NEBEN UNS DIE SINTFLUT: LEBEN IM WOHLSTANDSKAPITALISMUS
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- Matilde Maier
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1 NEBEN UNS DIE SINTFLUT: LEBEN IM WOHLSTANDSKAPITALISMUS Stephan Lessenich 18. Februar 2017 Sozialpolitischer Thementag Ι Haus am Dom Ι Frankfurt a.m.
2 Das Buch
3 Die These Wir leben nicht über unsere Verhältnisse sondern über die Verhältnisse anderer Warum in die Ferne schweifen ( Nach uns die Sintflut ) - das Schlechte liegt so nah ( neben uns ) und uns doch so fern Die in den reichen industriekapitalistischen Ländern des globalen Nordens herrschenden Produktions- und Konsum-, Arbeits- und Lebensweisen gehen systematisch zu Lasten und auf Kosten der Lebenschancen großer gesellschaftlicher Mehrheiten in den Niedrigeinkommens- und Schwellenländern des globalen Südens Externalisierung als Modus der (ökonomischen, ökologischen, politischen, kulturellen, psychosozialen) Stabilisierung und Reproduktion wohlstandsgesellschaftlicher Verhältnisse Externalisierung erster und zweiter Ordnung : materielle Reproduktion: Kostenauslagerung und Gewinnaneignung ideelle Reproduktion: Bewusstseinsabspaltung und Selbstentlastung
4 Externalisierung - das Konzept Ökonomik: (positive und) negative externe Effekte oder Externalitäten, z.b. Kosten umweltschädlicher Produktion Feministische Sozialtheorie: Externalisierung von Reproduktionsarbeit und ihrer Kosten als Voraussetzung einzel- wie gesamtkapitalistischer Rationalität und Rentabilität Funktionsmechanismus: funktionale Abspaltung unentgeltliche Nutzung materielle und symbolische Abwertung Feministische Sozialtheorie ( Bielefelder Schule ): Strukturanalogie von Kolonialisierung und Hausfrauisierung Weltgesellschaftliche Ausdeutung in der internationalen Soziologie schon seit den 1960er Jahren ( Dependencia-Theorie, Weltsystemanalysen) Externalisierung als Strukturanalytik und Zeitdiagnostik: kapitalistische Ökonomien sind Externalisierungsmaschinerien mit langfristigen, zunehmend spür- und sichtbaren Bumerang- Effekten
5 Zwei Pfade der empirischen Rekonstruktion Ungleicher ökologischer Tausch Ausgangspunkt: ecological footprint/environmental degradation paradox Hintergrund: Auslagerung umweltschädlicher Industrieproduktion, naturzerstörender Rohstoffförderung und landvernutzender Agrarwirtschaft mit Auswirkungen nicht nur auf relative Ökobilanzen, sondern auch auf Arbeitsverhältnisse und Sozialbeziehungen, Rechtsverbürgungen und Lebenserwartungen im globalen Süden Gespaltenes globales Mobilitätsregime Ausgangspunkt: Visa Restrictions Index Hintergrund: Halbdurchlässige Grenzen ermöglichen uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und systematische Zugangskontrolle zugleich mit Auswirkungen touristischer Übernutzung, einseitiger und abhängiger ökonomischer Entwicklung und einer beständigen Reproduktion symbolischer Machtgefälle
6 Das analytische Instrumentarium einer Soziologie der Externalisierung Externalisierung als Strukturarrangement, das sich über konkrete soziale Mechanismen und alltägliche Praktiken stabilisiert und reproduziert Strukturdimension: Machtasymmetrien im Weltsystem Prozessdimension: Ausbeutung (ungleicher Tausch) und soziale Schließung Praxisdimension: Habitus Externalisierungshabitus: Spezifische Positionierung in der weltgesellschaftlichen Sozialstruktur ermöglicht die Auslagerung der sozialen Kosten der eigenen Lebensführung und erlaubt die Ausblendung eben dieser Praxis Nicht-reduktionistische Kritik der externalisierungsgesellschaftlichen Verhältnisse jenseits des Verweises auf die üblichen Verdächtigen ( das System, die Eliten, das eine Prozent ) Komplexität einer Klassenanalyse der Externalisierungsgesellschaft: Überlagerung und Verschachtelung national- und weltgesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen, Ausbeutungsbeziehungen und Schließungsstrategien Der Proletarier im Wohlstandskapitalismus hat mehr zu verlieren als nur seine Ketten
7 Differenzierungsachsen, Kritiklinien und Legitimationsstrategien Verkomplizierung des Bildes u.a. durch sich überlagernde und durchkreuzende Ungleichheitsstrukturen: z.b. abgehängte Milieus im globalen Norden oder aufstrebende Mittelschichten im globalen Süden die als solche allerdings in Gesellschaften mit (nach wie vor) extrem ungleichen stofflich-materiellen Reproduktionsniveaus leben die tendenzielle Abnahme globaler Ungleichheit (gemessen an absoluter Armut, BIP pro Kopf, Lebenserwartung) in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings auf einem - absehbar auch zukünftig alle nationalgesellschaftlichen Maße weit übersteigenden Ungleichheitsniveau die positiven externen Effekte des externalisierungsgesellschaftlichen Entwicklungsmodells (Generierung von Arbeit und Einkommen in den Low Income Countries) allerdings bei ungleich erfolgsträchtiger Spezialisierung und für gewöhnlich unter Absehung von allfälligen ökologischen und sozialen Kosten Der Verweis auf Gegenevidenz ist immer auch Affirmationspraxis und Legitimationsreflex
8 Grenzen der Externalisierung? Was ist nun das Neue? Womöglich die Tatsache, dass die Externalisierungsgesellschaft ihre Grenzen erreicht hat bzw. ihre Grenzen aufgezeigt bekommt Spätestens seit 1989/90 gibt es kein Außen mehr, in das hinein die Kosten des industriekapitalistischen Reproduktionsmodells - für das Innere scheinbar folgenlos externalisiert werden könnten (wenn es dieses Außen im kapitalistischen Weltsystem je gegeben haben sollte) These: Die Externalisierungsgesellschaft kommt nach Hause, sie schlägt zurück auf sich selbst Spür- und sichtbarste Beispiele: Klimawandel, Arbeits- und Fluchtmigration Die politischen Abwehrreflexe angesichts dieser Entwicklung Leugnung und Aufschiebung, Ausblendung und Abschiebung sind offenkundig doch ebenso offenkundig ist: Das externalisierungsgesellschaftliche Weiter so wird zunehmend voraussetzungsvoller, aufwändiger - und gewalttätiger
9 Und wo bleibt das Positive? Zwei mögliche Spontanantworten: Für das (normativ) Positive ist die Soziologie nicht zuständig Was, wenn es nichts Positives gäbe? (Wolfgang Streeck) Eine alternative vielleicht ebenso unbefriedigende Antwort: Soziologie als Gesellschaftskritik zeigt, was ist und dass es nicht so sein müsste Was ist: Eine Politik der Nicht-Nachhaltigkeit (Ingolfur Blühdorn) als stillschweigender Gesellschaftsvertrag zwischen Herrschenden und Beherrschten, Eliten und Massen und eine nicht mehr nur stillschweigende Unzufriedenheit (nicht nur der Abgehängten ) damit, dass die Herrschenden ihren Teil des Vertrags immer weniger einlösen können: nämlich für permanentes Wachstum und immerwährende Prosperität zu sorgen und dabei das Elend der Welt (Bourdieu) und die Verdammten dieser Erde (Fanon) von uns fernzuhalten Dieses peinliche Geheimnis auszusprechen ist der gesellschaftspolitische Einsatz einer öffentlichen Soziologie den individuellen Willen zum kollektiven Handeln kann sie nicht ersetzen
10 Stephan Lessenich Neben uns die Sintflut: Leben im Wohlstandskapitalismus Das war s! Vielen Dank.
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