Mathias Bröckers / Paul Schreyer: Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien

Größe: px

Ab Seite anzeigen:

Download "Mathias Bröckers / Paul Schreyer: Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien"

Alexandra Lehmann
vor 6 Jahren
Abrufe

1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Mathias Bröckers / Paul Schreyer: Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren. Westend-Verlag 207 Seiten 16,99 Euro Rezension von Ulrich Teusch Montag, (14:55 15:00 Uhr)

2 Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

3 Von Ulrich Teusch Autor: Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, der im Februar dieses Jahres gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch wäre ein entschieden proeuropäischer Regent gewesen, getrieben von der festen Absicht, sein Land an die EU und die NATO zu binden. Doch dann wird er von einer pro-russischen Maidan-Bewegung unter Druck gesetzt; den entscheidenden Schlag versetzen ihm schließlich militante, linksextreme Gruppierungen. Unter fragwürdigen Umständen wird eine Übergangsregierung unter Einschluss dieser Linksextremisten gebildet. Als Reaktion formieren sich in den westlichen Regionen der Ukraine Protestbewegungen, die von Moskau als pro-europäische Separatisten abqualifiziert werden. Derweil geht die Kiewer Regierung mit militärischer Gewalt gegen die Rebellen vor. Wie hätte der Westen wohl auf solche Vorgänge geantwortet? Vermutlich hätte er den neuen Machthabern in

4 Kiew die Legitimität abgesprochen und ihnen vorgeworfen, einen Krieg gegen das eigene Volk angezettelt zu haben. Wer solche Gedankenexperimente anstellt, begibt sich auf vermintes Terrain. Das Mindeste, was man ihm unterstellen wird: er sei ein Putinversteher. Mathias Bröckers und Paul Schreyer fürchten solche Anwürfe nicht. Ohne das vom russischen Präsidenten etablierte autoritäre System zu verharmlosen, legen sie gleich zu Beginn ihres Buches ein Bekenntnis ab: Zitator: Seit im Zuge der Krise um die Ukraine in den Medien das Wort Putinversteher aufgetaucht ist und als Diskreditierung all jener eingesetzt wird, die sich weigern, diesen Konflikt als Schwarzweißfilm mit eindeutiger Rollenverteilung in Gute [ ] und Böse [ ] zu sehen, sind wir, die Autoren, bekennende Putinversteher. Autor:

5 Aber sie belassen es nicht bei bloßem Verständnis. Nach einem kurzen Ausflug in die ukrainische Geschichte bieten sie eine mehr als ernüchternde Analyse der Vorgänge auf dem Maidan, sezieren die Infiltration des Landes durch US- Interessen, zeichnen wenig schmeichelhafte Porträts der politischen Akteure in Kiew. Da ist nicht allein die in kriminelle Machenschaften verstrickte Julia Timoschenko. Auch der neue Präsident Poroschenko hat sein Milliardenvermögen nachweislich nicht allein mit minderwertiger Schokolade gemacht. Inzwischen ist das ohnehin fragile Land in einen voll entbrannten Bürgerkrieg abgedriftet. Die Schurkenrolle in dieser Tragödie weisen die Autoren nicht etwa Putin zu, sondern dem Westen, allen voran den USA. Diese hätten im Zuge ihres Anspruchs auf globale Hegemonie die NATO immer weiter nach Osten vorgerückt und wollten nun den Zugriff auf Eurasien mit seinen gewaltigen Erdgas- und Ölressourcen. Ob das tatsächlich so ist, sei dahingestellt. Gewiss ist aber, dass eine solche Strategie nicht im europäischen Interesse wäre. Dabei läge die Alternative doch auf der Hand:

6 Zitator: Eine blockfreie, neutrale Ukraine, die ihre verschiedenen Regionen unter einem föderalen Dach von Bundesstaaten vereinigt und sich als Brücke zwischen West und Ost, EU und Russland, Atlantik und Eurasien versteht, wäre nicht nur für das Land selbst, sondern für sämtliche Nachbarn von Lissabon bis Wladiwostok die ideale Entwicklung. Warum wird eine solche Entwicklung aber nicht nur nicht gefordert, sondern seitens der EU massiv hintertrieben? [ ] Warum muss die Ukraine statt zu einem Brückenstaat zu einem Frontstaat gemacht werden? Autor: Russland, so die Autoren, ist zum Problem für den Westen geworden, weil es zu neuer Stärke gefunden hat, weil es sich gegen westliche Kapitalinteressen abdichtet, weil es gänzlich andere geopolitische Visionen verfolgt als die USA: es will eine multipolare statt einer US-dominierten unipolaren Weltordnung. Vor diesem Hintergrund wäre es fatal, in der Ukraine-Krise einen bloß regionalen Konflikt zu sehen.

7 Von dem, was Bröckers und Schreyer im Einzelnen ausführen, erfährt man in den sogenannten Leitmedien des Westens nur wenig. Das nehmen die Autoren zum Anlass für eine scharfzüngige Medienschelte. Gleich drei Kapitel verwenden sie darauf und man sollte sie sich nicht entgehen lassen. Das gut recherchierte und stilistisch elegante Buch ist zweifellos eine Provokation. Allerdings eine notwendige, überfällige Provokation, die vielleicht dazu beiträgt, die hiesige Ukraine-Debatte zu öffnen und auf längere Sicht zu versachlichen.

Ähnliche Dokumente

SWR2 DIE BUCHKRITIK SWR2 MANUSKRIPT. Friedrich Schmidt-Bleek: Grüne Lügen. Ludwig Verlag München 2014. 302 Seiten. 19,99 Euro

SWR2 DIE BUCHKRITIK SWR2 MANUSKRIPT. Friedrich Schmidt-Bleek: Grüne Lügen. Ludwig Verlag München 2014. 302 Seiten. 19,99 Euro ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Friedrich Schmidt-Bleek: Grüne Lügen Ludwig Verlag München 2014 302 Seiten 19,99 Euro Rezension von Johannes Kaiser Montag, 18.08.2014 (14:55 15:00