BGH, Urteil vom 22. Januar 1953, BGHSt 4, 88 Geliebter Feind
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1 BGH, Urteil vom 22. Januar 1953, BGHSt 4, 88 Geliebter Feind Sachverhalt: Zwischen Anton und Detlev besteht schon seit längerem ein gespanntes Verhältnis. Als Anton wieder einmal von Detlev bedroht wird und daraufhin flüchtet, erklärt er seinem Begleiter, wenn er Detlev sehe, würde er ihm das Messer in den Bauch jagen. Als Detlev von dieser Äußerung erfährt, sagt er, wenn er Anton treffe, werde er ihn totschlagen. Am nächsten Tag trinkt Detlev nachmittags drei Flaschen Bier und sucht sodann den Anton zu Hause auf. Von der Straße aus ruft Detlev dem Anton zu: Wenn Du dich schlagen willst, dann zieh die Jacke aus und komm herunter!. Anton verhält sich zunächst ablehnend und erklärt, Detlev sei heute ja betrunken, er solle morgen wiederkommen. Detlev wirft daraufhin dem Anton vor ein feiger Hund zu sein. Daraufhin begibt sich Anton auf die Straße, zieht seine Jacke aus und versetzt dem Detlev, der mit herabhängenden Armen vor einer Wand steht und Anton entgegensieht, einen Fausthieb in die Schläfengegend ohne dabei jedoch dessen Leben gefährden zu wollen. Der Fausthieb trifft Detlev aber so heftig, dass dieser niedersinkt und nach kurzer Zeit an einer durch den Schlag ausgelösten Gehirnblutung verstirbt. Strafbarkeit Antons? Thema: Einwilligung Materialien:
2 Lösungsübersicht: A. Strafbarkeit Antons wegen Totschlags gemäß 212 StGB Anton handelte ohne Tötungsvorsatz ( ) B. Strafbarkeit Antons wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß 223 I, 224 I Nr. 5, 227 StGB I. Tatbestand 1. Grundtatbestand des 223 I StGB (+) 2. Qualifikation des 224 I Nr. 5 StGB (+) 3. Vorsatz bezüglich 223 I, 224 I Nr. 5 StGB (+) 4. Erfolgsqualifikation des 227 StGB : Tod (+) 5. Kausalität und objektive Zurechnung (+) 6. Spezifischer Gefahrenzusammenhang zwischen Handlung und Todesfolge (+) 7. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung und Vorhersehbarkeit der Todesfolge gemäß 18 StGB (+) II. Rechtswidrigkeit hier: Einwilligung in die Körperverletzung 1. Einwilligungsbefugnis / disponibles Rechtsgut (+) (vgl. aber unten 6.) 2. Einwilligungsfähigkeit des Berechtigten: alkoholbedingte Beeinträchtigung des Detlev lag nicht vor (+) 3. Erklärung vor der Tat und nach außen erkennbar (+) 4. Keine Willensmängel des Einwilligenden (+) 5. Handlung von der Einwilligung gedeckt (+) 6. Kein Ausschluss der Einwilligung: Detlevs Einwilligung war gemäß 228 StGB sittenwidrig ( ) III. Schuld: subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und Vorhersehbarkeit der Todesfolge gemäß 18 StGB (+)
3 Lösungsvorschlag: A. Strafbarkeit Antons wegen Totschlags gemäß 212 StGB In Betracht kommt zunächst eine Strafbarkeit Antons gemäß 212 StGB wegen der Tötung Detlevs. Der objektive Tatbestand liegt diesbezüglich unstreitig vor. Jedoch scheitert eine Strafbarkeit wegen Totschlags am fehlenden Tötungsvorsatz Antons. Dieser wollte Detlev zwar einen heftigen Schlag versetzten, jedoch nahm er dessen Tod nicht billigend in Kauf. In diesem Zusammenhang sind auch keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass Anton die von der Rechtsprechung auf Tötungsdelikte angewendete erhöhte subjektive Hemmschwelle (sog. Hemmschwellen-Theorie des BGH) überschritten hat. Dass Anton irgendwann zuvor äußerte, er wolle Detlev ein Messer in den Bauch jagen, reicht für die Annahme eines konkreten, über der Hemmschwelle liegenden Tötungsvorsatz nicht aus. Mangels Tötungsvorsatz hat sich Anton damit nicht wegen Totschlags gemäß 212 StGB strafbar gemacht. B. Strafbarkeit Antons wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß 223 I, 224 I Nr. 5, 227 StGB Anton könnte sich wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß 223 I, 224 I Nr. 5, 227 StGB strafbar gemacht haben, indem er Detlev einen todesursächlichen Fausthieb versetzte. I. Tatbestand 1. Grundtatbestand des 223 I StGB Eine körperliche Misshandlung ist in jeder üblen und unangemessenen Behandlung zu sehen, durch die das Opfer in seinem körperlichen Wohlbefinden nicht bloß unerheblich beeinträchtigt wird. Als Gesundheitsschädigung gilt jedes Herbeiführen, Aufrechterhalten oder Steigern eines zumindest vorübergehenden pathologischen Zustands.
4 Der Fausthieb gegen die Schläfe erfüllt hier unproblematisch sowohl die Voraussetzungen einer körperlichen Misshandlung, als auch die einer Gesundheitsschädigung, so dass der objektive Tatbestand des 223 I StGB vorliegt. 2. Qualifikation des 224 I Nr. 5 StGB Unzweifelhaft liegt auch die Qualifikation des 224 I Nr. 5 StGB vor. Der gegen Detlev geführte Fausthieb hat sich als eine konkret lebensgefährdende Behandlung erwiesen, denn die dadurch bedingte Gehirnblutung führte zu Detlevs Tod. 3. Vorsatz bezüglich 223 I, 224 I Nr. 5 StGB Es bestehen weiterhin auch keine Zweifel daran, dass Anton den Detlev vorsätzlich verletzte. Fraglich kann lediglich sein, ob sich Anton der Lebensgefährlichkeit seines Tuns bewusst war. Dies kann aber bei einem Faustschlag gegen die Schläfe regelmäßig angenommen werden. 4. Erfolgsqualifikation des 227 StGB 227 StGB ist neben 226 StGB eine weitere Erfolgsqualifikation zu 223 StGB, welche für den kausal durch die Körperverletzung bedingten Tod des Opfers einen erhöhten Strafrahmen vorsieht. Vorliegend kam Detlev zu Tode, nachdem Anton ihm den Fausthieb versetzte, so dass eine besonders schwere Folge gemäß 227 StGB festzustellen ist. 5. Kausalität und objektive Zurechnung Weiterhin liegt die Kausalität des Fausthiebes für die Verletzung und den Tod Detlevs vor. Da Anton mit dem Fausthieb auch ein rechtlich zu missbilligendes Risiko für Detlevs Leib und Leben geschaffen hatte und selbiges sich im tatsächlichen Erfolg realisierte, ist ihm die Verwirklichung des töd-
5 lichen Erfolges auch objektiv zuzurechnen. Examinatorium im Strafrecht I: AT 6. Spezifischer Gefahrenzusammenhang zwischen Handlung und Todesfolge In diesem Prüfungspunkt findet die Legitimation des hohen Strafrahmens des 227 StGB, welcher nahe an dem des 212 StGB liegt, Ausdruck. Würde auf diesen spezifischen Gefahrzusammenhang verzichtet, bestünde kein Unterschied zu einer Strafbarkeit aus 223, 222, 52 (Idealkonkurrenz) StGB. 227 StGB zieht seine Berechtigung also aus der besonderen Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Leben des Opfers. Der spezifische Gefahrzusammenhang liegt vor, wenn der lebensgefährdende Körperverletzungserfolg gerade auf der spezifischen Gefährlichkeit der Körperverletzung beruhte. Der erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang zwischen der Körperverletzungshandlung und dem Todeserfolg lag hier vor. Die durch einen Fausthieb gegen die Schläfe herbeigeführte Körperverletzung, hier in Form einer Gehirnblutung, birgt in sich die Gefahr eines tödlichen Verlaufs, welche sich in Detlevs Tod auch tatsächlich realisiert hat. 7. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung und Vorhersehbarkeit der Todesfolge gemäß 18 StGB Eine vorsätzliche Körperverletzung beinhaltet per se eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung, da man ein solches strafbares Handeln grundsätzlich zu unterlassen hat. Ein ungerechtfertigter Fausthieb, der geeignet ist, die Gesundheit eines Menschen erheblich zu beeinträchtigen, ist eine Körperverletzung i.s.v. 223 I StGB und stellt daher unproblematisch eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung dar. Während sich die objektive Sorgfaltspflichtverletzung auf die Handlung beziehen muss, ist die objektive Vorhersehbarkeit auf den Erfolg, hier die Todesfolge gemäß 227 StGB, gerichtet.
6 Hier war die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs objektiv vorhersehbar, denn es gilt als allseits bekannt, dass ein heftiger Schlag gegen den Kopf, noch dazu gegen die besonders empfindlichen Schläfen, durchaus zum Tod führen kann. Hiernach ist auch der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu bejahen. II. Rechtswidrigkeit Antons Handlung könnte durch eine Einwilligung Detlevs gerechtfertigt sein. Solch eine Einwilligung könnte darin zu sehen sein, dass Detlev sich mit einer körperlichen Auseinandersetzung einverstanden erklärte. 1. Einwilligungsbefugnis / disponibles Rechtsgut Der Verzicht des Betreffenden auf den Strafrechtsschutz muss überhaupt zulässig sein. Über das individuelle Rechtsgut der körperlichen Integrität konnte Detlev verfügen. Kategorisch ausgeschlossen von der Verfügbarkeit ist das Rechtsgut des Lebens, obwohl auch dies ein Individualrechtsgut ist. Ausreichend ist aber eine Einwilligung in die riskante Handlung als solche, hier also in die Körperverletzung nach 223 I StGB. Nicht zu fordern ist hingegen eine Einwilligung in 227 StGB, da der Tod lediglich eine Folge des eigentlichen Unrechtstatbestandes ist. 2. Einwilligungsfähigkeit des Berechtigten Der Rechtsgutsträger muss die Tragweite und die Auswirkungen des seine Interessen beeinträchtigenden Eingriffs voll erfassen, um wirksam einwilligen zu können. Hier könnte eine alkoholbedingte Beeinträchtigung Detlevs vorliegen. Allerdings wird der Genuss von drei Flaschen Bier im Normalfall nicht ausreichen, um bei einem Mann mit normaler körperlicher Konstitution eine relevante Einschränkung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit annehmen zu können. Die Einwilligungsfähigkeit Detlevs war
7 somit gegeben. 3. Erklärung vor der Tat und nach außen erkennbar Detlev hatte seine Bereitschaft zu einer körperlichen Auseinandersetzung in den Äußerungen gegenüber Anton ausdrücklich und unmissverständlich bekundet. 4. Keine Willensmängel des Einwilligenden Detlev unterlag auch keinem durch Täuschung, Drohung oder Irrtum bedingten Willensmangel bei der Abgabe seiner Einwilligung. 5. Handlung von der Einwilligung gedeckt Problematisch könnte hier allenfalls sein, ob Anton sich mit seinem Verhalten auch im Rahmen der erteilten Einwilligung hielt, denn Anton begann seinen Angriff möglicherweise für Detlev überraschend, da dieser laut Sachverhalt mit herabhängenden Armen, also noch nicht kampfbereit, dastand. Andererseits war das spontane Ausziehen der Jacke durch Anton ein eindeutiges Zeichen für seinen Kampfeswillen, was gegen einen Überraschungsangriff spricht. 6. Kein Ausschluss der Einwilligung Bei den Körperverletzungsdelikten ist der besondere Ausschlussgrund des 228 StGB zu beachten. Hiernach ist die Einwilligung in sittenwidrige Körperverletzungen unwirksam. Demnach dürfte Antons Tat keinen Verstoß gegen die guten Sitten, also das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, darstellen. Aufgrund des ungenauen Tatbestandsmerkmals der guten Sitten ist jedoch umstritten, wann eine Körperverletzung als sittenwidrig anzusehen ist. Von manchen wird vorgeschlagen, für die Beurteilung auf das Gewicht des Rechtsgutseingriffs (Erfolgsumfang, Gefahrengrad, Vorsatz oder Fahrlässigkeit) abzustellen. Obwohl dies eher einer früheren Ansicht entspricht, ist es grundsätzlich auch nicht falsch, das Motiv der Körperverletzung einzubeziehen. Die heutige Rechtsprechung hingegen geht davon aus, dass der Grad der Lebensgefährlich-
8 keit für die Sittenwidrigkeit entscheidende Bedeutung besitzt. Eine körperliche Auseinandersetzung in feindseliger Gesinnung, die ohne Schutzvorkehrungen mit schwerwiegenden Gefahren für Leib und Leben verbunden sind, lassen sich mit der sittlichen Ordnung nicht vereinbaren. Der von Anton geführte Fausthieb verstieß daher gegen die guten Sitten und war nicht durch die Einwilligung des Detlevs gerechtfertigt. III. Schuld Anton handelte schuldhaft. Eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung lag vor, da hier nichts dafür spricht, dass Anton den Detlev aus irgendeinem Grunde schlagen durfte. Zudem handelte Anton auch voll verantwortlich, so dass der mögliche Tod Detlevs für ihn auch vorhersehbar war. IV. Ergebnis Anton hat sich wegen einer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß 223 I, 227 StGB strafbar gemacht. C. Gesamtergebnis / Konkurrenzen Anton hat sich durch den Fausthieb gegen Detlev im Ergebnis wegen einer gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß 223 I, 224 I Nr. 5, 227 StGB strafbar gemacht. Die ebenfalls verwirklichte fahrlässige Tötung gemäß 222 StGB tritt dahinter zurück.
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