Konzepte und Entwicklungen beim Risikomanagement komplexer Bauprojekte
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- Hilke Marta Becke
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1 Sonderdruck Schriftenreihe Projektmanagement Heft 2 Konzepte und Entwicklungen beim Risikomanagement komplexer Bauprojekte 2. Kasseler Projektmanagement Symposium 2005 Baumgärtner, Büchler: Systematik der Kostenrisiken am Beispiel Gotthard Basistunnel Herausgeber: Prof. Dr.-Ing. Konrad Spang Dipl.-Ing. Amir Dayyari
2 Systematik der Kostenrisiken - am Beispiel Gotthard Basistunnel Ulrich Baumgärtner Dr.-Ing., Geschäftsführer GIB-Greiner AG, Uitikon/Zürich Toni Büchler Betriebsökonom HWV, exec. MBA., Mitglied der Geschäftsleitung AlpTransit Gotthard AG, Luzern Zusammenfassung Die Frage des Risikos hat bei Tunnelbauvorhaben eine ganz besondere Bedeutung. Beim Gotthard Basistunnel ist das Managementsystem mit dem Risikomanagement hoch integriert und für die Bereiche Qualität, Umwelt, Arbeitssicherheit und Informationssicherheit zertifiziert. Das Risikomanagement hilft, bestehende Risiken zu erkennen und entsprechend der geplanten Risikostrategien Maßnahmen zu planen. Die analytische Aufarbeitung des Komplexes Kostenrisiken führt zu einer allgemein gültigen Systematik. Es wird gezeigt, wie bei diesem Projekt Kostenrisiken methodisch behandelt werden. Der Nutzen zeigt sich in der besseren Transparenz. Durch die Verflechtung der Kostenrisiken mit der Finanzierung und dem Kostencontrolling wird das Risikomanagement von der Pflichtübung zur integrierten Managementaufgabe. 137
3 1 Einleitung Eigentlich ist es eine der einfachsten Weisheiten, dass die Finanzierung eines Projekts den Kosten entsprechen muss. So meint man! Und so lebt der Projektmanager, ein Macher mit der Das-schaffen-wir-Mentalität, glücklich bis er eines Besseren belehrt wird. Sehr früh verunsichert ihn sein Vorgesetzter mit der Einkäufer-Gesinnung. Der kürzt das Projektbudget um 10%, weil man nur unter entsprechenden Kostendruck wirtschaftlich arbeitet und weil vorhandene Ressourcen - hier die Finanzen immer aufgebraucht werden, obwohl auch weniger ausreichen würden. Nach der ersten Orientierungsphase insistiert ein Mitarbeiter, der geborene Bedenkenträger, dass die Finanzierung nie und nimmer reichen kann, weil Unsicherheiten und Gefahren mit dem Projekt verbunden sind. Nach Murphys Gesetz wird alles schief gehen, was schief gehen kann. Im weiteren Verlauf zitiert der Auftraggeber den Projektmanager mehrmals zu sich. Jedes Mal eröffnet er ihm, dass er noch gerne diese kleine Änderung oder auch jene größere Ergänzung am Projekt hätte. Aber natürlich zu gleichen Kosten. Unstrittig bleibt, dass mit der Finanzierung der vereinbarte Leistungsumfang erbracht, die Erwartungen an das Projekt erfüllt und die tatsächlichen Kosten abgedeckt sein müssen. Aber nach welchen Regeln soll die Finanzierung zu Beginn und im Laufe des Projekts bemessen werden? Im konstruktiven Ingenieurbau errechnen wir aus Lastannahmen die Kräfte und bemessen je nach Fall mit einem Sicherheitsbeiwert von etwa 2 die Dimensionen des Bauteils. So deckt man Ungenauigkeiten in den Lasten, Streuungen bei den Materialeigenschaften und Abweichungen zwischen den Modellen und der Wirklichkeit ab. Ein Sicherheitsbeiwert von 2 auf die Kosten ist generell nicht vermittelbar. Seit der Einführung von Excel denkt man nicht mehr in Größenordnungen und bestimmt die vordersten drei oder vier Ziffern mit dem Rechenschieber, sondern glaubt an die vielen Nachkommastellen. Auch die Finanzwelt ist gewohnt nur mit harten Zahlen zu arbeiten. Umso wichtiger ist es deshalb, den Kostenrisiken besondere Aufmerksamkeit zu schenken und diese zu kommunizieren. Kostenrisiken haben bei Tunnelbauvorhaben noch eine ganz besondere Bedeutung. Hier ist der Baustoff, nämlich das aufzufahrende Gebirge, mit den Unschärfen der geologischen Prognose behaftet. Das Bauvolumen liegt weit über dem anderer Projekte, und das absolute Risikopotential ist dementsprechend hoch. Beim Bau des längsten Eisenbahntunnels der Welt, dem Milliardenprojekt Gotthard-Basistunnel, werden die Kostenrisiken entsprechend ihrer Qualität unterschiedlich behandelt, nämlich 138
4 im Risikomanagement, in der Kostenprognose, im Change-Management-System (Änderungswesen) und in der Finanzierung und den Reserven. 2 Das Projekt AlpTransit Gotthard AlpTransit steht für die Neuen Eisenbahn Alpentransversalen Gotthard und Lötschberg. Die Achse Gotthard erstreckt sich von Zürich bis Lugano mit den drei Basistunneln Gotthard, Zimmerberg und Ceneri. Bild 1: Die Neue Eisenbahn Alpentransversale über die Achse Gotthard Der Gotthard Basistunnel wird mit rund 57 km der längste Eisenbahntunnel der Welt. Bei der Projektierung hat bereits der Grundsatz gegolten, dass erkennbare Risiken, wo immer dies möglich ist, zu vermeiden sind. Dies hat schließlich zu einer leicht geschwungenen Tunneltrasse geführt. Trotzdem sind auf dem Weg große Gebirgsüberlagerungen und geologisch schwierige Passagen zu durchörtern. 3 Risikomanagement 3.1 Verfahren Das generelle Vorgehen beim Risikomanagement in Projekten ist in einschlägigen Literaturstellen vielfach beschrieben (z.b. bei PMBOK [1]) und unterscheidet sich nur um Nuancen. 139
5 Für die Projektgesellschaft AlpTransit Gotthard AG, die den Gotthard Basistunnel erstellt, sind in der NEAT Controlling Weisung [2] folgende Schritte festgelegt und erläutert: Festlegen der Ziele und Hauptprojektanforderungen, Risikoidentifikation, Risikobewertung, Risikobeurteilung, Risikostrategie (mit Maßnahmen) und Dokumentation. Es wird zwischen dem strategischen Risikomanagement, das sich auf übergeordneter Ebene mit dem gesamten Vorhaben über alle Projektphasen beschäftigt, und dem operativen Risikomanagement, dessen Betrachtungsfeld jeweils auf einen Ausschnitt des Projekts und eine Phase begrenzt ist, unterschieden. Die Beschäftigung mit den Projektrisiken sensibilisiert für Stolpersteine und Abkürzungen zum Projektziel. Sie hilft Gefahren zu überwinden und Chancen zu nutzen. Deshalb sollte das Risikomanagement zum festen aber nicht zum dominanten Bestandteil im Projektmanagement werden. 3.2 Grenzen der Risikobewertung Für all jene, die an Zahlen glauben und sich an diesen festhalten wollen, wäre es angenehm, wenn man aus den identifizierten Risiken einen Erwartungswert für die zusätzlichen Kosten bilden würde: Risikowert = Eintrittswahrscheinlichkeit x Schadenshöhe Die Summe aller Risikowerte könnte man der Kostenprognose zuschlagen und hätte den richtigen Rahmen für die Finanzierung. Sowohl in der Literatur als auch in der Praxis trifft man immer wieder auf diesen Ansatz (z.b. EMV-Verfahren: Expected Monetary Value). Nach der Erfahrung der Autoren sollten die Risiken aber nicht direkt als Betrag in die Kostenprognose eingehen. Die Schadenshöhe einer eingetretenen Gefahr oder der Nutzen einer realisierten Chance kann mit einer Szenario-Betrachtung vielleicht noch quantifiziert werden. So kann z.b. die Auswirkung einer geänderten Ausbruchsklassenverteilung auf die Kosten errechnet werden. Mit einer worst case und einer best case Variante lässt sich zumindest ein Wertebereich bestimmen. Die Eintretenswahrscheinlichkeit lässt sich weder wie die sechs richtigen Zahlen im Lotto errechnen, noch kann sie stochastisch bestimmt werden, weil jedes Projekt einzigartig ist. Sie ist allenfalls subjektive abschätzbar. Dies ist mangels ausreichender Erfahrung besonders bei der Einschätzung von geringen Wahrscheinlichkeiten schwierig. 140
6 Beim Schritt der Identifikation werden die Risiken zunächst einzeln betrachtet. Risiken sind nicht prinzipiell unkorreliert, d.h. voneinander unabhängig. In der Bewertung sollten gegenseitige Abhängigkeiten berücksichtigt werden: Risikoantinomie: zwei Risikoereignisse schließen sich gegenseitig aus; Risikokonkurrenz: die Erhöhung der Eintretenswahrscheinlichkeit für das eine Risikoereignis senkt die Eintretenswahrscheinlichkeit für das andere Risiko; Risikokomplementarität: das Eintreten des einen Risikoereignisses erhöht die Eintretenswahrscheinlichkeit des anderen Risikoereignisses. Ein Risikowert könnte theoretisch errechnet werden. Aber wie die Ausführungen zeigen, wäre dieser mit so hohen Unsicherheiten belastet, dass er sehr leicht angreifbar wäre. Die Glaubwürdigkeit des Risikomanagements würde mehr leiden, als dieser Risikowert nutzen könnte. Das Risikomanagement bedient sich deshalb der Portfoliomethode. Die Parameter Ausmaß und Eintretenswahrscheinlichkeit werden nur qualitativ als groß, mittel oder klein dargestellt. Bild 2: Risikosituation Gesamtprojekt Stand (aus dem Standbericht der AlpTransit Gotthard AG, [3], S. 135) Diese qualitative Risikobewertung ist vollkommen ausreichend, um die Relevanz eines Risikos zu beurteilen: Risiken mit großem Ausmaß und großer Eintretenswahrscheinlichkeit bleiben trotz Risikostrategien und Maßnahmen im Fokus. Risiken mit kleinem Ausmaß und klei- 141
7 ner Eintretenswahrscheinlichkeit können, mit den eingeleiteten Maßnahmen unter Umständen vernachlässigt werden. 3.3 Die Theorie der Reserve Hätte der Risikowert für die Bemessung denn überhaupt einen Nutzen, wenn wir ihn quantitativ bestimmen würden? Nehmen wir an, der Risikowert für das gesamte Projekt könnte verlässlich berechnet werden. Dann unterliegt dieser selbst einer statistischen Verteilung. Unterstellt man dem Kostenrisiko eine Normalverteilung, würde eine Reserve in Höhe des Risikowerts nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% ausreichend sein. Wollte man die notwendige Reserve für einen Vertrauensbereich von 95% vorsehen, müsste man zusätzlich die Standardabweichung σ der Verteilung kennen und die Reserve entsprechend der nachfolgenden Formel einstellen: Reserve (95%) = Risikowert + 1,65 σ wahrscheinlichster Risikowert µ Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit P = 50% Standardabweichung σ 1,65 σ 5%-Fraktile Kostenrisiko Reserve für Sicherheit 95% Bild 3: Reserve für ein normalverteiltes Kostenrisiko und eine Sicherheit von 95% Es ist jedoch eher davon auszugehen, dass der Risikowert einer unsymmetrischen Verteilung (z.b. einer Beta-Verteilung oder einer Chi-Quadrat-Verteilung) folgt. Wir müssten auch hier die Verteilungsparameter annehmen, um die notwendige Reserve für einen gewünschten Konfidenzbereich errechnen zu können. 142
8 Die Ausführungen zeigen, dass der streng mathematische Weg nicht zum Ziel führt, weil die vielen Annahmen und Einschätzungen das Ergebnis sehr in Frage stellen würden. Risikomanagement ist keine Mathematikaufgabe sondern ein Denksport. 3.4 Die Reserve für Unvorhergesehenes" Am Ende bleibt uns also nichts anderes übrig, als eine finanzielle Reserve aus den Überlegungen des Risikomanagements abzuschätzen und je nach Sicherheitsbedürfnis aber auch nach finanziellem Spielraum festzulegen. Optionen auf eine Nachfinanzierung oder eine Verzichtsplanung werden eine solche Entscheidung sicher auch beeinflussen. Das Risikomanagement beschäftigt sich mit den Dingen von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen. Wir sehen die Risiken vorher, wissen aber ihr Eintreten und Ausmaß nicht, also vorhergesehene Risiken. Darüber hinaus gibt es eine weitere Unwissenheitsstufe, nämlich die Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Darunter fallen alle Risiken, die wir nicht ahnen und die somit gar nicht in das Risikomanagement eingehen, also unvorhergesehene Risiken. Im Sprachgebrauch hat sich für beide Unwissenheitsstufen der nicht ganz korrekte Begriff Unvorhergesehenes etabliert. Um allgemein verständlich zu bleiben, verwenden auch wir diesen Ausdruck und fassen beide Reserven in der Reserve für Unvorhergesehenes zusammen. 4 Endwert- oder Kostenprognose Die Kostenprognose beschäftigt sich mit den Dingen, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Auf der Basis von bekannten Leistungen werden Kosten ermittelt. Die damit verbundenen Unschärfen kennen wir und können diese als Risiken quantifizieren. 4.1 Verfahren der Kostenprognose Das Projekt wird in Phasen unterteilt. Am Ende jeder Phase werden die Erkenntnisse in Dokumenten zusammengefasst. Die konsolidierten Ergebnisse werden als Rahmenbedingungen in die folgende Phase übernommen. Von Phase zu Phase wird genauer geplant, und die Ergebnisse bilden immer exakter und detaillierter das endgültige Projekt ab. Dieses allgemeine Vorgehen gilt auch für den Aspekt der Kosten. Hier arbeiten wir entsprechend den Projektphasen mit Kostenschätzung gemäß Vorprojekt, Kostenschätzung gemäß Auflageprojekt, Kostenvoranschlag gemäß Bauprojekt, Vertrag und Schlussrechnung. 143
9 In die Endwertprognose, so heißt die Kostenhochrechnung auf das Bauende, geht jeweils der letzte erreichte Erkenntnisstand ein. Die Komplexität von großen Projekten entzerrt man, indem man überschaubare und gegeneinander abgrenzbare Projektteile bildet. Diese werden einzeln bearbeitet und können sich deshalb auch in unterschiedlichen Phasen befinden. Für die Endwertprognose werden die Projektteile, jeweils entsprechend ihrem neuesten Erkenntnisstand, wieder zu einem Ganzen kombiniert. Die Endkosten setzen sich dann aus unterschiedlichen Planungs- oder Ausführungsständen zusammen. Eine sehr viel ausführlichere und exaktere Beschreibung der Kostenprognose findet sich bei Baumgärtner, Hagedorn und Büchler [4]. 4.2 Grenzen der Genauigkeit Die Genauigkeit nimmt in jeder Planungsphase zu. Am Offenkundigsten wird dies in der zeichnerischen Darstellung. In frühen Phasen genügt ein grober Maßstab, der mit fortschreitender Phase feiner wird. Gleiches gilt für die Qualität der Kostenplanungen. So kann man für jede Phase von unterschiedlichen Streumaßen ausgehen: Tabelle 1: Streumaß Phase Kostendokument Streumaß Vorprojekt Kostenschätzung gemäß Vorprojekt + / - 20% Auflageprojekt Kostenschätzung gemäß Auflageprojekt + / - 15% Bauprojekt Kostenvoranschlag gemäß Bauprojekt + / - 10% Ausführung Vertrag + 7% / - 0% *) Abrechnung Schlussrechnung + / - 0% *) je nach Vertragsstand Mit dem Streumaß wird die Genauigkeit der Planung beschrieben. Das Streumaß beinhaltet die Unschärfen der Leistung aber keine Änderungen der Leistung. Die Endkosten sind eine Kombination verschiedener Kostendokumente. Analog lässt sich das Streumaß der Endkosten aus der Kombination der Streumaße der herangezogenen Kostendokumente errechnen. 144
10 Bild 4: Zusammensetzung der Endwertprognose mit den zugehörigen Streumaßen 4.3 Reserve für Streumaß Das Kostenrisiko aus den Unschärfen der Planung lässt sich, wie gezeigt wurde, sehr gut errechnen. Je nach Sicherheitsbedürfnis und anderen Determinanten sollte dieses Risiko ganz oder zu einem bestimmten Prozentsatz in den Finanzierungsrahmen aufgenommen werden. Wir bezeichnen dies als Reserve für das Streumaß. Diese Reserve deckt das Restrisiko des Projekts ab, wenn alle Maßnahmen der Risikostrategie erfolgreich wirken. Es erhöht die Transparenz wesentlich, wenn die Reserve für Unvorhergesehenes und die Reserve für das Streumaß immer getrennt betrachtet werden. Diejenige für das Streumaß wird mit zunehmendem Projektfortschritt immer kleiner. Sie wird mit entstandenen Mehroder Minderkosten bewirtschaftet. Überschüsse können aufgelöst werden und eventuell anderen Verwendungen zugeführt werden. 4.4 Frühindikator zur Reserve für Streumaß Die Endkosten werden aus einer Kombination verschiedener Kostendokumente errechnet. Die Endwertprognose baut dabei nur auf den Dokumenten auf, die einen gesicherten Stand haben, z.b. Kostenpläne, die genehmigt sind, oder Verträge, die unterzeichnet sind. Risiken 145
11 mit hoher Eintretenswahrscheinlichkeit werden quantifiziert und mitberücksichtigt. Diese endgültigen oder harten Werte geben den derzeitigen sicheren Wissenstand wieder. Um zu erkennen, wie sich die Endkosten und die Reserve für Streumaß entwickeln werden, können in eine Variante der Endwertprognose auch schon Dokumente einbezogen werden, die noch keinen gesicherten Stand haben. Beispielsweise könnte ein Vertrag bereits verhandelt, aber noch nicht unterschrieben sein. Die harte Endwertprognose dürfte diesen Vertrag nicht berücksichtigen, sie muss sich auf den letzten gesicherten Stand stützen, nämlich den genehmigten Kostenvoranschlag für den Leistungsumfang dieses Vertrags. Dagegen würde der Vertragswert bereits in jene Variante eingehen, die auch provisorische Dokumente oder weiche Werte berücksichtigt. 5 Change-Management Ein konsequentes Risikomanagement darf nicht, wie allgemein üblich, bei der Risikostrategie und Dokumentation stehen bleiben (vgl. Ziff. 3.1). Was passiert, wenn ein Risiko eingetreten ist? Eingetretene Risiken bzw. die dazu getroffenen Maßnahmen führen zu Projektänderungen. Das Change-Management oder Änderungswesen ist die Methode, mit der alle Änderungen in einem Projekt verfolgt und dokumentiert werden. 5.1 Verfahren Das Grundprinzip des Change-Managements ist einfach und vom Vertragswesen allgemein bekannt. Bei einer Änderung wird nicht der bereits unterzeichnete Vertrag geändert, sondern ein Nachtrag oder eine gesonderte Vertragsänderung vereinbart. Der aktuelle Vertragsumfang ergibt sich dann aus dem ursprünglichen Vertrag und allen seinen Vertragsänderungen. Es gilt immer: ursprünglicher Wert + Änderungen = aktueller Wert Diese Methode überträgt man auf die Kostendokumente aller Phasen und schafft damit die Basis für das Änderungswesen. Die weitere sehr komplexe Logik soll hier nicht vertieft werden. 5.2 Reserven für Risiken und Budget für Änderungen Für die Transparenz im Projekt ist es sehr wichtig, Änderungswünsche von eingetretenen Risiken zu unterscheiden: Die Reserven für Risiken sollten diesen vorbehalten bleiben. Änderungen, die aufgrund neuer Erkenntnisse oder Wünsche entstehen, sollten ein eigenes Änderungs-Budget bei der Finanzierung erhalten. 146
12 Durch eine Klassifizierung der Änderungen nach Risiken (z.b. Baugrund) und nach Änderungen (z.b. Verbesserungen) ist dies leicht möglich. Eine getrennte Bewirtschaftung reduziert die Versuchung, Sicherheiten (Reserven) durch Wünsche (Änderungsbudget) aufzubrauchen. 6 Die Entwicklung eines Risikos im Projektverlauf Am Beispiel des geologischen Risikos kann die dargelegte Theorie graphisch verdeutlicht werden. Bild 5 zeigt den geologischen Querschnitt entlang des Gotthard Basistunnels und die örtliche Verteilung des Kostenrisikos. Bild 5: Geologische Risikobereiche 1992 (Vorprojekt) und Kostengenauigkeit von +/- 25% Zu Zeiten des Vorprojekts vermutete man das höchste Risikopotential im verwitterten Dolomit-Anhydrit-Marmor der Piora-Mulde. Die mögliche Gefahr konnte durch Sondierungen für über 100 Mio. CHF soweit geklärt werden, dass man heute keine außergewöhnliche Herausforderung für den Vortrieb mehr sieht. Im Tavetscher Zwischenmassiv und der Urseren-Garvera-Zone erwartete man Gebirge mit weichem, wenig standfestem Gestein. Sondierbohrungen haben dies bestätigt. Mangels besserer Alternativen musste man das Risiko hier tragen. Ein wesentlicher Teil wurde mittlerweile aufgefahren. Das Termin- und damit auch Kostenrisiko in der Hangschuttzone Ganna di Bodio hat man vermindert, indem die schwierige Zone mit einem zusätzlichen Umgehungsstollen im stand- 147
13 festen Fels umfahren wurde. Die bautechnisch anspruchsvolle Lockergesteinsstrecke konnte danach termin- und kostengerecht erstellt werden. Die Risiken der Intschi-Zone mit weichen, leicht verformbaren und wenig standfesten Gestein wurden mit vorauseilenden Sondierbohrungen begrenzt. Heute, also dreizehn Jahre später, ist der Vortrieb in vollem Gange. Einige geologisch schwierige Passagen sind bereits überwunden. Die Verteilung des Restrisikos aus Geologie sieht folgendermaßen aus. Bild 6: Restrisiko Geologie (Ausführung), Kostengenauigkeit +/- 10% Dem heute gesunkenen Gesamtrisiko stehen im Änderungswesen Mehrkosten aus teilweise eingetretenen geologischen Risiken in den aufgefahrenen Bereichen gegenüber. 7 Schlussfolgerung Die Erfahrung zeigt, dass man eine wesentlich bessere Transparenz im Projekt erhält, wenn man die Endkosten aus endgültigen ( harten ) Werten errechnet und die Höhe der Risiken für Streumaß und Unvorhergesehenes getrennt betrachtet. Letztendlich ist dies eine ehrlichere Darstellung als die Einrechnung aller Risiken in die Endkosten. Allerdings erwächst daraus ein wesentlich höherer Kommunikationsaufwand, um das richtige Verständnis bei den Projektbeteiligten und der Öffentlichkeit zu erlangen. 148
14 Aus dem Blickwinkel der Finanzierung sollten die vier identifizierten Verwendungen getrennt bewirtschaftet werden, nämlich das Budget für die geplanten Kosten, die Reserven für Unvorhergesehenes, die Reserven für Streumaß und das Budget für Änderungen. Wenn diese Regeln in die Systematik des Projektcontrollings aufgenommen werden, können etwaige Mehrkosten, die eben aus sehr vielen Gründen entstehen können, auf einer sehr sachlichen Basis diskutiert werden. 8 Literaturverzeichnis [1] Project Management Institute, Inc.: A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK Guide). 3. Ausgabe, 2004; Kapitel 11, S [2] Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation: NEAT Controlling Weisung. Version 4.00 vom ; Anhang 16 [3] AlpTransit Gotthard AG: Standbericht II/2004, Juli Dezember 2004; Nr. 8; S [4] Baumgärtner, U.; Hagedorn, T.; Büchler, T.: Baubegleitende Kostenprognose bei Megaprojekten am Beispiel Tunnelbau. In: Bauingenieur (79) 2004; Nr. 2; S
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