Kleben statt Nähen. Dipl.-Ing. (FH) Peter Nessler
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1 Dipl.-Ing. (FH) Peter Nessler Kleben statt Nähen In vielen Bereichen von Industrie und Handwerk gewinnt das Kleben als stoffschlüssiges Fügeverfahren zunehmend an Bedeutung und ersetzt aufgrund der stetig verbesserten Klebstofftechnologie immer öfter herkömmliche Fügemethoden wie Schweißen und Löten. Bei gleichbleibenden Qualitätsstandards bieten mittels Klebetechnik hergestellte Produkte oftmals verbesserte Gebrauchseigenschaften und lassen sich, aufgrund des hohen Automatisierungsgrades bei dem Prozess der Klebstoffapplikation, meist kostengünstiger herstellen. Um die Vorteile dieser Fertigungstechnik auch für die Schuhindustrie nutzbar zu machen, hat sich das PFI in einem von der AiF geförderten Forschungsvorhaben gezielt mit dem Thema Einsatz der Klebetechnik zum automatisierten Fügen von Schuhschäften befasst. Betrachtet man die beiden großen Bereiche der Schuhherstellung die Schaftherstellung und die Bodenmontage so stellt man fest, dass in der Bodenmontage, d.h. der Verbindung und Formung von Schuhoberteil und Sohle zu einem Schuh, ein relativ hoher Automatisierungsgrad erreicht ist und Fertigungskapazitäten in Deutschland noch vorhanden sind. Der Fertigungsprozess der Schaftherstellung wird hingegen von fast allen Schuhherstellern in so genannte Niedriglohnländer ausgelagert. Die Ursachen hierfür sind zum einen der geringe Automatisierungsgrad des Hauptarbeitsgangs der Schaftfertigung der Nähtechnik, zum anderen die im Vergleich zu EU-Niveau sehr niedrigen Lohnkosten in Asien und Osteuropa. In der Schuhindustrie werden zwar Nähautomaten eingesetzt, der Grad der Durchdringung der Nähautomation in der Schaftfertigung ist jedoch gering. Dies liegt hauptsächlich an der schwierigen Handhabung der verwendeten Schaftmaterialien, wie z.b. Leder. Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e. V. Sitz der Gesellschaft: Pirmasens Geschäftsführer: Dr. Gerhard Nickolaus Amtsgericht Zweibrücken Vereinsregister-Nr.: USt-IdNr./VAT ID: DE Page 1 of 6
2 Leder ist ein biegeschlaffer Werkstoff und somit schwierig zu halten bzw. zu positionieren. Der konstruktive Aufbau einer Nähmaschine (Ober- und Unterteil) erfordert den Umstand, dass das zu bearbeitende Material während des Nähens von Ober- und Unterseite zugänglich sein muss. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Schaftteile während des Bearbeitens verziehen können und so eine Bahnkorrektur notwendig wird. All dies führt zu aufwändigen Konstruktionen der Nähautomaten mit spezifischen, an die jeweiligen Schäfte angepassten Halteschablonen, was zusätzliche Werkzeugkosten verursacht. Darüber hinaus führt der Arbeitsgang Nähen zu einer Perforation des Materials, was sich zum einen negativ auf die mechanischen Eigenschaften und zum anderen erschwerend auf die Herstellung eines vollständig wasserdichten Schuhs auswirkt. Diesen Problemen kann man durch eine flächige Klebung vorbeugen. Die Fügetechnik Kleben wird in der Schuhindustrie bereits in großem Umfang bei der Befestigung des Schuhbodens, des Futters und der Kappen an Schaft und Brandsohle angewendet. Der wesentliche handhabungstechnische Vorteil des Klebens gegenüber dem Nähen ist, dass die Bearbeitung von einer Seite aus erfolgen kann und die zu verarbeitenden Teile von der anderen Seite, z.b. durch Saugtische, gehalten werden können. Auch ein Verziehen während des Klebstoffauftrags kann durch entsprechende Applikationstechniken ausgeschlossen werden. Daraus wird ersichtlich, dass sich klebetechnische Anwendungen in der Schuhherstellung wesentlich einfacher automatisieren lassen als nähtechnische Arbeitsgänge. Hinzu kommt eine verbesserte Wasserdichtigkeit der bearbeiteten Teile, da bei Klebeverfahren keine Perforation und somit keine Beschädigung des Materials stattfindet. Aufgrund der genannten Vorteile des Klebens gegenüber dem Nähen, war das Ziel des Projekts, die klebetechnischen Möglichkeiten zur Montage des Außenschaftes eines Schuhs, auf Basis des Klebefügens tragender Schaftnähte, zu untersuchen und, verbunden damit, den Grad einer möglichen Automatisierung des Schaftbaus festzustellen. Page 2 of of 6
3 Ergebnisse In einer grundlegenden Untersuchung zu Klebeanforderungen beim Schaftfügen wurden Lösungen zur alternativen Nahtgestaltung entwickelt sowie ausgewählte Klebstoffe bezüglich ihrer Eignung für das Projekt überprüft, erprobt und ggf. modifiziert. Dabei zeigte sich, dass ein umweltfreundlicher Dispersionsklebstoff auf Wasserbasis die höchsten Festigkeiten aufwies. Neben der Untersuchung geeigneter Klebe- und Handhabungstechniken wurden durch konstruktive Maßnahmen verschiedene Lösungskonzepte für klebegerechte Schaftschnitte entwickelt. Auf Basis der erarbeiteten Erkenntnisse wurden unterschiedliche Musterschuhe entworfen und angefertigt. Neben der Herstellung klassischer sowie moderner Schuhe, stand dabei in besonderem Maße die Anfertigung von Schuhwerk mit erhöhten Anforderungen an die Festigkeit und die Wasserdichtigkeit, wie es bei Arbeitsschuhen der Fall ist, im Vordergrund. In Kooperation mit zwei Schuhherstellern wurden diesbezüglich verschiedene Sicherheitsschuhe gefertigt und auf ihre Zuverlässigkeit und Haltbarkeit hin getestet. In Abbildung 1 ist repräsentativ ein Paar klebegefügter Sicherheitsschuhe dargestellt, welche ohne auftretende Komplikationen erfolgreich den Beanspruchungen in einem Langzeit-Trageversuch standhielten. Page 3 of of 6
4 Abbildung 1: Im Langzeit-Trageversuch erfolgreich getestete Sicherheitsschuhe Um den ständig wechselnden Modeansprüchen in der Schuhindustrie gerecht zu werden, war die Verklebung unterschiedlicher Schaftmaterialien ebenso Gegenstand der Untersuchung. Zugversuche mit Materialkombinationen aus Leder und handelsüblichen Textilien für die Schuhbranche ergaben vor allem für Verbindungen von Leder mit Baumwollgewebe sehr hohe Festigkeitswerte. Entsprechend der Versuchsergebnisse wurden mehrere Schuhe aus unterschiedlichen Materialkombinationen angefertigt und auf ihre Gebrauchseigenschaften hin überprüft. Abbildung 2 zeigt exemplarisch einen klebetechnisch angefertigten Schaft aus verschiedenen Schuhobermaterialien. Eine Befragung von mehreren unabhängigen Personen bestätigte, dass trotz eines veränderten Erscheinungsbildes durch fehlende Nähte, ein ansprechendes Design erzielt werden kann. Page 4 of of 6
5 Abbildung 2: Klebegefügter Schaft aus verschiedenen Materialkombinationen Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurde in einem weiteren Schritt die Anwendbarkeit der Komponenten und Techniken bezüglich einer automatisierten Schaftfügung untersucht. Dabei standen insbesondere die Vorbereitung der Fügezone, die Applikation des Klebstoffs sowie das Fügen der Teile im Mittelpunkt der Untersuchung. Aus neuen sowie teilweise bereits vorhandenen Systemen wurden verschiedene Lösungskonzepte erarbeitet, mit welchen aufgezeigt werden konnte, dass sich die Herstellung geklebter Schäfte zu großen Teilen automatisieren lässt. Ausblick Geklebte Schuhschäfte bieten vor allem hinsichtlich einer automatisierten Schaftherstellung großes Potenzial. Für Hersteller im Arbeits- und Sicherheitsschuhbereich könnte besonders die Wasserdichtigkeit der Klebenähte ein wichtiger Vorteil sein. Außerdem besteht bei Klebeverbindungen, im Gegensatz zu gewöhnlichen Nahtverbindungen, nicht die Gefahr des Auflösens der Verbindung durch äußerlichen Abrieb. Durch vorgesteppte Ziernähte auf den Schaftteilen könnte die gewohnte Optik des Schuhs sogar erhalten werden. Neben den genannten Vorteilen gegenüber der herkömmlichen Stepptechnik ist ein automatisiertes Schaftklebeverfahren mit besonderen Hürden verbunden. So ist zum Page 5 of of 6
6 Beispiel das endgültige Fügen des Schaftes von einem flächigen zu einem dreidimensionalen Gebilde eine besondere Herausforderung. Aufwendige Schnittmuster erfordern komplizierte Arbeitsschritte. Durch konstruktive Maßnahmen an den Schaftteilen könnten die Arbeitsabläufe vereinfacht werden, sodass ein hoher Automatisierungsgrad erzielt werden kann (klebegerechter Schuh). Gegenwärtig werden am PFI verschiedene Konzepte entwickelt, welche mittels der heutigen günstigen Computertechnik das automatisierte Kleben und Fügen der Schaftteile für die kommerzielle Schuhherstellung realisierbar machen. Das IGF-Vorhaben N der Forschungsvereinigung Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e. V., Marie-Curie-Str. 19, Pirmasens, wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Unser Dank geht an alle die dieses Projekt ermöglicht haben. Page 6 of of 6
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