Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht)
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- Reiner Huber
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1 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) In der Stadt Kiel werden immer häufiger Passanten auf öffentlichen Plätzen und in den Parkanlagen der Stadt durch Stadtstreicher und obdachlose Personen belästigt. Sie rempeln Passanten an, liegen auf den Bänken der öffentlichen Plätze und in den Parks. Leere Flaschen, Papier und Lebensmittel sammeln sich um die bevorzugten Treffpunkte an. Oft sind es größere Gruppen, die grölend über die Plätze ziehen, um sich dann irgendwo dort niederzulassen. Vereinzelt ist es auch schon zu kleineren Taschendiebstählen und leichten Körperverletzungen an Passanten gekommen. Daraufhin erlässt der Oberbürgermeister der Stadt eine Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und in den Straßen und Anlagen in der Stadt Kiel, die u. a. folgende Vorschriften enthält: 46
2 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) 2 Jede Verunreinigung von Straßen oder öffentlichen Anlagen durch Wegwerfen oder Liegenlassen von Gegenständen (z.b. Papier, Glas...) ist untersagt. 3 Die Bänke auf Straßen oder in öffentlichen Anlagen dürfen nicht entfernt, versetzt oder beschmutzt werden. Es ist untersagt auf Bänken zu liegen oder zu nächtigen. 4 Jedes sonstige Verhalten, das anderen Personen bei der Benutzung der Straßen oder öffentlichen Anlagen mehr als nach den Umständen vermeidbar belästigen kann (z.b. Lärmen, Aufdringlichkeit, störender Alkoholgenus, Betteln) ist untersagt. 8 Vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieser Verordnung können als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden. 47
3 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) A und B, zwei Stadtstreicher ohne festen Aufenthalt, liegen an einem Maiabend gegen 19 Uhr auf zwei Bänken in der Forstbaumschule. Beide sind stark angetrunken und sprechen die Passanten mit obszönen Äußerungen um Geld und Alkohol an. Die entleerten Bierflaschen haben A und B auf den Rasen geworfen. Mehrere Passanten beschweren sich bei der vorbeikommenden Polizeistreife über die Belästigungen durch A und B. Dem Polizisten P sind die beiden Stadtstreicher bereits auf Grund ähnlicher Vorfälle bekannt. P fordert A und B auf, sich zu ihrem Verhalten zu äußern. A und B lallen einige unverständliche Worte. Nunmehr fordert P die beiden auf, die Forstbaumschule sofort zu verlassen, da ihr Verhalten verboten sei, wie sie aus den aufgestellten Bekanntmachungstafeln ersehen könnten. Gleichzeitig droht P den beiden Stadtstreichern die Entfernung aus der Forstbaumschule unter Anwendung von körperlicher Gewalt an, falls sie diesen nicht innerhalb von 5 Minuten selbst verlassen. 48
4 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) A und B kümmern sich nicht um die Aufforderung des P und belästigen weitere Passanten. Daraufhin ruft P über Funk einen Streifenwagen herbei. P, der andere Streifenbeamte S und die Besatzung des Streifenwagens bringen die sich vehement sträubenden A und B unter Einsatz körperlicher Gewalt zunächst zum Ausgang der Forstbaumschule. Auf Veranlassung des P werden A und B dort in den dort stehenden Streifenwagen verbracht und mehrere Kilometer von Kiel an den Stadtrand gefahren und am Strand in Falkenstein abgesetzt. Prüfen Sie die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen gegen A und B. 49
5 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) Lösung I. Aufforderung des P an A und B, die Forstbaumschule zu verlassen 1. Art der Maßnahme und Ermächtigungsgrundlage Platzverweis; d.h. das polizeiliche Gebot, einen bestimmten eng umgrenzten Ort (z.b. Platz, Straßenteil) vorübergehend zu verlassen oder das Verbot, einen solchen Ort vorübergehend nicht zu betreten. 2. Formelle Rechtmäßigkeit a) Zuständigkeit aa) sachlich bb) örtlich b) Verfahren Anhörung gem. 87 LVwG (+) c) Form 50
6 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) Lösung I. Aufforderung des P an A und B, die Forstbaumschule zu verlassen 3. Materielle Rechtmäßigkeit a) Tatbestandsvoraussetzungen des 201 Abs. 1 LVwG konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit hier: Verstoß gegen die VO, also Inzidentprüfung (1) Rechtsgrundlage (2) formelle Rechtmäßigkeit (3) materielle Rechtmäßigkeit b) Verantwortlichkeit von A und B c) allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen d) Ermessen, insbesondere Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 51
7 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) Lösung II. Entfernung von A und B aus der Forstbaumschule 1. Art der Maßnahme und Ermächtigungsgrundlage hier: Verwaltungsvollzug gem. 229 Abs. 1 Nr. 2 LVwG 2. Formelle Rechtmäßigkeit des Vollzugs 3. Materielle Rechtmäßigkeit des Vollzugs a) Wirksamer Grund-VA b) Vollziehbarkeit des Grund-VA c) Rechtmäßigkeit des Grund-VA d) Fristsetzung und Hinweis (= Androhung gem. 236 LVwG), beachte: bei 229 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 mündlich zulässig oder entbehrlich e) Zwangsmittelspezifische Erfordernisse, hier: unmittelbarer Zwang 52
8 Übungsfall 1 (Polizei- und Ordnungsrecht) Lösung III. Verbringen von A und B an den Strand 1. Art der Maßnahme und Ermächtigungsgrundlage hier: Sofortvollzug gem. 230 LVwG 2. Formelle Rechtmäßigkeit des Vollzugs 3. Materielle Rechtmäßigkeit des Vollzugs a) Nicht anders abwendbare gegenwärtige Gefahr b) Rechtmäßigkeit des (hypothetischen) Grund-VA aa) Rechtsgrundlage des sog. Verbringungsgewahrsams 201 LVwG 204 LVwG 174, 175 LVwG 53
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