Ein Brief an den Künstler JONATHAN MEESE von SILVANA GERARDS
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- Kajetan Messner
- vor 6 Jahren
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1 REVOLUTION DES BEWUSSTSEINS. DIE TOTALITÄT DER GEGENWART DER UNTERGANG DER EGOMANIE. SEI TOTAL IM JETZT, DANN DIKTIERT DIE KUNST DEIN HANDELN. Ein Brief an den Künstler JONATHAN MEESE von SILVANA GERARDS Lieber Jonathan Meese, Bereits vor zwei Jahren habe ich mich mit Ihnen beschäftigt, doch während ich vor Kurzem ein Interview 1 von Ihnen las, bemerkte ich, dass ich Sie nun erst vollends begreife. Damals, als ich mich im zweiten Studienjahr befand, begriff ich Sie nur konzeptuell. Sie redeten damals bereits davon, dass jeder eine Ameise der Kunst sein sollte, dass jedes Werk, das man erschüfe ein Eigenleben habe und man deshalb das eigene Ich aus dem Werkprozess heraushalten sollte. Zu dem damaligen Zeitpunkt konnte ich aufgrund meines Bewusstseinsstadiums Sie nur konzeptuell verstehen, da ich meines eigenen Egos nicht bewusst war. Ja, ich sah mich auch als Diener, Ameise, Instrument der Kunst und genau da lag die Krux: ich sah mich als Werkzeug der Kunst. Ein neues Selbstbild war entstanden. Anders formuliert hatte mein Ego eine neue Identifikationsmöglichkeit in Ihrem Konzept entdeckt das Konzept der Diktatur der Kunst, in dem alle Diener der Kunst werden sollen. Weil ich noch keinen Abstand zu meinem Ego hatte, was bedeutet, dass ich noch völlig mit meinen Gedanken identifiziert war, fiel ich in eine neue Ego-Falle und verstand somit den Kern Ihres Anti-Konzepts nicht. Ich nenne Ihre Diktatur der Kunst ein Anti-Konzept, da es eigentlich kein Konzept ist, sondern nur Hinweise auf eine Bewusstseinsebene bietet, die mit der reinen intellektuellen Bewusstseinsebene, dem Verstand, nicht zu erfassen ist und sich somit nicht konzeptualisieren lässt. Dies kann ich jetzt erst begreifen, da ich seit dem dritten Studienjahr einen sequentiellen Bewusstseinswandel erlebe, der durch Lesen philosophischer Literatur, die
2 sich mit dem menschlichen Ego beschäftigt, beschleunigt wurde. Zu jener Zeit entstand ein Bruch zwischen mir und meinem Ego, da es mir unter anderem jegliche Leichtigkeit während der Handlung des Malens raubte, sodass ich müde meines Selbsts wurde. In dem bereits erwähnten Interview sagen Sie so richtig Hör auf mit deinem Ich! Stell dich damit nicht der Kunst in den Weg!. 2 Genau das beschreibt mein damaliges Problem, doch würde ich diesen Imperativ etwas umformulieren in: Stell Dein Ich nicht der Kunst in den Weg! Mein Ego stand mir damals im Weg, insofern dass ich mich mit den Werken, die ich schuf, identifizierte. Ich zog mein Selbstbild aus der Malerei, was dazu führte, dass negative Kritik schmerzhaft sein konnte, sowie es dann schmerzhaft war, wenn die Malerei nicht so wurde, wie ich es wollte. Pointiert stellen Sie, Herr Meese, auch fest: Es geht nicht um meinen Willen, denn der ist ja begrenzt. 3 Mein Ego will. Mein egoistischer Wille ist jedoch begrenzt, da mein Ego eine Ansammlung von allen Gedanken ist, die ich über mich habe, und diese Gedanken alle konditioniert sind durch meine Erfahrungen, durch mein Erlerntes, durch die neurobiochemische Verfassung meines Gehirns, und so weiter. Somit sind Gedanken und damit auch der egoistische Wille begrenzt. Schopenhauer versuchte zwar in Die Welt als Wille und Vorstellung den Willen vom Intellekt zu unterscheiden, was jedoch ein Unterfangen ist, das zum Scheitern verurteilt ist. Das illusorische Selbstbild, das der Verstand von uns erschafft, das Ego, ist in einem ständigen Zustand der Unvollständigkeit, weil der Verstand ausschließlich mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt ist. Meist war die Vergangenheit an einigen Punkten oder vielleicht sogar völlig problematisch und es wird gehofft, dass es in der Zukunft besser wird, in dem man sich zum Beispiel irgendwann selbst verwirklicht oder irgendwann endlich bei sich ankommen wird. Der egoistische Wille kann niemals langfristig befriedigt werden. Sobald ein Ziel erreicht wird, beschäftigt sich der Verstand nicht lange mit dem Erreichten sehr schnell wird auch wieder an ein nächstes Ziel (Zukunft) gedacht und immer der Weg zum Ziel als ein Mittel zum Zweck degradiert. Mir passierte es beispielsweise, dass ich während des Malens bereits in Gedanken an der nächsten Malerei beschäftigt war und infolgedessen auch schon in Sorgen um die darauffolgende Malerei war, sodass ich nicht meine volle Aufmerksamkeit auf die Gegenwart und somit auf die Handlung bzw. dem Weg selbst richtete. Ergo habe ich, um es in Ihrem Wortlaut auszudrücken, nicht total gemalt. Wenn man mit einem Gedanken beschäftigt ist, erhält der Gedanke die Hauptaufmerksamkeit, die Gegenwart wird nur peripherisch wahrgenommen. Sofern man also mit einem Gedanken beschäftigt ist, ist man nicht total gegenwärtig, was Indiz dafür ist, dass der Verstand sich nicht mit der Gegenwärtigkeit beschäftigt. Man kann selbstverständlich total gegenwärtig sein und denken ich lerne nur langsam, dass ich
3 nicht jedem Gedanken meine volle Aufmerksamkeit schenken muss, was sogar energieraubend ist, weil der Großteil der Gedanken repetitiv ist. Es ist folglich eine Frage der Lenkung der Aufmerksamkeit. Ich begann im letzten Jahr bewusst meine volle Aufmerksamkeit auf das Malen zu richten, das heißt total zu malen. Außerdem bemerkte ich im Laufe des Studiums, dass es bei mir um das Medium Malerei an sich geht. Wenn ich meine volle Aufmerksamkeit auf die Handlung richte, führt das Werk selbst Regie, da mein eigener Wille in einem absoluten Moment der Gegenwärtigkeit nicht meine volle Aufmerksamkeit erhält. Das meinten Sie, als Sie immer (eventuell in einem anderen Wortlaut) sagten, dass die Werke ein Eigenleben hätten. Volle Aufmerksamkeit auf die Handlung zu richten, bedeutet sich nicht nur auf die praktische Handlung des Malens zu fokussieren, sondern auch auf die Kontemplation, die Teil der malerischen Handlung ist. Allgemein kann man die Dinge an sich niemals vollkommen erfassen- nur annähernd, wenn man sie total beschaut, das heißt, dass man sie ohne intellektuelle Konditionierung beschaut. Die situative Konditionierung von Raum und Zeit ist selbstverständlich nicht abzuschalten die Raum und Zeit -Brille ist nicht abnehmbar, wie Immanuel Kant bereits erkannte. Dennoch kann man die Dinge als ein pures, wahrnehmendes Bewusstsein wahrnehmen, in dem man sie in erster Instanz ganz gegenwärtig beschaut, ohne sie benennen, respektive ohne sie in unserem Intellekt zu toten Konzepten zu abstrahieren. So betrachte ich auch bewusst während des Prozesses des Malens die Malerei, denn nur so kann ein neuer Einfall aus einer anderen Quelle als aus der meiner konditionierten Quelle, meines Verstandes, kommen. Würde ich die Malerei durch die Ego-Brille, meine intellektuelle Konditionierung, hindurch betrachten, so ist dies eine selektive Perzeption, durch die ich das Werk nicht annähernd erfassen kann. Jeder trägt diese Konditionierung mit sich, es sei denn, man litte an Amnesie. Wird man sich der eigenen Konditionierung jedoch bewusst, kann das zu beschauende Ding wieder mit unschuldigen Augen gesehen werden. Wenn ich mir während des Malprozesses die Malerei also mit voller Aufmerksamkeit ansehe, bin ich innerlich still, und es entsteht ein innerlicher Raum (bzw. Leere) in mir, in dem ein neuer kreativer Einfall entstehen kann. Dieser neue Einfall entspringt nicht meinem Ego Sie, Herr Meese, würden sagen, dass er der Kunst entstammte. Sie relativieren in dem Interview aber auch Wir können es auch Liebe nennen. Wir brauchen das nicht Diktatur der Kunst zu nennen. 4 Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Man könnte es auch das Leben, das Sein nennen, das in all seinen verschiedenen Manifestationen seine Kreativität zeigt. Statt Kunst könnte man es auch die Kreativität des Kosmos nennen, oder das
4 Formlose. All diese Worte sind nur Hinweise. The limitless cannot be captured by thought. konstatierte Jiddu Krishnamurti. 5 Wenn ich also innerlich still bin und somit ein innerlicher Raum entstanden ist, kann ein neuer Einfall aus einer anderen Quelle entspringen man nenne diese Quelle Kunst, Leben, das Formlose und so weiter. Da, wo nichts ist, kann etwas entstehen. Das kennt man auch aus der Natur: das Leben entsteht überall da, wo Platz für das Leben ist. Das ist die Kreativität des Lebens, die sich durch alle Formen hindurch zieht. Falls man also ganz gegenwärtig ist, diktiert diese Kreativität die Handlung und man ist, wie Sie es nennen, Herr Meese, ein Diener der Kunst. Die intellektuelle Konditionierung (mein Erlerntes, meine Erfahrungen) besteht dann weiterhin, führt jedoch nicht die Regie, sondern wird instrumentalisiert. So verstehe ich auch Joseph Beuys Ausspruch und Titel seines Gedichts Jeder Mensch ist ein Künstler. Jeder, der mit aller Totalität, Radikalität, Hingabe handelt, ist Ventil für diese eine Kreativität, die sich durch alles hindurch zieht. Machte dies jeder, so wären alle Diener der Kunst, wie Sie es formulieren, und alle machten das Notwendige, beziehungsweise würden alle total ihre Aufgabe machen und ganz einfach, weil sie sie machen müssten, weil die Kreativität des Lebens es ihnen diktierte. Ihre Aussage, Herr Meese, Kunst ist immer die totale Gegenwelt, also Antirealität. 6 verstehe ich folgendermaßen: das Wort Realität würde ich bei Ihnen mit dem Wort Formenwelt gleichsetzen, also alles, was für uns sinnlich wahrnehmbar ist, und das sind die sichtbaren sowie unsichtbaren Formen beispielsweise sind Gedanken unsichtbare Energieformen. Die Gegenwelt dazu ist das Formlose, aus dem alles entsteht. Mit Kunst meinen Sie bei dem Satz sicher nicht die Materialisierung des Formlosen (Kunst), das Kunstwerk, sondern die Quelle (das Formlose), aus der unter anderem ein Kunstwerk und alles Mögliche entstehen kann. Menschen, die voll und ganz mit den Formen und somit auch mit ihren Gedanken identifiziert sind, bezeichnen Sie als Realitätsfanatiker. Das formuliere ich persönlich anders. Es sind Fanatiker ihrer eigenen Illusion von Realität. Das Einzige, was tatsächlich real ist, ist das Jetzt. Die Gedanken, die ich über mich (Ego) und die Realität habe, sind steif und erschaffen eine Illusion von der Welt ein Weltbild, sie sind begrenzt und konditioniert. Das Leben ist nicht steif, sondern ständige Veränderung und unbegrenzt. Ich weiß, dass ich nichts weiß. stellte Sokrates fest. Anders gesagt: Ich weiß, dass ich nichts weiß, da ich weiß, dass meine Gedanken begrenzt sind und ich somit nur begrenzt Kenntnis über die für mich wahrnehmbare Welt gewinnen kann. Indem man einmal aus dem Traum des Egos erwacht ist, sich also nicht mehr mit seinen Gedanken identifiziert, kann man nicht mehr so tief einschlafen, um diesen Traum vollends weiter zu träumen. Man ist zu wach. Durch aufmerksame Beobachtung des eigenen Verstandes, richtet man Licht auf die eigenen Gedanken und schafft Klarheit. Im puren Licht der Gegenwart, der einzig wahren Realität, stirbt diese Illusion, mein Ego.
5 In dem Film Monty Python s Life of Brian der Komikergruppe Monty Python bemerkte Eric Idle: You know, you come from nothing, you're going back to nothing. What have you lost? Nothing! Nichts verliere ich nur mein Ego und das kann ich schon bevor ich physisch sterbe. Zum Glück! Habe ich Sie nun richtig verstanden, Herr Meese? 1 Monopol Magazin für Kunst und Leben ; Ausgabe 4/2012; S Monopol Magazin für Kunst und Leben ; Ausgabe 4/2012; S. 73, Z Monopol Magazin für Kunst und Leben ; Ausgabe 4/2012; S. 72, Z Monopol Magazin für Kunst und Leben ; Ausgabe 4/2012; S. 74, Sp. 2, Z Monopol Magazin für Kunst und Leben ; Ausgabe 4/2012; S. 76, Z
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