Die Beinvenenthrombose Eine klinische Herausforderung im Praxisalltag
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- Hilko Heinrich
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1 Die Beinvenenthrombose Eine klinische Herausforderung im Praxisalltag Dr. Stefan Kleinschmidt, Klinikum Arnsberg Akademisches Lehrkrankenhaus Westfälische Wilhelms-Universität Münster
2 Gliederung Definition und Inzidenz Symptomatik und Risikogruppen Diagnosealgorithmus bei TVT Therapie: Antikoagulation, Kompression und Mobilisation Zusammenfassung
3 Definition und Inzidenz Wie wird die TVT definiert? Bei einer akuten tiefen Bein- und Beckenvenenthrombose (TVT) handelt es sich um eine partielle oder vollständige Verlegung der Leit- und/oder Muskelvenen durch Blutgerinnsel. 1 Ist TVT im Praxisalltag relevant? Ja! Mit 1 2 / Personen pro Jahr ist die Inzidenz der TVT in Europa insgesamt hoch. 2 In >90% findet sich die TVT in den unteren Extremitäten. Nur 1 bis 4% betreffen den Armbereich. 1 Symptomatische tiefe Beinvenenthrombose, links. Quellen: 1. S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015; 2. Nüllen H et al., VTE - venöse Thromboembolien, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014.
4 Symptomatik Bei welchen Symptomen sollten Sie an eine TVT denken? Schwere und Spannungsgefühl in der betroffenen Extremität Schwellung (Umfangsdifferenz) Rot bis bläuliche Hautverfärbung, Glanzhaut, Warnvenen Überwärmung Wadenschmerz bei Kompression od. Dorsalflexion d. Fußes Aber: Nur ein Teil der Patienten mit TVT haben eine solch typische Klinik! Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
5 Risikogruppen Welche Patienten sind also besonders gefährdet? TVT oder Lungenembolie in der eigenen oder engeren Familien-Anamnese Immobilisierte Patienten Einnahme der Pille oder HRT(insb. in Kombination mit Rauchen) Schwangerschaft Thrombophile Diathesen Aktive Malignome Z.n. Operationen (v.a. im Knie-, Becken-, Hüftbereich) Z.n. Polytrauma Exsikkose, Herzinsuffizienz, chronisch venöse Insuffizienz, Apoplex, COPD, Infektionen, Adipositas, Polyzytämie, u.v.m. Quelle:
6 Gefahr für den Patienten Worin liegt die Gefahr einer unerkannten TVT? Eine nicht diagnostizierte und therapierte TVT kann zu einer ggf. tödlich verlaufenden Lungenembolie (LE) führen! Bis zu 50% aller Patienten mit proximaler TVT haben szintigraphisch nachweisbare (wenn auch oft asymptomatische) Lungenembolie(n)! Die TVT mit LE zählt zu den führenden Todesursachen in der Schwangerschaft! Eine weitere Komplikation ist das postthrombotische Syndrom mit Ausbildung von Ulcera cruris. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
7 und für den Arzt Das Übersehen einer TVT kann aber nicht nur gefährlich für den Patienten, sondern auch teuer für den Arzt werden...
8 Wie kann man die Diagnose sichern? Zuerst sollte die klinische Wahrscheinlichkeit anhand eines Scores abgeschätzt werden. Etabliert hat sich der Wells-Score: Klinische Charakteristik Score Aktive Krebserkrankung 1,0 Lähmung od. kürzlich Immobilisation der Beine 1,0 Bettruhe (> 3 Tage); große Chirurgie (< 12 Wochen) 1,0 Schmerz/Verhärtung entlang der tiefen Venen 1,0 Schwellung ganzes Bein 1,0 Unterschenkelschwellung > 3 cm gegenüber Gegenseite 1,0 Eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein 1,0 Kollateralvenen 1,0 Frühe dokumentierte tiefe Venenthrombose 1,0 Alternative Diagnose mind. so wahrscheinlich wie TVT 2,0 Score 2,0: hohe Wahrscheinlichkeit von TVT Score < 2,0: geringe Wahrscheinlichkeit von TVT Quelle: Wells PS et al. Does this patient have deep vein thrombosis? JAMA 2006; 295:
9 Weitere sinnvolle Diagnosetools Bei niedriger klinischer Wahrscheinlichkeit sollten die D-Dimere im Blut bestimmt werden. Ein negatives Ergebnis schließt in diesem Fall eine Thrombose aus. Bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit macht die Bestimmung der D- Dimere keinen Sinn. Die Kompressionssonografie ist die Methode der Wahl zum Nachweis und Ausschluss einer symptomatischen TVT. CT und MRT werden zur Bestimmung der Ausdehnung einer Beckenvenenthrombose, LE und/oder der Vena cava angewendet. Die Phlebographie hat in der Diagnostik keinen Stellenwert mehr. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
10 Algorithmus bei Verdacht auf TVT KW nicht hoch D-Dimer negativ nicht behandeln hoch positiv behandeln positiv KUS nicht eindeutig negativ nicht behandeln behandeln positiv KUS-Kontrolle nach 4-7 Tagen negativ nicht behandeln KW Klinische Wahrscheinlichkeit, KUS Kompressionsultraschall der Venen Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
11 Hinweise zum Kompressionsultraschall Falls Sie den Kompressionsultraschall selbst durchführen, beachten Sie bitte: Das Ergebnis muss ausreichend dokumentiert und nachvollziehbar sein. Bei pathologischen Befunden immer Schnittbilder in zwei Ebenen mit Farbkodierung dokumentieren. Untersuchen Sie immer Ober- und Unterschenkel, idealerweise beider Beine. Bei Thrombose Zunahme des Querdurchmessers der Vene im Vergleich zur Arterie. Kompressionsversuch der V. poplitea. Aufgrund der Thromben ist keine Vollständige Kompression der Vene möglich. Partielle Thrombose der V. poplitea, erweiterte V. poplitea, Besatz des Lumens mit Binnenechos, Farbkodierung des wandständigen Flusses Quelle: Duplexsonographie der Gefäße, Verlag für Medizin und Wirtschaft,
12 Abklärung möglicher Ursachen Müssen Sie mögliche Ursachen einer TVT abklären? Aktuell wird keine prinzipielle Abklärung von Gerinnungsstörungen empfohlen. Nur bei entsprechender (Familien-) Anamnese sinnvoll. Abklärung von TVT-Ursachen ist nur von Bedeutung, wenn eine spezielle Therapie der gefundenen Ursachen nachfolgt Bei älteren Menschen liegt in 15% aller TVT eine maligne Erkrankung vor! Eine weitere Abklärung mit Untersuchung der wichtigsten Organe (Prostata, Colon etc.) sollte deshalb erwogen werden. Anatomische Varianten bzw. Gefäßanomalien sind selten und können bei Verdacht ggf. im Ultraschall detektiert werden. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
13 Die TVT ist gesichert was nun? Eine therapeutische Intervention sollte schnellstmöglich begonnen werden, um eine Lungenembolie zu verhindern eine weitere Ausbreitung des Thrombus zu stoppen das thrombotische Gefäß zu rekanalisieren und damit ein postthrombotisches Syndrom zu vermeiden.
14 Therapie der TVT Die Therapie der TVT besteht aus 3 Prinzipien: 1. Antikoagulation 2. Kompressionstherapie 3. Mobilisation Eine Antikoagulation sollte bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit sofort begonnen werden, auch wenn weitere diagnostische Parameter noch nicht vorliegen! Quelle: modifiziert nach S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
15 Antikoagulation Initiale Antikoagulation womit? Niedermolekulare Heparine (NHM) und Fondaparinux sind seit Mitte der 90er Jahre als Standard etabliert. Eine neue Möglichkeit der initiale Antikoagulation bieten ausgewählte NOAKs Unfraktioniertes Heparin sollte nur noch bei schwerer Niereninsuffizienz oder Dialysepflichtigkeit bei NMH oder Fondaparinux-Kontraindikation eingesetzt werden. Dosis und Applikationshäufigkeit sind von Präparat zu Präparat verschieden. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
16 Dosierung NMH / Fondaparinux Beispiele für NMH Certoparin (Mono Embolex ) Dalteparin (Fragmin ) Enoxaparin (Clexane ) Nadroparin (Fraxiparin ) Reviparin (Clivarodi ) Tinzaparin (Innohep ) Dosierung IE, 2x/d 100 IE/kg KG, 2x/d 200 IE/kg KG, 1x/d 100 IE/kg, 2x/d 0,4-0,9 ml, 2x/d IE ab 60 kg KG, 1x/d 175 IE/kg KG, 1x/d Fondaparinux Fondaparinux (Arixtra ) Dosierung 5-10 mg, 1x/d Quelle: gemäß Fachinformationen der Hersteller, Stand Oktober 2015; Dosisanpassungen bei Risikogruppen beachten
17 Orale Antikoagulanzien Antikoagulation mit oralen Substanzen: Zeitgleich zum Beginn einer Heparin-Therapie also bereits am 1. Tag nach Diagnosesicherung kann eine Behandlung mit Vitamin-K- Antagonisten (Phenprocumon, Marcumar ) begonnen werden. Alternativ dazu können auch die NOAKs Rivaroxaban (Xarelto ) oder Apixaban (Eliquis ) zur initialen Antikoagulation oder im Anschluss an eine NMH-Therapie gegeben werden. Die NOAKs Dabigatran (Pradaxa ) oder Edoxaban (Lixiana ) können erst nach einer 5-7-tägigen Antikoagulation mit NMH angesetzt werden. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015; Fachinformationen der Hersteller, Stand Oktober 2015; Dosisanpassungen bei Risikogruppen beachten.
18 Dosierung orale Antikoagulantia Wie dosiere ich die oralen Antikoagulanzien? Phenprocumon ist ein lang etabliertes Antikoagulans, das allerdings erst aufdosiert werden muss. Der INR-Zielwert liegt zumeist bei 2 3. Regelmäßige Kontrollen der INR sind erforderlich. Die NOAK werden nach festem Schema gegeben. Der Wirkeintritt ist unterschiedlich. Routine-Laborkontrollen sind wenig aussagekräftig. NOAK Rivaroxaban Apixaban Dabigatran Edoxaban Dosierung Tag 1 21: 15 mg 2x/d; ab Tag 22: 20 mg 1x/d Tag 1 7: 10 mg 2x/d ; ab Tag 8: 5 mg 2x/d Tag 1 5 NMH; ab Tag 6: 150 mg 2x/d mind. Tag 1 5 NMH; ab Tag 6: 60 mg 1x/d Quelle: gemäß Fachinformationen der Hersteller, Stand Oktober 2015; Dosisanpassungen bei Risikogruppen beachten
19 Dauer der Antikoagulationstherapie Wie lange eine Antikoagulation durchgeführt werden sollte, hängt von der Ursache der TVT ab: Erstes Ereignis bei transientem Risikofaktor (z.b. OP): 3 Monate Distale idiopathische TVT: 3 Monate Proximale idiopathische TVT: > 3 Monate, ggf. zeitlich unbegrenzt Tumorerkrankung: NMH 3-6 Monate, dann ggf. OAK zeitlich unbegrenzt Rezidiv-TVT: zeitlich unbegrenzt TVT in der Schwangerschaft: NMH bis mind. Ende des Wochenbetts Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
20 Kompressionstherapie Motivieren Sie Ihre Patienten Strümpfe zu tragen! Eine Kompressionstherapie des betroffenen Beines sollte so früh wie möglich durchgeführt werden, um Häufigkeit und Schwere eines postthrombotischen Syndroms zu reduzieren. Bei distaler TVT reichen Waden-Kompressionsstrümpfe (Klasse II). Der Strumpf sollte mindestens 3-6 Monate, bei Hinweis auf venöse Insuffizienz auch dauerhaft getragen werden. Das Wickeln der Extremität mit elastischen Bandagen kann bei starker Schwellung im Frühstadium sinnvoll sein. Das Anpassen eines Kompressionsstrumpfes erfolgt dann nach Abschwellung der Gliedmaße. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
21 Mobilisation Bettlägerigkeit ist passé! Früher galt die strenge Immobilisierung der Patienten als festes Dogma. Heute weiß man, dass Frequenz und Schweregrad von LE (bei bestehender Antikoagulation) nicht davon abhängen. Dies gilt sowohl für distale als auch proximale TVT. (transiente) Immobilisierung nur bei starken Schmerzen Eine stationäre Behandlung ist nur erforderlich, wenn Begleiterkrankungen es erfordern oder eine operative Therapie indiziert ist. Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
22 Interventionelle Eingriffe Operative Indikationen In einzelnen Fällen besteht die Indikation zu einem intravasalen Eingriff. Diese Indikation sollte von einem Gefäßmediziner gestellt werden. Folgende Verfahren können zum Einsatz kommen: Lyse Offene Thrombektomie Katheterintervention Quelle: S2-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 065/002, Stand September 2015
23 Die Beinvenenthrombose Eine klinische Herausforderung im Praxisalltag Dr. Stefan Kleinschmidt, Klinikum Arnsberg Akademisches Lehrkrankenhaus Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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