Gottesdienst 21. Februar 2016, Reminiscere (Gedenke) Kraft der Erinnerung 5. Mose 26,1-11
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- Arthur Neumann
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1 Gottesdienst 21. Februar 2016, Reminiscere (Gedenke) Kraft der Erinnerung 5. Mose 26,1-11 Geteiltes Leid ist halbes Leid geteilte Freude ist doppelte Freude sagt das Sprichwort, liebe mitfeiernde Gemeinde. Ähnlich klingen die eben gehörten Worte bei mir an: Und du sollst dich freuen über all das Gute, das der Herr, dein Gott, dir und deinem Haus gegeben hat, du und der Levit und der Fremde bei dir. Interessant. Nehmen wir uns doch mal während eines Augenblicks der Stille Zeit, das in uns aufsteigen zu lassen, was uns beim Guten für uns und unser Haus spontan in den Sinn kommt Stille, Zeit zum Nachdenken Solche hoffentlich guten Erinnerungen können eine sehr gute Kraftquelle sein. Nicht nur heute Morgen. Ab und zu ist das eine gute Übung, sich das vor Augen zu halten. Kraft durch Erinnerung Das berühmte bonmot Freude herrscht gilt nun also nicht nur bei mir und den Meinen, haben wir gehört. Auch der Levit, der seinen Dienst im Gottesdienst verrichtet, und der Fremde sollen und dürfen sich freuen. Über das Gute, das jeder auf seine Weise erfährt. Der Levit, weil er von den Gaben der Ernte etwas abbekommt, die der Priester in Empfang nimmt und symbolisch vor Gott bringt. So war es üblich, Gehälter gab es damals nicht. Aber worüber soll sich denn der Fremde freuen? 1
2 Die Verbindung Freude-Fremde mag uns in diesen Zeiten wohl recht seltsam anmuten, vielleicht sogar makaber. Denn die Bilder und Diskussionen, die wir damit verbinden, von nicht abreissenden Flüchtlingsströmen und dem ewigen Hin und Her von Ja oder Nein, Rein oder Raus, Obergrenzen und Zahlen statt Namen usw. wecken nicht unbedingt Freude. Wir schaffen das und die freudigen Begrüssungsszenen vom Münchner Hauptbahnhof scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen. Inzwischen alles eingeholt und täglich überholt vom realen Tagesgeschehen Die Kraft der Erinnerung kann da schnell schwinden. Definitiv aus einer anderen Zeit stammen die Worte, die heute im Zentrum unseres Nachsinnens stehen. Gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen vom Datum ihrer Niederschrift her. Aber das spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das andere ist wichtiger: Es wird in diesen Worten selber weit zurückgeschaut in die Erinnerungen, in alte Zeiten. Nicht einfach so aus reiner Nostalgie, im Sinne von Früher war alles besser. Was wir hier hören von Unterdrückung etc. war ja überhaupt nicht besser. Die Erinnerung wird wach gerufen, um die Gegenwart zu verstehen und um in ihr zu bestehen. Ganz so wie in unserer kleinen Ge- 2
3 dankenreise in die Reserven unsere Erinnerungen, die wir eben gemacht haben. Erinnerungen an Gutes, das uns widerfahren ist. Das uns hilft, die Gegenwart zu bestehen, wo vielleicht nicht immer alles nur gut ist. So ist es auch mit dieser Reise in die Erinnerung, die denen, die diese Worte hören oder lesen, nahegelegt wird. Tauchen also auch wir ein in diese Worte Wenn du Bilanz ziehst über das dir widerfahrene Gute, symbolisiert durch die Gaben der Ernte, dann denke auch daran, wem du das zu verdanken hast. Und dass es mal anders war, nichts Selbstverständliches. Erinnere dich: ein umherirrender, ein verlorener Aramäer war dein Vater. Der Name wird zwar nicht genannt, aber alle wissen: es geht um Abraham. Der Vater des Glaubens der drei grossen Weltreligionen, die den einen und einzigen Gott bekennen. Aramäer? Ist das ist nicht ein Volk, das auf dem Gebiet des heutigen Iraks und Syriens lebte und teilweise noch lebt? Richtig. Offenbar schon damals auf der Flucht, auf der Suche nach einer sicheren Bleibe, nach Schutz (übersetzt übrigens Asyl ) und Brot. Ähnlichkeiten mit heute lebenden Personen nicht ausgeschlossen Doch zurück zu unseren Worten der Erinnerung. Und der Kraft, die aus ihnen spricht. Weil sie von Befreiung berichten, Freiheit. Erinnerst du dich noch an die Unter- 3
4 drückung durch die Ägypter? Als ihr ihnen zuviel wurdet und sie euch mit Fronarbeit knechteten? Aber dann doch nicht ziehen lassen wollten, als liebgewordene billige Arbeitskräfte? Gott selber hat euch dann aus der Knechtschaft geführt, in ein Land, in dem sprichwörtlich Milch und Honig fliessen. Weisst du das noch? Und jetzt bist du hier und bringst Gott Dank dar, in Form deiner Ernte, des Guten, das dir widerfahren ist. Was für eine Entwicklung was für eine Befreiungsgeschichte! Halte sie dir vor Augen, vergiss sie nicht. Und vergiss nicht, dass du eben selber mal ein Fremder warst, wenn es um den Fremden bei dir geht. Was tust du, damit er sich mit dir freuen kann? Wenn dir soviel Gutes widerfahren ist bleibt da nicht auch etwas für den Fremden übrig, ohne dass du etwas verlierst? Soweit die Erinnerungen von damals und die Kraft zum Zusammenleben mit weitem Herzen, die sie geben können. Kraft der Erinnerung ist unser Thema heute. Kraft auch aus Erfahrungen von Bedrückung, die heute noch nachwirkt und etwas bewirkt. Damit es anders werde. Ich werde persönlich, man möge mir das nachsehen. Aber nur so ist es authentisch. Ich denke da an meinen nicht aramäischen, aber bekanntermassen deutschen Grossvater: Ich kenne ihn leider nur aus Geschichten 4
5 und Geschichte. Vom einen Regime wurde er in den 30er und 40er Jahren als Revolutionär verfolgt und ins Zuchthaus und Lager gesperrt, vom anderen, das nach 45 kam, als nicht linientreu genug und zu weltoffen schikaniert. Seine Geschichte hat in mir je länger je mehr den Widerstand geweckt gegen jede Form von totalitären Ideen, von einfachen Lösungen, von Bevormundungen aller Art. Eine andere Erfahrung ist die des Anders- Seins, des Ausgegrenzt Werdens, auf neudeutsch Mobbing genannt. Bei Schülern und Konfirmanden als eher lockerer Typ bekannt, wussten und wissen alle: Wo so was passiert, geht bei mir die Schranke runter. Dann ist es vorbei mit der Gemütlichkeit Das nur als kleinen persönlichen Exkurs. Aber vielleicht ein anschauliches Beispiel, wie aus Erinnerungen Kraft wachsen kann. Nicht nur aus den guten, die bestenfalls zur Dankbarkeit und Grosszügigkeit führen. Sondern eben auch aus den anderen wo heiliger Zorn ungeahnte Kräfte freisetzen kann für andere. Ich denke, wo beides einigermassen im Lot, im Gleichgewicht ist, können wir das uns hier vor Augen geführte Vermächtnis unseres Vaters im Glauben, Abrahams, des umherziehenden Aramäers, erfüllen. Darum ist Erinnern gut. So gibt es Kraft. Zum Guten. Für alle. Auch für den Fremden. Amen. 5
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