Folien der 16. Vorlesungswoche
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- Hans Stein
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1 Folien der 16. Vorlesungswoche
2 Nachschlag Kombinatorik: Erzeugende Funktionen Kombinatorik ist die Kunst des intelligenten Abzählens endlicher Mengen. Obwohl die behandelten Probleme einfach und elementar aussehen, kann ihre Lösung wie wir früher gesehen haben vergleichsweise knifflig sein. Jedes Problem erfordert meistens die Entwicklung einer separaten Strategie. Neben der vollständigen Induktion haben wir auch kein universell einsetzbares Werkzeug kennengelernt, welches uns bei Zählverfahren unterstützt. Ein weiteres solches Werkzeug, das uns zugleich die höheren Weihen der Abzählkunst verleiht, ist die Technik der erzeugenden Funktionen. Natürlich ist auch dieses Werkzeug nicht für jedes Problem brauchbar, aber... 1
3 Erzeugenden Funktionen: Grundidee Wir beschreiben die grundlegende Idee durch ein Beispiel: Wir fixieren dazu eine Menge M von n Elementen. Wir wissen dann, dass die Anzahl der k-elementigen Teilmengen von M durch ( ) n k gegeben ist. Das Bildungsgesetz k ( ) n k ist vollständig in dem Polynom enthalten. f = n k=0 ( n) X k Wir beachten, dass f die volle Information über die Folge ( n) ( n) ( n) ( n),,...,,..., 0 1 k n enthält. [Zur Erinnerung: Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn ihre Koeffizienten übereinstimmen.] k 2
4 Weshalb erzeugende Funktionen? Was ist durch Bildung der erzeugenden Funktionen gewonnen? Zunächst ist die erzeugende Funktion f = a n X n nichts als eine andere Schreibweise für die Folge a 0, a 1, a 2,.... In unserem Beispiel f = n k=0 ( n k) X k sehen wir, dass nach dem binomischen Lehrsatz f = (1 + X) n ist. Das Polynom bzw. die Polynomfunktion (1+X) n gibt daher vollständige Auskunft über die Sequenz ( ( ( ( ) n 0), n 1),..., n k),... n n. Wir können sicher mit der erzeugenden Funktion f sehr viel leichter und ( ) ( übersichtlicher ) ( ) ( ) hantieren als mit den ursprünglichen Zähldaten n 0, n 1, n 2,..., n n. Erwarten können wir, dass diese Möglichkeit sich in zusätzlichen Erkenntnissen auszahlt. 3
5 Ein erstes Anwendungsbeispiel ( ) n+m k Es ist (1 + X) n = (1 + X) m = (1 + X) n+m = n ( n) X p p p=0 m ( m) X q q =0 n+m k=0 q ( m + n) X k. k Nach der Multiplikationsregel für Polynome gilt folglich ( m + n k ) = k p=0 ( n ) ( m p k p eine Formel, die sich hier ganz ohne Mühe ergibt. ), 4
6 Generalisierung des Beispiels Bei der Verfolgung dieser Idee tritt ein Problem auf. Nehmen wir etwa das Bildungsgesetz Die Anzahl der 2-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge ist ( ) n w = n(n 1) 2, so führt Bildung der erzeugenden Funktion f zum Ausdruck f = n(n 1) 2 X n. Hier erhalten wir, weil unendlich viele Koeffizienten von Null verschieden sind, nicht mehr ein Polynom, sondern eine Potenzreihe; solche werden wir anschließend betrachten. Wir werden später sehen, dass f = X 2 /(1 X) 3 ist, wiederum somit ein sehr übersichtlicher Ausdruck ist. 5
7 Potenzreihen Unter einer (formalen) Potenzreihe in einer Unbestimmten X mit Koeffizienten im Körper K verstehen wir einen Ausdruck f = a n X n mit a n K. Seien f = a n X n und g = b n X n Potenzreihen. Wie im Polynomfall vereinbaren wir: Gleichheit: f und g sind genau dann gleich, wenn a n = b n für jedes n N gilt. Addition: Es ist f + g := (a n + b n ) X n. Multiplikation: Es ist f g = c n X n, wobei c n = n p=0 a p b n p gilt. 6
8 Der Integritätsbereich K[[X]] Satz. Die Menge aller Potenzreihen a n X n in der Unbestimmten X mit Koeffizienten in K bildet einen Integritätsbereich K[[X]]. Die Beweise übergehen wir hier. Wir beachten im übrigen: K[X] K[[X]] ist ein Unterring. Interessant sind Potenzreihen für uns deshalb, weil weil außer den Polynomfunktionen viele weitere eine Darstellung als Potenzreihe erlauben. Beispiel. Es sind f = 1 X und g = 1+X+X 2 +X 3 + = Xn Potenzreihen. Es gilt f g = 1, also 1 1 X = 1 + X + X2 + X X n + = X n. Folglich ist f = 1/(1 X) die erzeugende Funktion der Zahlenfolge 1, 1, 1,.... 7
9 Differenzieren Potenzreihen kann man gliedweise genau wie in der Differentialund Integralrechnung formal differenzieren: Ist f = a n X n, so definieren wir die Ableitung f = df/dx als f = n a n X n 1. Wir setzen nachfolgend voraus, dass formales Differenzieren unter hier nicht näher diskutierten Voraussetzungen gleichbedeutend mit dem Differenzieren der darstellenden Funktionen ist. Beispiel. Wie diskutiert, hat die Funktion f = 1 X 1 die Potenzreihendarstellung f = X n. Durch Differentiation auf beiden Seiten erhalten wir 1 (1 X) 2 = d dx X n = 1 + 2X + 3X 2 + 4X 3 + die erzeugende Funktion f = 1/(1 X) 2 der Zahlenfolge 1, 2, 3, 4,.... 8
10 Nochmals Differenzieren Einmaliges Differenzieren von 1 1 X = 1 + X + X2 + X 3 + X 4 + führt zu 1 (1 X) 2 = 1 + 2X + 3X2 + 4X 3 + und nochmaliges Differenzieren beider Seiten ergibt 2 (1 X) 3 = X + 3 4X X 3, folglich nach Multiplikation mit X 2 /2 die früher angesprochene Beziehung X 2 (1 X) 3 = ( n 2) X n. Weiteres Differenzieren führt zu erzeugenden Funktionen der Folgen ( n k), n = 0, 1, 2, 3,... 9
11 Erzeugende Funktion der Fibonacci-Folge Zur Erinnerung: Die Folge der Fibonacci-Zahlen F 0, F 1, F 2,... ist durch zweistufige Rekursion F 0 = 0, F 1 = 1, F n = F n 1 + F n 2 (n 2) erklärt. Sei h die erzeugende Funktion. Also folgt unter Beachtung der Rekursion: h = F 0 + F 1 X + F 2 X 2 + F 3 X 3 + X h = F 0 X + F 1 X 2 + F 3 X 3 + X 2 h = F 0 X 2 + F 1 X 3 + F 2 X 4 + h X h X 2 h = X + (F 2 (F 1 + F 0 ))X 2 + (F 3 (F 2 + F 1 ))X 3 +. Somit ist (1 X X 2 ) h = X und folglich h = für die Fibonacci-Folge. X 1 X X 2 die erzeugende Funktion 10
12 Fibonacci-Zahlen: Geschlossene Form I Alle Information über die Fibonacci-Folge ist im Prinzip in der erzeugenden Funktion h = enthalten. X 1 X X 2 Können wir hieraus auch eine explizite Formel für die n-te Fibonacci-Zahl F n herleiten? Wir schreiben h in der Form h = X 1 X X = α 2 1 a X + β 1 b X. [Dass es diese sogenannte Partialbruchzerlegung von h tatsächlich gibt, überlegen wir uns erst später.] Aus der Potenzreihendarstellung 1 1 X = Xn α erhalten wir sofort 1 a X = α an X n und eine entsprechende Formel für den zweiten Term. Es folgt somit h = α und daher das Bildungsgesetz a n X n + β b n X n F n = α a n + β b n. 11
13 Fibonacci-Zahlen: Geschlossene Form II Wir werden nun reelle Zahlen a, b, α, β so bestimmen, dass die Beziehung ( ) h = X 1 X X 2 (!) = α 1 a X + β 1 b X = α+β (α b+β a)x 1 (a+b)x+(a b)x 2 gilt. Die Gleichung ist jedenfalls dann erfüllt, wenn a + b = 1 a b = 1 α + β = 0 α b + β a = 1 Auflösung dieser Gleichungen liefert a = 1 5, b = 1+ 5, α = , β = 1 5. Fazit: F n = 1 ( ) n ( ) n
14 Vorteile dieses Vorgehens Wir erkennen, dass sich das Verfahren generell auf rekursiv definierte Funktionen des Musters a n+2 = a a n 1 + b a n 2, für Konstanten a und b, anwenden lässt. Es ist ersichtlich auch nicht auf zweistufige allerdings notwendig lineare Rekursionen beschränkt, obwohl der Rechenaufwand für Rekursionen höherer Stufe zunimmt und die Partialbruchzerlegung dort problematisch werden kann. Wir haben jedenfalls ein generelles Hilfsmittel etabliert, das nicht nur im Spezialfall der Fibonacci-Zahlen funktioniert, sondern beispielsweise auch für die Rekursion a 0 = 1, a 1 = 1, a n = a n a n 2. Hier haben wir also die Startbedingungen für a 0 und a 1 und die weiterhin zwei-stufige Rekursion gegenüber den Fibonacci-Zahlen abgeändert. 13
15 Das Wechselgeldproblem: Problemstellung Hier handelt es sich um die Frage: Auf wie viele Arten kann ich beispielsweise 77 Cent als Wechselgeld herausgeben. [Um die Aufgabe einfach zu halten sollen nur die Münzen 1, 2 und 5 in unlimitierter Anzahl zur Verfügung stehen.] Natürlich interessiert uns nicht nur der Fall 77 Cent; wir wollen ein generelles Verfahren zur Ermittlung des Wechselgeldproblems erzielen. Wir verfahren wie folgt: Für jede natürliche Zahl n bezeichne a n die Anzahl aller Möglichkeiten, n Cent aus den Münzen von 1, 2 und 5 Cent zusammen zustellen. Wir haben das Problem dann gelöst, wenn wir die erzeugende Funktion im Griff haben. g = a n X n 14
16 Wechselgeldproblem: Die Lösung I Sei k einer der Werte 1, 2, 5. Der Koeffizient von x p der Potenzreihe h k = X kn = 1 1 X k gibt an, auf wie viele Arten p aus Münzen von je k Cent zusammensetzbar ist. Die Produktregel für Potenzreihen sagt uns, dass der Koeffizient von X p in h 1 h 2 h 5 die Anzahl der Möglichkeiten angibt, p Cent durch Münzen der Werte 1, 2 und 5 Cent herauszugeben. Fazit: Die gesuchte erzeugende Funktion ist g = 1 (1 X) (1 X 2 ) (1 X 5 ). 15
17 Wechselgeldproblem: Die Lösung II Aus der erzeugenden Funktion g = (1 X) (1 X 2 ) (1 X 5 lassen sich ) die Koeffizienten durch sukzessives Ableiten ermitteln. Bezeichnet nämlich g (n) die n-te Ableitung von g nach X, so ergibt sich a n = g(n) (0) n! (Sogenannte Taylorentwicklung von g.) Diese Arbeit lassen wir am besten ein Computeralgebrasystem erledigen. Wir erhalten beispielhaft a 77 = 328. Es gibt daher genau 328 Möglichkeiten, 77 Cent mit Münzen zu 1, 2 und 5 Cent herauszugeben. 1 16
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