Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die Westbindung der

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Teresa Siegel
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1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Alexander Kluge: 30.April Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die Westbindung der Deutschen begann Mit einem Gastbeitrag von Reinhard Jirgl Suhrkamp Verlag 316 Seiten 24,95 Euro Rezension von Dietrich Kreidt Donnerstag, (14:55 15:00 Uhr)

2 Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

3 Von Dietrich Kreidt Autor: Anstelle eines Nachworts zitiert Alexander Kluge eigene Tagebuchaufzeichnungen, die Aufschluß geben über die Probleme, die er beim Schreiben des Buchs hatte: Sprecher: Samstag, 3. August 2013, Elmau Schreibblockade. Es ist schwer, die verwirrenden, aber konkreten Tatsachen des 30. April 1945 mit der Perspektive aus viel späteren Jahren, in der Stunde Null sei ein Neubeginn enthalten, zu verknüpfen. Autor: Alexander Kluge war, als Hitler sich erschoß, 13 Jahre alt. Sein damaliger persönlicher Erfahrungshorizont war naturgemäß eng. Aber es geht auch gar nicht um Memoiren oder um irgendeine Form eines Lebensromans. Vielmehr experimentiert Kluge mit einer Erzählform, die zwischen Kolportage und historischer Dokumentation changiert. Die einzige strenge, selbstgewählte Vorgabe ist, dass sich alles um jenes Datum, den 30. April 1945, drehen muß. Die vielen kleinen Geschichten, die Kluge aus Medienarchiven, aus Zeitungs- und Rundfunknachrichten- und Interviews zusammenmontiert, ergeben keine kohärenten Lebenszusammenhänge, sie bleiben Patchwork, wirken wie die Glassplitter eines zerborstenen Spiegels oder Facetten eines Kaleidoskops.

4 30. April Während wie die personifizierte Nemesis die Alliierten in Deutschland vorrücken, treten die verschiedensten Figuren in grelles Rampenlicht: Überall Flüchtende, orientierunglos Herumirrende; in den Wäldern Reste von Werwolfverbänden, Suizidaktionen auch bei Menschen, die sich nichts zuschulden kommen ließen. In dieses Konzept des disparaten Erzählens fügt sich hervorragend der Gastbeitrag von Reinhard Jirgl ein. Eigentlich sind es mehrere Texte, die im genannten Zeitraum spielen, darunter eine Geschichte, die einen kleinen Roman für sich bildet: Wolfgang H., ein sechzehnjähriger Kriegswaisenjunge aus Ostpreußen, schließt sich einem Flüchtlings-Treck aus der Heimat an und kämpft sich durch nach Berlin. Alexander Kluge ist ein außerordentlich vielfältiges Stimmungspanorama um den 30.April 1945 gelungen. Es liegt ihm fern, eine politische Analyse oder eine historisch-kritische Beurteilung zu liefern. Umso eindrucksvoller das Mosaik, das aus den tausend Einzelheiten doch ein Gesamtbild dieser vergessenen und verdrängten Periode entstehen lässt, ein Bild, das gelegentlich sogar poetisch-humoristische Züge trägt. Martin Heidegger, der diese Tage mit einem kleinen Kreis treuer Kollegen und Studenten auf Burg Wildenstein an der Donau verbringt, wird als Kronzeuge der absurden Situation herbeizitiert. Kluge kommentiert ironisch:

5 Sprecher: Der Zeitgeschichte, dem bloß Seienden der Welt davonzusegeln und zehn Jahre später wieder an den Ufern Deutschlands anzulegen, das wäre ein Projekt, für das sich einzutreten lohnte. Im Weinkeller von Burg Wildenstein war eine Kiste deponiert, in der sich Mitteilungen an die Nachwelt befanden. Keine Mittel aber existierten, das Produkt von Burg Wildenstein in die Welt zu bringen... Gerade dass man eine Flaschenpost von Burg Wildenstein donauabwärts in einem verschlossenen Behälter, ähnlich einem Ein-Mann-Boot, hätte versenden können! Aber wen erreicht man über das Schwarze Meer, wenn doch die Küsten Abchasiens keine Kolcher und keine Medea mehr beherbergen?

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