Gerhard Ruiss. Schreib-, Publikations- und Lesezukunft in Österreich Ausgangslage Entstehungsgeschichte Perspektiven
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- Ursula Förstner
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1 Gerhard Ruiss Schreib-, Publikations- und Lesezukunft in Österreich Ausgangslage Entstehungsgeschichte Perspektiven Steht man als Autor vor der Frage, wer sich für ein angebotenes Manuskript und danach für das veröffentlichte Buch interessiert und wie mit diesem Buch Geld zu verdienen ist, fragt man sich nur etwas, das sich Autoren ob in Österreich oder anderswo schon immer gefragt haben. Trotzdem existieren für das Publizieren in Österreich eigene Vorbedingungen und Regeln. Ausgangslage Die Begleitumstände für Autoren, deren Bücher in Österreich erscheinen, stellen sich kurzgefasst so dar: Von den jährlich bis zu zehntausend Neuerscheinungen finden rund zweitausend den Weg in den Buchhandel, der größere Rest besteht aus nicht für ein allgemeines Publikum in Verkehr gebrachten Sach- und Fachpublikationen. Die meisten Bücher erscheinen in Kleinauflagen von ein paar hundert Exemplaren. Um ihre Veröffentlichung zu ermöglichen, gibt es zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten. Bis auf die Bücher der Verlage in den Sprachen der gesetzlich anerkannten Volksgruppen bestehen die Programme der österreichischen Verlage aus deutschsprachigen Titeln. Die üblichen Verkaufserwartungen übertreffen ausgenommen Einzelfälle Bücher aus österreichischen Verlagen dann, wenn sie von Autoren aus Deutschland oder der Schweiz stammen und mehrheitlich in Deutschland oder der Schweiz verkauft werden. Die in Österreich verkauften Bücher kommen zu 80 Prozent aus deutschen Verlagen, inklusive der von deutschen Verlagen nach Österreich reimportierten österreichischen Autoren. Österreichischer Buchpreis keiner Wäre in der Folge des 2005 gegründeten Deutschen Buchpreises und des 2008 gegründeten Schweizer Buchpreises auch ein österreichischer Buchpreis entstanden, hätten die großen deutschen Verlage, die österreichische Autoren publizieren, ein Abonnement darauf. Folglich gibt es keinen österreichischen Buchpreis, sondern wird jährlich ein am Friedenspreis des deutschen Buchhandels orientierter Preis durch den österreichischen Buchhandel an einen
2 österreichischen Autor für sein Lebenswerk vergeben. In Österreich haben Auszeichnungen, die als Verkaufsempfehlung von Büchern der ausgezeichneten Autoren dienen, keine Tradition. Es sollen Autoren geehrt werden, Auswirkungen über die Anerkennung des Autors und die Einmalzahlung eines Preisgeldes hinaus sind nicht vorgesehen. Entstehungsgeschichte Und dennoch: Es hat noch nie eine vielfältigere und interessantere österreichische Verlagslandschaft als die jetzige gegeben, die eine aus Kirchenverlagen, Gewerkschaftsverlagen, kommunalen Verlagen und Staatsverlagen bestehende, für den Eigenbedarf ihrer jeweiligen Eigentümer produzierende Verlagslandschaft abgelöst hat. Wer in dieser früheren Verlagslandschaft keinen Platz fand, hatte nur die Möglichkeit, nach Deutschland auszuweichen, bis sich in den 1970er-Jahren das Interesse von deutschen Verlagen an weiteren österreichischen Autoren erschöpfte. In dieser Zeit entstanden die ersten Publikationsorgane der in Literaturgruppen und Autorenverbänden organisierten österreichischen Autoren. Es erschienen von Autoren und Autorengruppen selbst verlegte und herausgegebene Periodika, Jahrbücher oder Buchreihen, die zu Vorläufern eines bis dahin nicht bestehenden eigenständigen österreichischen Verlagswesens wurden. Der Typus des zur Drucksortenherstellung von Formularen bis zu Jubiläumsschriften für den eigenen Bedarf eingerichteten Verlags ist in der heutigen österreichischen Verlagslandschaft nicht mehr zu finden, und der Ruf des neuen österreichischen Verlagswesens ist deutlich besser, als es seine Verkaufszahlen sind. Österreichische Verlage sind für Autoren aus der Schweiz und aus Deutschland genauso interessant geworden wie Schweizer und deutsche Autoren für österreichische Verlage. Die österreichischen Verlage haben sich zu ernstzunehmenden und aussichtsreichen Kandidaten bei der Vergabe von Buchpreisen entwickelt. Sich auf der Longlist oder der Shortlist des Deutschen oder Schweizer Buchpreises wiederzufinden und einen dieser Preise zu erhalten, wie das auf Bücher aus Österreich inzwischen genauso zutrifft, erhöht die Verkaufszahlen überall, in österreichischen wie in deutschen oder Schweizer Verlagen. Wer unabhängig von den wichtigsten
3 Branchenauszeichnungen zu höheren Verkaufzahlen kommen will, hat dazu von vornherein nur bei den großen deutschen Verlagen Chancen. Gemeinsame Interessen Die größere als übliche Nähe zwischen Autoren und Verlagen durch das in seinen Anfängen wesentlich von Autoren mitbestimmte neue österreichische Verlagswesen hat auch in der Interessenpolitik zu zahlreichen positiven Effekten geführt. Anfang der 1990er-Jahre wurde ein zwischen Autoren und Verlegern abgestimmtes Verlagsförderungskonzept entwickelt und verwirklicht, Mitte der 1990er Jahre der Länderschwerpunkt Österreich bei der Frankfurter Buchmesse gemeinsam gestaltet. In weiterer Folge wurde Ende der 1990er Jahre der feste Ladenpreis bei Büchern durch einen Zusammenschluss mit den Autoren und den Verlagen aus Deutschland und der Schweiz gegenüber der EU-Wettbewerbsdirektion als erste wettbewerbsbeschränkende Maßnahme zugunsten der Kultur innerhalb der EU durchgesetzt und schließlich und endlich 2011 mit Einbeziehung der österreichischen, deutschen und Schweizer Wortverwertungsgesellschaften der Versuch von Google abgewehrt, Bücher ohne den Erwerb der Rechte bei den Autoren und Verlagen zu digitalisieren. Übergänge Diese größere als übliche Nähe zwischen Autoren und Verlagen hat ebenso für fließende Übergänge zwischen Eigenverlegertätigkeiten und Verlagstätigkeiten für andere gesorgt. Sich selbst im eigenen Verlagsprogramm mitzuberücksichtigen war häufig schon deshalb notwendig, weil andere dafür in Frage kommende Verlage nicht vorhanden waren. Es entfällt daher für österreichische Autoren der Überraschungseffekt, wenn, wie im heurigen Jahr bei der Frankfurter Buchmesse das Selfpublishing als für Autoren attraktive Publikationsform und in den vorangegangenen Jahren der Wandel vom gedruckten zum digitalen Buch zu aktuellen Themen werden. Das Veröffentlichen von E-Books ist ohne großes Aufsehen in Österreich zu einer verlegerischen Zusatztätigkeit geworden und mit Selfpublishing-Plattformen sind die mit der Selbstorganisation von Öffentlichkeit seit Jahrzehnten beschäftigten österreichischen Autoren ohnehin gut vertraut. Der Knackpunkt ist da wie dort der Verkauf. Das gilt für die ganz Großen genauso wie für Neuanbieter. Was sie voneinander unterscheidet, ist der Marktwert: In welchem
4 Verlag oder auf welcher Plattform etwas erscheint, in welcher Umgebung der anderen dort publizierenden Autoren und dort publizierten Themen, für welche Zielgruppen, mit welchen weiteren Marktchancen über die bestehende Publikation hinaus. Die größte Schwäche der österreichischen Verlage, ihre geringe wirtschaftliche Durchsetzungsfähigkeit, ist notwendigerweise ihre größte Stärke, sie sind die ersten Adressen für neue Autoren und Literatur, für den Beginn von Autorenkarrieren und für die Stoffentwicklung. Für die Autoren mit dem Vorteil, dass die österreichischen Verlage ebenso als Sprungbrett wie als Auffangnetz fungieren, für die österreichischen Verlage mit dem Nachteil, dass sie bei zunehmendem oder wieder steigendem Erfolg ihre Autoren meist an größere Verlage verlieren. Arbeitsteilung Nur scheinbar gleichberechtigt stehen bei digitalen Veröffentlichungen die einen Publikationen neben den anderen. Es gilt für digitale Veröffentlichungen genauso: Wer schafft den Sprung in die Aufmerksamkeit und wer verkauft wie viel wovon und wer nicht? Es gilt genauso: Wer kümmert sich um die graphische Gestaltung des Textes, wer macht das Lektorat, wer liest Korrektur, wer sorgt für die Placierung und Positionierung? Wer macht also aus dem Manuskript das herzeigbare, vervielfältigungs- und verbreitungsfähige Ergebnis? Einmal abgesehen von solchen Fragestellungen wie, wer dieses Ergebnis einpackt und verschickt, wenn es nicht um die digitale Weiterleitung, sondern um die Weitergabe in körperlicher Form geht, und wer das Inkasso macht und die Buchhaltung. Digitale Literaturplattformen Wie attraktiv sich die neuen medialen Möglichkeiten auch ausnehmen mögen, sie sind bis jetzt dennoch nicht mehr als der Ausdruck einer erzwungenen neuen Bescheidenheit. Die IG Autorinnen Autoren hat Ende 2010/Anfang 2011 mitgeholfen, eine LiteraturPlattform einzurichten, die neben der beabsichtigten stärkeren Internet-Präsenz der Zeitschrift und der in ihr für ihre Neuerscheinungen werbenden Verlage, vor allem deshalb entstanden ist, um den Autoren einen kostenfreien Platz für literarische Selbstpräsentationen zu garantieren, die zwar kein Geld bringen, aber vielleicht den einen oder anderen Verlag auf die hier präsentierten Autoren und
5 Arbeiten aufmerksam machen. Von Möglichkeiten, mit selbstverlegten literarischen Arbeiten zu Geld zu kommen, sind die meisten Autoren bis auf einige wenige Vorzeigebeispiele von Amazon auf seiner Selbstverleger-Plattform Kindle Direct Publishing bzw. in der Kindle Edition, die vermutlich auch nur Erfolge von Kooperationen von Selbstverlegern mit Amazon bzw. mit deren erst später in Erscheinung tretenden Verlagen sind aber auch bei kommerziellen digitalen Angebotsformen noch weit entfernt. Es ist sicher nicht das einzige Kriterium, ob man Geld bekommt und wieviel, wenn etwas über ein erstes auf sich aufmerksam Machen hinausgeht, es ist aber entscheidend, ob man es von vornherein ausschließen muss oder erwarten kann. Gratismentalität Dass professionelles Schreiben und Veröffentlichen in digitaler Form nicht allein über Werbungen finanzierbar ist, wissen inzwischen auch die Vorreiter der Digitalisierungsoffensive bei Printmedienprodukten, die Zeitungsverlage. Sie haben sich mit ihren kostenlosen digitalen Ausgaben selbst Konkurrenz gemacht und sind nunmehr auf der Suche nach Bezahlmöglichkeiten. Der klassische Ausweg in Österreich aus solchen und ähnlichen Problemkonstellationen heißt Förderung. Da die Fördermittel aber schon jetzt nicht ausreichen, wird man in Österreich genauso wie anderswo nicht darum herum kommen, sich der geänderten Situation der zahlreichen neuen Produktions-, Publikations- und Verbreitungsmöglichkeiten zu stellen. Die Frage, wer oder was sich durchsetzt, wird letztlich auch dadurch entschieden werden, ob für digitale Verbreitungs- und Vertriebswege bessere steuerliche und sozialrechtliche Voraussetzungen bestehen als für konventionelle. Will und muss man Geld verdienen, kann man sich auf die derzeit für Autoren im Netz bestehenden Möglichkeiten nicht verlassen. Dabei ist noch nicht einmal die Rede von den unbezahlten Nachverwertungen im Netz und den Infragestellungen des Urheberrechts, sondern von den erwarteten unbezahlten Leistungen wie denen von Bloggern für das Nachrichtenportal Huffington Post, die laut Sebastian Matthes, dem Chefredakteur der deutschen Ausgabe ihre Meinungen, Ideen und Beobachtungen einem größeren Publikum vorstellen möchten, so wie es Abertausende übrigens ebenfalls ohne journalistischen Auftrag und ohne Honorar bei Facebook, Twitter, Jimdo, Blogger.com oder Tumblr tun.
6 Perspektiven Sicher ist, es wird in zehn bis zwanzig Jahren Bezahlmodelle geben, nicht sicher ist, ob auch die Autoren davon profitieren werden. Genauso offen bleibt, wie sich das Leseverhalten entwickelt und welche Rolle das Lesen literarischer Texte spielen wird. Der momentane Zustand in Österreich stimmt nicht allzu optimistisch. Bei Schreib- und Lesetests fallen die österreichischen Ergebnisse zumeist schlechter aus als die in anderen europäischen Staaten. Die Reichweiten großer, längst mit Medien in jeder Form und E-Books ausgestatteter öffentlicher Büchereien liegen erheblich unter den Reichweiten anderer großer öffentlicher Büchereien in europäischen Städten. Und durch die in Österreich vorgesehene teilzentrale standardisierte kompetenzorientierte (österreichweite Vereinheitlichung der) Reifeprüfung wird die Befassung mit Literatur soeben auf ihre auszugsweise Verwendung als Impulsgeber und Illustrationsmaterial reduziert. Selbstverständlich kann man, auch wenn man nur wenig liest, immer noch lesen können, aber was? Ändert sich nichts an diesen Entwicklungen, wird sich die Literatur, die sich schon heute nur noch an den Rändern der Massenmedien aufhält, auch an diesen Rändern nicht mehr halten können. Klar ist, die Literatur wird trotzdem nicht zu bestehen aufhören und die Autoren werden die sich ihnen bietenden Möglichkeiten dennoch wahrnehmen, schon viel weniger klar ist, wovon sie leben werden, wenn es so etwas wie funktionierende Angebotsstrukturen nicht gibt und sich die Nachfrage auf Äußerungen im Prominentenstatus oder auf den Unterhaltungswert von Literatur beschränkt. Aber auch diese Frage kann sich den österreichischen Autoren nicht neu stellen, sondern nur wieder. Bleibt ein Vakuum, bestehen gegenüber den Entwicklungen anderswo Defizite, wird es, wie schon in den 1970er und 1980er Jahren in Österreich zu Zusammenschlüssen kommen und werden, wie schon in den vergangenen Jahrzehnten, literarische Gruppierungen neue Publikationsplattformen und Verbreitungsstrukturen entwickeln und sie zumindest so lange betreiben und betreuen, bis sie entweder aufhören Autoren zu sein und zu Produzenten und Betreuern von Vertriebseinrichtungen für andere Autoren werden oder sie andere in diesen Funktionen ablösen.
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