W AHLEN, P ARTEIENSYSTEM, R EGIERUNGSBILDUNG 19
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- Hajo Timo Brahms
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2 W AHLEN, P ARTEIENSYSTEM, R EGIERUNGSBILDUNG 19 Gewicht. 7 Bei einer Nichtberücksichtigung dieses Umfangs (bei gleichzeitigem Zugewinn an Mandaten für die ins Parlament eingezogenen Parteien) könnte der gleiche Erfolgswert in Zweifel geraten, mit der dann unvermeidlichen Folge einer Diskussion über die Fünf-Prozent-Klausel. Für die Wahlen zum Europaparlament ist diese vom Gericht bereits verworfen worden, wenn auch im Blick auf die differierenden Funktionalitäten in Straßburg und Berlin und die daraus zu folgernden unterschiedlichen Stabilitätserfordernisse. 8 In der Regel wird das Gerechtigkeitsargument allerdings überzogen und übersehen, dass zum Beispiel Mehrheitswahlsysteme in der Praxis erheblich höhere Sperrklauseln implizieren. 9 b) Unter dem Dach der Bundesrepublik bestehen nach wie vor zwei Parteiensysteme: ein west- und ein ostdeutsches. Die Jahrzehnte der Teilung haben politisch-kulturelle Spuren und divergente politische Sichtweisen hinterlassen. Auch 2013 gab es ein ost- und ein westdeutsches Wahlergebnis, interessanterweise mit einem erheblich stärkeren Anstieg der Beteiligung im Osten als im Westen. Signifikant bleibt die Stärke der n auf dem Gebiet der früheren DDR. In allen Bundesländern dort erreicht sie 20 Prozent plus x, trotz unübersehbarer Verluste im Vergleich zu Sie gewinnt dort sogar Direktmandate. Als Regionalpartei ist sie gleichsam eine CSU des Ostens. Nach wie vor konkurrieren dort drei größere Parteien, allerdings jetzt innerhalb eines im Vergleich zu 2005 und 2009 wieder breiter gewordenen Korridors. Dabei stagniert die, die verliert, die CDU steigt erheblich. Ist sie dabei, sich von der Konkurrenz abzusetzen und den Korridor zu verlassen? Bemerkenswert sind zudem zwei andere Ost-West- Differenzen: Die verlor ihre parlamentarische Existenz im Osten. In den westlichen Bundesländern (Ausnahme Saarland) erreichte sie überall mehr als 5 Prozent. Andererseits hätte die parlamentarische Existenz im Osten beinahe gewonnen: Überall (Ausnahme Sachsen-Anhalt) übersprang sie dort die Fünf-Prozent-Hürde, an der sie im Westen scheiterte. Obgleich 7 Vgl. BVerfGE 95, 335 (353 f.) vom ; BVerfG, 2 BvF 3/11 vom , Absatz-Nr. (1 164). 8 Vgl. BVerfG, 2 BvE 2/13 vom , Absatz-Nr. (1 86). 9 Nicht zu übersehen ist, dass das neue von Karlsruhe wegen des»negativen Stimmgewichts«inspirierte Wahlgesetz»inkonsistent, widersprüchlich, ineffektiv«ist und der Novellierung harrt. Siehe Joachim Behnke, Das neue Wahlgesetz im Test der Bundestagswahl 2013, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 45. Jg. (1/2014), S , hier S. 17.
3 20 H EINRICH O BERREUTER überwiegend als Protestpartei wahrgenommen, ist das Ostergebnis nicht auf Zuwanderung von rechtsextremistischen Parteien zustande gekommen, die in den ostdeutschen Problemgebieten (hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung) ihre im Bundesvergleich relativ vielen Wähler behielten. Abbildung 2: Die Bundestagswahlen in West- und Ostdeutschland (in Prozent) Gesamtdeutschland Westdeutschland Ostdeutschland CDU/CSU* ,5 33,8 CDU/CSU** 42,1 34,7 CDU 38,5 29,8 25,7 23,0 27,4 24,1 17,9 17,9 8,6 11,9 5,6 8,3 22,7 28,5 8,4 6,8 9,2 11,5 5,1 5,8 4,8 14,6 5,2 15,4 2,7 10,6 4,7 0,0 4,4 0,0 5,8 0,0 Sonstige 6,2 6,0 Sonstige 6,0 5,9 Sonstige 7,3 6,3 2013: 70,8 2009: 71,5 2013: 72,2 2009: 72,5 Wahlbeteiligung Wahlbeteiligung Wahlbeteiligung 2013: 64,7 2009: 67,6 * CDU 2013: 34,1 Prozent (2009: 27,3), CSU: 7,4 Prozent (2009: 6,5). ** CDU 2013: 33,2 Prozent (2009: 26,7), CSU: 9,0 Prozent (2009: 7,9). Quelle: eigene Darstellung / Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. September 2013, S. 13. Daten: Bundeswahlleiter. c) Erneut gezeigt hat sich die hohe Volatilität der Wähler. Sozialstrukturelle und weltanschauliche Bindungen, beständig auf dem Rückzug, befestigen sich nicht wieder. Zum Beispiel hatte die CSU bei den Landtagswahlen 2008 in Bayern 17,3 Prozentpunkte eingefahren (2009 dagegen +4,3), die 2009 beim Bundestag 11,9 Prozentpunkte (jetzt wieder +2,7). Aktuelle Bewegungen bleiben im Vergleich zu früher immer noch außergewöhnlich: CDU/CSU +7,8, 9,8, CDU im Osten +8,7, im Osten 5,8 Prozentpunkte; und insbesondere aus dem Stand +4,7, im Osten
4 W AHLEN, P ARTEIENSYSTEM, R EGIERUNGSBILDUNG 21 sogar +5,8 Prozent. Das zeigt, dass die Situationsabhängigkeit der Wahlentscheidung und mit ihr die Flüchtigkeit von Parteibindungen fortbestehen. Entscheidungen von heute können morgen relativiert werden. Deswegen verbietet es sich, im gestoppten Abwärtstrend der Volksparteien und ihrer Stabilisierung schon eine zukunftsrelevante Trendwende zu sehen. Vielmehr könnte dynamische Volatilität in Zukunft unter Umständen überhaupt»trends«unterbinden. Prognostizieren lässt sich das nicht, ebenso wenig verlässlich aber auch ein Ende der Volksparteien 10, auch wenn ihr Format frühere Dimensionen kaum mehr erreichen wird und kann. Abbildung 3: Wählerwanderung: Saldo aus Zu- und Abwanderung bei der Bundestagswahl 2013 gegenüber 2009 (in Tausend) 3,8 Mio ,2 Mio ,1 Mio CDU/CSU 18,2 Mio. Wählerstimmen insgesamt 430 3,7 Mio ,1 Mio. 170 Umfrage zu Zweitstimmen. Ausgewählte Parteien. Quelle: eigene Darstellung / Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. September 2013, S. 10. Daten: Infratest dimap für ARD / Bundeswahlleiter. Zudem: Verluste an Vertrauen, Parteiidentifikation und Mitgliederzahl sind nicht gestoppt. Die Wahlbeteiligung ist eher nicht weiter gesunken, als dass sie wirklich gestiegen wäre. Die Zahl der Nichtwähler übersteigt zum Beispiel die Zahl der Wähler der siegreichen Unionsparteien. Prak- 10 So aber dezidiert Peter Lösche, Ende der Volksparteien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 59. Jg. (51/2009), S
5 22 H EINRICH O BERREUTER tisch zeitgleiche Wahlen in der europäischen Nachbarschaft Österreich, Südtirol, unter anderen Voraussetzungen auch Tschechien indizieren eher die Fortdauer der Erosion der»großen«. Ist die spezifische deutsche Entwicklung auf den personalen Faktor zurückzuführen? Schließlich wird sie überwiegend vom Ergebnis der C-Parteien bestimmt. Deren Erfolg reflektiert zweifelsfrei einen Angela-Merkel- Faktor, der aber wohl mit dem gleichzeitig existenten Krisen(Euro)- und Krisenmanagementfaktor verknüpft war. Welche Konsequenzen hätte die Auflösung dieser Verknüpfung oder der Wegfall eines oder sogar beider Faktoren für das Unions- und damit das Volksparteiergebnis gehabt? 2.2 Die Stabilisierung der Union Die erstaunlichen und in dieser Höhe unerwarteten Gewinne der Unionsparteien (7,8 Prozentpunkte im Bund, 6,8 Prozentpunkte in Bayern) erklären sich wesentlich aus dem zuletzt skizzierten Zusammenhang. Im Bewusstsein der Wähler dominierte Angela Merkels Präsenz in der internationalen Politik, vor allem aber ihre führende Rolle in der Eurokrise, obwohl diese ziemlich konsequent von den Parteien aus dem Wahlkampf herausgehalten worden war. Gleichwohl sahen die Wähler die Lage als prekär an, verbunden mit der Befürchtung, der schlimmste Teil der Krise stehe noch bevor mit Konsequenzen für sozialen Komfort, Altersvorsorge und Ersparnisse. Vertrauensbildend und wahlentscheidend wirkte allein das unaufgeregte Krisenmanagement der Kanzlerin im nationalen, europäischen und globalen Rahmen. Dem hatte der -Konkurrent naturgemäß nichts entgegenzusetzen bar jeglichen Amtes. In der Wirtschaftskompetenz hatte die Union im Vergleich seit 2002 ihren Vorsprung vor der von 9 auf 36 Prozentpunkte ausgebaut. Im Sozialen dagegen war der Vorsprung der erheblich geringer als der der Union im Wirtschaftlichen. 36 Prozent sahen hier die, 26 Prozent die Union vorn. Zudem hat die Union der Konkurrenz eigentlich nur das Symbolthema»soziale Gerechtigkeit«überlassen, aber zugleich auf operativer Ebene die konkretisierenden Themenfelder Mindestlohn, Mietpreisbremse, Mütterrente besetzt. Die Botschaft: Auch unter Unionsführung geraten das Soziale und die soziale Gerechtigkeit nicht aus dem Blick. Offensichtlich wird Wirtschaftskompetenz von vielen Wählern als Voraussetzung zur Erfüllung sozialpolitischer Erwartungen eingeschätzt. Dem gibt
6 W AHLEN, P ARTEIENSYSTEM, R EGIERUNGSBILDUNG 23 etwa in Bayern die über fünf Jahrzehnte beispielhaft gewachsene Leistungsbilanz der CSU in Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Bildung Ausdruck. Das heißt,»gerecht«geht es auch unter einer Unionsregierung zu, während umgekehrt die Krisenkompetenz einer -Regierung geringer eingeschätzt wurde. 2.3 Der Niedergang der Zum ersten Mal seit 1949 gehört die dem Bundestag nicht mehr an. Über zwei Millionen Wähler verlor sie an CDU/CSU, eine halbe an die, eine Viertelmillion an und gemeinsam, besonders schmerzhaft: an, an Nichtwähler. Dabei büßte die in der Einschätzung der Wähler gerade dort ein, wo ihre klassischen Kompetenzen liegen: bei Wirtschaft und Steuern, in der Anwaltschaft für Mittelstand und Selbständige. Mit ihrem Scheitern ist dem Bundestag auch ihre ordnungspolitische Funktion abhandengekommen; offensichtlich aber deshalb, weil diese in der vergangenen Wahlperiode nicht mehr sichtbar gewesen war. Mit der verband sich nachhaltig kein einziges Thema. Ihre Versprechen hat sie nicht gehalten. Personalrevolten brachten keinen Gewinn an Reputation und Kompetenz im Gegenteil. Gleichwohl: Zum Einzug in den Bundestag und zur Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition fehlten gerade Stimmen, die bei einer professionelleren Kommunikationsstrategie beiderseits wohl zu erreichen gewesen wären. Liberale Grundwerte vagabundieren nach wie vor in der Gesellschaft: Begrenzung des Staates, Schutz bürgerlicher Freiheit, Verteidigung der Marktwirtschaft, Eigenverantwortung finden auch nach der Wahl Zustimmungsraten zwischen 64 und 20 Prozent. Sie verbinden sich allerdings nicht selbstverständlich mit der : Liberalismus also ohne sie? 11 Ob sie eine Zukunft hat, hängt von ihrer Fähigkeit ab, ein modernes liberales Konzept zu entwickeln und damit identifiziert zu werden alles andere als ein kurzer Prozess, worin im schnelllebigen Informationsfluss eine eigene Herausforderung liegen könnte mit der selbstläufigen Parole: Die schafft es nicht mehr. 11 Renate Köcher, Politischer Liberalismus ohne Zukunft? Deutsche Fragen Deutsche Antworten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Oktober 2013, S. 8.
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