Haftungsrecht Mindestmengen Perinatalzentren
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- Christin Fried
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1 Qualitätssicherungskonferenz des Gemeinsamen Bundesausschusses 2010 Medizin trifft Recht Haftungsrecht Mindestmengen Perinatalzentren Dr. iur. Esther Hassert Potsdam, 29. November 2010
2 Übersicht Entwicklung und Rechtsgrundlagen der NICU- Mindestmenge Systematik des Arzthaftungsrechts Anknüpfungspunkte für Haftpflicht Rechtsprechung zur Geburt am falschen Ort Fazit / Prognose 2
3 Entwicklung und Rechtsgrundlagen der NICU-Mindestmenge NICU-Strukturvereinbarung vom ( 137 I Nr. 2 SGB V) 4-Stufenkonzept der neonatologischen Versorgung gestaffelt nach Schätzgewicht + Gestationsalter kombiniert mit weiteren strukturellen Vorgaben Intermezzo Regelmäßigkeitszahl 13 für Level ( Behandlungsintervall ) NICU-Mindestmengenvereinbarung ( 137 III Nr. 2, 91 SGB V) Behandlungsergebnis in besonderem Maße abhängig von Leistungsmenge IQWiG: kein kausaler Zusammenhang, aber eindeutige Hinweise auf Korrelation Überführung der Regelmäßigkeitszahl 13 in Mindestmenge 14 für Level Beschluss vom : Mindestmenge 30 für Level 1 + keine Mindestmenge mehr für Level 2 Mutterschafts-Richtlinien vom ( 92 SGB V) Risikoschwangerschaft: drohende Frühgeburt (vorzeitige Wehen, Cervixinsuffizienz) Beratung bei der Wahl der Klinik über personelle und apparative Möglichkeiten 3
4 Systematik des Arzthaftungsrechts Behandlungsfehler = Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt ( 276 BGB), d.h. den jeweils zu fordernden Standard (BGH NJW 1995, 778; 1999,1778) Gesundheitsschaden = Frühgeborenen-Enzephalopathie bzw. periventrikuläre Leukomalazie+ neurologische Folgeschäden Kausalität = Zusammenhang zwischen BF + Schaden ( Hirnschaden in seiner konkreten Ausprägung, siehe BGH NJW 1992, 3298; VersR 1998, 1153) Medizinische Fragen nicht ohne Sachverständigen zu klären Darlegungs- und Beweislast trägt grundsätzlich der Patient! Behandlungsstandard ist anhand von sämtlichen gesicherten medizinischen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen auf dem jeweiligen Gebiet zu ermitteln (Mindestmenge ausreichend evaluiert? Bsp. LG Rostock zur E-E-Zeit) Kausalitätsnachweis regelmäßig nicht zu erbringen, weil Hirnschädigung immer auch alleine mit schicksalhaften prä-/postnatalen Ursachen/Komplikationen erklärt werden kann (Extrembeispiel OLG Naumburg) 4
5 Anknüpfungspunkte für Haftpflicht Rechtsfigur grober Behandlungsfehler/Organisationsverschulden = eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Facharzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH VersR 1998, 457) Beweislastumkehr zur Kausalität und in der Regel Haftung! Bei Geburt in PZ Level 2 statt 1, d.h. Unterschied von nur 1 Versorgungsstufe? Bei Differenz von 2 oder 3 Versorgungsstufen ( Gesamtpaket PZ Level 1)? Übernahmeverschulden = erkennbar Grenzen des Fachgebiets oder persönliche Fähigkeiten überschritten oder apparative/personelle Ausstattung nicht ausreichend nur prima-facie-beweis, der erschüttert werden kann Aufklärungsfehler = unterlassener Hinweis auf bessere Behandlungschancen in Perinatalzentrum Level 1 mit durch Mindestmenge ausgewiesener Erfahrung keinerlei Beweiserleichterungen (kein grober Aufklärungsfehler!) 5
6 Rechtsprechung zur Geburt am falschen Ort OLG Oldenburg, Urteil vom , Az. 5 U 30/07 (rechtskräftig - Beschluss des BGH vom , Az. VI ZR 70/08): Nichtverlegung einer Schwangeren in ein Zentrum der Maximalversorgung (Perinatalzentrum) grob fehlerhaft, wenn mit FG < 27. SSW und/oder Geburtsgewicht < g gerechnet werden muss. eindeutige Gutachtermeinung, wonach es u.a. in hohem Maße auf die Erfahrung ankomme. Offen gelassen, ob Leitlinien aus Vorjahr Standard wiedergegeben haben. Auch unerheblich, ob Begriff Perinatalzentrum schon näher definiert war. Vorinstanz LG Aurich: rechtsirrtümlich Haftpflicht wegen grober Aufklärungspflichtverletzung LG Hof, Urteil vom , Az. 11 O 89/02 (iuris): Zwar im Jahr 1987 noch keine Leitlinie. Gleichwohl bereits aus zahlreichen Publikationen bekannt, dass Regionalisierung sowohl das Überleben selbst als auch die Qualität des Überlebens von Frühgeborenen verbessere. Deshalb sei ein diesbezüglicher Standard festzustellen. 6
7 OLG Naumburg, Urteil vom , Az. 1 U 161/99, VersR 2001, 1295: FG (26. SSW, 800 g) kam 1992 im Städt. Klinikum D., das sich zu dieser Zeit als Perinatales Zentrum geriert hatte, spontan ohne Lebenszeichen zur Welt und wurde nicht in den vorhandenen Reanimations-, sondern in einen Nebenraum ( Spülraum ) verbracht und nicht weiter ärztlich versorgt. 9 Std. später (Dienstbeginn) wies das tot geglaubte Kind eine Schnappatmung auf (APGAR 5-6 Punkte, Körpertemp. 32 C). Selbsteinschätzung der Klinik, dass FG erst ab einer erwarteten Masse von mind g Aussichten auf ein (schadenfreies) Überleben haben, weshalb die Geburt als Abort geführt wurde. Tatsächlich bestand auch für das angenommene Schätzgewicht schon eine Überlebens- bzw. Unversehrtheitschance von % bzw. 30%. Übernahmeverschulden, weil Assistenzärztin Patientin nicht unmittelbar nach Aufnahme weiter in die Klinik H. verlegt hat, die unstreitig wesentlich bessere äußere Bedingungen für diese Behandlung bot (unmittelbare räumliche Nähe von Frauen- und Kinderklinik, benachbarte Gebäudekomplexe; kurze, direkte Wege, bessere gerätetechnische Ausstattung) und über weit umfangreichere Erfahrungen in der Versorgung frühgeborener Kinder verfügte. Zudem grobe Behandlungsfehler, weil sowohl unmittelbar nach Aufnahme als auch nach der Geburt kein Pädiater hinzugezogen wurde. 7
8 Fazit / Prognose Es erscheint fraglich, ob die Mindestmenge als nur eines der Qualitätskriterien im Sinne von 137 SGB V haftungsrechtlich eine eigenständige Bedeutung zukommen wird. Maßgeblich dürfte auch in Zukunft der zu verzeichnende Unterschied in der Versorgungsstufe sein. Durfte eine Klinik davon ausgehen, dass die Mindestmenge erreicht wird, hat die Unterschreitung der Mindestmenge keine haftungsrechtlichen Auswirkungen (andernfalls Wertungswiderspruch Sozial-/Zivilrecht). Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 8
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