Einiges über komplexe Zahlen
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- Imke Franke
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1 Lineare Algebra und Analytische Geometrie I für LB WS 2001/2002 Dr. Bruno Riedmüller Einiges über komplexe Zahlen Es muss davon ausgegangen werden, dass der Leser mit komplexen Zahlen wenig oder nicht vertraut ist. Deshalb wird hier einiges darüber zusammengestellt. Die Erweiterung der Zahlbereiche von den natürlichen über die ganzen und die rationalen Zahlen bis zu den reellen Zahlen läßt sich motivieren durch den Anspruch, immer mehr Gleichungen lösen zu können. Die Gleichung 5 + x = 7 besitzt in der Menge N der natürlichen Zahlen die Lösung x = 2. Die Gleichung 7 + x = 5 besitzt in der Menge N der natürlichen Zahlen keine Lösung, wohl aber in der Menge Z der ganzen Zahlen: x = 2. Die Gleichung 7x = 5 besitzt in der Menge Z der ganzen Zahlen keine Lösung, wohl aber in der Menge Q der rationalen Zahlen: x = 5. Die Gleichung 7 x 2 = 5 besitzt in der Menge Q der rationalen Zahlen keine Lösung, wohl aber in der Menge R der reellen Zahlen: x = 5. Die Gleichung x 2 = 1 besitzt in der Menge R der reellen Zahlen keine Lösung; für jedes x R gilt nämlich x 2 0, wie wir in Kapitel 1 festgestellt haben. Leonhard Euler ( ) rechnet um 1740 in Anlehnung an das Rechnen mit reellen Wurzeln (verhältnismäßig hemmungslos) mit dem undefinierten Symbol 1 für eine Lösung der Gleichung x 2 = 1 in der folgenden Weise (a 1, a 2, b 1, b 2 reelle Zahlen): (a 1 + 1a 2 ) + (b 1 + 1b 2 ) = (a 1 + b 1 ) + 1(a 2 + b 2 ), (a 1 + 1a 2 ) (b 1 + 1b 2 ) = (a 1 b 1 a 2 b 2 ) + 1(a 1 b 2 + a 2 b 1 ). (1) Solche imaginäre bzw. komplexe Zahlen finden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Interesse vieler Mathematiker. Heinrich Kühn ( ) unternimmt 1750/51 einen Versuch, die Multiplikation reeller und imaginärer Zahlen geometrisch zu erklären. Caspar Wessel ( ), ein Mitarbeiter der Dänischen Akademie der Wissenschaften, bringt eine brauchbare Darstellung der komplexen Zahlen in der Ebene; sie erscheint 1799 im Druck, wird aber nicht beachtet, weil sie in dänischer Sprache geschrieben ist. Den Durchbruch schafft erst Carl Friedrich Gauss ( ). Ihm sind die Zusammenhänge schon vor der Jahrhundertwende klar, er publiziert sie aber erst 1831.
2 In heutiger Sprechweise betrachten wir die Menge R 2 = {(a 1, a 2 ) a 1, a 2 R} der geordneten Paare reeller Zahlen und definieren in dieser Menge eine Addition und eine Multiplikation durch (a 1, a 2 ) + (b 1, b 2 ) := (a 1 + b 1, a 2 + b 2 ), (a 1, a 2 ) (b 1, b 2 ) := (a 1 b 1 a 2 b 2, a 1 b 2 + a 2 b 1 ). Diese Definitionen sind natürlich motiviert durch (1). Man kann zeigen, dass R 2 mit diesen Verknüpfungen + und alle Körperaxiome in Definition 1.1 erfüllt. Insbesondere ist (0, 0) das neutrale Element der Addition, die Null. Zum Paar (a 1, a 2 ) ist das inverse Element der Addition gegeben durch das Paar ( a 1, a 2 ). Das neutrale Element der Multiplikation, die Eins, ist das Paar (1, 0). Für (a 1, a 2 ) (0, 0) ist das inverse Element der Multiplikation das Paar a 1 a 2 (, ). a a 2 2 a a 2 2 Das Paar (0, 1) hat nach (2) die Eigenschaft (0, 1) (0, 1) = ( 1, 0). Weiter gilt für alle Paare (a 1, a 2 ) R 2 Wegen (a 1, a 2 ) = (a 1, 0) + (0, a 2 ) = (a 1, 0) + (0, 1) (a 2, 0). (4) (a 1, 0) + (b 1, 0) = (a 1 + b 1, 0), (a 1, 0) (b 1, 0) = (a 1 b 1, 0) (5) entsprechen die Addition und die Multiplikation in der Menge R := {(a 1, 0) a 1 R} der Paare mit Null an zweiter Stelle genau der Addition bzw. der Multiplikation reeller Zahlen. Man kann also die Menge R mit der Menge R der reellen Zahlen identifizieren: Das Paar (a 1, 0) entspricht der reellen Zahl a 1 und umgekehrt. Wir nennen nun die reellen Zahlenpaare mit den in (2) definierten Verknüpfungen komplexe Zahlen. Mit der auf Euler zurückgehenden Abkürzung i für die imaginäre Einheit (0, 1) und (4) erhält man schließlich die übersichtlichere Schreibweise komplexer Zahlen a = a 1 + i a 2 = a 1 + i a 2, a 1, a 2 R. (6) Auch bei den komplexen Zahlen wird der Malpunkt in der Regel unterdrückt. a 1 = Re(a) R heißt Realteil, a 2 = Im(a) R Imaginärteil von a. Die Menge der komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet. Man stellt sie in der Gaussschen Zahlenebene dar, siehe Abbildung 1. Aufgrund des oben Gesagten und der Definitionen von + und kann man nun mit den komplexen Zahlen rechnen wie in R, wenn man nur i 2 = 1 berücksichtigt. Einige Beispiele: (1 + 2 i) + (3 4 i) = 4 2 i, (1 + 2 i) (3 4 i) = i, (1 + 2 i)(3 4 i) = 3 4 i +6 i 8 i 2 = i, i (1 + 2 i)(3 + 4 i) i = = = i (3 4 i)(3 + 4 i) i. 2 (2) (3)
3 Abbildung 1: Die Gausssche Zahlenebene. Die Zahl a = a 1 i a 2 heißt zu a = a 1 + i a 2 konjugiert komplex. Es gilt für alle a, b C a + b = a + b, ab = a b (7) sowie mit a = a 1 + i a 2 = Re(a) + i Im(a) und Re(a) = 1 2 (a + a), Im(a) = 1 (a a), (8) 2 i a a = a a (9) Damit läßt sich nun der Betrag a der komplexen Zahl a definieren als ihr Abstand vom Nullpunkt a := a a = a a 2 2. (10) Es gilt a = a = a. (11) Dieser Betrag hat die gleichen Eigenschaften wie der Betrag reeller Zahlen; es gilt nämlich für alle a, b C (i) a 0, (ii) a = 0 a = 0, (iii) ab = a b, (iv) a b a + b a + b (Dreiecksungleichung). 3
4 Man kann eine komplexe Zahl mit ihrem Betrag r = a und ihrem Argument ϕ = arc(a) auch in Polarkoordinaten darstellen (siehe Abbildung 1): a = a 1 + i a 2 = r(cos ϕ + i sin ϕ). (12) Von Euler stammt auch die Beziehung (e: Eulersche Zahl, Basis der natürlichen Logarithmen) i ϕ e = cos ϕ + i sin ϕ, (13) mit der man eine komplexe Zahl darstellen kann in der Exponentialform z = r i ϕ e = r(cos ϕ + i sin ϕ). (14) Die oben geschilderte Einführung komplexer Zahlen mag den Eindruck erwecken, der Aufwand sei getrieben worden nur um der Gleichung x = 0 Lösungen zu verschaffen. Dem ist jedoch nicht so: Es gilt der von Gauss in seiner Dissertation 1799 bewiesene Fundamentalsatz der Algebra. Jedes Polynom n-ten Grades, n N, P (x) = n a ν x ν, a n 0 ν=0 mit komplexen Koeffizienten a ν besitzt mindestens eine komplexe Nullstelle. In der Funktionentheorie ist der Beweis relativ einfach. Leider ist er nicht konstruktiv, d.h. der Beweis liefert kein Verfahren zur Ermittlung einer Nullstelle. Hierfür ist man auf die numerische Mathematik angewiesen. Aus dem Fundamentalsatz der Algebra folgt weiter der Satz. Jedes Polynom n-ten Grades, n N, mit komplexen Koeffizienten zerfällt in C in Linearfaktoren, d.h. zu a 0, a 1,..., a n C, a n 0, existieren α 1,..., α n C mit P (x) = n a ν x ν = a n n ν=0 ν=1 (x α ν ), a n 0. Ein komplexes Polynom n-ten Grades besitzt in C also genau n Nullstellen, wenn man jede entsprechend ihrer Vielfachheit zählt. Ein Körper mit dieser Eigenschaft heißt algebraisch abgeschlossen. Der Körper C ist algebraisch abgeschlossen, der Körper R ist es nicht. So ist mit dem Körper der komplexen Zahlen ein gewisser Abschluß des Ausbaus von Zahlenkörpern erreicht. Jedes reelle Polynom kann auch als komplexes Polynom aufgefaßt werden. Es besitzt also in C (aber eben nicht in R) genau n Nullstellen, wenn man jede entsprechend ihrer Vielfachheit zählt. Ein reelles Polynom geraden Grades besitzt, wie das Beispiel x zeigt, u.u. keine reelle Nullstelle. Ein reelles Polynom ungeraden Grades besitzt wegen seiner Stetigkeit nach dem Zwischenwertsatz der reellen Analysis mindestens eine reelle Nullstelle. Weitergehende Aussagen über reelle Nullstellen reeller Polynome sind nicht möglich. Mit einer komplexen Nullstelle eines reellen Polynoms ist auch die konjugiert komplexe Zahl Nullstelle des Polynoms. 4
5 Noch eine Bemerkung zu Euler und zu Gauss. Die Leistungen dieser beiden in wenigen Sätzen zu würdigen ist unmöglich. Vieles in der Mathematik ist nach ihnen benannt. Es muss auf Darstellungen in Büchern zur Geschichte der Mathematik verwiesen werden. Gemeinsam ist beiden, dass sie es im 20. Jahrhundert auf Banknoten geschafft haben wenn auch nicht auf sehr hochwertige: Der Schweizer 10-Franken-Schein trägt Eulers Bild. Auf der ehemaligen Deutschen 10 DM-Note ist Gauss (seitenverkehrt) abgebildet. Ferner findet sich hier die Gausssche Glockenkurve samt ihrer Funktionsgleichung. 5
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