Juristische Fakultät Sommersemester 2017 Prof. Dr. Tilman Bezzenberger
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1 Universität Potsdam Sachenrecht Juristische Fakultät Sommersemester 2017 Prof. Dr. Tilman Bezzenberger Fall 6: Der Herausgabeanspruch des Eigentümers ( 985 BGB) und das Eigentümer- Besitzer-Verhältnis ( 987 ff. BGB) Der Dieb D stielt dem Eigentümer E sein Auto und verkauft es an den gutgläubigen B. D und B vereinbaren, dass B nunmehr Eigentümer des Autos sein soll, und D übergibt das Auto an B. Dieser fährt mit dem Auto ein Jahr lang umher. Er erwirbt für das Auto auch neue Reifen, denn die alten waren beim Erwerb schon ganz abgenutzt. Außerdem füllt B mehrfach Motoröl nach. Der bestohlene E findet das Auto schließlich bei B wieder. Wer hat hier welche Ansprüche gegen wen? Lösung I. Anspruch des E gegen B auf Herausgabe des Autos ( 985, 986 BGB) 1. Eigentum des E E war ursprünglich Eigentümer des Autos. Allerdings könnte B das Eigentum nach 929, 932 BGB gutgläubig aus den Händen des D erworben haben. Ein solcher Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens ist jedoch nach 935 BGB ausgeschlossen, wenn die Sache dem Eigentümer abhanden gekommen ist und insbesondere gestohlen wurde. So lag es hier. E ist daher nach wie vor Eigentümer des Autos. 2. Besitz des B B hat das Auto in unmittelbarem Besitz. 3. Fehlen eines Besitzrechts des B gegenüber E B dürfte "dem Eigentümer gegenüber" nicht zum Besitz berechtigt sein ( 986 I 1 Ein Recht zum Besitz kann B allenfalls aus seinem Kaufvertrag mit D herleiten. Ein Kaufvertrag gibt dem Käufer einen Anspruch auf Besitzverschaffung ( 433 I BGB), und das schließt ein nachfolgendes Recht zum Behaltendürfen ein. Ein solches Recht hat B jedoch nur gegenüber seinem Ver-
2 tragspartner D, nicht dem E als Eigentümer gegenüber. 4. Ergebnis B muss das Auto nach 985 und 986 an E herausgeben. II. Anspruch des E gegen B auf Wertersatz für den einjährigen Gebrauchsvorteil ( 987, 990 BGB) E könnte nach den genannten Regeln von B Herausgabe der aus dem Auto gezogenen Nutzungen verlangen. Soweit Nutzungen nicht in Natur herausgegeben werden können, wäre ihr Wert in Geld zu erstatten. 1. Vorliegen eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses Dann müsste zunächst ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis vorliegen. Das ist der Fall; siehe oben zu I. 2. Nutzungen (Gebrauchsvorteile) des B "Nutzungen" des Autos sind die Gebrauchsvorteile ( 100 BGB), die B während seines einjährigen Besitzes aus dem Auto gezogen hat. 3. Weitere Voraussetzungen Einer Pflicht zur Nutzungsherausgabe (oder zur Erstattung des Geldwerts von Nutzungen) unterliegt der unrechtmäßige Besitzer gegenüber dem Eigentümer allerdings nicht schlechthin, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich insbesondere bei a) Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs ( 987 Das setzt eine Klagerhebung voraus, an der es hier fehlt. b) Bösgläubigkeit des B ( 990, 987 BGB), Zur Nutzungsherausgabe an den Eigentümer verpflichtet ist nach 990 und 987 BGB des weiteren ein bösgläubiger Besitzer. Das heißt B müsste wissen oder beim Erwerb des Besitzes grob fahrlässig ver- 2
3 kannt haben, dass er nicht zum Besitz berechtigt ist. Beides ist hier nicht der Fall. B war vielmehr durchweg gutgläubig. c) Haftungsfreiheit des redlichen Besitzers ( 993 BGB) Als unrechtmäßiger, doch unverklagter und gutgläubiger Besitzer ist B nach 993 BGB nicht zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet. 4. Ergebnis E hat gegen B keinen Anspruch auf Herausgabe (Erstattung) der aus dem Auto gezogenen Gebrauchsvorteile. III. Ansprüche des B gegen E auf Verwendungsersatz ( 994 ff. BGB) 1. Verwendungsersatz für die neuen Reifen ( 994 I 1 BGB) a) Vorliegen eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses Ja, siehe oben zu I. b) Vornahme einer notwendigen Verwendung durch B aa) Verwendung auf das Auto (+) bb) Notwendigkeit der Verwendung (+) c) Redlichkeit des B, das heißt aa) Keine Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs (+) bb) Keine Bösgläubigkeit des B (+) d) Zwischenergebnis, B kann von E Kostenersatz für die neuen Reifen verlangen ( 994 I 1 3
4 e) Fälligkeit und Durchsetzung des Versendungsersatzanspruchs aa) Fällig wird der Anspruch erst, wenn B die Sache wiedererlangt oder die Verwendung genehmigt ( 1001 bb) Aber schon zuvor hat B wegen seines Verwendungsersatzanspruchs ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich des Autos ( Verwendungsersatz für das nachgefüllte Motoröl ( 994 I 1 BGB) a) Diese notwendige Verwendung ist ihrer Art nach ersatzfähig b) Aber die Ersatzfähigkeit ist hier nach 994 I 2 BGB ausgeschlossen IV. Schadensersatzanspruch des E gegen den Dieb D ( 823 I BGB) 1. Haftungsgrund a) Verletzung von Eigentum und berechtigtem Besitz (+) b) Rechtswidrigkeit und Verschulden (+) 2. Haftungsumfang ( 249 ff. BGB) Hinsichtlich der Sachsubstanz des Autos hat E keinen Schaden mehr, wenn er das Auto nach 985, 986 von B zurückbekommt. D muss dem E jedoch Geldersatz dafür leisten, dass E das Auto während der Besitzdauer des B nicht nutzen konnte ( 249 I, 251 I V. Ansprüche des B gegen D II BGB i.v.m. 263 StGB Schadensersatz in Höhe des erschlichenen Kaufpreises BGB 4
5 Desgleichen I 1 Fall 1 BGB Rückzahlung des Kaufpreises nach Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung ( 123 I I BGB Rückzahlung des Kaufpreises nach Rücktritt des B vom Kaufvertrag ( 323 VI. Gesamtergebnis E kann das Auto nach 985 und 986 BGB von B herausverlangen. Die von B gezogenen Gebrauchsvorteile bekommt E jedoch nicht erstattet ( 993 Vielmehr kann B von E Kostenersatz für die neuen Reifen verlangen ( 994 I 1 BGB), nicht hingegen für das nachgefüllte Motoröl ( 994 I 2 Bis zur Kostenerstattung kann B das Auto zurückbehalten. Der Dieb D schuldet dem E Ersatz des Vorenthaltungsschadens ( 823 I, 249 I, 251 I BGB) und dem B einen Geldbetrag in Höhe des für das Auto empfangenen Kaufpreises. 5
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