4. Ostersonntag, Gottesdienst in Vierzehnheiligen, (Predigt von Abt Markus Eller)
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- Hilke Lorenz
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1 4. Ostersonntag, Gottesdienst in Vierzehnheiligen, (Predigt von Abt Markus Eller) L: Offb. 7,9.14b-17 Ev: Joh 10,27-30 Liebe Mitbrüder, liebe Wallfahrer, liebe Kinder, liebe Schwestern und Brüder! Es war einmal! So beginnen die Geschichten, die wir Märchen nennen. Märchen sind die Geschichten, die wir als Kinder kennen und vielleicht auch lieben gelernt haben. Aber Märchen sind nicht nur Geschichten für Kinder, sondern auch für uns Erwachsene, weil sie bestimmte Sachverhalte recht einfach und auf einprägsame Weise vermitteln und auf den Punkt bringen können. Sie erzählen von Bettlern und Königen, von fernen Ländern und Schatzinseln, aber sie meinen doch uns und unsere Lebenswelt. Es war einmal! Manche dieser Geschichten werden wir bis heute kennen: Hänsel und Gretel, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Aschenputtel und wie sie alle heißen. Bei der Vorbereitung auf den heutigen Tag ist mir eine solche Geschichte wieder eingefallen, nämlich das Märchen: Von einem, der auszog, um das Fürchten zu lernen. Einer, der auszog, um das Fürchten zu lernen. Das war und das ist schon ein cooler Typ, der uns da begegnet und der so mir nichts dir nichts in keiner Situation auch nur einen Hauch von Angst verspürte, sondern dessen ganzes Verlangen und ganze Sehnsucht es war, das zu erfahren und zu lernen, wovon die anderen immer sprachen: Ach, wie gruselt es mir. So einer wollte man doch auch gerne sein, oder nicht? Es war einmal! Wenn ich heute so in mein Leben schaue und wenn ich mich umschaue, was um mich herum geschieht, was ich von Menschen erfahre und mitbekomme, dann müsste man die Geschichte um-
2 schreiben und anders nennen: Von einem, der auszog, um das Fürchten zu verlernen. Dieser Gedanke kam mir, weil ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die Angst haben, die große Angst haben. Diese Angst hat so viele Namen und noch mehr Gesichter: Es gibt die Lebensangst, die Bindungsangst, die Zukunftsangst, Existenzangst, Todesangst, Trennungs- und Verlustängste, Angst vor Schmerzen und viele andere Ängste, die die Psychologie und die Medizin unter der Rubrik Phobien einordnet, was nichts anderes als Ängste bedeutet. Ich denke, die Tatsache und die Erfahrung von vielen und vielfältigen Ängsten steht irgendwie hinter dem Thema, das über das nun beginnende Wallfahrtsjahr 2013 in Vierzehnheiligen geschrieben wurde: Fürchte dich nicht Glaube nur! Das ist ein schönes Motto zweifellos, es ist aber nicht unbedingt ein leichtes Motto, weil es eben nicht so einfach ist: Glaube nur! Glaube lässt sich genauso wenig befehlen und verordnen, wie man einem Menschen Angst einfach ausreden kann. Aber es hängt damit zusammen, sich nicht zu fürchten, sondern zu glauben; glauben können und die Angst loslassen können. Wie aber macht man das, zu glauben, einfach zu glauben? Glaube nur! Vielleicht könnte uns das eingangs zitierte Märchen eine Art Tipp geben. Es heißt: Von einem, der auszog, Es wird uns wohl nichts anderes übrig blieben, als Menschen zu sein oder zu werden, die ausziehen, die sich aufmachen, um das Fürchten zu verlernen und das Glauben zu lernen. Dazu kann und will ein solcher Ort wie Vierzehnheiligen in diesem Jahr einladen. In der vergangenen Woche hat bei der Dekanatskonferenz in Scheyern einer einen Satz gesagt, der hängen geblieben ist: Wenn es nicht mehr geht, dann musst du gehen. Dann musst du dich auf den Weg machen. Im Gehen, im sich Aufmachen allein kommt schon zum Ausdruck, dass ich das möchte, dass es anders wird, dass es besser wird. 2
3 3 Im Gehen mache ich verschiedene Erfahrungen, gewinne ich andere Eindrücke, z. B. jetzt in diesen Tagen, wenn die Natur mit allen Kräften aufbricht, ja buchstäblich explodiert. Wenn ich gehe, dann kann ich irgendwo hingehen. Ich kann mir aber auch ein Ziel aussuchen. Dieser Ort Vierzehnheiligen ist das Ziel von vielen und ganz verschiedenen Menschen. Ich glaube, hier kann so ziemlich jeder das bekommen, was er will und was er braucht. Diese Kirche ist ein einigartiges Kunstwerk von Balthasar Neumann, das seinesgleichen sucht. Menschen genießen die tolle Aussicht, Gasthäuser laden zur Einkehr ein und eine Brauerei gibt es auch auf diesem Berg. Das ist auch wichtig! Hier an diesem Ort kann man aber auch etwas lernen: Fürchte dich nicht - Glaube nur! Mitten in der Kirche gibt es am Gnadenaltar den Stern, der auf einen anderen Ort verweist, nämlich Bethlehem. Dort wurde die Geburt des Erlösers mit den Worten angekündigt: Fürchtet euch nicht. Ich verkünde euch eine große Freude. Um diese Stelle muss ich aber wissen. Ich muss sie vielleicht suchen, ich muss sie aufsuchen. Fürchte dich nicht Glaube nur! Auch in den biblischen Texten, die wir heute gehört haben, wird dieser Zusammenhang aufgegriffen. In der Lesung wurde von Menschen erzählt, die aus der großen Bedrängnis kommen. Die Offenbarung des Johannes greift damit die Verfolgung der noch ganz jungen Christenheit im römischen Reich auf. Heute würden wohl andere Bedrängnisse genannt werden, denn jede Zeit hat ihre eigenen, auch unsere Zeit hat Bedrängnisse. Der Abschnitt schließt mit den Worten: Das Lamm wird sie weiden und zu den Quellen des Lebens führen. Es dreht sich wieder um das Aufmachen und Aufbrechen, aber mit einer Hilfe, die mit mir geht, die mich führt. Es wird auch von Veränderung gesprochen: Quellen des Lebens. Das ist eine Anfrage an uns: Aus welchen Quellen schöpfen wir unsere Lebensenergie. Gibt es neben Geldquellen auch noch andere?
4 4 Der kurze Abschnitt aus dem Johannesevangelium erzählt von Jesus dem guten Hirten und er spricht von Vertrautheit. Es ist eine ganz bestimmte Vertrautheit, nämlich die der Stimme: Meine Schafe hören auf meine Stimme. Das funktioniert nicht nur bei Schafen, sondern auch bei uns Menschen. Ein Kind kennt die Stimme von Mutter und Vater, schon vor der Geburt. Wir erkennen darüber hinaus Menschen an ihrer Stimme. Manche Stimmen flößen uns Angst ein, andere lassen uns ruhig werden und Ängste vielleicht für einen Moment vergessen oder gar loslassen. Fürchte dich nicht Glaube nur! Dieses Motto und dieser Ort Vierzehnheiligen gehören auch in meine Lebensgeschichte. Als ich im Jahr 2008 zum Abt meines Klosters gewählt wurde, da habe ich hier in Vierzehnheiligen bei P. Benedikt Grimm, den viele von Ihnen wahrscheinlich noch kennen, Tage der Exerzitien gemacht. Wenn man am Anfang einer neuen Aufgabe steht, dann hat man nicht nur Ideen, Pläne und Träume im Kopf, sondern auch Bedenken, Befürchtungen und Ängste. Ich weiß noch sehr gut, dass das Thema eines langen Gespräches war. Ich weiß auch, dass sie damit nicht einfach ausgeräumt oder gar verschwunden waren, aber ich durfte sie hier aussprechen, ohne Angst haben zu müssen, dass jemand davon erfährt. Wir Menschen leiden eigentlich immer unter zwei Ängsten, nämlich eine konkrete und bestimmte Angst und die Angst, dass sie entdeckt wird. Angst ist immer noch ein Tabuthema. Vor einigen Jahren trat das in eine breite Öffentlichkeit, als sich der Torwart Robert Enke das Leben nahm. Er hatte Angst, er hatte große Angst. Seine Frau hat nach seinem Tod ganz offen darüber gesprochen, was er selber nicht konnte. Seit 2008 bin ich jetzt jedes Jahr im Spätherbst für ein paar Tage nach Vierzehnheiligen gekommen, um manches nachzuarbeiten, aufzuarbeiten oder auch abzuladen.
5 Fürchte dich nicht - Glaube nur! Diese Einladung wird heut an uns alle ausgesprochen. Ich hoffe, dass ich nach der Wallfahrtssaison wieder ein paar Tage kommen darf. Fürchte dich nicht Glaube nur! Dieser Satz stammt aus dem Munde Jesu. Er sagt ihn zu Jairus, dessen Tochter gestorben war. Jesus weiß, wovon er spricht, denn er hat Angst, Todesangst am eigenen Leib erfahren. Bist heute gibt es an manchen Orten den sog. Brauch des Angstläutens. Bei uns in Scheyern erhebt jeden Donnerstag Abend nach dem Angelusläuten die Marienglocke, die zweitgrößte Glocke unserer Basilika, ihre Stimme und trägt damit die Erinnerung an das Geschehen am Ölberg weit ins Ilmtal hinaus. Sie erinnert aber auch daran, dass mitten unter uns viele Menschen mit Ängsten leben. Für sie und für mich bete und bitte ich zum Klang dieser Glocke: So reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein. Von einem der auszog, um das Fürchten zu lernen. Es war einmal. So beginnen Geschichten und Geschichte. Fürchte dich nicht Glaube nur! Das könnte der Anfang oder der Sprung in eine gute Zukunft und ein Leben ohne Angst sein. Machen wir uns auf und werden wir Menschen, die die Angst loslassen und glauben können. Das wünsche ich ihnen an diesem Ort Vierzehnheiligen und an vielen anderen Orten unserer Heimat und auf der ganzen Welt. 5
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