Übungen Öffentliches Recht III
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- Cornelius Adler
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1 Übungen Öffentliches Recht III Gruppen K-M und W-Z Prof. Dr. Felix Uhlmann / Dr. Julia Hänni Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Rechtsetzungslehre Universität Zürich FS 2015 Dr. Julia Hänni 1
2 Fall 2: Themen In materiell-rechtlicher Hinsicht: - Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV) - Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV; Art. 9 EMRK; Art. 18 UNO-Pakt-II) In prozessrechtlicher Hinsicht - Beschwerdelegitimation von Gemeinden und Spezialgemeinden - Devolutiveffekt - Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht (Art. 82 ff. BGG) 2
3 In materieller Hinsicht: Herauskristallisieren der Rechtsfrage Die Gemeinde will gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vorgehen, daher: Hat das kantonale Verwaltungsgericht mit seinem Entscheid rechtswidrig in die Autonomie der Schulgemeinde eingegriffen?, bzw. Hat die Schulgemeinde das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen in ihrem Hoheitsbereich ohne Widerspruch zu verfassungsoder konventionsrechtlichen Bestimmungen eingeschränkt? 3
4 Heraussuchen der möglichen Rechtsgrundlagen Regelungen zur Gemeindeautonomie: Sie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet (Art. 50 Abs. 1 BV) Art. 89 der Kantonsverfassung SG: Gemeinden sind autonom, soweit das Gesetz ihre Entscheidungsfreiheit nicht einschränkt (Abs. 1); gilt auch für die Rechtsetzung (Abs. 2) Vgl. auch Art. 155 Abs. 4 des Gemeindegesetzes des Kantons SG Regelungen zur Religionsfreiheit: Art. 15 BV; Art. 9 EMRK; Art. 18 UNO-Pakt-II Art. 2 lit. i KV/SG 4
5 Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV) Gemeinden sind autonom, wenn ihnen das kantonale (und eidgenössische) Recht einen Sachbereich zur Regelung überlässt und ihnen dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen 5
6 Gemeindeautonomie (Art. 50 Abs. 1 BV) Besteht im obigen [=>Folie 6] Sinne Autonomie, so kann sich die Gemeinde im Rechtsmittelverfahren zur Wehr setzen, wenn eine kantonale Behörde (BGE 128 I 3 E. 2b, 126 I 133 E. 2): -> Die den betreffenden Sachbereich ordnenden bundesrechtlichen, kantonalen oder kommunalen Normen (zum Nachteil der Gemeinde) falsch anwendet oder ihre Prüfungsbefugnis überschreitet, oder -> Die Tragweite eines Grundrechts verkannt und dieses zu Unrecht (durch das Handeln der Gemeinde) als verletzt betrachtet 6
7 Beantwortung der materiellen Kernfragen (1/2): Gemeindeautonomie Verfügt auch eine Schulgemeinde über Gemeindeautonomie? Ja; nach und der Rechtsprechung ist auch eine Schulgemeinde befugt, sich gegen unzulässige Eingriffe in ihren Hoheitsbereich zur Wehr zu setzen (vgl. auch Art. 88 KV/SG; Art. 1 Abs. 2 lit. b Gemeindegesetz/SG) Gewährleistet das kantonale Recht der Schulgemeinde einen Autonomiebereich für die Regelung eines allgemeinen Kopftuchverbots? Organisationsfreiheit; Disziplinarrecht: Art. 17 ff., 33, 54 f. des Volksschulgesetzes des Kantons SG -> hier besteht ein «relativ erheblicher Entscheidungsspielraum» [intendierter Zweck der Regelung beachten] 7
8 Beantwortung der materiellen Kernfragen (2/2): Betroffene Grundrechte und Schutzbereich Die Gemeinde wirft dem Verwaltungsgericht vor, dieses habe durch das allgemeine Kopfbedeckungsverbot Ar. 15 BV zu unrecht als verletzt betrachtet Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV; Art. 9 EMRK) Schutzbereich: Glaubensüberzeugungen/Verhaltensweisen als Ausdruck der religiösen Überzeugung/auch: Beachten von religiösen Kleidervorschriften Bei Schülern unter 16 Jahren werden ihre Rechte durch die Eltern wahrgenommen (Art. 303 und 304 ZGB) Einschränkungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit sind nur im Rahmen von Art. 36 BV zulässig 8
9 Beantwortung der materiellen Kernfragen (2/2): Einschränkung und Interessenabwägung Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit somit nur zulässig, (Art. 36 Abs. 1 BV), falls die Gemeinde aufzeigen kann, dass: Eine gesetzliche Grundlage besteht: Legalitätsprinzip -> Anforderungen je nach Schwere des Eingriffs -> Gesetz im formellen Sinne (demokratische Legitimation) -> Bestimmtheit der Norm (Rechtssicherheit; Voraussehbarkeit) -> Gegebenenfalls im Rahmen einer zulässigen Gesetzesdelegation -> Herabgesetzt, wenn sich die Einschränkung aus dem Zweck eines Sonderstatusverhältnisses in vorhersehbarer Weise ergibt 9
10 Beantwortung der materiellen Kernfragen (2/2): Einschränkung und Interessenabwägung Besteht eine genügende gesetzliche Grundlage i.c.? Diskussion von: Organisationskompetenz/Disziplinarkompetenz im VSG/SG -> Problem der Normdichte/Vorhersehbarkeit eines entsprechenden Grundrechtseingriffs Art. 33 VSG/SG -> Problem der Normstufe -> Organisationsreglement erlassen durch den Schulrat als Exekutivorgan der Gemeinde -> Voraussetzungen der Gesetzesdelegation Das Bestehen einer gesetzlichen Grundlage für die gleiche Konstellation im Kanton Thurgau verneint: BGE 139 I 280 (E. 5) 10
11 Beantwortung der materiellen Kernfragen (2/2): Einschränkung und Interessenabwägung Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit ohnehin nur zulässig, falls (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV), die Gemeinde zusätzlich zu einer gültigen gesetzlichen Grundlage aufzeigen könnte, dass: Ihr Handeln im öffentlichen Interesse liegt und -> Wahrung des religiösen Friedens? -> Chancengleichheit (Art. 8 Abs. 2 BV)? Die Massnahme als verhältnismässig gelten kann -> Geeignetheit? -> Erforderlichkeit? -> Zumutbarkeit einer entsprechenden Einschränkung durch die Gemeinde? 11
12 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das BGer (Art. 82 ff. BGG) Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG: Entscheide der letzten kantonalen Instanz können mit BöRA beim Bundesgericht angefochten werden; Anfechtungsobjekt ist der Entscheid des Verwaltungsgerichts; Devolutiveffekt Legitimation nach Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG: Gemeinden sind leg., «wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantonsoder Bundesverfassung gewährt» Beschwerdegründe (Art. 95 und 96 BGG): -> sie beziehen sich auf die behauptete Autonomieverletzung Form- und Fristerfordernisse (Art. 42 BGG; Art. 100 BGG) 12
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