Organisation(en) von Hilfe im Spannungsfeld von Lebenswelt und Funktionssystemen
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- Günther Gerhardt
- vor 6 Jahren
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1 Fachtag Eingliederungshilfe und Ethik Friedenskirche, Stephanus-Stiftung Berlin - Weißensee Organisation(en) von Hilfe im Spannungsfeld von Lebenswelt und Funktionssystemen Referentin: Prof.in Dr. Ulrike Ernst Hochschule Hannover, Fakultät V - Diakonie, Gesundheit und Soziales, Abteilung Heilpädagogik
2 Basis des Vortrags ist die Frage nach dem Wie der Organisation(en) organisierter Hilfe
3 Inhalt des Vortrags Inhalt des Vortrags Der Begriff Lebenswelt in der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas Entkoppelung von Lebenswelt und System am Beispiel der Organisation von Hilfe Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis
4 Ein dreistufiger gesellschaftlicher Entwicklungsprozesses 1. Stufe: Traditionale Gesellschaften (Stammesgesellschaften) materielle Reproduktion und kulturelle Wertsphäre nicht getrennt; 2. Stufe: Zeit von der Reformation bis zur Industrialisierung das System (bürokratischen Staat und der Markt) entwickelt sich zunehmend aus der Lebenswelt heraus; Macht und Geld sind die Steuerungsmedien dieses Systems ; Kolonialisierung der Lebenswelt = der Übergriff des Systems auf die Lebenswelt 3. Stufe: Moderne Gesellschaften Konflikte zwischen System und Lebenswelt treten offen hervor; Die Medien Geld und Macht aus Wirtschaft und Verwaltung dringen in die Lebenswelt ein; Verständigungsorientiertes Handeln wird auf mediengesteuerte Interaktionen umgestellt. (vgl. Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit, 1985, S. 189).
5 Zweistufiges Gesellschaftskonzept und dreistufiger Gesellschaftsbegriff Zweistufiges Gesellschaftskonzept Lebenswelt System Dreistufiger Gesellschaftsbegriff Gesellschaft aus der Sicht der Teilnehmer - die Lebenswelt Gesellschaft aus der Sicht der Beobachter - das Gesamt von Lebenswelt und systemisch integrierten Subsystemen Strukturelle Komponente der Lebenswelt (Kultur, Gesellschaft, Person)
6 Handlungssituation Handlungssituation Die Handlungssituation bildet für die Beteiligten jeweils das Zentrum ihrer Lebenswelt; sie hat einen beweglichen Horizont, weil sie auf die Komplexität der Lebenswelt verweist. In gewisser Weise ist die Lebenswelt, der die Kommunikationsteilnehmer angehören, stets präsent; aber doch nur so, dass sie den Hintergrund für die aktuelle Szene bildet (Habermas 1981, Bd. 2, 188).
7 Handlungssituation Lebenswelt Die Lebenswelt ist gleichsam der transzendentale Ort, an dem sich Sprecher und Hörer begegnen; wo sie reziprok Anspruch erheben können, dass ihre Äußerungen mit der Welt (der objektiven, der sozialen oder der subjektiven Welt) zusammenpassen (...). (Habermas 1981, Bd. 2, 192)
8 Die Struktur der Lebenswelt - Ein dreidimensionales Modell - 1. Unter dem funktionalen Aspekt der Verständigung - dient kommunikatives Handeln der Tradition und Erneuerung kulturellen Wissens; Kultur - unser gesellschaftlicher Wissensvorrat an Deutungsmustern - als symbolische Grundlage jeder Verständigung (im Sinne von Alfred Schütz: Sinnverstehen und soziales Handeln sind aneinander geknüpft); 2. Unter dem Aspekt der `Handlungskoordinierung` - dient es der sozialen Integration und der Herstellung von Solidarität; Gesellschaft das soziale Band, d.h. die konkreten sozialen Beziehungen, Solidaritäten und Einbindungen des einzelnen; 3. unter dem Aspekt der Sozialisation - dient es der Ausbildung von personalen Identitäten; Persönlichkeit die durch Sozialisation entwickelte kommunikative Kompetenz des einzelnen (Habermas 1981, TKH II: 208ff zit. n. Greve 2009, S. 115)
9 Lebenswelt als verlässlicher Orientierungsrahmen und die `Kolonialisierung der Lebenswelt Lebenswelt ist bislang als ein Bezugssystem für kollektive Verständigungs- und Deutungsprozesse aufgrund von Hintergrundüberzeugungen aufgezeigt worden. Die Lebenswelt bietet heute aber nicht mehr den verlässlichen Orientierungsrahmen und zwar deshalb nicht, weil sie überlagert wird durch eine zunehmend Medien gesteuerte Interaktion. Was heißt das? (vgl. Schwemmer 1987, 230).
10 Lebenswelt als verlässlicher Orientierungsrahmen und die `Kolonialisierung der Lebenswelt Sprache, bislang das Medium symbolischer Reproduktion von Lebenswelt, wird zunehmend abgelöst von den Medien Geld und Macht. Die Lebenswelt wird in ihrer Orientierungsfunktion zunehmend untergraben. Kolonialisierung der Lebenswelt (Habermas 1981, Bd. 2, S. 522) Verrechtlichung und Bürokratisierung als eine Form der Kolonialisierung der Lebenswelt
11 2. Entkoppelung von Lebenswelt und System am Beispiel der Organisation von Hilfe Konstituierung von Hilfsbedürftigkeit als soziales Phänomen Hilfe als Leistung in gesellschaftlich differenzierten Kontexten
12 2. Entkoppelung von Lebenswelt und System am Beispiel der Organisation von Hilfe Exklusionsrisiken auf gesellschaftlicher Ebene Exklusionsrisiken auf individueller Ebene Veränderte gesellschaftliche Kommunikation von Hilfe
13 2Entkoppelung von Lebenswelt und System am Beispiel der Organisation von Hilfe Ambivalenzen sozialstaatlicher Hilfen - garantierte rechtliche Ansprüche auf soziale Leistungen durch Experten - Hilfeexperten breiten ein Netz von Klientenverhältnissen über die privaten Lebensbereiche aus - Soziale Integration (n. Habermas) wird entindividualisiert und entsolidarisiert und durch das Subsystem Recht unterlaufen - die Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Subsysteme Recht und Geld (monetäre Hilfen) wird für Helfer wie Klienten nicht sichtbar
14 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Frage: Wodurch wird das Spannungsverhältnis zwischen System und Lebenswelt deutlich und stetig vorangebracht? Beantwortung nicht allein auf Lebensweltebene möglich, sondern es bedarf der Systemebene und damit Beobachterperspektive
15 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Zunehmender Ökonomisierungsprozess in der Eingliederungshilfe Gesetze der Ökonomie werden den Unterstützungsangeboten übergestülpt (Seithe, 2011, S. 2)
16 3. 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Folgen dieses Prozesses auf der Ebene der MitarbeiterInnen und AdressatInnen der Eingliederungshilfe Befristete Verträge und reduzierte Personalschlüssel - Reduktion von Kontinuität in der Arbeit Zunahme von Verwaltungs- Aufsichts- und Organisationsaufgaben - Einschränkung der Beziehungsarbeit Bevorzugung strukturierter und kontrollierbarer Methoden - eingegrenzte Gesprächszeiten, Verlust von biografischem Arbeiten z.b. mit alten Menschen Betriebswirtschaftliche Sprache und damit einhergehende Denkweise (vgl. Seithe, 2011, S. 7)
17 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Folgen auf der Ebene sozialer Organisationen Kosten-Nutzen-Relationen und Qualität sozialer Dienstleitungen - Reduktion des Sozialen zugunsten marktfähiger Produkte und Dienstleistungen Zunehmende Vernachlässigung ethischer Grundsätze - Vernachlässigung der Begründung von Handlungen und Entscheidungen - Übergehen von Bedürfnissen der AdressatInnen und der Menschen in der Gesellschaft generell Verflachung des Selbstverständnisses sozialer Organisationen (vgl. Hepfer 2008, S. 7ff)
18 3.3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Kann hier entgegengewirkt werden? Erkennen, dass schwierige Lebenslagen von Menschen überwiegend der neoliberalen Marktwirtschaft erwachsen (z.b. mangelnde Flexibilität, eingeschränkte Leistungsfähigkeit usw....) fachliche und ethische Auseinandersetzung mit dem eigenen Gesellschaftsbild und der Sozialen Frage Bewusste Gestaltung der sozialen Situationen in den Arbeitsfeldern der Eingliederungshilfe durch Beziehungsarbeit (Seithe, S. 7)
19 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Lebenswelt - Aktionsraum und Reflexionsraum gegenseitiger Erfahrungen Normatives Verständnis der Lebenswelt bleibt bestehen: Weil sie den Raum für unsere praktischen Überzeugungen darstellt Die Möglichkeit der gegenseitigen Erfahrung bei der Umsetzung dieser Überzeugungen bietet Den Weg zu Neuerungen eröffnet (((Schwemmer, 1997, S. 235)
20 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Von Normativität (...) ist also dort die Rede, wo unterstellt wird, dass die Welt anders sein könnte, als sie ist, und wo diese Unterstellung kenntlich gemacht wird (Möllers 2015, S. 13).
21 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Lebenswelt ist damit der grundlegende Bestandteil der Gesellschaft, trotz der systemischen Differenzierung. Die bestandswichtigen Strukturen, mit denen die Identität einer Gesellschaft steht und fällt, sind (...) Strukturen der Lebenswelt (Habermas TKH II, 1981, S. 227).
22 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis In diesem Sinne ist es Aufgabe sozialer Organisationen über die Möglichkeit von prinzipiell anderen Organisationsformen von Hilfe nachzudenken, als der durch die verrechtlichten Hilfeanlässe und damit ökonomisierten Hilfeleistungen diktierten.
23 3. Organisation(en) von Hilfe in der Eingliederungshilfe zwischen Ökonomisierung und Selbstverständnis Literatur Jürgen Habermas Die Neue Unübersichtlichkeit. Edition Suhrkamp Jürgen Habermas Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft Karl Hepfer Philosophische Ethik. Eine Einführung. Vandenhoeck & Ruprecht, 2008 Oswald Schwemmer Die Kulturelle Existenz des Menschen. De Gruyter Mechthild Seithe Schwarzbuch Soziale Arbeit, VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2011
24 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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