MIT RECHTLICHER SICHERHEIT UMWELTFREUNDLICHE ÖFFENTLICHE BESCHAFFUNG LEHREN

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1 MIT RECHTLICHER SICHERHEIT UMWELTFREUNDLICHE ÖFFENTLICHE BESCHAFFUNG LEHREN R A D R. M A T T H I A S Z I E R E S Dr. Matthias Zieres

2 STELLENWERT UMWELTFREUNDLICHER ÖFFENTLICHER BESCHAFFUNG Eine Vielzahl von Stellen der öffentlichen Hand vergibt Aufträge. In Deutschland existieren etwa Vergabestellen. (Quelle: Umweltbundesamt 7/2009) Zum jährlichen Beschaffungsvolumen in Deutschland liegen unterschiedliche Schätzungen vor. Die Angaben reichen dabei von 150 bis 360 Milliarden Euro. => Eine umfassende Berücksichtigung ökologischer Aspekte bei der öffentlichen Beschaffung würde einen immensen Beitrag zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung bedeuten. Entsprechend ist es von ganz erheblicher tatsächlicher Bedeutung, das Thema umweltfreundliche öffentliche Beschaffung in der Ausund Fortbildung zu verankern. Seite 2 Dr. Matthias Zieres

3 BINDUNG AN DAS VERGABERECHT Öffentliche Auftraggeber können bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nach Belieben verfahren, sondern müssen die Vorgaben des Vergaberechts beachten. Definition nach Bundesverfassungsgericht: Unter Vergaberecht versteht man die Gesamtheit der nationalen und internationalen Regeln und Vorschriften, die ein Träger der öffentlichen Verwaltung bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen, die er zur Erfüllung seiner Verwaltungsaufgaben benötigt, zu beachten hat. (BVerfG, Urteil v Az.: 1 BvR 1160/03) => Auch wegen der zu beachtenden rechtlichen Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene ist es wichtig, das Thema umweltfreundliche öffentliche Beschaffung in der Aus- und Fortbildung zu verankern. Seite 3 Dr. Matthias Zieres

4 ANWENDBARKEIT EU-VERGABERECHT Seit Mitte der 1990er Jahre bestimmen in wesentlichen Bereichen EU-Richtlinien die Rahmenbedingungen der Auftragsvergabe. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des EU-Vergaberechts ist, dass die geschätzten (Netto-)Auftragswerte bestimmte Schwellenwerte erreichen oder übersteigen. Seite 4 Dr. Matthias Zieres

5 SCHWELLENWERTE Die Schwellenwerte betragen seit dem : - für Bauaufträge Euro - für öffentliche Dienstleistungs- und Lieferaufträge im Sektorenbereich (Trinkwasser, Energie, Verkehr) Euro - für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der obersten oder oberen Bundesbehörden sowie vergleichbarer Bundeseinrichtungen Euro - für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge Euro Seite 5 Dr. Matthias Zieres

6 RANGFOLGE DER REGELUNGEN (KASKADENPRINZIP) EU-VERGABERICHTLINIEN / EU-RECHTSMITTELRICHTLINIEN (Mindestanforderungen an Verfahren und Rechtsschutz) I 97 ff. GWB (Vergabegrundsätze, Verfahren, Rechtsschutz) I VERGABEVERORDNUNG (VgV) mit starrer Verweisung auf einzelne Abschnitte der Verdingungsordnungen I VERDINGUNGSORDNUNGEN (VOB/A, VOL/A, VOF) Seite 6 Dr. Matthias Zieres

7 ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE DES VERGABERECHTS Die 97 ff. GWB legen allgemeine Grundsätze des Vergaberechts fest, die bei der Beurteilung jedes vergaberechtlichen Sachverhaltes zu beachten und daher von besonderer Bedeutung sind: Wettbewerbsgrundsatz Diskriminierungsverbot Transparenzgebot Die Regelungen der 97 ff. GWB sind nur ab dem Erreichen der Schwellenwerte anwendbar. Seite 7 Dr. Matthias Zieres

8 NACHHALTIGKEIT UND VERGABERECHT Das Thema soziale und ökologische öffentliche Beschaffung wurde in Deutschland lange Zeit kritisch gesehen. Grund: In Deutschland war Grundlage der staatlichen Beschaffung traditionell das Haushaltsrecht. Dieses hat die wirtschaftliche und sparsame Verwendung der Haushaltsmittel zum Ziel ( 6 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz). Soziale und ökologische Aspekte wurden daher als vergabefremde Aspekte angesehen. Seite 8 Dr. Matthias Zieres

9 EINFLÜSSE DES EUROPARECHTS UND DER RECHTSPRECHUNG DES EUGH Der traditionelle haushaltsrechtliche Ansatz des deutschen Vergaberechts musste wegen europarechtlicher Vorgaben teilweise aufgegeben werden. Spätestens nach der Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Concordia Bus vom (C-513/99, Slg. 2002, S. I-7213) und Wienstrom vom (Rs. C-448/01, Slg. 2003, S. I-14527) sowie nach dem Erlass der Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG ist die Zulässigkeit der Berücksichtigung sozialer und ökologischer Belange aus europarechtlicher Sicht bestätigt. Richtlinien wie z.b. die RL 2006/32/EG über Energieeffizienz und Energiedienstleistungen heben inzwischen insoweit auch die Vorbildfunktion des öffentlichen Sektors hervor. In der RL 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge ist z.b. nicht nur eine Berechtigung, sondern eine Verpflichtung zur Berücksichtigung ökologischer Belange enthalten. Seite 9 Dr. Matthias Zieres

10 GESETZ ZUR MODERNISIERUNG DES VERGABERECHTS (MÄRZ 2009) Neue Fassung 97 Abs. 4 GWB: Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Seite 10 Dr. Matthias Zieres

11 VgV 2010 AM IN KRAFT GETRETEN UND ZULETZ AM GEÄNDERT Am ist die Vergabeverordnung 2010 (VgV 2010) in Kraft getreten. Eine wesentliche praktische Folge hiervon ist, dass durch die neue VgV die neue Fassung der VOB/A, der VOL/A und der VOF in Kraft gesetzt wurde. Zudem wurden mit der VgV 2010 und den späteren Änderungen hierzu vom und aktuell vom u.a. auch Regelungen eingefügt, die der Umsetzung der Energieeffinzienzrichtlinie v (2006/32/EG), der Richtlinie 2009/33/EG zur Beschaffung umweltfreundlicher Fahrzeuge und der Energiekennzeichnungsrichtlinie (2010/30/EU) des Europäischen Parlaments und des Rates dienen. Seite 11 Dr. Matthias Zieres

12 4 Abs. 4 6 VgV Aus 4 Abs. 4 6 VgV ergeben sich Anforderungen bei Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Waren, technischer Geräte oder Ausrüstungen wie z.b.: - in der Leistungsbeschreibung Anforderung des höchsten Leistungsniveaus an Energieeffizienz - in der Leistungsbeschreibung oder an anderer geeigneter Stelle in den Vergabeunterlagen Anforderung von konkreten Angaben zum Energieverbrauch, es sei denn, die auf dem Markt angebotenen Waren, technischen Geräte oder Ausrüstungen unterscheiden sich im zulässigen Energieverbrauch nur geringfügig, und in geeigneten Fällen z.b. eine Analyse minimierter Lebenszykluskosten - Energieeffizienz ist als Zuschlagskriterium angemessen zu berücksichtigen Seite 12 Dr. Matthias Zieres

13 4 Abs VgV Aus 4 Abs VgV ergeben sich Anforderungen bei Beschaffung von Straßenfahrzeugen: Energieverbrauch und Umweltauswirkungen müssen als Kriterium angemessen berücksichtigt werden, u.a. - Vorgaben in der Leistungsbeschreibung oder in den technischen Spezifikationen zu Energieverbrauch und Umweltauswirkungen und - angemessene Berücksichtigung von Energieverbrauch und Umweltauswirkungen von Straßenfahrzeugen als Kriterium bei der Entscheidung über den Zuschlag Seite 13 Dr. Matthias Zieres

14 6 Abs. 1 6 VgV Aus 6 Abs. 1 6 VgV ergeben sich Anforderungen bei der Vergabe von Bauleistungen, wenn die Lieferung von energieverbrauchsrelevanten Waren, technischen Geräten oder Ausrüstungen wesentlicher Bestandteil ist: - in der Leistungsbeschreibung z.b. Anforderung des höchsten Leistungsniveaus an Energieeffizienz - in der Leistungsbeschreibung oder an anderer geeigneter Stelle in den Vergabeunterlagen Anforderung von konkreten Angaben zum Energieverbrauch, es sei denn, die auf dem Markt angebotenen Waren, technischen Geräte oder Ausrüstungen unterscheiden sich im zulässigen Energieverbrauch nur geringfügig, und in geeigneten Fällen z.b. eine Analyse minimierter Lebenszykluskosten - Energieeffizienz ist als Zuschlagskriterium angemessen zu berücksichtigen Seite 14 Dr. Matthias Zieres

15 UNTERSCHWELLENWERTVERGABE GRUNDSÄTZE DES GEMEINSCHAFTSRECHTS BEI BINNENMARKTRELEVANZ ANWENDBAR Gleichbehandlungsgrundsatz, Diskriminierungsverbot, Transparenzgebot SELBSTBINDUNG DER VERWALTUNG Art. 3 GG i.v.m Verdingungsordnungen Seite 15 Dr. Matthias Zieres

16 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (1) I. BEDARFSERMITTLUNG / BESTIMMUNG AUFTRAGSGEGENSTAND: Die beste Möglichkeit zur maßgeblichen Einbeziehung von Umweltbelangen ist, diese am Anfang des Vergabeverfahrens bei der Bestimmung des Auftragsgegenstandes festzulegen. Der Auftraggeber (AG) ist grundsätzlich frei, WAS er beschaffen will (z.b. Strom aus erneuerbaren Energieträgern, s. EuGH Wienstrom ). Einschränkungen: z.b. Verpflichtung zu produktneutraler Ausschreibung AG darf keinen bestimmten Hersteller vorschreiben AG darf nicht ausschließlich ein bestimmtes Umweltsiegel fordern (ergibt sich aus Wettbewerbsgrundsatz, Diskriminierungsverbot) Seite 16 Dr. Matthias Zieres

17 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (2) II. LEISTUNGSBESCHREIBUNG (1): Der AG darf z.b. in der Leistungsbeschreibung für zu beschaffende Fahrzeuge Obergrenzen für CO2-Emissionen festlegen. Erforderlich: - Bezug zum Auftragsgegenstand muss bestehen unzulässig: Vorgabe der Mülltrennung im Bürogebäude des Fahrzeugherstellers - messbare, eindeutige Vorgabe unzulässig: gute CO2-Werte - klare Vorgaben in Bekanntmachung oder Verdingungsunterlagen (unzulässig: negative Wertung ohne Bekanntgabe der Kriterien spätestens in den Verdingungsunterlagen) Seite 17 Dr. Matthias Zieres

18 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (3) LEISTUNGSBESCHREIBUNG (2): Insbesondere bei nicht standardisierten und innovativen Leistungen ist ggf. die Möglichkeit einer funktionale Leistungsbeschreibung zu nutzen. Hier wird an Stelle eines abschließenden, detaillierten Leistungsbeschreibung ein Ergebnis hervorgehoben, das erreicht werden soll. (Beispiel: Nullenergiehaus) Vorteil: Der Lösungsweg wird für die Einbringung innovativer Ansätze offen gelassen. Anforderungen an Bestimmtheit: Leistungsziel, Rahmenbedingungen, Zuschlagskriterien Seite 18 Dr. Matthias Zieres

19 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (4) ZULASSUNG VON NEBENANGEBOTEN: Der AG kann auch selbst einen bestimmten Lösungsweg in Form der konstruktiven Leistungsbeschreibung vorgeben und trotzdem alternative Lösungswege über die Abgabe von Nebenangeboten zulassen. Im Unterschwellenwertbereich sollten insoweit allerdings auch für die Nebenangebote bestimmte Mindestanforderungen festgelegt werden, ab Erreichen der Schwellenwerte ist dies sogar zwingend erforderlich (s. Transparenzgebot) Seite 19 Dr. Matthias Zieres

20 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (5) III. EIGNUNGSPRÜFUNG BIETER: Neue Fassung 97 Abs. 4 GWB: Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. - Ausschluss z.b. wegen Verstoß gegen Umweltdelikte möglich. Zusätzlich in die Eignungsprüfung einbeziehbar: - Forderung von geeigneten Referenzen - Berücksichtigung von Umweltmanagementsystemen Seite 20 Dr. Matthias Zieres

21 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (6) IV. ZUSCHLAGSKRITERIEN: erforderlich: - eindeutiger Bezug zum Auftragsgegenstand - klare Vorgabe objektiv prüfbarer Maßstäbe - müssen vorab bekannt gemacht werden - die allgemeinen Vergabegrundsätze beachten (Wettbewerbsgrundsatz, Diskriminierungsverbot, Transparenzgebot) Seite 21 Dr. Matthias Zieres

22 UMSETZUNG NACHHALTIGER BESCHAFFUNG IM VERGABEVERFAHREN (7) V. AUSFÜHRUNGSBESTIMMUNGEN sind zusätzliche Anforderungen an den Auftragnehmer, z.b. Verkehr von und zur Baustelle bei Bauvorhaben, Arbeitszeiten, etc. erforderlich: - müssen spätestens aus den Verdingungsunterlagen hervorgehen - von technischen Spezifikationen unterscheidbar sein - vorab bekannt gemacht werden - die allgemeinen Vergabegrundsätze beachten (Wettbewerbsgrundsatz, Diskriminierungsverbot, Transparenzgebot) Seite 22 Dr. Matthias Zieres

23 ZUSAMMENFASSUNG 1. Die Verankerung des Themas umweltfreundliche öffentliche Beschaffung in Aus- und Weiterbildung ist schon wegen des immensen Beschaffungsvolumens der öffentlichen Hand, der dadurch zu erreichenden positiven ökologischen Wirkung und wegen der bei Vergaben zu beachtenden rechtlichen Vorgaben von erheblicher Bedeutung. 2. Inzwischen steht sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene rechtssicher fest, dass ökologische Aspekte - bei Beachtung grundlegender Prinzipien des Vergaberechts wie z.b. dem Wettbewerbsgrundsatz, dem Diskriminierungsverbot und dem Transparenzgebot - in Vergabeverfahren berücksichtigt werden dürfen und in verschiedenen Bereichen auch zu berücksichtigen sind. 3. Bei der Planung von Beschaffungsvorgängen kann grundsätzlich im Voraus für jeden Abschnitt des Vergabeverfahrens die Berücksichtigung von Umweltkriterien vorgesehen werden. Dies bietet erheblichen Spielraum für eine optimale Gestaltung von Vergabeverfahren unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte. Seite 23 Dr. Matthias Zieres

24 VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! Dr. Matthias Zieres Seite 24 Dr. Matthias Zieres