Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz

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1 Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1972 Die Lorelei Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter erhältlich. Beilagen der Jahresberichte Anno Domini unter

2 Die Lorelei Bündner Kalender S Hans Plattner Die Lorelei Wie die grosse Blutader unseren Körper durchströmt und ihm immer wieder neue Kräfte zuführt, durchströmt der Rhein als wirtschaftliche Aorta das Herz Europas. Seit uralten Zeiten diente er dem Menschen als Verkehrsweg auf dem Wasser. Kleine Siedlungen, Fischerdörfer siedelten sich am Rhein und seinen Nebenflüssen an. Aus ihnen wurden im Laufe der Jahrhunderte grosse Städte, wie Rotterdam, Köln, Mainz,

3 - 3 - Strassburg und Basel. Als am Rhein Erz und Kohle entdeckt wurden, wuchsen die Eisen- und Kohlegiganten des Ruhrgebietes heran. In den Bauch der Erde grub sich der Mensch hinein, förderte Erz und Kohle, baute die riesigen Hüttenwerke, aus deren himmelanstrebenden Schloten Tag und Nacht dichter Rauch entquillt. Was gefördert und verarbeitet wird, wandert in ununterbrochenem Lauf Rhein aufwärts und Rhein abwärts. Am Badus entspringt der Rhein, ein kristallklares Wässerlein. Als braune, stinkende Brühe ergiesst er sich träge in vielen Armen bei Rotterdam in das Meer. Aus den einstigen bescheidenen Fischerdörfern sind riesige Stahl- und Betonstädte geworden, aus dem sauberen Wasser eine eklige Kloake. Tot ist alles im einst fischreichsten Strom Europas. Dafür hat der Rhein dem Menschen unermessliche Reichtümer eingebracht, ist zur wirtschaftlichen Blutader des Kontinentes geworden. Im. Drang zu den Sternen hat der menschliche Geist Unerhörtes geleistet. Dafür erlöscht das Licht über den Industriestädten. Die Luft ist für Millionen und Abermillionen Menschen verpestet, Flüsse, Seen und sogar das Weltenmeer sind auf weiten Strecken verseucht. Unzählige tote Fische in Flüssen und Seen klagen den Menschen an. Plötzlich wird diesem mit Grauen bewusst, dass die kostbarsten Werte unseres Planeten einmal zu Neige gehen könnten. Um zu leben brauchen Mensch, Tier und Pflanze Licht, Trinkwasser und reine Luft.

4 - 4 - Ungefähr in der Mitte zwischen Basel und Rotterdam, dort wo der Rhein von ansteigenden Uferhängen in ein enges Bett gezwängt wird, wo er ein Knie macht, wo das Befahren mit Gefahren für den Schiffer verbunden ist und wo schon manche Barke kenterte, dort erhebt sich zur rechten Seite ein bewaldeter Felskopf, der berühmte Loreleifelsen. In der Schule haben wir begeistert das Lied von der Lorelei gesungen. Millionen ist das Lied bekannt. Jährlich wollen Ungezählte den berühmten Felskopf sehen. Auf den Verdecken der Rheinschiffe drängen sich die Leute dicht, wenn aus den Lautsprechern die Melodie des Loreleiliedes ertönt und der Berg in Sicht kommt. Ich weiss nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin. Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl und es dunkelt, und ruhig fliesst der Rhein. Der Gipfel des Berges funkelt im Abendsonnenschein. Die schönste Jungfrau sitzet dort oben wunderbar. Ihr goldnes Geschmeide blitzet, sie kämmt ihr goldenes Haar. Sie kämmt es mit goldenem Kamme und singt ein Lied dabei. Das hat eine Wundersame gewaltge Melodei. Den Schiffer im kleinen Schiffe, ergreift es mit wildem Weh. Er schaut nicht die Felsenriffe, er schaut hinauf in die Höh. Ich glaube die Wellen verschlingen am Ende Schiffer und Kahn. Und das hat mit ihrem Singen die Lorelei getan.

5 - 5 - Der Dichter dieses unvergänglich schönen Liedes hiess Heinrich Heine. Er wurde 1797 in Düsseldorf geboren und starb 1856 in Paris, wo er auf dem Friedhof von Montmartre beigesetzt wurde. Heute noch pilgern Verehrer Heines zu seinem Grab und legen dort eine Blume nieder. Als Jude litt er schon damals unter der Verachtung und Unterdrückung des jüdischen Volkes. Er kehrte seinem deutschen Vaterland den Rücken und zog in das freiheitlichere Frankreich. Heine gehört zu den grossen deutschen Dichtern. Ist Heines Loreleilied nicht ein Symbol, oder besser gesagt ein grosses Mahnmal für unsere Zeit? Wie der Schiffer im kleinen Kahne zur schönen Jungfrau emporblickt, alle Gefahren vergessend, staunen wir heute zu den technischen Wunderwerken, der lauernden Gefahr zu Füssen nicht achtend. In seiner Verblendung, im Griff nach den Sternen merkt der Mensch nicht, dass er im Begriffe ist, den Planeten, auf dem er steht, zugrunde zu richten. Wir brauchten wahrlich einen zweiten Heine, um das dem modernen Menschen in einem neuen Loreleilied bewusst zu machen. Internet-Bearbeitung: K. J. Version 03/