Die Regulierung des Glücksspielmarktes: Wo stehen wir?
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- Cathrin Auttenberg
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1 Die Regulierung des Glücksspielmarktes: Wo stehen wir? Prof. Dr. Tilman Becker Forschungsstelle Glückspiel Universität Hohenheim 1 von 29
2 Zentrale Thesen Der Glücksspielmarkt ist seit Jahrhunderten durch einen Wechsel von Verbot zu Erlaubnis und umgekehrt gekennzeichnet Die Regulierung einer Glückspielform hängt davon ab, wer spielt und wofür die Einnahmen verwendet werden Die Regulierung hängt davon ab, ob es sich um ein Glücksspiel oder ein Geschicklichkeitsspiel handelt Das Problem der Glücksspielsucht gab es bereits vor Jahrtausenden 2 von 29
3 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels 1. Der Glücksspielmarkt ist seit Jahrhunderten durch einen Wechsel von Verbot zu Erlaubnis und umgekehrt gekennzeichnet 3 von 29
4 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels König Ludwig IX. verbot 1255 seinen Beamten das Würfelspiel und die Anfertigung von Würfeln Im Mittelalter Verbot des Glücksspiels auf Festen, Jahrmärkten und Messen Verbote dieser Spielorte führten zu Spielhäusern für die Oberschicht und die Unterschicht traf sich in Gast- und Wirtshäusern zum Spielen 4 von 29
5 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels 1837 Schließung von Spielhäusern in Frankreich 1872 wurde Spielcasino in Baden-Baden geschlossen und durch Monte Carlo abgelöst Nationalsozialisten hoben 1933 das Spielbankverbot von 1872 wieder auf: Baden-Baden erhielt als einzige Spielbank eine Konzession 1944 wurde Baden-Baden wieder geschlossen und erst 1950 wieder eröffnet 5 von 29
6 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels 2. Der Glücksspielmarkt ist seit Jahrhunderten durch eine unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher Spielformen gekennzeichnet -> Wer spielt? Adel oder gemeines Volk -> Wem kommen die Einnahmen zu Gute? Staatseinnahmen, Gute Zwecke oder privater Gewinn 6 von 29
7 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels Im Mittelalter bereits Unterscheidung zwischen nobleren Spielen (Hazardspiele) des Adels und Karten- und Würfelspiele des gemeinen Volkes Bis ins 18. Jahrhundert war das hohe Spiel und der Transfer von Vermögenswerten Ausdruck von adeligem Selbstverständnis Spiel des gemeinen Volks führt zu Sittenverfall und Schuldenlast (Steuern können nicht gezahlt werden) -> Regulierung unterschiedlicher Glücksspielformen fällt ganz unterschiedlich aus, je nachdem, ob der Adel spielt oder das gemeine Volk 7 von 29
8 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels Eberhard Ludwig, Herzog zu Württemberg finanzierte 1704 den Bau seines Schlosses und die Hofhaltung mit der Einrichtung einer staatlichen Klassenlotterie: Leibrenten-lotterie 1735 führte Kurfürst Karl Albrecht von Bayern das erste Zahlenlotto im deutschen Sprachraum zur Generierung von Staatseinnahmen ein Napoleon verbot das private Glücksspiel in Italien um das öffentliche Glücksspiel zu ermöglichen Lobby für ein Verbot von Lotterien wuchs gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend Bis 1862 war in den deutschen Territorialstaaten das Verbot für das Zahlenlotto durchgesetzt 8 von 29
9 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels Von den Staatslotterien blieben letztlich nur die Klassenlotterien bestehen Rückläufige Einnahmen aus den Klassenlotterien führten in Berlin 1953 dazu, das seit langem verbotene Zahlenlotto wieder ins Leben zu rufen (Baden-Württemberg 1958) -> Regulierung unterschiedlicher Glücksspielformen fällt ganz unterschiedlich aus, je nachdem, wofür die Mittel verwendet werden 9 von 29
10 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels 3. Glücksspiel oder Geschicklichkeitsspiel 10 von 29
11 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels Erstes Geldspielgerät: Liberty Bell (1899) 1910 wurde in den USA das Geldspielen verboten Eingebaute Stop and Go Taste: Slots als Geschicklichkeitsspiel 1927 Bajazzo-Prozess (Jongleur Rastelli) Bis 1933 durften Geschicklichkeitsgeräte, wie das Bajazzo, in Spielhallen etc. betrieben werden 1953 Einführung des gewerblichen Spielrechts für Geldspielgeräte 11 von 29
12 Bajazzo 12 von 29
13 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels Seit Jahrtausenden gekennzeichnet durch das Problem des pathologischen Spielverhaltens 13 von 29
14 Geschichte der Regulierung des Glücksspiels Tacitus ( n. Chr.) berichtet über die Germanen, dass sie das Würfelspiel... in voller Nüchternheit... wie ein ernsthaftes Geschäft betreiben. Und weiter: dass ihre Leidenschaft im Gewinnen und verlieren... so hemmungslos [ist], dass sie wenn sie alles verspielt haben, mit dem äußersten und letzten Wurf um die Freiheit und ihren eigenen Leib kämpfen Mit der lex alearis untersagten die Römer das Würfelspiel 14 von 29
15 Zentrale Thesen Der Glücksspielmarkt ist seit Jahrhunderten durch einen Wechsel von Verbot zu Erlaubnis und umgekehrt gekennzeichnet Die Form der Regulierung einer Glückspielform hängt davon ab, wer spielt und wofür die Einnahmen verwendet warden Die Regulierung hängt davon ab, ob es sich um ein Glücksspiel oder ein Geschicklichkeitsspiel handelt Das Problem der Glücksspielsucht gab es bereits vor Jahrtausenden 15 von 29
16 Glücksspiel und Religion Glücksspiel und Religion haben einiges gemeinsam: das Unbekannte, das Mysterium, das Schicksal sowie die Gabe bzw. das überraschende Geschenk In vielen Kulturen bestand das Glücksspiel ohne Widerspruch zu der Religion: polytheistischen und animistische Religionen Glücksspiel ist bei den Mormonen verboten Glücksspiel wird im Islam als Sünde angesehen Orthodox-protestantische Kirchenmitglieder begegnen dem Glücksspiel in der Regel kritischer als Katholiken. -> Weil es an einer wirtschaftlicher Gegenleistung fehlt, wird Glücksspiel praktisch als Diebstahl zu werten 16 von 29
17 Lotteriestaatsvertrag galt vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2007 vereinheitlichte bundesweit das Lotterierecht 17 von 29
18 Erster Glücksspielstaatsvertrag Reaktion auf Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2006 galt vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2012 galt für Lotterien und Sportwetten Berücksichtigung von Spielbanken: Gesperrten Spielern dürfen nicht am Spielbetrieb in Spielbanken teilnehmen. Die Durchsetzung des Verbots ist durch Kontrolle des Ausweises oder eine vergleichbare Identitätskontrolle und Abgleich mit der Sperrdatei zu gewährleisten 18 von 29
19 Erster Glücksspielstaatsvertrag -> Einführung eines einheitlichen Sperrsystems für Spielbanken, Sportwetten und Lotterien mit besonderem Gefährdungspotential (Keno) -> Einführung der Sozialkonzeptpflicht für Lotterien und Sportwetten -> Informations- und Aufklärungspflichten (z.b. Suchthinweise und Hilfsmöglichkeiten) -> Werbeeinschränkungen -> Internetverbot (nach einem Jahr Übergangsfrist) für alle Glücksspielformen: Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten. 19 von 29
20 Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag Gilt seit 1. Juli 2012 Einbeziehung von Spielhallen (und Gaststätten) in das Glücksspielrecht der Länder: Kohärenzforderung Konzessionen für das Angebot von Sportwetten (Internet und Sportwettgeschäfte) können erteilt werden: Experimentierklausel Verbot von Casinospielen im Internet bleibt erhalten Ziele werden neu formuliert: Wahrung der Integrität des Sports wird ergänzt und Begrenzung des Angebots ist nicht mehr Ziel sondern nur noch Mittel Differenzierungsgebot (Sucht- Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotential) 20 von 29
21 Maßnahmen im Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag -> Werbeeinschränkungen, Sozialkonzept und Aufklärungspflichten gelten nun für alle Glücksspielformen einschl. Spielhallen und Gaststätten -> Gesperrten Spielern dürfen nicht am Spielbetrieb in Spielbanken, Sportwettgeschäften oder an gefährlicheren Lotterien teilnehmen. Die Durchsetzung des Verbots ist durch Kontrolle des Ausweises oder eine vergleichbare Identitätskontrolle und Abgleich mit der Sperrdatei zu gewährleisten. -> Identifizierungs- und Authentifizierungspflicht und Abgleich mit Sperrdatei ist im Internet für alle Spielformen vorgesehen 21 von 29
22 Heutige Situation auf dem Glücksspielmarkt De jure ein hoch regulierter Markt De facto in weiten Bereichen ein unregulierter Markt -> Wo bleibt der Verbraucherschutz? 22 von 29
23 Heutige Situation auf dem Glücksspielmarkt Ein bisher nie dagewesenes Maß von unterschiedlichen Interpretationen der rechtlichen Lage bzw. Versuchen, die Deutungshoheit über gerichtlichen Entscheidungen zu gewinnen 23 von 29
24 Wer hat die Deutungshoheit? Reaktionen auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Ince: Europäischer Gerichtshof verurteilt das deutsche Glücksspielrecht Vom staatlichen Glücksspielmonopol sind nach diesem Urteil nur noch die gut dotierten Versorgungsposten im Toto- und Lottoblick übrig Glücksspielstaatsvertrag verstößt gegen Europarecht Deutsche Sportwettenregulierung weiterhin EU-Rechtswidrig Klare Bestätigung des Glücksspielstaatsvertrags Verbot privater Sportwettangebote unanwendbar 24 von 29
25 Ein nie dagewesenes Maß von Rechtsunsicherheit -> Das Unionsrecht kann der Ahndung einer ohne Erlaubnis erfolgten grenzüberschreitenden Vermittlung von Sportwetten in Deutschland entgegenstehen (Ince) -> Strafbarkeit von Zweitlotterien wird angezweifelt -> Strafbarkeit von Online-Casinospielen wir angezweifelt -> Verfassungsmäßigkeit des Glücksspielkollegiums wird angezweifelt 25 von 29
26 Wer ist ein legaler Anbieter in Deutschland? Anbieter aus aller Welt? Anbieter mit einer Lizenz eines anderen Mitgliedstaates der EU? Anbieter mit einer Lizenz für Sportwetten und/oder Casinospiele von Schleswig-Holstein? Anbieter von Sportwetten, die im Rahmen des Erlaubnisverfahrens eine Lizenz hätten bekommen sollen (20 Anbieter)? Anbieter, die sich um eine Lizenz für Sportwetten beworben haben, nicht zu den ausgewählten Anbietern gehörten es jedoch in die letzte Runde geschafft haben (15 Anbieter)? 26 von 29
27 Wer ist ein legaler Anbieter? Anbieter von nicht genehmigungsfähigen Online-Casinospiele? Anbieter von Zweitlotterien? Anbieter von binären Optionen? Definition eines legalen Anbieters ist kontrovers je nach Interessenslage -> Definition: White-List der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder von Glücksspielanbietern mit einer Erlaubnis aus Deutschland 27 von 29
28 Offene Fragen Ist das Experiment der Vergabe von Sportwettlizenzen gescheitert? Versagt die Glücksspielaufsicht? Besteht ein rechtsfreier Raum für ausländische Anbieter (Online-Lotterien, Sportwetten, Online-Casinospiele)? Wo bleibt der Verbraucherschutz? 28 von 29
29 29 von 29
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