Auswege aus der Krise im Irak unterschiedliche Ansichten und gemeinsame Ziele

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1 Auswege aus der Krise im Irak unterschiedliche Ansichten und Zeynep Gürcanl Wenn man von Antalya und noch dazu bei solch schönem Wetter hinausschaut, möchte der Mensch immer von schönen Dingen sprechen. Aber ich komme aus Ankara. Und auch ich gehöre zu den Hauptstädtern, die glauben, sie hätten sich alle Probleme der Türkei wie ein Buckel auf den Rücken geladen. Aus diesem Grunde werde ich trotz des schönen Wetters über Probleme sprechen. In Ankara wird seit einigen Monaten, abgesehen vom Durcheinander der Wahlen nur über ein Thema diskutiert: den Irak. Wir Ankaraner Journalisten kommen, wenn wir zwischen Fragen wie Wer wird neuer Staatspräsident, der Auseinandersetzung zwischen Laizisten und Religionsanhängern, den nahenden Parlamentswahlen 53

2 Auswege aus der Krise im Irak unterschiedliche Ansichten und oder zwischen postmodernen Putschen, technologischen E-Putschen und Gerüchten über die gewohnten Putsche Zeit finden, immer wieder auf das gleiche Thema zurück. Nach der Diskussion Was soll aus der Türkei werden? verfallen wir gleich noch in diejenige über Was soll aus dem Irak werden?. Die Lösungsvorschläge für den Irak der politisch sehr interessierten und sich selbst in der Außenpolitik als Experten betrachtenden Türken fallen unterschiedlich aus. Aber es gibt ein Thema, über das sich alle einigen können: die amerikanische Irak-Politik ist ein Fiasko. Als die Neo-Cons, die in Washington die Führung innehatten, die Entscheidung zum Angriff auf den Irak trafen, setzten sie drei Ziele: Die Massenvernichtungswaffen, die Behauptungen zufolge von Saddam Hussein produziert wurden, unschädlich zu machen; Das irakische Volk von der Tyrannei Saddam Husseins zu befreien; Dem Irak Demokratie nach westlichem Standard zu bringen und eine Ordnung zu schaffen, die die Menschenrechte aller Iraker garantiert. Auch wenn zu jener Zeit sich die Motive der Amerikaner schön anhörten, ist die Türkei mit einiger Vorsicht mit ihnen umgegangen. Schließlich sah der Irak von Washington aus betrachtet schon zu dieser Zeit recht anders aus als der von Ankara aus betrachtete. Die Amerikaner haben sich vor der Besetzung den Irak immer von der irakischen Opposition erklären lassen. Sie erfuhren die Tatsachen 54

3 Zeynep Gürcanl über den Irak von Ahmed Celebi, der dem von Saddam Hussein kontrollierten Irak entkommen war und im Exil lebte. Oder sie erfuhren sie von Dschalal Talabani und Mesut Barzani, die dem Saddam Regime offen den Krieg erklärt hatten. Während die irakischen Oppositionellen zu jener Zeit von Massenvernichtungswaffen erzählten, die durch Saddams Unterstützung immer mehr zunahmen, bemühten sich türkische Diplomaten und Akademiker ihre amerikanischen Kollegen vor einer explosionsbereiten Bombe im Irak zu warnen, die sich aus ethnischen und religiösen Unterschieden, befreundeten und verfeindeten Aschiret ausmachte. Viele der türkischen Politiker, Akademiker, Militärs oder Diplomaten, mit denen ich zu jener Zeit häufig sprach, verwendeten einen ähnlichen Vergleich: Im Falle einer Besetzung wird der Irak für die USA zu einem zweiten Vietnam. Nachdem kaum sechs Monate seit der Besetzung vergangen waren, begannen sich die Aussagen, die als Vorboten der Katastrophe interpretiert wurden, nach und nach zu bewahrheiten. In den vier Jahren, die seit der US-Besetzung des Iraks vergangen sind, konnten weder eine einzige Massenvernichtungswaffe gefunden noch dem irakischen Volk Demokratie oder Menschenrechte gebracht werden. Die einzigen Erfolge der USA im Irak sind die Erarbeitung einer auf den Islam referierenden Verfassung und den Weg zu einem Bürgerkrieg zu öffnen, der jeden Tag hunderten von Menschen das Leben kostet. Die Ereignisse im Irak und ihr zunehmend negativer Verlauf hat auch mit der Zeit die Wahrnehmung des Iraks in Ankara geändert. In den 55

4 Auswege aus der Krise im Irak unterschiedliche Ansichten und ersten Tagen der militärischen Intervention im Irak hatte die Türkei nur eine rote Linie : Der Irak darf nicht geteilt werden. Jedoch lösten die Mahnungen aus Ankara, der Irak dürfe nicht geteilt und seine territoriale Integrität und Einheit müssten erhalten werden, in Washington nur ein herablassendes Lächeln aus. Man brachte das Insistieren auf die territoriale Integrität des Iraks immer mit der Befürchtung der Gründung eines kurdischen Staates in Verbindung. Auch unsere amerikanischen oder europäischen Kollegen machen in ihren Nachrichten zu diesem Thema immer einen Verweis auf das Kurdenproblem in der Türkei. Sie führten das Insistieren Ankaras auf die territoriale Integrität des Iraks auf die Furcht zurück, dass die Kurden in der Türkei ähnliche Forderungen erheben könnten. Sie hatten recht wenigstens bis zu einem bestimmten Punkt: Die Befürchtungen der Türkei gelten nicht nur einem im Norden des Iraks zu gründenden kurdischen Staates. Vielleicht war die Furcht vor einem im Süden zu gründenden schiitischen Staat sogar noch größer. Über Jahrhunderte wurden die Gleichgewichte im Nahen Osten immer auf der Grundlage der türkisch-persischen Rivalität gegründet. Auch wenn in der Geschichte mal die eine, mal die andere Seite dominierend wirkte, gab es immer ein Gleichgewicht. Und es war eigentlich dieses Gleichgewicht, das dafür sorgte, dass sich der Nahe Osten jener Zeit nicht in einen See von Blut verwandelte. Auch wenn die Amerikaner der Auffassung waren, dass die Schiiten im Irak und die des Irans ihre doktrinären Konflikte nicht lösen könnten, wurden die türkischen Diplomaten im innersten von der Befürchtung beeinflusst, dass letztlich die Identifikation mit der Schia 56

5 Zeynep Gürcanl die Oberhand gewinnen würde. Das Befürchtete trat tatsächlich ein. Unmittelbar nach Ende der Herrschaft Saddam Husseins begann Teheran ohne zu zögern, die Schiiten im Irak unter seine Patronage zu stellen. Die von der Teheraner Führung verfolgte Politik, dass bei allen Unterschieden die Solidarität der Schiiten Vorrang habe, zeigte Wirkung. Die irakischen Schiiten und die Iraner ließen die als unlösbar geltenden Konflikte zum größten Teil hinter sich. Zurzeit steigt der iranische Einfluss trotz der Präsenz der Koalitionsarmeen insbesondere in den südlichen Gebieten des Iraks mit jedem Tag weiter. Von Ankara aus betrachtet wurde die Krise um die inhaftierten britischen Soldaten als Teil einer iranischen Politik bewertet, im Süden des Iraks nichts ohne ihre Zustimmung geschehen zu lassen. In Ankara, wo man erkannte, dass sich das türkisch-persische Kräftegleichgewicht zu ungunsten der Türkei änderte, begann man plötzlich den Sprachgebrauch zu ändern. Statt der Besorgnis über die Gründung eines kurdischen Staates im Norden stand die vor der Schaffung eines schiitischen im Süden im Vordergrund. Ankara begann zu dieser Zeit eine äußerst aktive Nahost-Politik. Zuerst besuchte Außenminister Abdullah Gül, danach auch Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan persönlich die arabischen Golfstaaten. Bei allen Besuchen vermittelten sie die gleiche Botschaft: An die starken schiitischen Minderheiten der Golfstaaten erinnernd trugen sie die These vor, dass diese wie der Irak enden könnten. Statt als vereinzelte Stimme in Washington zu erscheinen, machten sie 57

6 Auswege aus der Krise im Irak unterschiedliche Ansichten und die Sorge um die Einheit des Iraks zu einer, die von allen Staaten des Nahen Ostens geteilt wurde. Es ist auch interessant, dass die Amerikaner, die ihre Ohren immer vor der These der Gründung eines kurdischen Staates und der Unteilbarkeit des Iraks verschlossen hatten, sie ernst zu nehmen begannen, als sie lautete Verhindern wir die Gründung eines schiitischen Staates. Der an Macht gewinnende und seinen Einfluss von Tadschikistan bis zum Mittelmeer ausdehnende Iran wurde einerseits zur größten Gefahr für die territoriale Einheit des Iraks, andererseits aber auch zum stärksten Klebstoff, der die USA, die europäischen und die Nachbarländer des Iraks zusammenbrachte. In der Türkei gibt es ein Sprichwort: Die Hand, die du nicht beugen kannst, wirst du küssen. Als die mit der Besetzung des Iraks begonnene und gewissermaßen auch auf die Kontrolle des Irans gerichtete Politik scheiterte, fand die Führung in Washington die Lösung im Dialog mit der Führung in Teheran. Man muss die erweiterte Irak-Konferenz, an die sich die Washingtoner Führung die vergangenen zwei Monate mit großem Eifer klammerte, die die Nachbarn des Iraks und die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats zusammenbringt, unter diesem Gesichtspunkt bewerten. Auch wenn die amerikanische Administration nicht unbedingt, die Hand, die sich nicht beugen kann, küsste, so ist sie doch bis zu dem Punkt gegangen, iranischen Autoritäten die Hand zu geben. 58

7 Zeynep Gürcanl Betrachtet man es wiederum aus Ankara, so wirkt es wie eine von der Türkei unterstützte Politik. Türkische Verantwortliche, die wissen, dass ein ausgegrenzter Iran weniger für die USA als vor allem für die Türkei eine Gefahr darstellte, unterstützen alle Initiativen, den Iran innerhalb des Systems zu halten. Doch aus der Befürchtung heraus, dass trotz aller Versuche, den Iran ins System zu integrieren, dies nicht gelänge, wird auch der Plan B die Solidarität der Sunniten weiter verfolgt. Was Saudi Arabien, Jordanien und Ägypten zu der unter der Initiative der Türkei und Pakistans begonnenen Konferenzserie zur Suche nach einer gemeinsamen Lösung für den Nahen Osten treibt, ist genau dieser Plan-B. Was niemand verwundern dürfte ist die Unterstützung dieses Prozesses durch die Führung in Washington. Kurz gefasst besteht die Politik Ankaras für eine Lösung für den Irak darin, den Iran ins System zu integrieren und dadurch die territoriale Einheit des Iraks zu garantieren sowie in Bagdad eine alle Gruppen des Iraks repräsentierende Regierung zu bilden. Doch sollte dies nicht gelingen, setzt die Türkei ihre von Washington unterstützten Versuche zur Schaffung einer Infrastruktur für einen sunnitischen Block gegen den Iran fort. Dies alles zeigt sich, wenn man aus Ankara auf die Ereignisse im Irak und die Zukunft des Landes schaut. Doch wie sieht es aus, wenn man von Bagdad, Teheran oder Washington auf die Türkei schaut? 59

8 Auswege aus der Krise im Irak unterschiedliche Ansichten und Das erste, was bei einem Blick von Außen ins Auge fällt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit der sich unter dem Eindruck der Entwicklungen in der Gesellschaft ausbreitende Antiamerikanismus. Mit jeder weiteren Wiedergabe der Gewalt im Irak in unseren Zeitungen, die sich mit vom Irak ausgehendem Terrorismus in der Türkei verbindet, werden die USA unmittelbar zur Zielscheibe der türkischen Gesellschaft. Die türkischen Streitkräfte, die während der Herrschaft Saddam Husseins beinahe jeden Monat eine grenzüberschreitende Operation zur Beseitigung der terroristischen Gefahr unternahmen, müssen auf diesen Luxus seit der Besetzung des Iraks durch die Koalitionstruppen verzichten. Die inneren Verwicklungen im Irak und die angespannten Beziehungen zwischen Ankara und der Führung im Nord-Irak haben dazu geführt, dass die PKK auf irakischem Territorium an Macht gewann und Teil des politischen Systems wurde. Man kann inzwischen nicht mehr von Ausbildungscamps der PKK im Nord-Irak sprechen. Sie sind mit den dort angesiedelten Zivilisten, Frauen und Kindern zu PKK-Dörfern geworden. Dass die Terrororganisation zu einem Teil des nordirakischen Systems geworden ist, hat die Lage in einem Maße verkompliziert, dass offen bleibt, ob die türkische Armee, selbst wenn dafür grünes Licht aus Washington oder Bagdad käme, sie eine solche Operation wirklich durchführte. Denn wenn die Soldaten die Grenze überschreiten, stehen ihnen nicht bewaffnete Terroristen, sondern Frauen und Kinder gegenüber. Statt eines Angriffs auf die Guerilla würde es sich 60

9 Zeynep Gürcanl um einen militärischen Angriff auf kurdische Siedlungsgebiete handeln. Die Auswirkungen davon könnten für Ankara weit schwerer als erwartet sein. Doch wie ich bereits am Anfang meines Beitrags sagte: unsere Köpfe sind zurzeit mit Diskussionen über Laizismus-Islamismus und Demokratie-Scharia äußerst beschäftigt. Die Lage ist so verwickelt, dass in den Kulissen bereits davon gesprochen wird, dass das innenpolitische Durcheinander der Türkei begonnen habe, sich auch im Irak wiederzuspiegeln. In den Kulissen genießt im Augenblick das Szenario das größte Interesse, dass die laizistische Mobilisierung in der Türkei vor den Wahlen vom 22. Juli, um zu verhindern, dass die islamistische AKP ein zweites Mal und dieses Mal gestärkt an die Macht kommt, die Irak- Karte spielen wird: Im Bündnis mit dem streng-laizistischen Staatspräsidenten werden die türkischen Streitkräfte eine grenzüberschreitende Operation beginnen, um dem PKK-Terror ein Ende zu setzen. Die Kriegsbedingungen, die dadurch in der Türkei eintreten, würden zum Vorwand, die Wahlen zu verschieben. Die laizistische Bewegung hätte dadurch etwas zusätzliche Zeit gewonnen, um die gegen die islamistische Partei zu ergreifenden Vorkehrungen zu treffen. Gänsehaut erregend oder nicht? Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. 61