Wie lässt sich das innovative Potenzial von Online- Communities nutzen? Vorstellung der Netnographie- Methode
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- Alma Mann
- vor 8 Jahren
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1 Wie lässt sich das innovative Potenzial von Online- Communities nutzen? Vorstellung der Netnographie- Methode 1. Einleitung Online-Communities stellen für Unternehmen eine einzigartige Wissens- und Innovationsquelle dar. Interessierte Konsumenten treffen sich zu tausend in Online- Communities, um ihre Erfahrungen im Umgang mit Produkten auszutauschen, Möglichkeiten zur Lösung erlebter Probleme und Schwierigkeiten zu erörtern und gemeinsam an Produktmodifikationen und Neuproduktideen zu arbeiten. In der Online-Community outdoorseiten.net zum Beispiel entwickeln begeisterte Alpinisten und Wanderer ihr eigenes Equipment. Koch-Enthusiasten treffen sich in der Community chefkoch.de und überlegen, wie Küchengeräte und Kochutensilien verbessert werden können. Mitglieder der ilounge.com Community haben sich dem Apple ipod verschrieben. Sie diskutieren Probleme und Schwachstellen, wie z.b. die kurze Lebensdauer der ipod-batterie, und entwerfen neuartige Designs. Wie lassen sich diese Aktivitäten für die Neuproduktentwicklung von Unternehmen nutzen? Dieser Beitrag stellt die Netnographie-Methode vor. Diese ermöglicht es Unternehmen, sich das Wissen und die Kreativität von Online-Communities zu Nutze zu machen. 2. Netnographie-Methode Netnographie (Kozinets 2002) basiert auf den Grundzügen der Ethnographie, also der Beobachtung des Verhaltens von Gruppen und ihrer einzelnen Mitglieder durch die direkte Beteiligung des Forschers selbst. Nicht die einzelnen Personen selbst sind Untersuchungsgegenstand, sondern die im Internet beobachtbare Konversation und soziale Interaktion. Netnographie erlaubt das Konsumentenverhalten
2 unaufdringlich und unbeeinflussend zu erforschen. Mit der Methode lässt sich herausfinden, wie einzelne Online-Communities und deren Mitglieder über bestimmte Themen denken, was sie von einzelnen Produkten und Marken halten bzw. welche Themen der Community wichtig sind. Die von Kozinets vorgestellte Netnographie-Methode teilt sich in vier Bestandteile: (1) making cultural entree (2) gathering and analyzing data (3) ensuring trustworthy interpretation und (4) research ethics. Sie beschreibt, wie sich Communities identifizieren lassen, was bei der Kontaktaufnahme mit Communities zu berücksichtigen ist, wie die Beobachtung und Informationsgewinnung erfolgen kann, wie sich die Vertrauenswürdigkeit der gewonnenen Ergebnisse überprüfen lässt und welche ethischen Richtlinien bei der Netnographie-Forschung berücksichtigt werden müssen. Zwei Dinge sind zur Vorbereitung der Durchführung eines Nethographie- Projektes von Bedeutung: das Definieren einer konkreten Fragestellung sowie das Identifizieren geeigneter Online-Communities. Möchte ein Unternehmen die gewonnen Community-Erkenntnisse verallgemeinern, empfiehlt es sich, die Ergebnisse mittels anderer Marktforschungsmethoden, wie zum Beispiel mittels Fokusgruppen oder persönlichen Interviews, zu triangulieren. Für die Produkt- und Serviceentwicklung in Kooperation mit Online-Communities hat sich eine leicht modifizierte Vorgehensweise der Netnographie-Methode herauskristallisiert (Füller et al. 2006). Die netnographie-basierte Analyse innovativer Online-Communities erfolgt in vier Schritten: (1) Bestimmung des Teilnehmerprofils (2) Identifikation geeigneter Online-Communities (3) Observation und Datengewinnung und (4) Analyse und Interpretation. 3. Anwendung der netnographie-basierten Methode Die praktische Verwendung der netnographie-basierten Methode lässt sich am Beispiel innovativer Online-Basketball-Communities zeigen. Ein führender Sportartikelhersteller wollte künftige Konsumentenanforderungen identifizieren und konkrete Ideen für Produktverbesserungen und Neuprodukte im Bereich Basketballschuhe identifizieren. 1. Bestimmung des Teilnehmerprofils: Zunächst machte sich der Hersteller Gedanken über die Eigenschaften der Community-Mitglieder die gesucht
3 wurden enthusiastische und kreative Basketballspieler mit umfangreichem Produktwissen. 2. Identifikation geeigneter Online-Communities: Ein Internetscreening mittels Google lieferte mehr als 500 Online-Basketball-Communities. Basierend auf der Mitgliederanzahl, den Umgangsformen und der Anzahl und Qualität der Beiträge kristallisierten sich Niketalk, Basketballboards, Instyleshoes, Kickz101 und Kicksology als die 5 vielversprechendsten Communities für die Aufgabenstellung heraus. Die Niketalk Community beispielsweise zählt derzeit rund Mitglieder, die sich ausschließlich Basketballschuhen widmen. Sie gehört hinsichtlich Qualität und Quantität anzutreffender Innovationen zu den besten Informationsquellen im Internet. Gegründet und betrieben wird die Community von privaten Basketballfans und, obwohl man angesichts des Namens anderes vermuten könnte, besteht keine direkte Verbindung zur Firma Nike. In den ausgewählten Communities treffen sich enthusiastische Basketballspieler aus der ganzen Welt, um sich über Erfahrungen in Zusammenhang mit ihren Sportschuhen zu unterhalten und gemeinsam Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. 3. Observation und Datengewinnung: Alle 5 Communities wurden über einen Zeitraum von 6 Monaten beobachtet. Zur Identifikation innovativer Ideen und möglicher Trends wurden zunächst insgesamt Posts (Beiträge) überflogen. Mit Hilfe von Informationsfiltern (Relevanz und Länge der Themen) konnten innovations-relevante Posts identifiziert und gespeichert werden. Die durchgeführte softwareunterstützte Inhaltsanalyse dieser Mitteilungen lieferte sowohl Einblick in die Innovationsfähigkeit der Communities als auch zahlreiche innovative Ideen. 4. Analyse und Interpretation: Die Analyseergebnisse zeigten, dass die Community-Mitglieder nicht nur Ideen zur Verbesserung und Modifikation bestehender Basketballschuhe entwickeln, sondern auch gänzlich neue Technologien und Designs entwerfen (Abb. 1 und 2). Zu mehr als 24 Einzelkomponenten eines Basketballschuhes, wie z.b. Dämpfung und Schnürsystem, können genaue Anforderungsspezifikationen und innovative Ideen gefunden werden. Manche Community-Mitglieder beschreiben ihre Ideen nicht nur verbal, sondern visualisieren sie auch in Form von eigenen
4 handgezeichneten Designs oder dreidimensionalen Computergrafiken. Diese Vorschläge werden von den anderen Mitgliedern der Community kommentiert und weiterentwickelt. Die Netnographie-Ergebnisse lieferten wertvollen Input für die Entwicklung neuer Basketballschuhe. Für den Sportartikelhersteller, der diese Studie veranlasste, steht fest, dass Online-Communities wie Niketalk eine wertvolle Innovationsquelle darstellen. Zudem bestätigt die Tatsache, dass bereits zwei innovative Community-Mitglieder von Basketballfirmen entdeckt und als Designer für Basketballschuhe eingestellt wurden, das Innovationspotenzial der Communities. 4. Zusammenfassung Netnographie kann sowohl für konkrete Aufgabenstellungen im Rahmen eines einmaligen Innovationsprojekts als auch permanent erfolgen. Ein wesentlicher Vorteil besteht im Zugang zu ungefilterten und von Forscher und Forschungssituation unbeeinflussten Informationen von erfahrenen und hoch involvierten Anwendern. Die im Internet vorfindbare ausführliche Diskussion erlaubt Innovationsmanagern, tiefen Einblick in die von Konsumenten erlebten Probleme und vorgeschlagenen Lösungen zu nehmen. Aufgrund der Vielzahl und des Detaillierungsgrades der codierten Beiträge pro spezifischem Leistungsmerkmal oder geschildertem Problem erhalten Unternehmen neben dem Inhalt erste Hinweise auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit der identifizierten Themen. Die durchgeführten Projekte zeigen jedoch auch, dass die Anwendung der netnographie-basierten Methode zeitaufwändig ist und hohe Anforderungen an die Fertigkeiten der Forscher stellt. Falls es gelingt, leistungsfähige Software-Tools zur Unterstützung der netnographie-basierten Methode zu entwickeln, die in der Lage sind, die Datensammlung und die Datenanalyse zu (teil-)automatisieren, steht der Verbreitung dieser Methode zur Nutzung von Online-Communities für die Produktentwicklung nichts im Wege. Autor: Johann Füller Literatur
5 Füller, J., Bartl, M., Ernst, H., Mühlbacher, H. (2006), "Community Based Innovation: How to Integrate Members of Virtual Communities into New Product Development," Electronic Commerce Research Journal, 6 (1), Kozinets, Robert (2002), "The Field Behind the Screen: Using Netnography for Marketing Research in Online Communications," Journal of Marketing Research, 39 (1),
6 BILDER Abb. 1: Schuh-Design von Community-Mitglied Edgar Vergara (Quelle: Kicksguide 2006) und Mitglied Iron Tong (Quelle: Niketalk 2005) Abb. 2: Konzept für neuartigen Basketballschuh namens Odonata von CommunityMitglied Vocaldigital23 (Quelle: Niketalk 2004)
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