Außenposten im All Die Internationale Raumstation ISS

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1 Hessischer Rundfunk hr-info Außenposten im All Die Internationale Raumstation ISS von Dirk Wagner Anmoderation: Die Internationale Raumstation ISS ist das größte wissenschaftlich-technische Projekt der Menschheit. Unser einziger Außenposten im All. Seit dem Jahr 2000 ist die Station ständig bewohnt, die Starts zur ISS sind Routine. Aber am 28. Mai dieses Jahres (2014) wird die Aufmerksamkeit in Deutschland besonders groß sein: Zum ersten Mal seit dem Jahr 2008 startet wieder ein Deutscher zur ISS. Der Vulkanforscher Alexander Gerst, Jahrgang 1976, wird ein halbes Jahr lang im All forschen und arbeiten. Seine Mission trägt den Namen blue dot ( blauer Punkt ), was den engen Bezug der wissenschaftlichen Experimente zur Erde deutlich machen soll. Anlässlich des Starts erklärt Dirk Wagner, was auf der Raumstation erforscht wird und welche Bedeutung dieses Projekt insgesamt hat. Autor: Dirk Wagner Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann Sendedatum: Sonntag, , hr-info

2 ISS 01 Musik Major Tom Musik (Klavierintro) Space Oddity in der Version des Astronauten Chris Hadfield Von der Erde aus betrachtet ist die Raumstation ISS nur ein rasender Stern am Himmel. Kurz nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang kann man ihn manchmal sehen. Kaum vorstellbar, dass dort oben, 400 Kilometer über uns, Menschen leben. Und auch ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit uns teilen. ISS 01 Musik Major Tom Musik (erste Strophe) Space Oddity in der Version des Astronauten Chris Hadfield: Ground control to Major Tom Im Jahr 2013 nimmt Kommandant Chris Hadfield von der kanadischen Raumfahrtagentur eine Gitarre in die Hand und produziert mit Hilfe seines Sohnes auf der Erde ein Musikvideo. Eine gefühlvolle Interpretation von David Bowies Space Oddity. Dazu Bilder von Hadfield, wie er durch die ISS schwebt, auf die Erde schaut, Gitarre spielt. Im Internet wird das Video bei Youtube rund 20 Millionen Mal angeklickt. Auf einmal ist die weit entfernte Raumstation den Menschen ganz nahe. ISS 02 Atmo EAC Atmo im Europäischen Astronautenzentrum EAC Auf der Erde kann man der ISS im Europäischen Astronauten- Zentrum EAC in Köln am nächsten kommen. Hier stehen in einer Art Fabrikhalle Teile der Raumstation, nachgebaut in Originalgröße. Modelle für das Training der Mannschaften. Der deutsche Astronaut Reinhold Ewald war 1997 selbst im All, an Bord der russischen Raumstation Mir. Heute arbeitet er im Raumfahrt-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen und ist auch regelmäßig hier im EAC. Ich folge ihm durch eine Tür, die man nur mit einer elektronischen Zugangskarte öffnen kann. Seite 1

3 ISS 03 Ewald Führung 1 O-Ton/Reportagesequenz 1`33 : (Atmo Tür und Schritte in Trainingshalle, Reinhold Ewald): Wir sind jetzt in der großen Trainingshalle. Und Sie sehen auch gleich, was wir hier machen: Wir trainieren an den europäischen Elementen der Raumstation. Das ist zum einen das Columbus- Modul. Modul heißt: Eine Tonne von etwa sieben Metern Länge, und im Inneren ist der Durchmesser etwa 4 Meter 50, so dass man da also wissenschaftliche Geräte an den vier Wänden - Boden, Wände Decke, ist ja egal unterbringen kann. Das ist der Hauptarbeitsraum für die Astronauten, wenn sie an den Geräten arbeiten. Und zum anderen haben wir das eigentliche Raumschiff in dieser Trainingshalle. Das ATV, das Automatische Transfer Vehikel. Automatisch heißt unbemannt. Es kann mit großer Präzision an die Raumstation herangeführt werden und ist der leistungsstärkste Träger für Transportgüter. Flüssigkeiten, Gase, Ersatzteile oder so simple Sachen wie Kleidung und Nahrung. (Zwischenfrage Autor Dirk Wagner): Jetzt stehen wir hier ebenerdig. Da sieht man doch, dass das große Bauteile sind und nur Teile dieser ganzen Station. Geht Ihnen das eigentlich auch noch so, dass man davor steht und sagt: und das alles haben wir da oben ins All gebracht, das ist ja auch eine technische Herausforderung gewesen? (Reinhold Ewald): Vor allen Dingen, wenn ich das im Vergleich sehe zu den Anfängen, zu den ersten Raumschiffen. Da haben wir natürlich mit dieser Raumstation schon ganz andere Möglichkeiten. Da ist Science-Fiction wahr geworden, muss man sagen. Und das in einer relativ kurzen Zeit mit einer doch sehr unerwarteten Partnerschaft. ISS 04 Start Shuttle Endeavour O-Ton Countdown und Start des Space Shuttles Endeavour zur ISS Ende 1998, ca. 0`16 frei stehen lassen. 1998: die ersten Bauteile für die ISS sind starbereit. Den Anfang machen die Russen mit einer Proton-Rakete. Das zweite Bauteil Seite 2

4 bringen die Amerikaner in die Umlaufbahn, mit der Raumfähre Endeavour. Zwei Länder, die sich im Kalten Krieg noch erbittert bekämpft hatten, dazu Japan, Kanada und die europäische Raumfahrtagentur ESA: Alle arbeiten nun zusammen am größten Außenposten der Menschheit im All. Es ist der Beginn einer langen Aufbauphase, in der fast 420 Tonnen Material in die Umlaufbahn gebracht werden. Bei insgesamt 115 Starts verschiedener Raumfahrzeuge, die Mannschaftstransporte mit eingerechnet. An Bord der Endeavour ist 1998 auch der Russe Sergei Krikaljow. Zum Beginn seiner Laufbahn war er noch Kosmonaut der Sowjetunion und flog auf der Raumstation Mir. ISS 05 Krikaljow Kooperation O-Ton englisch mit voice over: Ich erinnere mich, dass ich über Houston geflogen bin, wo die NASA ihr Kontrollzentrum hat, und dachte: Da unten machen die Leute das gleiche wie wir! Oder als wir über Florida den Start eines Space Shuttles sehen konnten. Wir haben uns eher wie Brüder gefühlt - und weniger als Konkurrenten. Vielleicht so wie die Seefahrer: Man kommt aus verschiedenen Ländern. Aber wenn etwas passiert, dann hilft man sich und sorgt sich um den Anderen. Bis aus der gefühlten Bruderschaft im All eine irdische Zusammenarbeit bei der Raumstation wurde, sollte es bis in die 90er Jahre dauern. Zwei Gründe gab es dafür: Die NASA hoffte, Geld zu sparen - was sich später als Trugschluss erweisen sollte - indem man eine Hälfte der Station einfach in Russland bauen lässt. Für Russland wiederum war die ISS nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und kurz vor dem planmäßigen Ende der Raumstation Mir die einzige Möglichkeit, überhaupt noch dauerhaft bemannte Raumfahrt zu betreiben. Dank seiner großen Erfahrung war Kosmonaut Sergei Krikaljow schließlich bei Expedition Eins dabei. Der ersten Mannschaft, die auf der ISS dauerhaft leben und arbeiten durfte. Seite 3

5 ISS 06 O-Ton/Atmo (Funkverkehr) Expedition Eins dockt an, ca. 0`19 Andocken Expedition 1 Als Krikaljow in die Station hinein schwebt, am 2. November 2000, besteht die ISS gerade mal aus drei Modulen. Ungefähr vergleichbar mit der alten Raumstation Mir. ISS 07 Krikaljow Expedition 1 O-Ton englisch mit voice over: Es war alles sehr klein und unvollständig ausgerüstet. Wir haben bei Expedition Eins die Station quasi zum Leben erweckt. Viele Bauteile sind dort oben zum ersten Mal miteinander verbunden worden. Da kam ein Teil aus den USA, eins aus Russland und wieder eins aus einem anderen Land. Normalerweise probieren wir so etwas auf der Erde aus. Aber dieses Mal mussten wir das im Weltraum machen und sehen, ob alles zusammen passt und funktioniert. Seit Expedition Eins ist die Raumstation ständig bewohnt. Erst mit drei, inzwischen mit sechs Astronauten. Jede Besatzung bleibt ein halbes Jahr an Bord, bis die Ablösung kommt. Wie ihr Zuhause im All aussieht, zeigt mir Astronaut Reinhold Ewald im Europäischen Astronautenzentrum in Köln. Über eine Treppe gelangen wir in das Trainingsmodell der Raumstation. ISS 08 Ewald Führung 2 O-Ton/Reportagesequenz 2`00 : (Atmo Schritte auf Treppe zu ISS-Modell, Reinhold Ewald): Diese quadratische Luke, vor der wir jetzt stehen, die gibt es natürlich im All so nicht als Zugang. Da muss schon ein Raumschiff andocken, das hier druckfest abgeschlossen werden kann. Wir nutzen sie hier als Eingang (Autor Dirk Wagner): Also wir stehen jetzt dort, wo eigentlich der Weltraum ist in Wirklichkeit? (Reinhold Ewald): Genau. So fliegt die Raumstation auf uns zu. Seite 4

6 Wenn man auf die linke Seite schaut, kommt Columbus auf uns zu, das Modul, das vom amerikanischen Space Shuttle in einem einzigen Flug mit allen wissenschaftlichen Ausrüstungen 2008 ins All gebracht wurde. Also, man lädt uns hier ein, einzutreten. Das ist natürlich nicht die reelle Situation. (Atmo Schritte durch das Columbus-Modul, Autor Dirk Wagner): Durch diese rechteckige Tür würde man im echten Leben im All natürlich durchschweben? (Reinhold Ewald): Durchschweben und das ist auch nochmal ein Effekt, der den zur Verfügung stehenden Raum vergrößert. Also man muss sich nicht aus dem Weg gehen, indem man mal bei Seite tritt, sondern man kann einfach übereinander schweben. Das hat ein paar Tage Eingewöhnungszeit, dann geht man schon sehr natürlich mit diesem Bewegungszustand um. (Autor Dirk Wagner): Was sofort auffällt: Dieses Modul hat keine Fenster. Ist doch eigentlich schade, man möchte doch die Erde sehen! (Reinhold Ewald): Naja, da streiten natürlich zwei Wünsche miteinander. Das eine ist, diese druckfeste Hülle zu unterbrechen und dort ein Fenster einzubauen. Das ist auch eine ingenieurtechnische Komplikation, ich will nicht sagen Schwierigkeit. Deshalb macht man das an so wenig Orten wie möglich und mit so viel Sinn wie möglich. Wir haben als Fenster angedockt die sogenannte Cupola. Also eine Aussichtskanzel, die ausschließlich dem Zweck dient, Erdfotografie und die Aussicht auf die Elemente der Raumstation zu ermöglichen. Das ist eine 360-Grad-Kuppel, die auch bei den Astronauten sehr beliebt ist. Dafür brauchen diese Wissenschaftsmodule eigentlich keine Fenster. Die ISS ist schließlich auch kein Hotel in der Umlaufbahn, sondern ein Forschungslabor. Insgesamt so groß wie ein Fußballplatz, innen mit so viel Raum wie in einem Jumbo-Jet. Die Gesamtkosten liegen bei schätzungsweise bei 100 Milliarden Euro. Hier wird unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit geforscht. Oben und unten, Seite 5

7 leicht und schwer, das alles hat hier keine Bedeutung. Das nutzen Wissenschaftler, um Grundlagenversuche zu machen. ISS 09 Ewald Nutzen ISS 1 O-Ton Reinhold Ewald, Länge 0`32 : Eins meiner faszinierenden Beispiele ist da die Verbrennungstechnik. Wir haben hier dieses große Handschuhfach. Muss man sich so vorstellen, dass hier ein Glasdeckel durchbrochen wird von zwei Eingriffen, an denen lange Gummihandschuhe befestigt sind. Da machen wir Verbrennungsversuche drin. Und wenn Sie überlegen, wie viele Verbrennungsvorgänge es jeden Tag, jede Sekunde auf der Erde gibt, die industriell genutzt werden: Wenn man da durch die langsame Verbrennung, die wir hier erzeugen können, genau reingucken kann. Was man da an Verbesserungen schon Im Promillebereich erzielen kann, das ist ein großes Potential. Eine Verbrennung läuft in der Schwerelosigkeit wie in Zeitlupe ab, weil die heiße Luft nicht mehr nach oben steigt und kein Kamineffekt entsteht. Dieses Fehlen der Schwerkraft ermöglicht neue Einblicke in physikalische Vorgänge. Auf der ISS werden auch kleine Metall-Proben geschmolzen und wieder zum Erstarren gebracht. Dabei bekommen die Forscher Daten, mit denen sie Computermodelle für die Industrie auf der Erde verbessern können. Etwa um Turbinenschaufeln für Flugzeugtriebwerke aus neuen Legierungen zu entwickeln. Bei einem anderen Versuch des Max- Planck-Instituts in Garching haben Astronauten auf der ISS mit elektrisch geladenem Gas experimentiert, mit sogenanntem kalten Plasma. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Instituts entwickelt daraus nun Desinfektionsgeräte für die Medizin. Diese Liste könnte man fortsetzen. Bislang aber fehlt noch der eine Durchbruch, die eine entscheidende neue Erkenntnis, die jedem sofort klar machen würde, wofür man diese Raumstation braucht. Für Reinhold Ewald ist die Antwort klar. Seite 6

8 ISS 10 Ewald Nutzen ISS 2 O-Ton Reinhold Ewald, Länge 0`28 Das ist in dem Bereich, wo wir uns auch Universitäten leisten oder philosophische Fakultäten. Ich meine: Das ist nicht zielgerichtet in der Hinsicht, dass wir jetzt die großen Menschheitsprobleme hier oben lösen. Aber wir würden es schmerzlich vermissen, wenn wir die Gelegenheit nicht hätten. Das ist es ja, was wir betreiben müssen. Die wissenschaftliche Forschung, die Neugier am Leben erhalten. Auf die nächste Generation übertragen. Wir tun das hier mit den Mitteln der Raumfahrt. Raumfahrt für sich ist ja keine Forschung, sondern ein Ermöglicher von Forschung. Vieles dort oben dient auch der Weiterentwicklung der Raumfahrt. Auf der Raumstation wird untersucht, wie Menschen lange Zeit in Schwerelosigkeit leben können. Wie sich dabei ihre Muskeln und Knochen abbauen, wie sich ihr Immunsystem verändert. Die Astronauten lernen, was sie dagegen tun können und wie sie wenig Ressourcen verbrauchen. Deshalb wird aus ihrem Urin unter anderem Trinkwasser gewonnen. Dieses Wissen kann man auch auf der Erde gebrauchen. Aber vor allem ist es die Grundlage für neue Entdeckungsreisen im All. So sieht das Chris Hadfield, der ehemalige gitarrenspielende Kommandant der ISS. ISS 11 Hadfield Nutzen ISS O-Ton englisch mit voice over: Die Raumstation ist der erste Schritt unserer Spezies weg von zu Hause. Nehmen Sie die Geschichte als Beispiel: Wenn Sie den Atlantik überqueren wollen, bauen Sie auch nicht einfach ein Schiff und fahren drauf los. Sie bleiben erst einmal lange in Sichtweite der Küste, um Segeln zu lernen. Die Raumstation ist genau das: Ein Raumfahrzeug, das uns lehrt, wie man diesen Planeten verlassen kann. Und die Station zeigt uns, wie wir gemeinsam auf etwas hinarbeiten können. Es war schwierig, die Station zu bauen. Es ist schwierig, sie zu betreiben, bei all den Kleinigkeiten, die uns auf der Erde beschäftigen. Aber trotz allem fliegt sie! Ich denke, wenn man in 50 Jahren zurückschaut, dann wird das das größte Vermächtnis Seite 7

9 der Raumstation sein. ISS 12 Musik Major Tom Musik (letzte Strophe) Space Oddity in der Version des Astronauten Chris Hadfield: Planet earth is blue and there s nothing left to do & Gitarrensolo Die ISS soll mindestens bis zum Jahr 2024 um die Erde kreisen. Wahrscheinlich sogar länger, wenn Geld für den Betrieb zur Verfügung steht. Irgendwann aber wird die Station kontrolliert über dem Pazifischen Ozean zum Absturz gebracht. Vielleicht ist dann ja schon ein Astronaut auf dem Weg zum Mond, zu einem Asteroiden oder zum Mars. Und vielleicht hat er dann auch eine Gitarre im Gepäck. Seite 8

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