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- Harald Maier
- vor 7 Jahren
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1 Einleitung 1. Zur Notwendigkeit guter Bibelkenntnisse und wie man dazu kommen kann Wer die jüdische Kultur- und Geistesgeschichte kennen und verstehen lernen möchte, kommt an einer gründlichen Lektüre der Hebräischen Bibel nicht vorbei. Sie ist der Grundtext, auf den sich alle anderen religiösen Bücher des Judentums beziehen; sie ist der cantus firmus, ohne den der vielstimmige Chor der jüdischen Geistesgeschichte keinen inneren Zusammenhalt gewinnt. Während des ersten nachbiblischen Jahrtausends (3. Jh. v.d.z. bis 7. Jh. n.d.z.) hat das Judentum beinahe ausschließlich Werke hervorgebracht, die sich als kommentierende, nacherzählende oder juridische Aktualisierung und Erläuterung der Bibel darstellen. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen der Halacha, einer das gesamte Leben umgreifenden Auslegung der biblischen Gebote und der Haggada, welche die erzählenden Texte der Bibel interpretiert und fortschreibt. Am deutlichsten zeigt sich dies am rabbinischen und mittelalterlichen Midrasch, einem gewaltigen Korpus von überwiegend anonym bzw. kollektiv verfassten Schriften, der sich ausdrücklich auf bestimmte Bücher der Hebräischen Bibel bezieht. Innerhalb des Midrasch finden sich neben Kommentaren, Predigten und Erzählungen auch Ausführungen zu rechtlichen und kultischen Alltagsproblemen: Es entfaltet sich ein Dialog mit der Bibel auf allen Ebenen des Lebens. In der Mischna hingegen, einer systematischen Darbietung der Halacha des Judentums aus dem 2. Jh. n.d.z., wird die inne- Bibelkenntnisse 13
2 re Abhängigkeit von der Hebräischen Bibel formal weniger deutlich aufgezeigt, obwohl sie inhaltlich mit Händen zu greifen ist. Diese Lücke füllt der Talmud, eine gewaltige Enzyklopädie des jüdischen Denkens, der eine Brücke zwischen den biblischen Texten und den juristischen, ethischen und kultischen Festlegungen der Mischna herstellt. Im Talmud werden intensive Diskussionen über die formal-logischen sowie die biblischen Begründungen für die rechtlichen Entscheide der Mischna geführt. Erst unter dem Einfluss des Islam ab dem 7. Jh. bildeten sich mit dem Entstehen der Einzelwissenschaften (wie Grammatik, Medizin oder Philosophie) Formen von Literatur heraus, die sich nur noch mittelbar oder gar nicht auf die Hebräische Bibel bezogen. Neben philosophischen, poetischen, grammatischen oder medizinischen Werken, die nun nicht mehr im Kollektiv, sondern von einzelnen Autoren verfasst und in deren Namen überliefert wurden, entwickelte sich der jüdische Bibelkommentar zu seiner klassischen Form. Gelehrte wie Rabbi Schlomo ben Jizchaq ( ; besser bekannt unter seinem Akronym Rasch i) führten ihn zu einer ersten Blüte. Doch auch die wichtigsten Werke der jüdischen Philosophie (wie der More Nevuchim [»Führer der Verirrten«] des Mosche ben Maimon, ) und der Mystik führen einen intensiven Dialog mit der Heiligen Schrift. So präsentiert sich beispielsweise das zentrale Werk der Kabbala, der Sohar (um 1280), in Form und Inhalt als ein Midrasch. Generationen jüdischer Exegeten, Mystiker und Philosophen, von Predigern und Rechtsgelehrten haben dieses Werk weitergeführt und dem Gespräch mit der Bibel neue Erfahrungen zuwachsen lassen. Das Buch der Bücher diente als Maßstab der jüdischen Geistesgeschichte und so ist es - selbst für viele säkulare Juden - bis auf den heutigen Tag. Schon früh entwickelten sich im Judentum Formen des Studiums der Hebräischen Bibel, allen voran der Tora, die uns bei unserer eigenen Arbeit mit ihr inspirieren können und sollen. Die wichtigsten Grundsätze des Bibellesens werden wir zunächst zusammenfassend vorstellen, bevor wir sie anschließend (vgl. 2.2.) methodisch entfalten. 14 Einleitung
3 HAGGADA Midrasch (Midrasch Rabba) Tanchuma Seder Elijahu Pesiqta Rabbati u.a. K O M M E N TA R E R E S P O N S A,... TORA I S C H N A TA L M U D SU P E R K O M M E N TA R E KO D I C E S, S U P E R K O M M E N TA R E B I B E L K O MM E N TA R E M I D R A S C H- S A M M L U N G E N Verhältnis: Bibel - Midrasch - Talmud - Kodices - Superkommentare M M I D R A S C H HEBRÄISCHE BIBEL TORA a) Die Bibel ist ein dialogisches Buch. Sie sollte nicht allein studiert werden. Zum gemeinsamen Lernen bieten sich verschiedene Möglichkeiten: Lektüre in einer Studiengruppe. Die jüdische Tradition hat für die Lektüre der Bibel das Modell des Lehrhauses (Bet ha-midrasch) entwickelt. Der Bet ha-midrasch ist eine gemeindliche Einrichtung, in der heilige Texte gemeinsam gelesen und diskutiert werden. Diese Herangehensweise empfiehlt sich vor allem deshalb, weil die Bibel schon an sich ein diskursives Buch ist, das zu ständigem Fragen und immer HEBRÄISCHE BIBEL... HALACHA Mischna Midrasch (Mechilta, Sifra, Sifre u.a.) Kodices (Mischne Tora, Schulchan Aruch) Responsa (= Antwortschreiben großer Gelehrter) Kommentare (Rischonim) Bibelkenntnisse 15
4 neuen Antwortversuchen herausfordert. Eine fachgerechte Anleitung ist dazu nicht ständig vonnöten. Manchmal ist es sogar hinderlich, wenn ein Bibelprofi der Diskussion in der Gruppe ein allzu schnelles Ende bereitet. Meist genügt es, die offenen Probleme gemeinsam festzustellen, zu notieren und gesammelt einer versierteren Person vorzutragen. Lektüre mit Hilfe von Kommentaren und Erläuterungen. In traditionellen Hebräischen Bibeln werden stets ein oder mehrere Kommentar(e), mindestens jedoch der von Rasch i, zur Hilfe beim Lernen angeboten. Damit wird sogleich ein erster Dialog über die Texte ermöglicht, auch wenn man keine Lerngruppe zur Verfügung hat. Eine gute Möglichkeit für Studierende, ohne exorbitante Kenntnisse des Hebräischen zumindest die Tora mit jüdischen Kommentaren zu lesen, bildet der»plaut«. b) Die Bibel kann zu einem lebensbegleitenden Buch werden. Sie sollte regelmäßig und immer wieder gelesen werden. Neue Entdeckungen und ständig wiederkehrende Aha-Erlebnisse sind vorprogrammiert. Sogar die auf den ersten Blick langweilig erscheinenden Kapitel halten bei genauem Lesen erstaunliche Überraschungen bereit. Zum regelmäßigen Studium bieten sich die folgenden Varianten an: Kursorische Lektüre. Kursorisch bedeutet, alle Kapitel eines biblischen Buches bzw. der gesamten Bibel nacheinander zu lesen, ohne bestimmte Passagen von vornherein zu überspringen. Dazu bietet die Paraschat ha-schavu a, der wöchentlich zu studierende Abschnitt der Tora mit dem ihm zugeordneten Text aus den Büchern der Propheten (Nevi im), eine gute Hilfe. Mittels der Wochenabschnitte wird die Tora in einem drei- bzw. einjährigen Zyklus vollständig gelesen. Regelmäßige Lektüre in einer Studiengruppe (vgl. Bet ha- Midrasch). In diesem Fall empfiehlt sich ein realistisches und gleich- 16 Einleitung
5 zeitig anspruchsvolles Lektüreprogramm, das von allen gemeinsam entwickelt wird. Rosinenpickerei oder andere willkürliche Auswahlverfahren sind der Bibel nicht angemessen. Wer nur ausgewählte Texte lesen möchte, verfremdet die Bibel zu einem persönlichen Wunschkonzert und beraubt sie möglicherweise ihrer kritischen Funktion. Individuelles Studienprogramm. Auch für diese Variante ist es wichtig, sich einen realistischen Leseplan zu erarbeiten und diesen möglichst schriftlich zu fixieren. In der Regel sollte man dabei die Reihenfolge der biblischen Bücher beibehalten und sich einen zeitlichen Rahmen setzen (z.b. vier Kapitel pro Woche). c) Die Bibel ist ein altes Buch. Die Erfahrungen vieler Generationen sind in ihren Texten verarbeitet. Ihre Geschichten, Lieder und Rechtsvorschriften sind nicht nur über einen sehr langen Zeitraum hinweg entstanden, sie sind teilweise auch mehr als dreitausend Jahre alt. Nicht jede Feststellung, nicht alle Beschreibungen sind uns unmittelbar zugänglich. So manche Äußerung entspringt einem gesellschaftlichen Wertesystem, welches wir nicht teilen. Dies sollte uns aber nicht daran hindern, es kennen zu lernen. Für das Studium biblischer Texte ergeben sich aus dem ehrwürdigen Alter der Bibel erhebliche Probleme, die wir im Folgenden methodisch bearbeiten werden. Grundsätzlich aber sollten wir bei der Lektüre einige Prämissen beachten: Die Bibel ist keine Zeitung. Die kritische Nachfrage, ob irgend etwas wirklich passiert ist, oder irgend jemand wirklich so alt geworden ist, geht an den Intentionen der Texte zumeist vorbei. Viele Zahlenangaben sind symbolisch zu verstehen. Zahlreiche Erzählungen verdichten die Erfahrungen vieler Generationen, sind oft ohne Rücksicht auf konkrete historische Gegebenheiten, sukzessive aktualisiert und weiter geschrieben worden: Zum Glück! Denn was interessiert uns das wirkliche Alter eines gewissen Methusalem? Nichts ist bekannt- Bibelkenntnisse 17
6 lich so uninteressant wie die Nachrichten von gestern. Die Einsicht in den Charakter der Bibel als Kompendium menschlicher Erfahrungen verhilft uns außerdem zu einem Zugang zum Midrasch: Wenn in ihm biblische Geschichten ergänzt und weitergeführt werden, sind dies nicht einfach kühne Erfindungen, sondern Fortschreibungen und Aktualisierungen, die den alten Erfahrungen neue hinzufügen. Die Bibel hat eine lange, zum Teil widersprüchliche Geschichte ihrer Interpretation. Dennoch kann man mit ihr nicht alles beweisen, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Wenn die zahlreichen Erklärer biblischer Texte zu gegensätzlichen Ansichten kommen, sollte man deswegen nicht auf sie verzichten. Auch in diesem Fall können wir auf jüdische Studientraditionen zurückgreifen, die antike und mittelalterliche Kommentare systematisch in das eigene Denken einbeziehen. Wer sich darum bemüht, sich lernend in die Jahrhunderte lange Suche nach Interpretation und Verständigung mit der Bibel einzureihen, wird die Vielfalt und Mehrdimensionalität ihrer Texte schließlich als Reichtum empfinden können. Die Bibel ist keine Gegenwartsliteratur. Wenn wir ihren Erfahrungen die Erfahrungen der Generationen von Interpreten hinzufügen, wird es gelingen, den großen zeitlichen Abstand zwischen dem Buch der Bücher und uns schrittweise zu überwinden. Wichtig bei der Aktualisierung biblischer Texte ist eine methodisch korrekte Reihenfolge: Erst nachdem ich die Aussage einer biblischen Erzählung o.ä. in ihrem ursprünglichen Kontext festgestellt habe, sollte sie auf die Gegenwart bezogen werden. Die Frage, was hat dies oder jenes mit mir zu tun?, an den Anfang der Lektüre zu stellen, hieße, die meisten antiken Texte kopfschüttelnd zur Seite legen zu müssen. d) Die Bibel ist ein pluralistisches Buch. In der jüdischen Tradition wurde dieser Tatsache vor allem dadurch Rechnung getragen, dass in ihren großen Kompendien (Mischna, Talmud und Midrasch) die Meinungen der Minderheit im Prozess der Auslegung bewahrt und 18 Einleitung
7 der Nachwelt überliefert wurde: Was uns heute richtig erscheint, kann schon morgen mit ganz anderen Augen gesehen werden. Da die biblischen Texte aus sehr verschiedenen Perioden der Geschichte Israels stammen, müssen widersprüchliche Aussagen nicht die Relevanz des gesamten Buches in Frage stellen. Im Gegenteil: die Bibel erweist sich gerade in ihrer Pluralität als lebendige und streitbare Begleiterin. Durch die Pluralität der biblischen Texte werden wir veranlasst, die Situation, in die hinein ein Wort gesprochen ist (den historischen und sozialen Kontext), mitzuhören. Vermeintlich ewige Wahrheiten, auf denen man sich zufrieden zur Ruhe setzen könnte, widersprechen dem biblischen Duktus. Der Pluralität der biblischen Texte entspricht die Mehrdimensionalität ihrer Auslegung (so lange sie methodisch verantwortlich geschieht). Deshalb ist die Diskussion, das gemeinsame Lesen und Nachfragen für die Lektüre der Bibel äußerst wichtig. Die im Verlaufe dieses Prozesses gefundenen Einsichten können durchaus verschieden ausfallen: Umso besser! Die vielen Facetten des biblischen Textes haben die jüdische und die christliche Auslegungsgeschichte unabhängig voneinander eine Lehre vom»vierfachen Schriftsinn«entwickeln lassen. In der jüdischen Tradition wird diese mit dem Akronym (Abkürzungswort) Parde s (vgl. Darstellung auf S. 64) bezeichnet. Parde s und Vierfacher Schriftsinn zeigen, dass es viele Wege durch die Hebräische Bibel gibt, von denen wir einige im Folgenden vorstellen. S.G. Bibelkenntnisse 19
8 2. Zum Aufbau der Hebräischen Bibel Schon die Anordnung der einzelnen Bücher innerhalb der jüdischen und der christlichen Bibel offenbart sehr unterschiedliche Konzeptionen ihrer theologischen Deutung. Die jüdische Bibel ist in drei Teile: Tora (Fünf Bücher Mose), Nevi im (Propheten) und Ketuvim (Schriften) gegliedert. Aus den Anfangsbuchstaben dieser drei Hauptteile (T-N-K) ergibt sich die Bezeichnung (das Akronym) Tena kh/tena ch für das Gesamtwerk. Aufgrund der deutlich erkennbaren stilistischen und inhaltlichen Unterschiede wird der zweite Hauptteil der Bibel nochmals untergliedert: Die vor allem in Prosa geschriebenen geschichtlichen Bücher werden Nevi - im Rischonim (Vordere Propheten) genannt; wohingegen die klassischen prophetischen Bücher als Nevi im Acharonim (Hintere Propheten) zusammengefasst werden.»mosche/mose schrieb sein Buch und den Abschnitt Bile am [Nu 22-24] und Ijov/Hiob. Jehoschu a/josua schrieb sein Buch und acht Verse, die in der Tora sind [in denen von Mosches Tod die Rede ist]. Schmu el/samuel schrieb sein Buch und [das Buch der] Schoftim/Richter und Rut. Dawid schrieb das Buch der Tehillim/Psalmen, mit der Hilfe von zehn Alten ; mit der Hilfe vom ersten Adam, mittels Malki-Zedeq/Melchizedek, mittels Avraham, mittels Mosche, mittels Jedutun und durch Asaf und mittels der drei Söhne Qorachs. Jirmejahu/Jeremia schrieb sein Buch und das Buch Melachim/Könige sowie die Echa/Klagelieder. Chisqija/Hiskia und seine Gehilfen schrieben Jeschajahu/Jesaja, Mischle/ Sprüche, das Schir ha-schirim/hohelied und Qohelet/Kohelet. Die Männer der Großen Versammlung schrieben Jechesqel/Ezechiel und das Tre Assar/Zwölfprophetenbuch, Dani el und die Ester-Rolle. Esra schrieb sein Buch und die Abfolge der Divre ha-jamim/chronik bis auf seine Zeit.«(Babylonischer Talmud, Baba Batra 14b/15a) 20 Einleitung
9 Der heute üblichen jüdischen Systematik liegt die Überzeugung zugrunde, dass die gesamte Bibel prophetischen Ursprungs ist. Nur ein mit dem Geist Gottes begabter Künder kommt als Autor eines biblischen Buches in Frage. Der größte und bedeutendste aller Propheten Israels jedoch ist Mosche/Mose, der mit Gott»von Angesicht zu Angesicht«sprach (Dtn 34,10). Kein Teil der Bibel kommt daher der Tora an Alter und Bedeutung gleich. Sie steht am Anfang der Schrift und bildet zugleich den Maßstab für alles Folgende: was spätere Generationen von Propheten gesprochen haben, kann sich nur als Kommentar oder Entfaltung auf das bereits in der Tora Enthaltene beziehen (Dtn 18,18). Insofern schließen die Prophetenbücher mit einem programmatischen Hinweis auf den einzigartigen»künder«mosche:»denkt an das Gesetz meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Satzung und recht übergeben, die für ganz Israel gelten.«(mal 3,22) Im dritten Teil der Hebräischen Bibel (Ketuvim) wird die menschliche Antwort auf die Offenbarung Gottes an Israel formuliert. In herausragender Weise geschieht dies in den Tehillim/Psalmen. Diese, wie die Tora formal in fünf Bücher gegliedert, eröffnen den Reigen des individuellen und emotionalen Nachdenkens über die göttliche Ansprache, wie sie in den ersten beiden Teilen der Bibel enthalten ist. Das Ringen Ijovs/Hiobs um eine Erklärung für das Leiden des Einzelnen gehört ebenso in den Kontext der individuellen Auseinandersetzung mit der»hohen Theologie«wie die pädagogisch ausgerichteten Mischle/Sprüche. Eine Sammlung von Festrollen (Megillot) sowie fünf Bücher jüngeren Datums (Dani el, Esra, Nechemja, 1/2 Divre ha- Jamim [Chronik]) runden die»schriften«ab. Die konkrete Anordnung der Bücher der Bibel folgt im Wesentlichen dem chronologischen Prinzip: die mutmaßlich älteste Schrift geht den jüngeren voran. Aufbau der Bibel 21
10 Die christlichen Bibeln folgen der Anordnung, die sich im hellenistischen Judentum ab dem 3. Jh. v.d.z. herausgebildet hat. In jener Zeit entstand die Septuaginta als die bedeutendste Übersetzung der Hebräischen Bibel ins Griechische. In ihr waren die biblischen Bücher in 1) den Pentateuch (Tora) und Historische Schriften, 2) Poetische und Weisheitsschriften sowie 3) Prophetische Bücher unterteilt. Im Vergleich zur Anordnung der Hebräischen Bibel wurden also die Vorderen und Hinteren Propheten voneinander getrennt und die Hauptteile umgestellt: auf die Tora folgen die Vorderen Propheten (als»geschichtsbücher«gedeutet), danach ein Großteil der Ketuvim und am Ende die Hinteren Propheten. Dadurch entsteht der Eindruck einer durchlaufenden Geschichtserzählung (Gen bis 2 Makk), die um eine ebenfalls chronologisch angeordnete weisheitliche und prophetische Reflexion der Ereignisse (Hi bis Mal) ergänzt wird. Diese Reihenfolge kommt der christlichen Bibelauslegung sehr entgegen: die Propheten kommen programmatisch am Schluss des Alten Testaments zu stehen, um einen nahtlosen Übergang zum Neuen Testament zu ermöglichen. Die Wiederkunft Elijahus/Elias, wie sie am Ende des letzten Prophetenbuches (Mal 3,23-24) angekündigt wird, kann so direkt auf Johannes den Täufer bezogen werden. Eine weitere wichtige Differenz in der Zuordnung betrifft das Buch Dani el. In der jüdischen Bibel wird es als spät entstanden und minder bedeutend unter die Ketuvim eingeordnet, während Dani el bei den endzeitlich ausgerichteten Christen als vierter der Großen Propheten gilt. Der Aufbau der jüdischen Bibel in ihren drei Hauptteilen Tora - Nevi - im - Ketuvim dürfte auch die Reihenfolge ihrer Entstehung widerspiegeln. Es wird vermutet, dass die Tora im Zuge der Restitution eines jüdischen Gemeinwesens unter persischer Herrschaft Ende des 6./Anfang des 5. Jh. v.d.z. ausgearbeitet wurde. Die Kanonisierung der Nevi im erfolgte hingegen erst in hellenistischer Zeit (ca. 3. Jh. v.d.z.). Das Buch ben Sirach (um 180 v.d.z.) setzt bereits die noch heute gültige Anzahl der Hinteren Propheten voraus (vgl. Sir 48,22-22 Einleitung
11 49,12). Der genaue Umfang des dritten Teils (Ketuvim) war noch unter den Rabbinen (2. Jh. n.d.z.) umstritten. Nicht nur Reihenfolge und Zuordnung unterscheiden die Hebräische Bibel von der Septuaginta. Letztere enthält außerdem Texte, die etwa vierhundert Jahre später keine Aufnahme in den Kanon der Hebräischen Bibel gefunden haben. Dazu gehören zum Beispiel die Bücher ben Sirach, Judit oder die Makkabäer. Die lateinischen Bibeln, allen voran die Vulgata, die mittelalterliche Normbibel der Christen, basieren auf der Septuaginta. Diese griechische Bibel, von den frühen Christen als heilige Schrift übernommen, wurde zum prägenden Buch des Abendlandes. Im 16. Jahrhundert kam es zu einer Differenzierung innerhalb des Christentums, nachdem Luther die Bibel aus den Originalsprachen Hebräisch bzw. Griechisch (Neues Testament) ins Deutsche übersetzte. Dabei legte er den Kanon der Hebräischen Bibel (also ohne ben Sirach, Judit u.a.) zugrunde. Die überzähligen Schriften der griechisch-lateinischen Bibel fasste er unter dem Begriff»Apokryphen«1 (griechisch:»verborgene«) zusammen. In manchen Lutherbibeln findet man diese zwischen»altem«und»neuem Testament«. Auch die Schweizer Reformation (Zwingli, d.h. die Zürcher Bibel) betrachtet die Apokryphen nicht als Teil ihres Kanons. Seitdem verfügen deshalb Katholiken und Orthodoxe einerseits sowie die Kirchen der Reformation andererseits über Bibeln verschiedenen Umfangs. Die Übersicht auf den folgenden beiden Seiten wird dies verdeutlichen. S.G. 1 Der Begriff deuterokanonische Schriften ist dem der»apokryphen«als exakter vorzuziehen. Aufbau der Bibel 23
12 Nevi im Acharonim Jeschajahu Jirmejahu Jechesqel Tre Assar Hosche a Jo el Amos Ovadja Jona Micha Nachum Chavaquq Zefanja Chaggai Secharja Male achi Ketuvim Tehillim Ijov Mischle MEGILLOTH Schir ha-schirim Rut Echa Qohelet Ester Dani el Esra Nechemja Divre ha- Jamim I, II íéðåøçà éáð äéòùé äéîøé ìà æçé øùò éøú òùåä ìàåé ñåîò äéãáò äðåé äëéî íåçð å áç äéðôö éâç äéøëæ éëàìî íéáåúë íéìäú áåéà éìùî úåìéâî íéøéùä øéù úåø äëéà úìä øúñà ìàéðã àøæò äéîçð éøáã á à íéîéä Hintere Propheten Jesaja Jeremia Ezechiel DIE ZWÖLF Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zephanja Haggai Sacharja Maleachi Schriften Psalmen Hiob Sprüche ROLLEN Ruth Hoheslied Prediger Klagelieder Ester Daniel Esra Nehemia Chronik (I; II) Psalmoi und Sophia Psalmen Oden Proverbien Ekklesiastes Hoheslied Ijob Weisheit Salomos Weisheit Sirach Psalmen Salomos Prophetai Hosea Amos Michaeas Ioel Abdias Ionas Nahum Habacuc Sophonias Aggaeus Zacharias Malachias Isaias Jeremias Baruch Threni (Klagelieder) Brief Jeremias Hesekiel Susanna Daniel Bel und Drachen Bücher der Lehrweisheit und Psalmen Ijob Psalmen Sprichwörter Kohelet Hoheslied Weisheit Sirach Die Bücher der Propheten Jesaja Jeremia Klagelieder Baruch Ezechiel Daniel Zwölfprophetenbuch Hosea Joel Amos Obadia Jona Micha Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi Die Apokryphen sind in der Darstellung kursiv gedruckt. Dichtung Hiob Psalmen Sprüche Prediger Hoheslied Propheten Große Propheten Jesaja Jeremia Klagelieder Hesekiel Daniel Kleine Propheten Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakkuk Zephanja Haggai Sacharja Maleachi 24 Einleitung
13 Die Hebräische Bibel Tena ch - Hebräische Bibel 24 Bücher Ausgaben: Leopold Zunz, Martin Buber / Franz Rosenzweig, Moses Mendelssohn, Naphtali Herz Tur-Sinai Tora Bereschit Schemot Wajiqra Bemidbar Devarim Nevi im Nevi im Rischonim Jehoschu a Schoftim Schmu el I, II Melachim I, II äøåú úéùàøá úåîù àø éå øáãîá îéøáã íéàéáð íéðùàø éáð òùåäé íéúôåù á à ìàåîù á à íéëìî Tora (Weisung) Im Anfang Namen Er rief In der Wüste Reden Propheten Vordere Propheten Josua Richter Samuel I; II Könige I; II Septuaginta - LXX Pentateuch Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Historia Josua Richter Ruth Regum I; II Regum II; IV Paraleipomenon (I; II) Esdras I Esdras II Esther Judith Tobith Maccabacorum I Maccabaeorum II Katholischer Kanon 46 Bücher Einheitsübersetzung 5 Bücher Mose Genesis Exodus Leviticus Numeri Deuteronomium Bücher der Geschichte Josua Richter Ruth Samuel (I + II) Könige (I + II) Chronik (I + II) Esra Nehemia Tobit Judith Esther 1. Makkabäer 2. Makkabäer Evangelischer Kanon 39 Bücher Lutherbibel, Zürcher Bibel Geschichtsbücher 1. Buch Mose 2. Buch Mose 3. Buch Mose 4. Buch Mose 5. Buch Mose Josua Richter Ruth 1. Samuel 2. Samuel 1. Könige 2. Könige 1. Chronik 2. Chronik Esra Nehemia Aufbau der Bibel 25
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