9. Zurück zur OOP: Vererbung und Polymorphismus
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- Rolf Müller
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1 Informatik 11 Seite Zurück zur OOP: Vererbung und Polymorphismus Eine neue Klasse wird immer durch Vererbung aus einer bereits vorhandenen Klasse abgeleitet. Durch die Vererbung spart man sich viel Programmierarbeit, denn die Kindklasse (Subklasse) erbt die Attribute und Methoden der Elternklasse (Superklasse) und bekommt neue dazu. In Kapitel 2 haben wir die Klasse THaus von TObject vererbt. Das ist die Basisklasse für alle Delphi-Klassen, TBank haben wir dagegen von TForm vererbt. Wenn du eine neue Anwendung in Delphi erstellst, wird standardmäßig die Klasse TForm1 von TForm vererbt. Dieser neuen Klasse fügst du dann Objekte, Variablen, Methoden hinzu. Wiederhole die Grundlagen über Objekte und Klassen in Kapitel 2!!! Um von einer Klasse (z.b. TForm1) ein Objekt zu erzeugen, braucht man zuerst eine Objekt-Variable vom Typ der Klasse var Form1: TForm1; und muss anschließend den Konstruktor der Klasse aufrufen, der das Objekt Form1 erzeugt und initialisiert: Form1 := TForm1.create(); Diesen letzten Schritt macht Delphi mit Form1 und allen Objekten, die wir mit der Maus in Form1 einfügen, automatisch, nicht aber wenn wir selber eine neue Klasse ableiten. In diesem Kapitel wollen wir eine kleine Eisenbahn realisieren und dafür die nötigen Klassen entwerfen. Beim Entwurf der Klassen TLok, TPersonenWagen, TGüterwagen stellt man schnell fest, dass alle drei Klassen gemeinsame Eigenschaften und Methoden haben aber auch unterschiedliche: Gemeinsamkeiten: Alle drei vererben wir am besten von einer sichtbaren Klasse wie TImage, die Bitmaps darstellen kann; sonst müssten wir in einer Methode draw die Bilder umständlich mit Zeichenbefehlen zeichnen. Attribute: Als Unterschiede halten wir fest: Left, Top: integer; Bitmap: TBitmap; Laenge: integer; (zum korrekten Aneinanderhängen) Methoden: Schritt(dx: integer); (zum Fahren nach rechts/links) Jede Klasse braucht zwar einen constructor create(), deren Inhalte aber nicht identisch sind. TLok braucht eine Geschwindigkeit v, die durch Methoden beschleunigen() und bremsen() verändert werden kann. Außerdem einen Taktgeber für die Methode Schritt(), nennen wir ihn Motor vom Typ TTimer. Und für das Tachometer vielleicht noch das Attribut kmstand: double. TPersonenWagen bekommt ein Attribut Sitzplaetze: integer, das die Zahl der Sitze enthält, und ein Attribut Typ, das festlegt, welches Bild zu dem Wagen gehört.
2 Informatik 11 Seite 39 TGüterWagen geben wir entsprechend ein Attribut Ladefl aeche:integer und ebenfalls ein Attribut Typ. Diese etwas knappe Ausstattung der drei Klassen reicht aus, um die Prinzipien der Vererbung und Polymorphie zu erklären. Eines fehlt für eine funktionierende Eisenbahn allerdings noch: eine Klasse TZug, die alle Wagen in einer Liste verwaltet und dafür sorgt, dass alle sich weiterbewegen. Ein Objekt dieser Klasse ist nicht sichtbar, wir vererben sie von TStringList. TStringList t enthält eine sehr komfortable dy- namische Liste, die Strings und mit diesen verknüpte Objekte verwaltet. Die Strings brauchen wir hier nicht, wir wollen nur eine Liste von Objekten verwalten. Eine abstrakte Klasse als Vorfahr Jetzt kommt die entscheidende Überlegung: Alle gemeinsamen Attribute und Methoden unserer Wagen geben wir einer übergeordneten Klasse TCustomWagen (abgeleitet von TImage). Von dieser Klasse vererben wir dann die Klassen TLok, TPWagen, TGWagen und geben ihnen die jeweils spezifischen Attribute und Methoden. Dieses Vorgehen hat zwei wesentliche Vorteile: Erstens wird das Problem der Code-Verdopplung gelöst. Stell dir vor, du willst später an den Klassen eine Änderung vornehmen. Dann brauchst du das nicht dreimal zu tun. Zweitens kannst du Objekte der drei Klassen mit einem einzigen Variablen-Typ verwalten: var w: TCustomWagen; Die Variable w kann ein beliebiges Objekt von TLok, TPWagen oder TGWagen enthalten. Denn jedes dieser Objekte ist wegen der Vererbung auch ein TCustomWagen-Objekt! (so wie ein Lehrer auch ein Mensch ist;-) Die Variable w nennt man wegen ihrer Vielgestaltigkeit eine polymorphe Variable. Nötig ist das Verfahren, weil wir zur Entwurfszeit noch gar nicht sagen können, von welchem Typ ein Objekt sein wird. Für den ersten Wagen des Zugs können wir noch annehmen, dass es ein TLok-Objekt - sein wird, nicht aber für die anderen. TCustomWagen (TImage) (Left, Top geerbt von TImage) (Picture.Bitmap geerbt von TImage) Laenge: integer create(besitzer:twincontrol; b:tbitmap) schritt(dx: integer); virtual; abstract TLok (TCustomWagen) v: integer kmstand: double Motor: TTimer create(besitzer:twincontrol;x0,y0:integer) schritt(dx: integer): override beschleunigen() bremsen() TGWagen(TCustomWagen) Ladeflaeche: integer create(besitzer:twincontrol; TGTyp: integer) schritt(dx: integer); override TPWagen(TCustomWagen) Sitzplaetze: integer create(besitzer:twincontrol; TPTyp: integer) schritt(dx: integer); override
3 Informatik 11 Seite 40 Die Klasse TCustomWagen nennt man die Superklasse (Oberklasse, Elternklasse), die erbenden Klassen die Subklasse (Unterklasse, Kindklasse). TPWagen erbt von TCustomWagen, TCustomWagen erweitert TPWagen. Die erbenden Klassen haben alle Attribute und Methoden der Superklasse, also hat TPWagen auch die Attribute Left, Top, Laenge, ohne dass sie neu deklariert werden müssten. Damit sie allerdings initialisiert werden, muss im Konstruktor der Subklasse die Anweisung inherited create() enthalten sein (sh. Quellcode unten). Wenn du das Klassen-Diagramm genauer betrachtest, werden dir noch ein paar Fragen einfallen, von denen ich hier zwei ausführlich beantworte: 1. Warum hat jede Subklasse eine gleich deklarierte Methode Schritt() wie die Superklasse? TLok.Schritt() muss teilweise anderes leisten als TPWagen.Schritt(), etwa bei jedem Schritt den km- Stand erhöhen oder die Bitmap wechseln. Trotzdem deklariert man die Methode bereits in der Klasse TCustomWagen, und zwar als virtual und abstract. Virtual bedeutet, dass diese Methode in jeder Subklasse überschrieben werden muss (mit override). Dadurch ist sichergestellt, dass jede Subklasse eine genau gleich deklarierte Methode Schritt() hat. Dass diese bereits in der Superklasse deklariert ist, ist wichtig für die polymorphe Variable w. Ohne zu wissen, welcher Wagentyp gerade in der Variablen w enthalten ist, gelingen dann Aufrufe wie w.schritt(); Enthält w ein TLok-Objekt, - so wird die richtige Methode TLok.Schritt() aufgerufen, enthält w ein TPWagen-Objekt, so wird TPWagen.Schritt() aufgerufen. Bezeichnet man eine Methode schritt() als virtual aber nicht als abstract, so muss sie auch in der Super- Klasse TCustomWagen implementiert werden. Innerhalb der gleichnamigen Methode Schritt() der Subklasse benutzt man dann einen Aufruf inherited schritt, um deren Inhalt nicht wiederholen zu müssen. Ich habe es anders gemacht: Virtual und abstract bedeutet, dass Schritt() zwar bereits in der Superklasse deklariert, aber erst in den Subklassen implementiert wird. Die Superklasse kennt den Code der abstrakten Methode überhaupt nicht! Enthält eine Klasse eine abstrakte Methode, nennt man die ganze Klasse abstrakt. Es hat keinen Sinn, von so einer Klasse Objekte zu erzeugen, diese hätten ja dann in der Methode Schritt() keinen Code. In Delphi haben solche abstrakten Superklassen oft den Namen TCustom Warum haben die vier Konstruktoren unterschiedliche Parameter? TCustomWagen.create(Besitzer: TWinControl; b: TBitmap); TLok.create(Besitzer: TWinControl; x0, y0: integer); TPWagen.create(Besitzer: TWinControl; PWTyp: integer); TGWagen.create(Besitzer: TWinControl; GWTyp: integer); Klar, dass ein sichtbares Objekt von einem Fenster-Objekt verwaltet werden muss. Das kann z.b. ein Formular sein oder auch ein Panel. Und weil wir beim Entwurf der Bahn-Klassen nicht wissen können, wer sie später verwendet, wird dieser Besitzer der Create-Methode übergeben. Eine Lok kann zunächst beliebig auf dem Bildschirm platziert werden, deshalb die Koordinaten x0 und y0. Ein Wagen wird an einen Zug gehängt und erhält seinen Platz vom Zug zugewiesen. Deswegen übergeben wir seiner Create- Methode keine Koordinaten. Jede von unseren drei Klassen braucht in der Create-Methode eine Bitmap. Warum hat also TLok keinen Parameter für die Bitmap? Verfolge dazu den Code beim Aufruf von z.b. TLok.create(Panel1, 300, 100); Es würde keinen Sinn machen, einem Anwender unserer Bahnklassen freizustellen, welche Bitmap eine
4 Informatik 11 Seite 41 Lok bekommt. Das muss die Klasse TLok schon wissen. Die erste Anweisung in TLok.Create() lautet inherited create(besitzer, Form2.Image5.Picture.Bitmap); Damit rufen wir die Create-Methode von TCustomWagen auf, geben ihr den Besitzer weiter und sagen r ihr, dass die Bitmap in Image5 von Form2 zu finden ist. Ein Anwender kann also nur entscheiden, in welches Fenster-Objekt die Lok kommt und an welche Stelle.
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7 Informatik 11 Seite 44 Einbau in eine Delphi-Anwendung Wie du unten siehst, fahren unsere Wagen-Objekte auf einem Panel2. Ein weiteres Panel3 dient als Armaturenbrett. Panel1 zeigt den Fuhrpark an, auf diesem befinden sich weitere kleine Panels, welche die Fahrzeuge aufnehmen. Das ist praktisch, denn du kannst die Panels mit der Maus hinsetzen, wo du sie brauchst. Beim Ereignis onactivate von Form1 erzeugen wir die Objekte des Fuhrparks. (Für gewöhnlich tut man so etwas bei oncreate. Das klappt hier nicht, weil Form2 mit den Images erst nach Form1 erschaffen wird, und erst danach wird Form1 aktiviert.) Wir brauchen nicht für jedes Fahrzeug eine eigene Variable! Es genügt eine Variable für den Zug (z: TZug), eine Variable für die fahrende Lok (L: TLok ) und eine Variable für alle weiteren Wagen ( w: TCustomWagen). Die Lok müssen wir eigens ansprechen können (L.beschleunigen ), für die Wagen genügt ein Aufruf der Create-Methode und die Übergabe an den Zug (z.anhaengen(w) ), danach sprechen wir einen Wagen nicht mehr einzeln an und w kann den nächsten Wagen aufnehmen. Anmerkung: Wolltest du die Lok des Fuhrparks fahren lassen, so bräuchtest du erstens für sie eine eigene Variable L1. Das genügt aber nicht. Denn das ontimer-ereignis ihres Motors ist mit keiner Methode verknüpft. Für die andere Lok hat TZug.create() das Ereignis mit der Methode TZug.bewegen() verknüpft, und darin wird die Methode Schritt() von Lok und Wagen aufgerufen. Du müsstest also in der Unit1 eine Ereignis-Methode bewegefuhrparklok(sender: TObject) schreiben und sie mit dem ontimer-ereignis der Lok L1 verknüpfen: L1.Motor.onTimer := bewegefuhrparklok;
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