12 Der Gaußsche Integralsatz
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- Kevin Pfaff
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1 12. Der Gaußsche Integralsatz 1 12 Der Gaußsche Integralsatz Das Ziel dieses Abschnitts ist die folgende zentrale Aussage der mehrdimensionalen Analysis und der Theorie der partiellen Differentialgleichungen: Für geeignete beschränkte Gebiete R n und ektorfelder f : R n gilt div f dx = f ν dσ; dabei ist ν : R n der äußere Normaleneinheitsvektor. Dieses Ergebnis beinhaltet insbesondere auch die Formel der partiellen Integration im R n und den Greenschen Satz im R Gebiete mit C 1 -Rand Definition. Sei R n ein beschränktes Gebiet, d.h., ist offen und zusammenhängend. Man sagt, habe einen Rand vom Typ C 1 (C 1 -Rand, C 1 ), falls = gilt und falls es zu jedem Randpunkt p eine offene mgebung R n von p und eine C 1 -Funktion ψ : R gibt mit (i) = {x : ψ(x) 0}, (ii) ψ(x) 0 für alle x. Bemerkung. (1) Ist vom Typ C 1, so sieht man leicht, dass = {x : ψ(x) = 0}, = {x : ψ(x) < 0}, \ = {x : ψ(x) > 0}. Insbesondere ist eine (n 1)-dimensionale C 1 -ntermannigfaltigkeit des R n (siehe Satz 10.1). ψ(x) > 0 ψ(x) 0 p ψ(x) = 0 ψ(x) < 0 (2) Die Bedingung = wird benötigt, um z.b. Mengen mit Schnitt wie z.b. = B 1 (0) \ {x B 1 (0) : x 1 0} oder punktierte Kugeln = B 1 (0)\{0} auszuschließen. nter der Bedingung = gilt stets =.
2 2 R. Farwig: Analysis I: Maß- und Integrationstheorie Beispiel. Die folgenden Mengen sind keine C 1 -Gebiete (siehe Bemerkung): Dagegen ist die folgende Menge ein C 1 -Gebiet: Definition. Sei M R n eine k-dimensionale ntermannigfaltigkeit und p M. (1) Ein ektor τ R n heißt ein Tangentialvektor in p an M, falls ein C 1 -Weg γ : ( ε, ε) M, ε > 0, mit γ(0) = p und γ (0) = τ existiert. Ferner sei T p (M) = {τ R n : τ ist Tangentialvektor in p an M} der Tangentialraum von M in p. (2) Ein ektor ν T p (M) heißt Normalenvektor an M in p. M τ τ τ = γ (0) γ ε 0 ε Lemma Sei M R n eine k-dimensionale C 1 -ntermannigfaltigkeit und sei (ϕ, ) eine Karte von M. Dann gilt T ϕ(x) (M) = Bild Dϕ(x) für alle x. Insbesondere ist dim T ϕ(x) (M) = k und folglich dim {ν R n : ν ist Normalenvektor an M in ϕ(x)} = n k. Beweis. Wie teilen den Beweis in zwei Teile auf. Behauptung 1. Es gilt Bild Dϕ(x) T ϕ(x) (M).
3 12. Der Gaußsche Integralsatz 3 Beweis von Beh. 1. Sei v R k. Dann gibt es ein ε > 0, so dass γ : ( ε, ε) M, γ(t) := ϕ(x + tv), ein Weg in M mit γ(0) = ϕ(x) und γ (0) = Dϕ(x) v ist. Wir erhalten also Dϕ(x) v T ϕ(x) (M) für alle v R n. Behauptung 2. Es gilt T ϕ(x) (M) Bild Dϕ(x). Beweis von Beh. 2. Für einen Weg γ in M ϕ() mit γ(0) = ϕ(x) sei τ = γ (0). Dann gilt lokal γ = ϕ ( ϕ 1 γ ), wobei ϕ 1 γ : ( ε, ε) vom Typ C 1 ist (ohne Beweis, vgl. Beweis von Satz 10.3 zum Kartenwechsel). Daraus folgt τ = γ (0) = Dϕ(x) (ϕ 1 γ ) (0) Bild Dϕ(x). Außerdem gilt nach Definition dim (BildDϕ(x)) = rang Dϕ(x) = k, da ϕ eine Karte ist. Beispiel. (1) Der Rand eines beschränkten C 1 -Gebietes R n sei lokal (in der mgebung R n eines Punktes p ) gegeben als Graph einer C 1 -Funktion h : R, R n 1 offen; d.h., es gilt = {x = (x, h(x )) : x }, = {x = (x, x n ) : x n < h(x ), x }. Wir bemerken, dass ψ(x, x n ) = x n h(x ) auf = (a, b) eine geeignete Funktion entsprechend der Definition des C 1 -Gebietes ist. Mit der oben genannten lokalen Beschreibung ist ϕ(x ) = (x, h(x )), x, eine Karte von. Ferner bilden die n 1 Spaltenvektoren τ 1 = (1, 0,..., 0, 1 h(x )) T,..., τ n 1 = (0,..., 0, 1, n 1 h(x )) T eine Basis des Tangentialraums T ϕ(x )(M), und ν ± = ± ( h(x ), 1) 1 + h(x ) 2, := ( 1,..., n 1 ), sind die (einzigen) Normaleneinheitsvektoren an in ϕ(x ). Dabei ist ν = ν(ϕ(x )) = ν + der äußere Normalen(einheits)vektor, denn es gilt ϕ(x ) + tν(ϕ(x )) und ϕ(x ) tν(ϕ(x )) für t (0, ε)
4 4 R. Farwig: Analysis I: Maß- und Integrationstheorie mit ε > 0 genügend klein. ν + (x, ϕ(x )) p ν (2) Im Fall n = 3 erhält man zwei linear unabhängige Tangentialvektoren τ 1 = (1, 0, 1 h) T und τ 2 = (0, 1, 2 h) T. Wegen τ 1 τ 2 = ( 1 h, 2 h, 1) T ist der äußere Normalenvektor. ν = τ 1 τ 2 τ 1 τ 2 Lemma Sei R n ein beschränktes Gebiet mit C 1 -Rand. Dann gibt es zu jedem Randpunkt p eine offene Menge R n 1, ein Intervall (a, b) sowie eine C 1 -Funktion h : (a, b), so dass (ggf. nach mnummerierung der Koordinaten x 1,...,x n ) gilt p (a, b) und ( (a, b)) = {(x, h(x )) : x }. Insbesondere ist ν : R n, wobei ν(x) den äußeren Normalenvektor in x bezeichnet, stetig. Beweis. Sei R n offen, p, und gelte mit einer C 1 -Funktion ψ : R = {x : ψ(x) < 0} und = {x : ψ(x) = 0} sowie ψ(x) 0 für alle x. Ohne Einschränkung gelte n ψ(p) > 0 und sogar n ψ(x) > 0 für alle x. Nach dem Satz über implizite Funktionen existiert eine offene Teilmenge (a, b) von und eine C 1 -Funktion h : (a, b) mit der Eigenschaft: ψ(x) = 0 für alle x (a, b) x = (x, h(x )) für alle x (a, b). Daraus folgt nun die Behauptung Der Gaußsche Satz Hauptsatz 12.3 (Satz von Gauß). Sei R n ein beschränktes C 1 -Gebiet mit äußerem Normalenvektor ν = ν(x) auf und sei f C 1 () n C 0 () n ein ektorfeld mit der Eigenschaft div f L 1 (). Dann gilt div f(x) dx = f ν dσ.
5 12. Der Gaußsche Integralsatz 5 Bevor wir den Satz von Gauß beweisen, formulieren wir noch einige wichtige und nützliche Lemmata. Lemma 12.4 (Zerlegung der Eins). Sei R n ein beschränktes C 1 -Gebiet. Dann gibt es offene Rechtecke 1, 1, 2, 2,..., m, m mit 1 1,..., m m und m i sowie offene Mengen 0, 0 mit m und i 0. Zu dieser Überdeckung gibt es Funktionen 0 η i C 0 ( i ), i = 0, 1,..., m, mit η i > 0 auf i und η i = 1 auf. Beweis. Nach Lemma 12.2 gibt es zu jedem p ein offenes Rechteckgebiet p = p (a p, b p ), so dass p in einem geeigneten Koordinatensystem als Graph einer auf p definierten C 1 -Funktion geschrieben werden kann. Sei p das zu p konzentrische Rechteckgebiet mit halben Kantenlängen. Dann ist p p. Außerdem ist p p. Da der Rand kompakt ist, gibt es sogar endlich viele i = p i, i = 1,...,m, mit m i. Außerdem finden wir offene Mengen 0 0 mit der Eigenschaft Dann gilt \ m i m 0 i. Sei nun 0 ρ C0 (R n ) mit ρ dx = 1 ein Friedrichs scher Glättungskern R n und ρ ε (x) = 1 ρ ( ) x ε n ε, ε > 0. Zur Konstruktion der Funktionen ηi sei η i = χ und i η i = η i ρ ε, i = 0, 1,..., m, wobei ε > 0 so klein gewählt wird, dass supp η i i, i = 0, 1,...,m, gilt. Dann erhalten wir 0 < η i auf i, η i C 0 ( i ) und η i (x) > 0 für alle x,
6 6 R. Farwig: Analysis I: Maß- und Integrationstheorie da η i > 0 in einer mgebung von i für jedes 0 i m ist. Folglich sind η i = η i m j=0 η, 0 i m, j die gesuchten Funktionen in der Zerlegung der Eins zur Überdeckung { i } von. Lemma Sei R n offen. Dann gilt für ϕ C0 1() und ψ C1 () sowie 1 j n die Identität ( j ϕ)ψ dx = ϕ j ψ dx. Beweis. Die offene Menge darf durch = R n ersetzt werden, da man ϕ durch Null auf R n \ zu einer Funktion ϕ C0(R 1 n ) fortsetzen kann. Dann folgt mit dem Satz von Fubini sowie dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (hier im Fall j = n) ( ) n (ϕψ) dx = n (ϕψ) dx n dx = 0. R n R n 1 Dies liefert die Behauptung. Mit ψ = 1 und nach Summation über j = 1,..., n folgt aus Lemma 12.5 der Gaußsche Satz für den Spezialfall f C 1 0 ()n. Lemma Sei R n 1 ein offenes Rechteck, h C 1 ( ) und = {x = (x, x n ) : x n < h(x ), x }. Ferner sei f C 0 () n C 1 () n ein ektorfeld mit div f L 1 () und kompaktem Träger in G(h), wobei G(h) R n den Graphen von h bezeichnet. Dann gilt div f dx = f ν dσ, wobei das Oberflächenintegral von f ν nur auf einer kompakten Teilmenge von G(h) benötigt wird. h supp f R n 1
7 12. Der Gaußsche Integralsatz 7 Beweis. Im ersten Teil des Beweises ersetzen wir die Menge durch die um ε > 0 nach unten verschobene Menge ε = {x = (x, x n ) : x n < h(x ) ε}. Nach dem Satz von Fubini gilt dann n ( h(x ) ε ) div f dx = k f k (x, x n ) dx n dx =: ε k=1 n I k. Wir wollen nun die Integrale I k, k = 1,...,n, berechnen. Sei zuerst 1 k n 1. Mit Hilfe der Kettenregel sowie Methoden der Analysis I zeigt man die Gleichung ( h(x ) ε ) k f k (x, x n ) dx n = h(x ) ε k=1 k f k (x, x n ) dx n +f k (x, h(x ) ε) k h(x ). Da der Träger von f kompakt in G(h) liegt, erhalten wir mit Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung ( h(x ) ε ) I k = k f k (x, x n ) dx n dx f k (x, h(x ) ε) k h(x ) dx = f k (x, h(x ) ε) k h(x ) dx. Für I n gilt wiederum nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung I n = f n (x, h(x ) ε) dx. Insgesamt erhalten wir mit dem äußerem Normalenvektor ν(x, h(x ) ε) = ( h, 1) 1 + h 2 auf ε supp f die Gleichungskette div f dx = f(x, h(x ) ε) ( 1 h,..., n 1 h, 1) dx ε = f(x, h(x ) ε) ν(x, h(x ) ε) 1 + h 2 dx = f ν dσ. ε Die Behauptung folgt nun durch den Grenzübergang ε 0 +. Tatsächlich gilt wegen div f L 1 () nach dem Satz von Lebesgue über majorisierte Konvergenz div f dx ε 0+ div f dx. ε
8 8 R. Farwig: Analysis I: Maß- und Integrationstheorie Da außerdem f in C 0 () n und h in C 1 ( ) liegen, liefert die klassische Konvergenzaussage für Riemann-Integrale bei gleichmäßiger Konvergenz den Grenzübergang f ν dσ ε 0+ f ν dσ. ε Beweis von Hauptsatz Für den Beweis des Hauptsatzes benutzen wir die Zerlegung der Eins (η i ) nach Lemma 12.4 und schreiben f in der Form f = (η i f) auf mit supp (η i f) i. Damit erhalten wir div f dx = div(η i f) dx = div(η 0 f) dx + 0 i div(η i f) dx. Dabei ist aber 0 div(η 0 f) dx = 0 wegen der Tatsache supp (η 0 f) 0 und Lemma 12.5 mit ϕ = η 0 f und ψ 1. Für 1 i m liefert Lemma 12.6 mit = i wegen η i C 0 ( i ) die Identität i div(η i f) dx = da m η i = 1 auf ist. = i η i f ν dσ = ( m η i )f ν dσ = η i f ν dσ f ν dσ, Bemerkung. Der Satz von Gauß gilt auch für allgemeinere beschränkte Gebiete R n : (1) Die Menge der sog. singulären Randpunkte, in denen lokal der Rand nicht als Graph einer C 1 -Funktion geschrieben werden kann, sei eine (n 1)- dimensionale Nullmenge, d.h. H n 1 ({singuläre Randpunkte}) = 0 für das Hausdorff-Maß H n 1 (siehe Königsberger, Analysis II, 12).
9 12. Der Gaußsche Integralsatz 9 (2) Das Gebiet hat einen Lipschitz-Rand, d.h., lokal kann als Graph einer Lipschitz-stetigen Funktion geschrieben werden: = {x = (x, x n ) : x n h(x ), x } mit einer Funktion h : R n 1 R, h C 0,1 ( ). In diesem Fall existiert der äußere Normalenvektor ν(x) = ( h(x ), 1) 1 + h(x ) 2, x = (x, h(x )), x, nur x -fast überall in (siehe H.W. Alt, Funktionalanalysis). Korollar 12.7 (Partielle Integration). Sei R n ein beschränktes Gebiet mit C 1 -Rand und seien u, v C 1 () C 0 () mit u, v L 1 () n gegeben. Dann gilt für j = 1,...,n ( j u)v dx = u j v dx + u v ν j dσ, wobei ν j die j-te Komponente des äußeren Normalenvektors ν = ν(x) bezeichnet. Beweis. Sei f = uve j mit dem j-tem Einheitsvektor e j = (0,..., 0, 1, 0,..., 0) mit Eins an der j-ten Stelle. Dann gilt f C 0 () n C 1 () n sowie div f = j (uv) = ( j u)v + u j v L 1 (), und Satz 12.3 liefert (( j u)v + u j v) dx = div f dx = f ν dσ = u v ν j dσ. Hauptsatz 12.8 (Satz von Green). Sei R 2 ein beschränktes Gebiet mit C 1 -Rand = Γ = γ 0 γ p, wobei γ 0 die äußere Randkomponente ist und die γ i, 1 i p, innere Löcher beranden; alle Randkomponenten werden dabei im mathematisch positiven Sinne bzgl. durchlaufen. Ferner sei F C 1 () 2 C 0 () 2 ein ektorfeld mit rot F := 1 F 2 2 F 1 L 1 (). Dann gilt rotf dx = Γ F dx = wobei das Wegintegral von F entlang γ i durch p γ i F dx, bi a i F(γ i (t)) dγi (t) dt dt mittels einer Parametrisierung γ i : [a i, b i ] definiert wird.
10 10 R. Farwig: Analysis I: Maß- und Integrationstheorie Beweis. Zu F definieren wir das ektorfeld f C 1 () 2 C 0 () 2 durch f(x) = (f 1, f 2 )(x) = (F 2, F 1 )(x). Dann ist div f = rotf L 1 () und die Anwendung des Satzes von Gauß auf f liefert rotf dx = div f dx = f ν dσ wobei die Beziehungen = = = = p bi p a i bi p f ν dσ γ i f(γ i (t)) ν(γ i (t)) 1 + dγi (t) 2 dt dt a i F(γ i (t)) τ(γ i (t)) dt p F dx = γ i Γ F dx, τ(γ(t)) = (γ 1 (t), γ 2 (t) ) = dγ dt (t) und ν(γ(t)) = (γ 2(t), γ 1 (t) ) 1 + dγ(t) 2 dt für γ = γ i, i = 0,...,p, benutzt wurden. ν τ γ 1 (t) γ 0 (t) τ ν
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