Rede von. Christian Lindner MdB Generalsekretär der FDP. anlässlich der Verleihung der Liberta 2010 an. Dr. Halima Alaiyan
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1 Rede von Christian Lindner MdB Generalsekretär der FDP anlässlich der Verleihung der Liberta 2010 an Dr. Halima Alaiyan am 10. November 2010 in Berlin Es gilt das gesprochene Wort! 1
2 Anrede Wir verleihen heute die vierte liberta und ehren mit diesem Bürgerinnenpreis Frauen, die ihren eigenen Weg gehen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Frauen, die sich von Widerständen und Gegenwind nicht beirren lassen. Die sich für andere einsetzen und Verantwortung übernehmen. Frauen, denen persönliche und gesellschaftliche Freiheit und Toleranz lebenswichtig sind und die mit ihrem Mut und ihrem ganz persönlichen Engagement Spuren hinterlassen. Dr. Halima Alaiyan, unsere diesjährige Preisträgerin, ist eine solche Frau und ich freue mich sehr, dass ich Ihre Verdienste heute hier würdigen darf. Halima Alaiyans Biographie liest sich wie ein großer Roman: Spannend, schön, aber auch mit tieftragischen Momenten. So tragisch manchmal, dass weniger starke Persönlichkeiten an den traumatischen Erlebnissen vielleicht zerbrochen, mindestens aber verzweifelt wären. 2
3 1948 in Palästina geboren, müssen ihre Eltern mit dem kleinen Mädchen nach Ägypten fliehen. Sechzehnjährig wird sie mit einem Cousin verheiratet, bekommt drei Kinder, davon einen Sohn der mit einer unheilbaren Blutkrankheit auf die Welt kommt. Die ersten Ehejahre verbringt die junge Frau eigentlich noch ein Mädchen bei den Schwiegereltern in Saudi-Arabien. Ihr Mann beginnt zu dieser Zeit ein Medizinstudium in Deutschland. Es dauert lange sie muss einige Zeit in einem Flüchtlingslager in Gaza verbringen - bis sie ihrem Mann nachfolgen kann. Als sie es endlich kann, dürfen ihre Kinder nicht mit ihr gehen und müssen den 6-Tage-Krieg ohne Kontakt zu den Eltern verbringen. Das ist mit der Bezeichnung Albtraum ganz sicher nur höchst unzureichend umschrieben. Deutschland nimmt sie auf. Doch das Leben, das sie hier führt, befriedigt die junge Frau nicht. Ihre Kinder sind nicht hier, sie spricht die Sprache nicht, sie hat keinen Beruf und teilt ihr Leben mit einem Ehepartner, der ihr nicht Partner ist, sondern vorrangig seinen eigenen Interessen nachgeht. Jetzt nimmt sie ihr Leben fest in die eigene Hand. Sie lernt Deutsch, jobbt im Krankenhaus und spart Geld, mit dem sie endlich ihren Sohn und die Töchter nach Deutschland holt. 3
4 Und schließlich legt sie in dieser Zeit wichtige Grundsteine für ihre weitere persönliche Entwicklung: Sie erreicht die Einwilligung zur Scheidung, lässt sich zur Medizinisch Technischen Assistentin ausbilden, und studiert Medizin promoviert sie, arbeitet zunächst als Oberärztin an der Uniklinik des Saarlandes und später in eigener Praxis trifft sie der schwerste Schicksalsschlag. Ihr Sohn Talat stirbt an seiner schweren Blutkrankheit. Halima Alaiyan wächst an diesem für eine Mutter wohl traumatischsten Erlebnis. Sie sucht nach Möglichkeiten der Verarbeitung und schreibt ein Buch: Vertreibung aus dem Paradies. Meine lange Flucht aus Palästina Das Buch erscheint 2003 und in genau diesem Jahr gründet sie ihre Stiftung, der sie den Namen ihres Sohnes gibt: Talat Alaiyan- Stiftung. Zu 100 % fließen die Erlöse ihrer Autobiographie der Stiftung zu. Die Talat Alaiyan-Stiftung führt Jugendliche aus Israel, Palästina und Deutschland zusammen. Als sensible und zutiefst selbst betroffene Wanderin zwischen den Welten hat Halima Alaiyan erspürt und verstanden, dass die Hoffnung auf Frieden, Verständigung, Gewaltlosigkeit und Freiheit am stärksten und 4
5 besten im Denken und Fühlen junger Menschen verankert werden kann. Begegnung Austausch Aufklärung Versöhnung Freundschaft - das sind die Begriffe, unter denen die Talat Alaiyan-Stiftung agiert. Begegnung interessiertes, vorsichtiges, manchmal auch skeptisches Aufeinanderzugehen junger Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion. Gemeinsame Sommercamps helfen den jungen Leuten, Feindbilder abzubauen und zu einem wirklichen Miteinander zu finden. Die Vorstellung, dass Jugendliche aus Israel, Palästina, Luxemburg, Frankreich und Deutschland Hand in Hand über die deutsch-französische Grenze gehen, so wie es die Stiftung organisiert hat, ist ein wunderbares Symbol, das eine große Hoffnung in sich birgt: Die Hoffnung, dass ein solcher Gang irgendwann auch einmal zwischen Israel und Palästina möglich sein kann und wird. Austausch und Aufklärung - Halima Alaiyan kennt die positive und auch heilsame Wirkung beider. Die Menschen wissen wenig voneinander, Fronten und Vorurteile herrschen bei Israelis, 5
6 Palästinensern und Deutschen hat sie einmal gesagt. Die Diskussion unterschiedlicher Positionen und Sichtweisen junger Menschen zu den Problemen unserer Zeit zu fördern, ist ihr deshalb ein wichtiges Anliegen. Sie will die aktive Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart. Dazu gehören für sie die Thematisierung der monströsen Verbrechen des Holocaust ebenso wie die Debatte um die aktuelle Hass- und Gewaltspirale in Nahost. Wissen, Verstehen und über dieses Verstehen zueinander finden. Das ist für Halima Alaiyan die Basis eines friedlichen und gewaltlosen Zusammenlebens in Zukunft, das sie auch mit den Angeboten ihrer Stiftung erreichen möchte. Versöhnung und Freundschaft Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt eher schwierig und wie sehr ferne Zukunftsmusik anmuten. Dr. Alaiyan ist keine weltfremde Träumerin sondern eine zutiefst realistische Frau. Und sie ist eine zupackende Optimistin, die genau weiß, dass auch der längste Weg mit einem ersten Schritt beginnt. Es gibt viele kleine Erfolge, viele einzelne Tropfen, aus denen eines Tages ein See wird hat sie kürzlich in einem Interview gesagt. Und wenn sie erzählt, dass die Teilnehmer an den Veranstaltungen der Stiftung nach ihrem Deutschlandbesuch einen regen Mail- und Internetkontakt 6
7 begonnen haben, der auch während des Gaza-Krieges nicht abriss, spürt man die berechtigte Freude auf das schon Erreichte. Halima Alaiyan gehen die Ideen und Vorhaben nicht aus. Sie könnte sich eine FIFA-Fußballmannschaft aus Israelis, Palästinensern und Deutschen vorstellen und würde sich ich denke ein bisschen augenzwinkernd natürlich als Mannschaftsärztin zur Verfügung stellen. Ihre Stiftung setzt sich dafür ein, dass in der Hadassah- Kinderklinik in Ost-Jerusalem israelische und palästinensische Kinder gemeinsam behandelt werden. Hier sucht sie Sponsoren für die Behandlung palästinensischer Kinder, die nicht krankenversichert sind und möchte palästinensischen Ärzten die Facharztausbildung ermöglichen. Eine Extremistin der Gewaltlosigkeit hat sie ein Interviewer kürzlich genannt. Ich bin mir nicht sicher, ob es das wirklich trifft. Konsequent, engagiert und mit ganzem Einsatz schon eher. Halima Alaiyan ist eine Frau, der es gelungen ist, leidvolle persönliche Erfahrungen nicht in Bitternis und Resignation umschlagen zu lassen, sondern diese Erfahrungen umzumünzen in Verantwortung, in Einsatz und Engagement für diejenigen, die Hilfe und Unterstützung brauchen. 7
8 Sie ist einen sicher häufig auch schweren Weg der Erkenntnis gegangen, den sie als richtig erkannt hat und jetzt auch für andere begehbar machen will. Mit den vielen kleinen Mosaiksteinen der Aktionen und Initiativen der Talat-Alaiyan-Stiftung arbeitet sie an ihrer Zukunftsvision eines friedlichen und gewaltfreien Zusammenlebens zwischen Palästinensern und Israelis und der Einbeziehung deutscher Jugendlicher in diesen Prozess der Verständigung. Wege finden. Wege zu mehr Gemeinsamkeit, Verständnis, Respekt und Toleranz in einer immer kleiner werdenden Welt. Das könnte als Motto über dem Wirken von Halima Alaiyan stehen. Ich wünsche mir, dass unser Preis auch einen kleinen Beitrag leisten kann, dass das Wirken von Dr. Halima Alaiyan und die Aktivitäten der Talat Alaiyan-Stiftung weiterhin die öffentliche Anerkennung erfährt, die ihr zukommt. Weiterhin viel Erfolg und ganz herzlichen Glückwunsch, Dr. Alaiyan zur liberta
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