STAATSRECHT III. 1. Einführung: Geltung des Völkerrechts in der deutschen Rechtsordnung
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- Stefanie Fleischer
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1 Prof. Dr. Alexander Proelß WS 2013/2014 STAATSRECHT III TEIL 2: VÖLKERRECHT UND AUßENVERFASSUNGSRECHT II. Völkerrecht als Teil der deutschen Rechtsordnung 1. Einführung: Geltung des Völkerrechts in der deutschen Rechtsordnung Schwerpunkt liegt auf der Frage des Umgangs mit Kollisionen: Welche Rechtsebene genießt den Vorrang gegenüber der anderen, wenn Normen der einen Ebene in Konflikt mit Normen der anderen Ebene treten? Verhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht war früher sehr umstritten (Dualismus vs. Monismus), Theorienstreit hat aber an Bedeutung verloren a) Theorien zum Verhältnis Völkerrecht / nationales Recht Dualismus: Völkerrecht und staatliches Recht sind voneinander unabhängig; beide haben unterschiedliche Rechtsquellen, auch wenn Regelungsbereiche sich überschneiden o Konsequenz: nationaler Rechtsakt erforderlich, der die innerstaatliche Geltung von Völkerrecht festlegt; damit bestimmt das nationale Recht auch die Rangfrage (siehe Art. 25 GG, Art. 59 II GG); da jeder Staat dies anders regeln kann, ergeben sich unterschiedliche Rangzuweisungen o Spielart 1 (radikaler Dualismus): völlige Trennung der Rechtsordnungen; echte Normenkonflikte treten nicht auf, weil die beiden Rechtskreise sich nicht überschneiden o Spielart 2 (gemäßigter Dualismus): Kreise des Völkerrechts und des nationalen Recht schneiden sich dort, wo Normen aufeinander Bezug nehmen; völkerrechtswidrige innerstaatliche Rechtsakte bleiben bestehen, im Außenverhältnis haftet der Staat für den Völkerrechtsbruch 1
2 o Umsetzung: Transformation von Völkerrecht in nationales Recht (Wandel des Rechtscharakters) Problem: bei strikter Trennung würde das Umsetzungsgesetz von der Völkerrechtsnorm unabhängig, d.h. die Inhalte eines völkerrechtlichen Vertrags würden in der innerstaatlichen Rechtsordnung weitergelten, selbst wenn der Vertrag nicht mehr in Kraft ist, bis das nationale Gesetz geändert oder annulliert wird; Auslegung müsste sich allein nach innerstaatlichen und nicht nach völkerrechtlichen Regeln richten Monismus: Es existiert nur eine einheitliche Rechtsordnung, bestehend aus Völkerrecht und nationalem Recht; Völkerrecht und nationales Recht verfügen über einen gemeinsamen Geltungsgrund; keine Trennung zwischen Bindung im Außen- und im Innenverhältnis; sobald Bindung an das Völkerrecht besteht (aber nur dann!), gilt die Norm auch innerstaatlich, fraglich ist nur, in welchem Rang o Konsequenz: man benötigt eine hierarchische Gliederung, um Rangfragen zu klären o Spielart 1 (Monismus mit Primat des nationalen Rechts): nationales Recht hat immer Vorrang und hebt entgegenstehendes Völkerrecht auf; beruht auf absoluter Souveränität und wird nicht mehr vertreten o Spielart 2 (radikaler Monismus mit Völkerrechtsprimat): Völkerrecht bricht Landesrecht; völkerrechtswidrige innerstaatliche Hoheitsakte sind nichtig o Spielart 3 (gemäßigter Monismus mit Völkerrechtsprimat): völkerrechtswidrige innerstaatliche Rechtsakte bleiben als Provisorien bestehen; der Staat muss aber den völkerrechtsgemäßen Zustand herstellen, d.h. wenn z.b. ein internationales Gericht die Rechtmäßigkeit des nationalen Akts überprüft, setzt sich das Völkerrecht durch o Umsetzung: Invollzugsetzung des Völkerrechts; völkerrechtliche Normen werden nicht in nationales Recht umgewandelt, sondern durch einen Rechtsanwendungsbefehl als Völkerrecht im nationalen Recht für anwendbar erklärt Gemäßigter Monismus mit Völkerrechtsprimat und gemäßigter Dualismus liegen eng beieinander. Kritik: kaum Praxisrelevanz; Staaten verlangen voneinander die Einhaltung von Normen, die völkerrechtliche Geltung beanspruchen 2
3 Um jener Kontroverse aus dem Weg zu gehen, spricht man neutral davon, dass ein Vertrag in nationales Recht umgesetzt wurde. b) Umsetzung im Grundgesetz überwiegend wird angenommen, dass das GG eher dualistisch ausgerichtet ist (gemäßigter Dualismus; so vor allem das BVerfG); Argument: Notwendigkeit der Umsetzung völkerrechtlicher Verträge (Art. 59 Abs. 2 GG); auch Art. 25 GG spricht nicht klar für monistisches Modell aber nicht zwingend: das Gesetz i.s.v. Art. 59 II 1 GG kann auch als Rechtsanwendungsbefehl verstanden werden 2. Völkerrecht als Teil der deutschen Rechtsordnung a) Innerstaatliche Geltung völkerrechtlicher Verträge Die Geltung völkerrechtlicher Verträge in der deutschen Rechtsordnung setzt einen Rechtsakt voraus, den man je nachdem, welcher der o.a. Theorien man folgt als Transformator, Rechtsanwendungsbefehl oder Rechtsgeltungsbefehl bezeichnet Art. 59 II 1 GG: parlamentarische Zustimmung durch Gesetz ( Vertragsgesetz ) o Doppelfunktion: Vertragsgesetz bewirkt innerstaatliche Geltung des völkerrechtlichen Vertrags (innerstaatliche Ratifikation) und ermächtigt zur Vertragserklärung im Außenverhältnis (völkerrechtliche Ratifikation); im Innenverhältnis gewährleistet das Vertragsgesetz überdies die demokratische Legitimation der in innerstaatliches Recht umgesetzten völkerrechtlichen Verträge o Vertragsgesetze haben üblicherweise nur folgenden Inhalt: Dem XY-Abkommen wird zugestimmt. Außerdem bestimmt das Gesetz das Inkrafttreten seiner selbst und nimmt ggf. Bezug auf das Inkrafttreten des Vertrags, wenn beide Termine auseinanderfallen. Der Text des Vertrags wird zusammen mit dem Gesetz veröffentlicht. o Notwendigkeit parlamentarischer Zustimmung gilt nach Art. 59 II 1 GG nur für Verträge ( Staatsverträge ), die die politischen Beziehungen des Bundes regeln, z.b. Friedensverträge, Bündnisverträge, Rüstungsabkommen (sog. hochpolitische Verträge ) die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen (nicht im Sinne der Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern zu verstehen), 3
4 d.h. der Inhalt muss wegen des grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalts innerstaatlich durch Gesetz durchgeführt werden (Bundestag soll nicht verpflichtet werden, einen Vertrag später durch Gesetz inhaltlich umsetzen zu müssen, ohne ihm vorher zugestimmt zu haben) ob und wie der Bundesrat am Gesetzgebungsverfahren zum Zustimmungsgesetz beteiligt werden muss, richtet sich nach dem Inhalt des Vertrags und den entsprechenden Bestimmungen zum deutschen Gesetzgebungsverfahren (Art. 77 GG) Verträge, die nicht unter Art. 59 II 1 GG fallen: sog. Verwaltungsabkommen o Insoweit besteht eine eigene Kompetenz der Bundesregierung (Regierungs- oder Ressortabkommen, je nachdem ob die Regierung als Ganzes oder nur ein Fachministerium handelt); Bsp.: UNESCO-Abkommen über den Schutz des Weltkultur- und Weltnaturerbes o Auch für Verwaltungsabkommen ist ein Rechtsanwendungsbefehl erforderlich. Dieser muss aber nicht in Form eines formellem Gesetzes erteilt werden; vielmehr reicht eine Transformation, Inkorporation bzw. Invollzugsetzung durch Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschriften ([P]: fraglich, ob auch wie im Falle des o.g. UNESCO-Abkommens ein Kabinettsbeschluss ausreicht) Der Rang der in innerstaatliches Recht umgesetzten völkerrechtlichen Verträge in der nationalen Rechtsordnung richtet sich nach dem Rang des Transformators bzw. Rechtsanwendungsbefehls: o Die Normen völkerrechtlicher Verträge i.s.v. Art. 59 II 1 GG stehen in der nationalen Rechtsordnung im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (wichtigster und prüfungsrelevantester Fall) o Die Vorschriften von Verwaltungabkommen stehen in der nationalen Rechtsordnung im Rang einer Rechtsverordnung oder einer Verwaltungsvorschrift (je nachdem, wie das Verwaltungsabkommen in nationales Recht umgesetzt wurde). b) Unmittelbare Anwendbarkeit Grundsatz: Ist ein völkerrechtlicher Vertrag Bestandteil der deutschen Rechtsordnung geworden, erstreckt sich die Bindung der öffentlichen Gewalt auf diese Normen (vgl. Art. 20 III GG). 4
5 Aus der Geltung des Vertrags in der staatlichen Rechtsordnung folgt aber noch nicht, dass seine in nationales Recht umgesetzten Vorschriften unmittelbar anwendbar und einklagbar sind o Hintergrund: Bürger einzelner Staaten und die nationalen Rechtsanwender sind im Normalfall nicht Adressaten völkerrechtlicher Normen; diese richten sich üblicherweise nur an Staaten. Bsp. (nach Sauer): Art. 6 II der UN-Kinderrechtskonvention verlangt, dass die Vertragsstaaten in größtmöglichem Umfang die Rechte des Kindes gewährleisten Eine Berufung Einzelner auf die Vorschriften eines in nationales Recht umgesetzten völkerrechtlichen Vertrags ist nur dann möglich, wenn die betreffenden Vorschriften keiner Umsetzung und Konkretisierung mehr bedürfen; in anderen Worten müssen sie unmittelbar anwendbar sein. Von unmittelbarer Anwendbarkeit ist auszugehen, wenn die relevanten Vorschriften hinreichend bestimmt und unbedingt (= self-executive) sind; die unmittelbare Anwendbarkeit darf überdies nicht auf Ebene des Völkerrechts ausgeschlossen worden sein Merke: Liegt unmittelbare Anwendbarkeit vor, müssen die innerstaatlich geltenden Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge vom Rechtsanwender genauso berücksichtigt, befolgt und durchgesetzt werden wie originär deutsches Recht, ohne dass es einer weiteren Rechtsgrundlage bedarf. Die Einklagbarkeit eines Verstoßes gegen eine solche Bestimmung setzt nach den allgemeinen Regeln ferner voraus, dass die Norm dem Einzelnen ein subjektives Recht verleiht (Bsp.: viele aber nicht alle Gewährleistungen in Menschenrechtsabkommen). c) Innerstaatliche Geltung des Völkergewohnheitsrechts Art. 25 GG ist besonderer Ausdruck der Offenheit des GG gegenüber dem Völkerrecht, indem es den Regeln des Völkergewohnheitsrechts und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Zwischenrang zwischen den Gesetzen und der Verfassung in der nationalen Rechtsordnung verleiht (nach aa verfügen sie sogar über Verfassungsrang) Besonderheit: Normverifikationsverfahren gemäß Art. 100 II GG; Existenz und Inhalt völkergewohnheitsrechtlicher Normen sollen nur vom BVerfG verifiziert werden können o Grund: Zweifelsfragen bezüglich der Existenz von Völkergewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen sollen von den Fachgerichten nicht unterschied- 5
6 lich beantwortet werden; auch sollen Völkerrechtsbrüche im Außenverhältnis vermieden werden. o Entscheidungserheblich i.s.v. Art. 100 II GG ist eine Frage, wenn die Existenz einer Norm des Völkergewohnheitsrecht zu einem anderen rechtlichen Ergebnis führt. Bsp.: Pfändung in Botschaftskonten, ob es eine Regel des Völkergewohnheitsrechts gibt, die die Immunität der Konten bestimmt, ist erheblich für die Frage, ob nach deutschem Recht vollstreckt werden kann oder ob ein Vollstreckungshindernis besteht. o Wenn trotz Zweifel und Entscheidungserheblichkeit das Fachgericht die Frage nicht dem BVerfG vorlegt, kann das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt sein (Art. 101 I 2 GG) Unmittelbare Anwendbarkeit: wie bei völkerrechtlichen Verträgen (Norm muss bestimmt und unbedingt sein) o nicht von Art. 25 Satz 2 GG irritieren lassen: Trotz des Wortlauts findet kein Adressatenwechsel statt, d.h. Art. 25 Satz 2 GG setzt voraus, dass die allgemeine Regel des Völkerrechts bereits eine Berechtigung oder Verpflichtung des Individuums begründet; eine Norm, die sich ausschließlich an Staaten richtet z.b. das Gebot, Piraterie zu bekämpfen erlangt durch Art. 25 Satz 2 GG nicht etwa individualrechtliche Bedeutung 6
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