschismus-Theorie (vgl. Kapitel 3.4.2), die Entstehung von Homosexualität aus der Struktur dieser Organisationen zu erklären. Relevanz hatte das stereotypisierte Homosexuellenbild für die Erklärung des Nationalsozialismus. Dies gilt auch für einen erst nach dem Auftreten der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung in der Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie veröffentlichten Aufsatz Julius Epsteins (1935b) und zwei Publikationen des Internationalen Ärztlichen Bulletins. Den Autoren dieser Publikationen war ein wesenhafter Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus für dessen Erklärung relevant und weitgehend evident geworden; und dies auf der Basis der Rezeption des Exildikurses der Jahre 1933 und Erst nach Bekanntwerden der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung schalteten sie sich in den Exildiskurs ein, um die entstandene kognitive Dissonanz zu reduzieren. Ihr Umgang mit der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung allerdings differierte. War Epsteins Aufsatz von der Integration der dissonanten Kognition geprägt und verriet damit eine niedrigere, so verwies die Ignorierung der Homosexuellenverfolgung durch das Internationale Ärztliche Bulletin auf eine höhere Intensitätsstufe der Evidenz eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus. Trotz der Relevanz jedoch, die einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus in allen diesen

218 218 Publikationen der ausgewerteten Periodika sozialistischer Gruppen für die Erklärung des NS-Systems zugeschrieben wurde, war das von diesen Zeitschriften vermittelte Homosexuellenbild differenzierter, als das von KPD und SPD. So publizierte die Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie einen Aufsatz Epsteins (1935a) und die Sozialistische Warte einen Artikel Hillers (1936a), in denen diese das sowjetische Antihomosexuellengesetz von 1934, aber auch dessen Rechtfertigung mittels der Gleichsetzung von Faschismus und Homosexualität kritisierten (vgl. Kapitel 3.7.1) Das sozialistisch bis linksliberal orientierte Pressespektrum Die Auswertung der Publikationen der sozialistisch bis linksliberal ausgerichteten Periodika ergab ein gespaltenes Bild. Da allein fünf der sechs untersuchten Zeitschriften ihr Erscheinen 1934 oder 1935 einstellten, ließen sich bezüglich der Intensität der Evidenz, die die Vorstellung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus für ihre Autoren erlangte, kaum Aussagen treffen. Ihre Rolle im Prozeß der Herstellung von Evidenz allerdings konnte beleuchtet werden. So taten sich besonders der Aufruf und die Satirezeitschrift Simplicus mit Publikationen hervor, die geeignet waren, die Etablierung und Entfaltung des Wahrnehmungskontextes Zusammenhang Homosexualität/Nationalsozialismus zu befördern. Während sich der Simplicus vornehmlich der Denunziation der angeblich homosexuellen Veranlagung von Nationalsozialisten bediente, um den axiomatischen Wahrnehmungskontext empirisch zu bestätigen, gewann das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten im Aufruf mitunter auch Relevanz für die Erklärung des Nationalsozialismus. Demgegenüber mußten die vereinzelten themenbezogenen Publikationen, die Das Blaue Heft, die Europäischen Hefte und Die Sammlung veröffentlichten, auf die Entwicklung des stereotypisierten Homosexuellenbildes einen eher konterkarierenden Einfluß ausüben. Die ganze Widersprüchlichkeit des sozialistisch-linksliberalen Pressespektrums hingegen repräsentiert die Entwicklung der Publikationstätigkeit der Neuen Weltbühne. Unter der Leitung Willi Schlamms erschienen hier 1933 nur themenbezogene Aufsätze, in denen die Strategie der Sexualdenunziation kritisiert wurde. Als Hermann Budzislawski die Redaktionsleitung im Frühjahr 1934 übernahm, änderte sich diese Linie zunächst vollkommen. Bis zur Saar-Abstimmung erschienen jetzt fast ausschließlich Artikel sexualdenunziatorischen Charakters, die im Prozeß der Herstellung von Evidenz zur empirischen Bestätigung des axiomatischen Wahrnehmungskontextes beitrugen. Das Auftreten der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung veränderte die Publikationstätigkeit der Neuen Weltbühne erneut. Die 1935 und 1936 veröffentlichten Artikel Kurt Hillers vermittelten nun ein etwas differenzierteres Bild. Erstmals in der Neuen Weltbühne basierten sie aber auch auf der Gewißheit eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität

219 219 und Nationalsozialismus, einer Gewißheit, die auch die 1937 publizierten Artikel Blochs und Bretholz' prägte. Anders als die Presse der Arbeiterparteien war das sozialistisch-linksliberale Pressespektrum im Prozeß der Herstellung von Evidenz nicht nur von der Nutzung, sondern auch von Kritik an der Strategie der Sexualdenunziation geprägt. Die Analyse der Entwicklung der Publikationstätigkeit der Neuen Weltbühne nach 1935 erweist allerdings, daß die Denunziation der vermeintlich homosexuellen Veranlagung von Nationalsozialisten stärker als insbesondere bei der Presse der KPD mit der Herstellung der Evidenz auch eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus einherging Die Rolle der bürgerlichen Presse Auch für die ausgewerteten bürgerlichen Zeitungen und Zeitschriften läßt sich kein eindeutiges Bild erstellen. Auffällig an den drei Publikationen des Neuen Tage-Buches ist, daß sie sämtlich 1933 erschienen. Alle drei Aufsätze zeichnet überdies die Thematisierung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus aus. Mit der Herstellung von Zusammenhängen insbesondere zwischen den als "Sadismus" gefaßten Gewaltexzessen der Nationalsozialisten und deren (vermeintlich) homosexueller Veranlagung trugen die Veröffentlichungen des Neuen Tage-Buches zu einem sehr frühen Zeitpunkt zur ursächlichen Verknüpfung beider Phänomene und damit zur Installation des axiomatischen Wahrnehmungskontextes bei. Obgleich diese Publikationstätigkeit nicht fortgeführt wurde, zeugen die 1933 veröffentlichten Aufsätze von einer hohen Intensitätsstufe der Gewißheit eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus. Vermutlich aber war den auf die Analyse der ökonomischen Entwicklung Deutschlands Wert legenden und um Sachlichkeit bemühten Autoren des Neuen Tage-Buches das Stereotyp vom homosexuellen Nationalsozialisten weder im Sinne seiner Instrumentalisierung in der politischen Auseinandersetzung, noch als Erklärungsansatz für das NS-System ausreichend relevant, um es weiterhin zu thematisieren. Demgegenüber erweisen die zwei themenbezogenen Publikationen der Zeitschrift Das Reich und die Artikel des Pariser Tageblattes, daß das stereotypisierte Homosexuellenbild den meisten ihrer Autoren zur Erklärung des NS-Systems relevant und evident geworden war. Die Herstellung von Evidenz hatte sich für sie über die Rezeption des Exildiskurses der Jahre 1933/1934 vollzogen. Angesichts des Auftretens der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung evozierte die Erklärungsrelevanz des Stereotyps dessen Überprüfung. Die Überprüfung jedoch war an den axiomatischen Wahrnehmungskontext, aus dem die erste Interpretation der Verhaftungen als Verschleierungstaktik, bzw. als die Verfolgung zufällig auch homosexueller oppositioneller Nationalsozialisten hervorging, gebunden. Die Methode der Dissonanzreduktion über das Hinzufügen auch

220 220 des dissonanten kognitiven Elements Homosexuellenverfolgung erweist jedoch, daß den Autoren der Blätter Pariser Tageblatt und Das Reich die Vorstellung von einem wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus auf einer niedrigeren Intensitätsstufe evident geworden war, als etwa den Weltbühnen-Autoren Bloch und Bretholz Die Rolle der Zeitschrift Die deutsche Revolution Die drei ausgewerteten Publikationen der von dem NS-Renegaten Otto Straßer herausgegebenen Zeitschrift Die deutsche Revolution erweisen deren primär instrumentellen Umgang mit dem stereotypiserten Homosexuellenbild. Indem sich Die deutsche Revolution nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm- Putsches" der Sexualdenunziation bediente, trug sie entscheidend zur Reproduktion der empirischen Grundlagen des axiomatischen Wahrnehmungskontextes bei. Otto Straßer übernahm in dieser Situation die Rolle eines sozial legitimierten Experten, der die zunächst in der kommunistischen und sozialdemokratischen Presse veröffentlichten Homosexualitätsvorwürfe in seiner Zeitschrift bestätigte, denn ihm wurde die Kenntnis des Intimlebens der prominenten NS-Führer zugeschrieben. Und auch der nach dem Auftreten der dissonaten Kognition Homosexuellenverfolgung veröffentlichte Artikel verweist auf eine nur instrumentelle Nutzung des Homosexualitätsvorwurf zur Disqualifizierung der einstigen "Kampfgefährten" Straßers. Daß sich allerdings nur drei themenbezogene Publikationen fanden, spricht dafür, daß die Strategie der Sexualdenunziation für Die deutsche Revolution nie die Relevanz erlangte, die sie für die kommunistische oder gar die sozialdemokratische Presse hatte Die Rolle der homosexuellen Autoren Im zeitlichen Rahmen des Entstehungsprozesses des stereotypisierten Homosexuellenbildes veröffentlichte lediglich Magnus Hirschfeld themenbezogene Aufsätze. Während Kurt Hiller erst im Herbst 1934 emigrierte und somit keine Möglichkeit zur publizistischen Partizipation hatte, beruhte das Schweigen Klaus Manns darauf, daß er sich als "Betroffener" als nicht zur Teilnahme am Exildiskurs berufen begriff. Magnus Hirschfeld kritisierte in allen dreien seiner 1933/1934 veröffentlichten Aufsätze die Strategie der Sexualdenunziation. Insofern wirkte seine Publikationstätigkeit insbesondere des Jahres 1933 auf die Entwicklung des stereotypisierten Homosexuellenbildes konterkarierend. Seine nach den Ereignissen des sogenannten "Röhm-Putsches" veröffentlichte "sexualkritische Studie" (vgl. Kapitel 3.5.2) allerdings macht deutlich, daß inzwischen auch Hirschfelds Realitätsperspektive an den kategorialen Apparat des insze-

221 221 nierten Kontextes gebunden war. Auch wenn er das Stereotyp vom homosexuellen Gewalttäter, über das ein wesenhafter Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus konstituiert worden war, zu entkräften suchte, so deuteten andere seiner Ausführungen darauf hin, daß ihm zumindest die Vorstellung eines besonders hohen Verbreitungsgrades der Homosexualität unter Nationalsozialisten evident geworden war. Da dem prominenten Sexualforscher Hirschfeld die Rolle eines sozial legitimierten Experten zukam, trug er mit solchen Ausführungen, die auf der Basis des axiomatischen Wahrnehmungskontextes rezipiert wurden, zur Herstellung der Evidenz des stereotypisierten Homosexuellenbildes bei. Demgegenüber erweist Klaus Manns nach dem Auftreten der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung in Willi Schlamms Europäischen Heften veröffentlichter Aufsatz, daß ihm kaum ein Aspekt des stereotypisierten Homosexuellenbildes evident geworden war. Lediglich, daß die Nationalsozialisten trotz der von ihnen betriebenen Homosexuellenverfolgung "teils homosexuelle Cliquen" bildeten, wollte Mann (1934: 678) nicht ausschließen, eine Vorstellung, die großen Teilen der deutschen Öffentlichkeit bereits nach der Anti-Röhm-Kampagne der Münchner Post evident geworden war. Ansonsten erwies sich Mann als von den Paradigmen des axiomatischen Wahrnehmungskontextes erstaunlich unbeeinflußt; einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus bestritt er vehement. Nicht zuletzt die Veröffentlichung seines Aufsatzes dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, daß sich die dissonante Kognition Homosexuellenverfolgung im Exil als realitätsschaffend durchsetzen konnte. Die Publikationen Kurt Hillers erweisen, daß auch ihm bestimmte Aspekte des stereotypisierten Homosexuellenbildes evident geworden waren. Aus der von ihm adaptierten Vorstellung von einer homosexuellen Veranlagung eines großen Teiles der prominenten NS-Führer schloß er auf einen wesenhaften Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus. Allerdings trugen seine Publikationen auch maßgeblich zur Kenntnisnahme der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung und damit zu einer Differenzierung des stereotypisierten Homosexuellenbildes bei. Eine Bedeutung auch der Homosexualität für die Entstehung des Nationalsozialismus blieb ihm aber evident. Daß Hirschfeld und Hiller bestimmte Aspekte des stereotypisierten Homosexuellenbildes adaptierten, macht nochmals deutlich, daß deren Gewißheit Bestandteil der Alltagswirklichkeit des Exils geworden war. Insbesondere die Erkenntnis eines besonders hohen Verbreitungsgrades der Homosexualität unter Nationalsozialisten hatte allgemeine Evidenz erlangt. Daß diese Wahrheit auch von homosexuellen Emigranten adaptiert wurde, ist nicht weiter verwunderlich, denn auch sie waren Mitglieder des sozialen Zusammenhangs Emigration. Schon die Zugehörigkeit zu offeneren gesellschaftlichen Zusammenhängen bindet den einzelnen an den vorherrschenden gesellschaftlichen Wahrnehmungskontext und nötigt Betroffene, "zumindest einen Teil der gesellschaftlichen Meinung zur

222 222 eigenen Person zu übernehmen" (Lautmann 1977: 15). Die Exilsituation allerdings brachte es mit sich, daß gesellschaftliche Sanktionen wie etwa die soziale Isolierung, mit denen jene, die sich dem vorherrschenden Wahrnehmungskontext verweigern, belegt werden, einen wesentlich bedrohlicheren Charakter hatten, als unter normalen gesellschaftlichen Umständen. Nicht nur das soziale, sondern auch das materielle und oftmals sogar das physische Überleben hing von der Integration in den sozialen Zusammenhang Emigration ab. Insofern verwundert es weniger, daß Hiller und Epstein Homosexuelle zumindest "teilweise entlang der offiziellen Meinung" (Lautmann 1977: 15) typisierten, sondern daß Klaus Mann hier weitgehend widerstand. Er allerdings war durch seinen familiären Hintergrund zumindest materiell abgesichert. 4.4 Resümee Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten entbehrte nicht ihrer empirischen Grundlagen. Es gab homosexuelle Nationalsozialisten und Ernst Röhm war der prominenteste von ihnen. Zu den empirischen Grundlagen zählte überdies ein ganzes Sammelsurium bewährter Homosexuellenstereotype, daß zur Herstellung der Evidenz eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus beitrug. Empirische Grundlage des Konstruktionsprozesses war hingegen nicht die Erkenntnis der politischen Orientierung der Homosexuellen Deutschlands. Die von Herzer (1990b: 35) gestellte Frage nach dem "vielleicht vorhandenen realen Kern dieses Klischees" läßt sich also wie folgt beantworten: Die homosexuelle Veranlagung Röhms und vermutlich etwa vier weiterer Nationalsozialisten, die in deutschen Exilperiodika der Homosexualität beschuldigt wurden, tradierte Homosexuellenstereotype und nicht zuletzt die Antihomosexualität der Arbeiterparteien KPD und SPD stellten den "realen Kern" dar, der den Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes evozierte. Gerade der Entstehungsprozeß der Vorstellung eines wesenhaften Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus wurde von kommunistischen und sozialdemokratischen Exilperiodika wesentlich bestimmt. Nutzten sie das Stereotyp auch in erster Linie zur Disqualifizierung der Nationalsozialisten, so garantierten sie mit seiner wiederholten Thematisierung doch die Herstellung der Evidenz des Stereotyps. Weitgehend unbeteiligt am Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes waren hingegen die an kleinere sozialistische Organisationen gebundenen und die bürgerlichen Exilperiodika. Ihre Autoren rezipierten den Exildiskurs der Jahre 1933 und 1934 meist nur. Gerade dies scheint auch eine wesentliche Bedingung dafür gewesen zu sein, daß ihnen nicht nur die homosexuelle Veranlagung eines Großteils der NS-Führer, sondern auch ein sich daraus ergebender wesenhafter Zusammenhang zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus evident wurde. Die teilweise auf bewußter Manipulation basierende Instrumen-

223 223 talisierung des Homosexualitätsvorwurfes vornehmlich durch die Presse der Arbeiterparteien, und die Internalisierung der Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen Homosexualität und Nationalsozialismus in erster Linie durch die Rezipienten des Exildiskurses, ergänzten sich gegenseitig im Entstehungsprozeß des stereotypisierten Homosexuellenbildes. Erst nach dem Auftreten der dissonanten Kognition Homosexuellenverfolgung, als die Presse der Arbeiterparteien den von ihnen inszenierten Kontext zu beschweigen begann, weil der Homosexualitätsvorwurf seine politische Schlagkraft eingebüßt hatte, thematisierten die Autoren der sozialistischen und bürgerlichen Periodika die ihnen gewiß gewordenen Zusammenhänge. Indem sie die entstandene kognitive Dissonanz reduzierten, gewährleisteten sie die Tradierung des Stereotyps.

224 224 (c) Alexander Zinn

225 225 Dokumente Dokument 1: Anonyme Briefe drei homosexueller Männer an General Keitel und an Reichsbischof Müller. Militärarchiv Freiburg, Film 1842/ AN

226 226 (c) Alexander Zinn

227 227 (c) Alexander Zinn

228 228 (c) Alexander Zinn

229 229 Dokument 2: Der Reichs- und Preußische Minister des Innern an das Geheime Staatspolizeiamt. GSTA: 90 P, Nr. 65, Heft 1, Blatt 86, 86R.

230 230 (c) Alexander Zinn

231 231 Abkürzungen Abb. BfM B.P.P. CPH DDP DFV DNB DNVP DVP EV GdE Gestapa Gestapo GSTA IfS IfSoz ISK IVSÄ Komintern KPD KRN KRS KSC KZ LAH NSDAP PO RMI RStGB SA SdP SED SPD SS WhK WLSR ZK Abbildung Bund für Menschenrecht Bayrische Politische Polizei Kommunistische Partei Hollands Deutsche Demokratische Partei Deutscher Freundschaftsverband Deutsches Nachrichten-Büro Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Einheitsverband für proletarische Sexualreform und Mutterschutz Gemeinschaft der Eigenen Geheimes Staatspolizeiamt Geheime Staatspolizei Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Institut für Sexualwissenschaft Institut für Sozialforschung Internationaler Sozialistischer Kampfbund Internationale Vereinigung Sozialistischer Ärzte Kommunistische Internationale Kommunistische Partei Deutschlands Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten Kartell zur Reform des Sexualstrafrechts Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Konzentrationslager Leibstandarte Adolf Hitler Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Politische Organisation Reichsministerium des Innern Reichsstrafgesetzbuch Sturmabteilung Sudetendeutsche Partei Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Wissenschaftlich-humanitäres Komitee Weltliga für Sexualreform Zentralkomitee

232 232 (c) Alexander Zinn

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