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1 8 + 9/2012 September Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Magazin Eurokrise Rechtsprechung Gemischte Sozietät» Mit ra-micro habe ich es beim Aktensuchen leicht und beim Aktenstudium einfach RAin Andrea Koch Kanzlei Koch & Martinius, Berlin» Ob in der Kanzlei, zuhause oder beim Mandanten: ra-micro sorgt dafür, dass Akten und Dokumente dort digital verfügbar sind, wo sie gerade gebraucht werden. Jederzeit und zeitgleich für mehrere Nutzer. INFOLINE

2 Editorial Gemeinsam frei und stark Prof. Dr. Heinz Josef Willemsen, Düsseldorf Rechtsanwalt, Herausgeber des Anwaltsblatts Die Themen des 69. Deutschen Juristentages 2012 bilden den Schwerpunkt dieses Doppelheftes. Schon dies ist Anlass genug, sich der Aufgaben und Stärken dieser ehrwürdigen Institution zu besinnen, die bemerkenswerte Parallelen zu denjenigen des Deutschen Anwaltvereins aufweisen. Der Juristentag lebt ebenso wie der DAV allein von der Kraft seiner Argumente. Er ist im besten Sinne des Wortes staatsfrei und besonders wichtig auf den freiwilligen Beitrag seiner Mitglieder angewiesen. Das unterscheidet ihn ebenso wie den DAV von öffentlichrechtlich verfassten Korporationen, die sich ungeachtet dessen, wie sie sich in der Öffentlichkeit positionieren, stets auf die finanzielle Unterstützung ihrer (Zwangs-)Mitglieder verlassen können. Auf Grund der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG und wegen ihrer inhaltlichen Qualität haben die Stellungnahmen und Voten des Deutschen Juristentages seit jeher ein besonderes Gewicht. Sieht man von ganz wenigen Ausreißern ab, führen die Fachleute und nicht die Lobbyisten das Wort. Ziel ist die Gewinnung von angemessenen und praktikablen Rechtsregeln und nicht die Durchsetzung von Partikularinteressen. Auch der DAV lässt sich von dieser Maxime leiten, wenn er durch seine Fachausschüsse zu rechtspolitischen Themen Stellung nimmt. Und schließlich: Der Deutsche Juristentag ist ebenso wie der DAV kraft seiner privatrechtlichen Verfassung dazu berufen, der Legislative als argumentativer Gegenspieler gegenüberzutreten. Für öffentlich-rechtliche Zwangskorporationen trifft dies allenfalls in sehr eingeschränktem Umfang zu. Ihre Mitglieder haben, wie sowohl das Bundesverfassungsgericht wie auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt haben, einen Anspruch darauf, dass sie bei ihrer Tätigkeit die gesetzlich gesetzten Grenzen einhalten. So hat das Bundesverwaltungsgericht für die Industrie- und Handelskammern ein allgemeinpolitisches Mandat verneint und ihnen Äußerungen zu rechts- und wirtschaftspolitischen Themen nur dort zugestanden, wo sich der zu kommentierende Sachverhalt nachvollziehbar und konkret erkennbar auf ihre Mitglieder, also die ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden im eigenen Bezirk, auswirkt. Auch bei dem Wie der Äußerungen müssten öffentlich-rechtliche Körperschaften sich stets der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bewusst sein, woraus sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien ergebe (BVerwG v C 20/09, NVwZ-RR 2010, 882). Dem Juristentag und dem DAV sind derartige Beschränkungen hinsichtlich Gegenstand und Inhalt ihrer Stellungnahmen gottlob fremd. Das macht den Prozess der internen Meinungsbildung nicht gerade einfacher, aber demokratischer und damit auch wirkungsvoller. In diesem Sinne sind dem DJT 2012 spannende Diskussionen und ein erfolgreicher Verlauf zu wünschen. AnwBl / 2012 Mantel M 279

3 Anwaltsblatt Jahrgang 62, / 2012 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von der Rechtsanwältin und den Rechtsanwälten: Edith Kindermann Ulrich Schellenberg Herbert P. Schons Prof. Dr. Heinz Josef Willemsen Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung) Udo Henke Manfred Aranowski Rechtsanwälte Aufsätze Magazin Editorial 69. Deutscher Juristentag Report M 279 M 282 M 284 M 286 M 305 M 320 M 326 Gemeinsam frei und stark Prof. Dr. Heinz Josef Willemsen, Düsseldorf Rechtsanwalt, Herausgeber des Anwaltsblatts Nachrichten Bericht aus Berlin: Wirbel um Steuer-CD s und die Homo-Ehe Prof. Dr. Joachim Jahn, Berlin Bericht aus Brüssel: 4. Geldwäscherichtlinie (K)ein Änderungsbedarf bei Anwälten?! Rechtsanwalt Jonas Regenfuß, Brüssel Nachrichten Stellenmarkt des Deutschen Anwaltvereins Bücher & Internet Deutsche Anwaltakademie Seminarkalender 668 Abteilung Zivilrecht mit Aufsätzen von Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen (Köln), von Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich (Halle), von den Rechtsanwälten Prof. Dr. Hanns-Christian Salger und Dr. Sönke Schröder (Frankfurt am Main) und von Rechtsanwalt Manuel Schauer (Saarbrücken) 697 Abteilung öffentliches Recht Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Uechtritz, Stuttgart 704 Abteilung Wirtschaftsrecht Dr. Christoph Kumpan, LL.M. (Univ. of Chicago), Hamburg 709 Abteilung Strafrecht Rechtsanwalt Prof. Dr. Marco Gercke, Köln 714 Abteilung Soialrecht Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M., und Lioba Sternberg, Bonn 716 Abteilung IT- und Kommunikationsrecht mit Aufsätzen von Rechtsanwalt Prof. Niko Härting (Berlin) und von den Rechtsanwälten Prof. Dr. Christian Schertz und Dominik Höch (Berlin) Deutscher Juristentag: Eurokrise als Verfassungskrise Maximilian Steinbeis, Berlin Meinung & Kritik Deutscher Juristentag: Denk ich an Europa... Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Berlin Kommentar 744 Anwaltsnotariat als Vorbild Rechtsanwältin und Notarin Dörte Zimmermann, LL.M., Berlin Gastkommentar 745 Das kleine ABC des Gesetzgebers Christian Bommarius, Berliner Zeitung Anwälte fragen nach Ethik Schlussplädoyer M 328 Nachgefragt, Comic, Mitglieder-Service 776 Fotonachweis, Impressum Anwaltsrecht 723 Haftungsverfassung der GbR Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock, Köln 727 Fremdbesitz an Kanzleien Rechtsanwalt Markus Hartung, Berlin 746 Ein interessantes Honorarmodell DAV-Ausschuss Anwaltliche Berufsethik Anwaltsvergütung 728 Factoring von Honoraren Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Soldan Institut, Köln Notarrecht 730 Zukunft des Anwaltsnotariats DAV-Stellungnahme Nr. 46/ Europa und deutsches Notariat Rechtsanwalt und Notar Volker G. Heinz, Berlin 735 Bücherschau Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln M 280 AnwBl / 2012 Mantel

4 Anzeige MN Aus der Arbeit des DAV Rechtsprechung 748 DAV Türkei: Westerwelle auf Gründungsfeier in Istanbul 749 Tätigkeitsbericht: DAV als Kraft in der Gesellschaft 750 Anwaltstag: Das Plädoyer als große Anwaltskunst 751 Soldan Institut: Neuer Trend Kanzleigründung über Umweg 752 Anwaltstag: Das Verfahren vor dem EuGH 753 Anwaltstag: Die Kunst, Anwältin (und Mutter) zu sein 754 Anwaltstag: Zankapfel Urheberrecht 755 Anwaltstag: Mediation und Anwalt 756 Anwaltstag: Die Kunst, Syndikusanwalt zu sein 756 Anwaltstag: Oldtimer als Kulturgut 757 Anwaltstag: Die Grenzen der Kunst im Recht 758 AG Strafrecht: Symposium zum Revisionsrecht 759 AG Arbeitsrecht: Tagungen im Frühjahr und Herbst 760 AG Bank- und Kapitalmarktrecht: Frühjahrstagung 761 DAV-Stellungnahmen 762 Deutsche Anwaltakademie 762 Landesverband Nordrhein- Westfalen: 4. Landesverbandstag 763 Mitgliederversammlungen der Arbeitsgemeinschaften 764 Personalien (u.a. Hartmut Kilger) Haftpflichtfragen 766 Das Haftungssubjekt bei der anwaltlichen Berufshaftung Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherung, München Anwaltsrecht 769 BGH: Keine Interessenkollision bei nur latentem Konflikt 771 OLG Bamberg: Anwaltswahl und Rechtsschutzversicherung 772 SG Münster: Rentenbefreiung bei befristeter Nebentätigkeit Anwaltshaftung 773 BGH: Gemischte Sozietät alle Sozien der GbR haften für alles Anwaltsvergütung 775 BGH: Korrektur keine 1,5-Geschäftsgebühr als Regel Notarrecht 776 BVerfG: Dienstordnung der Notare verfassungsgemäß 776 KG Berlin: Keine Dienstleistungsfreiheit für Notare

5 Bericht aus Berlin Wirbel um Steuer-CD s und die Homo-Ehe Gesetzgebung KapMuG Mitten in der Sommerpause des Parlaments kam plötzlich die Steuerpolitik ganz groß raus. Dabei ging es nicht nur um das altbekannte Petitum von SPD, Bündnisgrünen und Linkspartei, die Reichen müssten mehr Lasten schultern, etwa durch eine Wiedereinführung der Vermögensteuer. Im Vordergrund stand diesmal die Forderung, das Ehegattensplitting auf homosexuelle Lebenspartnerschaften auszuweiten. Ein neuer Schlag gegen Steuerkriminelle kam hinzu: In einer Art Schlussverkauf hat Nordrhein-Westfalen gleich noch einmal vier neue CD s mit gestohlenen Bankdaten gekauft. Der Coup des Düsseldorfer Finanzministers Norbert Walter-Borjans richtet sich dabei nicht nur gegen wohlhabende Bürger, die ihr Vermögen in der Schweiz vor dem deutschen Fiskus verstecken. Zugleich versuchte der Sozialdemokrat damit das Steuerabkommen zu torpedieren, das sein Ressortkollege auf Bundesebene, Wolfgang Schäuble (CDU), mit der Regierung in Bern ausgehandelt hat. Die SPD will es im Bundesrat in der vorliegenden Fassung ablehnen, weil es Steuerhinterziehern einen günstigen Pauschaltarif gewährt und eine Amnestie durch die Hintertür. Bemerkenswert: Die Fahnder sollen nicht nur Beweismaterial gegen einige Prominente gefunden haben. Sondern auf den USB-Sticks (um digitale Silberscheiben geht es in der Praxis meist gar nicht mehr) soll sich auch eine Papierspur dafür finden, dass Schwarzgeld nach Singapur verschoben wird, um der drohenden Versteuerung zu entrinnen. Und der Beleg, dass Schweizer Banken bei diesem Transfer kräftig mithelfen, um sich ihr Geschäft mit den Straftätern wenigstens in ihren Filialen in Asien zu sichern. SPD-Chef Sigmar Gabriel holte zu einem rhetorischen Schlag gegen die Finanzinstitute nach dem anderen aus; zum inoffiziellen Beginn des Bundestagswahlkampfs (und der parteiinternen Kandidatenkür für die Kanzlerschaft) warf er ihnen organisierte Kriminalität vor. Wohingegen Schäuble und die ersten Bundesländer aus der Finanzierung des millionenschweren Datenankaufs ausstiegen, weil der Rechtsstaat kein Hehler sein dürfe. Die Forderung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften an den Segnungen des Ehegattensplittings teilhaben zu lassen, hätte es dagegen wohl ohne das mediale Sommerloch nicht so groß in die Schlagzeilen geschafft. 13 Volksvertreter aus der CDU taten sich zusammen und forderten die Gleichstellung von Schwulen und Lesben bei der Einkommensteuer. Rückenwind erhielten sie dabei vom Bundesverfassungsgericht, das in diesen Tagen gleich zweimal eine Benachteiligung eingetragener Lebenspartner verwarf. Ein paar weitere Christdemokraten schlossen sich dem Appell an, der sich (zumindest im Kern) auf den schwarzgelben Koalitionsvertrag stützen kann; darunter Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, deren Ansichten sonst von notorischen Kritikern für altbacken gehalten werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) und Bundeswirtschaftsminister Rösler, dessen Schicksal als Parteichef der Liberalen von den bevorstehenden Landtagswahlen in Niedersachsen abhängt, machten sich dafür stark, das Vorhaben noch in das aktuelle Jahressteuergesetz aufzunehmen. Doch die Linie von Ressortchef Schäuble lautet, das für kommendes Jahr erwartete Verdikt aus Karlsruhe abzuwarten. Man darf gespannt sein, welche Regierung es dann nach dem nächsten Urnengang im Bund umzusetzen haben wird. Vielleicht gar als Familien-Splitting. Der Autor Prof. Dr. Joachim Jahn, Berlin ist Wirtschaftsredakteur der F.A.Z. und Honorarprofessor an der Universität Mannheim. Er schreibt im Wechsel mit Peter Carstens, ebenfalls von der F.A.Z. Kurz vor der Sommerpause hat der Bundestag am 28. Juni 2012 das neue Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in dritter Lesung verabschiedet (Drs. 17/10160, Heft 06/2012). Unter anderem ist eine moderate Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Rechtsstreitigkeiten mit nur mittelbarem Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation vorgesehen. Außerdem können Kapitalanleger künftig durch Anmeldung ihrer Ansprüche die Verjährung hemmen. Dann können sie nach Ausgang eines Musterverfahrens noch über eine Klageerhebung entscheiden. Das Gesetz wird auf acht Jahre befristet. Jetzt muss das KapMuG noch den Bundesrat passieren. Dessen Zustimmung ist aber nicht erforderlich. Das derzeit noch geltende Gesetz tritt am 31. Oktober 2012 außer Kraft. Berufshaftung Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 6. Juli 2012 erstmals den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbb) beraten. In seiner zustimmenden Stellungnahme bittet der Bundesrat um Prüfung, ob auch Steuerberatern eine Mindestversicherungssumme in Höhe von einer Million Euro auferlegt werden sollte. Sicherungsverwahrung Experten sind sich uneinig darüber, wie die Sicherheitsverwahrung gesetzlich am besten zu regeln ist. Der Entwurf zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots bei der Sicherheitsverwahrung (Drs. 17/9874, Heft 05/2012) war am 27. Juni 2012 Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss. Das BVerfG hat den Gesetzgeber angehalten, bis Juni 2013 eine neue Regelung zu finden. Erst am 20. Juni 2012 hat es in einem Beschluss die Sicherheitsverwahrung im Grundsatz für verfassungsmäßig erklärt, mahnte aber erneut die notwendige Einhaltung des Abstandsgebots an. Warnschussarrest Das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten (Drs. 17/9389) hat am den Bundesrat passiert. Es lässt neben einer Bewährungsstrafe einen Jugendarrest zu und erhöht für Heranwachsende in besonders schweren Mordfällen die Strafe auf 15 Jahre. M 282 AnwBl / 2012 Mantel

6 Bericht aus Brüssel 4. Geldwäscherichtlinie (K)ein Änderungsbedarf bei Anwälten?! Gesetzgebung EU-Patentpaket vorerst gestoppt Nicht alle guten Dinge sind drei. Daher hat die EU-Kommission die Anwendung der Richtlinie 2005/60/EG (die sog. Dritte Geldwäscherichtlinie ) einer Prüfung unterzogen. In Deutschland wurde die Richtlinie vornehmlich im Geldwäschegesetz ( GwG ) umgesetzt, welches erst kürzlich umfassend novelliert wurde (vgl. Burmeister/ Uwer, AnwBl 2012, 395). Basierend darauf hat die Bundesrechtsanwaltskammer am 5. Juni 2012 angeordnet, dass in Praxen mit mehr als 30 Rechtsanwälten oder Berufsträgern sozietätsfähiger Berufe ein Geldwäschebeauftragter bestellt werden muss. Die Kommissionsbeamten haben in ihrem Bericht besonderes Augenmerk auf Rechtsanwälte und andere selbstständige Angehörige von Rechtsberufen gelegt. Im Großen und Ganzen zeigen sie sich zufrieden. Da der Bericht als Grundlage für eine zum Herbst 2012 angekündigten Vierte Geldwäscherichtlinie dient, wird denn auch keine Not zur grundlegende[n] Überprüfung der Behandlung von Rechtsanwälten gesehen. Wirklich? Meldepflichten und Berufsgeheimnis Insbesondere beim bedeutsamsten Anliegen der Anwaltschaft der Vereinbarkeit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht mit den in der Richtlinie vorgesehenen Identifizierungs- und Meldepflichten sieht die Kommission keinen akuten Handlungsbedarf. Stattdessen verweist sie auf das 2007 zur Vorgängerrichtlinie ergangene EuGH-Urteil und damit auf die jeweilige Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten. Der Gerichtshof hatte entschieden, dass aufgrund der vorgesehenen Ausnahmen von den durch die Richtlinie auferlegten Pflichten soweit also Informationen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens oder der unmittelbaren Rechtsberatung eines Mandanten erlangt werden das Recht auf ein faires Verfahren gewahrt sei. Ob diese Auffassung angesichts der durch den Lissabon-Vertrag veränderten Rechtslage überhaupt noch haltbar ist, wird nicht zuletzt der EGMR mitentscheiden. Diesem liegen Beschwerden über die Verletzung der Artikel 6 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Meldepflichten vor. Darüber hinaus wird auch eine Verletzung der Artikel 47 und 7 der EU- Grundrechtecharta diskutiert. Die Überarbeitung der Richtlinie böte eine gute Gelegenheit für einen schonenden Ausgleich zwischen Geldwäschebekämpfung und Vertraulichkeit. Deutschland hat bislang jedenfalls eine anwaltfreundliche Umsetzung in 11 Abs. 3 GwG gewählt. Kommission für zentrale Meldestellen Eine Deloitte-Studie stellt des Weiteren fest, dass die von Anwälten gemeldete Zahl verdächtiger Transaktionen im Vergleich zu Kredit- und Finanzinstituten niedriger liege. Um die Zahl zu erhöhen wird unter anderem wird hierzu eine Verlagerung der Meldepflicht weg von den Selbstverwaltungseinrichtungen hin zur zentralen Meldestelle (in Deutschland das BKA) angedacht. Aufgrund der grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Berufsbildern darf schon bezweifelt werden, ob sich quantitative Vergleiche überhaupt erlauben. Naheliegender ist, dass Anwälte in der Auslegung von Sachverhalten besonders bewandert sind und nach abschließender Beurteilung durch die Rechtsanwaltskammern nur pflichtgemäße Meldungen gemacht werden. Dann aber ist die bestehende Ausgestaltung des Meldesystems geradezu beispielhaft und eine Änderung nicht notwendig. Die Auswahl an Problemstellungen zeigt, dass noch einiges an Diskussionsbedarf besteht, bevor es heißt: vier gewinnt. Der Autor Jonas Regenfuß, Brüssel ist Rechtsanwalt und Referent im Brüsseler Büro des Deutschen Anwaltvereins. Einen Schritt vor, einen Schritt zurück. Unter dieser Prämisse scheint der langjährige Tanz um das aus zwei Verordnungsvorschlägen zum einheitlichen Patent sowie einem Übereinkommen über die Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts (EPG) bestehende EU-Patentpaket weiterzugehen. Zunächst schien die langjährige Blockade der Arbeiten durch die Einigung der Staats- und Regierungschefs über den Sitz der Zentralkammer des EPG in Paris mit Außenkammern in München und London beendet. Doch hat der Rat auf Drängen Großbritanniens zugleich vorgeschlagen, in dem Verordnungsvorschlag über die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes sämtliche Schutzansprüche zu streichen. Damit wurde das EP derart vor den Kopf gestoßen, dass die ursprünglich für den 05. Juli 2012 im Plenum angesetzte BefassungmitdemPaketersteinmalverschoben wurde. Stattdessen wird zunächst geprüft, ob mit der Streichung nicht schon die Rechtsgrundlage der Verordnung (Art. 118 AEUV) entfällt. Diese Befürchtung hatte auch der DAV gleich im Anschluss an die Ratssitzung geäußert und außerdem in der seiner Stellungnahme Nr. 51/2012 deutlich gemacht, dass nur das Gesamtpaket seine Zustimmung erhalten können. Vor der Sommerpause wird jedenfalls nicht mehr mit einem Kompromiss gerechnet. EU-Scheidungsrecht Seit dem 21. Juni 2012 gelten in 14 teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten (Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Portugal, Spanien, Italien, Malta, Lettland, Luxemburg, Ungarn, Österreich, Rumänien und Slowenien) vereinheitlichte Kollisionsnormen für grenzüberschreitende Ehescheidungen. Die auch als Rom III bekannte Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 bezweckt die leichtere Erkennbarkeit des anzuwendenden nationalen Rechts, wodurch die Rechtssicherheit für internationale Paare verbessert werden soll. Für die Anwendbarkeit genügt, dass ein Ehepartner eine Verbindung zu einem der teilnehmenden Länder hat (zum Beispiel mittels Staatsangehörigkeit). Von den neuen Regeln profitiert vor allem der finanziell schwächere Ehepartner, da es nun nach Trennung und Wegzug eines Partners in einen anderen Teilnehmerstaat schwieriger ist, die Scheidung nach dortigem Recht zu beantragen ( forum shopping ). Der DAV hatte das Instrument in seiner Stellungnahme Nr. 55/2010 als ersten Schritt in die richtige Richtung begrüßt. M 284 AnwBl / 2012 Mantel

7 Nachrichten Anwaltsrecht Mediationsgesetz seit 26. Juli 2012 in Kraft Das Mediationsgesetz ist nun doch noch Gesetz geworden. Es ist am 26. Juli 2012 nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft getreten. Ende Juni 2012 hatten Bundestag und Bundesrat nach einer Einigung im Vermittlungsausschuss den Weg für das Mediationsgesetz frei gemacht. Das ursprünglich vom Bundestag Ende 2011 einstimmig beschlossene und im Februar 2012 vom Bundesrat vorläufig gestoppte Gesetz bleibt im Wesentlichen unverändert. Es schafft ein Berufsgesetz für Mediatoren und ein Güterichtermodell für alle Gerichtsbarkeiten. Auf Wunsch der Länder ist aber klar gestellt worden, dass der Güterrichter alle Methoden der Konfliktbeilegung einschließlich der Mediation einsetzen darf. Die Bezeichnung Mediator bleibt aber wie vom Bundestag gewollt außergerichtlichen Streitschlichtern vorbehalten. Neu ist auch eine Öffnungsklausel für die Länder, um Gebühren beim einvernehmlichen Abschluss eines Gerichtsverfahrens zu ermäßigen. Das Gesetz hat Prof. Dr. Hanns Prütting bereits im März-Heft des Anwaltsblatts (AnwBl 2012, 204) umfassend vorgestellt. Der nach wie vor aktuelle Beitrag ist abrufbar in der Anwaltsblatt-Datenbank unter Leserreaktion» Nachtrag zum Zitat Zum Editorial Vom guten Willen und der Wirklichkeit von Herbert P. Schons im Juli-Heft des Anwaltsblatts (AnwBl 2012, M 241): Im Editorial schließt der Herausgeber mit einem versartigen Dreizeiler, ohne allerdings dessen Autor offenzulegen. Ehre gebührt dem indischen Schriftsteller und Philosophen Rabindranath Tagore. Dessen berühmter Dreisatz lautet in einer besseren Übersetzung wie folgt: Ich schlief und träumte, das Leben wäre Freude. Ich erwachte und sah, das Leben war Pflicht. Ich handelte und siehe, die Pflicht war Freude. Rechtsanwalt und Notar, Barrister at Law & Scrivener Notary Volker G. Heinz, Berlin Anwaltsrecht DAV-Forum: Elektronischer Rechtsverkehr für alle!? Der Zug elektronischer Rechtsverkehr rollt schon, und die Anwaltschaft ist im Begriff, abgehängt zu werden, wenn sie jetzt nicht ihre Interessen zu Gehör bringt. Kaum ein Thema wird in der Justiz derzeit so vorangetrieben und dabei so kontrovers diskutiert wie der elektronische Rechtsverkehr (ERV). Seine Einführung bedeutet einschneidende Veränderungen für den Anwaltsberuf und wirft viele Fragen auf. Wie sind zum Beispiel die anwaltliche Haftung, die Fristwahrung bei Zustellungen und das anwaltliche Verschwiegenheitsgebot berücksichtigt? Der aktuelle Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs sieht sogar vor, für jeden Rechtsanwalt ein elektronisches Postfach einzurichten und die Einreichung von anwaltlichen Schriftsätzen bei Gericht nur noch in elektronischer Form zu erlauben. Der DAV veranstaltet am 8. November 2012 in Berlin ein Forum, um die Chancen und Herausforderungen der Gesetzesentwürfe zum elektronischen Rechtsverkehr zu diskutieren. Was will die Anwaltschaft? Wie funktioniert der elektronische Rechtsverkehr in Deutschland, was muss noch besser werden? Geht die deutsche Anwaltschaft vorneweg oder sind andere Anwaltschaften in Europa schon weiter? Was kann aus anwaltlicher Sicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden, um den elektronischen Rechtsverkehr zu einem Erfolg bei allen Beteiligten zu machen? Der DAV lädt alle Anwältinnen und Anwälte am 8. November 2012 nach Berlin ein. Ziel des DAV-Forums ist eine breite Diskussion in der Anwaltschaft über die Zukunft des elektronischen Rechtsvrekehrs. Außerdem gibt es viele Informationen aus erster Hand. Damit Anwältinnen und Anwälte heute schon wissen, wie ihre Zukunft aussieht sie mitgestalten können. Weitere Informationen zum DAV-Forum Elektronischer Rechtsverkehr unter fortbildung/veranstaltungskalender und Deutsche Anwaltakademie, Catharina Hille, T.: 030/ , hille@anwaltakademie.de. Institut für Anwaltsrecht Berlin Jahrestagung 2012 im November Wie weit reicht das Anwaltsgeheimnis? Die 8. Jahrestagung des Instituts für Anwaltsrechts der Humboldt-Universität Berlin am 23. November 2012 widmet sich wieder aktuellen berufsrechtlichen Themen und setzt einen Schwerpunkt bei der Stellung des Syndikusanwalts sowie der Zukunft des Anwaltsgeheimnisses in Deutschland und Europa. Es referieren unter anderem Prof. Dr. Hanns Prütting (Köln) über Die berufsrechtliche Stellung des Syndikusanwalts ; Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor (Berlin) über die Zukunft des Anwaltsgeheimnisses in Deutschland und Europa ; Dr. h.c. Renate Jaeger (Berlin) über Die Schlichtungsstelle der Anwaltschaft: Ein Erfahrungsbericht und Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Quaas (Stuttgart) über die Aktuelle Rechtsprechung des Anwaltssenats des BGH. Anmeldeunterlagen und weitere Informationen unter: AG Verwaltungsrecht Arbeitstagung 2012 Die Jahrestagung der AG Verwaltungsrecht findet am Freitag, den 12. Oktober 2012 im Großen Sitzungssaal des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt satt. 9 Konkurrentenschutz: Die Querbezüge von Arbeitsrecht und öffentlichem Recht (Karl Kotzian-Marggraf, Präsident des Thüringer Landesarbeitsgerichts, Erfurt), 9 Das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz (Rechtsanwalt und Staatssekretär a. D. Dr. Alexander Schink, Bonn), 9 Steuerung von emissionsintensiven Vorhaben im Außenbereich (Rechtsanwalt Michael Hoppenberg, Hamm) und 9 Bestattungsrecht und postmortales Persönlichkeitsrecht (Rechtsanwalt Dr. Claus Esser, Erfurt). Anmeldung und weitere Informationen: AG Verwaltungsrecht im DAV, Rechtsanwalt Dr. Claus Esser, Alfred-Hess-Str. 23, Erfurt, Tel.: 0361/ , Fax: 008, esser@lhe-rechtsanwaelte.de. M 286 AnwBl / 2012 Mantel

8 Nachrichten Forum Anwaltsgeschichte Zehnjähriges Jubiläum: Forschungswettbewerb ausgelobt Solange es eine menschliche Kultur gibt, Menschen über Menschen zu Gericht sitzen, gibt es auch Menschen, die durch Sachkunde, Kenntnisse und Gewandtheit in Rede und Schrift die Rechtsuchenden unterstützen. (...) Eine Geschichte der Rechtsanwaltschaft ist daher eine Geschichte der menschlichen Kultur. So formulierte es Julius Magnus, inzwischen selbst eine historische Figur, in seinem 1929 erschienenen grundlegenden Sammelband über Die Rechtsanwaltschaft. Mehr als 70 Jahre später im November 2002 trafen sich in Berlin einige schon lange Zeit an der Geschichte der Anwaltschaft Interessierte und beschlossen, ihr gemeinsames Anliegen durch eine Vereinsgründung voran zu bringen. Seitdem sind die Mitglieder des Forums Anwaltsgeschichte, zu denen auch der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer, die Rechtsanwaltskammern Berlin und Sachsen sowie die Berliner Strafverteidigervereinigung gehören, darum bemüht, die durch den Status der Gemeinnützigkeit eröffneten Chancen für die Verbreitung und Vertiefung des in der Anwaltschaft wenig ausgeprägten historischen Bewusstseins zu nutzen. Dabei geht es nicht um einen nostalgischen Rückblick auf vermeintlich bessere Zeiten oder unkritische Heldenverehrung. Vielmehr braucht auch und gerade die deutsche Anwaltschaft ein kollektives Gedächtnis als unabdingbare Voraussetzung einer gemeinsamen Identität. Zukunft bedeutet nicht nur Veränderung, sondern auch Bewahrung. Im Austarieren dieses scheinbaren Widerspruchs liegt die Herausforderung. Eben weil es ihr aus vielerlei Gründen immer schwerer fällt, einen allgemein akzeptierten berufsethischen Konsens aufrecht zu erhalten, tut die Anwaltschaft gut daran, sich ihrer Wurzeln und historischen Entwicklung zu vergewissern. Die Besinnung auf die eigene Vergangenheit dient auch gegenüber einer immer kritischer (hinter-) fragenden Gesellschaft der legitimierenden Standortbestimmung und zeigt sehr instruktiv die Rolle des Anwaltsberufes als Motor und Nutznießer von Liberalisierung und Demokratisierung, aber auch seine mangelnde Fähigkeit, sich antidemokratischer Tendenzen zu erwehren, wenn dies gefordert war. Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und aus früheren Erfolgen Kraft und Zuversicht zu schöpfen, das muss der Ertrag der Rückbesinnung sein. Dabei stößt man oft auf Phänomene, die sehr vertraut erscheinen, etwa das keineswegs neue Bestreben, den personellen Zufluss zum Anwaltsberuf steuern (das heißt eindämmen) zu wollen, denn das Masseproblem an sich und ein Großteil seiner Ursachen sind so alt wie die freie Advokatur selbst. Während aber die Überfüllungsrhetorik populärer ist als je zuvor, geraten Gehalt und politische Bedeutung jenes fundamentalen Grundsatzes unseres beruflichen Selbstverständnisses in Vergessenheit. Das Forum Anwaltsgeschichte ist kein wissenschaftliches Institut, es kann Ideen lediglich sammeln, Anregungen geben und Hilfestellung leisten. Über sein Selbstverständnis und seine Aktivitäten gibt die Homepage umfassend Auskunft. Wir legen Wert darauf, für Interessierte aller Berufsgruppen offen zu sein und suchen den Kontakt mit Wissenschaftlern aus den rechts- und zeitgeschichtlichen Fakultäten, die an der Erforschung der Advokatur- und Anwaltsgeschichte arbeiten. Zu unseren regelmäßigen Aktivitäten gehört die Auslobung eines mit Euro dotierten Preises für ein anwaltsgeschichtliches Projekt oder eine wissenschaftliche Arbeit zu dieser Thematik. Am 31. Dezember ist Bewerbungsschluss. Gleichzeitig stehen wir in Kontakt mit den Berufsverbänden und freuen uns über jede von dort ausgehende Initiative mit historischer Thematik, erlauben uns allerdings auch, bei jeder passenden Gelegenheit das weit verbreitete Desinteresse an der Geschichte des eigenen Berufs(-standes) zu kritisieren und die Verantwortlichen dazu aufzufordern, die insbesondere den großen Verbänden sich bietenden Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, besser und häufiger zu nutzen. Rechtsanwalt Dr. Tillmann Krach, Vorsitzender des Vereins Forum Anwaltsgeschichte, Mainz Leserreaktion» Zahlendreher 40/60 Zu dem Beitrag Das Quotenvorrecht in der Rechtschutzversicherung von Rechtsanwalt Norbert Schneider im Juli-Heft des Anwaltsblatts (AnwBl 2012, 572): Ich bin gerade dabei, Ihren Aufsatz durchzuarbeiten. Das Thema war mir als gerade frisch zugelassene Anwältin gar nicht bewusst, weshalb ich den Aufsatz hochinteressant finde! Ich bin allerdings an den Beispielen 2 und 5 hängengeblieben und ein wenig verwirrt. In Beispiel 2 heißt es: Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 60 Prozent dem Mandanten auferlegt und zu 40 Prozent dem Beklagten. In Beispiel 5 heißt es: Wie Beispiel 2; jedoch hat der Mandant nur zu 40 Prozent gewonnen und zu 60 Prozent verloren. Ist das nicht das Gleiche, nur anders formuliert? Ich verstehe die unterschiedlichen Berechnungen nämlich leider nicht. Rechtsanwältin Rebecca Königs, Köln Anmerkung des Autors: Vielen Dank für Ihren Hinweis. In Beispiel 2 muss es richtig lauten, dass 60 Prozent der Beklagte trägt und 40 der Mandant. So ist auch die Berechnung entwickelt. Wir haben den Beitrag mehrmals Korrektur gelesen, diesen Dreher aber offenbar übersehen. Aus der Berechnung ergibt sich aber klar, was gemeint ist. Die Berechnung selbst ist auch zutreffend. AG Ausländer- und Asylrecht Fortbildung Fortbildungsveranstaltungn im zweiten Halbjahr 2012 sind unter anderem: in Frankfurt am Main: Berufungszulassungsrecht und Verfassungsbeschwerde (Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx, Frankfurt/Main) in Frankfurt am Main: Rückführungsrichtlinie; formelle und materielle Abschiebungsverbote (Rechtsanwälte Dr. Marco Bruns, Frankfurt/Main und Thomas Oberhäuser, Ulm). Anmeldung und weitere Informationen: Rechtsanwalt Wolfram Steckbeck, Leipziger Platz 1, Nürnberg, rasur@t-online.de oder M 288 AnwBl / 2012 Mantel

9 Aufsätze Deutscher Juristentag und was das Anwältinnen und Anwälte angeht Zehn Aufsätze von 13 Autoren Der 69. Deutsche Juristentag in München wird Ende September in sechs Abteilungen über die Fortentwicklung des Rechts diskutieren. Warum sich AnwältinnenundAnwälteindieDebatteneinmischensollten,erläuternzehnAufsätze in diesem Heft. Es geht um das AGB-Recht, Bürgerbeteiligung im Planungsund Zulassungsrecht, Corporate Governance, Internetstrafrecht, Wettbewerb im Gesundheitswesen sowie Datenschutz- und Persönlichkeitsrecht im Netz. 723 Haftung in der Anwaltssozietät: Kein Sonderrecht in der GbR Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock, Köln Das hat der BGH nun entschieden. Alle Hoffnungen auf Erleichterungen sind verflogen. In der gemischten Sozietät haftet jeder für alles und wer die Haftungskonzentration des 8 Abs. 2 PartGG haben will, muß PartG sein. 727 Fremdbesitz an Kanzleien: Weniger Nebelkerzen Weitblick zählt Rechtsanwalt Markus Hartung, Berlin England und Wales habe es vorgemacht: Dort ist jetzt streng reguliert Fremdbesitz an Anwaltskanzleien möglich. Warum das deutsche Verbot der Fremdbeteiligung sinnvolle Ausnahme braucht, erläutert der Autor. 730 Die Zukunft des Anwaltsnotariats in Deutschland und Europa Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereiens Nr. 46/2012 Nurnotariat und Anwaltsnotariat bilden das Rückgrat einer leistungsfähigen vorsorgenden Rechtsberatung. Doch der europäische Einfluss ist spürbar. Der DAV plädiert dafür, die Notariatsverfassung aktiv zu gestalten.

10 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts? Kleine Fälle beim BGH können im Kauf- und AGB-Recht kein großes Recht schaffen Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln Das deutsche Recht soll für die Wirtschaft vor allem wegen des AGB-Rechts im unternehmerischen Rechtsverkehr ein Fluch sein. Zwar werben Anwälte, Notare, Richter und inzwischen auch die deutsche Wirtschaft in der Initiative Law Made in Germany für den deutschen Rechtsstandort, aber die Kritik am AGB-Recht wird auch auf dem 69. Deutsche Juristentag zu hören sein, wenn in der Abteilung Zivilrecht am 19. und 20. September 2012 über die Reform des Verbraucherschutzes diskutiert wird. Doch woher kommt der schlechte Ruf des AGB-Rechts? Der Autor sieht ein Hauptproblem darin, dass der BGH das Kauf- und das AGB- Recht schon seit Jahren nur an kleinen Fällen entwickelt hat. Die großen Fälle löst die Wirtschaft offensichtlich außerhalb der staatlichen Gerichte. Der Rechtsstaat verzichtet damit freilich im Einvernehmen mit den Parteien weithin auf die Ausübung seiner Justiz- und Rechtsgewährung. Im Folgenden gilt es also, eine These zu untermauern. Es ist eigentlich eine These, der im Interesse der Entwicklung eines zeitgemäßen Schuldrechts widersprochen werden sollte. Denn sie lautet: Die vielfältigen neuen Rechtsentwicklungen sind in den letzten zehn Jahren seit der Schuldrechtsmodernisierung 1 im Wesentlichen durch Urteile des BGH jedenfalls im Bereich des Kaufrechts vorangetrieben worden, die entweder dem Verbraucherrecht oder Streitigkeiten zuzuordnen sind, die für den kleineren Mittelstand typisch sind. Das gilt auch und das ist die zweite These für den Bereich des AGB-Rechts. Gänzlich zu vermissen sind aber innovative Rechtsentscheide, die aus Gerichtsverfahren resultieren, welche größere wirtschaftliche Einheiten miteinander ausgefochten haben. Nimmt man den unbestreitbaren Befund hinzu, dass seit mehr als dreißig Jahren kein einziger M&A-Fall mehr vor dem BGH entschieden wurde, dann folgt daraus ein Doppeltes: Das deutsche Schuldrecht ist trotz der beabsichtigten Modernisierung in seiner Rechtwirklichkeit auf den Verbraucher und auf den Mittelstand zugeschnitten; darüber hinausreichende Erfahrungen stehen den Gerichten offenbar nicht mehr in hinreichendem Maß zur Verfügung. I. Erste These: Entwicklungen im Kaufrecht Exemplarisch sollen hier die Urteile des BGH dargestellt werden, welche für die Weiterentwicklungen des Kaufrechts entscheidende Bedeutung erlangt haben, zumal sie kontroverse dogmatische Streitfragen gelöst haben, die auch für den weiten Bereich des unternehmerischen Verkehrs wesentlich sind. 1. Garantiezusagen 444, 639 BGB a) Ausgangslage Keine Norm, die im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung geschaffen worden war, hat die Literatur so sehr beschäftigt, wie das Verbot des Haftungsausschlusses, das in den 444, 639 BGB ursprünglich vorgesehen war: Soweit danach der Verkäufer oder der Werkunternehmer die Garantie für die Beschaffenheit der Sache/eines Werks übernommen hat, ist es ihm verwehrt, sich auf eine Vereinbarung zu berufen, durch welche die Rechte des Käufers/Bestellers wegen eines Mangels und damit wegen der Verletzung der Beschaffenheitsgarantie ausgeschlossen oder beschränkt werden. 2 Laut wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die Befürchtung geäußert, diese an 11 Nr. 11 AGBG angelehnte Norm würde wegen ihrer Rigidität sowohl die bei M&A-Kaufverträgen übliche Garantien und die bei der Verletzung einer solchen, vom Verschulden losgelösten Garantie üblicherweise vorgesehenen, oft recht weitreichenden Haftungsfreizeichnungen oder Haftungsbegrenzungen unmöglich machen. 3 Diese Ansicht wurde allerdings vielfältig bekämpft. 4 Auch wurde die Auffassung vertreten, der Verbotstatbestand der 444, 639 BGB beziehe sich nur auf die Fälle einer unselbständigen Garantie. 5 b) Gesetzliche Modifikation Da erkennbar die zutreffende Auslegung der Grenzen des Verbotstatbestandes der 444, 639 BGB Schwierigkeiten bereitete, entschloss sich der Gesetzgeber im Rahmen des Fernabsatzänderungsgesetzes vom , 6 das Wort wenn durch soweit zu ersetzen. Damit sollte der Zweck der Verbotsnormen der 444, 639 BGB klargestellt werden: Der Käufer/Werkbesteller soll bei Vereinbarung einer Beschaffenheitsgarantie vor einer unredlichen Freizeichnung des Verkäufers/Werkunternehmers geschützt werden. 7 Ob damit wirklich Klarheit geschaffen wurde, ist in der Literatur in Zweifel gezogen worden. 8 Denn entscheidend kommt es ja unter Berücksichtigung der allgemeinen Auslegungskriterien der 133, 157 BGB stets darauf an, ob Inhalt und Reichweite der jeweiligen Garantieerklärung des Verkäufers/ Werkunternehmers gleichgültig, ob durch Individualvertrag oder durch eine AGB-Klausel in klarer und transparenter Weise eingeschränkt sind, weil die Norm im Ergebnis darauf hinausläuft, widersprüchliches Verhalten des Garantiegebers im Hinblick auf die Haftungssanktion auszuschließen. 9 Dieses aber ist immer in entscheidendem Maß von den Umständen des Einzelfalls abhängig. 1 BGBl. I S Hierzu Schmidt-Räntsch/Maifeld/Maier-Göring/Röcken, Das neue Schuldrecht, Köln 2002, S. 527 f. 3 Graf von Westphalen ZIP 2002, 545 ff.; ders., ZIP 2001, Dauner-Lieb/Thiessen, ZIP 2002, 108, 112; Hermann ZIP 2002, 696, 697; Wolf/Kaiser, DB 2002, 441, Seibt/Raschke/Reich NZG 2002, 256; Eidenmüller ZGS 2002, 290, 296; Weitnauer NJW 2002, 2511, BGBl. I S Palandt/Weidenkaff 444 Rdnr Graf von Westphalen, FS für Röhricht, Köln 2005, S. 671, 689 ff. 9 Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., Köln 2011, 444 Rdnr. 11 f. 668 AnwBl / 2012 Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen

11 69. Deutscher Juristentag c) Entscheidungsmaterial der BGH-Judikatur Die Ausgangsentscheidung des BGH zur zutreffenden Auslegung von 444 BGB betraf, um die Ausgangsthese sogleich aufzugreifen, den Fall des Verkaufs eines gebrauchten Motorrads im Internet. 10 In dem Verkaufsformular gab der Verkäufer unter der Rubrik Beschreibung an: Kilometerstand (km): km. Im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Beschaffenheitsgarantie im Sinn von 444 BGB erklärte der BGH, dass damit genauso wie mit der Übernahme einer Garantie im Sinn von 276 Abs. 1 Satz 1 BGB zumindest auch die Zusicherung einer Eigenschaft der Sache gemeint ist, wie sie in 459 Abs. 2 BGB a. F. verankert war. 11 Voraussetzung für die Bejahung einer solchen Garantie ist daher, dass der Verkäufer in vertragsgemäß bindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein der vereinbarten Beschaffenheit der Kaufsache übernimmt und gleichzeitig seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Beschaffenheit einzustehen, und zwar ohne Rücksicht auf ein Verschulden. 12 Dabei ist allgemein anerkannt, dass eine Beschaffenheitsgarantie sowohl ausdrücklich als auch konkludent abgegeben werden kann. 13 Doch hatte der BGH in seiner nachfolgenden Entscheidung vom in einer klassisch mittelständischen Streitigkeit darüber zu befinden, ob der Hinweis auf der Webseite eines Handelsvertreters, die Verwendung bestimmter Kunststoffkorken bei Weinflaschen könne eine enorme Qualitätssicherung für Ihre Kunden darstellen, einen entsprechenden Haftungswillen erkennen lässt, der losgelöst von einem Verschulden auf Schadensersatz gerichtet ist. Es ging hierbei typisch für einen relativ kleinen Streitwert um Schadensersatz in Höhe von insgesamt Euro ,51. Der BGH bekräftigte in diesem Urteil seine schon früher ergangene Rechtsprechung 15, dass bei der Bejahung einer stillschweigend zustande gekommenen Beschaffenheitsgarantie Zurückhaltung geboten ist, weil die Haftungsfolgen wegen der in der Garantie liegenden Risikoübernahme doch sehr weitreichend sind. 16 Da die Vorinstanz 17 die Rechtslage, insbesondere im Hinblick auf die nach Art Satz 1 BGB seit dem anwendbaren neuen Vorschriften verkannt hatte, wurde die Sache zurückverwiesen, um im Ergebnis festzustellen, ob die Angabe, dass Kunststoffkorken eine Alternative zum Naturkorken bei Weinflaschen sind, als Beschaffenheitsvereinbarung oder auch als haftungsbegründende Zusage im Sinn von 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 3 BGB zu verstehen sind. 18 Weitere, berichtenswerte Entscheidungen des BGH zur zutreffenden Auslegung und Anwendbarkeit einer Beschaffenheitsgarantie gemäß 443, 444 BGB sind nicht zu finden. Insbesondere sind auch keine Entscheidungen des BGH darüber bekannt geworden, wie sich die strikte Verbotsnorm von 444 BGB im unternehmerischen Verkehr, insbesondere bei der Lieferung von Maschinen/Anlagen oder gar im Unternehmenskaufvertrag auswirkt. Dies ist um an den Anfang der Überlegungen zurückzukehren deswegen von Wichtigkeit, weil die Kritik an 444 BGB a. F. gerade für diese Bereiche, in denen die Abgabe einer Garantie zum Tagesgeschäft gehört, die Diskussion losgetreten hatte. Denn dass der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung das Haftungsprofil zum Nachteil des Verkäufers im Vergleich zu 463 Satz 1 BGB a. F. erheblich verschärft hat, weil nach 444 BGB Freizeichnungen nicht unwirksam sind und Haftungsbegrenzungen dem Umfang der Risikoübernahme entsprechen müssen, liegt auf der Hand. 2. Mangel Schadensersatz als entgangener Gewinn 437 Nr. 3 BGB Eine der wichtigsten Fragen, welche die Schuldrechtsmodernisierung aufgeworfen hatte, bezog sich auf 437 Nr. 3 BGB. Danach ist der Verkäufer im Fall einer Mangelhaftung grundsätzlich auch zum Schadensersatz verpflichtet. Im Hinblick auf den in 439 BGB verankerten Nacherfüllungsanspruch wurde jedoch teilweise in der Literatur die Auffassung vertreten, die Lieferung einer mangelhaften Sache sei gleichzeitig als Verzögerung der nach 433 Abs. 1 Satz 2 BGB geschuldeten mangelfreien Leistung zu begreifen mit der Konsequenz, dass die als Folge des Mangels eintretenden Schäden erst ab Eintritt des Verzugs ( 286 BGB) ersatzfähig seien. Denn der Verkäufer, der eine mangelhafte Sache liefert, so wurde argumentiert, liefere immerhin, während der Verkäufer, der sich in Verzug befindet, zunächst einmal gar nicht liefert und daher auch nicht bessergestellt werden dürfe als derjenige, der mangelhaft geliefert habe. 19 Demgegenüber wurde freilich auch geltend gemacht, der Käufer sei berechtigt, den durch einen Mangel bedingten Nutzungsausfall nach 437 Nr. 3 BGB ersetzt zu verlangen, und zwar unabhängig von einem eingetretenen Verzug des Verkäufers. 20 In einer Grundsatzentscheidung vom ging es um den Kauf eines bebauten Grundstücks, das mit Wirkung vom für die Dauer von zehn Jahren vermietet werden sollte; doch verzögerte sich die Vorlage des Negativattests wegen Zweckentfremdung von Wohnraum. Der ursprünglich vom Käufer vereinbarte Mietvertrag sah eine monatliche Miete in Höhe von Euro 9.000, vor, während der später erst abgeschlossene Mietvertrag wegen der nicht rechtzeitigen Erteilung eines Negativattests waren Verzögerungen eingetreten eine Miete von lediglich Euro 7.000, vorsah, so dass der Kläger als Schaden die Differenz begehrte, einschließlich der Feststellung, dass auch der künftig entstehende Schaden zu ersetzen sei. Der BGH schloss sich der zuletzt vertretenen Auffassung an, weil die Lieferung einer mangelhaften Sache eine Pflichtverletzung im Sinn von 280 Abs. 1 BGB darstellt, was der BGH durch einen Hinweis auf die Gesetzesmaterialien 22 ebenso untermauert wie mit dem Argument, dass 437 Nr. 3 BGB auf die Schadensersatzregeln der 440, 280, 281, 283, 284 und 311 a BGB verweist, nicht aber auf die Verzugsregel des 286 BGB. Damit schuldete also der Verkäufer und das ist im Vergleich zum früheren Recht eine völlige 10 BGH NJW 2007, Vgl. auch Dauner-Lieb/Thiessen ZIP 2002, 108, 112 ff.; Triebel/Hölzle BB 2002, 521, 530 f. 12 BGH NJW 2007, 1346, Palandt/Weidenkaff 444 Rdnr NJW-RR 2010, BGH NJW 1996, 836 Fertigbeton; BGH NJW 1995, 518, 519 Inzahlungnahme eines Gebrauchswagens. 16 BGH NJW-RR 2010, OLG Köln BeckRS 2010, BGH NJW-RR 2010, 1329, Arnold/Dötsch BB 2003, 2250, 2253; Dauer-Lieb, in AnwKomm/BGB, 2005, 280 Rdnr. 60 ff.; Grigoleit/Riehn JuS 2004, 745, OLG Hamm BeckRS 2006, 7007; Faust, in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., 437 Rdnr. 67; Erman/Grunewald, BGB, 437 Rdnr. 19; Palandt/Weidenkaff 437 Rdnr. 35 f.; S. Lorenz NJW 2005, 1889, 1891; Graf von Westphalen BB 2008, 2, BGH NJW 2009, BT-Drucks. 14/6040 S Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen AnwBl /

12 69. Deutscher Juristentag Neuerung auch Ersatz des mangelbedingten Nutzungsausfalls. Dabei ist nach wie vor strittig, 23 ob der Ausschluss dieser Haftung nach 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam 24 oder als wirksam hinzunehmen ist. 25 Doch wird im praktischen Ergebnis das Schadensersatzrisiko des Verkäufers jedenfalls in seiner Funktion als Händler dadurch reduziert, dass der BGH nach wie vor 26 auf dem Standpunkt steht, dass ein Verschulden des Vorlieferanten/ Herstellers dem Verkäufer/Händler nicht nach 278 BGB zuzurechnen ist. 27 Untermauert wird diese Erwägung auch dadurch, dass den Verkäufer/Händler grundsätzlich mangels zureichender Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Mangels keine besondere Untersuchungspflicht im Hinblick auf die Mangelfreiheit der Kaufsache trifft, 28 wobei die Obliegenheit zur rechtzeitigen Mängeluntersuchung und Mängelrüge nach 377 HGB naturgemäß vorbehalten bleibt. Daher erschöpft sich auch die Verletzung der Rügeobliegenheit in der Sanktion des 377 Abs. 2 HGB, ohne die weitergehende Schadensersatzsanktion im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit nach 241 Abs. 2, 280 BGB auszulösen Inhalt und Umfang der Nacherfüllungspflicht Ausund Einbaukosten 439 Abs. 2 BGB bestimmt, dass der nacherfüllungspflichtige Verkäufer auch verpflichtet ist, alle die Aufwendungen zu tragen, die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlich sind, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten. Die hiermit zusammenhängenden Fragen haben hohe praktische Bedeutung vor allem für den Bereich des unternehmerischen Verkehrs durch zwei Entscheidungsstränge erlangt, in denen der Käufer Nacherfüllung durch Ersatzlieferung verlangte. Beide Fälle entstammen allerdings von ihrem Sachverhalt her dem Bereich der Miniaturstreitwerte. Dabei steht die praktisch wichtige Frage zur Debatte, inwieweit der Verkäufer auch verpflichtet ist, im Rahmen der Nacherfüllung die Aus- und Einbaukosten zu tragen, wenn der Käufer selbst den Einbau vorgenommen hat. Das hat auf der einen Seite erhebliche versicherungsrechtliche Relevanz, 30 ist aber auch unter der Perspektive einer Freizeichnung für diese Aufwendungen nach 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB von Bedeutung (vgl. sub c). a) Entscheidung Parkettstäbe In der Ausgangsentscheidung des BGH vom ging es darum, dass die von einem Holzhändler erworbenen Parkettstäbe mangelhaft waren, so dass ein Austausch des Parkettbodens erforderlich war; die Verlegung neuer Parkettstäbe wurde mit einem Betrag von Euro 3.666,56 veranschlagt. Der BGH stellte sich auf den Standpunkt, dass der Verkäufer, sofern der Käufer Nacherfüllung durch Ersatzlieferung verlangt, lediglich verpflichtet ist, neue, mangelfreie Parkettstäbe zu liefern. Der BGH begründete diese Auffassung mit der Erwägung, dass die Verpflichtung des Verkäufers lediglich dahin zielt, Eigentum und Besitz an einer mangelfreien Kaufsache im Sinn von 433 Abs. 1 BGB dem Käufer zu verschaffen. In der bis dahin ergangenen Literatur war diese Frage strittig geblieben: Teilweise wurde die Auffassung vertreten, der Nacherfüllungsanspruch des Käufers erfasse auch die Kosten für den Einbau der ersatzweise gelieferten anderen, mangelfreien Sache. 32 Mehrheitlich stand die Literatur jedoch auf dem Standpunkt, dass sich der Nacherfüllungsanspruch nicht auch auf den Ersatz dieser Einbaukosten erstreckt. 33 Der wesentliche Argumentationspunkt des BGH liegt nunmehr in der Erwägung: Vermögensschäden oder sonstige Aufwendungen, die der Käufer einer mangelhaften Sache erleidet, wie etwa Einbaukosten oder auch Nutzungsausfall, sind vom Verkäufer nur im Rahmen der Schadensersatzhaftung nach 437 Nr. 3 BGB in Verbindung mit 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Demgegenüber ist die Kostentragungspflicht im Rahmen von 439 Abs. 2 BGB ausschließlich auf den Leistungsgegenstand der Nacherfüllung nach 439 Abs. 1 BGB 34 zu beziehen und auch darauf zu begrenzen. Hinzu tritt die Erwägung, dass der Verkäufer/Händler, wie bereits zuvor kurz dargestellt, 35 die Mangelhaftigkeit der Lieferung hier nicht schadensersatzrechtlich nach 280 Abs. 1 BGB zu vertreten hat, weil der Vorlieferant/Hersteller nicht als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers/Händlers nach 278 BGB einzuordnen ist. 36 b) Entscheidung Fliesen Inzwischen hat aber der EuGH 37 und dies ist der nächste zu bedenkende, ausschließlich verbraucherpolitische Gesichtspunkt entschieden, dass die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinien 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie 38 in eine andere Richtung zielt: Wenn nämlich der Käufer vor Auftreten des Mangels gutgläubig die (mangelhafte) Sache eingebaut hat und dann nach Entdeckung des Mangels Ersatzlieferung begehrt, dann ist der Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllung verpflichtet, entweder selbst den Ausbau der mangelhaften Sache vorzunehmen (Ausbaukosten) und dann auch eine neue (mangelfreie) Sache einzubauen. Ob der Verkäufer sich selbst bei Abschluss des Kaufvertrages verpflichtet hatte, die Sache nach der Lieferung einzubauen oder ob der Käufer den Einbau auf eigene Veranlassung und damit auch auf eigenes Risiko getan hat, ist im Blick auf den Umfang der Nacherfüllungspflicht gleichgültig. 39 Zugrunde lag hier ein Kaufvertrag über polierte Bodenfliesen zum Preis von schmalen Euro 1.382,27; für die Lieferung neuer (mangelfreier) Fliesen und den Ausbau der mangelhaften Fliesen, einschließlich ihrer Entsorgung war ein Betrag in Höhe von Euro 2.122,37 angefallen. Doch die Grundaussage des EuGH gilt auch für den gesamten unternehmerischen Verkehr, weil der Gesetzgeber bei Umsetzung der Verbrauchsgüter-Kaufrichtlinie 1999/44/EG davon Abstand 23 Im Einzelnen Dauner-Lieb/Khan, in FS für Graf von Westphalen, Köln 2010, 57 ff. m.w.n. 24 Im Einzelnen AGB-Klauselwerke/Graf von Westphalen, 31. Ergänzungslieferung, Freizeichnungsklausel Rdnr. 59 ff.m.w.n. 25 Hierzu im Einzelnen auch Khan, Haftungsfreizeichnungen im unternehmerischen Verkehr Maßstab des 307 BGB, Köln 2011, S. 55 ff. m.w.n. 26 BGHZ 48, 118 ff. TREVIRA. 27 BGH NJW 2008, 2837, BGH NJW 2009, 2674, Vgl. auch Graf von Westphalen in Foerste/Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl., München Rdnr. 25 ff. 30 Hierzu neuestens Mühlbauer, in Foerste/Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl., München 2012, 73 Rdnr. 9ff. 31 BGH NJW 2008, 2837 Parkettstäbe. 32 Faust, in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., München 2007, 439 Rdnr. 18; OLG Karlsruhe ZGS 2004, MünchKomm/Westermann, BGB, 5. Aufl., München 2007, 439 Rdnr. 13; Thürmann NJW 2006, 3457 ff.; Lorenz NJW 2005, 1889, 1895 f.; OLG Köln ZGS 2006, BGH NJW 2008, 2637, BGHZ 48, 118 ff. TREVIRA. 36 BGH NJW 2008, 2837, EuGH NJW 2011, ABIEG Nr. L 171 S. 12 ff. 39 EuGH NJW 2011, AnwBl / 2012 Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen

13 69. Deutscher Juristentag genommen hatte, zwischen dem Kauf eines Verbrauchsguts und dem Kauf irgendeiner industriell genutzten Sache im Rahmen der 434 ff. BGB zu unterscheiden. Folglich hat der BGH unter Beachtung der zwingenden Vorgaben des EuGH nunmehr 439 Abs. 1 BGB dahin richtlinienkonform ausgelegt, dass die Lieferung einer mangelfreien Sache auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache einschließt. 40 Der BGH hat in seiner Ausgangsentscheidung 41 noch eine Schadensersatzhaftung des Verkäufers/Händlers für die Ausbaukosten wegen (schuldhafter) Lieferung mangelhafter Fliesen abgelehnt. Der BGH bediente sich auch hier zunächst der bereits zuvor apostrophierten Begründung: Der Vorlieferant/Hersteller der (mangelhaften) Fliesen ist nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers/Händlers im Sinn von 278 BGB. 42 Doch das gehört jetzt der Vergangenheit an. c) Konsequenzen Da bislang jedenfalls die Norm des 439 Abs. 1 und Abs. 2 BGB im Blick auf die Tragung der Aus- und Einbaukosten nicht zwischen einem Verbrauchsgüterkauf einerseits und einem Kaufvertrag zwischen Unternehmern andererseits differenziert, wird man an dem Ergebnis kaum vorbeisehen dürfen: Die Unterscheidung zwischen der reinen Ersatzlieferung und der Übernahme von Ein- und Ausbaukosten in ihrer Ausprägung als ein verschuldensabhängiger Schadensersatz ist obsolet geworden. 43 Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Aus- und Einbaukosten ist also ausschließlich 439 As. 2 BGB. Man wird also auch im unternehmerischen Bereich von einer richtlinienkonformen Auslegung von 439 Abs. 1 BGB ausgehen müssen, um Aus- und Einbaukosten bei einer mangelhaften Lieferung und einer nachfolgenden Ersatzlieferung dem Verkäufer im Rahmen der Nacherfüllungspflicht aufzuerlegen. 44 Ob man im Rahmen einer Auslegung das Urteil des EuGH 45 auf den engen Bereich des Verbrauchsgüterkaufs beschränken kann und darf, erscheint indessen zweifelhaft. Das wäre nämlich nur statthaft, wenn man das Instrument einer gespaltenen Auslegung berücksichtigen und das Urteil des EuGH auf den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs begrenzen könnte. Doch die hat der BGH bekanntlich abgelehnt. 46 Daher wird man mangels einer anderweitigen gesetzgeberischen Entscheidung 47 davon ausgehen müssen, dass im Rahmen von 439 Abs. 1 und Abs. 2 BGB im Blick auf die Übernahme der Aus- und Einbaukosten einer mangelhaften Sache nicht zwischen einem Verbrauchsgüterkauf und einem Kaufvertrag zwischen Unternehmern zu differenzieren ist. Die Entscheidung des BGH in Sachen Parkettstäbe, welche ja noch insoweit die verschuldensabhängige Schadensersatzpflicht einforderte, ist damit Makulatur. 48 Für den unternehmerischen Verkehr bedeutet dies eine erhebliche Mehrbelastung, weil die bei einer Ersatzlieferung anfallenden Aus- und Einbaukosten dem Bereich der Nacherfüllung zuzuweisen sind. In dieser Funktion wird man auch zögern, diese Aufwendungen einer Freizeichnung auszusetzen, ohne dass dies dann gegen 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB verstößt. Denn dass der Käufer vom Verkäufer stets Erfüllung verlangen darf, das ist eine der Grundaussagen des Äquivalenzprinzips von Leistung und Gegenleistung. Dass es sich hierbei salopp formuliert um einen in das Gewand eines Erfüllungsanspruchs gekleideten Schadensersatzanspruch handelt, ist irrelevant, weil genau dies der EuGH Roma locuta, causa finita so dekretiert hat. 4. Erfüllungsort für die Nacherfüllung Bis zur Entscheidung des BGH vom war die Frage noch höchstrichterlich nicht geklärt, wo denn der Erfüllungsort für ein Nacherfüllungsverlangen des Käufers im Sinn von 439 Abs. 1 BGB liegt. Diesem Urteil lag der Kauf eines Camping-Faltanhängers zum Preis von Euro 7.370, zugrunde, der so sah es die Auftragsbestätigung vor in Frankreich abgeholt werden sollte; doch wurde er an den Wohnort des Klägers/Käufers geliefert. In der Folge traten Mängel auf; der Käufer forderte den Verkäufer auf, den Faltanhänger abzuholen und die Mängel zu beseitigen, was jedoch nicht geschah. In der Literatur wird und wurde teilweise bis zum Urteil des BGH der Erfüllungsort für die Nacherfüllung gemäß 439 Abs. 1 BGB mit dem bestimmungsgemäßen, aktuellen Belegenheitsort der Sache gleichgesetzt. 50 Demgegenüber wird und wurde vielfach auch behauptet, der ursprüngliche Erfüllungsort sei auch für den Nachbesserungsanspruch nach 439 Abs. 1 BGB als Erfüllungsort maßgebend. 51 Der BGH entschied sich jedoch nunmehr dazu, auch den Erfüllungsort für das Nachbesserungsverlangen nach 439 BGB nach der Grundbestimmung von 269 BGB auszurichten. 52 Daher so der BGH 53 wird in vielen Fällen der Erfüllungsort für das Nachbesserungsverlangen beim Wohnsitz des Verkäufers liegen, zumal dann, wenn die Nacherfüllung nur im Betrieb des Verkäufers etwa: eines Kfz-Händlers vorgenommen werden kann. Sofern es sich in diesen Fällen um eine Bringschuld handelt, wird so der BGH die nach Art. 3 Abs. 2 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie geforderte Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung dadurch gewährleistet, dass diese Kosten dann ohnedies unmittelbar beim Verkäufer anfallen. Liegt jedoch eine Holschuld vor, dann kann der Käufer einen Aufwendungserstattungsanspruch für die Transportkosten geltend machen, so dass auf diesem Umweg der Grundsatz der Unentgeltlichkeit gewährleistet ist. 54 Im Ergebnis entscheidet also im Rahmen des 269 BGB jeweils die Parteivereinbarung darüber, an welchem Ort die Nacherfüllung zu erledigen ist. 5. Kopplung von Schadensersatz und Rücktritt ( 325 BGB) Bekanntlich hat die Schuldrechtsmodernisierung auch insoweit eine Neuerung gebracht als 325 BGB das früher geltende Kumulationsverbot zwischen Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung aufgehoben hat. Das Verhältnis zwischen Nutzungsentschädigungsanspruch einerseits und Rückabwicklung eines Kaufvertrages andererseits hat der BGH nunmehr in seinem Urteil vom geklärt. Es 40 BGH Beck RS 2012, BGH NJW 2008, 2837 Fliesen. 42 BGH NJW 2008, 2837, 2840 Fliesen. 43 So mit Recht Jaensch NJW 2012, 1025, S. Lorenz NJW 2011, 2241, EuGH NJW 2011, BGH NJW 2002, 1881, Vgl. Kaiser JZ 2011, 978 ff. 48 BGH NJW 2008, BGH NJW 2011, Faust, in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., 439 Rdnr. 13; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., 439 Rdnr. 5; MünchKomm/Westermann, BGB, 5. Aufl., 439 Rdnr. 7; vgl. auch Thürmann NJW 2006, 3457, OLG München NJW 2007, 3214; S. Lorenz NJW 2009, 1633, BGH NJW 2011, 2278, BGH NJW 2011, 2278, EuGH NJW 2008, 1433, 1434 f. Quelle 55 BGH NJW 2008, 911. Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen AnwBl /

14 69. Deutscher Juristentag ging um den Kauf eines gebrauchten Chrysler Voyager zum Preis von Euro 7.900,. Nachdem es zu einem Unfall gekommen war, stellte ein Sachverständiger fest, dass das Fahrzeug bereits vor seinem Verkauf einen Unfall hatte, so dass dann der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt wurde, was der Verkäufer (Beklagter) auch akzeptierte. Doch bis zum Kauf eines Neufahrzeugs benutzte der Käufer im Rahmen einer Miete ein Ersatzfahrzeug; die Kosten für die Anmietung beliefen sich auf Euro 1.100,. Der BGH begründet seine Auffassung mit der bereits früher bekannten Ausgangsthese, dass nämlich bei Lieferung einer mangelhaften Sache der Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses auch den Ersatz des Nutzungsausfallschadens umfasst, der dadurch entsteht, dass dem Käufer als Folge des Mangels die Nutzung der Kaufsache entgeht. 56 Unter dieser Prämisse stellte der BGH dann fest, dass der Rücktritt lediglich dazu führt, ein Rückgewährschuldverhältnis auszulösen, weil die bereits erbrachten Leistungen gemäß 346 ff. BGB rückabgewickelt werden. Doch soll der schadensersatzberechtigte Käufer auch dann, wenn der Erfüllungsanspruch wegen des Rücktritts erloschen ist, gleichwohl einen Anspruch behalten ( 325 BGB), nämlich so gestellt zu werden, wie er stände, wenn der Verkäufer ordnungsgemäß/mangelfrei erfüllt hätte. 57 Dies aber schließt auch den Ersatz des Nutzungsausfallschadens hier: wegen der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs ein. II. Zweite These: Mittelständische Fallgestaltungen als AGB-rechtlicher Kontrollmaßstab für den unternehmerischen Verkehr Gerade weil der Frage in letzter Zeit große (politische) Bedeutung zugemessen wird, ob nämlich der BGH kurzschlüssig Problemstellungen des Verbraucherrechts auf den unternehmerischen Verkehr überträgt, soll auch dieser Aspekt hier näher berücksichtigt werden. Denn er zielt mitten in das hier zu behandelnde Thema und untermauert die zu belegende These, dass nämlich die Entwicklung der AGB- Rechtsprechung in ihren Kernbereichen Abgrenzung zwischen AGB-Klausel und ausgehandeltem Individualvertrag im Grundsatz kleinen Streitwerten geschuldet ist. 1. Abgrenzung von AGB-Klauseln gegenüber dem Individualvertrag 305 Abs. 1 Satz 3 BGB a) Grundentscheidung vom Festzuhalten ist zunächst, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung keine Veranlassung sah, eine Änderung von 1 AGBG vorzunehmen. 58 Damit war aus der Perspektive des Gesetzgebers beleuchtet gleichzeitig klar, dass die grundlegende Entscheidung des BGH vom weiterhin Bestand haben sollte. In diesem immer wieder bemühten Urteil geht es um die Abgrenzung zwischen einer AGB-Klausel und einem ausgehandelten Individualvertrag nach 305 Abs. 1 Satz 3 BGB. Zugrunde lag ein Farb- und Lieferabkommen, welches zwischen einem Mineralölhandelsunternehmen und einer Tankstelle abgeschlossen wurde. Der zugrundeliegende Vertrag datierte vom und lief bis zum , sah aber formularmäßig verankerte Optionsklauseln für eine Verlängerung der Vertragslaufzeit von fünf Jahren bis zum vor. Vor Ablauf der (ursprünglichen) Vertragslaufzeit hatte das Landratsamt dem Tankstellenpächter (Beklagten) aufgefordert, Maßnahmen zur Vermeidung von Grundwasserverunreinigung zu ergreifen; diese beliefen sich auf rd. DM ,. Dies war dem Tankstellenpächter zu viel; er kündigte den Vertrag mit Schreiben vom Der Streit der Parteien bezog sich daher entscheidend auf die Ausübung des Optionsrechts, welche das Mineralölhandelsunternehmen auch in Anspruch nahm, bis zum Ende der Optionslaufzeit ( ) den Tankstellenpächter zu verpflichten, ausschließlich Kraft- und Schmierstoffe von dem Mineralölhandelsunternehmen zu beziehen. Nachdem das Berufungsgericht bereits festgestellt hatte, dass die Optionsregelung des Vertrages eine AGB-Klausel im Sinn von 1 Abs. 1 AGBG war, stritten die Parteien im Wesentlichen darüber, ob nicht doch hier die Voraussetzungen einer Individualabrede nach 305 Abs. 1 Satz 3 BGB gegeben sind, obwohl in der Instanz der vernommene Zeuge ausgesagt hatte, das Mineralölhandelsunternehmen strebe üblicherweise Optionen, d. h. Verlängerungsintervalle von fünf Jahren an. Unter Berücksichtigung dieser wesentlichen Tatsachen stellte der BGH in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung 60 fest: Von einem Aushandeln kann immer nur dann die Rede sein, wenn der Verwender den in den AGB- Klauseln enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt. 61 Dann muss der AGB- Verwender sozusagen in einem zweiten Schritt dem Kunden Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen, damit dieser die reale Möglichkeit hat, die Vertragsgestaltung inhaltlich entsprechend seinen eigenen Interessen und Vorstellungen zu beeinflussen. 62 Daran anknüpfend formulierte dann der BGH den Regelsatz : Grundsätzlich ist nur eine abgeänderte AGB-Klausel als Individualvereinbarung anzusehen. Wenn aber wie in diesem Fall keine Änderungen vereinbart sind, dann müssen eben besondere Umstände 63 vorliegen, wenn im praktischen Ergebnis dann aufgrund einer gründlichen Erörterung der betreffenden Klausel der gestellte Entwurf 64 unverändert übernommen wurde. b) Weiteres vorangegangenes Entscheidungsmaterial als Illustration Hervorzuheben ist, dass auch alle früher ergangenen Entscheidungen des BGH zum Inbegriff des Aushandelns nach 1 Abs. 2 AGBG ( 305 Abs. 1 Satz 3 BGB) Fallkonstellationen entstammten, die typischerweise mittelständisch geprägt sind. Das ins Auge zu fassen ist wesentlich, weil dadurch die grundlegende These der hier anzustellenden Überlegungen nochmals stabilisiert wird. 56 BGH NJW 1980, BGH NJW 2008, 911, 912; Staudinger/Otto, BGB, Neubearbeitung 2004, 325 Rdnr BT-Drucks. 14/6040, BGH NJW 2000, BGH NJW 1988, 410; BGH NJW-RR 1987, 144; BGH NJW 1977, BGH NJW 2000, 1110, BGH aao 63 Hierzu im Einzelnen Ulmer/Habersack, inulmer/brandner/hensen, AGB-Recht, 11. Auflage, 2011, 305 Rdnr. 47 ff; AGB-Klauselwerke/Graf von Westphalen Individualvereinbarung Rdnr. 16 ff. 64 BGH NJW 2000, 1110, AnwBl / 2012 Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen

15 69. Deutscher Juristentag aa) Grundaussage vor Erlass des AGBG Die schon vor Erlass des AGBG am ergangene BGH-Entscheidung 65 betraf einen unkündbaren Alleinauftrag eines Maklers, dem eine (unwirksame) Verweisungsklausel zugrunde lag. Danach war der Auftraggeber verpflichtet, alle Interessenten an den Makler zu verweisen; die Mindestprovision betrug DM 8.100, (zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer). In der Sache ging es darum, dass der Makler als Kläger geltend machte, eine Abänderung der getroffenen Vereinbarung sei möglich gewesen ; der Auftraggeber habe dies jederzeit versuchen können, seine Wünsche auf Abänderung durchzusetzen. 66 Ausdrücklich unter Berufung auf die Begründung des Gesetzgebers zum AGBG 67 erklärte der BGH, im Hinblick auf den Begriff Aushandeln von Vertragsbedingungen ( 1 Abs. 2 AGBG) seien strenge Anforderungen an diese Darlegungen zu stellen, sofern wie hier das gesamte Klauselwerk des Verwenders tatsächlich unverändert in den Vertrag einbezogen worden ist. 68 bb) Erstes bauvertragliches Spezifikum: Die Höhe der Pönale In der nachfolgenden Entscheidung vom ging es um die Wirksamkeit einer Konventionalstrafe in Höhe von 1 Prozent bis zu einer Auftragssumme bis DM , und in Höhe von 0,5 Prozent bei einer Auftragssumme über DM , jeweils pro Kalendertag. Auftraggeberin war eine Bauherrengemeinschaft. Außerdem war bestimmt, dass der Vorbehalt der Konventionalstrafe bei Abnahme der Leistungen nicht erforderlich sei. 70 Der vereinbarte Werklohn betrug im aktuellen Streitfall DM ,. Die Auftraggeberin machte einen Teilbetrag der Vertragsstrafe in Höhe von DM , (nebst Zinsen) mit der Klage geltend. Dem einfachen Hinweis, auch die besonderen Vertragsbedingungen, in denen die Vereinbarung einer Konventionalstrafe vorgesehen war, seien Individualabrede, trat der BGH mit dem Hinweis entgegen: Es wäre erforderlich gewesen, dass der Auftraggeber im Hinblick auf eben diesen Vertragsinhalt dem Auftragnehmer Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener berechtigter Interessen gewährt hätte. Dieser hätte also die Möglichkeit haben müssen, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. 71 Da jedoch diese Gestaltungsfreiheit dem Auftragnehmer nicht eingeräumt worden war, wurde die AGB-Klausel sowohl wegen des fehlenden Vorbehalts der Vertragsstrafe bei Abnahme als auch wegen der fehlenden zeitlichen Begrenzung der Pönale für unwirksam erklärt. cc) Erneut: Maklerprovision In dem Urteil des BGH vom ging es wieder um eine Maklerprovision, der eine Verweisungsklausel zugrunde lag. Zwar war dem Auftraggeber der Unterschied zwischen einer Nachweis- und einer Vermittlungstätigkeit eines Maklers hier aufgezeigt worden. Doch der BGH beharrte darauf, dass der AGB-Verwender verpflichtet ist, den in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich zur Disposition zu stellen mit der Konsequenz, dass ein Aushandeln dann nicht zu bejahen ist, wenn der AGB-Verwender/Makler diesen gesetzesfremden Kerngehalt bei ablehnender Haltung des Vertragsgegners einfach zugunsten einer anderen, unabänderlich vorgefertigten Vertragsgestaltung entfallen lässt, nämlich hier die Begründung eines Alleinauftrags. dd) Zweites bauvertragliches Spezifikum: Gewährleistungsfristen In der nachfolgenden Entscheidung des BGH vom ging es um die Klausel in einem Architekten-Formularvertrag, wonach Ansprüche des Bauherrn gegen den Architekten innerhalb von zwei Jahren, beginnend mit der Abnahme des Bauwerks verjähren. Die dem Architekten vorgeworfenen Mängel der Planung und der Bauaufsicht hatten einen Schaden in Höhe von DM ,85 verursacht. In der Sache ging es um die Wirksamkeit einer nur zweijährigen Gewährleistungshaftung in Architekten-AGB, welche im Rahmen eines Bauherren-Modells vorgesehen waren und vom BGH als unwirksam eingestuft wurden. Hier betonte der BGH, dass ein Aushandeln mehr als ein Verhandeln bedeutet. 74, um sodann die bereits zuvor wiedergegebene Definition des Aushandelns 75 mit praktischen gleichen Worten auch hier zu fixieren, einschließlich des Regelsatzes, dass die Einräumung einer Vertragsgestaltungsfreiheit zugunsten des Kunden regelmäßig eine erkennbare Änderung des vorformulierten Textes bewirkt 76. In diese Linie fügt sich auch das Urteil des BGH vom , in welchem die zweijährige Gewährleistungsfrist als unwirksam qualifiziert wurde und der Hinweis darauf, dass es sich nicht um AGB, sondern um eine ausgehandelte Vereinbarung handele, aus ähnlichen Erwägungen zurückgewiesen wurde. 77 ee) Wiederum: Makler-AGB: Aushandeln anderer Vertragsbestimmungen In dem Urteil vom ging es erneut um eine in einem Maklervertrag enthaltene Klausel. Der Auftrag wurde von dem Makler bestätigt; der Auftraggeber unterschrieb nach mehrwöchigem Zögern den Auftrag, wonach auch dann eine Provision in Höhe von DM 8.550,00 fällig wird, wenn der Kaufvertrag ohne unsere Mitwirkung abgeschlossen wird. Im Wesentlichen wiederholte der BGH in diesem Urteil seine bisherige als feststehend bezeichnete höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Aushandeln. Doch fügte er hinzu, dass es nicht ausreiche, wenn der AGB-Verwender seinen Kunden sei es auch wie hier in ausführlichen und wiederholten Gesprächen lediglich vor die Wahl stellt, entweder die gestellten Bedingungen unverändert anzunehmen oder ganz von dem Vertrag Abstand zu nehmen. 79 Dass es sich hierbei lediglich um eine einzelne Klausel nämlich: die Vereinbarung einer erfolgsunabhängigen Maklervergütung handelt, ändert an dieser grundsätzlichen Aussage des BGH nichts, es sei denn, der Makler sei seinem Auftraggeber etwa bei der Vereinbarung des Entgelts entgegengekommen, was für das Aushandeln genügen würde NJW 1977, BGH NJW 1977, 624, BT-Drucks. 7/3919 S BGH aao 69 BGH NJW 1983, 385, BGH NJW 1983, 385, Berufung auf BGH NJW 1977, 624, BGH NJW-RR 1986, BGH NJW-RR 1987, BGH NJW-RR 1987, 144, BGH NJW 2000, 1110, BGH NJW-RR 1987, 144, BGH NJW 1992, BGH NJW 1988, BGH NJW 1988, 410, BGH NJW 1988, 410, 411. Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen AnwBl /

16 69. Deutscher Juristentag Diesen letzten Gesichtspunkt relativierte der BGH freilich in seinem Urteil vom : Wenn lediglich die Höhe einer Maklerprovision zur Disposition gestellt wird, dann genügt dies grundsätzlich nicht, ein Aushandeln einer gesetzesfremden Eigenverkaufsklausel anzunehmen. Denn der springende Punkt, der eine Differenzierung erfordert, liegt so der BGH darin, dass die zuvor erwähnten Aussagen 82 sich auf ein Aushandeln beziehen, das nach ausführlichen und wiederholten Gesprächen bezogen auf eine einzige vorformulierte Klausel den Schluss rechtfertigen kann, dass der Makler in dem entschiedenen Fall eben nicht verpflichtet war, diese einzige Klausel zur Disposition zu stellen, weil er auch berechtigt war, ein Entgegenkommen in der Entgeltvereinbarung zu akkordieren, um einen Individualvertrag zu erreichen. ff) Obiter Dictum zum unternehmerischen Verkehr: Unabdingbarkeit einer Klausel Individualvertrag? Als besonders nachteilig wird es immer wieder angesehen, 83 dass auch eine trotz Verhandlungen unverändert gebliebene Klausel grundsätzlich keine Individualabrede nach 305 Abs. 1 Satz 3 BGB darstellt. 84 Dabei wird mitunter das Urteil des BGH vom als Beleg herangezogen. In dieser Entscheidung ging es darum, unter welchen Voraussetzungen die formularmäßige Vereinbarung einer Betriebspflicht bei einem Geschäftsraummietvertrag den Charakter einer Individualvereinbarung nach 1 Abs. 2 AGBG erhält. Der monatliche Mietzins betrug DM 1.800,00; die Laufzeit des Mietvertrages zehn Jahre. Der wesentliche Gehalt des Rechtsstreits bezog sich darauf, ob ein Ergänzungsvertrag als neuer Mietvertrag anzusehen sei, so dass das Schriftformerfordernis des 566 BGB a. F. beachtet ist. In einem Obiter Dictum stellte der BGH dann bezogen auf den kaufmännischen Verkehr fest, dass ein individuelles Aushandeln im Übrigen auch dann vorliegen kann, wenn der Verwender eine bestimmte Klausel als unabdingbar erklärt. 86 Doch ist hierzu einschränkend ein Doppeltes zu bemerken: Zum einen ist der BGH in keiner späteren Entscheidung auf diese Aussage zurückgekommen. Zum anderen hat der BGH in diesem Urteil deswegen das Vorliegen einer Individualvereinbarung bejaht, weil die Parteien den zugrunde liegenden Einheitsmietvertrag für gewerbliche Räume im Einzelnen durchgesprochen hatten. Zudem hatte der Vermieter und dies ist entscheidend ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seine Zusage, die Vermietung vorzunehmen, davon abhänge, dass der Mieter das Ladenlokal wegen seiner besonders attraktiven Gestaltung als Blumenfachgeschäft betreibt, was der Mieter ihm auch zugesichert hatte. 87 gg) Urteil betreffend die VDMA-AGB Aushandeln einzelner Klauseln nicht ausreichend für die Bejahung einer Individualabrede Von Wichtigkeit für den unternehmerischen Verkehr ist das BGH-Urteil vom , weil es sich mit einem Explosionsschaden befasst, der in einem Druckereibetrieb sich ereignete. Den Vertragsbeziehungen lagen die VDMA-Bedingungen zugrunde, die einen weitreichenden Ausschluss von Schadensersatzansprüchen, die nicht an dem Liefergegenstand selbst entstanden sind, vorsahen, wobei die salvatorische Klausel hinzugefügt wurde, soweit gesetzlich zulässig. 89 Der entstandene Sachschaden belief sich auf DM ,00. Für die rechtliche Bewertung dieser Entscheidung war hier die Feststellung des BGH, dass die Verhandlungspartner die vorformulierten VDMA-Bedingungen nicht im Einzelnen diskutiert, sondern sie lediglich bei Vertragsabschluss in Bezug genommen hatten. 90 Im Hinblick auf die Gewährleistungsfrist enthielt allerdings der Vertrag Regelungen, die von den VDMA-Bedingungen abwichen. Doch stellte der BGH unter Berücksichtigung des tatbestandlichen Inhalts des Berufungsurteils fest, dass eben nur einzelne Bestimmungen der VDMA, nicht das Klauselwerk als Ganzes ausgehandelt waren. 91 Daher erklärte der BGH, dass allenfalls die Vertrags-Klauseln als Individualvereinbarung angesehen werden können, auf welche sich die Änderungsvorschläge des AGB-Verwenders konkret bezogen. 92 Doch war der BGH nicht imstande, aufgrund der tatrichterlichen Feststellung des Berufungsurteils zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die AGB-Verwenderin hier die VDMA-Bedingungen insgesamt oder in Teilen zur Erörterung und zur Disposition gestellt hatte, 93 so dass es insoweit an einer erkennbaren Verhandlungsbereitschaft des Klauselverwenders 94 fehlte. hh) Urteil betreffend der AGB der Treuhand Vom Streitwert her betrachtet wird man dieses Urteil insoweit ist es eine Ausnahme sicherlich nicht in die Kategorie eines rein mittelständischen Streitwerts einordnen dürfen. Doch fällt eben entscheidend ins Gewicht, dass die Norm des 305 Abs. 1 Satz 3 BGB nach ihrer Struktur unabhängig davon ist, ob es sich bei dem Vertragspartner des Verwenders um eine natürliche oder um eine juristische Person handelt. In diese Linie fügt sich auch das Urteil des BGH vom ein. 95 In diesem Fall ging es um einen Grundstückskaufvertrag, der zwischen der Treuhand/BvS und einem Unternehmen abgeschlossen wurde; der Kaufvertrag über das Grundstück belief sich auf DM ,00; zusätzlich waren Investitionen in Höhe von mindestens 1,5 Mio DM geschuldet/versprochen, was auch die Pflicht einschloss, eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen. Insoweit stellte der BGH fest, dass es für ein Aushandeln nach 305 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht ausreicht, wenn über den Kaufpreis und die Modalitäten der Investitionen verhandelt wird, obwohl insoweit ein Zusammenhang besteht, weil für den Fall eine Vertragsstrafe vorgesehen war, dass die Investitionen nicht in der geschuldeten Höhe vorgenommen werden. Denn so der BGH : Ein Verhandeln über die Modalitäten der Investitionen hat jedoch nicht automatisch zur Folge, dass auch die Vertragsstraferegelung zur Disposition steht. 96 Demzufolge lehnte der BGH die Voraussetzung eines Aushandelns im Sinn einer Individualabrede hier ab. 81 BGH NJW 1991, BGH NJW 1988, 410, Statt vieler Berger, FS für Graf von Westphalen, S. 13, 21ff. 84 Abweichend ICC-Teilsschiedsspruch SchiedsVZ 2005, 108 mit Anm. von Hobeck. 85 BGH NJW 1992, BGH NJW 1992, 2283, BGH NJW 1992, 2283, BGH NJW-RR 1996, BGH NJW-RR 1996, BGH NJW-RR 1996, 783, BGH NJW-RR 1996, 783, BGH aao 93 BGH NJW-RR 1996, 783, BGH aao 95 BGH NJW 1998, BGH NJW 1998, 2600, AnwBl / 2012 Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen

17 69. Deutscher Juristentag 2. Spätere Entscheidungen zu 305 Abs. 1 Satz 3 BGB Es ist von hoher Wichtigkeit, im Rahmen des hier zu behandelnden Themas und zur Stützung der eingangs formulierten These zu betonen, dass es praktisch nach dem Grundlagenurteil des BGH vom keine wesentliche Entscheidung mehr gab, welche die Merkmale des Aushandelns im unternehmerischen Verkehr nach 305 Abs. 1 Satz 3 BGB adressiert hat. Dass zwei wesentliche Urteile zu dieser Norm ergangen sind, welche einen Verbraucher betrafen, soll nicht verschwiegen werden. 98 Ob gerade aus dem letzten Urteil wegen seiner Betonung des Merkmals Stellens 99 und der privatautonomen Entscheidung des anderen Vertragsteils als Merkmal des Aushandelns Rückschlüsse auf den unternehmerischen Verkehr gezogen werden können, 100 ist zu erwarten, aber noch nicht durch entsprechende Judikate abgesichert. 3. Zwischensumme Daher bleibt der Befund, dass das zu 305 Abs. 1 Satz 3 BGB ergangene Entscheidungsmaterial im Wesentlichen Fragestellungen reflektiert, wie sie im Bereich einer mittelständischen Vertragsverhandlung vorkommen: Der Verwender nimmt die AGB zur Hand, der andere Vertragsteil unterwirft sich und stellt dann im Streitfall fest, dass der Verwender die Klauseln nicht ernsthaft zur Disposition gestellt hat, so dass sie nur AGB sind, nicht aber ein Individualvertrag. In keinem der berichteten Urteile wird erkennbar, dass anwaltlicher Rat auf Seiten des Verwenders oder des Vertragspartners zu Hilfe gerufen worden war. Streitentscheidung und damit ihre Privatisierung abseits der ordentlichen Gerichtsbarkeit statt. Das aber darf den Rechtsstaat nicht unberührt lassen. Denn er verzichtet dann freilich: im Einvernehmen mit den Parteien in diesem bedeutenden Wirtschaftssegment weithin auf die Ausübung seiner Justiz- und Rechtsgewährung. Alle politischen Bemühungen, Law made in Germany auch für das Ausland attraktiv zu machen, müssen daher vorab eine zureichende Antwort auf eben diese hier entwickelte These suchen. Sie belegt nämlich die nahezu völlige Abstinenz der deutschen Gerichte bezogen auf die Fortentwicklung des Kaufrechts und in Bezug auf die AGB-Kontrolle durch die Großindustrie, die jetzt aber lautstark eine Reform des AGB-Rechts einfodert. Die hier entwickelte These markiert daher für den Rechtsstaat einen rechtspolitisch weitaus gravierenderen Tatbestand als die angeblichen Schwächen des AGB-Rechts bei der Inhaltskontrolle im unternehmerischen Verkehr, die sich ja an der Nahtstelle entscheidet, ob denn ein Aushandeln nach 305 Abs. 1 Satz 3 BGB wirklich zwischen den Parteien im Einzelnen statt gefunden hat. Denn die inzwischen eingetretene Rechtsentwicklung ist natürlich dem Entscheidungsmaterial geschuldet, das von den Parteien nicht den Schiedsgerichten, sondern dem BGH vorgelegt wird. Doch sage niemand: Die mittelständische Industrie sei im Bereich des Kauf- und des AGB-Rechts bei den Karlsruher Richtern nicht gut aufgehoben. III. Fazit: Erhärtung der Ausgangsthese Damit ist die eingangs formulierte These nachhaltig belegt: Alle grundlegenden Entscheidungen zum modernisierten Kaufrecht sowie die zur (zentralen) Abgrenzung zwischen einer AGB-Klausel und einem Individualvertrag auf Grund eines Aushandelns im Sinn des 305 Abs. 1 Satz 3 BGB beruhen nahezu durchgängig auf Konstellationen, die dem Bereich mittelständischer Streitigkeiten oder gar dem Verbraucherschutz zu entnehmen sind. Keiner der Fälle bezieht sich auf die Großindustrie; nur ein Fall, nämlich: der der VDMA-AGB, 101 betrifft einen größeren Streitwert. Das ist ein bedrückendes, ein ernüchterndes Bild, auf Grund welcher Konstellationen hierzulande die Fortentwicklung dieser Teile des Schuldrechts vorangetrieben wird. Denn es stellt sich die rechtspolitisch höchst bedeutsame Frage, ob denn die durchaus vorhandenen Streitigkeiten der Großindustrie oder auch die, in denen gewichtigere Streitwerte eine Rolle spielen, wirklich alle, soweit sie sich auf bis dahin ungeklärte Rechtsfragen beziehen, vor allem der Schiedsgerichtsbarkeit zugewiesen werden. Würde aber diese These sozusagen als Gegenthese gegen die hier formulierte Ausgangsthese nachvollziehbar begründet werden können, dann fände hier eine weit reichende Mediatisierung der 97 BGH NJW 2000, BGH NJW 2005, 2543 Partnerschaftsvermittlung; BGH NJW 2010, 1131 Gebrauchtwagenkauf von Privat. 99 Kaufhold ZIP 2010, Graf von Westphalen ZIP 2010, 1110ff. 101 BGH NJW-RR 1996, 783. Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vizepräsident des DAV und Vorsitzender des DAV-Ausschusses Europäisches Vertragsrecht. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Verbraucherschutz als Triebfeder der Entwicklung des Rechts?, Graf von Westphalen AnwBl /

18 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher Entwicklungslinien und Tendenzen im nationalen und europäischen Recht Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich, Halle Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts? Das ist die schlichte Frage der zivilrechtlichen Abteilung des 69. Deutschen Juristentags. Am 18. und 19. September 2012 werden Praxis (Rechtsanwälte, Richter und Syndikusanwälte), Politik und Wissenschaft über die Zukunft des AGB-Rechts diskutieren. Worum im Einzelnen gestritten werden wird, erläutert die Autorin. Sie stellt die aktuelle nationale und europäische Rechtslage vor, erläutert die europäischen Einflüsse durch den Entwurf eines gemeinsamen Referenzrahmens (Draft Common Frame of Reference, DCFR) und durch den Verordnungsvorschlag zu einem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht (GEK) und fasst auch Kritik am geltenden AGB-Recht zusammen. Der Beitrag ist ein Appell an Anwältinnen und Anwälte, sich in die rechtspolitische Diskussion auf dem 69. Deutschen Juristentag einzubringen. Der Beitrag knüpft an das April-Heft des Anwaltsblatts an, in dem es einen Schwerpunkt zum AGB-Recht gab. * im Hinblick auf die Übertragbarkeit dieser Wertungen auf den unternehmerischen Verkehr argumentiert werden. Beide Fragen haben entscheidende Bedeutung für die wissenschaftliche Durchdringung des AGB-Rechts und die Praxis der Rechtsberatung und Rechtsanwendung. Sie betreffen die Anwendung des aktuellen AGB-Rechts ebenso wie die richtige Rechtspolitik für die Zukunft. Unternehmen und ihre Anwälte ärgern sich, weil es ihnen nicht gelingt, per AGB einen wirksamen Haftungsausschluss zu formulieren; die Wahl einer fremden Rechtsordnung 4 soll Ausweg sein. Verbraucher wundern sich, welche Risiken sie das Kleingedruckte tragen lässt; Verbandsunterlassungsklagen finden regelmäßig und erfolgreich statt. Wenn unklar ist, unter welchen Voraussetzungen Vertragsbedingungen einer Inhaltskontrolle zugänglich sind, welche Maßstäbe bei ihr gelten und inwieweit jeweils für den b2b- und den b2c-vertrag zu differenzieren ist, leiden dogmatische Klarheit, Rechtssicherheit und ökonomische Kalkulierbarkeit. Rechtsanwendung wird unsicher, ihre Ergebnisse verlieren an Vorhersehbarkeit, und die Rechtsberatung wird riskant. Obwohl das AGB-Recht keine kurze Geschichte hat, entscheiden die Gerichte immer wieder durchaus grundsätzliche Fragen nach Umfang und Maßstab der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. 5 Umso mehr schließlich gilt es, unsere Ausgangsfragen angesichts der inzwischen umfangreichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Klauselkontrolle und den noch entwicklungsoffenen neuen gesetzgeberischen Bestrebungen auf europäischer Ebene (jeweils unten III.) de lege lata et ferenda zu diskutieren. I. Zwei Grundsatzfragen Wie die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher aussehen wird, hängt von der Beantwortung zweier nicht ganz neuer, sich in der rechtspolitischen Diskussion vor dem Hintergrund fortschreitender europäischer Rechtsentwicklung aber aktuell (wieder) zuspitzender Fragen ab: 9 Erstens: Soll es für Verträge eines Unternehmers mit einem Verbraucher (b2c) eine generelle Inhaltskontrolle, also auch für Individualvereinbarungen geben? 1 9 Zweitens: Sollen Verträge zwischen Unternehmen (b2b) keiner oder nur einer erheblich eingeschränkten AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen? 2 Für die zivilrechtliche Abteilung beim nächsten Deutschen Juristentag ist Diskussion vor allem im Hinblick auf die zweite Frage vorgesehen: Von Unternehmen 3 werde eine Überregulierung durch das Verbraucherrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung beklagt; Wertungen, die bei AGB im Verhältnis zu Verbrauchern angemessen erschienen, würden (nämlich) teilweise unbesehen auf Verträge zwischen Unternehmern übertragen; so die Kurzbeschreibung im Fachprogramm des 69. Deutschen Juristentags (DJT). Ein Schwerpunkt der Generalfrage der Abteilung Zivilrecht Brauchen Konsumenten und Unternehmen eine neue Architektur des Verbraucherrechts? wird deshalb das AGB-Recht sein. Die erste Frage hängt damit aber ganz eng zusammen. Ohne Bestimmung des Anwendungsbereichs der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle beim Verbrauchervertrag können weder deren Wertungen begriffen werden, noch kann schlüssig * Im April-Heft hatte das Anwaltsblatt ausführlich über ein gemeinsames Symposium des Deutschen Anwaltvereins und des Deutschen Juristentags am 19. Januar 2012 berichtet und zahlreiche Vorträge veröffentlicht (Schwenzer/ Lübbert, AnwBl 2012, 292; Kessel, AnwBl 2012, 293; Kieninger, AnwBl 2012, 301; Schmidt-Kessel, AnwBl 2012, 308; Hannemann, AnwBl 2012, 314; Frankenberger, AnwBl 2012, 318 sowie Tagungsbericht von Martin, AnwBl 2012, 352). Die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 23/2011 mit einem Vorschlag für eine Reform des ABG-Rechts im unternehmerischen Rechtsverkehr ist in Auszügen im Mai-Heft (AnwBl 2012, 402) und vollständig im Internet (AnwBl Online 2012, 180, abrufbar unter veröffentlicht worden. 1 Dazu etwa Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung 2010, S. 263 ff; Jansen, ZEuP 2010, 69, 93 ff.; Leyens/Schäfer, AcP 201 (2010), 772, 788 f. 2 In dieser Richtung etwa Berger, NJW 2010, 465; Dauner-Lieb/Axer, ZIP 2010, 309; Müller/Griebeler/Pfeil, BB 2009, 2658; Kessel/Stomps, BB 2009, 2666 sowie die von Wirtschaftsverbänden und Anwaltskanzleien ins Leben gerufene Initiative zur Fortentwicklung des AGB-Rechts im unternehmerischen Geschäftsverkehr ( Stand ) und der Reformvorschlag des DAV; anders etwa von Westphalen, NJW 2009, 2977; ders. ZIP 2011, 1985; ders., BB Die erste Seite 2012, Nr. 20; ders. NJOZ 2012, 441; Jansen, ZEuP 2010, 73, 90 ff.; Leyens/Schäfer, AcP 201 (2010), 772, Bemerkenswert ist schon, dass der 50. Deutsche Juristentag 1974 seinerzeit nach einem Verbraucherschutz vor AGB ( Welche gesetzgeberischen Maßnahmen empfehlen sich zum Schutze des Endverbrauchers gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen... ) fragte, am Ende aber ein auch auf den kaufmännischen Verkehr zugeschnittenes AGBG stand (s. noch u. II.3.), und nunmehr der 69. Deutsche Juristentag bei einer neuen Architektur des Verbraucherrechts (vor allem) nach dem Bedarf von Unternehmen fragt. Was wird wohl diesmal dabei herauskommen? 4 In der (insoweit beliebten) Schweiz seit aber Art. 8 Bundesgesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) im Verhältnis Unternehmen und Verbraucher; für eine Anwendung auch auf b2b-geschäfte: Wildhaber, Schweizerische Juristen-Zeitung (SJZ) 2011, 537; Stöckli, Baurecht (BR) 2011, Aus jüngerer Zeit etwa BGH NJW 2012, 222 ( wesentliche Grundgedanken bei gewerblicher KFZ-Miete); BB 2012, 1230 ( deklaratorische Klausel, wesentliche Grundgedanken Auftragsrecht); NJW 2010, 2122 (Schadenspauschale), NJW 2010, 989 (Widerrufsbelehrung); WM 2011, 1678 ( wesentliche Grundgedanken, Transparenzgebot );NJW 2010, 1131 ( Stellen, Aushandeln, einvernehmliche Verwendung); NJW 2010, 2272 (Ausstrahlungswirkung nicht unmittelbar einschlägiger zwingender Normen auf die AGB-Kontrolle); NJW 2011, 2640 (Preisabrede); BGHZ 176, 140 (Beweislast für Vorformulierung ); NJW 2008, 1438 (Schönheitsreparaturen); s. ansonsten etwa Übersicht von Westphalen, NJW 2011, 2098; Niebling, NJ 2011, 177; ders. MDR 2010, AnwBl / 2012 Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich

19 69. Deutscher Juristentag II. Der derzeitige Stand des nationalen Rechts 1. Der Zugang zur Inhaltskontrolle (insbesondere Anwendungsbereich und Einbeziehung) Beim Zugang zur Inhaltskontrolle haben wir seit Umsetzung der Klauselrichtlinie 6 im deutschen Recht einen Zustand der Dreiteilung der Voraussetzungen. 310 BGB differenziert hier wie folgt. a) b2b-geschäfte Werden Vertragsbedingungen gegenüber einem Unternehmer verwendet, modifiziert 310 Abs. 1 BGB die Einbeziehungsvoraussetzungen, was dazu führt, dass 305 Abs. 2 und 3 BGB keine Anwendung finden. Weder ein Hinweis auf die AGB noch eine Möglichkeit zumutbarer Kenntnisnahme muss gegeben sein, damit die Bedingungen Vertragsbestandteil werden. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Verwender der AGB nicht unternehmerisch tätig ist. Dass ohne unternehmerische Zielsetzung gegenüber einem Unternehmer AGB verwandt werden, kommt aber in der Praxis kaum vor. 310 Abs. 1 BGB ist also die entscheidende Norm für den b2b-geschäftsverkehr. Die Bedingungen werden Vertragsbestandteil und der Inhaltskontrolle zugänglich, wenn sie AGB nach 305 Abs. 1 BGB sind und nach 145 ff. BGB wirksam einbezogen wurden, es sei denn, sie sind überraschend im Sinne des 305c BGB, oder eine Individualabrede geht vor ( 305b BGB). Hauptkritikpunkt am geltenden Recht ist hier, dass letztlich jede Vertragsklausel eine AGB sei, so dass es keinen kontrollfreien b2b-vertrag mehr gebe. 7 b) b2c-geschäfte Hier gelten AGB schon als vom Unternehmer gestellt, wenn nicht der Verbraucher sie in den Vertrag eingeführt hat ( 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Ist (demzufolge) ein Unternehmer der Verwender der AGB und sein Gegenüber ein Verbraucher, tritt an die Stelle von 305 Abs. 1 BGB ( für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen ) eine Kontrollmöglichkeit auch für vorformulierte Einzelvertragsklauseln, da die Unklarheitenregel des 305 c Abs. 2 BGB, die Rechtsfolgenregel des 306 BGB, die Klauselverbote der 308, 309 BGB sowie die allgemeine Inhaltskontrolle auf Unangemessenheit nach 307 BGB über 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB jedenfalls angewandt werden. Das gilt entgegen dem Wortlaut auch im Hinblick auf 305c Abs. 1 und 305b BGB 8, so dass schon bei vorformulierten Klauseln die Einbeziehung an der Überraschung beziehungsweise Individualvereinbarung scheitert. Erforderlich für den Zugang zur Inhaltskontrolle ist neben der Vorformulierung, dass der Verbraucher ihretwegen keinen Einfluss auf den Klauselinhalt nehmen konnte. Beim Verbraucher ist also insgesamt festzuhalten, dass auch Drittbedingungen und Einzelvertragsklauseln der Kontrolle unterliegen. c) c2c-geschäfte Die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle unter direkter und vollständiger Geltung von 305 BGB findet allein dann statt, wenn sowohl der Verwender als auch sein Gegenüber zu privaten Zwecken handeln; eine Konstellation, bei der AGB in der Regel nur vorkommen, wenn sich beide auf ein Vertragsformular eines Dritten (Versicherung, ADAC etc.) einigen. Eine Inhaltskontrolle der AGB scheitert dann in der Regel am Stellen Maßstab der Inhaltskontrolle a) b2b-geschäfte Der Kontrollmaßstab ist durch 310 Abs. 1 S. 1 BGB modifiziert, da 308, 309 BGB direkt keine Anwendung finden. Über 307 BGB (in Verbindung mit 310 Abs. 1 S. 2 BGB) entfalten diese Regelungen aber auch im unternehmerischen Verkehr Wirkung. Das ist im Übrigen nicht nur ständige Rechtsprechung des BGH, 10 sondern gesetzliche Anordnung in 310 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Anwendung der 308, 309 BGB im unternehmerischen Rechtsverkehr ist ein weiterer der Kritikpunkte an der (behaupteten) Übertragung verbraucherrechtlicher Wertungen in den unternehmerischen Geschäftsverkehr (oben I.). Ist der Unternehmer gleichzeitig Kaufmann und der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehörig, sind zusätzlich die Usancen des Handelsverkehrs zu berücksichtigen. Ob die wesentlichen Grundgedanken im Sinne des 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB den in das allgemeine Zivilrecht eingeflossenen verbraucherrechtlichen Wertungen entnommen werden können, ist eine andere Frage und hängt davon ab, für wie typisch 11 man inzwischen den Verbrauchervertrag hält. Das Gutachten zum diesjährigen DJT macht hier zu Recht deutlich, dass sich keine Belege dafür finden, die Wertungen etwa des Verbrauchsgüterkaufrechts seien nun auch für den unternehmerischen Geschäftsverkehr der regelmäßige Maßstab. 12 Auch der BGH hat judiziert, dass eine Klausel, die verbraucherschützende Wertungen auf den unternehmerischen Verkehr erstreckt, durchaus als unangemessene Benachteiligung des unternehmerischen Kunden gesehen werden kann. 13 Die AGB-Kontrolle führte hier also zum Schutz des Unternehmers vor dem Verbraucherrecht. Wenn von der Übertragung verbraucherrechtlicher Wertungen in den unternehmerischen Geschäftsverkehr die Rede ist, muss deshalb unterschieden werden zwischen der Übertragung der Wertungen der 308 und 309 BGB über 307 Abs. 1 und 2 BGB und derjenigen der verbraucherschützenden Normen des allgemeinen und besonderen Vertragsrechts des BGB über 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Diese Unterscheidung wird häufig nicht getroffen. 6 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Abl. EG Nr. L 95/29 vom Kessel, AnwBl 2012, Palandt/Grüneberg, BGB 310,Rn18. 9 BGH NJW 2010, 1131; dazu von Westphalen, NJW 2011, 2098; Lehmann-Richter, NZM 2011, 57; kritisch Niebling, NJ 2011, 177 mwn. 10 BGH NJW 2006, 47; 90, 273; 101, 172; 174, So BT-Drs 16/6040, S Micklitz, Gutachten 69. Deutscher Juristentag, II.3.b; s. auch Stoffels, AGB-Recht, Rn 64, BGH NJW 2006, 47, 49. Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich AnwBl /

20 69. Deutscher Juristentag b) b2c-geschäftsverkehr Hier verändert 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB die normale Klauselkontrolle: Auch die den Vertragschluss begleitenden Umstände können zur unangemessenen Benachteiligung nach 307 BGB führen. Zu beachten ist zudem Folgendes: Da das Vertragsrecht des BGB über 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB Leitbild der Inhaltskontrolle ist und dieses bei Beteiligung eines Verbrauchers weitgehend zu Gunsten des Verbrauchers ausgestaltet ist, führen die verbraucherschützenden Bezugsnormen anders als im b2b-geschäft (o. a) zu einer Erhöhung des AGB- Kontrollmaßstabs. 14 c) c2c-geschäftsverkehr Eine Inhaltskontrolle findet hier am unmodifizierten Maßstab der 308, 309 und 307 BGB statt. 3. Ein kurzer Rückblick Die Diskussion zu unserer zweiten Ausgangsfrage, ob nämlich das AGB-Recht lediglich den unterlegenen Kunden respektive Verbraucher schützen oder auf jedermann, also auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr, Anwendung finden soll, gab es schon zur Zeit der Entstehung des AGBG. 15 Das AGBG selbst und dies spricht auch deutlich aus seiner Entstehungsgeschichte 16 sah einen grundsätzlich uneingeschränkten Anwendungsbereich vor. Dass das AGB-Recht ursprünglich ein Verbraucherrecht war, welches erst durch Überinterpretation der Generalklausel auf den kaufmännischen Verkehr erstreckt wurde, ist deshalb ein Gerücht. Das AGBG sah zwar Zusatzregeln zum Schutz der Verbraucher vor, hat den kaufmännischen Verkehr aber keineswegs der Inhaltskontrolle entzogen; die dem AGBG vorangehende Rechtsprechung auf der Grundlage von 242 BGB war hier sogar noch strenger, da sie viele der missbräuchlichen Klauseln, die sich nun in 308, 309 BGB finden, im kaufmännischen Verkehr (unmittelbar) als unwirksam ansah. 17 Die dem 310 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechende Regel enthielt 24 S. 2 AGBG. Dass die Generalklausel im kaufmännischen Verkehr zur Unwirksamkeit von AGB-Bestimmungen führen kann, die ansonsten nur gegenüber Verbrauchern unwirksam sind, wurde im Gesetzgebungsverfahren zustimmend erkannt Zwischenergebnis Deutlich wird, dass das geltende Recht zwischen dem b2bund dem b2c-rechtsverkehr unterscheidet und keineswegs identische Voraussetzungen und Maßstäbe der Klauselkontrolle wählt. Das liegt allerdings nicht etwa daran, dass 308, 309 BGB im unternehmerischen Verkehr keine Anwendung finden, denn über 310 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit 307 BGB entfalten diese Regelungen auch hier Bedeutung. An dieser Stelle entspricht die bisherige Rechtsprechung des BGH in der Tat einer weitgehenden Gleichbehandlung der Unternehmer und Verbraucher bei der Anwendung der 308, 309 BGB. 19 Deutliche Unterschiede finden sich aber in den Voraussetzungen des Zugangs zur Klauselkontrolle und im Gesetzesrecht, auf dessen Grundgedanken die Kontrolle nach 307 BGB rekurriert. Zudem werden nur beim Verbraucher auch die Begleitumstände des Vertrags berücksichtigt. Die Klauselkontrolle ist gegenüber dem Verbraucher schneller eröffnet und hat strengere Maßstäbe als diejenige gegenüber einem Unternehmer. Die normale Klauselkontrolle unter unmodifizierter Anwendung der 305, 305b, 305c, 307, 308 und 309 BGB hat in der Praxis ihre Bedeutung verloren. Für die erste Frage bedeutet die Analyse des geltenden Rechts, dass der Zugang zur Klauselkontrolle gegenüber Verbrauchern zwar einfacher eröffnet wird, nach wie vor aber nicht jeder Verbrauchervertrag einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt. Das Merkmal der Vorformulierung bei fehlender Abänderungsbereitschaft enthält auch für das b2c-geschäft ein bedeutsames situatives Element, das zu Störungen des privatautonomen Vertragsschlussmechanismus führt. 20 Bislang nimmt unsere Rechtsordnung auf den Inhalt von Verträgen allein ihres Inhalts wegen nur in Ausnahmefällen Einfluss. In aller Regel ist eine solche Einflussnahme durch eine (vermutete) Beeinträchtigung der Privatautonomie einer Vertragsseite begründet. 21 Bedürfte es keinerlei situativen Elements für das Eingreifen der Inhaltskontrolle, wäre dies ein Paradigmenwechsel. Den mag man rechtspolitisch wollen oder nicht. Allein durch die Teilnahme eines Verbrauchers an einem Geschäft ist er aber nicht gerechtfertigt. Für unsere zweite Frage gilt: Das verbraucherrechtliche Leitbild der Vorschriften des schuldvertraglichen Verbraucherrechts des BGB wird vom derzeitigen Recht nicht über 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf den b2b-verkehr erstreckt. Gefragt werden kann einzig, ob es bei der von 310 Abs. 1 S. 2 angeordneten und von der Rechtsprechung anerkannten Geltung der 308, 309 BGB über 307 Abs. 1 und 2 BGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr bleiben sollte. Diese Normen sollten in der Tat über die Generalklausel nur in differenzierter, an den unternehmerischen Geschäftsverkehr angepasster Form Anwendung finden, denn ihr Eingang in die Inhaltskontrolle über die Generalklausel gestattet eine weitaus flexiblere Handhabung, als ihre unmittelbare Anwendung bei Verbraucherverträgen. 22 Während die Rechtsprechung eine unangemessene Benachteiligung letztlich vermutet, was die besonderen Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs nur widerlegen können, 23 sollten diese richtigerweise in die Beurteilung der (Un-)angemessenheit schon einbezogen werden. 14 Stoffels, AGB-Recht, Rn S. Hensen, FS Heinrichs 1998, 335 ff; Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht,Einl. Rn 24 sowie die Dokumente der zivilrechtlichen Abteilung des 50. Deutschen Juristentags 1974 (Gutachten Kötz, Referat Ulmer). 16 Hensen, FS Heinrichs 1998, 335, 339, , 351; Stoffels, AGB-Recht Rn 15 ff., 41; Micklitz, Gutachten 69. Deutscher Juristentag, II.2.a; von Westphalen, BBDie erste Seite 2012, Nr. 20; Rehbinder (Hrsg.) Das Kaufrecht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der deutschen Wirtschaft, Berlin 1979, S Stoffels, AGB-Recht, Rn Hensen, FS Heinrichs 1998, 335, Stoffels, AGB-Recht, Rn Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht 2005, Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht 2005, S. 46 f. (für das allgemeine Zivilrecht); 134, 150, 237 (für das Verbraucherschutzrecht); vgl. auch BVerfGE 89, 214 (Bürgschaft); 103, 89 (Ehevertrag). 22 Stoffels, AGB-Recht, Rn 552 f; vgl. auch Dauner-Lieb/Axer, ZIP 2010, 309; Müller/ Griebeler/Pfeil, BB 2009, 2658; Kessel/Stomps, BB 2009, Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht 310 BGB, Rn 27, 28 mit Beispielen für dennoch wirksame Klauseln. 678 AnwBl / 2012 Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich

21 69. Deutscher Juristentag Gewiss darf man darüber hinaus (wieder) fragen, ob eine Klauselkontrolle im b2b-bereich überhaupt sinnvoll ist. Die Antwort hängt letztlich davon ab, welche Wertungen zur Inhaltskontrolle berechtigen (sollten). Folgt man der Auffassung, dass es um die typischen situativen Gefahren (Störungen des Vertragsschlussmechanismus durch Vorformulierung, Marktversagen beim Wettbewerb um gute Klauseln), geht, die mit der Verwendung von AGB einhergehen, treffen diese keineswegs nur Verbraucher sondern jedermann. 24 Mit AGB wälzt der Verwender typischerweise bestimmte Risiken auf sein vertragliches Gegenüber ab; dafür sind sie da. Und gerade dies wird vom Gegenüber nicht bewusst in die Vertragsschlussentscheidung einbezogen, wenn die AGB denn überhaupt gelesen werden. Ob eine Individualvereinbarung möglich ist, hängt im Übrigen vor allem davon ab, wie das wirtschaftliche Machtgefälle zwischen den Parteien ist, und hier wird der Neigungswinkel zwischen Unternehmern (insbesondere große im Verhältnis zu kleinen und mittleren, den KMU) genauso groß aber auch unterschiedlich ausgeprägt sein wie derjenige zwischen Verbrauchern und Unternehmern. 25 Die mit der Vorformulierung typischerweise verbundene Gefahr trifft alle Beteiligten am Rechtsverkehr. Von diesem Gedanken müsste man sich für eine Liberalisierung verabschieden. Und genau aufgrund dieses Gedankens ist 310 Abs. 1 BGB bislang nicht auf eine generelle Absenkung des Schutzniveaus gerichtet, sondern erlaubt vornehmlich die Differenzierung nach branchen-, gruppen- und geschäftstypischen Regelungserfordernissen. 26 Ein Weiteres wurde deutlich: Die mit der massenhaften standardisierten Verwendung von Klauseln verbundenen Folgen werden im b2c-geschäft letztlich nicht mehr aufgegriffen, denn dort werden auch Einzelvertragsklauseln kontrolliert; die insoweit typische Eigenschaft von AGB ( Verwendung für eine Vielzahl von Verträgen ; Rationalisierungs-und Typisierungsfunktion von AGB) ist inzwischen nur noch für den unternehmerischen Geschäftsverkehr entscheidend. Würde der im b2b-bereich noch geltende klassische AGB-Begriff durch eine Liberalisierung der Kontrolle entfallen, würde die Erscheinung massenhaft eingesetzter Klauseln als solche nicht mehr eigenständig rechtlich aufgegriffen. Auch die abstrakte Kontrolle von AGB in Verbandsunterlassungsklagen ( 1, 3 UKlaG, 8 UWG), die präventive Wirkung für die (weitere) standardmäßige Verwendung haben soll, wäre damit relativiert. 1. Die Klauselrichtlinie und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Klauselkontrolle a) Kontrolle von vorformulierten Klauseln in Verbraucherverträgen Bleibt man bei der Perspektive des b2c-vertrags, und damit bei unserer ersten Eingangsfrage, ist festzuhalten, dass sich die Klauselrichtlinie bewusst dafür entschieden hat, nicht jeden Verbrauchervertrag der Inhaltskontrolle zu unterwerfen, sondern nur die nicht einzeln ausgehandelten Vertragsklauseln. Das findet in der Richtlinie seinen Ausdruck darin, dass nur im Voraus abgefasste Klauseln, auf die der Verbraucher deshalb keinen Einfluss nehmen konnte, kontrolliert werden. 27 Soweit die Aussage der Richtlinie zu unserer ersten Eingangsfrage. Dabei sollte die Klauselrichtlinie mit der Unterlassungsklagenrichtlinie 28 zusammengedacht werden, die eine abstrakte Kontrolle von Klauseln im b2c-geschäft zu präventiven Zwecken ermöglicht: Eine abstrakte objektive Kontrolle vorformulierter Klauseln, die bei der Inhaltskontrolle jedes Verbrauchervertrags relativiert würde. Die Klauselrichtlinie regelt eine Inhaltskontrolle missbräuchlicher Klauseln nur in Verbraucherverträgen. Der Regelungsansatz ist also ein anderer als derjenige des deutschen AGB-Rechts, das von Anfang an auch für den unternehmerischen/kaufmännischen Geschäftsverkehr eine Kontrolle vorsah. Soweit die Aussage der Richtlinie zu unserer zweiten Eingangsfrage. Das Europäische Richtlinienrecht erlaubt also, dass ein nationales Recht Verträge im b2b-bereich keiner (zusätzlichen) Inhaltskontrolle unterwirft. Für das deutsche Recht hat die Klauselrichtlinie zur beschriebenen Differenzierung in 310 BGB geführt. b) Die graue Liste der Klauselrichtlinie Die Klauselrichtlinie enthält einen Anhang mit einer Liste von Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie verweist auf diesen Anhang. Die Liste ist allerdings vor allem ein Hinweis für den Rechtsanwender, so dass sich die Missbräuchlichkeit nicht ohne weiteres und allein anhand des Anhangs ermitteln lässt, der aber umgekehrt nicht alle möglicherweise missbräuchlichen Klauseln erschöpfend aufzählt. Die durchaus umstrittene Anwort nach der Verbindlichkeit des Anhangs wurde durch den EuGH kürzlich präzisiert, der ihn als wesentliche Grundlage für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit durch ein nationales Gericht einordnete. 29 Bei der Beurteilung soll aber auch der Kontext anderer Klauseln und nationaler Rechtsvorschriften, III. Europäische Klauselkontrolle Drei Gesichtspunkte spielen hier vor allem eine Rolle: Die Klauselrichtlinie und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die Entwürfe eines gemeinsamen Referenzrahmens (Draft Common Frame of Reference, DCFR) und der Verordnungsvorschlag zu einem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht (GEK). Sämtlich werden sie in der aktuellen Diskussion als Argument für die Beantwortung der beiden eingangs gestellten Fragen herangezogen, allerdings mit durchaus unterschiedlichen Schlussfolgerungen. 24 Davon geht jeder Begründungsansatz zur AGB-Inhaltskontrolle aus, zusammenfassend Stoffels, AGB-Recht, Rn 76 ff., 83 ff mwn. 25 Vgl. Micklitz, Gutachten 69. Deutscher Juristentag, III.3.a; Staudenmayer, NJW 2011, Stoffels, AGB-Recht, Rn 553 mwn. 27 S. Art. 3 und Erwägungsgründe der Richtlinie 93/13/EWG. 28 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, AbI. L 166 v , S. 51, geändert durch RiLi 1999/44/EG, AbI. L 171, S. 12 v ; RiLi 2000/31/EG, AbI. L 178, S. 1 v ; RiLi 2002/65/EG, AbI. L 271, S. 16 v ; RiLi 2005/29/EG, AbI. L 149, S. 22 v EuGH v Rs. C-472/10, Rn (Nemzeti Fogyasztovedelmi); Stoffels, AGB-Recht, Rn 45, 581; Micklitz/Reich, EuZW2012,126. Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich AnwBl /

22 69. Deutscher Juristentag in dem die streitige Klausel steht, Bedeutung haben. Ein nationales Gericht wird also einigen Aufwand zu betreiben haben, eine in der Liste enthaltene Klausel für wirksam zu halten. Selbst wenn 308, 309 BGB eine entsprechende Klausel nicht aufgreifen, sind die Listen der Richtlinie zumindest über eine Anwendung von 307 BGB zu berücksichtigen. 30 c) Kontrolle des Leistungsgegenstands und des Preises Vergleichbar dem deutschen AGB-Recht ( 307 Abs. 3 BGB) sieht die Klauselrichtlinie (Art. 4 Abs. 2) schließlich vor, dass der Hauptgegenstand des Vertrags und die Angemessenheit des Verhältnisses zwischen Preis und Gegenleistung keiner Kontrolle unterliegt, es sei denn, es fehlt insoweit an Transparenz. Kontrollfähig sind jedoch Mechanismen für die Änderung der Kosten für die Hauptleistungspflicht. 31 Vorgelegt wurde kürzlich die Frage, inwieweit Zins, Bankprovision und Kosten bei einer Kreditvergabe als Hauptgegenstand der Kontrolle entzogen sind. 32 d) Inhaltskontrolle durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) Was die Aufgabe des EuGH bei der Inhaltskontrolle betrifft, so ist zwar der EuGH zur verbindlichen Auslegung der Richtlinie berufen, eine Entscheidung des EuGH führt aber keineswegs automatisch die Unwirksamkeit einer Klausel herbei. 33 Die Zuständigkeit des EuGH erstreckt sich auf die Auslegung des Begriffs missbräuchliche Vertragsklausel und auf die Bestimmung der anzuwendenden Kritierien; die Entscheidung über die konkrete Klausel erfolgt durch das nationale Gericht unter Berücksichtigung der Kritereien des EuGH. 34 Dieses ist allerdings zur Prüfung der Missbräuchlichkeit nicht nur berechtigt, sondern von Amts wegen verpflichtet, selbst wenn der Verbraucher sich nicht auf die Unwirksamkeit beruft. 35 Das kann bedeutende Folgen haben. So entschied der EuGH etwa kürzlich für die EuMahnVO 36, dass es mit der Klauselrichtlinie unvereinbar ist, wenn in keiner Phase des Verfahrens die Missbräuchlichkeit einer Verzugszinsklausel geprüft wird. 37 e) Mindestharmonisierung durch die Klauselrichtlinie Die Klauselrichtlinie bewirkt nur eine Mindestharmonisierung. Die Rechtsprechung des EuGH hat diesen Charakter der Richtlinie schon mehrfach bestätigt. 38 Das nationale Recht darf also das Schutzniveau erhöhen. Dies führt etwa dazu, dass ein nationales Gericht nicht nur eine einzelne Klausel als unwirksam und nichtig einordnen kann, sondern eine nationale Rechtsordnung auch die Rechtsfolge der Gesamtnichtigkeit anordnen darf, wenn dies einen besseren Schutz des Verbrauchers gewährleistet. 39 Entsprechendes gilt etwa im Falle, dass ein nationales Recht auch das Äquivalenzverhältnis der Hauptleistungen des Vertrags überprüft: Zwar entspricht das nicht Art. 4 Abs. 2 der Klauselrichtlinie; es ist aber auch nicht europarechtswidrig, hier den Mindeststandard zu überschreiten. 40 Keineswegs aber kann (umgekehrt) das nationale Recht eine Vertragsanpassung vorsehen bzw. die nationalen Richter sie vornehmen, wo die Richtlinie in Art. 6 die Unverbindlichkeit der Klausel vorsieht. 41 Eine Vollharmonisierung für das AGB-Recht ist auch in der neuen Verbraucherrechterichtlinie 42 nicht vorgesehen. Die Klauselrichtlinie wird hierdurch nur insoweit geändert, als die Kommission darüber zu informieren ist, wenn ein Mitgliedstaat über das Mindestniveau hinaus einen Verbraucherschutz etwa auch für Individualverträge von Verbrauchern oder für eine Äquivalenzkontrolle der Hauptleistungen vorsieht oder neue schwarze oder graue Klausel-Listen erlässt Tendenzen der Differenzierung im Draft Common Frame of Reference (DCFR) 44 und im Verordnungsvorschlag über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (GEK) 45. Wie aber sieht es für die zukünftige europäische Entwicklung aus? Aktivitäten auf europäischer Ebene im Bereich der Klauselkontrolle beziehen sich auf zwei Gesetzeswerke, deren normativer Gehalt freilich zunächst unverbindlich ist. a) Die rechtliche Bedeutung des DCFR und des GEK Beim DCFR liegt die Einordnung zwischen den Polen eines vornehmlich wissenschaftlich rechtsvergleichenden Ansatzes einerseits und demjenigen der konkreten Verwendbarkeit als wählbare Rechtsordnung, Toolbox oder Mustergesetz andererseits. 46 Diese Differenzen finden ihren Grund vor allem in der wenig linearen Entstehung des DCFR, die sowohl durch politische Aktivitäten auf Gemeinschaftsebene beeinflusst wurde und wird als auch und letztlich entscheidend auf den Ergebnissen unterschiedlicher wissenschaftlicher Arbeitsgruppen beruht Vgl. Stoffels, AGB-Recht, Rn 581 mwn. 31 EuGH v Rs. C-472/10 (Nemzeti Fogyasztovedelmi); Micklitz/Reich, EuZW 2012, Ersuchen des rumänischen Tribunalul Valcea v Rs. C 108/12 (SC Volksbank Romania) und des rumänischen Tribunal Giurgiu v Rs. C-123/12 (SC Volksbank Romania). 33 EuGH v Rs. C-137/08 (VB Penzügyi) EuZW 2011, 27; Pfeiffer, LMK 2010, ; Stoffels, AGB-Recht, Rn 46; Bredol, GPR 2010, 138, Zuletzt EuGH v Rs. C-472/10 (Nemzeti Fogyasztovedelmi), Rn 22, 30; dazu auch EuGH v Rs. C-137/08 (VB Penzügyi) EuZW 2011, 27; v Rs. C 484/08 (Caja de Ahorros) RIW 2010, 873; v Rs. 243/08 (Pannon) EuZW 2009, 503; zur entsprechenden Rechtsprechungslinie: Micklitz/Reich, EuZW 2012, 126, 128; Stoffels, AGB-Recht Rn 49 mwn ( deutliche Selbstbeschränkung des EuGH ) und Heinig, EuZW 2009, 885, 886, 887 ( Tendenz eher in Richtung verstärkter Prüfung durch den EuGH selbst hat sich nicht bestätigt). 35 EuGH v Rs. C 40/08 (Asturcom Telecomunicaciones) EuZW 2009, 852; v Rs. C-243/08 (Pannon) EuZW 2009, 503; v Rs. C-137/08 (VB Penzügyi) EuZW 2011, 27; Pfeiffer, LMK 2010, : kritisch im Hinblick auf das davon auch erfasste Ermitteln des Sachverhalts; s. auch ders., NJW 2009, Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, Abl L 399 v , S EuGH v Rs. C-618/10 (Banco Espagnol de Credito) BB 2012, Zuletzt etwa EuGH v Rs. C-453/10 (Jana Perenicova) EuZW 2012, 302 m. Anm. Werkmeister; Micklitz/Reich, EuZW 2012, 126; s. auch EuGH v C 484/08 (Caja de Ahorros) RiW 2010, EuGH v Rs. C-453/10 (Jana Perenicova) EuZW 2012, EuGH v Rs. 484/08 (Caja de Ahorros) RiW 2010, 873; Bredol, GPR 2010, EuGH v Rs. C-618/10 (Banco Espagnol de Credito) BB 2012, Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Rechte der Verbraucher Abl. EU L 304/64 v Vgl. Art. 32 der Richtlinie 2011/83/EU. 44 Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference, Vol. 1-6, hrsg. von Christian von Bar/Eric Clive/Hans Schulte- Nölke, München Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht vom (Anhang I), KOM(2011) 635 endg. 46 S. etwa Schulte-Nölke, NJW 2009, 2161; Jansen/Zimmermann, NJW 2009, 3401; Meller-Hannich, AcP 210 (2010), 925; Beiträge von Beale, Schulte-Nölke und Röthel in: Der Gemeinsame Referenzrahmen, hrsg. von Schmidt-Kessel, München 2009 und von Schulte-Nölke, in: Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht, hrsg. von Remien, Tübingen 2008; Mitteilung der Kommission v KOM(2004), 651 endg.; v KOM(2003) 68 endg. 47 Zusammenfassend Martens, EuZW 2010, 527; zu den Textstufen und Arbeitsgruppen etwa Jansen/Zimmermann AcP 210 (2010), 196 ff; Eidenmüller/Faust/Grigoleit/ Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529 f., 532 ff. 680 AnwBl / 2012 Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich

23 69. Deutscher Juristentag Der DCFR gehört zur Vorgeschichte des Entwurfes eines gemeinsamen europäischen Kaufrechts (GEK), wobei die von der Kommission damit beauftragte Expertengruppe auch auf andere Vorarbeiten zurückgriff 48 und umgekehrt der DCFR weit mehr als nur kaufrechtliche Regelungen enthält. Das GEK soll ein wie eine nationale Rechtsordnung frei wählbares materielles Recht zur Verfügung stellen (optionales Instrument, 28. Regime). Die Besonderheit gegenüber sonstiger Rechtswahl ist, dass die nach der Rom I-VO trotz Rechtswahl geltenden zwingenden nationalen Regeln nicht greifen sollen, 49 weil das Schutzniveau hinreichend hoch sei 50 (zweites Regime). b) Inhalt der Instrumente Für unsere Eingangsfragen sind beide Instrumente vornehmlich deswegen relevant, weil Stellungnahmen zu ihnen vielfach mit dem DCFR und/oder dem GEK begründet werden 51, sich DCFR und GEK hier auch durchaus positionieren, und sich schließlich die Frage stellt, ob sie zur Herausbildung eines gemeineuropäischen Maßstabs für die Inhaltskontrolle von AGB beitragen können. 52 Beide (Art. 86 GEK bzw. Art. II-9:403 bis 405 DCFR) legen bei der AGB-Kontrolle im b2c-bereich einen anderen Maßstab an als im b2b-bereich, wobei das Maß der Differenzierung inhaltlich durchaus umstritten ist 53 und der GEK zudem maßgeblich zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und großen Unternehmen unterscheidet (Art. 7, 13 Abs. 2). Artikel 83 des GEK lautet wie folgt: Bedeutung von unfair in Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher 1. In einem Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ist eine im Sinne von Artikel 7 nicht individuell ausgehandelte, vom Unternehmer gestellte Bestimmung im Sinne dieses Abschnitts unfair, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs in Bezug auf die vertraglichen Rechte und Verpflichtungen der Vertragsparteien ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Verbrauchers herstellt Es folgen in Art. 84, 85 (Anhang I) eine schwarze und eine graue Liste, vergleichbar 308 und 309 BGB 54 und sodann Art. 86 GEK: Bedeutung von unfair in Verträgen zwischen Unternehmern 1. In einem Vertrag zwischen Unternehmern gilt eine Vertragsbestimmung für die Zwecke dieses Abschnitts nur dann als unfair, wenn (a) sie Bestandteil von nicht individuell ausgehandelten Vertragsbestimmungen im Sinne von Artikel 7 ist und (b) so beschaffen ist, dass ihre Verwendung unter Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs gröblich von der guten Handelspraxis abweicht Der DCFR sagt folgendes: Art. II. 9:403: Meaning of unfair in contracts between a business and a consumer In a contract between a business and a consumer, a term [which has not been individually negotiated] is unfair for the purposes of this Section if it is supplied by the business and if it significantly disadvantages the consumer, contrary to good faith and fair dealing. Es folgt die Inhaltskontrolle bei c2c-verträgen und sodann Art. II. 9:405: Meaning of unfair in contracts between businesses A term in a contract between businesses is unfair for the purposes of this Section only if it is a term forming part of standard terms supplied by one party and of such a nature that its use grossly deviates from good commercial practice, contrary to good faith and fair dealing. Festzustellen ist hier vor allem, dass anders als die Klauselrichtlinie beide Instrumente eine AGB-Kontrolle auch im b2b-geschäft vorsehen. Außerdem erfolgt eine Kontrolle beim b2c-geschäft nur im Falle nicht ausgehandelter 55 Klauseln. Das entspricht durchaus der aktuellen Rechtslage in Deutschland. Einen zwingenden Anlass, das nationale AGB-Recht zu ändern, bieten sie also in dieser Hinsicht nicht. Spannend ist eher die Frage, ob DCFR und GEK zur europäischen Konkretisierung der Generalklausel beitragen können und sollten. Eine Klausel ist im b2b-geschäft allerdings nur dann unfair, wenn sie in grober Weise gegen Treu und Glauben, den redlichen Geschäftsverkehr, die redliche Handelspraxis verstößt, während im b2c-vertrag ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Verbrauchers zur Unfairness führt. Dass dies einen unterschiedlichen Kontrollmaßstab schlussfolgern lässt, der dabei im b2b-bereich über 307 Abs. 1 Satz 1 BGB hinausgeht, scheint deutlich, mag es auch bezweifelt werden. Ein besonderes Augenmerk richtet im Übrigen das GEK auf die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Sie werden im Geschäft mit großen Unternehmen als die schwächere Vertragspartei geschützt; 56 eine auch ansonsten in Europa erkennbare Tendenz Zwischenergebnis Momentan lässt die Klauselrichtlinie und ihre Interpretation durch den EuGH sowohl zu, dass Individualvertragsklauseln gegenüber Verbrauchern der Kontrolle unterzogen werden, als auch, dass gegenüber Unternehmern keine Klauselkontrolle erfolgt. Ein gegenüber der Klauselrichtlinie intensiverer inhaltlicher Kontrollmaßstab ist möglich; so können die Listen strenger verfasst sein und auch eine Äquivalenzkontrolle ist möglich. Die Verwerfung einer Klausel findet nur durch nationale Gerichte statt. Es gilt aber auch, dass von europäischer Ebene aus keine Vollharmonisierung 48 Staudenmayer, NJW 2011, 3491; s. auch Beiträge von Möslein, Schmidt-Kessel, in: Ein einheitliches europäisches Kaufrecht?, hrsg. von Schmidt-Kessel, München 2012; Beiträge von Stürner, Herresthal, Schulte-Nölke in: Der Entwurf für ein optionales europäisches Kaufrecht, hrgs. von Schulte-Nölke/Zoll/Jansen/Schulze, München Zur Art und Weise dieser Funktion: Staudenmayer, NJW 2011, 3491, 2495; Stürner, GPR 2011, Speziell für die Klauselkontrolle s. zuletzt Antwort der Kommissarin Reding vom auf die Parlamentarische Anfrage vom , abrufbar unter (Stand ) 51 Etwa Jansen, ZEuP 2010, 69, 90 ff.; Leyens/Schäfer, AcP 201 (2010), 772, 788 f., 796; v. Westphalen, NJOZ 2012, 441; ders., ZIP 2011, 1985; Oetker, AcP212 (2012), 202, 210 jew. mwn; s. auch Micklitz, Gutachten 69. Deutscher Juristentag, II.3.a. 52 Dazu für den DCFR: Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 793, 807 ff. mwn. 53 S. einerseits etwa: von Westphalen, NJOZ 2012, 441; ders. ZIP 2011, 1985; andererseits etwa: Kollmann, NJOZ 2011, 625, 629; Kessel, AnwBl. 2012, 293, 299; Oetker, AcP 212 (2012), 202, 214; dazu auch Riesenhuber, in: Riesenhuber/Karakostas (Hrsg.), Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht, Berlin 2009, S. 49, Vgl. von Westphalen, ZIP 2011, 1985, Beim DCFR immerhin, wenn der Klammerzusatz mitgelesen wird; vgl. zu dieser Unentschiedenheit Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung 2010, S. 263; Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771, 788; Riesenhuber, in: Riesenhuber/ Karakostas (Hrsg.), Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht, Berlin 2009, S. 49, Dazu etwa Staudenmayer, NJW 2011, 3491, KOM(2011), 635 endg., Begründung S. 7; Beispielhaft auch die Überlegungen zur Europäischen Sammelklage, s. Meller-Hannich/Höland, GPR 2011, 168, 177. Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich AnwBl /

24 69. Deutscher Juristentag des AGB-Rechts erfolgt ist, so dass ein differenzierter Schutzmaßstab, wie ihn etwa das deutsche Recht vorsieht, europarechtlich unbedenklich ist. Letztlich hat die Europäische Union mit der Klauselrichtlinie also (noch) keine verbindliche Antwort zu unseren Ausgangsfragen gegeben. Anders sieht es hingegen beim GEK und DCFR aus. Hier ist eine Kontrolle auch bei b2b-verträgen vorgesehen, freilich mit einem im einzelnen umstrittenen strengeren Maßstab. Den b2b-geschäftsverkehr der Inhaltskontrolle (weitgehend) zu entziehen, würde hier den vom GEK angestrebten Schutzansatz zu Gunsten der KMU unterlaufen. Diskussionswürdig ist hier schließlich, ob die Klauselkontrolle einen anderen, europäischen Bezugsrahmen bekommt. IV. Ergebnis 1. Antwort auf die erste Ausgangsfrage Sowohl das nationale als auch das europäische AGB-Recht reagieren auf eine Unterlegenheit eines Vertragspartners grundsätzlich nur dann und deshalb, weil bestimmte situative Elemente des Vertragsschlusses hinzukommen. Angestrebt wird kein genereller Schwächerenschutz, sondern ein Ausgleich bei Störungen des privatautonomen Vertragsabschlussprozesses, wobei der Schutzzugang und -maßstab gegenüber Verbrauchern durchaus erhöht ist. Individualvereinbarungen zwischen Verbrauchern und Unternehmern sind aber keiner generellen AGB-artigen Inhaltskontrolle unterworfen. Die Regeln des zwingenden (Verbraucher-)Rechts, der allgemeinen Missbrauchskontrolle des 242 BGB und der Sittenwidrigkeitskontrolle nach 138 BGB lassen den unterlegenen Vertragspartner auch im Individualvertrag nicht schutzlos. Ihnen gesellen sich zudem bei bestimmten Verträgen Informationspflichten und Widerrufsrechte hinzu. Das zwingende Verbraucherrecht ist dabei großteils schon europäischen Ursprungs, im Falle der Anwendbarkeit des GEK wird es durch dieses ersetzt. Im Falle der Klauselkontrolle wird das GEK dann auch Bezugspunkt der Inhaltskontrolle. Da die Klauselrichtlinie nur eine Mindestharmonisierung vorsieht, lässt sie eine Kontrolle auch individueller Vereinbarungen zu; anders das GEK: Eine Kontrolle findet nur bei vom Unternehmer gestellten, nicht individuell ausgehandelten Vertragsbestimmungen statt. Eine Tendenz zur generellen Inhaltskontrolle von Individualvereinbarungen in Verbraucherverträgen ist also derzeit nicht zu erkennen. 2. Antwort auf die zweite Ausgangsfrage Das nationale AGB-Recht hat anders als die Klauselrichtlinie keinen originär verbraucherschützenden Ansatz, sondern reagiert bei jedermann auf die mit AGB einhergehenden situativen Störungen des privatautonomen Vertragsabschlussprozesses. Vorgesehen sind allerdings Differenzierungen zwischen b2b- und b2c-verträgen im Hinblick auf Zugang und Ausmaß der Inhaltskontrolle. Das europäisch verbraucherrechtlich geprägte Schuldvertragsrecht ist dabei im b2b-vertrag nicht als Bezugspunkt ( wesentliche Grundgedanken ) der nationalen Generalklausel heranzuziehen. Die gegenüber Verbrauchern regelhaft unwirksamen Klauseln sind im Verhältnis zu Unternehmern nach einem flexibleren, die Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs berücksichtigenden Maßstab zu interpretieren, wobei auch die spezifische Branche und die Größe des Unternehmens eine Rolle spielen sollten. Die europäische Klauselrichtlinie sieht zwar eine Kontrolle im b2b-bereich nicht vor, schließt sie aber auch nicht aus. Der DCFR und der GEK sehen demgegenüber und aktueller eine Kontrolle auch im b2b-bereich vor, deren Maßstab freilich noch näher zu bestimmen ist. Dabei eröffnen sie aber Differenzierungsmöglichkeiten nach der Unternehmensgröße und den Zugriff auf das europäische Privatrecht als Bezugspunkt von unbestimmten Begriffen und Generalklauseln. 3. Ausblick Wenn das AGB-Recht nicht (nur) einen Schwächerenschutz, sondern einen für jedermann notwendigen und typischen Schutz bei vorformulierten Klauseln anstreben soll, mag man ihn nun vertragstheoretisch, situativ oder rechtsökonomisch begründen, bedarf es auch beim b2b-geschäft dieses Schutzes, unter Umständen mit Abstufungen für den Verbraucher oder die KMU. Auch beim b2b-geschäft heißt es also: Inhaltskontrolle wegen AGB. Umgekehrt folgt aus diesem Schutzansatz für das b2c-geschäft, dass eine generelle individualvertragliche Kontrolle nicht opportun ist. Für das b2c-geschäft heißt es also: Inhaltskontrolle nur bei AGB. Ein weitgehender Ausschluss des b2b-vertrags von der Klauselkontrolle würde den typischen situativen Gefahren bei der Verwendung von vorformulierten Klauseln nicht gerecht. Ihr Ergebnis wäre eine Rechtsprechung, die das Missbrauchsverbot in neuer/alter Kasuistik ausfüllen müsste. Entgegen den Ideen und Vorschlägen, die Grund für die Formulierung unserer Eingangsfragen waren, plädiert dieser Beitrag deshalb weder für eine generelle Inhaltskontrolle bei Verbraucherverträgen noch für eine vermeintliche Befreiung des unternehmerischen Geschäftsverkehrs von der Klauselkontrolle. Anerkennt man freilich die mit der Verwendung vorformulierter Klauseln einhergehende typische Gefahr im Interesse größerer wirtschaftlicher Liberalisierung einerseits und verstärkten Verbraucherschutzes andererseits nicht an, sind unsere Ausgangsfragen anders zu beantworten. Aus den derzeitigen europäischen Konzepten scheint sich das zumindest mir nicht zu ergeben. Darüber wird der Deutsche Juristentag (nicht zum ersten Mal, aber wiederum vor dem Hintergrund drängender aktueller Entwicklungen) diskutieren. Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich, Halle Die Autorin ist Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Handelsrecht an der Universität Halle. Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 682 AnwBl / 2012 Die Zukunft des AGB-Rechts für Verbraucher, Meller-Hannich

25 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts? Der Maßstab der Inhaltskontrolle Plädoyer für eine Reform des AGB-Rechts * Rechtsanwalt Prof. Dr. Hanns-Christian Salger und Rechtsanwalt Dr. Sönke Schröder, Frankfurt am Main Das AGB-Recht steht auf dem 69. Deutschen Juristentag wieder einmal im Fokus der Diskussion. Ein zentrales Anliegen der Anwaltschaft ist eine Reform des AGB-Rechts im unternehmerischen Rechtsverkehr (siehe nur die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 23/2012, in Auszügen AnwBl 2012, 402, vollständig AnwBl Online 2012, 352). Die Autoren begründen, warum aus ihrer Sicht der Status-quo den Wirtschafts- und Rechtsstandort Deutschland schwächt. I. Einführung Die gesetzliche Regelung zur Inhaltskontrolle bei allgemeinen Geschäftsbedingungen bietet breiten Interpretationsund Gestaltungsspielraum für den Rechtsanwender. Für die Verwendung von AGB zwischen Unternehmern 1 wird dieser Interpretationsspielraum im Vergleich zu Verbrauchergeschäften noch durch eine spezielle Sonderregelung erweitert, die die Berücksichtigung der Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs ermöglichen soll. Trotzdem hat die Rechtsprechung den erweiterten Interpretationsspielraum im b2b-bereich bisher kaum zugunsten des Verwenders der AGB genutzt. II. Die Inhaltskontrolle von AGB bei Geschäften mit Verbrauchern Die 307 bis 309 BGB enthalten das Herzstück der Inhaltskontrolle von AGB. 9 Zentrale Vorschrift zur Inhaltskontrolle ist die Generalklausel des 307 BGB. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 307 Abs. 2 BGB präzisiert, dass eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung entweder (Nr. 1) mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder (Nr. 2) wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. 9 Die 308 und 309 BGB enthalten eine Auflistung von verbotenen Klauseln. Dabei handelt es sich jeweils um Konkretisierungen, die in manchen Fällen auf 307 Abs. 2 BGB zurückzuführen sind; in allen anderen Fällen handelt es sich um unmittelbare Ausprägungen der Generalklausel des 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. 2 Die Klauselkataloge in den 308 und 309 BGB sollen sich nach der Gesetzesbegründung und nach der den beiden Vorschriften vorangestellten (und einen Teil des Gesetzeswortlauts bildenden) Kurzbezeichnung dadurch unterscheiden, dass die Unwirksamkeit einer in 308 BGB genannten Klausel von einem vorgängigen Akt richterlicher Wertung abhängt ( Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit ), während bei der Prüfung der Klauseln des 309 BGB eine Wertungsmöglichkeit nicht besteht ( Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit ). 3 9 Das zunächst ungeschriebene Transparenzgebot hat der Gesetzgeber mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 in 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich geregelt: Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. 9 Eigentlich eine Vorfrage ist, ob die streitige Klausel nicht schon deshalb unbeachtlich ist, weil sie für den Kunden überraschenden Charakter hat ( 305 c Abs. 1 BGB). Eine Klausel in AGB ist überraschend im Sinne von 305 c Abs. 1 BGB, wenn sie nach ihrem Inhalt oder nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich ist, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihr zu rechnen brauchte. Systematisch handelt es sich um eine Voraussetzung der Einbeziehung in den Vertrag und nicht um eine Frage der Inhaltskontrolle. In der Praxis ist es aber schwer möglich, die Begrifflichkeiten klar voneinander zu trennen. Es kommt höchst selten vor, dass der Kunde von einer Klausel überrascht wird, die ihrem Inhalt nach den Anforderungen der 307 ff. BGB vollen Umfangs standhält; andererseits wohnt AGB-Klauseln, die den Kunden unangemessen benachteiligen, regelmäßig auch ein Element der Überraschung inne, 4 zumindest aus der Sicht ex post. 9 Für die inhaltliche Prüfung einer Klausel erscheint demnach das folgende Schema zweckmäßig: Zunächst ist der Inhalt der Klausel festzustellen, im Zweifelsfalle durch Auslegung. Innerhalb der Inhaltskontrolle gilt der Vorrang der spezielleren Regelung vor der allgemeineren. Zunächst ist 309 BGB zu prüfen, dann 308 BGB und im Anschluss daran 307 Abs. 2 BGB. Sodann ist zu fragen, ob die streitige Klausel deshalb unbeachtlich ist, weil sie für den Kunden überraschenden Charakter hat ( 305 c Abs. 1 BGB) oder gegen das Transparenzgebot verstößt. Zuletzt muss sich die Regelung an der Generalklausel des 307 Abs. 1 Satz 1 BGB messen lassen. * Der Beitrag geht auf einen Vortrag des Autors Salger auf dem gemeinsamen Symposium des Deutschen Anwaltvereins und des Deutschen Juristentags AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Stärke oder Schwäche des deutschen Rechts? am 19. Januar 2012 zurück. Für die Veröffentlichung ist das Manuskript überarbeitet und aktualisiert worden. 1 Wenn im Folgenden von einem Unternehmer die Rede ist, sind entsprechend 310 Abs. 1 Satz 1 BGB damit ebenso juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen gemeint. 2 Grüneberg in Palandt (71. Auflage 2012), 307 Rn 1. 3 Kieninger in Münchener Kommentar zum BGB (5. Auflage 2007), Vor 307 Rn 5. 4 Basedow in Münchener Kommentar zum BGB (5. Auflage 2007), 305c Rn 3. AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder AnwBl /

26 69. Deutscher Juristentag III. Der gesetzliche Rahmen der Inhaltskontrolle im b2b-bereich Der gesetzliche Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB im unternehmerischen Verkehr wird durch die Verweisung in 310 Abs. 1 BGB auf 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und durch den eigenen Regelungsgehalt von 310 Abs. 1 BGB vorgegeben. 9 Wie sich aus dem fehlenden Verweis in 310 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, finden die Klauselverbote aus 308 und 309 BGB im unternehmerischen Verkehr zunächst keine unmittelbare Anwendung. 9 Die Inhaltskontrolle des 307 Abs. 1 und 2 BGB erstreckt sich bei Verwendung von AGB gegenüber Unternehmern nach 310 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BGB indes auch auf Klauseln, die Regelungen enthalten, die mit den grundsätzlich nicht anwendbaren Verboten der 308 und 309 BGB nicht im Einklang stehen. 9 Allerdings soll nach 310 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB bei der Inhaltskontrolle auf die im Handelsverkehr geltenden Gebräuche und Gewohnheiten angemessen Rücksicht genommen werden. Aus dem Wortlaut der für Unternehmen geltenden Regeln zur Inhaltskontrolle von AGB lässt sich unmittelbar für die Beantwortung der Frage, ob eine Klausel wegen Verstoßes gegen 307 BGB auch im unternehmerischen Verkehr unwirksam ist, wenig herleiten. Schon die Zielrichtung der Sonderregeln ist im Grundsatz umstritten: So wird behauptet, der Gesetzgeber habe mit der Sonderregelung für Unternehmer in 310 BGB lediglich eine Flexibilisierung der inhaltlichen Kontrolle angestrebt. 5 Vereinzelt wird jedoch weitergehend vertreten, dass auch eine Reduktion des Schutzniveaus bei der Verwendung von AGB für Unternehmer angestrebt worden sei. 6 Letztlich ist nicht entscheidend, wie die Zielrichtung der AGB-Regeln für Unternehmer genau umschrieben wird. Fest steht jedenfalls, dass wegen 310 Abs. 1 BGB sonst unwirksame Regelungen in AGB wirksam sein können, gerade weil diese gegenüber einem Unternehmen verwendet werden. 1. Die gestufte Inhaltskontrolle des 307 BGB Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB In 307 BGB ist eine abgestufte Inhaltskontrolle angelegt. Zunächst ist eine Klausel an 307 Abs. 2 BGB zu messen. 9 Nach 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Abweichung von der gesetzlichen Regelung, die ja überhaupt erst eine vertragliche Vereinbarung erforderlich macht und damit eine Prüfung der Vertragsklausel, wird also bereits als Anhaltspunkt für die Unzulässigkeit angesehen. 9 Nach 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Bei den beiden Konkretisierungen des 307 Abs. 2 BGB handelt es sich um Zweifelsregeln. Sie begründen eine Vermutung der Unwirksamkeit, die aber widerleglich ist. Die Vermutung ist widerlegt, wenn eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass die Klausel den Kunden nicht unangemessen benachteiligt. 7 Dass bei einer solchen so genannten Gesamtwürdigung von der Rechtsprechung tatsächlich relevante Umstände wie der Preis oder die bestehende oder mögliche Versicherbarkeit von Risiken oder relevant insbesondere bei mehrstufigen internationalen Geschäften die womöglich nach ausländischem Recht getroffenen Vor- und Nachvereinbarungen berücksichtigt worden wären, ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil, die Prüfung erfolgt gewissermaßen formularmäßig. 2. Indizwirkung der Kataloge mit Klauselkontrolle Seit Einführung des AGBG hat die Rechtsprechung die unbestimmten Rechtsbegriffe des AGB-Rechts ausgefüllt. Besonders kritisch ist für den unternehmerischen Rechtsverkehr, dass die Rechtsprechung die Klauselverbote von 308 und 309 BGB (seinerzeit 10, und 11 AGBG) schon recht bald nach Inkrafttreten des AGBG in großem Umfang entsprechend angewendet hat, obwohl diese Vorschriften bei Verwendung gegenüber Unternehmern gerade keine unmittelbare Anwendung finden sollen. 9 Gesetzliche Wurzeln hat diese Rechtsprechung nur scheinbar in 310 Abs. 1 Satz 2 BGB, 2. Halbsatz. Dort wird nämlich nur klargestellt, dass die Nichtanwendung von 308 und 309 BGB im unternehmerischen Verkehr nicht bedeuten soll, dass die in 308 und 309 BGB verbotenen Klauseln im unternehmerischen Verkehr stets erlaubt sind. 8 9 Die Rechtsprechung und die wohl herrschende Meinung leiten aus dieser Bestimmung ab, dass bei der Inhaltskontrolle im unternehmerischen Verkehr die in den Klauselverboten zum Ausdruck kommenden Wertungen berücksichtigt werden sollen, soweit diese Wertungen auf den Verkehr zwischen Unternehmern übertragbar sind. 9 Daran ist im Grunde nichts auszusetzen; entscheidend kommt es jedoch auf die Beurteilung der Übertragbarkeit an. 9 Bei der Frage nach einer Übertragbarkeit gilt in ständiger BGH-Rechtsprechung bereits die Tatsache, dass eine Klausel bei ihrer Verwendung gegenüber Verbrauchern unter eine Verbotsnorm des 309 BGB fällt, als Indiz dafür, dass sie auch im Falle der Verwendung gegenüber Unternehmern zu einer unangemessenen Benachteiligung führt. 10 Diese Indizwirkung, die die Rechtsprechung bei der Beurteilung von Klauseln im unternehmerischen Rechtsverkehr standardmäßig zu Rate zieht, findet weder im Wortlaut des Gesetzes, noch in den Gesetzgebungsmaterialien zum AGB-Gesetz eine Stütze. Im Gegenteil, die Klauselkataloge des 308 und 309 BGB (damals 10 und 11 AGBG) existierten bereits im Referentenentwurf des AGBGB als es noch als reines Verbraucherschutzgesetz konzipiert war. 11 Die Regelung des 24 AGBG (jetzt 310 Abs. 1 BGB) ist vor diesem Hintergrund als Kunstgriff des Gesetzgebers anzusehen, mit dem er der Forderung nach Erweiterung des Anwendungsbereich des AGBGB auf Kaufleute nachkam, ohne den ursprünglichen Entwurf von Grund auf überarbeiten zu müssen. 5 P. Ulmer/C. Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht (11. Auflage 2011), 310 Rn 8. 6 Wolf in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht (5. Auflage 2009), 310 Abs. 1 Rn z. B. BGH, Urteil vom 28. Januar 2003 XI ZR 156/02 NJW 2003, 1447 (1448). 8 RegE zum AGB-Gesetz, BT Drucks. 7/3919, S. 43 (unten). 9 BGH, Versäumnisurteil vom 19. September 2007, Az.: VIII ZR 141/06, NJW 2007, 3774 (3775). 10 Stdg. Rechtsprechung seit BGH, Urteil vom 8. März 1984, Az.: VII ZR 349/82; zuletzt BGH, Versäumnisurteil vom 19. September 2007, Az.: VIII ZR 141/06, NJW 2007, 3774 (3775). 11 Dazu ausführlich Rabe, NJW 1987, 1978 (1981 f.). 684 AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder

27 69. Deutscher Juristentag 9 Die Rechtsprechung durfte sich jedoch in dieser eingeschlagenen Linie durch den Gesetzgeber bestätigt fühlen, da dieser im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung die Regeln des AGBG im Wesentlichen unverändert in das BGB integriert hat. Dennoch hat die Schuldrechtsreform durchaus Einfluss auf das AGB-Recht gehabt, weil das geltende Recht, an dem sich die Inhaltskontrolle orientiert, erheblich geändert hat Kommt den Klauselverboten von 308 und 309 BGB somit in weitem Umfang eine Indizwirkung für die Inhaltskontrolle nach 307 BGB zu, stellt sich automatisch die weitere Frage, wann die Rechtsprechung das Indiz als widerlegt ansieht. Soweit ersichtlich, ist dem Verwender die Widerlegung der Indizwirkung bisher nie geglückt. Es gibt aber einige wenige Ausnahmen, in denen die Indizwirkung von 308 und 309 BGB von vorneherein abgelehnt wurde: Zum Beispiel hat die Rechtsprechung bei langfristigen Bezugs- oder Wartungsverträgen 309 Nr. 9 BGB keine Indizwirkung zugemessen. 13 Das gleiche gilt für das kaufmännische Bestätigungsschreiben und die Regelung über fingierte Erklärungen 308 Nr. 5 BGB. Bei letzterem handelt es sich um einen der seltenen Fälle, in denen ein Handelsbrauch den Prüfungsmaßstab der Inhaltskontrolle tatsächlich beeinflusst. 14 Allerdings hat die Rechtsprechung gelegentlich auch im unternehmerischen Verkehr verwendete fingierte Erklärungen für unwirksam erklärt. 15 In der Realität entfaltet die durch 310 Abs. 1 Satz 1 BGB angeordnete Differenzierung zwischen Verwendung von AGB gegenüber Verbrauchern und Unternehmern kaum Wirkung. Die Rechtsprechung hat die Norm mithilfe der Indizwirkung von 308 und 309 BGB weitgehend neutralisiert Gefährdung des Vertragszwecks und Abweichung vom dispositiven Recht Auch abseits von Verstößen gegen die Klauselverbote in den 308 und 309 BGB legt der BGH einen strengen Maßstab zu Lasten des Verwenders von AGB an. Liegt kein Fall der Indizwirkung vor, kann die Klausel immer noch wegen Verstoßes gegen 307 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB unwirksam sein. Gemäß 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB enthält eine AGB-Klausel im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung auch dann, wenn durch sie wesentliche, aus der Natur des Vertrages sich ergebende Rechte oder Pflichten so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Indem die Regelung auf die Natur des Vertrages abstellt, soll zweierlei bewirkt werden: Für gesetzlich nicht geregelte Vertragstypen wird überhaupt erst ein konkretisierter Maßstab geschaffen, da es eine gesetzliche Regelung, an der sich die Prüfung nach Nr. 1 zu orientieren hat, nicht gibt. 17 Des Weiteren enthält Nr. 2 eine Konkretisierung von Nr. 1 für solche Verträge, die gesetzlich geregelt sind. Besonders wesentliche Pflichten eines Vertrages Kardinalpflichten dürfen nicht ausgehöhlt werden. 18 Bei genauer Betrachtung ist die Regelung, soweit sie sich auf gesetzlich definierte Vertragstypen bezieht, pleonastisch. Eine Vertragszweckgefährdung durch Einschränkung wesentlicher Rechte oder Pflichten muss notwendigerweise immer von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen, wie sie bereits in 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB formuliert ist. Für gesetzlich nicht geregelte Vertragstypen, auch spezielle Unterfälle gesetzlich geregelter Vertragstypen, bringt das Abheben auf eine angebliche Natur des Vertrages genauso wenig wie die Diskussion über das Wesen der juristischen Person im Gesellschaftsrecht. Wer, wenn nicht die Parteien eines von ihnen geschaffenen Vertrags-Sondertyps kann dessen Natur bestimmen? Tatsächlich setzt die Rechtsprechung ihr eigenes Verständnis an die Stelle des Verständnisses beider oder jedenfalls einer Vertragspartei, nämlich des AGB-Verwenders. Wenn man Glück hat, lässt sie sich dabei von empirischen Funden zur Geschäftsüblichkeit o. ä. leiten; eine Fortentwicklung wird dann aber praktisch ausgeschlossen. 4. Transparenzgebot und Verbot überraschender Klauseln Auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr gilt das Transparenzgebot des 307 Abs. 1 Satz 2; AGB sind klar und verständlich zu formulieren. 19 Obwohl das Transparenzgebot erst mit der Schuldrechtsreform kodifiziert wurde, hat sich die Rechtslage auch im Unternehmerverkehr dadurch materiell nicht geändert: Die Rechtsprechung hatte bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung gestützt auf 9 AGBG a. F. im unternehmerischen Verkehr verwendete Klauseln am Transparenzgebot gemessen Teilweise wird die Einschränkung gemacht, dass bei der Prüfung eines etwaigen Verstoßes gegen das Transparenzverbot zu berücksichtigen sei, dass im Unternehmerverkehr Geschäftserfahrung, Handelsbräuche und -gewohnheiten bessere Erkenntnis- und Verständnismöglichkeiten des Unternehmers bewirken. 21 In der Praxis hat diese Einschränkung regelmäßig aber wenige Auswirkungen gezeigt. Sie existiert jedenfalls bisher bloß in der Theorie der BGH- Rechtsprechung. 22 Überdies sind in der BGH-Rechtsprechung auch gegenteilige Aussagen zu finden. So verzichtete der BGH erst kürzlich auf jegliche Differenzierung und begnügte sich mit der Feststellung, dass Verstöße gegen das Transparenzgebot (...) nicht den Gebräuchen und Gepflogenheiten des Handelsverkehrs entsprechen und daher auch gegenüber einem Unternehmer zur Unwirksamkeit formularmäßiger Geschäftsbedingungen führen Danach gilt auch für die Verwendung von AGB gegenüber Unternehmern, dass der Verwender verpflichtet ist, entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben, die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Diese Übertragung des strengen Verbraucherschutzes auf den unternehmerischen Verkehr hat schwerwiegende Folgen für den Verwender von AGB. Denn er kann sich bei der Erstellung der AGB nicht darauf verlassen, dass der Inhalt einer Klausel mithilfe der anerkannten Auslegungsmethoden ermittelt wird. Schon wenn zwei Auslegungsergebnisse möglich erscheinen, wurden Klauseln durch den BGH für unwirksam erklärt Dazu Graf von Westphalen, NJW 2002, 12 f. 13 BGH, Urteil vom 27. Februar 1985 VIII ZR 85/84 (stdg. Rechtsprechung). 14 Stadler in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch (14. Auflage 2011), 308 Rn BGH 7. Zivilsenat, Urteil vom 17. September 1987, Az. VII ZR 155/86 NJW 1988, So Dauner-Lieb/Axer, ZIP 2010, 309 (310). 17 A. Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht (11. Auflage 2011), 307 Rn Kieninger in Münchener Kommentar zum BGB (5. Auflage 2007), 307 Rn H. Schmidt, in BeckOK BGB (Edition 22), 307 Rn BGH, Urteil vom 22. November 1995, VIII ZR 57/95, NJW 1996, BGH, Urteil vom 16. Mai 2007 XII ZR 13/05 NJW 2007, Graf v. Westphalen, NJW 2009, 2355 (2359). 23 BGH, Urteil vom 3. August 2011 XII ZR 205/09 NJW 2012, 54 (55). 24 BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 VII ZR 28/07 NJW-RR 2008, 615. AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder AnwBl /

28 69. Deutscher Juristentag 9 Als weiteres Beispiel seien die sog. vertragswesentlichen Pflichten genannt. Bei vertragswesentlichen Pflichten kann die Haftung des Verwenders nur auf den vorhersehbaren Schaden beschränkt werden. Nur im Falle der Verletzung vertragsunwesentlicher Pflichten kann die Haftung für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden, solange nicht Leben oder Körper geschädigt wurden. Die Abgrenzung zwischen beidem ist somit von erheblicher praktischer Bedeutung. Ungeeignet ist in diesem Zusammenhang der in Fachkreisen durchaus gebräuchliche 25 Begriff Kardinalpflichten. Denn, so der BGH, dem Unternehmer-Kunden erschließt sich (...) ohne nähere Erläuterung auch bei aufmerksamer und sorgfältiger Lektüre des Vertrages nicht, was mit Kardinalpflichten gemeint ist 26, womit die alleinstehende Verwendung dieses Begriffs per se als Verstoß gegen das Transparenzgebot gilt. Es drängt sich die Frage auf, ob dem Unternehmer-Kunden, bzw. dem vom BGH in seiner Kardinalpflichten-Entscheidung für maßgeblich gehaltenen durchschnittlichen Händler als juristischer Laien, bei Verwendung des Begriffs vertragswesentliche Pflichten anstatt von Kardinalpflichten erschließt, was genau gemeint ist. Wenn man die BGH-Rechtsprechung zu Grunde legt, ist die Verwendung dieses Begriffs ohne nähere Erläuterung auch im Unternehmer-Verkehr jedenfalls risikobehaftet. 27 Im Endeffekt wird der Verwender von AGB durch die Rechtsprechung verpflichtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der vertragswesentlichen Pflicht jedenfalls abstrakt zu konkretisieren. Dabei trifft ihn das volle Risiko einer zu ungenauen Konkretisierung in den AGB, die im Rahmen der Inhaltskontrolle zur vollständigen Unwirksamkeit jeglicher Haftungsbegrenzung führt. 9 Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot wird häufig zugleich das Verbot überraschender Klauseln gemäß 305 c Abs. 1 BGB relevant: Überraschende Klauseln werden häufig zugleich als intransparent qualifiziert und umgekehrt. 28 Eine Klausel in AGB ist überraschend im Sinne von 305 c Abs. 1 BGB, wenn sie nach ihrem Inhalt oder nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages und von den Erwartungen des Vertragspartners derart abweicht, dass dieser den Umständen nach vernünftigerweise damit nicht zu rechnen braucht. 29 Für die Beantwortung der Frage, welche Vorstellungen und Erwartungen der durchschnittliche Vertragspartner vom Inhalt des Vertrages haben durfte, sind der konkrete Vertragstyp, das äußere Erscheinungsbild des Vertrages, der Grad der Abweichung des Klauselinhalts vom dispositiven Recht und schließlich allerdings wohl nur nachrangig die Üblichkeit der Klausel in der betreffenden Branche zu berücksichtigen. 30 IV. Einzelfallbetrachtung oder überindividuell-generalisierende Betrachtung? Grundsätzlich gilt nach herrschender Meinung auch im b2b-bereich, dass bei der Inhaltskontrolle von AGB nicht auf die Schutzbedürftigkeit der Beteiligten im Einzelfall, sondern auf eine überindividuell generalisierende Betrachtung abzustellen sei. 31 Fraglich ist aber, wie breit die überindividuelle, generalisierende Betrachtung einer Klausel angelegt sein muss. Der Unternehmerbegriff des BGB ist sehr weit gefasst: Er erfasst Existenzgründer genauso wie DAX-Konzerne. Die für die überindividuelle Betrachtung maßgebliche Gruppe ist nicht der Unternehmer an sich. Vielmehr sind nach der Rechtsprechung allgemeine Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. 32 Die ironische Konsequenz daraus ist, dass der konkrete überindividuelle, generalisierende Maßstab für jedes Klauselwerk individuell und für den Einzelfall, d. h. für jedes Klauselwerk und die typische Verwendung festgelegt werden muss. Bedauerlicherweise hat die Rechtsprechung bei der erforderlichen Festlegung des Maßstabs für die Prüfung des jeweiligen Klauselwerks häufig eine in dubio pro Vertragspartner des Verwenders Einstellung gezeigt. Allzu leichtfertig und ohne nähere Begründung hat sie z. B. ganze Gruppen von Unternehmern im Falle der Kardinalpflichten-Entscheidung des BGH die KfZ-Vertragshändler in ihrem Kerngeschäft (dem KfZ-Handel) als juristische Laien disqualifiziert. 33 V. Vorschlag eines anderen Maßstabes: Abweichung/ grobe Abweichung von guter/vernünftiger unternehmerischer Praxis Eine von Wirtschaftsverbänden, Rechtswissenschaftlern und Rechtsanwälten gebildete Initiative zur Fortentwicklung des AGB-Rechts hat einen Vorschlag zur Gesetzesänderung unterbreitet, der neben einer Erleichterung des so genannten Aushandelns im unternehmerischen Geschäftsverkehr auch einen großzügigeren Maßstab der Inhaltskontrolle vorsieht. Danach sollen im unternehmerischen Geschäftsverkehr lediglich solche Vertragsbestimmungen unangemessen sein, die entgegen den Geboten von Treu und Glauben von gängiger unternehmerischer Praxis grob abweichen. 34 Der vom Zivilrechtsausschuss des DAV entwickelte Vorschlag, wonach eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht vorliegt, wenn die betroffene Klausel unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts des Vertrages und der den Vertragsschluss begleitenden Umstände sowie der Gegebenheiten des betroffenen Wirtschaftszweigs von vernünftiger unternehmerischer Praxis nicht grob abweicht, zielt in dieselbe Richtung. 35 Man wird über die Formulierungen, Begriffe, womöglich auch nur Worte endlos streiten können. Am Ende werden sie von der Rechtsprechung mit Inhalt gefüllt werden 25 z. B. Grüneberg in Palandt(71. Auflage 2012), 307 Rn 33 und BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 VIII ZR 121/04, NJW-RR 2005, 1496 (1505). 27 So auch Bahnsen, TranspR 2010, 19 (24), zu 27.1 ADSp. 28 Vgl. z. B. BGH, Urteil vom 21. Juli 2010 XII ZR 189/08 NJW 2010, 3152 (3154). 29 BGH, Urteil vom 10. November 1989 V ZR 201/88; NJW 1990, OLGOldenburg,Urteilvom5.April2007 1U45/06 NJOZ2007,5937(5940), auch mit Nachweisen zur BGH Rechtsprechung. 31 BGH, Urteil vom 6. April 2005 XII ZR 308/02, NJW 2005, 2006 (2008); Grüneberg in Palandt (71. Auflage 2012), 310 Rn BGH, Urteil vom 25. Juni 1992 IX ZR 24/ Siehe auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 1987 VII ZR 307/86 (rechtsunkundiger Durchschnittsbauherr bei Errichtung eines Wohn- und Geschäftshaus). 34 Gesetzgebungsvorschlag zur Änderung des AGB-Rechts der Initiative zur Fortentwicklung des AGB-Rechts im unternehmerischen Geschäftsverkehr, Januar 2011, abrufbar unter agb_recht_initiative/gesetzgebungsvorschlaege/index.html (abgerufen am 26. Januar 2012). 35 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 23/2012, in Auszügen abgedruckt in AnwBl 2012, 402, vollständig im Internet abrufbar unter (AnwBl Online 2012, 352). 686 AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder

29 69. Deutscher Juristentag müssen. Dann mag als vernünftig angesehen werden, was gängige Praxis ist. Wichtig ist vor allem, dass den beteiligten Unternehmern die Vernunft gelassen und sie nicht durch eine vermeintliche Vernünftigkeit der Richter ersetzt wird. Im Übrigen ist sehr zu Recht verschiedentlich vorgetragen und vorgeschlagen worden, eine eigenständige AGB- Kontrolle im unternehmerischen Bereich gänzlich zu unterlassen und stattdessen auf die kartellrechtliche Klauselkontrolle unter dem Gesichtspunkt des Konditionenmissbrauchs marktbeherrschender Unternehmen zu rekurrieren. 36 Daran besticht vor allem der Gedanke, dass bei funktionierendem Wettbewerb jeder freiwillig in den Markt eintretende Marktteilnehmer also der Unternehmer nahezu stets, nicht aber der Verbraucher für seine geschäftliche Betätigung eigenverantwortlich ist und ggf. bestimmte Geschäfte unterlassen kann, aber nicht berechtigt sein soll, im Nachhinein, typischerweise wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, die Spielregeln, also die standardisierten Vertragsbestimmungen, zu seinen Gunsten zu ändern. VI. Beispiele Abschließend seien anhand einiger Beispiele die Probleme aufgezeigt, die durch die bisherige Rechtslage bzw. Rechtsprechung verursacht werden. 1. Beispiel Indizwirkung der Klauselverbote von 308 und 309 BGB Die Wirkungen der Rechtsprechung werden bei den in der internationalen Praxis besonders relevanten Haftungsbegrenzungsklauseln sichtbar. Wegen der von der Rechtsprechung angenommenen Indizwirkung von 308 und 309 BGB sind solche Klauseln, wenn Sie im unternehmerischen Verkehr verwendet werden, zunächst an 309 Nr. 7 und Nr. 8 BGB zu messen. Unwirksam ist demnach auch gegenüber Unternehmern die Freizeichnung für Körperschäden 37, die Freizeichnung für die Haftung bei grobem Verschulden 38 und der Ausschluss der Haftung für die Verletzung von vertragswesentlichen Pflichten schon bei leichter Fahrlässigkeit 39. Nur in sehr wenigen Fällen hat die Rechtsprechung Haftungsfreizeichnungen oder -begrenzungen für zwischen Unternehmern verwendete AGB anerkannt, die über die wenigen Begrenzungen hinausgehen, die auch gegenüber Verbrauchern möglich sind. Dabei entstammt die Mehrzahl der Entscheidungen den späten 80er Jahren. Die dort zutage getretene zaghafte Liberalisierung der Rechtsprechung hat aber spätestens mit der Schuldrechtsmodernisierung geendet. Wenn man die Entscheidungen analysiert, in denen der BGH eine Ausnahme anerkannt hat, stellt man überdies fest, dass es sich stets um äußerst eng umrissene Einzelfälle handelt. Beispielhaft ist dafür das Werftwerkvertrags-Urteil des BGH zu nennen, wonach der Haftungsausschluss in den Dock- und Reparaturbedingungen einer Seeschiffswerft auch für durch schwerwiegendes Verschulden einfacher Erfüllungsgehilfen verursachte Schäden, die an dem Schiff anlässlich der an diesem auszuführenden Werftarbeiten entstehen, zulässig ist. 40 Die Verwender von AGB haben in nachfolgenden BGH-Verfahren ohne Erfolg auf diese Entscheidung verwiesen. 41 Der BGH hatte den Haftungsausschluss der Werft in der Werftwerkvertragsentscheidung zwar auch mit der Versicherbarkeit möglicher Schadensrisiken begründet. Dieses Argument dürfte in einer Vielzahl von anderen Konstellationen greifen. In den nachfolgenden Entscheidungen hob der BGH aber nur noch die branchenspezifischen Besonderheiten der Werftbranche hervor, die sich nach Ansicht des BGH, soweit ersichtlich, auf keine andere Branche übertragen lassen sollen. Wenn schon kein Ausschluss der Haftung für die vorgenannten Risiken möglich ist, wird sich der Unternehmer fragen, ob er die Haftung in diesen Fällen summenmäßig begrenzen kann. Offen gelassen hat das die Rechtsprechung für die Beschränkung der Haftung bei grobem Verschulden von Erfüllungsgehilfen. 42 Bei einfacher Fahrlässigkeit kommt eine Beschränkung der Haftung auf den vertragstypischen vorhersehbaren Schaden in Betracht. 43 Dies ist allerdings keine auf 310 Abs. 1 BGB gestützte Privilegierung, denn eine solche Beschränkung der Haftung ist auch gegenüber Verbrauchern zulässig. 44 Einschränkende Formulierungen des Begriffs der Vorhersehbarkeit führen jedoch wiederrum zur Unwirksamkeit der Haftungsbeschränkung insgesamt Beispiel Abweichung vom dispositiven Recht, 307 Absatz 2 Nr. 1 BGB Problematisch ist nicht nur die Indizwirkung der Klauselverbote. Selbst wo eine solche Indizwirkung nicht vorliegt, sind die Spielräume für den Verwender AGB im unternehmerischen Verkehr erheblich eingeschränkt. Grund hierfür ist die praktische Anwendung der beiden Beispiele in 307 Abs. 2 BGB durch die Gerichte. Als Beispiel seien Regelungen in AGB zur verschuldensunabhängigen Haftung der anderen Vertragspartei genannt. Auch bei Verwendung von AGB gegenüber Unternehmern gilt grundsätzlich, dass es ein wesentlicher Grundgedanke der gesetzlichen Regelung i. S. von 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig nur bei schuldhaftem Verhalten besteht. 46 Das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip kann allerdings abbedungen werden. Geschieht dies durch eine individualvertragliche Regelung, ist diese in den Grenzen der 138, 242 BGB vom Grundsatz der Vertragsfreiheit gedeckt. 47 Dagegen stellt nach der Rechtsprechung die formularmäßige Vereinbarung einer verschuldensunabhängigen Haftung grundsätzlich eine der gesetzlichen Risikoverteilung widersprechende, unangemessene Benachteiligung des Kunden dar, die zur Unwirksamkeit einer derartigen Klausel nach 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB führt. 48 Diese Rechtsprechung ist ohne Abstriche auf den unternehmerischen Geschäftsverkehr übertragen worden. 36 Vgl. dazu schon Berger/Kleine, BB 2007, 2137 (2138). 37 BGH, Versäumnisurteil vom 19. September 2007 VIII ZR 141/06 NJW 2007, BGH, Versäumnisurteil vom 19. September 2007 VIII ZR 141/06 NJW 2007, BGH, Urteil vom 20. Juni 1984 VIII ZR 137/83 NJW 1985, BGH, Urteil vom 3. März 1988 X ZR 54/86 NJW 1988, Vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 X ZR 14/93 WM 1996, 967; BGH, Urteil vom 19. Februar 1998 I ZR NJW-RR 1998, 1426; BGH, Urteil vom 14. November 2000 X ZR 211/98 NJW RR 2001, BGH, Versäumnisurteil vom 19. September 2007 VIII ZR 141/06 NJW 2007, 3774 (3775). 43 BGH, Urteil vom 11. November 1992 VIII ZR 238/91 NJW 1993, F. Graf von Westphalen in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke (29. Ergänzungslieferung 2011), Band Vertragsrecht, Nr. 10, Rn 118 mwn. 45 Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB Recht (11. Auflage 2011), 309 Rn BGH, Urteil vom 5. Oktober 2005 VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47 (49). 47 BGH, Urteil vom 9. Juli 1992 VII ZR 7/92 NJW 1992, BGH, Urteil vom 9. Juli 1992 VII ZR 7/92 NJW 1992, AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder AnwBl /

30 69. Deutscher Juristentag 9 Eine generelle Regelung in AGB, nach der der Verkäufer für die vereinbarte Beschaffenheit der Kaufsache eine Garantie übernimmt, benachteiligt den Verkäufer daher aus Sicht der Rechtsprechung auch im unternehmerischen Verkehr unangemessen, weil sie ihn dem Risiko einer unübersehbaren Schadensersatzhaftung aussetzt Wendet man die Rechtsprechung beispielhaft auf eine typische Situation an, die vor allem international tätige deutsche Unternehmen betrifft, zeigt sich, wie nachteilig das deutsche AGB-Recht für diese Unternehmen sein kann. Insbesondere international tätige deutsche Unternehmen sind als Anbieter von Dienstleistungen oder Erzeugnissen häufig gezwungen, in Verträgen mit ihren (Groß-)kunden die Anwendbarkeit fremder Rechtsordnungen zu akzeptieren. Dabei kommt es nicht selten vor, dass der Unternehmer wirksam zum Beispiel verschuldensunabhängige Beschaffenheitsgarantien wie sie etwa im anglo-amerikanischen Recht aber auch im UN-Kaufrecht gesetzlich vorgegeben sind übernehmen muss. Will der Unternehmer sodann Teile eines Auftrages an deutsche Subunternehmen weiterreichen, läuft er Gefahr, dass ihn das deutsche Recht in eine Haftungsfalle bringt. Der Unternehmer will zwangsläufig jedem Subunternehmer, den er einschaltet, ebenfalls eine anteilige verschuldensunabhängige Haftung abverlangen. Übermäßige Vorteile hat er davon grundsätzlich nicht, da er im gleichen Maße seinem Kunden haftet. Das Weiterreichen seines vertraglichen Risikos scheitert aber womöglich am deutschen AGB-Recht, da, vor allem wenn mehr als ein Subunternehmen eingeschaltet werden sollen, die Gefahr besteht, dass die mehrfache Verwendung einer verschuldensunabhängigen Beschaffenheitsgarantie als Verstoß gegen 307 BGB gewertet würde Im Grunde identisch ist die Situation bei durch AGB vereinbarten Vertragsstrafen. 51 Im internationalen Geschäftsverkehr ist es nicht unüblich, dass die Verwirkung von vereinbarten Vertragsstrafen oder Schadensersatzpauschalen nicht von einem Verschulden des Leistungsversprechenden abhängig gemacht wird. Anders im deutschen (AGB-)Recht: Dort ist z. B. die verschuldensunabhängige Vertragsstrafe bei Überschreitung eines vereinbarten Fertigstellungstermins unzulässig Unzureichende Reichweite bzw. Beachtung von 310 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB Nach 310 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB ist bei der Inhaltskontrolle von AGB auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen. Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Rechtsprechung dieser Aufforderung bisher kaum nachgekommen ist. Allerdings mag dies insofern Verständnis finden, als 310 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB, bzw. die Vorgängervorschrift 24 AGBG der Regelung 346 HGB nachgebildet ist. Schon vor Einführung des AGBG waren nur wenige Handelsbräuche anerkannt. Geht man davon aus, dass mit 310 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB jedenfalls intendiert war, bestehende Gepflogenheiten im Unternehmerverkehr berücksichtigungsfähig zu machen, 53 wäre die Vorschrift eigentlich das passende Einfallstor für die Berücksichtigung internationaler Vertragsstandards. Diese Möglichkeit hat die Rechtsprechung jedoch bisher nicht genutzt. Beispielhaft sei auf die Baubranche verwiesen. Dort war es bis 2002 üblich, dass Vertragserfüllungsansprüche durch Bürgschaften auf erstes Anfordern gesichert wurden. Dann war der BGH der Ansicht, dass durch eine formularmäßig vereinbarte nicht aber eine ausgehandelte Bürgschaft auf erstes Anfordern die Sicherungsrechte des Auftraggebers über sein anerkennenswertes Interesse hinaus unangemessen ausgedehnt würden. 54 Der BGH hält es lediglich für zulässig, den Auftragnehmer in allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Stellung einer selbstschuldnerischen Vertragserfüllungsbürgschaft (die in anderen Rechtsordnungen oft nicht existiert) zu verpflichten. 55 Das trägt nach Ansicht des BGH dem Interesse des Auftraggebers an einer Absicherung seiner Ansprüche bei unzureichender Vertragserfüllung des Auftragnehmers Rechnung. Über dieses Sicherungsinteresse geht die Bürgschaft auf erstes Anfordern nach Ansicht des BGH unangemessen weit hinaus. Die möglichen Liquiditätsprobleme des Auftraggebers rechtfertigen es aus Sicht des BGH nicht, das Liquiditätsrisiko durch Allgemeine Geschäftsbedingungen einseitig zu Lasten des Auftragnehmers zu regeln, denn dem Auftragnehmer werde durch die Inanspruchnahme der Bürgschaft im selben Umfang Liquidität entzogen. 56 Ihm werde darüber hinaus das Risiko der Insolvenz des Auftraggebers bei der nachfolgenden Durchsetzung seiner Rückforderungsansprüche aufgebürdet. Der BGH verkennt in seiner Entscheidung die Möglichkeit, dass der Auftragnehmer gegen die offensichtlich missbräuchliche Ziehung der Bürgschaft im einstweiligen Rechtschutz vorgehen kann. Überdies schafft die Rechtsprechung für den Bereich des internationalen Rechtsgeschäfts geradezu exemplarisch eine einseitige Risikoverteilung zulasten des deutschen Verwenders von AGB. So sehen die Standardverträge der FIDIC, der Fédération Internationale des Ingénieurs Conseils / International Federation of Consulting Engineers ganz selbstverständlich Bürgschaften auf erstes Anfordern vor. 57 Die Praxisrelevanz dieser Diskrepanz sei anhand des folgendem Beispiel aus der Praxis illustriert: 58 Ein großes Bauunternehmen aus der EU war mit der Errichtung eines Chemiewerkes in Deutschland beauftragt und hatte einen Subunternehmerauftrag in erheblichem Umfang ausgeschrieben. Mit einem deutschen Bieter, dem dann der Subunternehmerauftrag zugeteilt wurde, wurde u.a. die Stellung eines performance bond on demand (Bankgarantie auf erstes Anfordern) insoweit besprochen, als der deutsche Subunternehmer darum bat, statt einer Bankgarantie die 49 BGH, Urteil vom 5. Oktober 2005 VIII ZR 16/05, NJW 2006, 47 (49). 50 Vgl. Materialien aus der unternehmerischen Praxis zum Thema Rechtssicherheit bei der Verwendung von AGB sowie Standortnachteil deutsches Recht und Flucht ins ausländische Recht, dort S. 5, Beispiel 10, abrufbar unter 51 Beispiel nach Kollmann, NJOZ 2011, 625 (628). 52 BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 VII ZR 28/07 NJW-RR 2008, Dazu schon Rabe, NJW 1987, 1978 (1983). 54 BGH, Urteil vom 18. April 2002 VII ZR 192/01 NJW 2002, BGH, Urteil vom 20. April 2000 VII ZR 458/97 BauR 2000, 1498 = ZfBR 2000, BGH, Urteil vom 18. April 2002 VII ZR 192/01 NJW 2002, Annex C des FIDIC Mustervertrages. 58 Initiative zur Fortentwicklung des AGB-Rechts: Materialien aus der unternehmerischen Praxis zum Thema Rechtssicherheit bei der Verwendung von AGB sowie Standortnachteil deutsches Recht und Flucht ins ausländische Recht, abrufbar unter AGB_b2b_Fallbeispiele_aus_der_Praxis.pdf; dort S AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder

31 69. Deutscher Juristentag Garantie einer Versicherung stellen zu dürfen. Damit war das ausländische Unternehmen einverstanden. Die Garantie wurde entsprechend gestellt. Als es später zum Streit wegen mangelhafter und verspäteter Leistung des Subunternehmers kam, forderte dieser die Rückgabe der Garantie auf erstes Anfordern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei eine Garantie auf erstes Anfordern nur individualvertraglich, nicht aber in AGB zulässig zu vereinbaren. Die Bestimmung sei nicht ausgehandelt worden, da eine bloße Änderung der Modalität (Versicherungs- statt Bankgarantie) nach der Rechtsprechung des BGH kein Aushandeln darstelle. Das ausländische Unternehmen, das sich selbst in einem (womöglich ausgehandelten) Vertrag zur Stellung einer Garantie auf erstes Anfordern gegenüber dem Bauherrn verpflichtet hatte, ist entsetzt. Es könne ihm doch nicht verwehrt werden, die selbst gegenüber dem Bauherrn eingegangenen Verpflichtungen und Bedingungen im Rahmen der Vergabe des Subunternehmerauftrages entsprechend deckungsgleich weiterzugeben. VII. Reform tut not Aus vereinzelt geäußertem Unmut ist in den vergangenen Monaten ein unüberhörbarer Ruf nach Reform geworden. Die immer enger werdenden Fesseln, die die Rechtsprechung Unternehmen anlegt und diese damit in ihrer Vertragsfreiheit beschränkt, müssen gesprengt, wenigstens gelockert werden. Es ist bekannt, dass Unternehmen wie z. B. Siemens seit langem die Flucht aus dem deutschen Recht angetreten haben und wo immer möglich ausländisches, oft Schweizer Recht, vereinbaren. Sie wollen, ja müssen eine am Ziel des Verbraucherschutzes geregelten Beschränkung der Vertragsfreiheit entgehen, die für Unternehmen, welche eines solchen Schutzes gar nicht bedürfen, zu einer unerträglichen oft widersinnigen Bevormundung geworden ist. Niemand bezweifelt, dass Verbraucher vor unangemessenen, unvorhergesehenen, kurz unfairen allgemeinen Geschäftsbedingungen, eben dem sogenannten Kleingedruckten geschützt werden müssen. Aber für den unternehmerischen Geschäftsverkehr gilt das gerade nicht. Schon die weltweit einzigartige, extrem weitgehende, Definition von allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sich vor allem im unternehmerischen Geschäftsverkehr negativ niederschlägt, bedarf der Korrektur. Die verschärfte Inhaltskontrolle sämtlicher Vertragsklauseln, die mehr als ein- oder zweimal verwendet wurden oder auch nur verwendet werden sollen, stellt für jedes rational und rationell arbeitende Unternehmen, das auf standardisierte Produktions-, Verwaltungsund eben auch Vertragsabläufe angewiesen ist, den blanken Horror da. Die standardisierten Vertragsbedingungen dienen ja nicht dazu, den Vertragspartner zu übertölpeln, sondern um eine zügige und effiziente Vertragsverhandlung und -durchführung zu ermöglichen. Es ist deshalb gänzlich absurd, dass gerade die besonders bewährten und deshalb immer wieder verwendeten Vertragspassagen unter den Generalverdacht einer Unzulässigkeit geraten, wenn sie mit dem Gesetzesrecht nicht gänzlich übereinstimmen. Obwohl an den vertraglichen Regelungen nichts auszusetzen ist, wenn sie individuell ausgehandelt wurden, sollen sie für beide Parteien oft überraschend unwirksam sein, wenn die von der einen Partei vorgeschlagenen und von der anderen Partei klaglos akzeptierten Klauseln nicht im Einzelnen besprochen und ausdrücklich zur Disposition gestellt worden sind. Unternehmer werden wie unmündige Kinder behandelt. Das einzelne, kleinere Unternehmen sich ganz gerne patronalistisch bevormunden lassen, weil sie einerseits im Markt um jeden Preis Aufträge einholen, dann aber den vereinbarten Preis letztlich nicht bezahlen wollen, qualifiziert diese Unternehmer als unredlich und gerade nicht als schutzwürdig. Wer sich ausgenommen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen nicht in der Lage sieht, Vertragstexte zu prüfen oder prüfen zu lassen und gegebenenfalls von wirtschaftlich insgesamt nicht tragbaren Vertragsschlüssen Abstand zu nehmen, der hat im Markt nichts verloren. Da zunehmend wegen der unglücklichen und oft unvorhersehbaren Rechtsprechung die Durchsetzung getroffener vertraglicher Vereinbarungen unsicher erscheint, hat eine spürbare Abwanderung in ausländisches Recht, vor allem zu Schiedsgerichten stattgefunden, die es nunmehr den staatlichen Gerichten erschwert, wenn nicht unmöglich macht, die erforderliche Begradigung durchzuführen. Dies muss an zwei Stellen geschehen: Zum einen indem auf das in der geschäftlichen Praxis kaum erfüllbare Erfordernis eines individuellen Aushandelns zwischen Unternehmen verzichtet wird, zum anderen indem bei der Inhaltskontrolle von unternehmerischen Verträgen, wenn diese in freier Selbstbestimmung geschlossen wurden also nicht etwa durch ein Monopolunternehmen, z. B. Wasserversorger, oktroyiert sind deren Inhalt unabhängig von seiner Standardisierung grundsätzlich akzeptiert wird und nicht bereits deshalb als unzulässig indiziert gilt, weil eine solche Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Verbrauchern nicht angemessen erscheinen. Prof.Dr.Hanns-ChristianSalger,LL.M.,Frank- furt am Main Der Autor ist Rechtsanwalt und Attorney at Law (New York). Sie erreichen den Autor unter der -Adresse Dr. Sönke Schröder, Frankfurt am Main Der Autor ist Rechtsanwalt. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Schwäche oder Stärke des deutschen Rechts?, Salger/Schröder AnwBl /

32 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung Wie die Praxis mit einem AGB-Recht umgeht, das sich von den Zielen entfernt hat * Rechtsanwalt Manuel Schauer, Saarbrücken Wo steht die unternehmerische Praxis nach 35 Jahren AGB- Kontrolle? Der Autor Syndikusanwalt eines großen Unternehmens geht zurück an die Quellen: Die Ausdehnung des AGB-Rechts auf Kaufleute sollte nicht weite Teile des Handelsrecht dem AGB-Recht unterwerfen. Anhand eines Fallbeispiels aus seiner Praxis zeigt er, wie Unternehmen ihre Abläufe heute an das AGB-Recht anpassen müss(t)en. Im Ergebnis fordert er den Gesetzgeber auf, den Anwendungsbereich des AGB-Rechts zu beschränken und den Maßstab für die Inhaltskontrolle zu ändern. Über eine Reform des AGB- Rechts wird der 69. Deutsche Juristentag in der zivilrechtlichen Abteilung am 19. und 20. September 2012 diskutieren. 35 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz), zehn Jahre nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ist im Rahmen eines vom Deutschen Anwaltverein und vom Deutschen Juristentag gemeinsam veranstalteten Symposiums ein Rückblick erlaubt; dieser Rückblick umfasst nicht nur die Geschichte der Gesetzgebung des für den unternehmerischen Geschäftsverkehr maßgebenden 24 AGB- Gesetz bzw. des 310 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern auch die Diskussionen auf dem Fünfzigsten Deutschen Juristentag in Hamburg 1974 und auf dem 44. Deutschen Anwaltstag in Hamburg Im Anschluss wird über ein Beispiel aus der Praxis des unternehmerischen Geschäftsverkehrs berichtet, nämlich den Streit über die wirksame Vereinbarung einer Vertragsstrafe für Verzug in einem Vertrag über die schlüsselfertige Planung und Errichtung eines Kraftwerks. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für eine Gesetzesänderung. A. Rückblick I. 50. Deutscher Juristentag in Hamburg 1974 Vor 850 Teilnehmern der Abteilung Zivilrecht des 50. Deutschen Juristentages in Hamburg referierte Ulmer im September 1974 zum Thema Welche gesetzgeberischen Maßnahmen empfehlen sich zum Schutze des Endverbrauchers gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularverträgen (dargestellt an Beispielen aus dem Kauf- und Werkvertrags- sowie dem Maklerrecht)?. Anders als der Gutachter Kötz, der die Beschränkung des Themas auf den Endverbraucher und nur den Endverbraucher betonte 1, erweiterte Ulmer die Fragestellung, indem er auf die Schutzbedürftigkeit auch vieler Kaufleute einging. Mit seiner zwölften These plädierte er gegen eine Beschränkung der richterlichen Inhaltskontrolle auf Bedingungen, die gegenüber Endverbrauchern verwendet werden. Zur Begründung führte er an, dass eine Beschränkung auf Endverbraucher die Interessen der ebenfalls schutzbedürftigen kaufmännischen Wirtschaftskreise vernachlässige. 2 Tragender Gesichtspunkt der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei der Missbrauch der Vertragsgestaltungsmacht durch ihren Verwender: Der Missbrauch bestehe darin, dass die vom Vertragspartner im Rationalisierungsinteresse akzeptierte Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu einer davon nicht gedeckten Risikoverlagerung ausgenutzt werde; nicht in der Unterlegenheit des Kunden, sondern in der Besonderheit vorformulierter Verträge liege der Grund für die Einbeziehung auch von Kaufleuten in den Anwendungsbereich eines zu erlassenden AGB-Gesetzes. 3 In der sich dem Referat anschließenden Diskussion warb Schmidt-Salzer, Verfasser mehrere Schriften zum AGB- Recht 4, für eine Einbeziehung sowohl der privaten Endverbraucher als auch der kaufmännischen Abnehmer in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes: Es ist schlichtweg die Gedankenwelt der Jahrhundertwende, zu sagen, vollkaufmännische Parteien bedürften keines Schutzes vor wirtschaftlicher und/oder intellektueller Übervorteilung. (...) Bestenfalls ein Großunternehmen mit einer sehr guten Rechtsabteilung kann vielleicht noch gegnerische Allgemeine Rechtsbedingungen überprüfen. Eine Kodifikation der nicht zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten differenzierenden Rechtsprechung müsse zwar Schwächen in Kauf nehmen; es sei jedoch besser, dass ein vollkaufmännisches Großunternehmen mit einer brillanten Rechtsabteilung sich gegebenenfalls gegenüber den gegnerischen Einkaufsbedingungen auf die Inhaltskontrolle berufen kann, als dass hunderte oder tausende von mittelständischen Unternehmen, die praktisch überhaupt keine Abwehrmöglichkeiten haben, hoffnungslos den gegnerischen Geschäftsbedingungen ausgesetzt sind. 5 Brandner, der schon zuvor in einem Aufsatz Position zugunsten der Einbeziehung aller Kunden, das heißt ohne Differenzierung nach Endverbrauchern, Vollkaufleuten und Minderkaufleuten bezogen hatte 6, betonte in der Diskussion, dass es um die Ausschaltung einseitig gesetzter Unbilligkeiten und nicht um ein Machtproblem gehe. Deshalb warnte er vor einer Herausnahme des allgemeinen kaufmännischen Verkehrs aus dem Regelungsbereich des AGB-Gesetzes. 7 * Der Beitrag beruht auf einem Vortrag auf dem gemeinsamen Symposium des Deutschen Anwaltvereins und Deutscher Juristentag AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Stärke oder Schwäche des deutschen Rechts? am 19. Januar 2012 in Berlin. Die Vortragsform ist beibehalten worden, der Beitrag um Fußnoten ergänzt worden. 1 Kötz, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. I, 1974, A 1 (A 9). 2 Ulmer, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H 8 (41). 3 Ulmer, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H 8 (H 22 f.). 4 Schmidt-Salzer, Zur dogmatischen Präzisierung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Diss. Berlin, 1965, ders., Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1967, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 1971, ders., NJW 1971, 1010, ders., Allgemeine Geschäftsbedingungen Bilanz und rechtspolitische Forderungen, Schmidt-Salzer, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H 72 (74 f.). 6 Brandner, JZ 1973, 613 (616). 7 Brandner, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H 82 (84). 690 AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer

33 69. Deutscher Juristentag Andere Teilnehmer der Diskussion lehnten die Einbeziehung der Kaufleute in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes ab und plädierten für dessen Ausgestaltung als Verbraucherschutzgesetz. Reich führte anknüpfend an seine Ausführungen in einem Aufsatz 8 aus, dass ein spezifisches rechtspolitisches Bedürfnis für Verbraucherschutz gegenüber AGB und nicht für ein allgemeines AGB-Gesetz bestehe: Die Rolle eines Verbrauchers sei reaktiv, die eines Unternehmens aktiv; der Organisationsgrad des Verbrauchers sei ein anderer als der des Unternehmens; es gehe dem Verbraucher um Selbstverwirklichung durch Konsum, während es dem Unternehmen um Profitmaximierung gehe. 9 In seiner Replik widersprach Ulmer der Auffassung, dass unbillige Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein vorrangiges Verbraucherproblem seien und erinnerte an den Ansatzpunkt richterlicher Inhaltskontrolle: Der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nehme die Vertragsfreiheit für sich allein in Anspruch, sein Vertragspartner ob Verbraucher oder Kaufmann sei auf die Abschlussfreiheit beschränkt. 10 Der vom Deutschen Juristentag schließlich mit 211 zu 156 Stimmen bei 15 Enthaltungen getroffene Beschluss lautete: Die Regelung sollte in ihrem persönlichen Anwendungsbereich grundsätzlich unbeschränkt sein, vorbehaltlich sachlich gebotener Zusatzregelungen zum Schutze der Endverbraucher. 11 II. AGB-Gesetz 1976 Das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9. Dezember , das am 1. April 1977 in Kraft getreten ist, regelt in seinem 24 den persönlichen Anwendungsbereich Satz 1 AGB-Gesetz Ausweislich 24 Satz 1 AGB-Gesetz finden die dort im Einzelnen genannten Vorschriften keine Anwendung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem Kaufmann, wenn der Vertrag zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehört (Nr. 1), oder wenn sie gegenüber einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder wenn sie einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden (Nr. 2). Bei den nicht anwendbaren Vorschriften handelt es sich um die 2, 10, 11 und 12 AGB-Gesetz; 2 AGB-Gesetz regelt die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in einen Vertrag, 10 AGB-Gesetz Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit, 11 AGB-Gesetz Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit und 12 AGB-Gesetz den zwischenstaatlichen Geltungsbereich. Die Vorschrift des 24 Satz 1 AGB-Gesetz beruht auf dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird ausgeführt, dass im Handelsverkehr das Schutzbedürfnis des AGB-unterworfenen Vertragsteils regelmäßig nicht so ausgeprägt sei wie in den Rechtsbeziehungen zu den Verbrauchern. Da die Vorschriften jedoch Ausprägung des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben seien, könnten Handelsgeschäfte vom Anwendungsbereich des Gesetzes nicht schlechthin ausgenommen werden; das Gesetz finde deshalb ohne Rücksicht auf den personalen Status des AGB-unterworfenen Vertragsteils Anwendung. 13 Durch die Einbeziehung des kaufmännischen Geschäftsverkehrs unterscheidet sich der Gesetzesentwurf der Bundesregierung von dem 1974 vorgelegten Referentenentwurf, der insoweit den (redaktionell überarbeiteten) Vorschlag einer beim Bundesjustizminister tätigen Arbeitsgruppe 14 übernommen hat; der Referentenentwurf hat vorgesehen, dass das Gesetz keine Anwendung findet, wenn der Kunde ein in das Handelsregister eingetragener Kaufmann ist, sofern der Vertrag zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehört. 15 Zehn Jahre nach Inkrafttreten des AGB-Gesetzes wird Rabe auf dem 44. Deutschen Anwaltstag in Hamburg 1987 davon sprechen, dass auf dem Juristentag 1974 der Zeugungsakt dafür stattfand, dass drei Jahre später (...) auch die Kaufleute als Schutzbefohlene des AGB-Gesetzes das Licht der Welt erblickten Satz 2 AGB-Gesetz Ausweislich 24 Satz 2 AGB-Gesetz gelten im kaufmännischen Geschäftsverkehr Besonderheiten bei der Inhaltskontrolle: 9 ist in den Fällen des Satzes 1 auch insoweit anzuwenden, als dies zur Unwirksamkeit von in den 10 und 11 genannten Vertragsbestimmungen führt; auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche ist angemessenen Rücksicht zu nehmen. Der erste Halbsatz dieses Satzes wird im Gesetzesentwurf der Bundesregierung wie folgt begründet: Es müsse beachtet werden, dass der kaufmännische Rechtsverkehr wegen der dort herrschenden Handelsbräuche, Usancen, Verkehrssitten und wegen der zumeist größeren geschäftlichen Erfahrung der Beteiligten auf eine stärkere Elastizität der für ihn maßgeblichen vertragsrechtlichen Normen angewiesen ist als der Rechtsverkehr mit dem Letztverbraucher. 17 Die Anwendbarkeit der Generalklausel im kaufmännischen Geschäftsverkehr könne im Einzelfall zur Unwirksamkeit auch solcher AGB-Bestimmungen führen, die das Gesetz generell nur im Zusammenhang mit Verbrauchergeschäften verbieten will. 18 Gleichermaßen wird im Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags betont, dass die Generalklausel es im Einzelfall ermögliche, eine vorformulierte Bestimmung des in den 10 und 11 bezeichneten Inhalts für unwirksam zu erklären. 19 Der Rechtsausschuss hat eine Ergänzung des 24 Satz 2 AGB-Gesetz um einen Halbsatz mit folgender Begründung vorgeschlagen: Die vom Ausschuss einmütig vorgeschlagene Ergänzung des Satzes 2, wonach bei Anwendung der 8 Reich, ZRP 1974, Reich, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H 86 (87 f.). Außer Reich plädierten in den Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Junge (H 80 ff.), Schwappach (H 84 ff.), Böttcher (H 89), Zimmermann (H 89 f.) und Stern (H 90 ff.) für einen auf Verbraucher beschränkten Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes. 10 Ulmer, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H 93 (95 ff.). 11 Beschluss Nr. 4, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Fünfzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1974, Bd. II, 1974, H Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB- Gesetz) vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I 3317). 13 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 7/3919, S. 43; siehe auch S Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Erster Teilbericht der Arbeitsgruppe beim Bundesminister der Justiz, März Referentenentwurf eines Gesetzes über Allgemeine Geschäftsbedingungen, BB 1974, Beilage Nr Rabe, NJW 1987, 1978 (1981); vgl. auch Schlechtriem, in: FS für Konrad Duden, 1977, S. 571 (572 f.), Ulmer, in:heinrichs/löwe/ulmer (Hrsg.), Zehn Jahre AGB-Gesetz,1987,1(11f.). 17 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 7/3919, S Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 7/3919, S Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 7/5422, S. 14. AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer AnwBl /

34 69. Deutscher Juristentag Generalklausel ( 9) auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche angemessen Rücksicht zu nehmen ist, stellt klar, dass eine vom Verbrauchergeschäft differenzierte Anwendung der Generalklausel auf Geschäfte zwischen Kaufleuten namentlich dann geboten ist, wenn es um die Beurteilung von Vertragsbestimmungen geht, die bei Verwendung gegenüber Nichtkaufleuten ohne weiteres nach 11 unwirksam wären. 20 Der vom Rechtsausschuss eingebrachte Vorschlag ist als 24 Satz 2 Halbsatz 2 AGB-Gesetz Gesetz geworden. III. 44. Deutscher Anwaltstag in Hamburg 1987 In seinem Referat zum Thema Die Auswirkungen des AGB- Gesetzes auf den kaufmännischen Verkehr auf dem 44. Deutschen Anwaltstag in Hamburg 1987 sprach Rabe vom Moloch AGB-Gesetz, der sich durch das Klauselwerk im kaufmännischen Verkehr hindurchgefressen habe. 21 Er kritisierte vor allem die Rechtsprechung, weil sie die Besonderheiten des kaufmännischen Geschäftsverkehrs trotz der gesetzgeberischen Intention, der Klauselgestaltung im kaufmännischen Geschäftsverkehr Elastizität oder Flexibilität zu verschaffen nicht hinreichend berücksichtige: Seine Kritik entzündete sich an der Rechtsprechung zum Aushandeln im kaufmännischen Verkehr, das formelhaft verneint werde, wenn die betreffende Klausel nicht zur Disposition gestellt werde. 22 Die Kritik umfasste ferner die von der Rechtsprechung angenommene Indizwirkung der Klauselverbote für die Inhaltskontrolle anhand der Generalklausel. 23 Seine Kritik gipfelte in der Empfehlung, vom Vertragspartner übersandte Einkaufsbedingungen ungelesen abzuheften, weil missliebige Klauseln unter Berufung auf das AGB-Gesetz in einem späteren Streitfall beseitigt würden. 24 Hensen stimmte in seinem Co-Referat wohlwollendere Töne an: Die Einbeziehung des kaufmännischen Geschäftsverkehrs in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes habe sich als richtig erwiesen. Um die Annahme des AGB-Charakters einer Bedingung zu vermeiden, empfahl er, sich nach Abschluss der Verhandlungen schriftlich bestätigen zu lassen, dass man sich insbesondere über diese und jene Klausel verständigt habe. 25 Im Hinblick auf die vom Bundesgerichtshof angenommene Indizwirkung der Klauselverbote gab er zu bedenken, dass man Worte des BGH nicht stets auf die Goldwaage legen und diese beiden Entscheidungen nicht überbewerten dürfe. 26 IV. Änderungen des AGB-Gesetzes in den Jahren 1996 bis 2000 Das Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung vom 19. Juni dient der Umsetzung der Klauselrichtlinie 93/13/EWG 28. Durch dieses Änderungsgesetz ist die Vorschrift des 24 a AGB-Gesetzes (heute: 310 Abs. 3 BGB) eingefügt worden, die eine (Legal-)Definition des Unternehmers und des Verbrauchers enthielt: Verbraucher ist eine natürliche Person, die den Vertrag zu einem Zweck abschließt, der weder einer gewerblichen noch einer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann; Unternehmer ist eine Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt. Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher sind im Einzelnen benannte Vorschriften des AGB-Gesetzes mit bestimmten Maßgaben anzuwenden, die den AGB-Charakter von Vertragsbedingungen (Nr. 1 und 2) und die Inhaltskontrolle (Nr. 3) betreffen. Das Handelsrechtsreformgesetz vom 22. Juni hat die 1996 in 24 a AGB-Gesetz eingefügte (Legal-)Definition des Unternehmers in 24 Satz 1 Nr. 1 AGB-Gesetz überführt. Die zuvor bestehende Diskrepanz zwischen der Erwähnung des Kaufmanns in 24 Satz 1 Nr. 1 AGB-Gesetz und der Erwähnung des Unternehmers in 24 a AGB-Gesetz ist damit aufgelöst worden. Durch das Abstellen auf den Unternehmer anstelle des Kaufmanns in 24 Satz 1 Nr. 1 AGB-Gesetz ist eine Änderung des persönlichen Anwendungsbereichs erfolgt, indem 24 AGB-Gesetz nicht mehr nur die gewerbliche, sondern auch die selbständige berufliche Tätigkeit umfasst. 30 Durch das Gesetz über Fernsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27. Juni ist die Vorschrift des 12 AGB-Gesetz über den zwischenstaatlichen Geltungsbereich des AGB- Gesetzes durch Art. 29 a Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) ersetzt worden. 24 Satz 1 AGB-Gesetz ist an diese Änderung redaktionell angepasst worden. V. Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2001 Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November , das in seinem wesentlichen Teil am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, ist das AGB-Gesetz aufgehoben worden; die materiell-rechtlichen Vorschriften des AGB-Gesetzes sind in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) integriert worden, die verfahrensrechtlichen Vorschriften sind in das Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz UKlaG) 33 überführt worden. 34 Ohne inhaltliche Änderung ist 24 AGB-Gesetz als 310 Abs. 1 BGB übernommen worden. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte lediglich eine Anpassung der Verweisungen auf die nunmehr in das BGB integrierten Vorschriften zur 20 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 7/5422, S Rabe, NJW 1987, 1978 (1979). 22 Rabe, NJW 1987, 1978 (1980) unter Verweis insbesondere auf BGH, Urteil vom IVa ZR 246/83, NJW-RR 1986, 54 = ZIP 1985, 1272, und Urteil vom VII ZR 245/85, NJW-RR 1987, 144 = ZIP 1986, Rabe, NJW 1987, 1978 (1980 ff.) unter Verweis insbesondere auf BGH, Urteil vom VII ZR 349/82, BGHZ 90, 273 = NJW 1984, 1750 = ZIP 1984, 968, und Urteil vom X ZR 54/84, ZIP 1986, 653 = DB 1986, Rabe, NJW 1987, 1978 (1979). 25 Hensen, NJW 1987, 1986 (1987). 26 Hensen, NJW 1987, 1986 (1987) unter Verweis auf BGH, Urteil vom VII ZR 349/82, BGHZ 90, 273 = NJW 1984, 1750 = ZIP 1984, 968, und Urteil vom X ZR 54/84, ZIP 1986, 653 = DB 1986, In einem 1996 erschienenen Beitrag weist Hensen drauf hin, dass das Urteil des BGH vom X ZR 67/92, BGHZ 122, 241 = NJW 1993, 2054 = ZIP 1993, 1091, alle Zweifel ausräume, ob der Bundesgerichtshof wie 1987 vielfach erhofft von seiner Indiz- Rechtsprechung abrücken werde (FS Erich Brandner, 1996, S. 231 [S. 244]). 27 Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Insolvenzordnung vom 19. Juli 1996 (BGBl. I 1013). 28 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95 vom , S. 29 ff.), geändert durch Art. 32 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 304 vom , S. 64 ff.). 29 Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz HRefG) vom 22. Juni 1998 (BGBl. I 1474). 30 Vgl. Pfeiffer, NJW1999, Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27. Juni 2000 (BGBl. I 897). Am 29. Juni 2000 ist eine Bekanntmachung der Neufassung des AGB-Gesetzes erfolgt (BGBl. I 946). 32 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I 3138). 33 Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz UKlaG) vom 26. November 2011 (BGBl. I 3138, 3173). Am 27. August 2002 ist eine Bekanntmachung der Neufassung des Unterlassungsklagengesetzes erfolgt (BGBl. I 3422, ber. 4346). 34 Vgl. die Kritik von Ulmer, JZ 2001, 491, Wolf/Pfeiffer, ZRP 2001, AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer

35 69. Deutscher Juristentag Einbeziehung in den Vertrag ( 2 AGB-Gesetz, jetzt 305 Abs. 2 und 3 BGB), zu den Klauselverboten mit Wertungsmöglichkeit ( 10 AGB-Gesetz, jetzt 308 BGB) und denen ohne Wertungsmöglichkeit ( 11 AGB-Gesetz, jetzt 309 BGB) erfolgen; ferner sollte auf die nunmehr als überflüssig angesehene Verweisung auf 29 a EGBGB a. F. verzichtet werden. 35 Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erteilte der Bundesrat der Bundesregierung einen Prüfauftrag: Die Entwicklung der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen bereite der deutschen Wirtschaft größte Sorge, ein Druck zum Ausweichen auf ausländisches Recht werde befürchtet. In der Vorschrift sollte deshalb das deutlich geringere Schutzbedürfnis bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber Unternehmen herausgestellt werden, indem in 310 Abs. 1 Satz 2 hinter Gebräuche die Worte sowie die geringere Schutzbedürftigkeit eingefügt werden. 36 In ihrer Gegenäußerung führte die Bundesregierung aus, dass sich bereits aus dem Gesetzesvorschlag ergebe, dass beiderseitige Handelsgeschäfte flexibleren Prüfungskriterien unterliegen als Verbrauchergeschäfte. (...) Im Übrigen würde ein Hinweis auf die Schutzbedürftigkeit von Unternehmen nur zusätzliche Rechtsunsicherheit hervorrufen. 37 VI. Forderungssicherungsgesetz 2008 Durch das Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz FoSiG) vom 23. Oktober ist dem 310 Abs. 1 BGB ein dritter Satz angefügt worden: Ausweislich des 310 Abs. 1 Satz 3 BGB findet im unternehmerischen Geschäftsverkehr 307 Abs. 1 und 2 BGB auf Verträge, in die die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistung Teil B (VOB/B) ohne inhaltliche Abweichungen insgesamt einbezogen ist, in Bezug auf eine Inhaltskontrolle einzelner Bestimmungen keine Anwendung. Während der ursprüngliche Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 21. Dezember diese Regelung noch nicht enthielt, wurde sie später durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Privilegierung der VOB/B für den Bereich der Verbraucherverträge zunehmend problematisiert und ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Klauselrichtlinie bezweifelt werde. Ihre Privilegierung für den Geschäftsverkehr sollte festgeschrieben werden, um Unternehmern Planungssicherheit zu geben; wenn Unternehmen die VOB/B insgesamt vereinbart haben, sollte keine individuelle Klauselkontrolle, sondern lediglich eine Kontrolle der VOB/B als Ganzes möglich bleiben. 40 Der Gesetzgeber reagierte mit dieser Gesetzesänderung nicht nur auf Stimmen in der Literatur, sondern auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. 41 B. Beispiel aus der Praxis des unternehmerischen Geschäftsverkehrs: Vereinbarung einer Vertragsstrafe für Verzug in einem Vertrag über die schlüsselfertige Planung und Errichtung eines Kraftwerks I. Sachverhalt Ein Industrieunternehmen möchte an seinem Standort ein Kraftwerk errichten, das überwiegend zum eigenen Bedarf aus Gas Strom und Wärme erzeugen soll. Im Rahmen einer Ausschreibung, zu deren Vorbereitung und Durchführung sich das Unternehmen eines spezialisierten Ingenieurbüros bedient, werden verschiedene potenzielle Anbieter angefragt. Mit drei Anbietern werden Vertragsverhandlungen geführt. Schließlich wird mit einem Anbieter ein Vertrag über die schlüsselfertige Planung und Errichtung des Gaskraftwerks zu einem Preis von annähernd Euro geschlossen. Der Vertrag enthält detaillierte Regelungen über Termine und Fristen, wobei vier Termine und Fristen Vorlage Lastangabe für Hauptgebäude, Beginn Stahlbaumontage Kessel, erstes Anstoßen der Dampfturbine, erfolgreicher Abschluss des Probebetriebs pönalisiert sind. Die Regelung über Vertragsstrafen für Verzug lautet auszugsweise wie folgt: Überschreitet der Auftragnehmer schuldhaft eine/einen der nachfolgend genannten Fristen/Termine und gerät damit in Verzug, ermäßigt sich der Gesamtabschlusspreis in Prozent pro wie unten angegeben angefangener/vollendeter Woche (7-Tage-Zeitraum) der jeweiligen Verzögerung, maximal insgesamt jedoch nur um 5 Prozent des Nettopauschalfestpreises. a) Je 0,1 Prozent pro vollendeter Woche bei Überschreitung folgender Termine/Fristen: Vorlage Lastangabe für Hauptgebäude, Beginn Stahlbaumontage Kessel b) je 0,2 Prozent pro vollendeter Woche bei Überschreitung folgender Termine/Fristen: Erstes Anstoßen der Dampfturbine c) je 0,5 Prozent pro angefangener Woche bei Überschreitung folgender Termine/Fristen: Erfolgreicher Abschluss des Probebetriebs. Die Strafe wird fällig, wenn der Auftragnehmer in Verzug gerät. Gerät der Auftragnehmer in Verzug, so wird die Vertragsstrafe aus der Überschreitung eines/einer Termins/Frist gemäß lit. a) c) auf etwaige Vertragsstrafen bei Überschreiten eines Folgetermins angerechnet; es gilt der höhere Betrag. Hinsichtlich der Verzugsvoraussetzungen gelten die gesetzlichen Regelungen. Wird der unter c) vertraglich vereinbarte Termin vom Auftragnehmer eingehalten, entfallen alle Vertragsstrafen wegen Verzug. Bereits erhaltene/einbehaltene Vertragsstrafenzahlungen erstattet der Auftraggeber. Der Auftraggeber ist berechtigt, etwaige Vertragsstrafenzahlungen für Verzug bei der nächsten Zahlungsrate in Abzug zu bringen. Im Vertrag ist ferner geregelt, dass eine darüber hinausgehende Haftung für Verzugsschäden beim Auftraggeber auf maximal 5 Prozent des Auftragswertes begrenzt ist. Während die Vorlage der Lastangaben für das Hauptgebäude und der Beginn der Stahlbaumontage des Kessel durch den Auftragnehmer fristgerecht erfolgt, erfolgt das erste Anstoßen des Dampfkessels 46 Wochen später als vereinbart; der erfolgreiche Abschluss des Probebetriebs erfolgt 68 Wochen später als vereinbart. Nach Vorankündigung bringt der Auftraggeber einen Betrag in Höhe von Euro entsprechend 5 Prozent des Auftragswerts von der nächsten Zahlungsrate in Abzug. 35 Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, DT- Drucksache 14/6040, S Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT- Drucksache 14/6857, S. 17 (Nr. 51). 37 Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 14/6857, S. 54 (zu Nr. 51). 38 Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz FoSiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I 2022). 39 Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drucksache 16/ Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucksache 16/9787, S. 17 f. 41 Fast zeitgleich mit der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom VII ZR 55/07, BGHZ 178, 1 = ZIP 2008, 1729 = NZBau 2008, 640, Folgendes entschieden: Wird die VOB/B gegenüber Verbrauchern verwendet, unterliegen ihre einzelnen Klauseln auch dann einer Inhaltskontrolle, wenn sie als Ganzes vereinbart ist (Leitsatz 2a). Kuffer, der als Richter an diesem Urteil mitgewirkt hat, führt in einer Urteilsbesprechung aus, dass die Frage, ob die Privilegierung auch gegenüber Unternehmern gelte, im Urteil nicht entscheiden worden sei, sich aber aus der Art der Begründung ergebe, dass derzeit noch keine Bedenken gegen die Privilegierung bestünden (NZBau 2009, 73 [78]). Vgl. auch Lembcke, ZGS 2009, 308, Popescu, JR 2009, 234, 235 f., Quack, ZfBR 2009, 211. AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer AnwBl /

36 69. Deutscher Juristentag II. Rechtliche Auseinandersetzung Die Rechtsabteilung des Auftragnehmers widerspricht in einem Schreiben dem Abzug mit folgender Begründung: Bei der Vertragsstrafenregelung von 0,5 Prozent je angefangener Kalenderwoche handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, da der Auftraggeber nicht bereit gewesen sei, den Kerngehalt dieser Regelung inhaltlich zur Disposition zu stellen. Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung sei die Vertragsstrafe für die Überschreitung des Termins für den erfolgreichen Abschluss des Probebetriebs in Höhe von 0,5 Prozent pro angefangene Woche zu hoch und daher unwirksam. Auf eine ausführliche Replik des Auftraggebers antwortet die Rechtsabteilung des Auftragnehmers in einem weiteren Schreiben: In einem eigenen Angebot habe man 0,5 Prozent pro vollendeter Woche der Verspätung bis zur Höhe von 5 Prozent des Auftragswertes insgesamt angeboten; demgegenüber habe der Auftraggeber bzw. der für ihn handelnde Ingenieur auf einer Regelung von 0,5 Prozent pro angefangener Woche bestanden, weil das Muster, das schon häufiger verwendet worden sei, dies so vorgebe. Deshalb sei vom AGB-Charakter der Regelung über die Vertragsstrafe von 0,5 Prozent pro angefangener Woche auszugehen. Unter Hinweis auf eine Kommentierung zu 11 VOB/B wird ausgeführt, dass diese Regelung unwirksam sei: Da die Klausel auf die angefangene Woche abstelle, könne die Strafe schon am ersten Werktag einer Woche verwirkt sein; eine Vertragsstrafe in Höhe von 0,5 Prozent des Auftragswerts pro Werktag benachteilige den Auftragnehmer unangemessen und sei deshalb unwirksam, was demgemäß auch für eine Klausel gelte, die auf die angefangene Woche abstelle. Eine Geltendmachung des Verzugsschadens bis zur Höhe von 5 Prozent des Auftragswerts unter Außerachtlassung der Vertragsstrafe sei dem Auftraggeber verwehrt, weil er sich nicht auf die Unwirksamkeit der von ihm gestellten Vertragsstrafen-Klausel berufen dürfe; der Weg zum Schadensersatz aufgrund Verzugs sei versperrt. Eine Einigung zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer, der nach Insolvenzeröffnung durch einen Insolvenzverwalter vertreten wird, ist bislang nicht erfolgt. Sie wird durch den Streit über Baumängel und die zu deren Beseitigung im Wege der Ersatzvornahme notwendigen Maßnahmen erschwert. Der Auftraggeber, der für die fortdauernde Bereitstellung der in Streit stehenden Summe bei der das Projekt finanzierenden Bank eine Gebühr bezahlen muss, erwägt die Erhebung einer Feststellungsklage. 42 C. Plädoyer für eine Gesetzesänderung I. Vielzahl von Stimmen Die Stimmen, die für eine Gesetzesänderung des AGB- Rechts im unternehmerischen Geschäftsverkehr freilich in unterschiedlichem Ausmaß plädieren, werden immer zahlreicher. Obgleich einige Stimmen schrill sind, ist es nicht angebracht, von einer Provokation des Gesetzgebers 43 zu sprechen. Beispielhaft sind zu nennen: Pfeiffer schlägt vor, beim Abschluss von Verträgen mit einem bestimmten Gegenstandswert ein Verhandeln anstelle eines Aushandelns ausreichen zu lassen, um den AGB-Charakter von Vertragsbedingungen zu verneinen. 44 Berger, der den Abschied von der Privatautonomie im unternehmerischen Geschäftsverkehr beklagt 45, schlägt eine Gesetzesänderung in folgendem Ausmaß vor: Im unternehmerischen Geschäftsverkehr soll das Verhandeln einer Klausel als Aushandeln gelten; bei der Inhaltskontrolle kann eine stärkere Differenzierung zwischen unternehmerischem Geschäftsverkehr und Verbraucherverkehr erreicht werden, indem auch auf Gegebenheiten unterhalb der normativen Schwelle der Handelsbräuche nicht nur Rücksicht genommen, sondern diese beachtet würden. 46 Dauner-Lieb und Axer resümieren: Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des AGBG und dem sich darin dokumentierenden Willen des Gesetzgebers, der im Rahmen der Schuldrechtsreform noch einmal bestätigt worden ist, erscheint es bereits de lege lata möglich und sinnvoll, das Differenzierungsgebot des 310 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB mit Leben zu füllen und bei der Abgrenzung von AGB zur Individualvereinbarung die Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs stärker zu berücksichtigen. Darüber hinaus wäre zur Stärkung der Gestaltungsfreiheit informierter und mündiger Bürger ein klares gesetzgeberisches Signal wünschenswert, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an ein,aushandeln. 47 Aufgrund des im deutschen Recht liegenden Risikos 48 empfehlen andere Stimmen die für Binnensachverhalte bei gleichzeitiger Vereinbarung eines Schiedsverfahrens für möglich gehaltene Flucht vor dem deutschen AGB-Recht, indem vertraglich eine andere Rechtsordnung, vorzugsweise die der Schweiz, gewählt werde. 49 Angesichts der Vielzahl dieser und weiterer Stimmen 50 hat die Justizministerkonferenz im Mai 2011 das Bundesjustizministerium durch Beschluss beauftragt, das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Verträge zwischen Unternehmen in geeigneter Weise zu überprüfen und gegebenenfalls erforderliche Änderungen vorzuschlagen, um es für die Unternehmen rechtssicherer zu regeln. 51 Vor allem v. Westphalen hält immer wieder dagegen: 30 Jahre AGB-Recht seien eine Erfolgsbilanz 52, das AGB-Recht sei nicht unattraktiv 53, Reformbedarf bestehe im unternehmerischen Geschäftsverkehr nicht Vgl. BGH, Urteil vom VII ZR 28/07, NJW-RR 2008, 615 = NZBau 2008, 376, und Urteil vom VII ZR 73/98, NJW 1999, 1108, jeweils zur Zulässigkeit einer Vertragsstrafe von 0,3 % der Auftragssumme für jeden Werktag; vgl. BGH, Urteil vom VII ZR 198/00, NJW-RR 2002, 806 = NZBau 2002, 385 und Urteil vom VII ZR 46/98, NJW 2000, 2106, jeweils zur Unzulässigkeit einer Vertragsstrafe von 0,5 % der Auftragssumme für jeden Werktag bzw. Arbeitstag; vgl. BGH, Urteil vom VII ZR 24/03, NJW-RR 2004, 1463 = NZBau 2004, 609 = ZIP 2004, 1855 und Urteil vom VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 = NJW 2003, 1805 = ZIP 2003, 908, jeweils zur Höchstgrenze einer Vertragsstrafe von 5 % der Auftragssumme; vgl. auch Derlin, MDR 2009, So aber v. Westphalen, ZIP2011, Pfeiffer, ZGS 2004, 401; vgl. auch Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771 (792 ff.); vgl. außerdem Leuschner, AcP 207 (2007), 491 (523 f.), dens., JZ 2010, 875 (883 f.). 45 Berger, ZIP 2006, Berger, NJW 2010, 465 (467 ff.); vgl. auch Berger, NJW 2001, 2152, Berger/Kleine, BB 2007, 2137, dies., NJW 2007, Dauner-Lieb/Axer, ZIP 2010, 309 (314). 48 Steinberger, BB 2009, Heft 35, Die Erste Seite. 49 Kondring, RIW 2010, 184; vgl. auch Acker/Bopp, BauR 2009, 1040, Hobeck, SchiedsVZ 2005, 112, Lischek/Mahnken, ZIP 2007, Vgl. Becker, JZ 2010, 1098, Kessel/Stomps, BB 2009, 2666, Lenkaitis/Löwisch, ZIP 2009, 441, Müller/Griebeler/ Pfeil, BB 2009, Beschluss der 82,. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 18. und 19. Mai 2011 in Halle (Saale), TOP I v. Westphalen, ZIP 2007, v. Westphalen, BB 2010, v. Westphalen, NJW 2009, 2977; vgl. auch v. Westphalen, ZGS 2006, 81, dens., NJW 2009, 3560, dens., BB 2011, AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer

37 69. Deutscher Juristentag II. Eigene Stimme 1. Befund a) Begriff der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ( 305 Abs. 1 BGB) Die zehn Jahre nach Inkrafttreten des AGB-Gesetzes noch vereinzelten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Merkmal des Stellens vorformulierter Vertragsbedingungen oder zum Aushandeln im Einzelfall sind zu einer ständigen und von allen Senaten des Bundesgerichtshofs getragenen Rechtsprechung geworden; seit der Schuldrechtsreform, die zur Änderung des sachlichen Anwendungsbereichs des AGB-Rechts im Hinblick auf Arbeitsverträge geführt hat (vgl. 310 Abs. 4 Sätze 2 und 3 BGB), hat sich auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen. Beispielhaft ist das Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom zu nennen, das eine Bürgschaft im unternehmerischen Geschäftsverkehr betrifft: Nach der Rechtsprechung erfordert Aushandeln mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen,gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären. In aller Regel schlägt sich eine solche Bereitschaft auch in erkennbaren Änderungen des vorformulierten Textes nieder. Allenfalls unter besonderen Umständen kann ein Vertrag auch dann als Ergebnis eines,aushandelns gewertet werden, wenn es schließlich nach gründlicher Erörterung bei dem gestellten Entwurf verbleibt. 55 Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Urteil vom für den Gebrauchtwagenkauf unter Privaten, bei der ein Mustervertrag zugrunde gelegt worden war, folgenden Leitsatz aufgestellt: Ein Stellen von Vertragsbedingungen liegt nicht vor, wenn die Einbeziehung vorformulierter Vertragsbedingungen in einen Vertrag auf einer freien Entscheidung desjenigen beruht, der von dem anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird. Dazu ist es erforderlich, dass er in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternative eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlung einzubringen. 56 Im Gegensatz zu v. Westphalen ist zu bezweifeln, dass der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom eine Lösung für den unternehmerischen Geschäftsverkehr weist. 57 Dies gilt umso mehr, als wegen der Verwendung des Wortes soweit in 305 Abs. 1 Satz 3 BGB davon ausgegangen wird, dass nur die einzelne ausgehandelte Bedingung ihre Eigenschaft als Allgemeine Geschäftsbedingung verliert; die übrigen vorformulierten und eben nicht ausgehandelten Bedingungen behalten ihren AGB- Charakter. 58 Die Rechtsprechung führt dazu, dass bei der Vertragsgestaltung folgende Maxime gelten müsste: Keinen Vertragsentwurf vorlegen! Den Entwurf des anderen Vertragsteils prüfen; über die für änderungsbedürftig gehaltenen Vertragsbedingungen sprechen und verschiedene (Gegen-)Vorschläge unterbreiten, ohne auswendig gelernte Klauseln zu verwenden. Nach Hinzuziehung von Beratern sollen sich die zur Vertretung der beteiligten Unternehmen berechtigten Personen (Geschäftsführer oder Vorstände) über die Schlussfassung einigen. Unter diesen Voraussetzungen darf von einer ausgehandelten Vertragsbedingung ausgegangen werden. In der Praxis lässt sich nach dieser Maxime indes nicht handeln, wenn der andere Vertragsteil keinen Vertragsentwurf vorlegt, wenn kein Gespräch geführt wird, wenn keine Berater hinzugezogen werden oder wenn Geschäftsführer zwar zur Unterzeichnung des Vertrages, aber nicht für den Prozess des Aushandelns zur Verfügung stehen. Die Vertragsgestaltung steht dann vor einem nicht lösbaren Problem, wenn sie zur Vermeidung der Inhaltskontrolle nach 310 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. 307 BGB keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern Individualvereinbarungen schließen möchte. b) Inhaltskontrolle anhand der Generalklausel ( 310 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. 307 BGB) Die erstmals im Jahr 1984 angenommene Indizwirkung der Klauselverbote für die Inhaltskontrolle anhand der Generalklausel ist zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erstarkt. In seinem Urteil vom hat der VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs folgenden Leitsatz aufgestellt: Fällt eine Klausel in AGB bei ihrer Verwendung gegenüber Verbrauchern unter eine Verbotsnorm des 309 BGB, so ist dies ein Indiz dafür, dass sie auch im Falle ihrer Verwendung gegenüber Unternehmen zu einer unangemessenen Benachteiligung führt, es sei denn, sie kann wegen der besonderen Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsverkehrs ausnahmsweise als angemessen angesehen werden. 59 Mit diesem Urteil knüpft der VIII. Zivilsenat ausdrücklich an das Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom an. 60 In seinem Urteil vom hat der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die indizielle Bedeutung für die Annahme einer unangemessenen Benachteiligung auch des kaufmännischen Vertragspartners verneint, weil der zu entscheidende Fall durch besondere Interessen und Bedürfnisse geprägt sei: Aufgrund der typischen Besonderheiten eines Werftwerkvertrags und der im Geschäftsverkehr zwischen Schiffseigner und Werftunternehmer bestehenden Branchenübung, nämlich des praktisch lückenlosen Kaskoversicherungsschutzes, sei die Vereinbarung einer Haftungsfreizeichnung für grobes Verschulden einfacher Erfüllungsgehilfen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam. 61 Die Absicht, die der Gesetzgeber 1976 mit der Schaffung des 24 Satz 2 Halbsatz 1 AGB-Gesetz (jetzt: 310 Abs BGH, Urteil vom VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311, 321 = NJW 2003, 1805 = ZIP 2003, 908; vgl. auch BGH, Urteil vom VIII ZR 269/98, BGHZ 143, 104 = NJW 2000, 1110 = ZIP 2000, 314; vgl. außerdem BAG, Urteil vom AZR254/09,NJW2010, 2827 = ZIP 2010, BGH, Urteil vom VIII ZR 67/09, BGHZ 184, 259 = NJW 2010, 1131 = ZIP 2010, So aber v. Westphalen, ZIP 2010, 1110; vgl. auch Kaufhold, ZIP 2010, Vgl. BAG, Urteilvom AZR253/09,NJW2010,2827=ZIP2010, BGH, Urteil vom VIII ZR 141/06, BGHZ 174, 1 = NJW 2007, 3774 = ZIP 2007, 2270, Rn. 11 f., mit ausdrücklichem Hinweis darauf, dass sich die Rechtslage mit Inkrafttreten der 307 ff. BGB nicht geändert habe. 60 BGH, Urteil vom VII ZR 349/82, BGHZ 90, 273 = NJW 1984, 1750 = ZIP 1984, BGH, Urteil vom X ZR 54/86, BGHZ 103, 316 = NJW 1988, 1785 = ZIP 1988, 515, zu einer Haftungsausschlussklausel in Dock- und Reparaturbedingungen einer Schiffswerft. AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer AnwBl /

38 69. Deutscher Juristentag Satz 2 Halbsatz 1 BGB) verfolgt hat, wird von der Rechtsprechung nicht beachtet: Die Annahme, dass eine im unternehmerischen Geschäftsverkehr verwendete Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam ist, wenn sie gegen ein in 308, 309 BGB genanntes, für den Verkehr mit einem Verbraucher bestimmtes Klauselverbot verstößt, ist die Regel, nicht der vom Gesetzgeber ausnahmsweise für möglich gehaltene Einzelfall. Die mit 24 Satz 2 Halbsatz 2 AGB-Gesetz (jetzt 310 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB) bezweckte Aufforderung an die Rechtsprechung, bei der Inhaltskontrolle auf die im unternehmerischen Verkehr geltenden Handelsbräuche angemessen Rücksicht zu nehmen, ist ohne Bedeutung für die Praxis des unternehmerischen Geschäftsverkehrs: Denn wenn auf Handelsbräuche i. S. d. 346 HGB abgestellt wird, deren Feststellung in tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten bereitet und deren praktische Bedeutung im Schweigen liegt (Beispiel: Schweigen im kaufmännischen Geschäftsverkehr, kaufmännisches Bestätigungsschreiben 62 ), ist diese Vorschrift nicht geeignet, die Inhaltskontrolle einer schriftlichen Vereinbarung zu beeinflussen. Die Auffassung, dass es trotz des mit 346 HGB übereinstimmenden Wortlauts um die Handelsgebräuchlichkeit der betreffenden Vertragsbestimmung gehe und der Handelsgebräuchlichkeit bei der Inhaltskontrolle ein besonderes Gewicht zukomme 63, hat sich nicht durchgesetzt. 2. Abhilfe a) Änderung der Vorschrift über den unternehmerischen Geschäftsverkehr Für den unternehmerischen Geschäftsverkehr ist sowohl eine Neuregelung des Begriffs der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ( 305 Abs. 1 BGB) als auch der Inhaltskontrolle ( 310 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. 307 BGB) angezeigt: Das Vorliegen einer Allgemeinen Geschäftsbedingung sollte schon dann verneint werden, wenn die Bedingung verhandelt, nicht erst, wenn sie ausgehandelt worden ist. Zusätzlich sollte nicht isoliert auf die einzelne Bedingung, sondern auf den gesamten vorformulierten Text abgestellt werden. Wenn der Vertragspartner des Verwenders bei einigen Bedingungen mehr als nur geringfügige Änderungen erreicht, kann der AGB-Charakter auch der nicht geänderten Bedingungen verneint werden. Im Rahmen der Inhaltskontrolle sollte die Indizwirkung der Klauselverbote ( 308, 309 BGB) auf die Generalklausel ( 307 BGB) entfalten. Die Besonderheiten des unternehmerischen Geschäftsverkehrs sollten auch beachtet werden, wenn es sich nicht um Handelsbräuche i. S. d. 346 HGB handelt. 62 Vgl. Pamp, in:oetker (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 2. Aufl., 2011, 346 Rn. 34 ff., Karsten Schmidt, in:, MüKo-HGB, 2. Aufl., Bd. V, 2009, 346 Rn. 130 ff., Wagner, in: Röhricht/v. Westphalen (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., 2008, 346 Rn. 30 ff. 63 Basedow, ZHR 150 (1986), 469 (489 ff.). 64 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I 2026). 65 Vgl. zu unterschiedlichen Reformvorschlägen Röhricht, in:röhricht/v. Westphalen, HGB, 3. Aufl., 2008, Einl. Rn. 31 ff., Karsten Schmidt, in: FS für Norbert Horn, 2006, S. 557, dens., in: MüKo-HGB, 3. Aufl., Bd. I, 2010, vor 1 Rn. 1 ff. 66 Berger, ZIP 2006, 2149 (2156). 67 Goette, AnwBl 2012, 33 (34). b) Richtiger Standort Über den richtigen Standort eines geänderten 310 Abs. 1 BGB Verortung in einem modernisierten Handelsgesetzbuch ( Unternehmensgesetzbuch ) oder Verortung im Bürgerlichen Gesetzbuch lässt sich trefflich diskutieren. Zehn Jahre nach erfolgreicher Modernisierung des Schuldrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, drei Jahre nach erfolgreicher Modernisierung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober ist die Zeit zwar reif für eine Modernisierung des Handelsgesetzbuchs, zumindest für eine Überprüfung seines Vierten Buchs über Handelsgeschäfte. 65 Aber die Änderung des 310 Abs. 1 BGB sollte schon aus (pragmatischen) Gründen baldiger Umsetzung außerhalb einer Modernisierung des Handelsrechts erfolgen. Außerdem spricht die Geltung des 310 Abs. 1 BGB auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtliche Sondervermögen gegen ihre Verortung im Handelsgesetzbuch. D. Schlussbemerkung Die Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr sinnvoll und geboten. Erforderlich ist aber eine Neukalibrierung der Eingriffs- und Kontrollschwelle für die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle. 66 Der Gesetzgeber ist zu einer Änderung des Gesetzes aufgerufen, weil der Bundesgerichtshof und im Hinblick auf den AGB-Charakter einer Vertragsbestimmung auch das Bundesarbeitsgericht eine Änderung der ständigen Rechtsprechung nicht herbeiführen werden. Außerdem ist zu beachten, dass Unternehmen vielfach, gerade auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl Abs. 3 Zivilprozessordnung), die Zuständigkeit eines Schiedsverfahrens vereinbaren, so dass der ordentlichen Gerichtsbarkeit was Goette für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten festgestellt hat allein die Aschenputtelsachen zur Entscheidung 67 überlassen bleiben. Manuel Schauer, Saarbrücken Der Autor ist Syndikusanwalt der Stahl-Holding-Saar GmbH & Co KGaA (Dillingen/Saar) sowie Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 696 AnwBl / 2012 AGB im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Plädoyer für eine Gesetzesänderung, Schauer

39 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Uechtritz, Stuttgart Stuttgart 21 wird jetzt gebaut. So hat das Volk in Baden- Württemberg es entschieden. Doch für das öffentliche Recht ist das nicht das Ende der Diskussion. An dem Fall Stuttgart 21 ist die Frage kulminiert, wie viel Bürgerbeteiligung das Planungs- und Zulassungsrecht benötigt. Damit einher geht die Frage, wie bei den Betroffenen eines Großprojekts deren Akzeptanz erreicht werden. Die öffentlich-rechtliche Abteilung des 69. Deutschen Juristentags wird am 19. und 20. September 2012 diese Fragen diskutieren. Der Autor fasst die aktuelle Diskussion aus Anwaltssicht zusammen. Er plädiert dafür, einen wirkungsvollen Rechtsschutz des Einzelnen nicht aus dem Auge zu verlieren und verweist darauf, dass das geltende Recht bereits viele Formen der Beteiligung kennt. I. Vorbemerkung Das Thema Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, mit dem sich die Abteilung Öffentliches Recht auf dem 69. Deutschen Juristentag befasst, ist weit gefasst. Es wirft die grundsätzliche Frage auf, ob es weiterer Formen unmittelbarer beziehungsweise direkter Bürgerbeteiligung im demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland bedarf, das nicht nur auf Bundes- sondern auch auf Landesebene im Kern repräsentativ geprägt ist. Direkt demokratische Entscheidungen sind nur punktuell und ausnahmsweise möglich. Ob insoweit ein Handlungsbedarf besteht, ist eine verfassungsrechtlich/demokratie-theoretische Frage 1. Allerdings macht der zweite Teil der Themenstellung deutlich, dass sich der Deutsche Juristentag nicht primär mit dieser Grundsatzfrage befassen will, sondern dass es spezifisch darum geht, das Erfordernis einer geänderten oder erweiterten Bürgerbeteiligung bei der Entscheidung über die Planung und Zulassung von Projekten zu erörtern 2. Der Anlass für die Befassung mit dieser Thematik liegt auf der Hand: Letztlich geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls welche Lehren aus der Auseinandersetzung um das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu ziehen sind. Die heftigen Kontroversen, die hierüber geführt worden sind wobei bemerkenswerter Weise eine signifikante Intensivierung des Konflikts erst nach Abschluss des Planfeststellungsverfahrens und der gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Planfeststellung zu verzeichnen war 3, hat im politischen Diskurs zur Erörterung der Frage geführt, ob bei Planung und Zulassung von Projekten ein grundsätzlicher Änderungsbedarf besteht. Der von der ehemaligen CDU/FDP-Landesregierung in der heißen Phase der Auseinandersetzung eingeschaltete Schlichter Dr. Heiner Geißler hat dies auf die plakative Formel gebracht, die Zeit der Basta-Politik sei zu ihrem Ende gekommen 4. Im juristischen Schrifttum hat Stuttgart 21 eine unüberschaubare Flut von Stellungnahmen 5 hervorgerufen, in denen zum Teil weitreichende Schlussfolgerungen gezogen worden sind, etwa in der Form, Stuttgart 21 mahne dazu, das gewohnte und in die Jahre gekommene Planfeststellungsverfahren zu überdenken. Der planungsrechtliche Praktiker, der sowohl die Rechtspraxis als auch die rechtswissenschaftliche Diskussion und die Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet seit Längerem verfolgt, wird schwerlich umhin können, Einiges mit Erstaunen zur Kenntnis zu nehmen 6 : So verwundert, welche fundamentale Kehrtwendung Stuttgart 21 in der öffentlichen Diskussion des Themas Planung und Zulassung von Projekten hervorgerufen hat. Während jahrzehntelang das Thema fast ausschließlich unter der Perspektive der Verfahrensbeschleunigung und der Begrenzung von Fehlerfolgen diskutiert worden ist 7, um tatsächliche oder vermeintliche Gefährdungen des Wirtschaftsstandorts Deutschland abzuwehren, fokussiert sich das Interesse nun auf tatsächliche oder vermeintliche Defizite der Bürgerbeteiligung. Wobei nicht selten suggeriert wird, derartige Defizite seien zumindest mitursächlich für die Heftigkeit der Bürgerproteste gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt in Stuttgart. Demjenigen, der mit dem komplexen Rechtsrahmen für die Planung und Zulassung von Projekten vertraut ist, dürfte auch die Charakterisierung dieses Rechtsregimes als Basta- Politik befremdlich anmuten. Nicht zu Unrecht ist die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht tendenziell eher ein Zuviel an (in ihrem Verhältnis zueinander unübersichtlichen) Formen der Öffentlichkeits- und Beteiligungsmodi bei derartigen Vorhaben gibt 8. Last but not least erstaunt auch mit Blick auf dieses Thema das öffentliche Kurzzeitgedächtnis: Stuttgart 21 ist mitnichten das einzige Projekt, das Gegenstand heftiger öffentlicher Kontroversen in der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist. Zu erinnern ist nur beispielsweise ohne jedweden Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität an die Auseinandersetzung um das Kernkraftwerk Wyhl, die Wiederaufbreitungsanlage in Wackersdorf, das atomare Endlager in Gorleben oder der Kampf um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens 9. 1 Vgl. hierzu nur mit spezieller Blickrichtung auf die Zulassung von Großvorhaben Wittreck, ZG 2011, 209; Groß, DÖV 2011, 510; Ewer, NJW 2011, 1328 und umfassend Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, passim. 2 Einen umfassenden Überblick im Sinne einer Bestandsaufnahme der Beteiligungsmodalitäten in den unterschiedlichen Verfahren, verbunden mit einem Katalog konkreter Änderungsvorschläge, enthält das zum Thema erstellte Gutachten von Ziekow. 3 Zur Projektgeschichte siehe nur Schönenbroicher, VBlBW. 2010, 466 ff. 4 Bericht Stuttgart 21: Schluss mit Basta, abrufbar unter 5 Vgl. nur, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Schönenbroicher, VBlBW. 2010, 466 ff.; Böhm, NuR 2011, 614; Gärditz, GewArch 2011, 273; Groß, DÖV2011,510; Knauff, DÖV2012,1;Knemeyer, BayVBl 2011, 681; Leisner, NJW2011,33;Roß, BWGZ 2011, 901; Schink, DVBl 2011, 1377; Schütte, ZUR2011,169;Stüer/Buchsteiner, UPR 2011, 335; Wulfhorst, DÖV 2011, 581 und Mehde, NdsVBl 2012, 33; siehe auch Burgi/Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG, 2012, S. 146 ff. 6 Ähnlich wie hier die Anmerkungen zur Debatte bei Durner, ZUR 2011, 354, 355 f., der seine Skepsis gegen juristische Schnellschüsse äußert; siehe auch Mehde, NdsVBl 2012, 33, 34 f. und Gärditz, GewArch 2011, 273, mit der Feststellung ein Mangel an Öffentlichkeitsbeteiligung besteht im raumrelevanten Planungs- und Genehmigungsrecht nicht ; in diesem Sinne auch Schönenbroicher, VBlBW. 2010, 466 f. 7 Vgl. die Nachweise bei Durner (Fn. 6), S. 356; siehe auch den kurzen Überblick über die Rechtsentwicklung bei Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, Rechtsschutz bei der Planung von Verkehrsanlagen und anderen Infrastrukturvorhaben, 4. Aufl. 2011, Rn. 16 ff. 8 Einen Parforce-Ritt durch die Zulassungsregelungen für Infrastrukturvorhaben findet sich bei Steinberg, ZUR 2011, 340, 341 ff.; umfassend hierzu das Gutachten von Ziekow (Fn. 2). 9 Vgl. Burgi/Durner (Fn. 5), S. 148 ff.; Durner, ZUR 2011, 354, 355, erinnert zurecht daran, dass Konflikte wie der um Stuttgart 21 kein spezifisch deutsches Phänomen sind sondern sich Widerstände gegen Großvorhaben auch in vergleichbaren Industriestaaten aufzeigen lassen. Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz AnwBl /

40 69. Deutscher Juristentag Diese Hinweise sollten nicht missverstanden werden: Der Fall Stuttgart 21 gibt Anlass, gerade im Vergleich mit anderen Großprojekten, die in etwa zeitgleich realisiert werden 10, der Frage nachzugehen, ob Handlungsbedarf besteht. Sehr wohl besteht aber Anlass, Skepsis gegenüber vorschnellen Schlussfolgerungen und politischen Schnellschüssen an den Tag zu legen, also auch gegenüber dem typischen Reaktionsmuster der Politik, einem in der Öffentlichkeit diskutierten Problem durch rasche Gesetzesänderungen zu begegnen 11. II. Betroffene Projekte Analysiert man die Äußerungen, die sich mit den Konsequenzen und Lehren aus Stuttgart 21 befassen, so fällt schon im Hinblick auf den Gegenstand der Untersuchung eine Divergenz ins Auge: Offenkundig herrschen unterschiedliche Vorstellungen darüber, hinsichtlich welcher Projekte Handlungsbedarf in Bezug auf das Thema Bürgerbeteiligung besteht. Möglicherweise bedingt dadurch, dass es sich bei Stuttgart 21 um ein Verkehrsinfrastrukturprojekt handelt, konzentrieren sich etliche Stellungnahmen auf die Fragestellung, ob in Bezug auf Planfeststellungsverfahren, speziell solche zur Zulassung von Verkehrsinfrastrukturvorhaben, Handlungsbedarf besteht 12. Aus Sicht derjenigen, die im Sinne des Schlichters Dr. Heiner Geißler ein Ende der Basta-Politik bei der Zulassung von Großvorhaben reklamieren, ist es von nachrangigem Interesse, in welchem rechtlichen Verfahren die jeweils in Rede stehende Planungsund/oder Zulassungsentscheidung getroffen wird. Steht ein Projekt in Rede, das als raumbedeutsam qualifiziert werden kann, also Auswirkungen über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus haben kann, besteht die Möglichkeit, dass dieses Projekt Gegenstand einer öffentlichen Auseinandersetzung wird 13. Die Gründe hierfür können wie das Projekt Stuttgart 21 gezeigt hat höchst unterschiedlicher Natur sein: Häufig mag es um die Abwehr faktischer Beeinträchtigungen gehen, die das fragliche Projekt hervorrufen wird. Jenseits individueller Interessen kann sich der Widerstand an den umweltbelastenden Auswirkungen eines Vorhabens oder an der grundsätzlichen Ablehnung bestimmter Technologien etwa im Hinblick auf ihr Risikopotenzial festmachen 14 ; denkbar ist auch, dass sich die Ablehnung an einer als haushaltspolitisch verfehlt angesehenen Prioritätensetzung entzündet. Im Stuttgarter Fall kamen architekturgeschichtliche Aspekte hinzu. Auch die Frage, wer Vorhabenträger ist, kann unter dem Gesichtspunkt Bürgerbeteiligung im Ausgangspunkt als nachrangig betrachtet werden 15 : Die Intensität der Kontroversen um die Zulassung eines raumbedeutsamen Vorhabens hängt nicht davon ab, ob dieses (wie bei einem Verkehrsinfrastrukturprojekt) typischerweise von einem öffentlichen Vorhabenträger oder von einem privaten Vorhabenträger (Beispiel: die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für ein Kohlekraftwerk) realisiert werden soll. Die weite Themenfassung, die der Deutsche Juristentages gewählt hat, verdient also Zustimmung. Entsprechend wird auch in dem Gutachten von Ziekow ein weiter Projektbegriff zu Grunde gelegt 16. Ausgehend hiervon ergibt sich auch, dass die durch Stuttgart 21 angestoßene Diskussion um die Modalitäten der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Zulassung von Projekten, umfassender ist, als die parallel geführte Diskussion um die Modernisierung und Fortentwicklung des Verwaltungsverfahrensrechts 17. Diese Diskussion, die weitaus weniger öffentliches Interesse findet als das Thema der Bürgerbeteiligung, fokussiert sich auf die Stärkung des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts; auch die Zukunftsfähigkeit des deutschen Verwaltungs(verfahrens)rechts im Zuge des Fortschreitens der europäischen Integration und der Herausbildung eines Verwaltungsrechts der Europäischen Union 18 wird in diesem Zusammenhang erörtert. III. Neue Formen der Bürgerbeteiligung warum? 1. Unterschiedliche und konfligierende Zielvorstellungen Vor der Analyse der Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung de lege lata und der rechtstatsächlichen Prüfung, wie diese genutzt werden beziehungsweise wirken 19, stellt sich die Frage, welches primäre Ziel eigentlich mit einer Verstärkung der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Zulassung von Projekten, angestrebt wird. Die Antwort auf diese Frage wird nur bei einer unterkomplexen Sichtweise keine Schwierigkeiten bereiten: Nämlich dann, wenn man vereinfachend formuliert annehmen wollte, das aktuelle Rechtsregime sei durch eine generell defizitäre Bürgerbeteiligung ( Basta-Politik ) gekennzeichnet, die geeignet sei, Widerstand hervorzurufen und so die Realisierung von Projekten, auf deren Umsetzung der Industriestandort Deutschland angewiesen sei (Stichwort Leitungsausbau im Zuge der Energiewende ), zu verzögern oder gar zu gefährden und darüber hinausgehend das bestehende zu stark repräsentativ ausgerichtete demokratische System bei den Bürgern in Misskredit zu bringen (Stichwort Politikverdrossenheit ). Versucht man eine Analyse der Diskussion, dann lassen sich unterschiedliche Zielvorstellungen identifizieren, die mit dem Gedanken einer verstärkten Bürgerbeteiligung verknüpft werden wobei vielfach ignoriert wird, dass es 10 Vgl. z. B. den instruktiven Praxisbericht über die Ausbauplanung des Flughafens Frankfurt/Main von Knebel, ZUR 2011, 351 ff. 11 Böhm, NuR2011, So z. B. Stüer/Buchsteiner, UPR 2011, 335 ff. und Schink, DVBl 2011, 1377; auch die Untersuchung von Burgi/Durner (Fn. 5) konzentriert sich bedingt durch die den Verfassern vorgegebene Aufgabenstellung auf das Planfeststellungsrecht und das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht. 13 Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren BR-Drucks. 171/12 ist in 25 Abs. 3 VwVfG von Vorhaben die Rede, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können ; zum Entwurf des PlVereinhG Krappel/Freiherr von Süßkind-Schwendi, UPR 2012, Zu erinnern ist nur an die Auseinandersetzung um die Nutzung der Kernenergie; zu nennen ist aber auch die Ablehnung neuer Kohlekraftwerke im Hinblick auf Klimaschädlichkeit oder die Ablehnung von Speicherungstechnologien für CO2. 15 Diese Feststellung bedeutet selbstverständlich nicht, dass in anderer Hinsicht, schon im Hinblick auf die mögliche Grundrechtsposition des Vorhabenträgers, bei der Ausgestaltung des Zulassungsregimes dessen Rechtsnatur ausgeblendet werden darf. Auch der Aspekt eines möglichen Volks- und Bürgerentscheids über den Einsatz öffentlicher Mittel (dazu näher unten IV. 1.) spielt nur bei einem öffentlichen Vorhabenträger eine Rolle (aktuelles Beispiel: die Ablehnung des Ausbaus des Münchner Flughafens durch Bürgerentscheid in der Stadt München hier ist die Stadt gesellschaftsrechtlich am Vorhabenträger beteiligt). 16 Ziekow, Gutachten (Fn. 2), S. 3 ff., verzichtet auf eine Definition des Begriffs und identifiziert stattdessen Elemente, die von unterschiedlichen Perspektiven aus den Rahmen beschreiben, innerhalb dessen sich die fraglichen Projekte bewegen. 17 Hierzu Burgi/Durner (Fn. 5) und die Beiträge in Burgi/Schönenbroicher (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010 sowie Hill u. a. (Hrsg.), 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz Bilanz und Perspektiven, Hierzu in jüngster Zeit umfassend Terhechte (Hrsg.), Verwaltungsrecht der Europäischen Union, Hierzu gibt das Gutachten von Ziekow (Fn. 2) einen detaillierten Überblick, der auch die rechtstatsächliche Situation durch Rückgriff auf Experteninterviews mit Planungspraktikern berücksichtigt. Soweit in diesem Beitrag der Begriff raumbedeutsame Vorhaben verwendet wird, dürfte diese Begrifflichkeit der Sache nach mit dem im Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren verwendeten Begriff Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl vondrittenhabenkönnen, identisch sein. 698 AnwBl / 2012 Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz

41 69. Deutscher Juristentag sich um tendenziell konfligierende Zielvorstellungen handelt 20. Winter 21 hat dies unlängst in Bezug auf das geplante Gesetz zur Änderung von Planfeststellungsverfahren, das die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung bei bestimmten Vorhaben einführen will 22, dahingehend formuliert, die Beurteilung dieses Gesetzes hänge von zwei verschiedenen Vorverständnissen darüber ab, welche Rolle der öffentliche Diskurs bei der Entscheidung über Infrastrukturprojekten spielen solle. Letztlich gehe es darum, ob dieser Diskurs (nur) Instrument sei, um die Akzeptanz eines Projektes zu fördern oder Selbstzweck, um die Begründbarkeit beziehungsweise die Akzeptabilität des Vorhabens zu erörtern mit der Folge eines Verzichts auf das Vorhaben, wenn sich dieses als nicht gut begründbar herausstelle 23. Die Betonung dieser unterschiedlichen Zielsetzungen dient der Klarheit in der Diskussion darüber ob, in welchem Umfang und an welcher Stelle Modifikationen der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Zulassung von Projekten erfolgen sollen. Wer annimmt, eine verstärkte Bürgerbeteiligung, unter Umständen auch in Form verstärkter direktdemokratischer Entscheidungen, könne die Durchsetzungschance von Projekten fördern und zu deren beschleunigter Realisierung führen, dürfte tendenziell andere Instrumente oder eine andere Handhabung vorhandener Instrumente befürworten, als derjenige, der der Auffassung zuneigt, eine verstärkte Bürgerbeteiligung solle nicht die Durchsetzung eines Projekts fördern (über dessen grundsätzliche Wünschbarkeit anderen Orts jedenfalls nicht durch die Bürger entschieden worden ist); vielmehr solle im Verfahren der Bürgerbeteiligung die Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob das Projekt überhaupt und wenn ja, in welcher Form es realisiert werden könne. Gewiss wäre es verfehlt, zwischen beiden Zielen eine grundsätzliche Inkompatibilität zu konstatieren, die den politischen Entscheider dazu nötigt, sich für eine der grob skizzierten Grundpositionen zu entscheiden. Ebenso wenig wie die Zielvorstellungen verstärkte Akzeptanz und gesteigerte Akzeptabilität in einem Verhältnis prästabiler Harmonie zueinander stehen, besteht a limine ein unüberbrückbarer Gegensatz. Selbstverständlich sind modifizierte Formen der Bürgerbeteiligung denkbar, die sowohl die Akzeptanz als auch die Akzeptabilität eines Projekts fördern können möglicherweise sogar dessen beschleunigte Realisierung. Dies ändert aber nichts daran, dass ein Mehr an Beteiligung strukturell geeignet ist, eine Projektrealisierung zu verzögern. 2. Beteiligung im Verwaltungsverfahren als vorgelagerter Rechtsschutz Mit den zumindest partiell konfligierenden Zielen einer verbesserten Akzeptanz bzw. Akzeptabilität raumbedeutsamer Projekte sind die zu bedenkenden Topoi aber noch nicht abschließend benannt. Aus rechtlicher und zumal aus anwaltlicher Sicht ist der Aspekt des Rechtsschutzes 24 zu betonen. Auch wenn bei der aktuellen Diskussion der Schwerpunkt darauf liegt, die Beteiligung der Öffentlichkeit generell zu verbessern also aller Bürger, die am Diskurs um ein umstrittenes Projekt teilnehmen wollen, unabhängig von ihrer rechtlichen oder tatsächlichen Betroffenheit 25 und wenn dies aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive nachvollziehbar ist, darf der Aspekt des Rechtschutzes im und durch Verwaltungsverfahren bei Planung und Zulassung von Projekten nicht vernachlässigt werden. Diese Mahnung zielt darauf ab, bei der gegenwärtigen Diskussion das bestehende Planungs- und Zulassungsinstrumentarium auch daraufhin zu überprüfen, ob dieses unter Rechtsschutzaspekten punktuell einer Nachjustierung bedarf 26. Dies gilt unabhängig davon, ob man den aktuellen Rechtszustand im Hinblick auf Fristen, Präklusions- und Fehlerfolgenregelungen und Heilungsmöglichkeiten (noch im gerichtlichen Verfahren) als verfassungsund unionsrechtlich unbedenklich ansieht oder nicht 27. Zu bedenken ist auch Folgendes: Die rechtlich und tatsächlich von einem Projekt Betroffenen bilden bei kontroversen Großprojekten zwar regelmäßig nur eine Teilmenge aus dem Kreis der Aktivbürgerschaft, die sich an der Auseinandersetzung um die Planung und/oder Zulassung eines raumbedeutsamen Projektes beteiligt. In nicht wenigen Fällen dürften diese aber den Ausgangspunkt des Widerstands gegen ein Projekt darstellen. Schon diese Überlegung spricht dafür, diesen Aspekt auch im Hinblick auf die Zielsetzung Akzeptanz nicht zu vernachlässigen. 3. Erwartungshaltungen Zu hinterfragen ist auch die Erwartungshaltung, mit der die Diskussion um Konsequenzen aus Stuttgart 21 geführt wird. Oben wurde bereits der politische Reflex angesprochen, auf Probleme mit hektischen Gesetzesänderungen zu reagieren in der Hoffnung, die aufgetretenen Probleme hiermit lösen zu können. Da ungeachtet einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber Großprojekten wie Stuttgart 21 in der Öffentlichkeit auch durchaus ein (von den Medien gefördertes) Bewusstsein vorhanden ist, dass bestimmte Projekte, die im öffentlichen Diskurs positiv besetzt sind, einer zeitnahen Umsetzung bedürfen (Stichworte Leitungstrassen zur Beförderung des Stroms aus erneuerbaren Energien oder Windparks und Pumpspeicherkraftwerke, die der Erzeugung regenerativer Energien dienen), verknüpft sich mit der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung auch die Erwartung, dass Änderungen bei Planung und Zulassung von Projekten geeignet sein könnten, Widerstand bei erwünschten 20 Siehe nur Durner, ZUR 2011, 354, 356 Handgreifliche Zielkonflikte ; siehe auch Schütte, ZUR 2011, 169 f. Mehr Demokratie versus Verfahrensbeschleunigung?. 21 ZUR 2012, Vgl. Fn Auf die grundsätzlichen Zweifel, rechtsverbindliche Planungs- und Zulassungsentscheidungen einem herrschaftsfreien Diskurs bzw. deliberativen Modellen der Entscheidungsfindung zu unterwerfen, kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Jedenfalls im bestehenden verfassungsrechtlichen Rahmen, dem ein bestimmtes demokratietheoretisches Legitimationskonzept zu Grunde liegt und bei dem auch die Grundrechtsposition privater Vorhabenträger Grenzen für eine diskursive Entscheidungsfindung markiert, kann es realistischerweise nur darum gehen, ob durch diskursive Modelle die bestehenden Entscheidungsmechanismen ergänzt, nicht aber ersetzt werden können, vgl. hierzu Wittreck (Fn. 1), 209 ff.; zu deliberativen Demokratiemodellen Suntrup, Der Staat (49, 2010), S. 605 ff.; zum demokratischen Potenzial der Partizipation Rossen-Stadtfeldt, in: Hoffmann-Riem/Schmidt- Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 2, 2008, S. 625, 664 ff. 24 Hierzu grundlegend BVerfGE 53, 30, 59 f.; siehe auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl., Einführung, Rn. 54 ff. und Schwarz, in: Fehling/Kastner (Hrsg.). Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2010, Einleitung zum Verwaltungsverfahrensgesetz, Rn. 115 ff.; grundsätzlich bereits Wahl, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, VVDStRL, Bd. 41 (1983), S. 151 ff.; zu erinnern ist daran, dass bei privaten Vorhabenträgern die Rechtsschutzbelange der rechtlich Betroffenen mit den rechtlich geschützten Interessen des Vorhabenträgers zum Ausgleich zu bringen sind, hierzu in Bezug auf den vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz BVerfG-K, NVwZ 2009, 240, Eine rechtliche Betroffenheit dürfte bei den wenigsten Bürgern, die sich gegen das Projekt Stuttgart 21 engagiert haben, vorgelegen haben. 26 Vgl. die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins vom 6. Februar 2012 zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren; auch Winter, ZUR 2012, 329, 330, hebt hervor, die Verfahrensdebatte nach Stuttgart 21 habe sich auch der Schattenseite des partizipativen Verwaltungsrechts zugewandt, nämlich der Frage, wie mit Verfahrensmängeln umgegangen werden soll. 27 Zum Diskussionsstand siehe Burgi/Durner (Fn. 5), S. 34 ff. m.w.n. Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz AnwBl /

42 69. Deutscher Juristentag Projekten zu vermeiden oder doch substantiell zu reduzieren 28 und damit die Projektrealisierung zu beschleunigen. Insoweit ist vor einer unrealistischen Erwartungshaltung zu warnen: Gewiss zeigt ein Vergleich der Art und Weise der Auseinandersetzung um verschiedene Großprojekte, zum Beispiel zwischen Stuttgart 21 und dem Verfahren zur Erweiterung des Frankfurter Flughafens 29, dass die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Widerstand gegen derartige Projekte unterschiedlich ausfallen. Gerade der Umstand, dass bei einem Projekt wie der Erweiterung des Frankfurter Flughafens, von dem eine weit größere Zahl von Menschen nachteilig (durch gesteigerten Fluglärm) betroffen ist und bei dem die Eingriffe in Natur und Landschaft eine andere Dimension haben, als bei Stuttgart 21 30, legt die Vermutung nahe, dass das Verhalten von Vorhabenträger und Behörden maßgeblich dazu beitragen kann, in welcher Form und Intensität die Auseinandersetzungen um derartige Projekte ablaufen. Diese Beobachtung sollte auch Anlass sein, vergleichende sozialwissenschaftliche Untersuchungen in Bezug auf derartige Projekte durchzuführen, um auf der Basis empirischer Erkenntnisse Schlussfolgerungen zu ziehen: Primär für die verbesserte Handhabung des bestehenden rechtlichen Instrumentariums, erst sekundär für die Frage, inwieweit dieses einer Korrektur oder Ergänzung bedarf. Dieses Petitum ist auch ein Plädoyer für einen verstärkten interdisziplinären Austausch zwischen Juristen einerseits und Sozialwissenschaftlern andererseits. Letztlich dürften aber alle Bemühungen schwerlich eine Garantie dafür liefern, dass künftig Widerstände gegen Großvorhaben vermieden oder zumindest (im Regelfall) entschärft werden können. Wie auch immer die Beteiligungsverfahren ausgestaltet sind: Akzeptanz bei denjenigen, die unmittelbar nachteilig von dem Projekt betroffen sind, werden diese schwerlich generieren können. Das alte St.-Florians-Prinzip oder neudeutsch das NIMBY s-phänomen ( NYMBY = not in my backyard) wird sich auch gegenüber verbesserten oder intensivierten Beteiligungsformen als resistent erweisen. Auch ein starker gesellschaftlicher Konsens über die Errichtung eines Pumpspeicherkraftwerks als Baustein der Energiewende beseitigt nicht den örtlichen Widerstand, der nachträgliche ökologische Folgen vor Ort oder in der Region reklamiert. Nichts anderes gilt für die allgemein als notwendig angesehenen Leitungstrassen: In Regionen, die weder davon profitieren, dass in ihnen der Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, noch als primärer Standort einer industriellen Produktion auf eine verbesserte Stromversorgung angewiesen sind (die also nur von den Segnungen der Durchleitung betroffen sind), dürfte ein möglicher Widerstand durch die Art und Weise der Gestaltung des Beteiligungsverfahrens kaum substantiell reduziert werden können. Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil sie Grenzen gegenüber einer illusionären Erwartung markiert, Konflikte über die Planung und Zulassung raumbedeutsamer Projekte könnten durch modifizierte Beteiligungsverfahren vermieden oder dadurch einer demokratischen Lösung zugeführt werden, dass die grundsätzliche Entscheidung über dieses Projekt, durch die Betroffenen gefällt wird 31. Es liegt daher auf der Hand, dass bei Großprojekten, die im Fall der Realisierung (aber eben auch im Fall der Nicht-Realisierung!) weit über die unmittelbar betroffene Region hinaus gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben, die Planungs- und Zulassungsentscheidung nicht nur denjenigen überantwortet werden kann, die von dem Vorhaben unmittelbar (etwa im Sinne einer Immissionsbelastung) betroffen sind. Und zwar nicht nur unter demokratisch/legitimatorischen Aspekten, sondern auch aus diesen praktischen Gründen. IV. Vorschläge zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung Die vorstehend geäußerte Skepsis, Konflikte wie um Stuttgart 21 durch Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen (oder deren Handhabung) für Planung und Zulassung raumbedeutsamer Vorhaben vermeiden oder jedenfalls substantiell entschärfen zu können, bedeutet nicht, dass kein Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die Bürgerbeteiligung besteht. Auch wenn keine grundsätzliche Infragestellung des komplexen und durch unionsrechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben geprägten Zulassungsregimes besteht, hat die intensive Diskussion um Stuttgart 21 punktuellen Änderungsbedarf 32 aufgezeigt dem allerdings teilweise auch auf der Basis der bestehenden Regelungen entsprochen werden kann. Die Umsetzung eines Teils der diskutierten Vorschläge mag geeignet sein, in manchen Fällen einen Beitrag zur Konfliktminimierung zu leisten. Im Hinblick auf den knappen Rahmen dieser Abhandlung kann es im Folgenden nicht darum gehen, alle erörterten Änderungsvorschläge aufzuzeigen und zu behandeln. Vielmehr konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Vorschläge, die in der Öffentlichkeit, besonders in der Fachöffentlichkeit, bevorzugt behandelt werden und teilweise auch schon durch Gesetzesinitiativen von der Politik aufgegriffen worden sind. 1. Direktdemokratische Entscheidungen? Eine einschneidende Veränderung der Bürgerbeteiligung bei der Planung und Zulassung raumbedeutsamer Vorhaben wäre die verstärkte Zulassung direktdemokratischer Entscheidungen, sei es auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene. Eine Analyse der de lege lata bestehenden Möglichkeiten zeigt auf Bundesebene ein vollständiges Fehlen, auf Landes- und kommunaler Ebene ein stark beschränktes Handlungsfeld auf 33. Zu Recht besteht aber in der rechtswissenschaftlichen Diskussion weitgehend Konsens darüber, dass die bundesrechtliche Einführung direktdemokratischer Zulassungsentscheidungen 34 ebenso wenig angezeigt ist, wie die Ermöglichung landesrechtlicher Volksabstimmungen Dabei dürfte kaum Konsens darüber bestehen, welche Projekte tatsächlich als erwünscht und damit als beschleunigungswürdig angesehen werden: Schon die Errichtung neuer Kohlekraftwerke, wie das in Datteln, wird einerseits als notwendig angesehen, um den Atomausstieg zu flankieren, andererseits aber wegen der Klimaschädlichkeit der Energieerzeugung durch Steinkohle abgelehnt. 29 Einen Überblick hierzu gibt von Knebel, ZUR 2011, 351 ff. 30 Siehe hierzu von Knebel, ZUR 2011, 351 mit dem Hinweis, dass für die neue Landebahn in Frankfurt dauerhaft 222 ha Wald gerodet würden, während es in Stuttgart um 282 Bäume gegangen sei. 31 Skeptisch z. B. auch Böhm, NuR 2011, 614, 616; Gärditz, GewArch 2011, 273, 277 und Burgi/Durner (Fn. 5), S. 148 f., die die generelle Streitanfälligkeit von Großprojekten auch im internationalen Maßstab beweisen. 32 Insoweit ist primär nochmals auf die umfassende Bestandsaufnahme und die Auflistung der Änderungsvorschläge im Gutachten von Ziekow (Fn. 2) zu verweisen. 33 Vgl. Ziekow, Gutachten (Fn. 2), S. 97 ff. sowie Groß, DÖV 2011, 510, 513 f.; umfassend Rux (Fn. 1). 34 In Bezug auf die Rechtslage in der Schweiz ist zu betonen, dass auch dort (auf Kantonsebene durch das Mittel des Finanz- bzw. Verwaltungsreferendums) keine direkte sondern nur eine indirekte Objektentscheidung bzw. Kontrolle durch eine direktdemokratische Entscheidung möglich ist, nämlich dann, wenn der Staat selbst die Ausgaben für das fragliche Projekt tätigt; vgl. hierzu Ziekow, Gutachten (Fn. 2), S. 53 f.; siehe auch Groß, DÖV 2011, 510, Vgl. neben den Nachweisen in Fn. 1 noch Mehde, NdsVBl. 2012, 33, 34 f.; Knemeyer, BayVBl. 2011, 681, 684 und Gärditz, GewArch 2011, 273, 277 f. 700 AnwBl / 2012 Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz

43 69. Deutscher Juristentag jedenfalls im Hinblick auf bundesrechtlich geregelte Zulassungsverfahren. Diese Skepsis besteht völlig unabhängig von der Frage, ob man annimmt, die Bundesrepublik sei mit ihrem stark repräsentativ ausgerichteten Verfassungssystem bisher gut gefahren oder ob im Hinblick auf eine tatsächliche oder vermeintliche Krise des Parlamentarismus eine verstärkte direktdemokratische Einbindung der Aktivbürgerschaft zumindest verfassungspolitisch sinnvoll wäre 36. Hinsichtlich der Planung und Zulassung von raumbedeutsamen Vorhaben, speziell Infrastrukturvorhaben wie Stuttgart 21, liegen die Gründe, die gegen die Einführung verstärkter direktdemokratischer Entscheidungen im Planungs- und/oder Zulassungsprozess sprechen, auf der Hand: Abgesehen von kompetenziellen Bedenken, was die Möglichkeiten des Landesgesetzgebers bei bundesrechtlich geregelten Zulassungsverfahren angeht 37, besteht die bereits oben genannte Schwierigkeit der Festlegung des Kreises derjenigen, die zur Entscheidungsfindung aufgerufen wären. Sollen dies (nur) die unmittelbar Betroffenen sein; geht es also um eine Entscheidung auf kommunaler oder allenfalls regionaler Ebene? Oder wäre der Kreis der Entscheidungsbefugten auf die Landes- oder gar Bundesebene auszudehnen 38? Gerade bei raumbedeutsamen Verkehrsinfrastrukturvorhaben liegt auf der Hand, dass der Kreis der Betroffenen weit über diejenigen hinausgeht, die tatsächlichen Auswirkungen des Vorhabens ausgesetzt sein werden. Die Ablehnung eines Verkehrsinfrastrukturprojekts hat nicht nur Folgen für die Bürger an diesem Standort selbst, sondern auch für diejenigen, die in benachbarten Regionen von der Anbindung durch das entsprechende Vorhaben profitiert hätten. Ferner kann die Ablehnung eines Vorhabens an einem Standort die Konsequenz haben, dass sich im Anschluss hieran die Zulassungsfrage an alternativen Standorten stellt. Ferner ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Zulassung von Infrastrukturprojekten unter dem Gebot einer umfassenden Abwägung steht, die nicht nur fachgesetzlich, sondern auch verfassungsrechtlich als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips geboten ist 39. Das Gebot, im Planungsprozess die abwägungsbetroffenen Belange zu ermitteln, zutreffend zu bewerten und zu einem verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen, steht nicht zur Disposition des einfachgesetzlichen Gesetzgebers. Dieser Einschätzung kann auch nicht entgegengehalten werden, sie sei aus politikwissenschaftlicher Sicht unterkomplex, da sich gerade direktdemokratische Verfahren durch eine intensive öffentliche Erörterung auszeichneten, die regelmäßig dazu führten, dass am Ende kompromissfähige Anträge zur Entscheidung gestellt würden 40. Selbst wenn man diese Auffassung im Ausgangspunkt für zutreffend halten wollte, erscheint es strukturell kaum möglich, eine Zulassungsentscheidung in Form der Volksgesetzgebung so zu gestalten, dass tatsächlich alle abwägungserheblichen Gesichtspunkte mit dem ihnen objektiv zukommenden Gewicht in der Entscheidung berücksichtigt werden. Eine andere Frage ist es, ob die bestehenden landesgesetzlichen Regelungen punktuell modifiziert werden sollten, um auf diese Weise der Bürgerschaft (ungeachtet der Schwierigkeit der Bestimmung des Kreises der Abstimmungsberechtigten) die Möglichkeit zu geben, sich ähnlich den kantonalen Finanzreferenden in der Schweiz zu Finanzierungsentscheidungen über Großvorhaben zu äußern 41.Zu denken wäre auch (wiederum am Beispiel Baden-Württemberg) an eine Absenkung des hohen Quorums, das nach der bestehenden Verfassungsrechtslage den Erfolg eines Volksentscheids praktisch ausschließt 42. Hinsichtlich der kommunalen Ebene sei nur auf seit langem geführte Diskussion und differenzierte Rechtsprechung verwiesen, in welchem Umfang im Rahmen der Bauleitplanung Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zulässig sind 43. Auch wenn das bestehende Rechtsregime diese teilweise generell ausschließt und die Rechtsprechung auch in den Bundesländern, in denen sich explizite Ausschlüsse in den Gemeindeordnungen nicht finden, restriktiv ist, sollten Grundsatzentscheidungen im Vorfeld einer Bauleitplanung, hinsichtlich derer die rechtsstaatlichen Imperative, die den Ausschluss von Bürgerbegehren und Bürgerentscheidung im Rahmen der Bauleitplanung rechtfertigen, nicht einschlägig sind, möglich sein 44. Auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen vorangegangene Beschlüsse und Richtungsentscheidungen spätere Bürgerbegehren und -entscheide präkludieren beziehungsweise welche Fristen insoweit gelten, bedarf der Prüfung 45. Auch wenn man die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart zur Unzulässigkeit eines Bürgerbegehrens über einen Ausstieg aus Stuttgart 21 als rechtlich zutreffend ansieht 46, zeigt gerade dieses Beispiel, dass ein von vielen Bürgern als formal empfundener Ausschluss einer direktdemokratischen Entscheidung über eine Grundsatzfrage geeignet ist, die Intensität der Auseinandersetzung zu fördern und dem ungerechtfertigten Vorwurf, hier werde ein Projekt im Stil einer Basta -Politik durchgesetzt, Vorschub zu leisten Frühzeitige Bürgerbeteiligung Der verbreitetste Vorschlag in der aktuellen Diskussion 48 läuft darauf hinaus, in Anlehnung an das Modell der frühzeitigen Bürgerbeteiligung nach 3 Abs. 1 BauGB auch bei anderen Planungsverfahren (nicht nur bei Planfeststellungsvorhaben) eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. 36 Beachtung verdient in jedem Fall der Hinweis, die Auseinandersetzung um Großprojekte sei schon deshalb kein Testfall für die Funktionstauglichkeit und Lernfähigkeit des parlamentarich-repräsentativen Systems, weil es hier in erster Linie um administrative Planungsverfahren und deren Verlauf gehe, auf die das Parlament jenseits der Haushaltsbewilligung keinen unmittelbaren Einfluss habe, so Gärditz, GewArch 2011, 273, 276; siehe aber auch Gurlit, VVDS + RL 70, S. 229, Ewer, NJW 2011, 1328, Vgl. hierzu gerade mit Blick auf das Beispiel Stuttgart 21 auch Wittreck (Fn. 1), S. 218 f.; siehe auch den Kommentar von Leisner, Stuttgart 21. Wir sind das Volk! Wer?, NJW 2011, 33 ff.; zweifelnd zu Volksabstimmungen über Infrastrukturvorhaben auch Wulfhorst, DÖV 2011, 581, 585; zudem gilt: Betroffenengemeinschaften sind keine Legitimationsquellen für staatliche Entscheidungen, Gurlit (Fn 36), S. 242 unter Verweis auf BVerfGE 83, 37, 50 f. 39 Ewer (Fn. 37), S f. 40 So Wittreck (Fn. 1), S Immerhin hat der Volksentscheid vom 27. Oktober 2011 mit der deutlichen Mehrheit gegen den Ausstieg, ein weitgehendes Ende der Diskussion bewirkt ohne allerdings die Fundamentalopposition zur Aufgabe ihres Widerstand gegen Stuttgart 21 zu bewegen; siehe auch die Vorschläge von Ziekow (Fn. 2), S. 110 f. und Groß, DÖV 2011, 510, 514, der darauf verweist, insoweit gehe auch der Einwand ins Leere, komplexes Planungsrecht eigne sich nicht für Verfahren der direkten Demokratie. 42 Wittreck (Fn. 1), S Siehe hierzu die Zusammenstellung der aktuellen Judikatur des VGH BaWü zur Rechtslage in Baden-Württemberg, BWGZ 2012, 78 ff. sowie Löbbecke, VBlBW. 2009, 253; West, VBlBW. 2010, 389 und Wickel/Zingerling, NordÖR 2010, 91, 93 ff. 44 Vgl. insoweit z. B. VGH BaWü, BWGZ 2012, 87; tendenziell positiv zu einer erweiterten Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene Roß, BWGZ 2011, Restriktiv zur sechswöchigen Ausschlussfrist für Bürgerbegehren, die sich gegen einen Gemeinderatsbeschluss richten, VGH BaWü, BWGZ 2012, VG Stuttgart, VBlBW. 2009, Dass auch ein Bürgerentscheid über kommunale Projekte nicht zwingend zu einer Befriedung führt, zeigt der Fall der Waldschlösschenbrücke in Dresden (vgl. hierzu Wolf, ZUR2007,525ff.undScheffer, LKV 2007, 499 ff.; dennoch scheint aus der Perspektive des distanzierten Stuttgarter Betrachters der positive Ausgang des Entscheids zur Akzeptanzförderung und letztlich Durchsetzbarkeit des Projekts beigetragen zu haben. 48 Ubiquitäre Forderung, so Burgi/Durner (Fn. 5), S Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz AnwBl /

44 69. Deutscher Juristentag Eine entsprechende Anregung findet sich nicht nur in einer Bundesratsinitiative der ehemaligen CDU/FDP-Regierung des Landes Baden-Württemberg 49. Auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 50 sieht in 25 Abs. 3 VwVfG eine Regelung vor, wonach die Behörde bei der Planung von Vorhaben, die nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten haben können, die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens und die voraussichtlichen Auswirkungen unterrichtet. Dies soll nicht gelten, soweit die betroffene Öffentlichkeit bereits nach anderen Rechtsvorschriften vor der Antragstellung zu beteiligen ist. Ein entsprechender Vorschlag ist auch vom Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern gemacht worden 51. Hinter diesen Vorschlägen steht die prima facie gewiss plausible Vorstellung, die Öffentlichkeitsbeteiligung in einem frühen Verfahrensstadium, sei sinnvoll, weil zu diesem Zeitpunkt noch keine Verfestigung oder Festlegung auf Einzelheiten eines Vorhabens erfolgt sei. Die Chancen, das Projekt im Rahmen einer solchen frühzeitigen Bürgerbeteiligung zu optimieren, rechtzeitig auf Bedenken einzugehen und diesen möglicherweise Rechnung zu tragen, sowie die Konflikte um die Grundkonzeption des Vorhabens möglichst früh auszutragen, lägen auch im Interesse des Vorhabenträgers 52. Im Grundsatz wird man dieser Einschätzung zustimmen können 53. Ungeachtet des Umstands, dass bei der Mehrzahl raumbedeutsamer Verfahren beziehungsweise solcher, die sich in der Terminologie des angestrebten Gesetzes auf die Belange einer größeren Zahl von Dritten auswirken können, bereits de lege lata vorgelagerte Verfahren existieren, in denen eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet 54, hätte die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht Signalwirkung. Sie hätte darüber hinaus in den Fällen, in denen nach dem bisherigen Zulassungsregime eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung nicht stattfindet, eine lückenschließende Funktion. Allerdings zeigt gerade das Beispiel der frühzeitigen Bürgerbeteiligung in der Bauleitplanung, dass die damit verbundenen Erwartungen in vielen Fällen enttäuscht werden könnten. Wie bereits erwähnt, berufen sich die Verfechter einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung im Planfeststellungsverfahren auf das als vorbildlich empfundene Modell des 3 Abs. 1 BauGB, also der dort vorgesehenen frühzeitigen Bürgerbeteiligung vor dem förmlichen Planverfahren nach 3 Abs. 2 BauGB. Dem Verfasser ist nicht bekannt, ob rechtstatsächliche Untersuchungen über Auswirkungen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung existieren. Die gewiss nicht repräsentativen eigenen Erfahrungen des Verfassers sprechen dafür, die akzeptanzsteigernden Wirkungen einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung nicht allzu euphorisch zu bewerten 55. Gerade in Fällen, in denen (vergleichbar den Planfeststellungsverfahren) eine Planung von einem Vorhabenträger initiiert wird (besonders aber nicht nur, wenn es sich um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan handelt), wird die frühzeitige Bürgerbeteiligung vom Vorhabenträger (bisweilen auch der Kommune) als bloße Pflichtübung angesehen, die möglichst rasch abgewickelt wird, ohne tatsächlich eine ergebnisoffene Diskussion des Vorhabens auch über denkbare Alternativen einschließlich der Nullvariante zu führen. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass die aktuell so hochgeschätzte frühzeitige Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung im Zuge der Novellen des BauGB 2004 und 2007 weitgehend zur Disposition gestellt worden ist: Im vereinfachten Verfahren nach 13 BauGB, vor allen Dingen aber auch im vielfach angewandten Verfahren nach 13a BauGB (Bebauungspläne der Innenentwicklung), hat der Gesetzgeber die frühzeitige Bürgerbeteiligung für entbehrlich erklärt ersichtlich getragen von der Erwägung, dass der Verzicht hierauf einen Beschleunigungseffekt hat und die Attraktivität eines entsprechend beschleunigten Verfahrens Vorhabenträger und Gemeinde veranlassen könnten, hierfür zu optieren. Der Gesetzgeber des BauGB scheint also von der akzeptanzfördernden Wirkung der frühzeitigen Bürgerbeteiligung nicht allzu sehr überzeugt gewesen zu sein, da ansonsten der Verzicht hierauf kaum erklärbar wäre. 3. Alternativenprüfung Im Rahmen einer derartigen frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung könnte einem weiteren Desiderat Rechnung getragen werden: Nämlich einer verstärkten und frühzeitigen Alternativenprüfung 56. Gewiss ist diese nach den Anforderungen der Rechtsprechung im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens Bestandteil des rechtsstaatlich determinierten Abwägungsgebotes 57. Dies ändert aber nichts daran, dass die Erörterung von Alternativen im förmlichen Planfeststellungsverfahren zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Entscheidung des Vorhabenträgers über die zur Planfeststellung beantragte Variante regelmäßig bereits gefallen ist, so dass die Alternativenprüfung vielfach nur Alibicharakter besitzt um den Anforderungen der Rechtsprechung Rechnung zu tragen. Auch das Raumordnungsverfahren, das grundsätzlich geeignet wäre, eine frühzeitige Alternativendiskussion zu gewährleisten, erfüllt diese Funktion nur eingeschränkt. Dies schon deshalb, weil nach der Regelung des 15 Abs. 1 ROG nur die vom Träger der Planung oder Maßnahme eingeführten Standort- oder Trassenalternativen Gegenstand des Raumordnungsverfahrens sind. Nach der bestehenden Rechtslage obliegt die Entscheidung über die Einführung von Standortalternativen dem Vorhabenträger 58. Die Prüfung der sogenannten Nullvariante, die von Gegnern des Projekt gefordert wird, wird typischerweise im Raumordnungsverfahren vom Vorhabenträger nicht als Alternative eingeführt. 49 Innenministerium Baden-Württemberg, Bundesratsinitiative zur Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben, Pressemitteilung Nr. 80/2011 vom 1. März Siehe Fn NVwZ 2011, 859 ff. 52 So die Begründung des Gesetzentwurfs, vgl. Fn. 13, S Für eine entsprechende Regelung und zwar im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht auch Ziekow (Fn. 2), S. 128 ff.; positiv auch die Stellungnahme des Bund deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen vom 3. Februar 2012, die es ausdrücklich begrüßt, dass die vorgezogene Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem primären Anliegen der Gesetzesnovelle gemacht wird; zustimmend auch die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins vom 6. Februar 2012 ( Schritt in die richtige Richtung ); sehr kritisch zu der geplanten Neuregelung die BRAK in ihrer Stellungnahme Nr. 3/2012 vom Februar Dies betonen speziell im Hinblick auf die durch die SUP-Richtlinie gebotene Öffentlichkeitsbeteiligung übereinstimmend Steinberg, ZUR 2011, 340, 341 f. und Burgi/Durner (Fn. 5), S. 156 f.; siehe auch Schönenbroicher, VBlBW. 2010, 466 f. und Gärditz, GewArch 2011, Skeptisch in Bezug auf die frühzeitige Bürgerbeteiligung auch Versteyl, I+E2011, 89, 93 ff. 56 Zu den Defiziten bei der Alternativenprüfung de lege lata Steinberg, ZUR2011, 340, 342; zurückhaltend zur Frage, inwieweit die Forderung nach einer Ausweitung der Alternativenprüfung gerechtfertigt ist, Durner, ZUR 2011, 354, 358 m.w.n. 57 Vgl. hierzu nur Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch (Fn. 7), Rn. 889 ff. 58 Goppel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 15 Rn AnwBl / 2012 Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz

45 69. Deutscher Juristentag 4. Verfahrensbegleitender Kommunikationsprozess Eine weitere zentrale Forderung, die als Konsequenz aus den Erfahrungen von Stuttgart 21 in der Diskussion vielfach erhoben wird, ist diejenige nach Kontinuität des Beteiligungs- und Kommunikationsprozesses während des Planungsverfahrens auch über den Abschluss des förmlichen Verfahrens hinaus 59. Die Sinnhaftigkeit dieser Forderung zeigt Stuttgart 21 : Die Intensivierung der Auseinandersetzung fand nach Abschluss des förmlichen Verwaltungsverfahrens und nach Abschluss der gerichtlichen Überprüfung statt. Auch zu diesem Thema können nur einige wenige Stichworte genannt werden: Die bisherige Beteiligung im Verfahren für raumbedeutsame Vorhaben, speziell im Planfeststellungsverfahren, zeichnet sich durch die punktuelle Einbindung der Betroffenen aus: Im Rahmen eines engen Zeithorizonts und unter der rechtlichen Drohung der Präklusion in Bezug auf nicht rechtzeitig vorgebrachte Einwände besteht eine Äußerungsmöglichkeit während der förmlichen Planauslage. Im Anschluss hieran findet eine weitere Beteiligung im Rahmen des Erörterungstermines statt. Dieser soll wie im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung im Planfeststellungsverfahren umschrieben insbesondere der Verständigung über bestehende Einwände und Anregungen im Rahmen einer unmittelbaren mündlichen Erörterung dienen. Ausdrücklich wird dem Erörterungstermin eine Befriedungsfunktion zugesprochen sowie die Funktion, Verfahrenstransparenz zu schaffen und die Akzeptanz für die zu treffende Entscheidung zu fördern 60. Die rechtstatsächliche Bewertung, etwa am Beispiel des Erörterungstermins für den Ausbau des Frankfurter Flughafens, nötigt zu der Einschätzung, dass diese Ziele des Gesetzes in der Mehrzahl der Fälle in krasser Weise verfehlt werden 61. Der Erörterungstermin wird im Zuge des Verfahrens zum Show-down. Er stellt ein Forum dar, dass weniger der Verständigung und der sachorientierten Erörterung dient, sondern dazu in grundsätzlicher Weise in der Öffentlichkeit die Projektablehnung zu artikulieren. Ausgehend von dieser Erkenntnis hat die Vorstellung an Zustimmung gewonnen, dass eine verbesserte Kommunikation, also die Schaffung von Transparenz, nicht punktuell, sondern nur im Rahmen einer kontinuierlichen Projektbegleitung wirksam verfolgt werden kann. Verschiedene Modifizierungen sind denkbar. In Betracht kommen mit Blick auf den Erörterungstermin dessen Auflösung und die Aufspaltung der Erörterung mit unterschiedlich Betroffenen 62. Denkbar ist auch, dass parallel zum förmlichen Planfeststellungsverfahren mediative Dialogverfahren implementiert werden, die eine Kommunikationsmöglichkeit etablieren, die über die punktuelle Beteiligung im förmlichen Verfahren hinausgehen 63. Unabhängig davon, dass die Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung nicht durch die Entscheidung derjenigen, die an einem derartigen Mediationsprozess beteiligt sind, ersetzt werden kann und insofern eine andere Konstellation besteht, als bei einem Mediationsverfahren im Rahmen einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung, kann ein entsprechendes Verfahren Transparenz und möglicherweise ein besseres Verständnis schaffen und dazu beitragen, die Intensität eines Konflikts um ein Vorhaben abzumindern. Wohl zu Recht hat etwa Steinberg 64 darauf hingewiesen, dass das regionale Dialogforum beziehungsweise das Forum Flughafen und Region im Zusammenhang mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens wahrscheinlich dazu beigetragen habe, ein Abgleiten in heftigere Formen des Konflikts zu verhindern. Auch das sogenannte Schlichtungsverfahren von Dr. Heiner Geißler in Bezug auf Stuttgart 21 hat ungeachtet der berechtigten Kritik an einzelnen Aspekten 65 in Stuttgart zu einer Entschärfung des Konflikts beigetragen. Die genannten Beispiele und die erörterten Modelle belegen, dass die Antwort auf Stuttgart 21 nicht darin liegen kann, dass der Gesetzgeber in einer Hauruck-Aktion das bestehende Planungs- und Zulassungsregime verändert, um auf diese Weise zu gewährleisten, dass sich ähnliche Auseinandersetzungen nicht wiederholen. Eine solche Erwartung wäre wie ausgeführt illusionär. Sehr wohl erscheint aber eine rechtstatsächliche Analyse der Konflikte bei Stuttgart 21 (im Vergleich mit anderen Großvorhaben) angezeigt, um hieraus Schlussfolgerungen für ein flexibles Handeln von Vorhabenträger und Behörden abzuleiten mit dem primären Ziel, auch außerhalb des förmlichen Zulassungsrahmens einen kontinuierlichen Dialog zu etablieren. Auf diese Weise wird auch nicht die in der Tat unentbehrliche verbindliche Letztentscheidung durch demokratisch legitimierte Entscheidungsträger zur Disposition gestellt. Das bestehende Planungs- und Zulassungsregime muss selbstverständlich auf eine verbindliche Entscheidung in einem überschaubaren Zeitrahmen gerichtet sein, deren Denunzierung als Basta-Politik verfehlt wäre. Diese Feststellung schließt aber die Etablierung komplementärer Diskussionsoder Mediationsforen nicht aus. Diese könnten geeignet sein, auf das förmliche Planungs- und Zulassungsverfahren zurückzuwirken. Insoweit ist auch Mut zum Experiment im Rahmen des bestehenden Rechts angezeigt. 59 Wulfhorst, DÖV 2011, 581, 587 f.; Steinberg, ZUR 2011, 340, 343 ff.; siehe auch Durner, ZUR 2011, 354, 359, der Strategien zur Verbesserung der Kommunikation im Verfahren gleichfalls Bedeutung zuspricht, zugleich aber die Sinnhaftigkeit einer Verrechtlichung dieser Elemente problematisiert; Ziekow (Fn. 2) tendiert für die Verankerung eines umfassenden Beteiligungskonzepts, S. 131 ff. 60 BR-Drucks. 171/12, S. 32 f. 61 Vgl. hierzu nur von Knebel, ZUR2011,351,353sowieSteinberg, ZUR2011,340, 345; zum Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Erörterungstermins auch Wulfhorst, DÖV 2011, 581, 585 und Schink, DVBl 2011, 1317, 1381 ff. 62 Steinberg, ZUR 2011, 340, 345 unter Hinweis auf BVerwGE 133, In diesem Sinne z. B. Schütte, ZUR 2011, 169, 170; Stüer/Buchsteiner, UPR 2011, 335, 339 und Schink, DVBl 2011, 1377, 1382 ff. 64 ZUR 2011, 346 ff.; zum Frankfurter Verfahren auch von Knebel, ZUR 2011, 351, 352 ff. 65 Kritisch z. B. Schönenbroicher, VBlBW. 2010, 466, 467 f. und Knauff, DÖV 2012, 1, 6. Prof. Dr. Michael Uechtritz, Stuttgart Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Partner der Sozietät Gleiss Lutz. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, Uechtritz AnwBl /

46 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung Die wirtschaftsrechtliche Abteilung befasst sich mit der Weiterentwicklung der Corporate Governance Dr. Christoph Kumpan, LL.M. (Univ. of Chicago), Attorney at Law (New York) Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zu einer großen Verunsicherung geführt und den Ruf nach staatlicher Regulierung vor allem von Banken immer lauter werden lassen. Gefordert werden aber nicht nur staatliche Eingriffe in die Unternehmensführung von Banken, sondern auch in die Corporate Governance von Unternehmen ganz allgemein von der Frauenquote über Unabhängigkeitsanforderungen für Aufsichtsratsmitglieder bis zu Verfolgungsrechten von Minderheitsaktionären. Über diese und weitere Vorschläge staatlicher, aber auch halbstaatlicher Eingriffe, wie durch den Deutschen Corporate Governance Kodex, wird der 69. Deutsche Juristentag am 19. und 20. September 2012 in München diskutieren. Viele dieser Themen beschäftigen zurzeit den Gesetzgeber oder werden ihn demnächst beschäftigen. Denn auch auf der Ebene der EU werden Regelungen zur Corporate Governance geplant. I. Einführung: Der 69. Deutsche Juristentag 2012 Die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 69. Deutschen Juristentages wird sich am 19. und 20. September 2012 mit dem Thema Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung beschäftigen. Dabei wird es um grundsätzliche Fragen und aktuelle Entwicklungen der Corporate Governance, das heißt der Leitung und Überwachung von Gesellschaften, 1 gehen. Der Schwerpunkt wird dabei auf der (börsennotierten) Aktiengesellschaft liegen und dort vor allem auf dem Beziehungsgeflecht von Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionären (sog. interne Corporate Governance) sowie dem Zusammenspiel mit dem Abschlussprüfer. 2 Der von Habersack in seinem Gutachten gewählte Zuschnitt auf börsennotierte Gesellschaften greift europäische Entwicklungen auf 3 und entspricht der internationalen Diskussion 4.Neben staatlichen Eingriffen werden auch halbstaatliche Regelungen, wie etwa der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK), Gegenstand der Diskussion sein. Corporate Governance steht kontinuierlich im Fokus von Wissenschaft und Praxis. Rechtliche Vorgaben und Empfehlungen kommen von verschiedenen Ebenen. 5 So hat die Europäische Kommission zuletzt gleich drei Grünbücher zu Bereichen der Corporate Governance veröffentlicht, zu denen sie demnächst Regelungen erlassen möchte (Finanzinstitute 6, Abschlussprüfung 7 sowie Europäischer Corporate Governance-Rahmen 8 ). Diese werden dann in der Folge den deutschen Gesetzgeber beschäftigen. Dieser erwägt außerdem, weitere eigene Regelungen zur Corporate Governance zu erlassen. Darüber hinaus hat die Kommission Deutscher Corporate Governance Kodex am 15. Mai 2012 das Ergebnis ihrer letzten Überarbeitung des DCGK veröffentlicht. Die Vielzahl der gegenwärtig diskutierten Regelungen und ihre zum Teil ganz erheblichen Auswirkungen auf deutsche Unternehmen lassen es angezeigt erscheinen, dass sich der Juristentag dieses Themas annimmt und zu den vielen aufgeworfenen Fragen Stellung bezieht. Als Grundlage dafür dienen das von Habersack vorgelegte Gutachten, die Referate von Hemeling, Leyens und Weber-Rey sowie die anschließende von J. Vetter und Hopt geleitete Diskussion. II. Corporate Governance Im Wesentlichen lassen sich die zu diskutierenden Fragen in vier große Themenkomplexe gliedern: Grundsatzfragen (1.), DCGK (2.) sowie aktienrechtliche Regelungen in Bezug auf den Aufsichtsrat (3.) und die Aktionäre (4.). 1. Grundsatzfragen In einem ersten Abschnitt wird es um grundsätzliche Fragen der Corporate Governance gehen. Hierzu gehören die Legitimation, die Regelungskompetenz, die Regelungszuständigkeit, der Anwendungsbereich und die Zielsetzung staatlicher und halbstaatlicher Regelungen. 9 Dabei geht es auch um die Indienstnahme von Unternehmen für gesellschaftspolitische Ziele. Beispiel hierfür ist die momentan auf EU- 10 und nationaler Ebene diskutierte Frauenquote, sei es in Form der Flexiquote 11 oder einer fixen Quote. 12 Habersack gibt hierzu in seinem Gutachten unter anderem zu bedenken, dass bereits die Mitbestimmung und das Erfordernis nach 100 Abs. 5 AktG, einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat zu haben, den Einfluss der Aktionäre auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ohnehin schon stark relativiert. 13 Auch kritisiert er den fehlenden Coporate Governance Bezug einer bindenden gesetzlichen Quote, denn eine Orientierung am Nutzen der Gesellschaft und ihrer Aktionäre schließe bindende Quoten aus. 14 Unabhängig von diesen Erwägungen 1 Cadbury, Report of the Committee on the Financial Aspects of Corporate Governance, London, December 1992, para 2.5; Präambel des DCGK; zum Begriff Corporate Governance Hopt, in: Hommelhoff/Hopt/v.Werder, Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 39, 41 f.; ders., ZHR 175 (2011), 444, 448; von Werder, in: Hommelhoff/Hopt/v.Werder, Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 3, 4 ff. 2 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 11, E Dazu Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 18 f. 4 Siehe z. B. Hopt, ZHR 175 (2011), 444 ff., insb. 453 f. m.w.n.; Leyens, JZ 2007, 1061 f. 5 Zu den Regelungsebenen z. B. Hommelhoff/Schwab, in: Hommelhoff/Hopt/v.Werder, Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 71; Fleischer, ZGR 2012, Europäische Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, , KOM (2010) 284 endg. Zur Corporate Governance von Banken Hopt/Wohlmanstetter (Hrsg.), Hdb. Corporate Governance von Banken, 2011; Hopt, FS Nobbe, 2009, S Europäische Kommission, Grünbuch Weiteres Vorgehen im Bereich der Abschlussprüfung: Lehren aus der Krise, , KOM (2010) 561/endg. 8 Europäische Kommission, Grünbuch Europäischer Corporate Governance-Rahmen, , KOM (2011) 164 endg. Dazu Bachmann, WM 2011, Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Siehe etwa Europäische Kommission (Fn. 8), S. 7 f. 11 Bei der Flexiquote sollen sich die von der Regelung betroffenen Unternehmen ( ab einer gewissen Größe ) jeweils selbst Frauenquoten setzen, diese veröffentlichen und dann zu erreichen suchen. Dazu Langenbucher, JZ 2011, Zur Frauenquote z. B. Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 34 ff.; Bachmann, ZIP 2011, 1131; Hirte, Der Konzern 2011, 519; Langenbucher, JZ 2011, 1038; Peltzer, NZG 2011, 281, 283 f.; Spindler/Brandt, NZG2011,401;Weber-Rey, ZRP 2011, 127. Allgemeiner zur Vielfalt im Aufsichtsrat Langenbucher, ZGR 2012, 314; Weber-Rey/Handt, NZG 2011, 1. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die bereits existierenden Kodexregelungen in Ziff , und Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 37; Ausführlich: Hirte, Der Konzern 2011, 519, 523 ff. 14 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 38; hierbei Mülbert, ZHR 174 (2010), 375, 382 folgend. 704 AnwBl / 2012 Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung, Kumpan

47 69. Deutscher Juristentag und der Frage, ob und wieweit private Unternehmen gesellschaftspolitisch eingespannt werden sollten und ob eine gesetzliche Quote mit den Grundrechten der Gesellschaft und der Gesellschafter sowie der männlichen Kandidaten vereinbar ist, ist jedenfalls das Aktiengesetz beziehungsweise der Kodex nicht der richtige Ort für solche gesellschaftspolitischen Regelungen. Solche Regelungen, die keinen wirklichen Bezug zur Corporate Governance haben, sollten vielmehr in einem gesonderten Gesetz geregelt werden, das unabhängig von der Corporate Governance ist. 2. Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) Ein zweites großes Themenfeld ist der von der Regierungskommission Corporate Governance erstellte und weitergeführte und daher als halbstaatlich einzuordnende DCGK verbunden mit der in 161 AktG geregelten Entsprechenserklärung. Der DCGK enthält Empfehlungen, die Best Practice-Grundsätze enthalten. 15 Da die Empfehlungen allerdings nicht auf die individuelle Situation jeder einzelnen Gesellschaft zugeschnitten sein können, dürfen die Gesellschaften davon abweichen. Solche Abweichungen müssen sie jedoch im Rahmen der Entsprechenserklärung begründen (sog. Comply-or-Explain). Diese Offenlegungs- und Begründungspflicht soll den Kapitalmarkt in die Lage versetzen, die Gleichwertigkeit solcher Abweichungen zu bewerten 16. a) Weiterentwicklung des DCGK Der DCGK und der Ansatz des Comply-or-Explain im Rahmen der Entsprechenserklärung haben sich grundsätzlich bewährt. Doch gibt es noch immer Kritikpunkte. 17 Eine Reihe davon hat die Regierungskommission Corporate Governance bereits aufgegriffen. So hat sie etwa ein Konsultationsverfahren eingeführt, bei dem sie ihre Vorschläge zunächst auf ihrer Website veröffentlicht und der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Diskussion gibt. Auch wird um dem beklagten Fehlen einer Abweichungskultur entgegenzuwirken nun in der Präambel des Kodex betont, dass eine gut begründete Abweichung von einer Kodexempfehlung im Interesse einer guten Unternehmensführung liegen kann. 18 Darüber hinausgehende Forderungen in der Literatur, die auf eine gesetzliche Legitimation der Kommission abzielen, 19 können jedoch nur vom Gesetzgeber aufgenommen werden. Von der Kommission bisher nicht aufgegriffen worden ist die Überlegung, den DCGK deutlich zu verschlanken, insbesondere den Umfang zu verringern, und einzelne Vorgaben flexibler zu gestalten. In diesem Zusammenhang schlägt Habersack vor, dass lediglich beschreibende Widergaben gesetzlicher Regelungen gestrichen werden sollten. 20 Damit würde nicht nur der DCGK übersichtlicher, sondern auch die verbreitete Kritik aufgenommen werden, dass gesetzliche Regelungen im DCGK teilweise missverständlich oder sogar fehlerhaft wiedergegeben werden. 21 Zudem erwägt Habersack, einige Empfehlungen, wie diejenigen im Zusammenhang mit der Vorstandsvergütung, 22 und bloße Anregungen aus dem Code zu streichen. 23 Zudem könnten Gesellschaften mit kleinem Aufsichtsrat entlastet werden. 24 Neben Streichungen schlägt Habersack aber auch Ergänzungen vor, wie etwa die Berücksichtigung der SE, 25 was dann allerdings auch die Aufnahme von Vorgaben für das einstufige Verwaltungsmodell erfordern würde. b) Kodex-Vorgaben für den Aufsichtsrat Qualifikation und Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder sind wesentliche Elemente der Professionalisierung des Aufsichtsrats. 26 Die Beurteilung, ob ein Mitglied unabhängig ist oder nicht sollte dabei weiterhin beim Aufsichtsrat liegen. Den Gedanken des Comply-or-Explain aufgreifend könnte aber erwogen werden, den Aufsichtsrat zu verpflichten, seine Einschätzung offenzulegen und möglicherweise sogar begründen zu lassen 27. Mit Blick auf das Konzernrecht heftig diskutiert wurde die Regelung in Ziff der Kommissionsempfehlung die im Rahmen der Auslegung von 100 Abs. 5 AktG (unabhängiger Finanzexperte) heranzuziehen ist 28, wonach u.a. die Eigenschaft als Mehrheitsaktionär die Unabhängigkeit ausschließt. 29 Dies führe dazu, dass in mitbestimmten Unternehmen die Konzernleitungsgesellschaft nicht mehr die Mehrheit der Stimmen im Aufsichtsrat hätte und das austarierte Verhältnis von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat ausgehebelt werden würde. 30 Zudem werde im Rahmen des Konzernrechts der Minderheitenschutz, der (auch) Sinn und Zweck des Unabhängigkeitserfordernisses von Aufsichtsräten ist, durch besondere konzernrechtliche Regelungen sichergestellt. 31 Andererseits, so Habersack, entspricht die Einordnung des Vertreters des Mehrheitsaktionärs als nicht unabhängig den Anforderungen, wie sie nun in 6 Abs. 2a InvG für Investmentgesellschaften vorgesehen sind, sowie dem Schutzzweck von Art. 41 Abs. 1 Satz 3 der Abschlussprüferrichtlinie. 32 Als Mittelweg zwischen einem strengen Unabhängigkeitserfordernis in Tochtergesellschaften und dessen vollständiger Ablehnung schlägt Habersack vor, dass dem Aufsichtsrat einer abhängigen Gesellschaft eine angemessene Anzahl von nicht dem Lager des herrschenden 15 RegE, BT-Drs. 14/8769, S. 21; vgl. auch Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rn. 7; Zur normgleichen Wirkung Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173 f.; Tröger, ZHR 175 (2011), 746, 758 ff. zur Qualifizierung von Empfehlungen Weber-Rey/Buckel, AG 2011, RegE, BT-Drs. 14/8769, S. 21. Empirische Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Einerseits ernüchternd Nowak/Rott/Mahr, ZGR 2005, 252, 273 ff.; andererseits positiv Jahn/Rapp/Strenger/Wolff, ZCG 2011, Siehe Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2012, 335; Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173 ff.; ders., FS Hüffer, 2010, S. 337, 345 ff.; Kremer, ZIP 2011, 1177, 1179 f.; Krieger, ZGR 2012, 202, 209 ff.; Spindler, NZG2011,1007ff.;Waclawik, ZIP 2011, 885, Deutscher Corporate Governance Kodex, Fassung vom , Präambel. Skeptisch Krieger, ZGR 2012, 202, 215 f. 19 Zum Für und Wider ausführlich Ringleb, in: Ringleb/Kremer/Lutter/v.Werder, DCGK, 4. Aufl. 2010, Vorbem. Rdnr. 51 ff. m.w.n. Zur Verfassungsmäßigkeit des DCGK jüngst Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012), 286, 312 ff. 20 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Siehe nur Hoffmann-Becking, ZIP2011,1173, Dazu und zu weiteren Vorschlägen Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 59. Zur Berücksichtigung der SE GroßkommAktG/Leyens, 161 Rdnr. 128 ff. Zur Corporate Governance der SE Hemeling in: Hommelhoff/Hopt/v.Werder, Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S Zur Unabhängigkeit des Aufsichtsrats insb. Nowak, Die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds nach 100 Abs. 5 AktG, 2010; Roth, ZHR 175 (2011), 605; zur Professionalisierung des Aufsichtsrats etwa Lutter, DB 2009, 775; außerdem bereits ders., ZHR 159 (1995), 287, 307 ff. 27 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E RegE, BT-Drs. 16/10067, S. 102 f. Dazu Habersack, FS Goette, 2011, S. 121, 126 f. 29 Siehe etwa einerseits (Notwendigkeit eines nicht dem Lager des herrschenden Unternehmens zuzurechnenden Aufsichtsratsmitglieds) Spindler, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, 100 Rdnr. 44; Habersack, FS Goette, 2011, S. 121, 127 f.; ders, AG 2008, 98, 105 f.; Nowak (Fn. 26), S. 171 ff.; andererseits K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 2. Aufl. 2010, 100 Rdnr. 50; Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 227 ff.; Diekmann/Bidmon, NZG 2009, 1087, Vgl. Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, Bürgers/Schilha, AG 2010, 221, 227; Hüffer, ZIP 2006, 637, 642 mit Fn. 40 (mit Verweis auf 100 Abs. 2 Satz 2, 311 AktG); Lieder, NZG 2005, 569, Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 74. Siehe auch Nowak (Fn. 26), S. 100 ff. Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung, Kumpan AnwBl /

48 69. Deutscher Juristentag Unternehmens zuzurechnenden Anteilseignervertretern angehören soll. Damit würde lediglich die Verteilung der Befugnisse unter den Anteilseignern geregelt, nicht aber externe Interessen in den Aufsichtsrat eingeführt. 33 c) Umgang mit fehlerhaften Entsprechenserklärungen Eine fehlerhafte Entsprechenserklärung ( 161 AktG) stellt der Rechtsprechung des BGH zufolge einen Verstoß gegen die gesetzliche Erklärungspflicht dar und rechtfertigt daher die Anfechtung etwa von Entlastungsbeschlüssen. 34 Diese Rechtsprechung hat zum Teil erhebliche Kritik hervorgerufen. 35 Gefordert wird eine gesetzliche Regelung zum Ausschluss der Anfechtung wie in 120 Abs. 4 Satz 3 AktG oder 30g WpHG. 36 Habersack gibt jedoch zu bedenken, dass in diesem Fall die Entsprechenserklärung auf andere Weise kontrolliert werden können müsste. 37 Alternativen, wie eine Kontrolle durch die Börse, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) oder Abschlussprüfer, seien aber abzulehnen: 38 Der Entzug der Börsenzulassung (bei einer Kontrolle durch die Börse) sei in diesem Zusammenhang unverhältnismäßig. 39 Eine Verstaatlichung der Kontrolle (etwa deren Übertragung auf die BaFin oder die Einstufung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Entsprechenserklärung als Ordnungswidrigkeit) sei keine erstrebenswerte Alternative. 40 Und eine Einschränkung oder Versagung des Testats durch den Abschlussprüfer wegen einer fehlenden Entsprechenserklärung sei mit Art. 46a Abs. 2 Satz 3 der Richtlinie 2006/46/EG nicht zu vereinbaren. 41 Während den Argumenten hinsichtlich einer Übertragung der Kontrolle auf die BaFin und die Abschlussprüfer zuzustimmen ist, ließe sich für die Übertragung der Kontrolle auf die Börse ins Feld führen, dass diese auch andere (mildere) Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung hat als nur den Entzug der Börsenzulassung. So könnten etwa fehlerhafte Entsprechensklärungen mit der Entfernung aus einem Marktsegment (zum Beispiel Prime Standard) oder einem Index (zum Beispiel DAX, TecDAX) geahndet werden. Dass eine solche Sanktion für Unternehmen durchaus unangenehm sein kann, zeigt der Streit der Porsche AG mit der Deutschen Börse AG um die Aufnahme in den Prime Standard, den die Börse verweigerte, weil sich die Porsche AG ihrerseits weigerte, Quartalsberichte zu veröffentlichen. Zudem würde die Übertragung der Kontrolle auf die Börse mit der kapitalmarktbezogenen Ausrichtung der Entsprechenserklärung 42 im Einklang stehen. 3. Aktienrechtliche Corporate Governance Regelungen für den Aufsichtsrat a) Cooling-off Periode für Vorstände Die vom Gesetzgeber in das Aktiengesetz überführte Regelung einer Cooling-off Periode für Vorstandsmitglieder, die in den Aufsichtsrat wechseln ( 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG), zeigt die Schwierigkeit bei der Abwägung zwischen Unabhängigkeit und Sachkunde. Auf der einen Seite steht das Bedürfnis nach einer unbefangenen und allein am Unternehmensinteresse ausgerichteten Beratung und Überwachung des Vorstands. So bestünde etwa die Gefahr, dass in der Vergangenheit getroffene Fehlentscheidungen des Vorstands nicht so leicht bzw. gar nicht aufgespürt werden, wenn frühere Vorstandsmitglieder den Aufsichtsrat beherrschen. 43 Auf der anderen Seite steht der Wunsch nach besonderer Sachkunde der beratenden und überwachenden Aufsichtsratsmitglieder. Über diese verfügen gerade ehemalige Vorstandsmitglieder in besonderem Maße, nicht zuletzt weil sie mit ihrem Unternehmen besonders gut vertraut sind. 44 Ob eine Cooling-off Periode und damit die Bevorzugung der Unabhängigkeit in diesem Zusammenhang die bestmögliche Lösung ist, erscheint zweifelhaft. Sogar in den USA, wo die Unabhängigkeit von Verwaltungsratsmitgliedern (board directors) besonders hochgehalten wird, ist man diesbezüglich mittlerweile etwas ernüchtert. 45 Sachgerechter erscheint es, ähnlich wie in England, stärker auf eine aufgabenspezifische Unabhängigkeit zu setzen. 46 Danach könnten Vorstandsmitglieder durchaus in den Aufsichtsrat gewählt werden und könnte so ihre Sachkunde für das Unternehmen erhalten bleiben. Sie dürften jedoch nicht zum Aufsichtsratsvorsitzenden und nicht in Ausschüsse, insbesondere den Prüfungsausschuss, gewählt werden, bei denen die Gefahr besteht, dass sie einem Interessenkonflikt erliegen könnten. b) Bestellungshindernisse für Aufsichtsratsmitglieder Abgesehen von den Bestellungsvoraussetzungen nach 100 Abs. 1 AktG, den Bestellungshindernissen in 100 Abs. 2 AktG, 105 AktG und spezialgesetzlichen Regelungen 47 bestehen nach dem AktG keine besonderen Voraussetzungen für die Übernahme eines Aufsichtsratsmandats. Der Bedeutung des Aufsichtsrats, insbesondere seiner beratenden Funktion und seiner Einbeziehung in unternehmensstrategische Planungen, wird dies nicht gerecht; zudem ist zu bedenken, dass auch für die Mitglieder des Verwaltungsrates in der monistisch verfassten SE die den Vorstand betreffenden Bestellungshindernisse gelten. 48 Habersack schlägt daher vor, die Bestellungshindernisse für Vorstandsmitglieder, wie etwa gerichtliche oder behördliche Tätigkeitsverbote oder strafrechtliche Verurteilungen ( 76 Abs. 3 Satz 2 und 3 AktG), auf Aufsichtsratsmitglieder zu übertragen. 49 Systemimmanent ist dieser Vorschlag sinnvoll. Allerdings stellt sich die Frage, ob der vom deutschen Gesetzgeber gewählte Ansatz per se überzeugt. Zum einen machen die Strafgerichte von der Maßregel des 70 StGB (Berufs- bzw. Gewerbeverbot) kaum Gebrauch und werden die Verwaltungsbehörden insbesondere durch 12 GewO behindert Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E BGHZ 180, 9 Tz. 19 ff.; 182, 272 Tz. 16 ff.; dazu GroßkommAktG/Leyens, 161 Rn. 468 ff.; K. Schmidt-Lutter/Spindler, AktG 161, Rn. 64; Goette, FSHüffer, 2010, S. 225, 231 ff. Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 64 f.; Mülbert/Wilhelm, ZHR 176 (2012), 286, 289 ff.; Spindler, NZG 2011, 1007, 1010 f. 35 Zum Beispiel Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173, 1175; Krieger, ZGR 2012, 202, 221 ff.; Timm, ZIP 2010, 2125, 2128 f.; Tröger, ZHR 175 (2011), 746, 775 ff.; Waclawik, ZIP 2011, 885, Zum Beispiel Krieger, ZGR 2012, 202, 227; Leuering, DStR 2010, 2255, 2257 f.; Waclawik, ZIP 2011, 885, Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Dazu Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 63 f. 39 Baums (Fn. 15), Rn Siehe etwa RechtsA, BT-Drs. 17/6506, S. 7; Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 63; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2011, 936, 942; Krieger, ZGR 2012, 202, 219; a.a. Bachmann, WM 2011, 1301, 1308 (öffentl. Stelle). 41 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Siehe RegE, BT-Drs. 14/8769, S Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Peltzer, NZG 2011, 281, Vgl. nur Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 485 f. m.w.n. 46 Im Einzelnen mit Rechtsvergleichung Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 291 ff., 324; ders., in Allmendinger/Steffek, Corporate Governance nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, S. 3, 14 f. 47 Dazu etwa GroßkommAktG/Hopt/Roth, 4. Aufl. 2006, 100 Rn. 66 ff. 48 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S AnwBl / 2012 Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung, Kumpan

49 69. Deutscher Juristentag Zum anderen könnten die in 76 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AktG genannten Bestellungshindernisse gezielter auf die Führung einer Kapitalgesellschaft zugeschnitten sein. Um dem anzuhelfen könnte man einen dem englischen Recht vergleichbaren Ansatz erwägen. 51 Im englischen Companies Directors Disqualification Act von 1986 wird eine Reihe von Tatbeständen aufgeführt, die zu einer Disqualifizierung als Direktor einer Kapitalgesellschaft führen und die über die Bestellungshindernisse nach deutschem Recht hinausgehen. Dazu gehört etwa als wichtigste Fallgruppe die unfitness wer Director einer insolventen Kapitalgesellschaft ist oder war und sich als Director als ungeeignet zur Leitung einer Kapitalgesellschaft erwiesen hat, wird disqualifiziert. 52 Aufgrund des umfassenderen Ansatzes aber auch wegen der effektiveren Umsetzung des materiellen Rechts schützt das englische Recht Aktionäre und Gläubiger sowohl normativ als auch in der Rechtspraxis besser als die Bestellungshindernisse nach 76 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AktG. 53 c) Anzahl der Aufsichtsratsmandate Als weitere Verschärfung schlägt Habersack vor, die Anzahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Aufsichtsratsmandate auf sechs herabzusetzen, wobei der Aufsichtsratsvorsitz und der Vorsitz im Prüfungsausschuss doppelt gezählt werden sollen. 54 Die zunehmenden Aufgaben für Aufsichtsräte 55 und das damit einhergehende erhöhte Haftungsrisiko sprechen auch im Interesse der Aufsichtsratsmitglieder selbst für eine Begrenzung der gleichzeitig wahrgenommenen Mandate. Zu überlegen ist allerdings, ob die absolute Festlegung einer für alle Aufsichtsratsmitglieder gleichen Höchstzahl an Mandaten die beste Lösung ist. Denn sie nimmt keine Rücksicht darauf, dass die individuelle Situation der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder naturgemäß unterschiedlich ist. Wer etwa zugleich noch ein Vorstandsmandat in einer anderen Gesellschaft ausübt, wird weniger Zeit zur Verfügung haben und daher auch weniger Mandate übernehmen können als ein Nur -Aufsichtsrat. Andere Gesichtspunkte kommen hinzu. Erwogen werden könnte, lediglich im DCGK eine Mandatshöchstzahl sowie damit im Zusammenhang stehende Evaluierungspflichten des Aufsichtsrats vorzusehen: Dem Aufsichtsrat als Gremium wäre damit die Aufgabe überlassen, im Rahmen seiner Selbstevaluation einzuschätzen, ob seine Mitglieder ausreichend Zeit für ihre Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied aufwenden. Weicht der Aufsichtsrat aufgrund seiner Einschätzung von der Vorgabe im DCGK ab, müsste er dies öffentlich machen und begründen. Dadurch könnte die individuelle Situation der einzelnen Mitglieder stärker berücksichtigt werden. Zugleich erhielte der Kapitalmarkt die Möglichkeit, die Einschätzung des Aufsichtsrats zu bewerten. 4. Aktienrechtliche Corporate Governance Regelungen für Aktionäre a) Passivität und Kurzfristorientierung von Aktionären Neben dem Aufsichtsrat steht es auch Aktionären zu, die Unternehmensleitung zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang sind insbesondere institutionelle Anleger in den Fokus geraten, vor allem wegen des bei ihnen aber auch bei Kleinaktionären verbreiteten Desinteresses beziehungsweise der rationalen Apathie, die Corporate Governance ihrer Unternehmen zu beeinflussen, und ihrer Neigung, bei Unzufriedenheit lieber das jeweilige Investment zu beenden. 56 Da dies als unbefriedigend angesehen wird, wird ihnen eine aktivere Einflussnahme auf ihre Portfoliounternehmen nahegelegt. 57 Dies stößt jedoch im deutschen Recht an Grenzen. Denn eine aktivere Einflussnahme könnte dazu führen, dass die jeweiligen (institutionellen) Aktionäre Informationen bevorzugt erhalten, was jedenfalls wenn dies generell geschieht mit den Gleichbehandlungsgeboten nach 53 a, 131 Abs. 4 AktG nicht vereinbar wäre. 58 Hinzukommt, dass eine aktivere Einflussnahme meist nur bei Bündelung der Kräfte mehrerer Anleger erfolgreich ist. Dann aber kämen diese Anleger schnell in den Bereich des übernahmerechtlichen acting in concert und müssten unter Umständen ein Pflichtangebot abgeben. 59 Änderungen bei der internen Corporate Governance können also schnell zu Regelungsbedarf in anderen Bereichen führen. 60 Zudem darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass jeder Anleger ein Recht auf Passivität hat 61 und Passivität in bestimmten Fällen ökonomisch geboten sein kann 62. Im geradezu diametralen Gegensatz dazu stehen Vorwürfe, dass einige institutionelle Anleger zu aktiv Einfluss nehmen, um ihre lediglich kurzfristigen Interessen durchzusetzen. 63 Um einer solchen Kurzfristorientierung entgegenzuwirken, werden verschiedene Anreize erwogen. Vorgeschlagen wird etwa ein Dividendenaufschlag oder ein erweitertes Stimmrecht für Anleger, die ihre Aktien länger halten 64 ähnlich etwa dem französischen Treuestimmrecht. 65 Gegen ein erweitertes Stimmrecht für längerfristige Aktionäre spricht die Gefahr, dass dadurch auch wirtschaftlich sinnvolle Übernahmen erheblich erschwert werden. 66 Denn der Anteilserwerb führt nicht zu einer dem Anteil entsprechenden Anzahl an Stimmrechten. Dies würde möglicherweise die Fähigkeit des Marktes, das Management zu disziplinieren (Markt für Unternehmenskontrolle), beeinträchtigen. 67 b) Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen Organwalter Während eine direkte Einflussnahme auf Vorstand und Aufsichtsrat großen Aktionären vorbehalten bleibt, können (Schadensersatz-)Ansprüche der Gesellschaft gegen die 51 Dazu ausführlich Steffek (Fn. 48), S. 591 ff.; zu den Vorteilen Steffek, ZRP, 2007, 228, 230; krit. zum englischen Ansatz Williams, 7 JCLS 213 (2007). 52 Andere Tatbestände sind indictable offence, persistent breaches of companies legislation, fraud, wrongful trading und undischarged bankrupts. DazuSteffek (Fn. 48), S. 594 f. 53 Steffek (Fn. 48), S. 723 f. 54 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 83. Gegenwärtig vorgeschrieben ist eine Obergrenze von zehn Aufsichtsratsmandaten, 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, 3 AktG. Vgl. dazu Ziff Abs. 1 Satz 2 DCGK. 55 Siehe dazu Lutter, DB 2009, 775; zu den Aufgaben des Aufsichtsrats bereits ders., ZHR 159 (1995), 287, 289 ff. 56 Siehe etwa Europäische Kommission (Fn. 8), S. 12 ff. 57 Siehe dazu etwa Principles 3 und 4 UK Stewardship Code. Zum Stewardship Code Fleischer, ZGR 2011, 155, 163 ff. 58 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 88. Dazu u.a. auch Fleischer, ZGR 2009, 505, 520 ff.; Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, 227. Zu weiteren abzusehenden Problemen Wilsing, ZGR 2012, 291, 298 ff. 59 Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, Allgemein zu Interdependenzen Leyens, JZ 2007, Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 89; Hommelhoff, GSWinter,2011, S. 255, 257 f. 62 Bachmann, WM 2011, 1301, 1305; Wilsing, ZGR 2012, 291, 297 f. 63 Zu der widersprüchlichen Bewertung der Rolle der (insbesondere institutionellen) Aktionäre Mülbert, ZHR 174 (2010), 375, RechtsA, BT-Drs. 17/6506, S. 6. Report of the Reflection Group on the Future of EU Company Law, 2011, S. 46 f. 65 Art. L alinéa 1 Code de Commerce. 66 Mülbert, ZHR 174 (2010), 375, 379 f.; skeptisch auch Leyens, JZ 2007, 1061, Zu ähnlichen Interdependenzen im Zusammenhang mit sog. irrevocable undertakings Leyens, JZ 2007, 1061, Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung, Kumpan AnwBl /

50 69. Deutscher Juristentag Organwalter auch von Minderheitsaktionären geltend gemacht werden. Allerdings ist dieses Verfolgungsrecht in 148 AktG so ausgestaltet, dass Organwalter eine Inanspruchnahme kaum fürchten müssen. 68 Das liegt unter anderem an (1) dem erforderlichen Quorum (mind. 1 Prozent des Grundkapitals oder nominell Euro), (2) den inhaltlichen Anforderungen, (3) der in 148 Abs. 3 AktG vorgesehenen Möglichkeit der Gesellschaft, ein anhängiges Verfahren zu übernehmen, und (4) der Kostenregelung nach 148 Abs. 6 Satz 1 AktG. 69 Vor dem Hintergrund des Klagerechts für einzelne Aktionäre im Rahmen des Konzernrechts, 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4 AktG, von dem bisher kaum Gebrauch gemacht worden ist, dürfte der Gesetzgeber die Gefahr eines Missbrauchs des Klagerechts nach 148 Abs. 1 AktG seinerzeit 70 überschätzt haben. 71 Um das praktisch unbedeutende Verfolgungsrecht nach 148 AktG effektiver auszugestalten und ihm so mehr Bedeutung zukommen zu lassen, schlägt Habersack vor, für Klagen nach 148 Abs. 1 Satz 1 AktG auf das Quorum zu verzichten und jedem Aktionär die Möglichkeit einzuräumen, den Anspruch zu verfolgen. 72 Zudem solle das Kostenrisiko verringert werden, etwa durch Einführung einer Streitwertspaltung entsprechend 247 Abs. 2 AktG. 73 Um Sorgen der Unternehmen hinsichtlich räuberischer Aktionärsklagen entgegenzukommen, könnte erwogen werden, bei Aktionärsklagen ein gerichtliches Vorverfahren, ähnlich wie in England, 74 vorzusehen, in dem der Richter über die Zulassung der Klage entscheidet. In England wird in diesem Vorverfahren lediglich geprüft, ob der geltend gemachte Anspruch für einen derivative suit tauglich und ob das Vorgetragene schlüssig ist und prima facie die Anspruchsverfolgung durch den Kläger begründen kann. 75 vgl. sec 261(2). Der damit einhergehende Entscheidungsspielraum des Richters lässt sich damit rechtfertigen, dass im konkreten Fall oft schnell deutlich wird, ob jemand ein berechtigtes Anliegen hat, es hingegen schwierig ist, eine exakte, alle denkbaren Fälle umfassende Regelung zu formulieren. 68 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 92 f. 69 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 93 m.w.n.; Lutter, FS Schneider, 2011, S. 763, 764 ff.; Peltzer, FS Schneider, 2011, S. 953, 956 ff.; Schmolke, ZGR2011, 398, 402 ff. 70 RegE, BT-Drs. 15/5092, S Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E Siehe s 261 Companies Act Dazu Doralt, Managerpflichten in der englischen Limited, Companies Act, Kommentar, 2011, sec 261 Rdnr. 1 (S. 184 ff.). 75 Doralt, Managerpflichten (Fn.74), sec. 261 Rdnr Dazu etwa ; Hirt, ZGR 2012, 280; Wilsing, ZGR 2012, Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 91; siehe auch Europäische Kommission (Fn. 6), S. 18; Europäische Kommission (Fn. 8), S. 13; skeptisch Bachmann, WM 2011, 1301, Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 91. Bereits zuvor Europäische Kommission (Fn. 8), S. 13; Fleischer/Strothotte, AG 2011, 221, 231 m.w.n. 79 Zu Stimmrechtsberatern etwa Fleischer, ZGR2011,155,169ff.;Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88; Wilsing, ZGR 2012, 291, 294 ff., 302 ff. 80 Dazu und zu weiteren Kritikpunkten Fleischer, ZGR 2011, 155, 171 f.; ders., AG 2012, 4 f.; U.H. Schneider/Anzinger, NZG 2007, 88, 92 ff.; Wilsing, ZGR 2012, 291, 294 ff. Zum tatsächlichen Einfluss Choi/Fisch/Kahan, 59 Emory L. J. 869 (2010). 81 Habersack, Gutachten E, 69. DJT 2012, E 98; siehe auch Fleischer, ZGR 2011, 155, 172 f.; ders., AG 2012, 2, 8; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2011, 936, 940. Zu Regelungsmöglichkeiten auch Bachmann, WM 2011, 1301, Angeknüpft werden könnte an 135 Abs. 2 und 6 AktG (Stimmrechtsvertreter). c) Institutionelle Anleger und Stimmrechtsberater Immer bedeutsamer für den Kapitalmarkt und die einzelnen Unternehmen und deren Corporate Governance werden institutionelle Anleger und in ihrem Gefolge die Stimmrechtsberater. 76 Für beide wird als erster Schritt eine Transparenzregelung vorgeschlagen: Danach sollen institutionelle Anleger zur Offenlegung ihrer Abstimmungspolitik und gegebenenfalls auch ihres konkreten Abstimmungsverhaltens angehalten werden. 77 Das soll den hinter den institutionellen Investoren stehenden Fondsanlegern helfen zu entscheiden, wem sie ihr Kapital anvertrauen, und Interessenkonflikte bei den institutionellen Anlegern verringern sowie einen gewissen Druck auf die institutionellen Anleger ausüben, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. 78 Während institutionelle Anleger allerdings als Aktionäre mit entsprechenden Rechten und Pflichten in die Unternehmensorganisation integriert sind, werden Stimmrechtsberater davon nicht erfasst. 79 Viele institutionelle Anleger greifen auf die Dienstleistungen der Stimmrechtsberater zurück, um den Aufwand zu verringern, den ihre Unternehmensbeteiligungen mit sich bringen. So erhalten sie etwa von Stimmrechtsberatern Abstimmungsvorschläge für die Hauptversammlungen. Auf diese Weise können diese, insbesondere wenn institutionelle Anleger ihre Vorschläge nahezu unbesehen übernehmen, großen Einfluss auf die Unternehmen ausüben. 80 Dieser Einfluss, d. h. die tatsächlich bestehende Stimmrechtsmacht, unterliegt weder einer regulatorischen Kontrolle noch bestehen für Stimmrechtsberater zivilrechtliche Verhaltenspflichten. In einem ersten Schritt spricht daher viel dafür, Offenlegungspflichten einzuführen, um den tatsächlichen Einfluss von Stimmrechtsberatern nachvollziehbar zu machen. 81 III. Ausblick auf die Beratung und Beschlüsse Auf dem kommenden Juristentag wird die wirtschaftsrechtliche Abteilung zu diskutieren haben, wie mit der zunehmenden Verrechtlichung der Unternehmensorganisation und -abläufe umzugehen ist. Es wird darum gehen, eine Balance zwischen den notwendigen staatlichen Eingriffen und der unternehmerischen Freiheit und Verantwortung Stichwort Finanzkrise zu finden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die betroffenen Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen und sich daher internationalen Entwicklungen nicht verschließen können, wollen sie weiter am Markt bestehen. Auf diese Internationalisierung muss nicht notwendigerweise mit mehr staatlicher Regulierung geantwortet werden. Andererseits hat die Finanz- und Wirtschaftskrise dazu geführt, dass sich diejenigen, die Marktprozessen skeptisch gegenüberstehen, vermehrt Gehör verschaffen können und der Ruf nach staatlichen Eingriffen vielerorts immer lauter wird. Der Juristentag steht vor der nicht leichten aber darum umso wichtigeren Aufgabe, angemessene Antworten auf die vielfältigen, aktuellen Fragen zu finden und dem Gesetzgeber an die Hand zu geben. Dr.ChristophKumpan,Hamburg Der Autor ist Senior Research Fellow am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 708 AnwBl / 2012 Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung, Kumpan

51 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Der unterbliebene Schritt vom Computer- zum Internetstrafrecht Stand und Perspektiven des Informationsstrafrechts in Deutschland aus anwaltlicher Perspektive Rechtsanwalt Prof. Dr. Marco Gercke, Köln Aus der Spielwiese Internet ist innerhalb kürzester Zeit ein Wirtschaftsfaktor geworden. Eine besondere Konsequenz des Erfolgs: Das Internetstrafrecht wird in der anwaltlichen Praxis wichtiger. Dabei geht es nicht nur um die klassische Strafverteidigung. Im Fokus steht inzwischen die Beratung. Unternehmen wollen heute vorher wissen, wie sie Internetdienstleistungen ohne das Risiko strafrechtlicher Verantwortlichkeit anbieten können. Der Beitrag beleuchtet den derzeitigen Stand der Gesetzgebung und Strafverfolgung, deren Auswirkungen auf die anwaltliche Praxis und Bereiche notwendiger Korrekturen. Über Internetstraftaten und Strafverfolgung im Internet wird der 69. Deutsche Juristentag am 19. und 20. September 2012 in der strafrechtlichen Abteilung diskutieren. 1.1 Die Diskussion um Internetsperrungen So hat die ehemalige Bundesfamilienministerin zunächst die großen Internetprovider in Deutschland zum Abschluss von Verträgen zur freiwilligen Sperrung kinderpornographischer Inhalte gedrängt 3, um dann eine gesetzliche Sperrpflicht voranzutreiben. 4 Nachdem der Bundestag diese beschlossen hatte 5, weigerte sich der Bundespräsident, das Gesetz zu unterzeichnen. 6 Als er dies schließlich doch überraschend ankündigte 7, setzte der Bundesinnenminister durch eine Anweisung 8 an das Bundeskriminalamt, keine Sperrlisten zu erstellen, das Gesetz faktisch außer Kraft, bevor es vom Bundestag endgültig kassiert wurde. Gerade dieser misslungene Prozess verdeutlicht, dass grundlegende Strategien nicht durch politischen Aktionismus ersetzt werden können. 1.2 (Nicht-) Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung Auch die Diskussion um die Umsetzung der EU Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung 9 gibt kein besseres Bild ab. Ebenso wie die Sperrung von Internetseiten berührt die Speicherung von Verkehrsdaten zahlreiche grundlegende Fragen im Hinblick auf die Abwägung des Schutzes von Grundrechten und den Interessen der Strafverfolgung. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 2010 die Umsetzung der EU Richtlinie für verfassungswidrig erklärt hat 10, hat das Bundesjustizministerium bislang keinen neuen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie, die gemäß Art. 15 bis zum 15. September 2007 umzusetzen war, vorgelegt. Berücksichtigt man, dass die Zielvorgaben der Richtlinie für Deutschland wie auch die übrigen 26 Mitgliedstaaten verbindlich 1. Fehlen einer politischen Grundstrategie für das Informationsstrafrecht Das geltende Strafrecht bildet nicht nur die Lebenswirklichkeit im Internetzeitalter und die damit einhergehenden Herausforderungen für die Strafverfolgung nicht ab, sondern entfaltet aufgrund zahlreicher gesetzgeberischer Fehlentscheidungen nur bedingt seine Leitwirkung. Damit fehlt es aus Sicht der Anwaltschaft an bedeutenden Komponenten: Im Bereich des materiellen Strafrechts fehlt bedingt durch den Umstand, dass Normen nicht an geänderte technische Gegebenheiten angepasst wurden, an der erforderlichen Rechtssicherheit im Hinblick auf die Rechtsanwendung. Betrachtet man das Prozessrecht, so fehlt eine Neubewertung der Eingriffsvoraussetzungen zum Schutz der Beschuldigten bei der Durchführung von Ermittlungsverfahren sowie eine klare Regelung der Anforderungen an die Verwertbarkeit von digitalen Beweismitteln sowie Beweisverwertungsverbote. Simplifiziert lässt es sich so zusammenfassen, dass es Deutschland zwar in den 1980er Jahren erfolgreich gelungen ist, mit dem 2. WIKG 1 den Herausforderungen des Computerstrafrechts Rechnung zu tragen, aber in Ermangelung grundlegender politischer Strategien der Schritt vom Computerstrafrecht hin zum Internetstrafrecht bislang nicht vollzogen wurde. Zählte Deutschland bis Mitte der 1990er Jahre insbesondere in Europa zu den Ideengebern im Bereich des Computerstrafrechts 2, führen technische Veränderungen, mit denen die Gesetzgebung nicht Schritt gehalten hat, schmerzhaft vor Augen, dass grundlegende politische und strategische Konzepte fehlen. Aktuelle Entwicklungen verdeutlichen diese Einschätzung: 1 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BGBl I 721; Vgl. zum 2. WiKG Lenckner/Winkelbauer, CR 1986, 483ff.; dies. CR 1986, 654ff.; dies. CR 1986, 824ff.; Haft, DSWR 1986, 255ff.; Achenbach, NJW 1986, 1835ff.; Weber, NStZ 1986, 481ff. Haft, NStZ 1987, 6ff.; Möhrenschlager, wistra1986,123ff.; ders. Wistra 1986, 128ff. Schroth, wistra 1986, 158ff.; Sieber, Informationstechnologie und Strafrechtsreform, Zur Reichweite des zukünftigen Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1985; Gercke in Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009, Rn Zum Ausdruck gekommen ist dies nicht nur durch die führende Rolle, die Experten aus Deutschland bei der Entwicklung der Empfehlungen des Europarates zum Computerstrafrecht spielten, sondern auch durch zahlreiche hochkarätige Konferenzen, die in Deutschland organisiert wurden und Impulse für europäische Initiativen hatten. Vgl. zu den Ergebnissen der Würzburg-Konferenz z. B. Sieber (Hrs.), Information Technology Crime, Vgl. Gercke in Schwarzenegger/Nägeli, Viertes Präventionsforum Illegale und Schädliche Inhalte im Internet und in den neuen Medien, 2012; Höhne, DasGesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten, jurispr-itr 13/2009 sowie die Kleine Anfrage der FDP Fraktion, BT-Drs. 16/ Gesetzentwurf der Bundesregierung: BT-Drs. Entwurf der CDU/CSU und SPD: 16/13125; BT-Drs. 16/ BGBl. I, 2010, S. 78, Vgl. zum Abstimmungsergebnis: parlament/plenargeschehen/abstimmung/ _kinderpornografie.pdf. 6 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wunderlich, Sitte, Alpers und weitere Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 17/313, S. 2; Gercke in Schwarzenegger/Nägeli, Viertes Präventionsforum Illegale und Schädliche Inhalte im Internet und in den neuen Medien, Vgl. Pressemitteilung des Bundespräsidialamtes vom Gercke in Schwarzenegger/Nägeli, Viertes Präventionsforum Illegale und Schädliche Inhalte im Internet und in den neuen Medien, Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG; Einleitend dazu Gercke, ZUM 2006, 286f.; Zur Vorratsspeicherung von Nutzungs- und Verbindungsdaten vgl. Dix, DuD 2003, 234; Heidrich, DuD 2003, 237; Breyer, DuD 2003, BVerfG, Urteil vom , 1 BvR 256/08. Der unterbliebene Schritt vom Computer- zum Internetstrafrecht, Gercke AnwBl /

52 69. Deutscher Juristentag sind und das Verfassungsgericht keineswegs die Vorratsdatenspeicherung als solche, sondern nur die Umsetzung der EU Richtlinie für verfassungswidrig erklärt hat, verwundert das Vorgehen des Justizministeriums und das drohende Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wäre insoweit nur konsequent Lückenhafte Umsetzung der Europaratskonvention Dass es die Bundesrepublik mit der Umsetzung von internationalen Vorgaben nicht so genau nimmt, zeigt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Cybercrime Konvention des Europarates. 12 Nachdem Deutschland die Konvention 2001 feierlich unterzeichnete, dauerte es ganze neun Jahre, bis Deutschland 2010 offiziell über die Ratifikation der Konvention und deren vollständige Implementierung in nationales Recht informierte. 13 Dass nunmehr ein Eckpunktepapier 14 entwickelt wurde und sich die Bundesjustizministerin nunmehr nachdrücklich für die erstmalige Einführung einer als Quick Freeze bezeichneten Berechtigung zur beschleunigten Speicherung von Daten eines Verdächtigen einsetzt, verdeutlicht anschaulich, dass die Vorgaben der Europaratskonvention bislang nicht vollständig umgesetzt wurden. 15 Art. 16, der die Einführung eines solchen Instruments in allen Unterzeichnerstaaten der Konvention vorsieht, wurde bislang von Deutschland nicht umgesetzt. 3. Handlungsbedarf im Bereich des materiellen Strafrechts Der Handlungsbedarf im materiellen Strafrecht ist trotz der erwähnten Gesetzesänderungen in den letzten Jahren umfassend. Exemplarisch soll dies an vier Kernbereichen deutlich gemacht werden: 3.1 Pornographiestrafrecht Das Pornographiestrafrecht ist im Wesentlichen in 184 ff. StGB geregelt. Im Hinblick auf die Herausforderungen des Internets ist das dogmatische Kernproblem des Pornographiestrafrechts der Umstand, dass es maßgeblich auf dem Tatobjekt Schrift aufbaut. 23 Nach deutschem Recht sind nicht Tathandlungen in Bezug auf bestimmte Inhalte ( Kinderpornographie ), sondern in Bezug auf bestimmte Trägermedien ( Schriften ) unter Strafe gestellt. Damit weicht das deutsche Strafrecht fundamental von internationalen Vorgaben ab. Das Fakultativprotokoll zur UN Konvention über die Rechte des Kindes 24, die Europaratskonvention zum 2. Fehlender Sprung von Computerstrafrecht zum Internetstrafrecht Mit der zunehmenden Computerisierung von Arbeitsprozessen und der gestiegenen Bedeutung von Computerdaten und -systemen als Ziel von Angriffen setzte in den 70er Jahren eine intensive Diskussion um die Notwendigkeit einer Anpassung der strafrechtlichen Normen des StGB ein reagierte der Gesetzgeber und schuf im Rahmen des 2. WIKG 17 mit 202 a, 269 a, 303 a und 303 b StGB die Basis des Computerstrafrechts. Die zweite größere Reform erfolgte 1997 durch das IuKDG 18, mit der neben einer Normierung der Verantwortlichkeit von Dienstanbietern im TDG, unter anderem 11 Abs.3 StGB ergänzt wurde. 19 Während die Regelung der Verantwortlichkeit der Dienstanbieter durchaus eine Reaktion auf die zunehmende Bedeutung des Internets darstellt, gilt dies für die Ergänzung der Liste der den Schriften gleichgestellten Darstellungen des 11 Abs. 3 StGB nicht. Um auf die zunehmende Nutzung von Computersystemen zur Verbreitung illegaler Inhalte zu reagieren, hat der Gesetzgeber den klassischen Schriften Datenträger gleichgestellt. Das Internet ist aber mehr geprägt von Datenübertragungen als Interaktionen mit Datenträgern Daten als solche werden den Schriften aber nicht gleichgestellt, was zur Folge hat, dass beispielsweise das heutige Pornographiestrafrecht auf bestimmte Vorgänge im Internet (wie z. B. die Betrachtung kinderpornographischer Schriften im Streaming-Video-Verfahren nicht anwendbar ist). 20 Trotz weiterer Reformen durch das 41. Strafrechtsänderungsgesetz 21 sowie das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung und Kinderpornographie 22 bleibt das Strafrecht in weiten Teilen auf dem Stand des prä-internetzeitalters. 11 Zum drohenden Vertragsverletzungsverfahren: Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom , IP/12/ Cybercrime Konvention des Europarates, Vertragsnummer 185. Vgl. zur Cybercrime Konvention Sannbrucker, Convention on Cybercrime; Gercke, CR 2004, 782; ders. MMR 2004, 728 ff. u. 851 ff.; ders. ZUM 2005, 615 f.; ders. CRi, 2006, 140ff.; ders. CRi 2008, 9f.; Valerius, KR 2004, 513 ff.; Dix, DuD 2001, 589; Breyer, DuD 2001, 594ff. 13 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens über Computerkriminalität, BGBl II Vgl. dazu auch das Eckpunktepapier zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsauskünften im Internet, abrufbar unter: 15 Ausführlich dazu: Gercke, ZUM 2011, Vgl. zu der beginnenden Diskussion: Betzl, DSWR 1972, 317ff.; ders. DSWR 1972, 475ff. Sieben/V. zur Mühlen, DSWR 1972, 397ff.; dies. 1973, 252ff.; Lampe, DSWR, 1974, 242ff. Sieber, DSWR 1974, 245ff. 17 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BGBl I 721; Vgl. zum 2. WiKG Lenckner/Winkelbauer, CR 1986, 483ff.; dies. CR 1986, 654ff.; dies. CR 1986, 824ff.; Haft, DSWR 1986, 255ff.; Achenbach, NJW 1986, 1835ff.; Weber, NStZ 1986, 481ff. Haft, NStZ 1987, 6ff.; Möhrenschlager, wistra1986,123ff.; ders. Wistra 1986, 128ff. Schroth, wistra 1986, 158ff.; Sieber, Informationstechnologie und Strafrechtsreform, Zur Reichweite des zukünftigen Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, 1985; Gercke in Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009, Rn Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (IUKDG), BGBl I 1870; Vgl. zum IuKDG: Bröhl, CR 1997, 73ff.; Engel-Flechsig, ZUM 1997, 231ff.; ders. ZUM 1997, 474ff.; Engel-Flechsig/Maennel/Tettenborn, Neue gesetzliche Rahmenbedingungen für Multimedia, dies. NJW 1997, 2981ff.; Heyl, ZUM 1998, 115ff. ; Kröger/Moos, ZUM 1997, 462ff.; Ladeur, AfP 1997, 598ff.; Roßnagel, NVwZ 1998, 1ff. 19 Vgl. dazu Gercke in Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009, Rn Vgl. ausführlich zu den Defiziten des Pornographiestrafrechts in Deutschland: Gercke, CR 2010, 798ff Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität, BGBl I, 2007, S ; Vgl. dazu Schumann, NStZ 2007, 675ff.; Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 540; dies. MMR 2007, 626ff.; Marberth-Kubicki, ITRB 2008, 17ff.; Vassilaki, CR 2008, 131ff.; Schreibauer, CR 2007, 616ff.; Schulz, DuD 2006, 778ff.; Gercke, ZUM 2008, 282ff.; ders., ZUM 2008, 545ff.; :Ernst, NJW 2007, 2661ff.; Cornelius, CR 2007, 682ff.; Borges/Stuckenberg/Wegener, DuD 2007, 275ff. 22 Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008, BGBl I S Vgl. ausführlich zu den Defiziten des Pornographiestrafrechts in Deutschland: Gercke, CR 2010, 798ff. 24 Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie, AnwBl / 2012 Der unterbliebene Schritt vom Computer- zum Internetstrafrecht, Gercke

53 69. Deutscher Juristentag Schutz der Kinder 25, sowie die EU Richtlinie zur Bekämpfung der Kinderpornographie 26 fordern unisono eine Kriminalisierung von Tathandlungen im Hinblick auf Inhalte und zwar unabhängig von Trägermedien. Die 1997 vorgenommene Erweiterung des 11 Abs. 3 StGB (der den Schriften bestimmte Darstellungen gleichstellt) um den Begriff Datenspeicher ändert daran nichts. Zwar ist seit 1997 nunmehr klargestellt, dass auch Tathandlungen im Hinblick auf Datenspeicher strafbar sind auf viele Fallkonstellationen, in der ohne Austausch von Datenspeichern reine Inhalte (Daten) ausgetauscht werden, finden die 184 ff. StGB aber weiterhin keine Anwendung. Verdeutlichen lässt sich dies anhand eines Vergleichs der Reichweite des Strafrechts außerhalb des Internets und im Internet. Versucht ein Täter außerhalb des Internets einen Bildband (Schrift) mit kinderpornographischen Abbildungen oder eine DVD (Bildträger und Datenspeicher), die einen kinderpornographischen Film enthält, zu verschaffen, macht er sich unzweifelhaft gemäß 184 b Abs. 4 S.1 StGB strafbar. Unternimmt es der Täter hingegen, kinderpornographische Inhalte aus dem Internet zu laden, finden die Normen keine Anwendung. 27 In Ermangelung einer Verkörperung kann nicht auf die Daten während des Übertragungsvorgangs abgestellt werden. Als Anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit kommt mithin nur der Datenspeicher des Anbieters der kinderpornographischen Inhalte (zum Beispiel die Festplatte eines Internetserver) oder der Datenträger des Täters in Betracht, auf dem dieser die Inhalte mit dem Download speichern möchte. Betrachtet man zunächst den Datenspeicher des Anbieters, so scheitert ein Unternehmen der Besitzverschaffung aber an einer Bestrebung des Täters, sich daran Besitz zu verschaffen, da es ihm nicht um die Begründung von Besitz an der Festplatte des Anbieters, sondern der darauf gespeicherten Inhalte geht. Auch auf den Datenträger des Täters, auf dem die Datei durch Einleitung des Download-Vorgangs gespeichert werden soll, kann als Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit gem. 184 b Abs. 4 S.1 StGB nicht abgestellt werden, da sich dieser regelmäßig zum Zeitpunkt der Tat bereits im Besitz des Täters befand. Eine Strafbarkeit gemäß 184 b Abs. 4 S. 1 erfordert aber die Begründung neuen Besitzes. 28 Aus Anwaltssicht unbefriedigend ist an dieser Situation nicht nur der Umstand, dass Deutschland gerade bei einem so sensiblen Thema wie dem Schutz der Kinder, seinen internationalen Verpflichtungen nicht gerecht wird, sondern auch der Umstand, dass dies immer wieder Gerichte veranlasst, die Grenze der Auslegung von Rechtsnormen zu überschreiten. 29 Das wohl bekannteste Beispiel ist die BGH Entscheidung zum Verbreiten von Schriften über das Internet aus dem Jahr Nach Auffassung des BGH liegt Verbreiten im Internet vor, wenn die Datei auf dem Rechner des Internetnutzers sei es im (flüchtigen) Arbeitsspeicher oder auf einem (permanenten) Speichermedium angekommen ist. 31 Mit der Neuausrichtung des Begriffs der Verbreitung versucht der BGH, das oben bereits angesprochene Defizit des Pornographiestrafrechts zu lösen, indem er unkörperliche Datenübertragungsprozesse in den Anwendungsbereich der 184 a ff. StGB einbezieht. Der Versuch scheitert jedoch an der auf Verkörperung ( Schriften ) ausgerichteten Struktur der 184 ff. wie auch des 11 Abs. 3 StGB. 32 Der BGH verkennt, dass das Pornographiestrafrecht am Tatobjekt Schriften und nicht den darin enthaltenen Inhalten anknüpft. 33 Dateien, auf die der BGH in seiner Definition abstellt, sind in Ermangelung einer Verkörperung weder Schriften noch gemäß 11 Abs.3 StGB gleichgestellte Datenspeicher. Eine Änderung dieses Defizits kann nur durch den Gesetzgeber, nicht aber im Wege der Auslegung erfolgen. 3.2 Sexualstrafrecht Auch das Sexualstrafrecht weist heute Bezüge zum Internet auf. Ausweislich der Formatbeschreibung des zu Recht umstrittenen Sendeformats Tatort Internet, verfolgen die Produzenten das Ziel, eine gesetzliche Neubewertung der sexuell motivierten Kontaktaufnahme zu Kindern via Internet zu erreichen. 34 In Erwiderung darauf hat die Bundesjustizministerin darauf hingewiesen, dass eine Neubewertung nicht erforderlich sei, da die sexuell motivierte Kontaktaufnahme zu Kindern via Internet bereits von 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB erfasst werde. 35 Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers mit der Einführung der Tathandlungsvariante 36 eine Kontaktaufnahme über das Internet unter Strafe zu stellen. 37 Allerdings hindert auch hier die Bezugnahme auf den Schriftbegriff eine effektive Anwendung der Norm im Zusammenhang mit Delikten, die einen Internetbezug aufweisen. 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter durch Schriften auf ein Kind eingewirkt hat. Da gemäß 11 Abs. 3 StGB den Schriften Datenspeicher gleichgestellt werden ist, erfasst die Norm unproblematisch den allerdings praktisch unbedeutenden Fall, dass der Täter durch die Übergabe von Datenspeichern auf ein Kind einwirkt. 38 Nimmt der Täter hingegen über ein Chatforum Kontakt zu einem Kind auf, so erfolgt die Einwirkungshandlung im Rahmen der Datenübertragungsvorgängen, aber nicht durch den Datenspeicher, sondern durch die übersendeten Inhalte. 39 Ebenso wie, wie oben dargestellt, eine 25 Übereinkommen des Europarates zu Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch, SEV-Nr. 201; Vgl. dazu Gercke, ZUM 2008, 550f., ders. in Taeger/Wiebe, Von AdWords bis Social Networks Neue Entwicklungen im Informationsrecht, 2008, S. 436f. 26 Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates. 27 Vgl. dazu ausführlich: Gercke, CR 2010, 798ff. 28 BT-Drs. 12/3001, S Zur Entwicklung der Rechtsprechung zum Internetstrafrecht vgl. Gercke, ZUM 2002, 283ff; ders. ZUM 2003, 349ff; ders. ZUM 2004, 443ff; ders. ZUM 2005, 612ff; ders. ZUM 2006, 284ff; ders. ZUM 2007, 282ff; ders. ZUM 2008, 545ff; ders. ZUM 2009, 526ff; ders. ZUM 2010, 633ff; ders. ZUM 2011, 609ff. 30 BGH MMR 2001, BGH MMR 2001, 677; Zustimmend: Hörnle, NJW 2002, 1010; Matzky, ZRP, 2003, Gercke, MMR 2001, 678; Kudlich, JZ 2002, 310ff.; Lindemann/Wachsmuth, JR 2002, Gercke in Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009, S Zum Sendeformat vgl.: Sexuelle Kontaktaufnahme zu Kindern am Tatort Internet, Legal Tribune Online, , abrufbar unter: vielleicht/. 35 Vgl. Ott, Jugendmedienschutz Hilfloser Versuch des Gesetzgebers?, Telepolis, , abrufbar unter: 36 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 BGBl I S Duttge/Hörnle/Renzikowski, NJW 2004, 1067f.; Gercke, ZUM 2005, 614; ders. ZUM 2008, Vgl. dazu ausführlich: Gercke, CR 2010, Gercke in Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009, S. 158f. Der unterbliebene Schritt vom Computer- zum Internetstrafrecht, Gercke AnwBl /

54 69. Deutscher Juristentag Verbreitung von Schriften über das Internet ausgeschlossen ist, sprechen gewichtige Gründe gegen die Möglichkeit einer Einwirkung durch Schriften über das Internet. Abgesehen davon, dass eine Einwirkung durch Schriften in der Praxis kaum vorkommen wird, ist eine Anpassung der Norm auch deshalb erforderlich, weil die Ende 2011 beschlossene EU Richtlinie zur Bekämpfung von Kinderpornographie 40 eine Kriminalisierung von Kontaktaufnahmen durch Informations- und Kommunikationstechnologie erfordert, die derzeit nicht gegeben ist. In diesem Zusammenhang wird der Gesetzgeber sich aber auch eines zweiten, erheblich grundlegenderen Problems annehmen müssen. Sowohl Art. 6 der EU Richtlinie, als auch die bestehende Fassung von 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB stellen eine im deutschen Recht eher seltene Form der Kriminalisierung von Vorbereitungshandlungen dar. Es stellt sich aber die Frage, ob die isolierte Einführung einer Vorfeldkriminalisierung im Hinblick auf sexuell motivierte Kontaktaufnahmen nicht zu unüberbrückbaren Wertungswidersprüchen im Strafrecht führen: So macht sich der Täter strafbar, wenn er durch Schriften auf ein Kind einwirkt, um es zu missbrauchen, während die Einwirkung auf ein Kind zum Zwecke der Begehung eine nicht sexual-bezogene Straftat (z. B. gefährliche Körperverletzung) eine straflose Vorbereitungshandlung ist. 3.3 Urheberstrafrecht Auch im Bereich des Urheberstrafrechts besteht Handlungsbedarf des Gesetzgebers. Als sich nach dem 1. Korb zur Urheberrechtsreform 41 zeigte, dass aufgrund handwerklicher Mängel bei der Neuformulierung der Schrankenregelung des 53 UrhG das Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Werken aus Tauschbörsen im Regelfall von dieser erfasst und damit nicht strafbar war 42, wurde die Diskussion um eine weitere Anpassung zu einem zentralen Punkt des 2. Korbs der Urheberrechtsreform. 43 Vor dem Hintergrund der mit einer weiteren Einschränkung der Schrankenregelung einhergehenden Ausweitung der Strafbarkeit sah der Referentenentwurf zum 2. Korb anders als der vom Bundestag verabschiedete Kabinettsentwurf eine Ergänzung des 106 UrhG vor, wonach nicht zu bestrafen sei, wer rechtswidrig Vervielfältigungen nur in geringer Zahl und ausschließlich zum eigenen privaten Gebrauch herstellt. 44 Die Autoren des Referentenentwurfs hoben hervor, eine uneingeschränkte Kriminalisierung der Verstöße gegen 53 UrhG sei rechtspolitisch nicht opportun und könnte der Akzeptanz des Urheberrechts insgesamt abträglich sein. 45 Gleichwohl hat der Gesetzgeber den 2. Korb der Urheberrechtsreform ohne eine wie auch immer gelagerte Einschränkung der Strafbarkeit beschlossen. 46 Da dies zu einer erheblichen Zunahme von Anzeigen geführt hat, haben die Generalstaatsanwaltschaften auf Grundlage der Anordnungsund Weisungskompetenz 47 gemäß 146, 147 StPO Richtlinien zur Handhabung von Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Urheberrechtsdelikten erlassen. So haben sich einige Generalstaatsanwaltschaften entschlossen, Delikte erst ab dem Erreichen einer Mindestzahl von Musikwerken 48 beziehungsweise Musikwerke im Wert von 300 Euro zu verfolgen und alle anderen Fälle gemäß 170 Abs. 2 StPO oder 153 StPO einzustellen. 49 In quantitativer Hinsicht haben sich die Generalstaatsanwaltschaften dabei an der Schwelle zu gewerbsmäßigen Urheberrechtsverletzungen orientiert. Ebenso wie es nicht Aufgabe des BGH ist, die durch unterlassene Aktivitäten des Gesetzgebers bestehenden Strafbarkeitslücken im Wege der Auslegung zu schließen, können aber die Generalstaatsanwaltschaften die fehlende Gesetzgebung nicht durch Richtlinien korrigieren. Selbst unter Berücksichtigung, dass Richtlinien der Generalstaatsanwaltschaft die Aufnahme von Ermittlungen nicht verbindlich ausschließen, spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber entgegen der Empfehlungen des Referentenentwurfs Bagatellkriminalität aus dem Anwendungsbereich des 106 UrhG 50 nicht ausgenommen hat, ebenso gegen die Richtlinien, wie die Tatsache, dass die Ermittlungsbehörden an das Legalitätsprinzip gebunden sind. 51 Zumindest in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Vornahme von Ermittlungshandlungen (insbesondere die Verhältnismäßigkeit) gegeben sind und die Staatsanwaltschaften ohne weitere Prüfung Ermittlungsmaßnahmen aufgrund der Richtlinien unterlassen, kommt ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip in Betracht. 3.4 Computerstrafrecht Schließlich besteht auch im Computerstrafrecht die Notwendigkeit eines Eingriffs des Gesetzgebers. Dies ist weniger auf technische Entwicklungen seit dem 2. WIKG, sondern vielmehr auf handwerkliche Fehler im Rahmen von späteren Reformen zurückzuführen. So hat der Gesetzgeber 2007 mit dem Ziel, Art. 2 des EU Rahmenbeschlusses über Angriffe auf Informationssysteme und Art. 2 der Cybercrime Konvention des Europarates umzusetzen, 202 a StGB modifiziert. 52 Dieser Bestandteil der Gesetzesreform ist aber misslungen, da die Norm anders als es die beiden internationalen Vorgaben erfordern nicht den unberechtigten Zugang zu einem Computersystem, sondern den unberechtigten Zugang 40 Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates. 41 Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BGBl. I Nr. 46 v , S Vgl. zur Diskussion um die Strafbarkeit: Vgl. dazu Berger, ZUM 2004, 257ff; Poll/ Braun, ZUM 2004, 266ff; Heghmanns, MMR 2004, 14; Gutmann, MMR 2003, 706; zur Rechtslage vor der Urheberrechtsreform: Kreutzer, GRUR 2001, 193ff; ders. GRUR 2001, 307ff; Gercke, ZUM 2007, 797ff. 43 Zur den Diskussionspositionen vgl. Gercke, ZUM 2007, 791ff. 44 Vgl. Langhof/Oberndörfer/Jani, ZUM 2007, Vgl. Begründung des Referentenentwurfs S Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BGBl I Vgl. zur Weisungskompetenz: Weiß, JR 2005, 363 f.; Krey, NStZ 1985, 145 ff. 48 Vgl. dazu die Äußerungen Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf vom , jetzt.de, abrufbar unter texte/anzeigen/ Ausführlich zu den Ansätzen der Generalstaatsanwaltschaften: Gercke, ZUM 2009, 525ff. 50 Ein solcher Ansatz wurde im Rahmen der Beratungen über den 2. Korb der Urheberrechtsreform diskutiert aber verworfen. Vgl. Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, S. 75; Vgl. Gercke, ZUM 2005, 614 f. 51 Gercke, JA 2009, Vgl. dazu Gröseling/Höfinger, MMR 2007, 540; Schreibauer, CR 2007, 616ff.; Schulz, DuD 2006, 778ff.; Gercke, ZUM 2008, 282ff.; ders., ZUM 2008, 545ff. 712 AnwBl / 2012 Der unterbliebene Schritt vom Computer- zum Internetstrafrecht, Gercke

55 69. Deutscher Juristentag zu Computerdaten unter Strafe stellen. 53 Da daneben auch die bislang von 202 a StGB a. F. erfasste unberechtigte Datenverschaffung nicht mehr strafbar ist, obwohl diese Deliktskategorie von praktisch großer Bedeutung ist, geht der Reformbedarf über Einzelvorschriften hinaus. 4. Prozessrecht Der Reformbedarf im Prozessrecht ist so grundsätzlicher Natur, dass hier nur auf Grundaspekte eingegangen werden soll. Erfolgreiche Ermittlungen im Zusammenhang mit Computer- und Internetkriminalität setzen voraus, dass den Ermittlungsbehörden adäquate Ermittlungsinstrumente zur Verfügung stehen. Dies haben die Verfasser der Cybercrime Konvention des Europarates erkannt und mehrere computerspezifische Ermittlungsinstrumente aufgenommen. 54 Dabei geht es nicht vorrangig um intensivere Ermittlungen, sondern um Instrumente, die spezifisch auf die Bedürfnisse entsprechender Ermittlungen zugeschnitten sind. Sie tragen dabei dem Umstand Rechnung, dass Ermittlungen im Zusammenhang mit Computersystemen und Datenübertragungen qualitativ nicht mit klassischen Ermittlungen vergleichbar sind. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit der Herausarbeitung des Rechts auf den Schutz der Integrität von Informationssystemen unterstrichen. 55 Insoweit wäre es notwendig, dass der Gesetzgeber die Bedürfnisse der Ermittlungsbehörden und den notwendigen Schutz der Betroffenen nicht nur im Hinblick auf den heimlichen Zugriff auf Informationssysteme, sondern grundsätzlich neu abwägt. In diesem Zusammenhang sollte minimalintensiven Instrumenten wie dem Quick Freeze mehr Aufmerksamkeit zukommen. Es ist insoweit bezeichnend, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Cybercrime Konvention das Instrument mit der geringsten Eingriffsqualität nicht umgesetzt hat. 56 Neben der Neuausrichtung der Ermittlungsinstrumente bedarf es einer stärkeren Berücksichtigung der komplexen Anforderungen an die Beweisführung mit digitalen Beweismitteln. Diese lassen sich leicht verändern bereits das Anschalten eines Computersystems führt zu Dateieinträgen, die die Integrität des Datenträgers verletzen. 57 Weltweit haben viele Länder reagiert und gesetzliche Grundlagen geschaffen, die die Anforderungen an die Zulässigkeit digitaler Beweismittel regeln. 58 Da bislang keine Vorgaben des Europarates und der EU existieren, wäre insbesondere dieser Bereich, der auch Beweisverwertungsverbote einschließen sollte, ein sinnvolles Betätigungsfeld für den nationalen Gesetzgeber. 5. Zusammenfassung Die rechtlichen Grundlagen des Informationsstrafrechts sind in Deutschland nur bruchstückhaft geregelt. Es fehlt an einer politischen Grundstrategie für das Informationsstrafrecht. Dadurch entsteht eine aus Sicht der rechtsberatenden Berufe zu vermeidende Rechtsunsicherheit. Wünschenswert wäre, dass sich die Politik dieses Themas ressortübergreifend annimmt und sich dabei vor dem Hintergrund der globalen Herausforderung der Internetkriminalität stärker an internationalen Standards orientiert. 53 Ausführlich: Gercke in Gercke/Brunst, Praxishandbuch Internetstrafrecht, 2009, Rn Zu den Ermittlungsinstrumenten der Konvention vgl. Gercke, MMR 2004, 801ff. 55 Vgl. BVerfG, Urteil vom , 1 BvR 380/ Zur fehlenden Umsetzung: Gercke, ZUM 2011, 610ff. 57 Vgl. dazu ausführlich: Gercke, Unterstanding Cybercrime, 2nd Edition, ITU, 2011, S. 362ff. 58 Ein Beispiel sind Länder des Commonwealth, die auf Grundlage eines Modelgesetzes aus dem Jahr 2002 (Model Law on Electronic Evidence, LMM (02) 12) ihre Gesetzgebung angleichen. Ein weiteres Beispiel sind Karibikstaaten, die ebenfalls kürzlich ein Modellgesetz entwickelt haben (abrufbar unter: D/projects/ITU_EC_ACP/hipcar/reports/wg2/docs/HIPCAR_1-2-B_Model_Policy_Guidelines_and_Legislative_Text_Electronic%20Evidence_.pdf) Prof. Dr. Marco Gercke, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Direktor des Instituts für Medienstrafrecht in Köln sowie Honorarprofessor an der Universität zu Köln. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Der unterbliebene Schritt vom Computer- zum Internetstrafrecht, Gercke AnwBl /

56 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Wettbewerb im Gesundheitswesen und wie ihn regeln? Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. und Lioba Sternberg, Bonn Das Gesundheitswesen ist eine Dauerbaustelle des Gesetzgebers. Seit einigen Jahren geht es vor allem um mehr Wettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen, aber auch zwischen gesetzlichen Kassen und privaten Versicherungsunternehmen. Der 69. Deutsche Juristentag wird am 18. und 19. September 2012 in München diskutieren, wie sich die Ziele Wettbewerb und Solidarität vertragen und welche gesetzlichen Leitplanken der Wettbewerb braucht. Kaum ein Begriff ist in der Debatte um die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens im letzten Jahrzehnt so oft gefallen, wie der des Wettbewerbs. Trotz ihrer Verschiedenheit und der ganz unterschiedlichen Ansätze drehen sich fast alle Reformkonzepte zur Umstrukturierung der gesetzlichen Krankenversicherung um dieses Thema. 1 Seit 2004 wurden insgesamt acht für das Gesundheitswesen relevante Reformgesetze mit der Implementierung oder Intensivierung von Wettbewerbselementen begründet. 2 Neben dem Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) einerseits und den privaten Versicherungsunternehmern (PKV) anderseits nimmt der Gesetzgeber noch eine weitere Wettbewerbsdimension in den Blick, die als Systemwettbewerb bezeichnet wird und das weltweit einzigartige Nebeneinander zweier Versicherungssysteme in Deutschland beschreibt, die um Versicherte konkurrieren. 3 hinaus die Einführung von Wahltarifen gem. 53 SGB V. 6 Die Krankenkassen haben nun die Möglichkeit ihr Angebot stärker an den individuellen Wünschen der Versicherten auszurichten und sich so auch für einkommensstarke, junge und gesunde Versicherungsberechtigte als echte Alternative zur PKV zu etablieren. 7 Auf der anderen Seite wurden die Privatversicherer durch die Verpflichtung zum Angebot eines brancheneinheitlichen Basistarifs, der in seinem Leistungsumfang dem gesetzlichen Leistungskatalog der GKV entspricht und bei dem die Prämien sich nicht streng am versicherten Risiko orientieren (vgl. 12 Abs. 1a, 1c VAG), noch stärker in die soziale Verantwortung genommen. In der Literatur wird von einer Sozialversicherung im Gewande der Privatversicherung 8 gesprochen. Durch die Implementierung privatversicherungsrechtlicher Elemente, wie der Wahltarife, in die GKV einerseits und die Stärkung des Sozialausgleichs in der PKV andererseits vollzieht sich ein schleichender Annäherungsprozess der Systeme. 9 Die gegensätzlichen Wesensmerkmale wie das Äquivalenzprinzip in der PKV und das Solidarprinzip in der GKV verwischen mehr und mehr. Droht die Grenze zwischen den beiden Versicherungssystemen zugunsten eines Wettbewerbs unter einheitlichen Rahmenbedingungen zu verschwimmen? Ist eine solche Entwicklung wünschenswert und welches Ziel wird mit diesen wettbewerblichen Instrumentarien verfolgt? Der Wettbewerb wird als zentrales Mittel für die Probleme des Gesundheitswesens beschworen. Er soll zu mehr Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung führen 10 und den Krankenversicherungsträgern einen stärkeren Anreiz zu wirtschaftlichem Handeln geben. 11 Dadurch soll er die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft lösen. Die Funktionen, die der Wettbewerb erfüllen, und die Effekte, die er hervorrufen soll, stehen in den Überlegungen im Vordergrund. Wettbewerb soll nicht um seiner selbst willen, sondern als Steuerungsinstrument eingesetzt werden, um Wirtschaftlichkeitsreserven I. Effizienz und Qualität Wettbewerblichen Zielen verpflichtet war insbesondere das als Gesundheitsreform bezeichnete GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007: Zum Ausbau des Wettbewerbs innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung wurden etwa sogenannte kassenindividuelle Zusatzbeiträge ( 242 SGB V) eingeführt, die die Krankenkassen von ihren Mitgliedern erheben müssen, wenn die Mittel aus dem Gesundheitsfonds wegen unwirtschaftlicher Verwaltung der Kasse nicht ausreichen. Wirtschaften die Kassen dagegen besonders sparsam, können sie den Versicherten Überschüsse als Prämien auszahlen. Diese Differenzierungsmöglichkeit hat zu einem Preiswettbewerb in Form eines Zusatzbeitragsvermeidungswettbewerbs geführt. 4 Inzwischen wurde das Recht der Zusatzbeiträge noch einmal reformiert. Seit dem 1. Januar 2012 sollen die Zusatzbeiträge auch über die Einnahmeentwicklung hinausgehende Kostensteigerungen ausgleichen. 5 Zumindest langfristig könnten Zusatzbeiträge daher in allen Krankenkassen Normalität werden und der Preiswettbewerb darauf gerichtet sein, einen höheren als den durchschnittlichen Zusatzbeitrag zu vermeiden. Nicht nur der Wettbewerbsstärkung innerhalb der GKV, sondern auch im Verhältnis zu ihrem Gegenspieler der PKV diente darüber 1 Vgl. z.b. Jacobs/Schulze, Systemwettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung: Idealbild oder Schimäre?, in: GGW 2004, S. 7 (8); Schenke, Der Wettbewerbsgedanke im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung aus Sicht des Verfassungs- und Europarechts, in: WiVerw 2006, S. 34 (34); Rixen, Wettbewerb im Gesundheitswesen zwischen Gewährleistungsstaat und Grundrechtsschutz, in: Schmehl/Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Bd.1: Wettbewerb, S. 109 (109 f.). 2 GMG v (BGBl. I S. 2190), BT-Drs. 15/1170; VÄndG v (BGBl. I S. 3439), BT-Drs. 16/2474; GKV-WSG v (BGBl. I S. 378), BT- Drs. 16/3100; GKV-OrgWG v (BGBl. I S. 2426), BT-Drs. 16/9559; KHRG v (BGBl. I S. 534), BT-Drs. 16/1080; GKV-FinG v (BGBl. I S. 2309), BT-Drs. 17/3360; AMNOG v (BGBl. I S. 2262), BT- Drs. 17/3116; GKV-VStG v (BGBl. I S. 2983), BT-Drs. 17/ Jacobs/Schulze, Systemwettbewerb zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung: Idealbild oder Schimäre?, in: GGW 2004, S. 7 (8). 4 Vgl. (zuletzt abgerufen am ). 5 Änderung durch das GKV-FinG v (BGBl. I S. 2309), zu der Begründung vgl. BT-Drs. 17/3360 S Vgl. die Begründung zum GKV-WSG, BT-Drs. 16/3100, S Vgl. näher zu den Wahltarifen Thüsing, Wahltarife nach 53 Abs. 4 bis 6 SGB V n. F. im Lichte des Verfassungsrechts, Teil 1 in: NZS 2008, S. 449, Teil 2 in: NZS 2008, S Axer, Einbeziehung der PKV in die GKV, in: MedR 2008, S. 482 (482). 9 Vgl. etwa Axer, Einbeziehung der PKV in die GKV, in: MedR 2008, S. 482 (492); Sodan/Schaks, Konvergenz der Versicherungssysteme, in: VSSR 2011, S. 289; Isensee, Wahltarif Krankenhauskomfort, in: NZS 2007, S. 449; Kingreen, Soziale und private Krankenversicherung: Gemeinschaftsrechtliche Implikationen eines Annäherungsprozesses, in: ZESAR 2007, S. 139 (148 f); Maibach-Nagel, Entwicklungsoptionen der PKV Konvergent bis zur Selbstaufgabe, in: Ärztepost 2011, S. 5 (5, 8). 10 Vgl. etwa die Begründung zum GKV-WSG, BT-Drs. 16/3100, S. 1, So etwa das Wettbewerbsinstrument der Zusatzbeiträge, vgl. die Begründung zum GKV-WSG, BT-Drs. 16/3100, S AnwBl / 2012 Wettbewerb im Gesundheitswesen und wie ihn regeln?, Thüsing/Sternberg

57 69. Deutscher Juristentag auszuschöpfen und so die finanzielle Situation der GKV zu verbessern. 12 II. Gewinner und Verlierer Aber passt Wettbewerb tatsächlich in das solidarische System der gesetzlichen Krankenversicherung? Bringt ein Wettbewerb doch zwangsläufig immer auch Verlierer mit sich. Steht er nicht im Widerspruch beispielsweise zu dem Kooperationsgebot des 4 Abs. 3 SGB V, das ebenfalls im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit eine Zusammenarbeit der Kassen untereinander anordnet? Sind Wettbewerb und Solidarität entgegengesetzte oder sich ergänzende Maximen? Letzteres bezweifelt etwa Walter Kannengießer, langjähriger sozialpolitischer Korrespondent der FAZ, der sagt: Wettbewerb ist ein ökonomisches Prinzip, Solidarität eine gesellschaftspolitische Maxime. Wer Wettbewerb als solidarisch betreibt, der will ihn begrenzen und seinen Interessen nutzbar machen. 13 Auch so wird in Erinnerung gerufen dürfe nicht vergessen werden, dass die Sozialversicherung im 19. Jahrhundert angetreten [sei], dem Wettbewerb seine schädlichen Nebenwirkungen zu nehmen [...] Welche Anforderungen stellen das Grundgesetz, insbesondere das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) und die staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit der Bürger (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) an ein Gesundheitssystem? Wo liegen die Grenzen einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Gesundheitsversorgung in Deutschland? III. Rechtlicher Rahmen Hält der Gesetzgeber, wie er mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zeigt, Wettbewerb für das richtige Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen, so ist es mit einem Ausbau wettbewerblicher Handlungsspielräume der Krankenkassen aber noch nicht getan. Vielmehr bedarf es wirksamer Schutzmechanismen für den neu entstandenen Wettbewerb. Ein Wettbewerb, der rechtlich nicht vor Beschränkungen durch die Marktteilnehmer geschützt ist, bleibt unvollständig. Das nationale Kartellrecht findet aber auf die gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb um Versicherte keine direkte Anwendung, wie jüngst das Hessische Landessozialgericht 16 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH 17 zum europäischen Kartellrecht urteilte. Gesetzliche Krankenkassen seien keine Unternehmen im Sinne des Kartellrechts, da sie rein soziale Aufgaben wahrnehmen. Das Bundeskartellamt hat also bisher weder eine rechtliche Grundlage für die Durchführung von Fusionskontrollen noch für die Verhinderung von Preisabsprachen zwischen den Kassen bei der Festsetzung von Zusatzbeiträgen. 18 Nur die Tätigkeit der Krankenkassen im Verhältnis zu den Leistungserbringern unterliegt aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in 69 Abs. 2 SGB V dem Kartellrecht. 19 Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Wer Wettbewerb will, muss Wettbewerbsrecht schaffen: Als Regelungsalternativen kommen insoweit sowohl die Schaffung eines speziellen Gesundheitsregulierungsrechts und die Ausstattung des Bundesversicherungsamtes mit ähnlichen Befugnissen wie das Bundeskartellamt als auch die Anordnung einer analogen Anwendung des GWB im SGB V (wie es 69 SGB V für den Leistungsmarkt vorsieht) in Betracht. Die Bundesregierung hat die Situation bereits erkannt und will handeln: In ihrem neuen Gesetzentwurf im Rahmen der 8. GWB-Novelle hat sie sich für letzteres entschieden. Dem 4 Abs. 3 SGB V sollen Regelungen hinzugefügt werden, die unter anderem die entsprechende Anwendung bestimmter Vorschriften des GWB auf das Verhältnis der Krankenkassen und ihrer Verbände untereinander sowie zu den Versicherten vorsehen. Von dieser Gesetzesänderung sind trotz der kritischen Stimmen wichtige Wirkungen auf den Wettbewerb zu erwarten. 20 IV. Nachzudenken lohnt Dennoch: Die Entwicklung des Wettbewerbs im Gesundheitswesen ist noch längst nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber ist bemüht, immer weitere Instrumente zur Preis- und Leistungsdifferenzierung in der GKV zu schaffen. 21 Es lohnt sich weiter nachzudenken und kontrovers zu diskutieren über diese hoch spannenden, aktuellen juristischen Fragen, denen sich der 69. Deutsche Juristentag in der Abteilung Sozialrecht am 19. und 20. September 2012 in München stellt. 12 Vgl. Mühlenbruch, System- wettbewerb zwischen GKV und PKV?, in: Schmehl/ Wallrabenstein, Steuerungsinstrumente im Recht des Gesundheitswesens, Bd.1: Wettbewerb, S. 37 (38); Becker/Kingreen, NZS 2010, 417 (418 f.). 13 Zitat veröffentlich in: Versicherungswirtschaft Heft 23/1996, S. 1605; s. auch bei Sahmer, Krankenversicherung in Europa, in: NZS 1997, S. 260 (266). 14 Kingreen, Wettbewerbsrechtliche Aspekte des GKV-Modernisierungsgesetzes, in: MedR 2004, S. 188 (188). 15 Deppe, Wettbewerb im Gesundheitswesen: Ökonomische Grenzen und ethische Fragen, in: Systhema 1997, S LSGHessenv L1KR89/10KL,juris. 17 EuGH v verb. Rs. C-264/01 u.a., Slg. 2004, I-2524 AOK Bundesverband. 18 Im Anschluss an das Urteil des LSG Hessen (Fn. 15) kündigte der Präsident des BKartA Andreas Mundt an, künftig keine Fusionskontrollen bei gesetzlichen Krankenkassen mehr durchzuführen, vgl. FAZ v , S Abs. 2 SGB V ordnet eine analoge Anwendung weitreichender Normen des GWB an, letzte Erweiterung durch das AMNOG v (BGBl. I S. 2262). 20 Gegen diese Änderung spricht sich der GKV-Spittenverband in einer Pressemitteilung vom aus, abrufbar unter: upload/pm_ _kartellrecht_nicht_auf_krankenkassen_ausdehnen_19261.pdf (zuletzt abgerufen am ). 21 Vgl. etwa die jüngste Neuerung durch das GKV-VStG v (BGBl. I S. 2983): Neu eingefügter 11 Abs. VI SGB V ermöglicht den Krankenkassen, weitere Zusatzangebote zur Leistungsdifferenzierung vorzusehen. Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M., Bonn Der Autor ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Lioba Sternberg, Bonn Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit bei Prof. Dr. Thüsing. Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Wettbewerb im Gesundheitswesen und wie ihn regeln?, Thüsing/Sternberg AnwBl /

58 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Datenschutzrecht: Verbotsprinzip und Einwilligungsfetisch Warum die alten Rezepte versagen Plädoyer aus Sicht eines Anwalts Rechtsanwalt Prof. Niko Härting, Berlin Das Datenschutzrecht steht so sehen es die einen vor einer der größten Umbrüche. Wenn die Pläne der EU-Kommission Erfolg haben, wird das Datenschutzrecht in Europa zukünftig durch eine Datenschutz-Grundverordnung geregelt. Für den nationalen Gesetzgeber bliebe nur noch wenig zu tun. Für die anderen ist der Ansatz der EU-Kommission zu kurz gegriffen. An dem Grundprinzip Verbot mit Erlaubnisvorbehalt soll sich nämlich auch im privaten Bereich nichts ändern. Über richtige Wege der Reform wird am 19. und 20. September 2012 die Abteilung IT- und Kommunikationsrecht des 69. Deutschen Juristentags diskutieren. Der Autor plädiert dafür, sich bei der privaten Datenverarbeitung vom Verbotsprinzip zu lösen. Spindler hat die regulatorischen Rahmenbedingungen des Persönlichkeitsschutzes im Netz umfassend untersucht und überzeugend dargelegt, dass die Netzkommunikation das Datenschutzrecht vor erhebliche Herausforderungen stellt. 1 Daten sind der Rohstoff der Netzkommunikation. Damit entsteht ein umfassendes Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Kommunikationsfreiheit und dem Datenschutzrecht, das dem Grundsatz der Datensparsamkeit folgt und die datengestützte Kommunikation als Gefahr für Persönlichkeitsrechte bewertet. Wie konfliktreich dieses Spannungsverhältnis ist, zeigte sich im März dieses Jahres: Kurz nach Veröffentlichung des EU-Datenschutzpakets setzte die Organisation Reporter ohne Grenzen EU-Kommissarin Viviane Reding auf die Liste der Feinde des Internets. Stein des Anstoßes war Redings Vorschlag eines Rechts auf Vergessen 2, das eine Einschränkung der Kommunikationsfreiheit bedeuten würde. 3 Der UN-Menschenrechtsrat hat jüngst in einer eindruckvollen Resolution den hohen Rang der freien Netzkommunikation unterstrichen. 4 Das geltende Datenschutzrecht hat seinen Ursprung im Verhältnis zwischen Bürger und Staat (im öffentlichen Bereich) und folgt dem Verbotsprinzip: Jedwede Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten bedarf einer Legitimation durch eine gesetzliche Erlaubnisnorm oder eine Einwilligung des Betroffenen (vgl. 4 Abs. 1 BDSG). Im öffentlichen Bereich ist das Verbotsprinzip ein zwingendes Regelungsmodell: In jeder Datenerhebung, -verarbeitung und nutzung liegt ein Grundrechtseingriff, für den es aufgrund des Gesetzesvorbehalts einer Eingriffsgrundlage bedarf. Im nicht-öffentlichen Bereich bedeutet ein Verbot der Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung einen Eingriff in Grundrechte des Datenverarbeiters. Es geht um die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art. 12, 14 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder bei der Netzkommunikation um die Kommunikationsfreiheit (Art. 5 GG). In der vernetzten Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts bedeutet ein Datenverarbeitungsverbot einen massiven Grundrechtseingriff. Spindler plädiert dennoch auch im nicht-öffentlichen Bereich für ein Festhalten an dem Verbotssystem mit Erlaubnisvorbehalt. Er sieht den Vorteil dieses Systems vor allem darin, dass der Einwilligung eine größere Bedeutung zukomme als in einem offenen System. 5 Den Konflikt zwischen Datenschutz und freier Internetkommunikation möchte Spindler durch einen Erlaubnistatbestand lösen, der für alle Veröffentlichungen in Telemedien gelten und in diesem Bereich das Verbotsprinzip durch eine offene Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und Kommunikationsgrundrechten ersetzen soll. 6 Für den gesamten Bereich der Netzkommunikation möchte Spindler somit das Verbotsprinzip abschaffen. I. Grundrechtskollisionen erfordern eine Abwägung und kein Verbot Bei der privaten Datenverarbeitung folgt das Datenschutzrecht nicht denselben Regeln, die für die staatliche Datenverarbeitung gelten. Dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unmittelbar nur für die staatliche Datenerhebung, -verarbeitung und nutzung gilt, gerät in aktuellen datenschutzrechtlichen Debatten allzu leicht in Vergessenheit. In dem Volkszählungsurteil des BVerfG 7, das dieses Grundrecht aus der Taufe hob, ging es um die Verteidigung von Bürgerrechten gegen die staatliche Sammlung von Informationen. Wenn der Bürger befürchten muss, dass seine Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative oder seine Teilnahme an einer Demonstration heimlich erfasst wird, kann er von einer Wahrnehmung von Bürgerrechten abgeschreckt werden: Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. 8 Da das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine besondere Ausprägung des Persönlichkeitsrechts ist, gilt für staatliche Eingriffe der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs.1 in Verbindung mit Art. 1 GG. 9 4 Abs. 1 BDSG bekräftigt 1 Vgl. Spindler, S Vgl. Spindler, S Reporters Without Borders, Internet Enemies Report 2012 vom , S. 4, 4 Resolution vom , A_HRC_20_L13.doc. 5 Vgl. Spindler, S Vgl. Spindler, S. 119 f. 7 BVerfG vom , BVerfGE 65, 1, 41 f. Volkszählung. 8 BVerfG vom , BVerfGE 65, 1, 41 f. Volkszählung. 9 Vgl. BVerfG vom , 1 BvR 253/56 Elfes-Urteil. 716 AnwBl / 2012 Datenschutzrecht: Verbotsprinzip und Einwilligungsfetisch, Härting

59 69. Deutscher Juristentag für den öffentlichen Bereich die verfassungsrechtlichen Vorgaben: Keine staatliche Datenverarbeitung ohne gesetzliche Grundlage. Im nicht-öffentlichen Bereich ist die verfassungsrechtliche Ausgangslage anders: Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung folgt eine Pflicht des Staates, im privaten Datenverkehr das selbstbestimmte Handeln der Bürger zu schützen. Zugleich liegt jedoch in der privaten Datenverarbeitung stets auch eine Grundrechtsausübung, zu deren Schutz der Staat in gleicher Weise verpflichtet ist. Die private Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten kann unter dem Schutz des Art. 5 GG oder der Art. 12, 14 GG stehen oder jedenfalls unter dem Schutz der Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG. Dies stellt den Gesetzgeber vor die Aufgabe, einen Regelung zu finden, die allen Grundrechtsträgern gerecht wird. Ein Abwägungstatbestand wie 823 Abs. 1 BGB liegt bei einer solchen Kollisionslage 10 wesentlich näher als ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, da das Verbot eine Regelung impliziert, die dem einen Grundrecht (informationelle Selbstbestimmung) im Zweifel den Vorrang vor dem anderen Grundrecht gibt. Für eine solche Vorrangstellung ( Voreinstellung ) zugunsten des Datenschutzes fehlt es an jeglicher Legitimation. Spätestens in den mittleren Semestern lernt jeder Jurastudent, dass es bei der Anwendung des 823 Abs. 1 BGB auf das Persönlichkeitsrecht eine Besonderheit gibt: Der Grundsatz, dass der Tatbestand die Rechtswidrigkeit indiziert, gilt für das Persönlichkeitsrecht nicht, da ein sogenannter offener Tatbestand vorliegt. 11 Für die Feststellung der Rechtswidrigkeit ist eine besondere Wertung im Sinne einer Güter- und Interessenabwägung erforderlich. Die Abwägung ist sowohl auf der Grundlage einer generellen Betrachtung des Stellenwerts der betroffenen Grundrechtspositionen als auch unter Berücksichtigung der Intensität ihrer Beiträge im konkreten Fall vorzunehmen. 12 Da dies auch für Internetpublikationen gilt, sind für ein und dieselbe Veröffentlichung das datenschutzrechtliche Verbotsprinzip und der offene Tatbestand des 823 Abs. 1 BGB anwendbar. Dieser Wertungswiderspruch ist evident und sachlich nicht zu rechtfertigen. Auch auf europäischer Ebene gibt es keinen Vorrang des Datenschutzes. Nach Art. 8 EU-GRC ist der Schutz personenbezogener Daten ein Grundrecht. An dieses Grundrecht sind gemäß Art. 51 Abs. 1 EU-GRC die Organe und Einrichtungen der Union sowie die EU-Mitgliedsstaaten gebunden 13. Wie im deutschen Verfassungsrecht ist auch auf europäischer Ebene zu differenzieren zwischen der unmittelbaren staatlichen Grundrechtsbindung und dem mittelbaren Schutz der Grundrechte gegen Eingriffe privater Stellen. Hier wie dort ist jeder private Datenverkehr mit einer Grundrechtskollision verbunden (Art. 11 EU-GRC Kommunikationsfreiheit; Art. 15 bis 17 EU-GRC Berufsfreiheit, unternehmerische Freiheit, Eigentumsfreiheit; Art. 6 EU-GRC Handlungsfreiheit). Und auch auf europäischer Ebene lässt sich im öffentlichen Bereich das Verbotsprinzip unmittelbar aus dem Gesetzesvorbehalt (Art. 8 Abs. 2 EU-GRC) ableiten, während im privaten Bereich keine Legitimation für eine Vorrangstellung des Datenschutzes bei Grundrechtskonflikten ersichtlich ist. Dass es bei Grundrechtskollisionen einer offenen Abwägung und eines Interessenausgleichs bedarf, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH: 9 Im Fall Lindqvist 14 ging es um die datenschutzrechtliche Beurteilung der Veröffentlichung von Namen auf der Internetseite einer schwedischen Kirchengemeinde. Der EuGH betonte in seiner Entscheidung die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen und der Meinungsfreiheit der Frau Lindqvist. 9 Im Fall Promusicae 15 stellte sich die Frage, ob der spanische Gesetzgeber zum effektiven Schutz des Urheberrechts verpflichtet ist, Vorschriften über die Offenlegung personenbezogener Daten im Zivilprozess zu erlassen. Der EuGH verneinte dies und verwies auf die Notwendigkeit, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten (Persönlichkeitsrechte und Schutz geistigen Eigentums) herzustellen. 9 Im Fall Satamedia 16 war streitig, ob ein finnischer SMS- Dienst zum kostenpflichtigen Abruf von Steuerdaten datenschutzrechtlich erlaubt ist. Der EuGH bejahte dies unter Hinweis auf die Kommunikationsfreiheit des Anbieters und den Umstand, dass es in Finnland kein Steuergeheimnis gibt. II. Den Hoheitsbefugnissen der Datenschutzbehörden müssen Grenzen gesetzt werden Mit dem Verbotsprinzip steht und fällt der grundsätzliche (und verfehlte) Vorrang des Datenschutzes vor anderen Grundrechten und freiheiten. Zugleich bestimmt die Reichweite des Verbotsprinzips die Reichweite staatlicher Befugnisse, private Datenverarbeitungsprozesse zu überwachen und zu kontrollieren. Wenn die Vorschläge der EU-Kommission zum Datenschutz Wirklichkeit werden, unterliegt die gesamte Netzkommunikation der Kontrolle eines pyramidenartigen Gebildes nationaler und europäischer Behörden. 17 Die Kommission würde selbst an der Spitze des Kontrollapparates stehen. George Orwell hätte seine Freude an einem solchen Vorschlag gehabt. Die logische Folge jedes Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ist eine Verschiebung der Rechtfertigungslast: Das Internetportal, das Lehrerbewertungen ermöglicht, muss darlegen, dass die Veröffentlichung von Bewertungen entweder durch eine gesetzliche Norm legitimiert ist. 18 Und die Datenschutzbehörde, deren Aufgabe die Durchsetzung des Verbots ist, wird stets geneigt sein, das ihr zum Schutz anvertraute Grundrecht überzugewichten. 19 Eine umfassende Kontrolle des europäischen Datenverkehrs lässt sich nicht durch den Schutz von Persönlichkeitsrechten oder durch Art. 8 EU-GRC 20 legitimieren. Seit Jahr und Tag werden Persönlichkeitsrechte durch mediale Veröffentlichungen gefährdet und verletzt, ohne dass dies je zu einem Ruf nach einer Unabhängigen Persönlichkeitsschutz- 10 Vgl. BVerfG vom , 1 BvR 421/05 heimlicher Vaterschaftstest. 11 BGH vom BGHZ 24, 72 Krankenpapiere; BGH vom BGHZ 36, 77 Waffenhändler. 12 BGH vom VI ZR 373/ Vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2010, Art. 8 Rn EuGH vom C-101/01, Slg. 2003, I Lindqvist. 15 EuGH vom C-275/06, Slg. 2008, I-309 Promusicae. 16 EuGH vom C-73/07 Satamedia. 17 Härting, BB 2012, 459 ff. 18 BGH vom , VI ZR 196/08 spickmich.de. 19 Datenschützer verhängt Bußgeld gegen Bewertungsportal meinprof.de, Meldung vom , 20 Vgl. Reding, ZD 2012, 195 ff. Datenschutzrecht: Verbotsprinzip und Einwilligungsfetisch, Härting AnwBl /

60 69. Deutscher Juristentag behörde zur Durchsetzung des Verbots von Persönlichkeitsrechtsverletzungen geführt hätte. Dies (in Deutschland) aus gutem Grund: Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG verbietet jegliche Zensur. Der Schutz der EU-Bürger vor einer uferlosen Datenverarbeitung ist ein hehres Anliegen. Niemand bestreitet, dass es eines solchen Schutzes bedarf. Und niemand bestreitet, dass das geltende Datenschutzrecht in vielerlei Hinsicht zahnlos und verbesserungsbedürftig ist. 21 Auch für den Datenschutz gilt indes, dass der Zweck nicht jedes Mittel heiligt. Selbst der Schutz der Bürger vor Kriminalität und Terrorismus ist ein Anliegen, das die Einschränkung von Grundrechten nicht unbegrenzt rechtfertigt. Wenn den Befugnissen des Staates gegenüber dem Bürger aus gutem Grund Grenzen gesetzt werden, muss es solche Grenzen auch dann geben, wenn staatliche Behörden im Interesse des Datenschutzes und zum Schutz von Persönlichkeitsrechten der Bürger handeln. 22 Auch im Gewand einer Datenschutzbehörde übt eine Behörde gegenüber den Bürgern staatliche Hoheitsgewalt aus, für die es in einem freiheitlichen Europa Grenzen geben muss. III. Datenschutz darf nicht zum Selbstzweck werden Spindler erinnert zu Recht daran, dass das BVerfG das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen hat als eine Art Vorfeldschutz des Persönlichkeitsrechts. 23 Das in Deutschland nach wie vor ungeschriebene Grundrecht erstreckt sich nicht nur auf sensible Informationen, sondern auch auf Datenverarbeitungsprozesse, die per se keine Persönlichkeitsrechte gefährden, aber in komplexen weiteren Verarbeitungsvorgängen zu derartigen Gefährdungen führen können. Nur unter dem Vorfeldaspekt erschließt sich der tiefere Sinn des immer wieder missverstandenen 24 Satzes, dass es unter den Bedingungen der automatisierten Datenverarbeitung kein belangloses Datum mehr gebe. 25 Mit diesem Satz brachte das BVerfG keineswegs ein Gleichbehandlungsgebot zum Ausdruck, das wahllos intime Chatbotschaften, IP-Adressen, Telefonnummern und Kreditinformationen nach demselben Maßstab misst. Es ging dem BVerfG vielmehr um den Verwendungszusammenhang. 26 Ein und dasselbe Datum kann in dem einen Zusammenhang harmlos sein und in einem anderen Zusammenhang höchst sensibel. Der Verwendungszusammenhang spricht gegen ein Verbotsprinzip, das nicht nach Zusammenhängen unterscheidet. Kreditdaten, die in einer Bank verarbeitet werden, haben ein höheres Gefährdungspotenzial als Daten, mit denen ein Fernsehanbieter das Fernsehverhalten von Zuschauern erfasst. 27 Das Verbotsprinzip kennt keine Zusammenhänge, stellt sich blind und behandelt harmlose und sensible Daten gleich. Ob -Adresse, Gerätekennzeichen, Cookie oder IP- Adresse: Einen plausiblen Grund, derartige Daten einem generellen Verarbeitungsverbot zu unterwerfen, gibt es nicht. Von einem Datum als solchem geht keine Gefahr aus. Wenn die Daten jedoch allein oder in Verbindung mit anderen Daten bzw. Informationen Rückschlüsse darauf zulassen, dass ein bestimmter Internetnutzer sich auf Internetseiten mit pikantem Inhalt bewegt hat, ist die Privat- bzw. Intimsphäre des Nutzers berührt. Die Daten erlangen dann einen Informationswert, der die Persönlichkeitsrechte beeinträchtigen kann. 28 Das Gefährdungspotential von Daten wandelt sich, weil sich der Zusammenhang ändert. Meine Daten mögen meine Persönlichkeitsrechte nicht nennenswert beeinträchtigen, wenn ich sie auf dem Server eines Cloud-Anbieters speichere. Dieselben Daten können sich jedoch als sensibel und höchst schutzwürdig erweisen, wenn sie auf dem Server eines Privatdetektivs landen. Dies ist eine hinreichende gesetzgeberische Legitimation für Datensicherheit und Datentransparenz beim Cloud-Anbieter 29, nicht jedoch dafür, jedwede Datenverarbeitung unterschiedslos dem Verbotsprinzip zu unterwerfen. IV. Meine Daten gehören nicht nur mir Das Verbotsprinzip mit seiner starken Betonung des Einwilligungserfordernisses leistet der verfehlten Vorstellung einer eigentumsähnlichen Zuordnung von Daten Vorschub: Meine Daten gehören mir. 30 Der Satz ist ebenso populär wie verkehrt. Schon im Volkszählungsurteil des BVerfG 31 findet sich der Satz, dass es kein absolutes Herrschaftsrecht des Einzelnen über seine Daten gibt. Jegliche auf eigentumsähnliche Befugnisse gerichtete Aussage ( meine Daten ) geht fehl. Der Einzelne ist eine sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit. Für die kommunikative Dimension von Daten wählte das BVerfG den treffenden Ausdruck des Abbilds sozialer Realität, das nicht allein dem Betroffenen zugeordnet werden kann. 32 Spindler spricht von einer Relativität des Selbstbestimmungsrechts, da es sich auch stets durch seine Beziehung zur Umwelt definiere. 33 Damit trifft Spindler nicht ganz den Kern des Gedankens: Nicht nur das Selbstbestimmungsrecht, sondern die Daten selbst haben einen sozialen Bezug. Werden Daten monopolisiert und dem ausschließlichen Bestimmungsrecht einer Person unterworfen, droht die jederzeitige Privatisierung von Informationen. Daten, die dem Bestimmungsrecht einzelner Personen unterliegen, können der sozialen Interaktion, der Kommunikation und dem gesellschaftlichen Diskurs jederzeit entzogen werden. Dies wäre in bedenklichem Maße gemeinschaftsund gesellschaftsfeindlich. Telefonnummern und andere Kontaktdaten sind ein gutes Beispiel für die soziale Realität, die das BVerfG meint. Kontaktdaten dienen der Kommunikation und werden daher ganz selbstverständlich von jedem gespeichert, der mit der betreffenden Person kommunizieren möchte. Wenn es allein 21 Vgl. Schneider/Härting, ZD 2011, 63 ff. 22 Vgl. Härting, FAZ vom , ern/internet-datenschuetzer-duerfen-nicht-zu-zensurbehoerden-werden html 23 Vgl. Spindler, S. 31 ff. 24 Vgl. Kutscha, DuD 2011, 461 f. 25 BVerfG vom , BVerfGE 65, 1, 41 f. Volkszählung. 26 BVerfG vom , BVerfGE 65, 1, 41 f. Volkszählung. 27 A.A. wohl Weichert, Viel mehr als nur Statistik, Legal Tribune Online vom , 28 Vgl. Schneider/Härting, ZD 2011, 63, 64; Schneider/Härting, ZRP 2011, Vgl. Gaul/Koehler, BB 2011, 2229 ff. 30 Vgl. Künast, ZRP 2008, 201 ff. ; Reding, Wirtschaftswoche vom , 31 BVerfG vom , BVerfGE 65, 1, 41 f. Volkszählung. 32 BVerfG vom , BVerfGE 65, 1, 41 f. Volkszählung. 33 Vgl. Spindler, S AnwBl / 2012 Datenschutzrecht: Verbotsprinzip und Einwilligungsfetisch, Härting

61 69. Deutscher Juristentag der Entscheidung des Inhabers einer Telefonnummer oder einer Adresse überlassen wäre, wer wann und wie lange die Kontaktdaten speichern darf, würde dies die soziale Interaktion gravierend beeinträchtigen. Kontaktdaten gehören weder dem Inhaber der Daten noch einer Person, die diese Daten auf einem Endgerät gespeichert hat. 34 Ob und wie die Daten vorgehalten und genutzt werden dürfen, ergibt sich aus einer Abwägung zwischen Persönlichkeitsrechten (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG) und dem Grundrecht auf freie Kommunikation (Art. 5 GG). Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt steht einer solchen Abwägung entgegen. V. Der Grundsatz der Datensparsamkeit ist wirklichkeitsblind Das Verbotsprinzip ist mit dem Grundsatz der Datensparsamkeit (vgl. 3 a BDSG) eng verknüpft. Bei der Netzkommunikation ist dieser Grundsatz indes realitätsfremd und geht an den kommunikativen Bedürfnissen der Akteure vorbei. Der vielfältige Austausch von Daten ist kommunikativ gewollt. Den Akteuren kommt es weniger auf Sparsamkeit als auf Transparenz an. Das Datenschutzrecht hinkt der Entwicklung des Verbraucherrechts weit hinterher. 35 Aus den Entscheidungen des BVerfG zur Online-Durchsuchung 36 und zur Vorratsdatenspeicherung 37 lässt sich ableiten, dass es ein nach dem Grundgesetz schutzwürdiges Bedürfnis nach Transparenz im Netz gibt. 38 Das BVerfG verlangt Transparenz, um der diffusen Bedrohlichkeit durch unkontrollierte Datenbestände entgegenzuwirken. Der Gesetzgeber ist also folglich dazu aufgerufen, klare Informationsregeln für die Sammlung und Nutzung von Datenbeständen zu schaffen. 39 Dieses Bedürfnis erfüllen weder die DSRL noch das BDSG oder 13 Abs. 1 TMG. Nach Art. 10 und 11 DSRL beschränken sich die Informationspflichten des Datenverarbeiters auf Angaben zur eigenen Identität, zu den Zwecken der Datenverarbeitung, zu den Empfängern von Daten sowie zu Auskunfts- und Beseitigungsrechten (vgl. auch 4 a Abs. 1 Satz 2 BDSG). 13 TMG schreibt lediglich ergänzend die Belehrung über Art, Umfang und Zwecke der Datenverarbeitung vor. 40 Art. 14 Abs. 1 DS-GVO sieht keine substanzielle Erweiterung der Informationspflichten aus Art. 10 und 11 DSRL vor. Präzise ist Art. 14 DS-GVO lediglich bei der neu vorgeschlagenen Verpflichtung des Datenverarbeiters zur Belehrung des Betroffenen über seine Rechte und Rechtsbehelfe. Vage bleibt die Norm bei den Informationen über die Datenverarbeitung selbst. Dies wird besonders deutlich in Art. 14 Abs. 1 lit. h DS-GVO. Dort wird dem Datenverarbeiter vorgeschrieben, dem Betroffenen sonstige Informationen (mitzuteilen), die unter Berücksichtigung der besonderen Umstände, unter denen die personenbezogenen Daten erhoben werden, notwendig sind, um gegenüber der betroffenen Person eine Verarbeitung nach Treu und Glauben zu gewährleisten. Der Verzicht auf konkrete Vorgaben und der Rückgriff auf unbestimmte Begriffe ( besondere Umstände ; Treu und Glauben ) lassen ständigen Streit erwarten, ob Datenschutzbestimmungen im einzelfall den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 DS-GVO genügen. Spindler äußert sich skeptisch zur Transparenz. Er verweist auf grundlegende Probleme in den Informationsverarbeitungskapazitäten der Betroffenen. Der Grenznutzen zusätzlicher Informationen sinke aus empirischer Sicht mit einem Mehr an Information. 41 Diese Einschätzung lässt sich nicht bestreiten. Niemand kann den Besucher eines Internetportals zum Lesen (oder gar Verstehen) von Informationen zwingen. Und je umfangreicher Informationen sind, desto anstrengender (und abschreckender) die Lektüre. Man muss indes die Gegenfrage stellen, ob es ein besseres Mittel gibt, um informierte Entscheidungen zumindest zu ermöglichen. Verhält es sich nicht ähnlich wie mit der Demokratie, die unter allen schlechten Regierungsformen nach einem berühmten Bonmot 42 immer noch die beste ist? Im Ergebnis scheint Spindler dies ähnlich zu sehen, weist er doch darauf hin, dass sich die Schutzpflicht des Staates darin erschöpft, die Selbstschutzmechanismen des Bürgers zu unterstützen. 43 Wenn der Bürger auf Selbstschutz verzichtet, handelt er in Ausübung eines schutzwürdigen Freiheitsrechts. Jedes Selbstbestimmungsrecht umfasst das Recht auf unvernünftiges Handeln. VI. Die Einwilligung ist zum Fetisch geworden Einem Fetisch werden Eigenschaften oder Kräfte zugeschrieben, die er von Natur aus nicht besitzt. Karl Marx benutzte den Begriff des Fetisches, um Überhöhungen der gesellschaftlichen Bedeutung von Waren, Geld und Kapital anzuprangern. 44 Im Datenschutzrecht lässt sich ein Einwilligungsfetisch beobachten. Die Einwilligung wird als zentrales Instrument der Selbstbestimmung angesehen, obwohl sich die Einwilligung unter den Gegebenheiten der Netzkommunikation in einem einfachen Mausklick erschöpft. Auch Spindler kann sich der Fetischisierung der Einwilligung nicht entziehen. Dass er grundsätzlich und trotz weitreichender Ausnahmen am datenschutzrechtlichen Verbotsprinzip festhalten möchte, begründet er maßgeblich mit der größeren Bedeutung, die die Einwilligung in einem Verbotssystem hat. 45 Spindler scheint der Auffassung zu sein, dass Einwilligungserfordernisse ein unverzichtbares Instrument zur Verwirklichung selbstbestimmten Handeln sind. Dies ist für ihn offenbar so evident, dass er meint, auf eine nähere Begründung verzichten zu können. An einer Stelle verweist Spindler auf die Rechtsprechung des BVerfG zu den Folgen einer öffentlichen Bekanntgabe privater Angelegenheiten. Die Tatsache, dass eine solche Preisgabe privater Lebensumstände dazu führt, dass sich Prominente nicht mehr auf den Schutz durch das Persönlichkeitsrecht berufen können, sieht Spindler als Beleg für die zentrale Rolle der Einwilligung im Spannungsverhältnis zwischen freier Kommunikation und Persönlichkeitsrechten. 46 An anderer Stelle 34 Schneider/Härting, ZD 2012, 199 f. 35 Härting, CR 2011, 169 ff.; Schneider/Härting, ZD 2011, 63, BVerfG vom , NJW 2008, 822 ff. Online-Durchsuchung. 37 BVerfG vom , NJW 2010, 833, 840 Vorratsdatenspeicherung 38 Vgl. Luch, MMR 2011, 75 ff.; Baum, DuD 2011, 595 ff. 39 Vgl. Hoffmann-Riem, JZ 2008, 1009, 1010 f. 40 Härting, CR 2011, 169 ff.; Schneider/Härting, ZD 2011, 63, Vgl. Spindler, S Winston Churchill: Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time. zitiert nach wc%20statesman%20for%20all%20time.pdf 43 Vgl. Spindler, S Vgl. den Eintrag Warenfetisch bei Wikipedia, 45 Vgl. Spindler, S Vgl. Spindler, S. 47. Datenschutzrecht: Verbotsprinzip und Einwilligungsfetisch, Härting AnwBl /

62 69. Deutscher Juristentag scheint Spindler der Auffassung zu sein, dass Einwilligungserfordernisse zu einer größeren Transparenz von Datenverarbeitungsvorgängen führen. 47 Auch bei der Einwilligung lohnt es sich, zwischen dem öffentlichen und dem nicht-öffentlichen Bereich der Datenverarbeitung zu unterscheiden. Wenn der Staat Daten verarbeitet, schafft die Einwilligung nach 4 Abs. 1 BDSG auch dann eine Erlaubnisgrundlage, wenn es an einer gesetzlichen Eingriffsnorm für die Datenverarbeitung fehlt. Dies lässt sich als eine Art negative Grundrechtsausübung verstehen. Das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers über die Verwendung seiner Daten hat der Staat nicht nur dann zu respektieren, wenn der Bürger einer Datenverarbeitung widerspricht. Ist er mit der Datenverarbeitung einverstanden, hat der Staat dies genauso zu respektieren, ohne dass es zusätzlich einer gesetzlichen Grundlage für die Datenverarbeitung bedarf. Für die private Datenverarbeitung gelten andere Maßstäbe. Bei zivilrechtlichen Auseinandersetzungen um Persönlichkeitsrechte spielt die Einwilligung in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH nur dann eine nennenswerte Rolle, wenn es um das Recht am eigenen Bild geht ( 22 KUrhG). 48 Entgegen Spindlers Lesart geht es bei der Rechtsprechung zur Preisgabe privater Lebensumstände 49 nicht um Einwilligungen, sondern um die Frage, ob eine freiwillige Öffnung des Schlafzimmers dazu führt, dass in künftigen Fällen eine Berichterstattung unfreiwillig (ohne Einwilligung) erfolgen kann. Werden die privaten Gemächer freiwillig geöffnet, gibt die Berichterstattung keinen Anlass für einen Grundrechtskonflikt, der einer gesetzgeberischen oder richterlichen Auflösung bedürfte. Bei einer unfreiwilligen Berichterstattung ist eine Abwägung erforderlich, wobei sich die Frage nach einer Einwilligung gar nicht erst stellt. Fehlt es beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht an einer zentralen Bedeutung der Einwilligung, so lässt sich im Datenschutzrecht feststellen, dass sich die zentrale Bedeutung (allein) aus dem geltenden Recht ableiten lässt. Die erhebliche Bedeutung der Einwilligung ist dem Umstand geschuldet, dass die Einwilligung die einzige Möglichkeit liefert, rechtmäßig Daten zu verarbeiten, wenn es an einer gesetzlichen Erlaubnisnorm fehlt. Ist die große Bedeutung der Einwilligung nicht mehr als eine Folge des geltenden Verbotsprinzips, so kann sie kein überzeugendes Argument dafür sein, an dem Verbotsprinzip festzuhalten. Der Einwilligungsfetisch wird dennoch immer wieder damit gerechtfertigt, dass die Einwilligung ein unverzichtbares Mittel zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts sei. 50 Dies wirkt naiv, wenn man bedenkt, dass sich dieser Akt der Selbstbestimmung unter den Gegebenheiten der Netzkommunikation zumeist in einem Mausklick erschöpft. Trotz aller Begrenztheit von Informationspflichten erscheint die Datentransparenz unter diesem Blickwinkel das deutlich effektivere Mittel zur Selbstbestimmung zu sein. Der Bürger, der sich über Datenverarbeitungsvorgänge informieren kann, hat die Möglichkeit einer autonomen Entscheidung über die Teilnahme am Datenverkehr. 47 Vgl. den Abschnitt mit der Überschrift Transparenz und Informationspflichten von Providern, mit dem Spindler seine Ausführungen zu Reformperspektiven im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Einwilligung einleitet, S. 104 ff. 48 BGH vom VI ZR 26/ BVerfG vom , BVerfGE 101, 363 ff. Caroline von Monaco II. 50 Gola/Schumerus, BDSG, 4 a Rn Vgl. Stellungnahme des DAV zum EU-Datenschutz, S.13, Wenn der Bürger per Mausklick von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht, schlägt der Einwilligungsfetisch vielfach um in ein tiefes Misstrauen gegen die Mündigkeit des einwilligenden Bürgers. Spindler lässt sich von diesem Misstrauen anstecken und behandelt in seinen Ausführungen zu Reformperspektiven bei der Einwilligung vorrangig Gründe, die einer Datenverarbeitung trotz Einwilligung entgegenstehen. Die Palette reicht von der fehlenden (zusätzlichen) Einwilligung der Eltern minderjähriger Kinder über Koppelungsverbote bis zur zeitlichen Begrenzungen der Wirksamkeit. Dies liegt auf der Linie des 7 Abs. 4 DS-GVO, der einer Einwilligung schon dann die Wirksamkeit versagen möchte, wenn ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Datenverarbeiter und Betroffenem feststellbar ist. 51 VII. Wir brauchen ein neues Datenschutzrecht Es ist Spindlers Verdienst, berserkerhaft alle Fallkonstellationen, Argumente, Kontroversen und Diskussionen zusammengetragen zu haben, die die Notwendigkeit belegen, das Datenschutzrecht anders als die EU-Kommission umfassend neu zu denken. Den öffentlichen Bereich konnte Spindler aufgrund der Themenstellung des Gutachtens ausblenden. Dort gibt es vergleichsweise wenig Reformbedarf, da an dem Verbotsprinzip im öffentlichen Bereich festzuhalten ist. Für die private Datenverarbeitung ist Spindlers Vorschlag einer umfassenden Ausnahme vom Verbotsprinzip für die Netzkommunikation richtig, aber noch nicht ganz zu Ende gedacht. Die größere Bedeutung der Einwilligung ist für das grundsätzliche Festhalten am Verbotsprinzip das Ergebnis eines Zirkelschlusses und daher kein überzeugendes Argument. Schon um einer überbordenden staatlichen Kontrolle privaten Datenverkehrs entgegenzuwirken, bedarf es quasi vom weißen Blatt der Definition von Datenverarbeitungsprozessen und Verwendungszusammenhängen, in denen ein deutlich erhöhtes Gefahrenpotenzial für Persönlichkeitsrechte feststellbar ist, das ein präventives Verbot rechtfertigt. Harmlose Datenverarbeitungsprozesse sollten grundsätzlich erlaubt sein. Zur Bewältigung von Kollisionslagen reichen offene Abwägungstatbestände nach dem Vorbild des 823 Abs. 1 BGB aus. Die Einwilligung ist unter den Bedingungen der Massenkommunikation kein geeignetes Mittel zu selbstbestimmtem Handeln. Sie ist zu einem Fetisch geworden und zu einem Anknüpfungspunkt für Tendenzen, selbstbestimmtes Handeln durch Bevormundung zu ersetzen. Datentransparenz ist trotz der engen Grenzen effektiver Nutzerinformationen das einzige wirksame Mittel, um selbstbestimmtes Handeln zu fördern. Die Informationspflichten der Datenverarbeiter gehören in den Mittelpunkt aller Diskussionen um ein neues Datenschutzrecht. Prof.NikoHärting,Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitglied des Informationsrechtsausschusses sowie des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 720 AnwBl / 2012 Datenschutzrecht: Verbotsprinzip und Einwilligungsfetisch, Härting

63 Aufsätze 69. Deutscher Juristentag Persönlichkeitsrechte in der digitalen Welt Anforderungen an das Recht und die Nutzer Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Schertz und Rechtsanwalt Dominik Höch, Berlin Die Dynamik des Internets verändert die Gesellschaft. Die Folgen spürt die Rechtswelt vor allem beim Datenschutzund beim Persönlichkeitsrecht. Doch was muss rechtspolitisch geschehen? Der 69. Deutsche Juristentag wird darüber am 19. und 20. September 2012 in München in der Abteilung IT-Kommunikationsrecht diskutieren. Was aus Sicht zweier Anwälte im Bereich des Persönlichkeitsrechts wirklich wichtig ist? Aufklärung über die Gefahren des Netzes, weil das Recht zu versagen droht. Zum Datenschutz siehe in diesem Heft Härting (AnwBl 2012, 716). I. Das Netz verändert die Rechtswirklichkeit Wer über Persönlichkeitsrechte in der digitalen Welt spricht, spricht über ein Dilemma. Einerseits hat sich an der rechtlichen Situation nichts geändert: Das Selbstbestimmungsrechts über die eigene Person, die geschützte Privatsphäre und der Schutz vor Unwahrheiten und Beleidigungen bestehen nach wie vor. Das Internet schafft keine neue Rechtslage. Andererseits ist die Durchsetzung dieser Rechte schwieriger geworden. Das liegt grob gesprochen an zweierlei: An dem veränderten Eigenverhalten der Menschen in der digitalen Sprache: Nutzer und an der faktischen Schwierigkeit, Persönlichkeitsrechten im Internet zur Durchsetzung zu verhelfen. Beide Umstände greifen in unser Grundverständnis von Persönlichkeitsrechten ein. Kurz gesagt: Privatsphäre ist ein fragiles Gut geworden. So wie das Internet unser Verständnis von Handel, Informationsfreiheit, wirtschaftlicher und politischer Transparenz fundamental verändert, so tiefgreifend können die Veränderungen bei der Reichweite des Persönlichkeitsrechts sein. Seit langem ist anerkannt, dass der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechtes am eigenen Bild nicht weiter reichen kann, als der Betroffene es selbst gestattet. Wer sich also mit seinem Privatleben öffentlich darstellt, hat Schwierigkeiten, diese geöffnete Tür wieder zu schließen. Jahrzehntelang gab es einen gewissen gesellschaftlichen Konsens, welche Bereiche des Lebens als privat verstanden wurden Familienangelegenheiten, finanzielle Fragen, Krankheiten, Beziehungsprobleme und anderes. Im Zuge der Veränderungen des Internets zum Web 2.0, also zum Mitmach -Netz, in dem die Interaktion der Nutzer im Vordergrund steht, und dem Siegeszug der sozialen Netzwerke haben sich das Eigenverhalten der Menschen im Bezug auf Ihre Privatsphäre verändert. Es löst keine Fassungslosigkeit mehr aus, wenn ein Mann hunderten Facebook- Freunden mitteilt, dass bei seiner Krebs-Erkrankung neue Metastasen gefunden wurden. Familien stellen Fotos vom letzten Weihnachtsfest für jedermann sichtbar in Fotoseiten im Netz ein. Anonyme gegenseitige Beschimpfungen in Foren und sozialen Netzwerken sind keine Seltenheit mehr. Flankiert wird diese faktische Entwicklung durch einige obergerichtliche Entscheidungen, die aus Sicht des Schutzes von Persönlichkeitsrechten fragwürdige Pfade einschlagen. Erinnert sei an die Spick-mich-Entscheidung des Bundesgerichtshofs und nachfolgend des Bundesverfassungsgerichts. Aus guten Gründen betrachten wir Schule als einen besonders geschützten sozialen Raum, in dem die Kommunikation von Eltern, Schülern und Lehrer besonders vertrauensvoll sein soll. Wie passt es dazu, dass letztlich durch die Spick-mich-Entscheidung legitimiert nun jedermann ohne größeren Aufwand erfahren kann, wer der am schlechtesten bewertete Lehrer im ganzen Landkreis ist? Pressegerichte haben in jüngeren Entscheidungen in dem Einstellen eines Fotos in ein soziales Netzwerk eine Einwilligung gesehen, dass dieses Bild auch von Dritten zum Beispiel in Personensuchmaschinen aufgenommen werden darf solange der Nutzer die Sichtbarkeit des Fotos auf seiner Seite nicht eigenständig technisch verhindert. Es steht zu erwarten, dass sich in Zukunft Gerichte mit völlig neuen Fragen der Abgrenzung von Privat- und Sozialsphäre beschäftigen müssen: Wie privat sind Kommentare des Facebook-Nutzers, der Freunde hat? Wie muss ein Nutzer seine Privatsphäre-Einstellungen konfigurieren, um Privatsphärenschutz in Anspruch nehmen zu können? Wenn das Web 2.0 eine Bühne ist, sich zu präsentieren und man diese Bühne betritt, wird man ab einem gewissen Publikum damit rechnen müssen, nicht mehr privat zu sein, sondern eine öffentliche Vorstellung zu geben. Die Rechtsfindung im Spannungsfeld von öffentlichem Interesse und Meinungsfreiheit auf der einen und Persönlichkeitsschutz auf der anderen Seite ist im Wesentlichen Richterrecht. Hier sind also spannende Entscheidungen zu erwarten. Der Appell an die Gerichte lautet aus unserer Sicht, den Schutz von Persönlichkeitsrechten nicht hinter das technisch machbare im Internet zu stellen. Gerade weil es im Netz so leicht ist, Persönlichkeitsrechte zu verletzen, muss das Recht dem Bürger einen effektiven Schutz geben wie es die Gerichte im Übrigen in den vergangenen Jahrzehnten auch getan haben und wie es in den aktuell genannten und anderen Entscheidungen nicht durchgängig erkennbar war. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, warum plötzlich die namentliche Nennung von jedermann im Netz zulässig sein soll das ist im Ergebnis des Exerpt der Spickmich.de -Entscheidung des Bundesgerichtshofs, obwohl wir mehrere Jahrzehnte die tradierte Rechtsprechung hatten, dass eine namentliche Nennung einer Person, die nicht Person der Zeitgeschichte ist, in der Zeitung oder im Fernsehen unzulässig ist, weil jedermann das Recht auf Anonymität hat, das Recht alleingelassen zu werden von Medien. II. Aufklärung über die Risiken im Internet Und was kann die (Rechts-)Politik tun? Soll sie überhaupt etwas tun, denn immerhin stellen ja viele Menschen freiwillig private Informationen ins Netz. Und dem freien Willen von erwachsenen Menschen sollte die Politik nicht entgegen treten. Ganz so leicht ist es gleichwohl nicht. Folgt man Umfragen, ist es keineswegs so, dass die Menschen den Schutz der Privatsphäre im Netz aufgegeben haben oder aufgeben wollen. Der Schutz der persönlichen Daten ist weiterhin ein Persönlichkeitsrechte in der digitalen Welt, Schertz/Höch AnwBl /

64 69. Deutscher Juristentag hohes Gut. Wie ist nun aber zu erklären, dass auf einmal so viel Privates im Netz kursiert? Einerseits führt eine gewisse Neugier auf die neuen technischen Möglichkeiten zu manchem unbedachten Klick im Netz. Vor allem spielen zwei Dinge zusammen: Unkenntnis über die technischen Abläufe bei den Nutzern und Anbieter im Netz, die genau das nutzen. Bei der Beratung von Mandanten und bei Seminaren zum sicheren Umgang in sozialen Netzwerken fällt immer wieder auf, wie wenig vom Netz eigentlich verstanden wird. Die Nutzer wissen oft nicht, dass ein einmal in ein soziales Netzwerk eingestelltes Foto im Grunde ihrer Herrschaft auf Dauer entzogen ist. Zwar mögen sie es wieder löschen, vorher kann es aber ein Dritter unproblematisch auf seinen Rechner heruntergeladen haben und an anderer Stelle wieder eingestellt haben. Ganz zu schweigen von der Unsicherheit, ob das soziale Netzwerk das Bild wirklich von seinem Serverrechner löscht. Viele Menschen wissen auch gar nicht, dass einen Kommentar bei Facebook unter Umständen jeder sehen kann, wenn man nicht die richtigen Privatsphäre-Einstellungen bedient hat. Was im Netz steht, bleibt. Viele Nutzer betrachten aber Kommunikation in sozialen Netzwerken als die Verlängerung des privaten Plauschs auf der Straße oder am Telefon. Ihnen ist überhaupt nicht bewusst, an wie viele Empfänger sie da senden. Eine trügerische Vorstellung. Zumal viele aus dem Blick verlieren, dass Freunde zum Beispiel bei Facebook in vielen Fällen überhaupt keine Freunde sind, sondern Personen, die man kaum kennt. Das heißt also: Wer nicht (vollständig) informiert ist über die Risiken, in die er sich im Netz eben auch begibt, kann sich letztlich nicht wirklich freiwillig entscheiden, seine Privatsphäre (in Teilen) aufzugeben. Die Anforderung an die Politik ist also: Aufklärung. Und zwar nicht nur bei Kindern, sondern auch bei den Erwachsenen, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind. III. Privatsphäre wirksam schützen Auf der anderen Seite stehen die Anbieter von sozialen Netzwerken, Foren oder Videoportalen im Netz, deren Geschäftsmodell auf dem Sammeln von Daten ihrer Nutzer basiert. Konsequenterweise ist bei ihnen wenig Interesse erkennbar, die Menschen vor der Preisgabe dieser Daten zu schützen. Die Privatsphäre-Einstellungen sind oft so gestaltet, dass Grundeinstellung eine möglichst weite Freigabe persönlicher Daten an die Netzwelt ist. Der Nutzer muss selbst durch den Weg ins Dickicht der komplizierten Privatsphäre-Einstellungen für mehr Privatheit sorgen. Es ist zu begrüßen, dass sich die EU-Kommission bei den Überlegungen zu einer Datenschutz-Grundverordnung auf die Fahnen geschrieben hat, die Anbieter zu privacy-by-default (Grundeinstellung Privatsphäre) zu verpflichten. Denkbar und wünschenswert wäre auch, die Anbieter zu einem gewissen Maß an Sicherheitshinweisen an ihre Nutzer zu verpflichten. Die Politik sieht sich in der Lage, Konzerne zu Warnungen vor Zigaretten, Lottospielen und sogar (eigentlich heilenden) Medikamenten zu verpflichten. Warum soll dies nicht umsetzbar sein, wenn es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte geht? Halten wir uns an die Rechtslage, die wir haben. Und die kann dem Schutz der Persönlichkeitsrechte durchaus zur Geltung verhelfen. Nur, wie so häufig: Es fehlt nicht an Gesetzen, sondern an einer effektiven Durchsetzung dieser Rechte. Aus anwaltlicher Sicht ist es äußerst unbefriedigend, dem Opfer von Internet-Mobbing mitteilen zu müssen, dass es sich mit einer Strafanzeige wegen Beleidigung und Verleumdung nicht zu große Hoffnung machen sollte, weil die Behörden veraltet ausgestattet sind, unter Personalmangel leiden und zu wenig geschulte Ermittler haben, die Internetsachverhalte rasch aufklären können. Zu oft verlaufen die Ermittlungen wegen solcher Straftaten im Sand und der Betroffene erfährt nie, wer sein Peiniger war. Das Vertrauen der Bürger in die Effektivität des Rechtsstaates wird so auf Dauer untergraben. Schon daher ist es geboten, die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches zu stärken. Und das sind nur die Fälle, die nach deutschem Recht greifbar wären. Steht der Server des Webseitenbetreibers hingegen in den USA, auf den Philippen oder in Indien, steht der Betroffene regelmäßig quasi rechtlos dar, weil auch die Ermittlungsbehörden nicht weiter wissen. Internationale Zusammenarbeit der Verfolger von Internetkriminalität tut not und auch Anwälte sind aufgefordert, sich möglichst ein Netzwerk zu schaffen, um Internetdelikte für Mandanten auch im Ausland effektiv angehen zu können. Denn viele Rechtsordnungen stellen Äußerungsdelikte unter Strafe; sie müssen nur verfolgt werden. IV. Der Nutzer als Datenschützer Die Entwicklung der digitalen Welt stellt aber letztlich vor allem einen vor eine Herausforderung: den Nutzer selber also uns alle. Mithilfe des Netzes ist es so einfach wie nie, mit ein paar Klicks weitreichende Rechtstatsachen zu schaffen: Privatsphäre aufzugeben, eventuell Einwilligungen in die Veröffentlichung des eigenen Bildes zu erteilen oder derartiges für Dritte zu erledigen (zum Beispiel für die eigenen Kinder). Wir müssen wissen: Wer sich selbst im Internet ausstellt, kann dauerhaft keinen Schutz seiner Persönlichkeitsrechte erwarten. Wer Opfer von Internet-Kriminalität wird, kann auf den Staat und seine Rechtspflege nur bedingt hoffen. Wir müssen uns selber schützen durch einen verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Daten im Netz. Jeder überlege also besser zweimal, was er im Netz von sich preisgibt. Prof.Dr.ChristianSchertz,Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt. Er hat bereits zahlreiche Fachbücher auf dem Gebiet des Medienrechts veröffentlicht. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse Dominik Höch, Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Er berät insbesondere im Presserecht. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse 722 AnwBl / 2012 Persönlichkeitsrechte in der digitalen Welt, Schertz/Höch

65 Aufsätze Anwaltsrecht Die Anwaltssozietät eine GbR wie jede andere? BGH stellt klar: grundsätzlich keine privilegierte Haftung für Anwälte * Akad. Rat Dr. Christian Deckenbrock, Köln Seit dem Bekenntnis des BGH zur Akzessorietätstheorie im Jahr 2001 mussten viele Einzelfragen der Haftungsverfassung der GbR neu beurteilt werden. Einige ältere Entscheidungen etwa zum Eintritt eines Gesellschafters in die GbR waren nach der Kehrtwende in der Rechtsprechung jedenfalls in ihrer Begründung obsolet geworden. In der Literatur stand dabei die Frage im Mittelpunkt, ob Besonderheiten der freiberuflichen Berufsausübung eine vollständige Übertragung der ursprünglich für die Personenhandelsgesellschaft geschaffenen strengen Grundsätze der persönlichen, unmittelbaren und akzessorischen Haftung erlauben. So war insbesondere umstritten, ob das Haftungsprivileg des 8 Abs. 2 PartGG auf die GbR entsprechend anwendbar ist. Für die interprofessionelle Sozietät war ungeklärt, ob nicht-anwaltliche Gesellschafter auch dann für die Fehler ihrer Anwaltssozien einzustehen haben, wenn letzteren die Durchführung der konkreten Tätigkeit nach dem RDG vorbehalten war. Ein aktuelles Urteil des IX. Zivilsenats des BGH sorgt nun endlich für Rechtssicherheit: Berufsträger, die einer als GbR organisierten Sozietät angehören, haften auch für berufliche Pflichtverletzungen ihrer Mitsozien uneingeschränkt; dies gilt sogar dann, wenn ihnen selbst die Bearbeitung des Mandats gesetzlich untersagt ist. Der Autor begrüßt die klaren Aussagen des BGH, weist aber darauf hin, dass im Berufsrecht die Folgen des Rechtsprechungswandels noch nicht hinreichend bewältigt sind. I. Das Bekenntnis des BGH zur Akzessorietätstheorie Obwohl Anwälten inzwischen mit der PartG, der GmbH, der AG, aber auch den verschiedenen ausländischen Gesellschaftsformen eine breite Palette von Rechtsformen für die gemeinschaftliche Berufsausübung offensteht, ist die GbR immer noch die am weitesten verbreitete Form der Zusammenarbeit. 1 Das wegweisende Urteil des II. Zivilsenats vom , mit dem die Rechts- und Parteifähigkeit der GbR sowie die akzessorische Haftung der Gesellschafter entsprechend 128 Satz 1 HGB anerkannt worden war, war daher auch für Anwaltssozietäten von besonderem Interesse. 2 Denn bis dahin wurde der Anwaltsvertrag nach ständiger Rechtsprechung des BGH mit den der Sozietät angehörenden Anwälten geschlossen. 3 Nun aber kommt der Beratungsvertrag aufgrund der eigenständigen Rechtspersönlichkeit der GbR mit der Sozietät selbst zustande. II. Die notwendige Neuausrichtung der Haftungsverfassung in der GbR Die Grundsatzentscheidung des BGH bildete den Startschuss für weitere Umwälzungen in der Haftungsverfassung der GbR. Während früher der in eine Sozietät eintretende Gesellschafter für deren vorher begründete Verbindlichkeiten nur kraft besonderer Vereinbarung mit dem Gläubiger haftete, 4 trifft ihn heutzutage eine gesetzliche Haftung entsprechend 130 HGB. 5 Dieses Beispiel zeigt, dass mit der Anwendung der 124 ff. HGB eine Verschärfung der Haftungssituation der Gesellschafter verbunden war: Sie müssen nunmehr persönlich, unmittelbar und unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen, ohne dass sie einseitig ihre Haftung begrenzen können. Scheuen die Gesellschafter einen Rechtsformwechsel, können sie ihre Einstandspflicht nur mittels Abrede mit dem Gläubiger begrenzen oder ausschließen Haftungskonzentration auf den Mandatsbearbeiter bei beruflichen Pflichtverletzungen Dass diese Haftungsstrenge die Sozien einer anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaft in gleichem Umfang wie die Gesellschafter bei jeder anderen GbR trifft, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Gleichwohl fanden sich in der Literatur gewichtige Stimmen, die Ausnahmen für anwaltliche bzw. freiberufliche Gesellschaften einforderten. Insbesondere sei 8 Abs. 2 PartGG und die darin für berufliche Pflichtverletzungen festgeschriebene Haftungskonzentration auf den sachbearbeitenden Partner auf die GbR zu übertragen. Denn 8 Abs. 2 PartGG sei keine haftungsmäßige Belohnung für diejenigen, die die bis zur Einführung dieser Norm wenig attraktive PartG wählen, sondern Folge der Besonderheiten freiberuflicher Berufsausübung. 7 Die überwiegende Ansicht lehnte eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs des 8 Abs. 2 PartGG indes ab, weil die Norm speziell für die PartG konzipiert worden sei. 8 Die aus dem Meinungsstreit resultierende Rechtsunsicherheit wurde maßgeblich befeuert durch eine Entscheidung des II. Zivilsenats vom , in der es zur Haftung der Gesellschafter einer GbR heißt: Eine Ausnahme könnte lediglich für Verbindlichkeiten aus beruflichen Haftungsfällen in Betracht kommen, da sie, wie die Bestimmung des 8 Abs. 2 PartGG zeigt, eine Sonderstellung einnehmen. Ob der Grundsatz der persönlichen Haftung für Altverbindlichkeiten auch insoweit Anwendung findet, kann... offenbleiben. 9 Der Grund für die Aufnahme dieses ausdrücklichen Vorbehalts und die damit verbundene Zurückhaltung des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Senats haben Beobachter in der Kompetenzabgrenzung zum für das Anwaltshaftungsrecht verantwortlichen IX. Senat gesehen. Offenbar * Zugleich Besprechung des zweiten Teils (Rn. 67 ff.) von BGH, Urt. v IX ZR 125/10, NJW 2012, 2435 = AnwBl 2012, 773 (in diesem Heft). 1 Henssler, in: Henssler/Streck, Handbuch Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2011, A Rn. 28 ff. 2 BGHZ 146, 341, 343 ff. = NJW 2001, 1056 ff.; siehe vorher auch schon BGHZ 142, 315, 318 ff. = NJW 1999, 3483, 3484 f. 3 BGHZ 56, 355, 357 ff. = NJW 1971, 1801, BGHZ 74, 240, 242 ff. = NJW 1979, 1821; ähnlich auch heute noch die fragwürdige Entscheidung OLG Düsseldorf, NJW 2012, 1892, BGHZ 154, 370, 372 ff. = NJW 2003, 1803, 1804 f. 6 Vgl. BGHZ 142, 315, 318 ff. = NJW 1999, 3483, 3484 f. 7 Hirtz, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2010, 8 PartGG Rn. 1; ders., AnwBl 2008, 82, 83; siehe auch Rinkler, in: Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/ Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011, Rn. 398; Kamps/Wollweber, DStR 2009, 926, Arnold/Dötsch, DStR 2003, 1398, 1402 f.; Damm, JR 2008, 221, 223; Hasenkamp, DB 2003, 1166, 1167; Lux, NJW 2003, 2806, 2807; Römermann, NJW 2009, 1560, 1561; K. Schmidt, NJW 2005, 2801, 2805; Ulmer, ZIP 2003, 1113, BGHZ 154, 370, 377 = NJW 2003, 1803, Die Anwaltssozietät eine GbR wie jede andere?, Deckenbrock AnwBl /

66 Anwaltsrecht sollte dem IX. Senat, dem jedenfalls in der damaligen Besetzung attestiert wurde, mehr Sensibilität für die besondere Situation der Freien Beratungsberufe durch die Berücksichtigung berufsspezifischer Besonderheiten zu zeigen, 10 Raum gegeben werden, einen Sachverhalt, in dem es um die Haftung wegen einer beruflichen Pflichtverletzung geht, auch anders entscheiden zu können. 11 Seit 2003 musste daher die Praxis mit der Unsicherheit leben, ob Sozien auch für berufliche Pflichtverletzungen einer GbR uneingeschränkt einzustehen haben. Zwar hatte der IX. Senat bereits in einer Entscheidung vom etwas versteckt anklingen lassen, dass das in 128 HGB zum Ausdruck kommende Haftungsprinzip... auch auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten einer Anwaltssozietät zu erstrecken sei. 12 Eine ausdrückliche Distanzierung vom 2003 gemachten Vorbehalt war hiermit allerdings nicht verbunden; jedenfalls wurde die Entscheidung in der Öffentlichkeit nicht als solch klares Bekenntnis wahrgenommen Interprofessionelle Sozietät Als eine andere Eigenart der Gesellschafterhaftung in Sozietäten galt die Haftungssituation in der interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft. 1999, also vor dem Bekenntnis des II. Senats zur Akzessorietätstheorie, hatte der IX. Zivilsenat noch angenommen, dass bei Sozietäten unterschiedlicher Berufsangehöriger der Vertrag im Zweifel nur mit denjenigen Sozien zustande komme, die auf dem zu bearbeitenden Rechtsgebiet tätig werden dürfen. Weil Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer nach Art. 1 1 RBerG a.f. keine entgeltliche Rechtsbesorgung hätten erbringen dürfen und sie sich deshalb nicht wirksam vertraglich hätten verpflichten können, wollten die Mandanten nach Ansicht des BGH im Zweifel nicht einen solchen Sozius in einen Vertrag über die Besorgung von Rechtsangelegenheiten einbeziehen, der diese Rechtsberatung nicht ausüben darf. 14 Bereits kurz nach der Entscheidung des II. Zivilsenats vom wurde die These vertreten, dass damit auch die für die interprofessionelle Sozietät entwickelten Haftungsgrundsätze obsolet geworden seien. Vielmehr müssten nunmehr die nicht-anwaltlichen Berufsträger entsprechend 128 Satz 1 HGB ebenfalls für alle Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit einem Rechtsberatungsmandat einstehen. 15 Zum Teil wurde in der Literatur allerdings die Auffassung eingenommen, dass dem Anwaltsvertrag eine konkludente Vereinbarung mit dem Inhalt, dass die Haftung berufsfremder Sozien ausgeschlossen sei, entnommen werden könne. 16 Insoweit stand damit erneut die Frage im Raum, ob berufsspezifische Besonderheiten eine Abweichung von den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen rechtfertigen können. Wiederum hatte der BGH selbst Anteil an der in der Praxis bestehenden Unsicherheit. So hatte der IX. Zivilsenat in den vergangenen Jahren gleich mehrfach die Gelegenheit, die Streitfrage zu entscheiden, ließ sie allerdings jedes Mal verstreichen. Für leichte Irritation sorgte eine Entscheidung vom Januar 2006, in der der IX. Senat mit folgendem Leitsatz aufwartete: Verpflichtet sich eine Sozietät zur Erbringung steuerberatender Leistungen, ist der Vertrag jedenfalls dann nichtig, wenn nicht sämtliche Sozien zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen befugt sind. 17 In der Literatur ist hieraus gefolgert worden, dass einer interprofessionellen Sozietät ein Rechtsberatungsmandat nicht mehr erteilt werden könne. 18 Diese Sichtweise dürfte allerdings auf einem Missverständnis der Entscheidung beruht haben. Denn richtigerweise hat nicht allein der Umstand, dass der Sozietät ein Berufsträger angehört hat, der selbst nicht zur Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeit befugt war, zur Nichtigkeit des Vertrags geführt. Maßgeblich war vielmehr, dass dieser Gesellschafter (im Streitfall: ein nur in Griechenland zugelassener Steuerberater) nach den Vorgaben des StBerG überhaupt nicht Sozius hätte sein, die Sozietät es daher gar nicht hätte geben dürfen. 19 Dies ist aber nicht der Fall, solange die Vorgaben aus 59a BRAO für den Gesellschafterkreis beachtet sind. Mitte 2008 entschied der IX. Senat in einem weiteren Urteil, dass eine rückwirkende Haftung von berufsfremden Mitgliedern einer gemischten Sozietät im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft nicht in Betracht komme. 20 Weil die Beratung im streitgegenständlichen Fall vor der Anerkennung der Akzessorietätstheorie erfolgt sei, seien die zum damaligen Zeitpunkt maßgeblichen Umstände für die Frage beachtlich, mit wem der hier in Rede stehende Beratungsvertrag zustande gekommen ist. Die Sozietät als Rechtssubjekt scheide hierfür aus, weil die Rechtsfortbildung zur eigenständigen Rechtspersönlichkeit der BGB-Gesellschaft erst mit dem Urteil vom begonnen habe. Auch in einer weiteren Entscheidung von Februar 2009 konnte bzw. wollte der IX. Zivilsenat die Frage nach der Haftung in der interprofessionellen Sozietät offenlassen, indem er die Grundsätze des Vertrauensschutzes für die betroffenen nicht-anwaltlichen Berufsträger weiter ausdehnte. Komme der Vertrag über eine Rechtsberatung wegen der Beschränkungen des RBerG allein mit dem einer gemischten Sozietät angehörenden Rechtsanwalt zustande, werde auch nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR ein durch die frühere Beratung ausgelöster Folgeauftrag mit ihm geschlossen, sofern er nicht erkennbar zum Ausdruck bringe, nunmehr namens der Sozietät zu handeln. 21 Bereits im Dezember 2010 hatte der IX. Zivilsenat erneut Gelegenheit, sich den Streitfragen rund um die interprofessionelle Sozietät zu widmen. Dieses Mal ging er, vielleicht beeinflusst durch den kurz zuvor erfolgten Wechsel im Senatsvorsitz (Godehard Kayser hatte das Amt von Hans Gerhard Ganter übernommen), einen Schritt weiter und urteilte, dass 10 Henssler, LMK 2004, 118, Siehe nur Arnold/Dötsch, DStR 2003, 1398, 1402; Römermann, NJW 2009, 1560, BGHZ 172, 169, 177 = NJW 2007, 2490, 2492 f. = AnwBl 2007, 717, Vgl. etwa Römermann, NJW 2009, 1560, 1561; siehe auch Hirtz, AnwBl 2008, 82, 83, der auf eine abweichende Entscheidung des II. Senats hoffte. 14 BGH NJW 2000, 1333, 1335 = AnwBl 2000, 316, 317; siehe auch BGH NJW 2000, 1560, 1561 = AnwBl 2001, 69, OLG München, Stbg 2006, 177, 178; Henssler, PartGG, 2. Aufl. 2008, 8 Rn. 32 ff.; Hartung, MDR 2001, 735, 740; Knöfel, BRAK-Mitt. 2006, 156, 159 ff.; Römermann, NJW 2009, 1560, 1562; Vollkommer/ Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl. 2009, 4 Rn. 20; Mennemeyer, in: Fahrendorf/Mennemeyer/ Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl. 2010, Rn. 123; Brandi, in: Kilian/ Offermann-Burckart/vom Stein, Praxishandbuch Anwaltsrecht, 2. Aufl. 2010, 9 Rn. 40; Lux, DStR 2008, 1982 f.; Stobbe, AnwBl 2010, 449, Vgl. Rinkler (Fn. 7), Rn. 397; Gladys, Stbg 2006, 178, 187 ff.; Deckenbrock, EWiR 2009, 333, 334; Dahns, NJW-spezial 2009, 382; Jungk, AnwBl 2009, 865, 866, Posegga, DStR 2009, 2391, 2395 f.; Matz/Henkel, VersR 2010, 1406, BGH NJW-RR 2006, Posegga, DStR 2006, 1055, Henssler (Fn. 15), 8 Rn. 34; ders./jansen, LMK 2006, ; Kilian, in:koch/kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, B Rn. 892 ff. Jedenfalls hat der Senat inzwischen ausdrücklich seine damalige Aussagen aufgegeben, vgl. BGH NJW 2011, 2301, 2302 = AnwBl 2011, 220, BGH NJW-RR 2008, 1594, BGH NJW 2009, 1597, 1598 = AnwBl 2009, 461 f. m. krit. Anm. Deckenbrock, EWiR 2009, AnwBl / 2012 Die Anwaltssozietät eine GbR wie jede andere?, Deckenbrock

67 Anwaltsrecht eine aus Rechtsanwälten und Steuerberatern bestehende gemischte Sozietät sich auch vor dem Inkrafttreten des RDG zur Erbringung anwaltlicher Dienstleistungen verpflichten konnte. Zu der Frage der Haftung der einzelnen Berufsträger bedurfte es einer Stellungnahme des Senats indes nicht. 22 III. Die Klärungen durch das Urteil vom Für die Praxis bringt das nun veröffentlichte Urteil des IX. Senats man ist geneigt zu sagen: endlich Klarheit, und zwar für die analoge Anwendbarkeit des 8 Abs. 2 PartGG auf die GbR als auch für die Haftungsgrundsätze in der interprofessionellen Sozietät. Diese Offenheit überrascht angesichts der früheren Zurückhaltung des Senats und des Umstands, dass nach dem vom Berufungsgericht noch weiter aufzuklärenden Sachverhalt durchaus auch eine Verjährung des eingeklagten Anspruchs in Betracht kommt (in diesem Fall müsste die Frage der Haftung der Gesellschafter überhaupt nicht mehr entschieden werden). 1. Entsprechende Anwendbarkeit des 8 Abs. 2 PartGG Der IX. Senat lehnt in gerade einmal zwei Sätzen die Auffassung ab, die die Regelung des 8 Abs. 2 PartGG auf Sozietäten in der Rechtsform einer GbR übertragen wissen wollte: Eine solche Analogie setzte nicht nur die auf der Grundlage der Doppelverpflichtungslehre vorgenommene Beschränkung der Haftung auf die anwaltlichen Sozien fort, sondern führte weiter gehend entgegen der Regelung des 51a Abs. 2 Satz 1 BRAO eine Haftungskonzentration auf die mit dem Mandat befassten Sozien auch insoweit ein, als diese Rechtsanwälte sind. Ein solcher Analogieschluss ist zudem wegen des Fehlens einer Regelungslücke unzulässig, weil die Haftungskonzentration im Falle der PartG gesetzlich gerade nur für diese Rechtsform geschaffen worden ist und zudem im Gegenzug für dieses Haftungsprivileg die Publizität der Gesellschaftsverhältnisse gemäß 4 Abs. 1, 7 Abs. 1 PartGG verlangt wird. 23 Diesen Ausführungen ist inhaltlich auch in dieser Kürze in jeder Hinsicht zuzustimmen. Offen ist eigentlich nur die Frage, ob das Gebot richterlicher Zurückhaltung es wirklich verboten hat, diese Selbstverständlichkeit nicht früher eindeutig festzustellen. 2. Haftung auch nicht-anwaltlicher Berufsträger Auch die zweite Streitfrage arbeitet der IX. Senat angesichts der langen Vorgeschichte erstaunlich knapp ab. Sofern die Auslegung der Parteierklärungen nach den 133, 157 BGB ergebe, dass der Anwaltsvertrag mit der Sozietät selbst geschlossen worden sei und kein Einzelmandat des sachbearbeitenden Sozietätsmitglieds vorliege, gebe es regelmäßig keinen Grund für die Annahme, die persönliche Haftung solle sich auf einzelne Sozietätsmitglieder beschränken. 24 Auf die Frage, ob ein Mandant von einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater wirklich erwarten könne, dass er für Fehler einzustehen habe, die er wegen eines gesetzlichen Verbots gar nicht hätte verhindern können, sind die Richter erst gar nicht eingegangen. Insoweit hätte es nahe gelegen, zum Verhältnis von Erfüllungsbefugnis und Haftung Stellung zu nehmen. Dennoch ist das Ergebnis des Senats nachvollziehbar: Wenn selbst ein neu eintretender Gesellschafter gem. 130 HGB haftet, obwohl das Mandat bereits beendet ist, verdeutlicht dies, dass ein Gleichlauf von Erfüllungsbefugnis und Haftung nicht zwingend ist Verbliebene berufsspezifische Besonderheiten Der IX. Senat hat in seinem Urteil vom nicht einmal einen Ansatzpunkt für die Anerkennung berufsspezifischer Besonderheiten in den zur Entscheidung stehenden Fragen gesehen. Die Anwaltssozietät ist daher grundsätzlich eine GbR wie jede andere. Gleichwohl bleiben in einer GbR organisierte Anwälte in zwei anderen Punkten privilegiert: a) Haftungsbeschränkung durch AGB Weil für die im Namen der GbR begründeten Verbindlichkeiten die Gesellschafter kraft Gesetzes persönlich haften, kann nach der Rechtsprechung des BGH diese Haftung nicht durch einen Namenszusatz oder einen anderen, den Willen, nur beschränkt für diese Verpflichtungen einzustehen, verdeutlichenden Hinweis begrenzt, sondern grundsätzlich nur durch eine individualvertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden. 26 Formularvertragliche Haftungsbeschränkungen benachteiligen den Vertragspartner regelmäßig unangemessen i.s.d. 307 Abs. 1 BGB; eine Ausnahme hat der BGH lediglich für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten von Immobilienfonds wegen der Eigenart derartiger Fonds als reine Kapitalanlagegesellschaften anerkannt. 27 Eine weitere Ausnahme hat der Gesetzgeber in 51a Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAO 28 vorgesehen; diese Sonderregelung verdrängt die 307 ff. BGB in ihrem Anwendungsbereich. 29 Obwohl die Norm schon lange vor der 2001 erfolgten Rechtsprechungsänderung in Kraft getreten ist und der Gesetzgeber damit gar nicht die akzessorische Haftung der Gesellschafter im Blick haben konnte, erlaubt sie es Anwälten, die persönliche Haftung auf einzelne Mitglieder einer Sozietät, die das Mandat im Rahmen ihrer eigenen beruflichen Befugnisse bearbeiten und namentlich bezeichnet sind, zu begrenzen. Voraussetzung ist, dass die Zustimmungserklärung zu einer solchen Beschränkung keine anderen Erklärungen enthält und vom Auftraggeber unterschrieben ist. Zu beachten ist, dass die Norm nur den Ausschluss der persönlichen Haftung der nicht mandatsbearbeitenden Berufsträger für die Schulden der Sozietät erlaubt, nicht aber der Haftung der Sozietät selbst. 30 b) Zusammenschluss von Einzelanwälten zu einer Sozietät Eine weitere Besonderheit betrifft den Zusammenschluss von Einzelanwälten zu einer Sozietät. Da 130 HGB den Eintritt in eine bestehende Sozietät voraussetzt, aber nicht an eine Neugründung anknüpft, statuiert die Norm keine Haftung des einen Anwalts für Altverbindlichkeiten des anderen. Für Kaufleute sieht allerdings 28 Abs. 1 Satz 1 HGB eine entsprechende Haftung des eintretenden Kaufmanns für die im Betrieb des bisherigen Einzelkaufmanns begründeten Verbindlichkeiten vor. Anders als 130 HGB ist diese Vorschrift nach einer Entscheidung des BGH vom 22 BGH NJW 2011, 2301 ff. = AnwBl 2011, 220 ff. 23 BGH NJW 2012, 2435, 2442 = AnwBl 2012, 773 Rn BGH NJW 2012, 2435, 2442 = AnwBl 2012, 773 Rn Zu der Frage, ob diese Verbindlichkeiten von der Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt werden, Chab, AnwBl 2012, 274, BGHZ 142, 315, 318 ff. = NJW 1999, 3483, 3484 f. 27 BGHZ 150, 1, 5 f. = NJW 2002, 1642, Vgl. für Steuerberater 67a Abs. 2 StBerG sowie für Wirtschaftsprüfer 54a Abs. 2 WPO. 29 Stobbe, in: Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl. 2011, 51a Rn. 67; Vollkommer/Greger/Heinemann (Fn. 15), 4 Rn Tauchert, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2010, 51a Rn. 27. Zu den Folgen vgl. Stobbe (Fn. 29), 51a Rn. 67. Die Anwaltssozietät eine GbR wie jede andere?, Deckenbrock AnwBl /

68 Anwaltsrecht nicht auf Anwälte übertragbar. Weil das Rechtsverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten in erster Linie durch die persönliche und eigenverantwortliche anwaltliche Dienstleistung geprägt sei, greife der Gedanke einer auf die Kontinuität eines Unternehmens gestützten Haftungserstreckung nicht. Zudem stünde Anwälten mangels Registerpflicht der GbR nicht wie den Gesellschaftern einer ohg gemäß 28 Abs. 2 HGB die Möglichkeit offen, einer abweichenden Vereinbarung durch Eintragung in das Handelsregister Dritten gegenüber Geltung zu verleihen. Nichtkaufleute wären daher bei einer analogen Anwendung des 28 HGB schlechter gestellt als Kaufleute. 31 Zwar wird man mit guten Gründen bezweifeln können, dass die Höchstpersönlichkeit der Anwaltsleistung etwas mit der Zuweisung des Vertragsverhältnisses zur Kanzlei zu tun hat. 32 Henssler hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber in 2 Abs. 2 PartGG ein eindeutiges Votum gegen die analoge Anwendbarkeit des 28 HGB auf die freien Berufe abgegeben habe. Wenn der Gesetzgeber die 25 und 28 HGB für die PartG für unanwendbar erklärt hat, obwohl für diese Gesellschaftsform Registerpublizität besteht und daher die Eintragung abweichender Vereinbarungen in das Partnerschaftsregister entsprechend 25 Abs. 2, 28 Abs. 2 HGB möglich wäre, verbietet es sich erst recht, diese Haftungsnormen auf die freiberufliche Sozietät zu erstrecken. 33 Wenngleich die Karlsruher Richter in dem nun vorliegenden Urteil vom sich mit der Anerkennung berufsspezifischer Besonderheiten schwer getan haben, wird sich auch zukünftig nichts an dem insoweit abweichenden Ergebnis zu 28 HGB ändern. Schließlich hat der IX. Senat erst im November 2011 seine Rechtsprechung von 2004 ausdrücklich bekräftigt. 34 IV. Die Anwalts-GbR im Berufsrecht Nach dem Urteil des IX. Senats scheint das gesellschaftsrechtliche Haus der Anwalts-GbR vorerst fertiggestellt. Betrachtet man dagegen die berufsrechtlichen Regelungen, zeigt sich ein anderes Bild: Die Rechtsfähigkeit der GbR hat bislang in BRAO und BORA keinen Eingang gefunden, wie der Umstand verdeutlicht, dass alle Normen vom Einzelanwalt ausgehen. Gleichzeitig fehlt den Gerichten der Mut, den sie in gesellschaftsrechtlichen Fragen noch bewiesen haben. So ist Bezugssubjekt für die berufsrechtliche Ahndung von Verstößen gegen Berufspflichten nach 113 Abs. 1 BRAO allein der einzelne Anwalt, nicht aber die Berufsausübungsgemeinschaft. 35 Außerdem ist eine in der Rechtsform einer GbR organisierte Anwaltssozietät anders als die GmbH ( 59c I, 59g BRAO) nicht Trägerin der Berufszulassung. Sie stützt sich wie der BGH jüngst noch einmal betont hat in ihrer Tätigkeit auf die Berufszulassung ihrer Gesellschafter und hat sich in deren Grenzen zu bewegen. 36 Aus dem Fehlen einer 7 Abs. 4 PartGG, 59l BRAO vergleichbaren Regelung folgert die herrschende Meinung zudem, dass der als GbR organisierten Sozietät keine eigene Postulationsfähigkeit zukommt. 37 Auch in das Rechtsanwaltsverzeichnis werden nach 31 BRAO keine Sozietäten selbst eingetragen, sondern nur die die Sozietät bildenden Anwälte. Selbst für Rechtsanwaltsgesellschaften nach den 59c ff. BRAO gilt nichts anderes, obwohl sie eine eigene Zulassung haben ( 59g, 60 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BRAO). Es gibt daher kein Register für Berufsausübungsgesellschaften. 38 Nach 24 Abs. 1 Nr. 4 BORA ist der Rechtsanwalt lediglich verpflichtet, dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer unaufgefordert und unverzüglich die Eingehung oder Auflösung einer Sozietät, PartG oder sonstigen Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung anzuzeigen. Insoweit ist bemerkenswert, dass das RDG fortschrittlicher ist als die BRAO: Eine GbR, die Inkassodienstleistungen, Rentenberatung oder Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht anbieten möchte, kann nach 10 RDG eine eigene Registrierung erlangen. V. Fazit Mit wohltuender Klarheit hat der IX. Senat zwei wichtige gesellschaftsrechtliche Streitfragen beantwortet. Berufsspezifische Besonderheiten rechtfertigen es weder, 8 Abs. 2 PartGG auf die GbR entsprechend anzuwenden, noch Gesellschafter, die aufgrund der Vorgaben des RDG ein Mandat nicht betreuen dürfen, von der Haftung für das Fehlverhalten der erfüllungsbefugten Gesellschafter auszunehmen. Wer diese Haftungsgefahren zukünftig nicht tragen möchte, muss die Umwandlung der GbR in eine andere Rechtsform in Betracht ziehen. Mit der PartG mbb erhalten Anwälte demnächst sogar noch eine weitere Alternative zur GbR. 39 Auch wenn die Haftungsgrundsätze der GbR mit der Entscheidung vom weitere Konturen erlangt haben, ist der Prozess, den der BGH mit dem Bekenntnis zur Akzessorietätstheorie vor über einem Jahrzehnt in Gang gesetzt hat, bis heute nicht abgeschlossen. Vor allem die berufsrechtlichen Regelungen bedürfen dringend einer Überarbeitung mit dem Ziel einer (auch) berufsrechtlichen Anerkennung von Anwaltssozietäten in der Rechtsform einer GbR. Da die bereits seit Jahren in Aussicht gestellte 40 große Reform der BRAO in dieser Legislaturperiode ausbleiben wird, werden die Folgen des Rechtsprechungswandels die Anwaltschaft in den kommenden Jahren weiter beschäftigen. 31 BGHZ 157, 361, 366 f. = NJW 2004, 836, 837 f. = AnwBl 2004, 376, Siehe K. Schmidt, NJW 2005, 2801, 2807 f.; kritisch auch Weipert, AnwBl 2004, Henssler, LMK 2004, 118, BGH NJW-RR 2012, 239, 242 = AnwBl 2012, 281, Ausführlich Deckenbrock, in: Henssler/Streck (Fn. 1), M Rn. 20 ff. 36 BGH NJW 2011, 2301, 2302 = AnwBl 2011, 220, 221. BGH NJW 2012, 461, 464 = AnwBl 2012, 95; kritisch hierzu Deckenbrock (Fn. 35), M Rn. 23 ff. 37 Siehe etwa Kilian (Fn. 19), B Rn. 905; Henssler, NJW 2009, 3136, 3137; Jungk, AnwBl 2009, 865; anders Deckenbrock (Fn. 35), M Rn. 44; Schultz, FSHirsch, 2008, S. 525, 531 ff. 38 Dazu Deckenbrock (Fn. 35), M Rn Vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, BR-Drucks. 309/ BT-Drucks. 16/6634, S. 1. Dr. Christian Deckenbrock, Köln Der Autor ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln (Geschäftsführender Direktor Prof. Dr. Martin Henssler). Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 726 AnwBl / 2012 Die Anwaltssozietät eine GbR wie jede andere?, Deckenbrock

69 Aufsätze Anwaltsrecht Fremdbesitz an Kanzleien: Weniger Nebelkerzen Weitblick zählt Rechtsanwalt Markus Hartung, Berlin In England und Wales ist das Fremdbesitzverbot von Anwaltskanzleien gefallen. Doch sind die Alternative Business Structure (ABS) wirklich eine Gefahr für die Anwaltschaft? Bloße Ablehnung könnte so der Autor keine zukunftsfeste Lösung sein. Das Thema Fremdbesitz ist in der Diskussion. Nicht-Anwälte sollen Inhaber einer Anwaltsgesellschaft sein können. In Deutschland und in den meisten anderen Ländern innerhalb und außerhalb Europas ist das nicht erlaubt. In Deutschland ist es wohl auch unpopulär. Die Haltung der deutschen Anwaltschaft scheint zumindest nach den Erhebungen des Soldan Instituts eindeutig zu sein: Mehr als zwei Drittel der Befragten lehnen Fremdbesitz ab. Die BRAK hält den Fremdbesitz für rechtswidrig, was de lege lata im Großen und Ganzen auch richtig ist. Es gibt aber dennoch einen guten Anlass, sich mit dieser Frage zu befassen. Denn in England ist der Fremdbesitz seit Oktober 2011 zulässig geworden: In einiger Hinsicht kann man diese Neuordnung als Liberalisierung bezeichnen. England nimmt in Europa eine Vorreiterrolle ein. Alleine durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird dieses Thema auch nach Deutschland kommen. Mittlerweile ist der Fremdbesitz aber kein rein englisches Thema mehr: Auch in Italien, Dänemark und Spanien, teilweise auch in der Schweiz sind nicht-anwaltliche Beteiligungen zulässig. Die früher eindeutige Haltung in Europa und vielen anderen Teilen der Welt weicht auf. Angesichts dieser Entwicklung muss man sich diesem Thema stellen. Der DAV tut es seit einiger Zeit, im Bewusstsein, damit ein sehr heißes Eisen anzufassen. Totschweigen kann man das Thema ohnehin nicht (mehr). Die zwei Hauptargumente gegen den Fremdbesitz sind zum einen, dass die anwaltlichen Unabhängigkeit gefährdet sein könnte, zum anderen die Sorge, dass Fremdbesitz den Rechtsmarkt in seiner heutigen Form so verändern werde, dass durch die legalisierte Kommerzialisierung der Anwaltschaft der verfassungsrechtlich geschützte Zugang des Bürgers zum Recht beseitigt werde. Mit beiden Argumenten, die sehr schwergewichtig sind, muss man sich befassen. Wenn wir es diskutieren, hilft es, wenn wir es erst einmal sortieren. Zunächst: Fremdbesitz als solchen gibt es schon längst ganz legal: Ein Rechtsanwalt kann sich mit Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern zusammenschließen, auch wenn er in dieser Konstellation nur ein Minderheitsgesellschafter ist (das gilt nicht in der Anwalts-GmbH, aber das lassen wir hier mal außen vor). Das ist, streng genommen, auch Fremdbesitz, erhitzt aber kein Gemüt, eher umgekehrt: Man fragt sich, warum 59 a BRAO so restriktiv ist. Das fragen sich auch diejenigen, die Fremdbesitz entschieden ablehnen. Die Haltung hier, auch auf Seiten der BRAK ist eher: Das sollte man gelegentlich doch mal ändern. Man muss zunächst einmal trennen zwischen Inhaberstellung derjenigen, die in einer Anwaltsgesellschaft tatsächlich arbeiten, und denjenigen, die einen Anteil in einer Anwaltsgesellschaft als reines Finanzinvestment ansehen. Zur ersten Gruppe: Warum dürfen Anwälte sich mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern assoziieren, nicht aber mit Ärzten? Oder Psychologen? Oder Architekten? Warum dürfen Mitarbeiter eines Anwalts keine Anteile an der Anwaltsgesellschaft haben, auch wenn sie für den Anwalt unersetzlich sind und er sie gerne beteiligen möchte? Beeinträchtigt eine solche Mit-Gesellschafterstellung die anwaltliche Unabhängigkeit so sehr, dass man gar nicht riskieren kann, das zu erlauben? Nicht sehr überzeugend, wenn ein Anwalt mit Steuerberatern pp. in einer Gesellschaft zusammen arbeiten kann, auch wenn er nur Minderheitenanteile hält. Anwälte sind auch als Minderheitsgesellschafter davor geschützt, dass ihnen jemand in die core values hineinredet, auch durch Mehrheitsbeschluss solche Beschlüsse wären nichtig. So richtig konsistent ist das also alles nicht, und wenn es nicht konsistent ist, dann ist es häufig auch verfassungs- und europarechtswidrig. Diese Fallgruppe des Fremdbesitzes beeinträchtigt per se weder die Unabhängigkeit des Anwalts noch droht es den Markt so zu verändern, dass alleine deshalb gleich eine Konsolidierungswelle eintritt. Das ausnahmslose Verbot der Fremdbesitzes (oder besser: der Fremdbeteiligung) geht in diesen Fällen zu weit. Anders ist es möglicherweise bei der zweiten Gruppe: Will man reine Finanzinvestoren als Gesellschafter zulassen? Als Mehrheitsgesellschafter? Klare Antwort: Nein. Diejenigen europäischen Staaten, die Fremdbesitz erlauben, gestatten nur einen Minderheitsanteil, um zu verhindern, dass der Anwalt in Abhängigkeit von seinen Geldgebern kommt. Mit Ausnahme von England: Dort ist auch der 100%ige Fremdbesitz erlaubt, aber um den Preis eines so engen und einschneidenden Regulierungsgeflechts, dass man den Begriff Liberalisierung als Etikettenschwindel bezeichnen muss. Das geht so weit, dass solche Kanzleien Mitarbeiter anstellen müssen, die eine direkte Berichtspflicht zur Aufsichtsbehörde haben. Das zeigt, wie gefährlich die englische Aufsicht solche Konstellationen ansieht. Weitere Einzelheiten haben Kilian/Lemke sehr instruktiv beschrieben (AnwBl 2011; 800). Für einen freien Beruf kann sich das niemand wünschen. Wenn überhaupt, kann eine Zulassung von Minderheits- Fremdbesitz reiner Kapitalinvestoren in Betracht kommen. Alles andere ist zu riskant. Das kann man den domestizierten Fremdbesitz nennen. Darauf wird es vielleicht auch in Europa hinauslaufen. Besser man stellt sich jetzt der Diskussion und regelt es selber, als sich vom EuGH in die mißliche Lage bringen zu lassen, in der sich anwaltliche Verbandsvertreter, die den status quo bewahren wollten, schon häufig befanden: mit pants down. Denn das kann nun wirklich niemand wollen. Markus Hartung, Berlin Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vorsitzender des DAV-Berufsrechtsausschusses, Mitglied des DAV-Ausschusses Anwaltliche Berufsethik sowie Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Fremdbesitz an Kanzleien: Weniger Nebelkerzen Weitblick zählt, Hartung AnwBl /

70 Aufsätze Soldan Institut Factoring von anwaltlichen Vergütungsforderungen an Nicht-Anwälte Seit 2007 rechtlich möglich und wie die Anwaltschaft das neue Instrument nutzt Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln Forderungsausfälle bei anwaltlichen Honoraren gehören zur Wirklichkeit des Kanzleialltags. Schon 2006 hatte das Soldan Institut festgestellt, dass die Anwaltschaft davon stärker als andere Berufsgruppen betroffen ist (Hommerich/Kilian, AnwBl 2006, 344). Seit 2007 ist das Factoring von Vergütungsforderungen an Verrechnungsstellen ähnlich wie bei Ärzten außerhalb des gesetzlichen Gesundheitswesens zulässig. Nutzt die Anwaltschaft das Angebot? Das Soldan Institut kommt zu dem Ergebnis, dass es zwar einen Bedarf gebe, die Kosten aber vielen zu hoch seien. I. Beseitigung berufsrechtlicher Hürden durch den Gesetzgeber Nach 49 b Abs. 4 S. 2 BRAO ist die Abtretung einer Vergütungsforderung, die einem Rechtsanwalt gegen einen Mandanten zusteht, nur zulässig, wenn eine ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten vorliegt oder die Forderung rechtskräftig festgestellt ist. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom waren die Voraussetzungen einer Zession einer anwaltlichen Vergütungsforderung deutlich strenger. Vorausgesetzt waren eine Einwilligung des Mandanten in die Abtretung, eine Ausurteilung der Forderung und ein fruchtloser Vollstreckungsversuch. Diese Anforderungen, die bei der Schaffung des 49 b Abs. 4 BRAO im Jahr 1994 in dieser Reichweite erst vom Rechtsausschuss eingefügt worden 2 und in ihrer Sinnhaftigkeit zweifelhaft waren 3, hinderten in der Folge insbesondere die Umsetzung des Geschäftskonzepts anwaltlicher Verrechnungsstellen nach dem Vorbild privatärztlicher Verrechnungsstellen. 4 Durch die Umgestaltung des 49 b Abs. 4 Satz 2 BRAO hat der Gesetzgeber Ende 2007 die Abtretung und Übertragung zur Einziehung an Nicht-Rechtsanwälte erleichtert. Sie ist seitdem zulässig, wenn alternativ, nicht mehr kumulativ, eine ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten vorliegt oder die Forderung rechtskräftig festgestellt ist; auf das Erfordernis eines fruchtlosen ersten Vollstreckungsversuchs hat der Gesetzgeber verzichtet. Beide Alternativen, aus denen die Befugnis zur Zession an einen Nicht-Rechtsanwalt folgen kann, knüpfen daran an, dass den Mandanten betreffende Informationen nicht gegen seinen Willen bekannt werden, da er entweder in die Weitergabe eingewilligt oder es auf eine Rechtsstreitigkeit hat ankommen lassen. Verlangt ist lediglich, dass der Mandant vor der Einwilligung über die Informationspflicht des Rechtsanwalts gegenüber dem neuen Gläubiger aufzuklären ist ( 49 b Abs. 4 Satz 3 BRAO). In der Folge ist der neue Gläubiger in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet wie der zedierende Rechtsanwalt ( 49 b Abs. 4 Satz 4 BRAO). Die Änderung des 49 b Abs. 4 Satz 2 BRAO beruhte nicht zuletzt auf rechtspolitischen Bemühungen eines Unternehmens, das den Ankauf anwaltlicher Vergütungsforderungen seit 2004 nach dem Vorbild privatärztlicher Verrechnungsstellen anbietet. 5 Privatärztliche Verrechnungsstellen rechnen für rund privatärztliche Mitglieder pro Jahr 16 Mio. Privatabrechnungen mit einem Honorarvolumen von rund 2,8 Mrd. Euro ab, rechnerisch also für jedes Mitglied mehr als 400 Rechnungen und ein Honorarvolumen von rund Euro. 6 Hieran orientierte Aktivitäten im Bereich der Anwaltschaft stießen freilich auf berufsrechtliche Probleme. Sowohl Rechtsanwaltskammern als auch Kostenbeamte machten häufig Bedenken gegen das Factoring im Anwaltsbereich geltend, da neben der Einwilligung in die Abtretung eine von 49 b Abs. 4 BRAO a. F. verlangte Ausurteilung der Forderung und ein fruchtloser Vollstreckungsversuch regelmäßig nicht vorlagen. Kunstgriffe, die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm entgegen des Wortlauts alternativ statt kumulativ zu verstehen, verfingen zumeist nicht. 7 Sowohl Bundesrechtsanwaltskammer als auch Bundesministerium der Justiz gaben 2005 zu erkennen, eine Änderung des 49 b Abs. 4 BRAO zu unterstützen, um das Factoring anwaltlicher Vergütungsforderungen de lege ferenda zu ermöglichen. 8 Die entsprechende Änderung wurde allerdings erst im Zuge der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts im Jahr 2007 auf den Weg gebracht. 9 Seit Ende 2007 können Rechtsanwälte daher ihre Vergütungsforderungen bei Vorliegen einer entsprechenden Einwilligung ohne Unsicherheiten über die Wirksamkeit der hierbei notwendigen Zession an eine Verrechnungsstelle verkaufen. Der Ankaufswert der Forderung ist dabei um eine Factoringgebühr reduziert, hinzu kommt zum Teil eine Prüfungsgebühr. Vom Rechtsanwalt zu zahlende Mindestpreise enthalten zudem faktische Umsatzgarantien für die Verrechnungsstellen, durch die eine selektive Weiterreichung von ausschließlich risikobehafteten Forderungen ausgeschlossen werden soll. II. Empirischer Befund Anknüpfend an eine im Jahr 2005 im Vorfeld der Gesetzänderung durchgeführte Befragung, die seinerzeit klärte, inwieweit auf Seiten der Anwaltschaft Interesse an der Ermöglichung des Factoring anwaltlicher Vergütungsforderungen bestand 10, hat das Soldan Institut ermittelt, welche 1 BGBl I S Vgl. BT-Drucks. 12/4993, S Vgl. auch Berger, NJW 1995, 1406, OLG Hamburg Beschl. v , Az. 3 U 115/06 n. v.; LG Hamburg AGS 2006, 538 f.; LG Stuttgart AnwBl. 2007, 455 ff.; LG Hamburg AGS 2007, 487 f.; AG Hamburg St. Georg, AGS 2006, 538; a. A. etwa AG Karlsruhe MDR 2007, Vgl. Creutz, Neue Verrechnungsstelle für Anwaltshonorare gestartet, Handelsblatt vom Vgl. PVS (Hrsg.), Die privatärztlichen Verrechnungsstellen im Verband, o. J., S Der BGH kam im Jahr 2008 in einer Entscheidung über einen Altfall zu dem Ergebnis, dass die frühere Fassung des 49 b Abs. 4 BRAO als verfassungswidrig anzusehen war, vgl. BGH NJW-RR 2008, Creutz, aao 9 BT-Drucks. 16/3655, S Hommerich/Kilian/Jackmuth/Wolf, AnwBl 2006, 123 f. 728 AnwBl / 2012 Factoring von anwaltlichen Vergütungsforderungen an Nicht-Anwälte, Kilian

71 Anwaltsvergütung Bedeutung das Factoring von anwaltlichen Vergütungsforderungen mittlerweile erreicht hat. 11 Die Teilnehmer des Befragung wurden daher um Auskunft gebeten, wie häufig sie seit Inkrafttreten der Änderung des 49 b Abs. 4 Satz 2 BRAO von der Möglichkeit der Abtretung einer Forderung an einen Nicht-Anwalt Gebrauch gemacht haben. Die Frage zielte somit nicht explizit auf anwaltliche Verrechnungsstellen, der praktische Anwendungsbereich der Norm ist allerdings auf das Factoring von Vergütungsforderungen begrenzt. nie selten gelegentlich häufig 1% 0,5% 0,5% 98% 1. Rückblick: Interesse an Factoring vor der Gesetzesänderung 65 Prozent der Anwälte hatten in der 2005 durchgeführten Befragung kein Interesse an einem Factoring ihrer Vergütungsforderungen, 23 Prozent der Rechtsanwälte hatten sich diesbezüglich noch keine Meinung gebildet. Lediglich 12 Prozent der Befragten bekundeten ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit einem Forderungsaufkäufer. Nein 65% weiß nicht 23% Ja 12% Maximaler Abschlag von (arith. Mittel: 8%): 15% 28% 35% 22% mehr als 10% 6% - 10% 4% - 5% bis zu 3% Abb. 1: Abtretung der Vergütungsansprüche an eine anwaltliche Verrechnungsstelle immer 0% III. Bewertung 0% 20% 40% 60% 80% 100% Abb. 2: Abtretung der Vergütungsansprüche an eine anwaltliche Verrechnungsstelle Die Abtretung anwaltlicher Vergütungsforderungen im Zuge eines Factorings hat für die Anwaltschaft bislang keine Bedeutung erlangt. Eine Erklärung dafür, dass nur eine kleine Teilgruppe der 2005 grundsätzlich am Factoring interessierten Rechtsanwälte seitdem von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat, dürfte in den marktüblichen Konditionen für den Ankauf von Vergütungsforderungen liegen. Mehr als die Hälfte der im Jahr 2005 befragten Rechtsanwälte mit grundsätzlichem Interesse bekundete ein solches nur für den Fall, dass die Höhe der Ankaufgebühr 5 Prozent nicht übersteigen würde. Diesem Wert entsprechende Konditionen für das Gesamtpaket sind am Markt für Forderungsverkäufer nicht erzielbar. Nicht nur ist bereits die reine Ankaufgebühr zumeist höher, zusätzlich muss von einer Kanzlei auch noch ein Mindestumsatzvolumen pro Jahr garantiert werden, bei dessen Nichterreichen eine relativ hohe Pauschalgebühr fällig wird. Besonders aufgeschlossen zeigten sich kleinere Kanzleien und jüngere Rechtsanwälte. Festgestellt wurde, dass interessierte Rechtsanwälte bereit sind, dem Forderungskäufer als Gegenleistung für die Entlastung beim anwaltlichen Forderungsmanagement im Schnitt 8 Prozent des Werts ihrer Forderung zu zahlen. 2. Factoring von Vergütungsforderungen durch Rechtsanwälte Von jenen 12 Prozent der Rechtsanwälte, die im Jahr 2005 der Abtretung von Vergütungsforderungen an eine anwaltliche Verrechnungsstelle grundsätzlich offen gegenüberstanden, hat offensichtlich nur eine relativ kleine Teilgruppe von der Legalisierung des Factorings anwaltlicher Vergütungsforderungen Gebrauch gemacht. 98 Prozent der Teilnehmer am Berufsrechtsbarometer 2011 haben noch nie eine Vergütungsforderung an einen Nichtanwalt abgetreten. 2 Prozent haben von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht, davon die Hälfte selten und je ein Viertel gelegentlich und häufig. 11 Die für diese Studie erhobenen Daten beruhen auf einer vom Soldan Institut per Telefax durchgeführten Umfrage. Im Zeitraum vom 26. April bis zum 23. Mai 2011 nahmen insgesamt Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte an der Befragung teil. Die Fragebögen wurden an eine jeweils identisch große Zahl von Rechtsanwälten versandt, die nach dem Zufallsprinzip aus einer Stichprobe von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die tatsächlich anwaltlich tätig sind, ausgewählt wurden. Jeder dieser Rechtsanwälte hatte die gleiche Chance, in die Stichprobe zu gelangen, wodurch das Kriterium einer Zufallsauswahl erfüllt ist. Dr. Matthias Kilian, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt und Direktor des Soldan Instituts. Informationen zum Soldan Institut im Internet unter Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. Factoring von anwaltlichen Vergütungsforderungen an Nicht-Anwälte, Kilian AnwBl /

72 Aufsätze Notarrecht Die Zukunft des Anwaltsnotariats in Deutschland und Europa Der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins plädiert für eine Stärkung des Anwaltsnotariats * Der Notar ist der unabhängige Betreuer der (Urkunds-)- Beteiligten, der durch sorgfältige Ermittlung der (Vertrags-)Grundlagen die Interessen der Beteiligten unter dem Aspekt (Verbraucher-)Schutz, Übereilung und Rechtssicherheit ermittelt, um so eine rechtswirksame Urkunde zu schaffen. Die Stellung sachgerechter Anträge bei Registern aller Art, sowie familien- und erbrechtliche Regelungen mit den Beteiligten zu konzipieren ist eine weitere Aufgabe des Notars. Die Wirtschaftskrise hat zu Urkundsreduzierungen von bis zu 30 Prozent des Urkundsaufkommens geführt. Solche wirtschaftlichen Schwankungen kann das Anwaltsnotariat dank des Weiteren wirtschaftlichen Standbeins bewältigen und somit seine Unabhängigkeit bewahren. III. Bürgernähe des Anwaltsnotariats Das deutsche Notariat ist einzigartig auch wegen seiner Vielfalt. Nurnotariat und Anwaltsnotariat bilden seit langem das Rückgrat einer leistungsfähigen vorsorgenden Rechtsberatung. Doch auch im Notariat ist der Einfluss Europas wirksam. Im vergangenen Jahr hat der Europäische Gerichtshof den Staatsangehörigkeitsvorbehalt im (deutschen) Notarrecht kassiert (EuGH, AnwBl 2012, 592). Wie wird die Zukunft des Notariats aussehen? Der Deutsche Anwaltverein hat dazu Thesen für das Anwaltsnotariat beschlossen (siehe dazu in diesem Heft Zimmerman, AnwBl 2012, 744). Er plädiert dafür, die deutsche Notariatsverfassung aktiv zu gestalten. Das Anwaltsnotariat ist ein Vorbild für Europa. Das Anwaltsblatt dokumentiert die Thesen. Für die Veröffentlichung hat die Redaktion im Interesse der besseren Lesbarkeit Überschriften ergänzt. I. Modellcharakter des Notariats Das in der Bundesrepublik Deutschland praktizierte Notariat, von dem das Anwaltsnotariat ein besonders lebendiger Teil ist, hat nach wie vor Modellcharakter. Das Zusammenspiel von Notariat und öffentlichem Register, der registerrechtliche Gutglaubensschutz und die hohe Qualifizierung der Berufsträger bieten für alle Beteiligten Rechtssicherheit und Verbraucherschutz, und dies auf höchstem Niveau zu niedrigen Kosten. II. Verbraucherschutz und Unabhängigkeit Der Notar und die Notarin sind unabhängig und unparteilich. Sie betreuen die Beteiligten umfassend, ermitteln deren Willen und stellen auch unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes durch ihre Pflicht zur Ab- und Aufklärung des Vertragsbewusstseins des Verbrauchers sicher, dass dieser vor übereilten Vertragsabschlüssen hinreichend gewarnt wird, und schaffen zugleich durch ihre Mitwirkung sachgerechte und zweckmäßige, vor allem aber rechtswirksame Urkunden. Die Anwaltsnotare und Anwaltsnotarinnen in Deutschland gewährleisten, insbesondere auch in weniger dicht besiedelten Gebieten, eine bürgernahe, kostengünstige und verbraucherfreundliche Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen als wichtigem Baustein der vorsorgenden Rechtspflege. Im internationalen Vergleich steht Deutschland nicht zuletzt aufgrund des Anwaltsnotariats auf einer hervorragenden Position. Dies bescheinigt die unabhängige Studie The World Justice Project Rule of Law Index 2011 zur Rechtsstaatlichkeit in 66 Ländern. In der Kategorie Zugang zum Rechtssystem, wozu auch die präventive Rechtskontrolle durch die Tätigkeit der Notare gehört, findet sich Deutschland auf Platz zwei wieder. Die Kosten einer notariellen Dienstleistung sind bundesweit gleich und europaweit konkurrenzlos günstig. IV. Qualität des Anwaltsnotariats Aufgabe einer bürgernahen qualitativ hochstehenden Rechtsversorgung durch notarielle Dienstleistungen muss eine qualitativ hochwertige Ausbildung, eine garantierte Unabhängigkeit und auch eine kurzfristige nahe Erreichbarkeit und Ortsnähe für den Bürger sein. Im Jahre 2000 waren in Deutschland nahezu Notare für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und anderen Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege tätig. Diese Zahl hat sich bis heute zu Lasten der damals knapp Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare um ca auf nicht mehr ganz Anwaltsnotare verringert. * Die Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 46/2012 aus dem Mai 2012 ist vom Ausschuss Anwaltsnotariat und den von Mitgliedern des Geschäftsführenden Ausschusses Anwaltsnotariat erarbeitet worden und Ende April vom Vorstand des Deutschen Anwaltvereins beschlossen worden. Für die Veröffentlichung hat die Redaktion im Interesse der besseren Lesbarkeit Überschriften ergänzt. Mitglieder des Ausschusses Anwaltsnotariat sind: Rechtsanwalt und Notar Günter Schmaler (Emden, Vorsitzender), Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher (Köln), Rechtsanwalt und Notar Volker G. Heinz (Barrister at Law & Scrivener Notary, Berlin/London), Rechtsanwalt und Notar Dr. h.c. Uwe Kärgel (Berlin), Rechtsanwalt und Notar Kay-Thomas Pohl (Berlin), Rechtsanwalt und Notar Karl- Heinz Rennert (Dortmund) und Rechtsanwältin und Notarin Dörte Zimmermann LL.M. (Berlin). Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat: Rechtsanwältin und Notarin Dörte Zimmermann LL.M. (Berlin, Vorsitzende), Rechtsanwalt und Notar Winfried Paulat (Aurich), Rechtsanwalt und Notar Christian Steden (Berlin) und Rechtsanwalt und Notar Dr. Thilo Wagner (Ravensburg). Zuständige DAV-Geschäftsführerin: Rechtsanwältin Tanja Brexl (Berlin). 730 AnwBl / 2012 Die Zukunft des Anwaltsnotariats in Deutschland und Europa, DAV-Stellungnahme

73 Notarrecht Heute müssen Bürger in den staatlichen Notariaten (Baden-Württemberg) bis zu vier Wochen auf einen Termin warten. Zudem geht die Zahl der Notariate zulasten ländlicher Regionen zurück. Davon betroffen sind keinesfalls nur die Länder mit Anwaltsnotariat. Auch in Regionen des Nurnotariats führt der Rückgang der Beurkundungszahlen zu einer Stellenkonzentration. Der Bürger hat beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern Anfahrtswege von bis zu 40 Kilometern zu realisieren. Und dies bei einer Notardichte von Einwohnern pro Notar. Mit einer Ausweitung der auswärtigen Sprechzeiten dass belegen die Erfahrungen in den Regionen mit geringer Notardichte ist der rechtssuchenden Bevölkerung nicht geholfen. Der Zugang zur vorsorgenden Rechtspflege muss gestärkt werden. Wenn im Amtsgerichtsbezirk Ludwigslust auf einen Notar sogar Einwohner kommen, ist die Notardichte im Nachbarbezirk Hagenow wesentlich erträglicher: Dort teilen sich Einwohner einen Notar. Selbst in Nordrhein-Westfalen schwankt die Notardichte. Während im Kammerbezirk Düsseldorf Einwohner auf einen Notar kommen, beträgt die Notardichte im Kammerbezirk Köln Einwohner pro Notar; hingegen liegt im Kammerbezirk Hamm die Notardichte bei ca Einwohner pro Notar. Das Qualitätsniveau für Anwaltsnotare wird durch eine notarielle Fachprüfung und die Fortbildungsverpflichtung gesichert. V. Zwei Berufe bringen Kompetenz ein Vorbild für Europa Die Anwaltsnotarin und der Anwaltsnotar üben zwei Berufe in einer Person aus: Sie sind als Rechtsanwalt und Rechtsanwältin parteiischer Interessenvertreter und als Notarin und Notar unparteiische und unabhängige Sachwalter. Die Tätigkeit in beiden Berufen in derselben Angelegenheit verbietet sich von selbst. Aus der Zweigleisigkeit ihrer Tätigkeit und Funktionen erwächst sowohl ihre große juristische als auch die hohe menschliche und soziale Kompetenz. Das Anwaltsnotariat ist auch für Europa als Vorbild geeignet. Der Anwaltsnotar und die Anwaltsnotarin sind mindestens fünf Jahre als Rechtsanwältin und Rechtsanwalt tätig, bevor sie ein Notaramt übernehmen dürfen. Sie sind darüber hinaus während der gesamten Amtszeit immer auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Sie verfügen daher nicht nur zum Zeitpunkt ihres Amtsantritts über einen breiten Erfahrungsschatz, der sich sowohl auf die vorsorgende als auch auf die nachsorgende Rechtspflege bezieht, sondern erneuern in der Praxis diese Erfahrungen und Kenntnisse fortwährend. Dies befruchtet beide Berufsausübungen. Als Rechtsanwältin und Rechtsanwalt sind die Anwaltsnotarin und der Anwaltsnotar regelmäßig damit befasst, Sachverhalte aus verschiedenen Interessenlagen und Blickwinkeln zu betrachten, diese zu vertreten und Lösungen zuzuführen. Aus der täglichen Berufserfahrung entwickeln sie ein besonderes Problembewusstsein für mögliche Konflikte, die im Sinne von Konfliktvermeidung in ihre Vorschläge zur Regelung von Sachverhalten einfließen. Sie haben damit auch Einblicke in private und wirtschaftliche Lebenssachverhalte sowie Rechtsgebiete, die zunächst sogar notarfremd sein können, die aber als Hintergrundwissen zu sachgerechten Gestaltungen oder sogar Lösungen von verschiedenen Interessenlagen in den notariellen Urkunden führen. Als Vertreter einer Partei sind Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen ständig der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Gegnern, Behörden, Richtern, Rechtsanwaltskollegen und Kolleginnen und den eigenen Mandanten ausgesetzt, so dass ihr Rechtsrat, Handeln und Umgang stets überprüft und reflektiert wird. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse fließen in ihre Amtsausübung als Notare ein. Eine Anwaltsnotarin, ein Anwaltsnotar wird daher immer ein lebendiges Notariat führen, das nicht nur juristische Änderungen selbstverständlich aufnimmt, sondern auch soziale und gesellschaftliche Veränderungen zeitnah berücksichtigt und einbindet. Anwaltlich geprägt im unternehmerischen und dienstleistungsorientierten Arbeiten und Denken, üben Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare ihr Amt kundenorientiert und flexibel aus. VI. Sicherung des Zugangs zum Anwaltsnotariat Die Neuregelung des Zugangs zum Anwaltsnotariat hat die Aspekte der praktischen Ausbildung, der Einbringung der anwaltlichen Grunderfahrung und den zeitlichen Ablauf von Prüfung und praktischer Ausbildung nicht hinreichend berücksichtigt. Eine Evaluierung des Prüfungsverfahrens, die die Zeckmäßigkeit der Neuregelung überprüft, ist geboten. Dies gilt insbesondere auch für die durch die Neuregelung angestrebte Verbesserung des Zugangs von Frauen zum Beruf. In jedem Fall bedarf die Gleichwertigkeit des Zugangsverfahrens zum Anwaltsnotariat und der assessorialen Ausbildung für das Nurnotariat einer neuen verfassungsrechtlichen und europarechtlich unter Berücksichtigung der Niederlassungsfreiheit haltbaren Bewertung. Außerdem ist mit Blick auf die Prüfungsanforderungen nach Wegen zu suchen, die unter Aufrechterhaltung der Qualität und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Notare jedem erfolgreichen Prüfling eine verlässliche Perspektive ermöglichen, in angemessener Zeit zum Anwaltsnotar bzw. zur Anwaltsnotarin bestellt zu werden. Die wirklichen Probleme des Zugangs zum Anwaltsnotariat, nämlich die fehlende Transparenz bei der Stellenausschreibung und der Nachteil für Anwältinnen, werden durch die neue Fachprüfung nicht beseitigt. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Vorbereitung auf eine Prüfung, die an das Niveau eines Staatsexamens heranreicht, von Kinder erziehenden Berufsangehörigen in einer Einzelpraxis gelingen kann. Im Interesse der Bewerber ist es dringend geboten, dass die Länder eine Bedarfsplanung im Anwaltsnotariat veröffentlichen. Nur wenn für Bewerberinnen und Bewerber in ihren konkreten Bezirken absehbar ist, dass sie die Chance haben, sich erfolgreich auf eine Notarstelle zu bewerben, werden sie Zeit und Geld in die Prüfungsvorbereitung investieren. Die Regelung zum Zugang des Notarberufs durch Einführung der Fachprüfung für Anwaltsnotare dürfte durch den unterschiedlich geregelten Zugang zum Nurnotariat verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes fragwürdig sein. Die Frage der Gleichwertigkeit des Die Zukunft des Anwaltsnotariats in Deutschland und Europa, DAV-Stellungnahme AnwBl /

74 Notarrecht Zugangs zum Beruf stellt sich auch unter dem Aspekt der europarechtlich gewährleisteten Niederlassungsfreiheit. Für die Attraktivität des Berufs und der Sicherstellung seines Nachwuchses ist nach Wegen zu suchen, die Verlässlichkeit zu erhöhen, einen erfolgreichen Bewerber, eine erfolgreiche Bewerberin zum Notar bzw. zur Notarin zu bestellen. VII. Verbraucherfreundliches Kostenrecht Für die Akzeptanz notarieller Vergütung ist grundsätzlich ein gesetzlich geordnetes, verbindliches Honorarsystem (Kostenrecht) unerlässlich. Dies ermöglicht allen Bevölkerungsschichten den kostengünstigen Zugang zum Recht. Grundlage dieses Kostenrechts ist die Anknüpfung der Bemessung des Entgelts an dem Wert der von dem Notar und der Notarin in voller Verantwortung bearbeiteten Sache. Das Honorar ist an die wirtschaftliche Entwicklung angemessen anzupassen. Notaren die Wahrnehmung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ermöglicht. Der freie Verkehr notarieller Urkunden EU-europaweit ohne weiteren staatlichen Anerkennungsakt ist anzustreben. Das gilt auch für ihre Eigenschaft als vollstreckbare Urkunden. Es ist deshalb geboten, die Beurkundungsvorschriften europaweit auf hohem Schutzniveau zu harmonisieren. Durch die EuGH-Entscheidung vom steht jetzt fest, dass auch die Notare das Recht auf Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit in Europa haben. Es empfiehlt sich daher, die Ausübung des Notarberufs in Europa durch Umsetzung der Berufsqualifikationsrichtlinie (2005/36/EG) zu erleichtern. Das gesetzliche Honorarrecht ermöglicht dem Notar, wirtschaftlich zu planen und sein Auskommen zu erarbeiten. Nur dadurch ist er in der Lage, kostengünstig, zum Teil kostenfrei Notartätigkeiten für die Bevölkerung anzubieten und zu erbringen. Ebenso unabdingbar ist die Anknüpfung des Honorars an den Wert der von ihm bearbeiteten Sache. Der Notar trägt die Verantwortung für die Richtigkeit der von ihm gefertigten Urkunde, darum haftet er auch. Dafür muss er ein angemessenes Entgelt erhalten, das nicht nur seine Tätigkeit, sondern auch sein Haftungsrisiko vergütet. Die Honorare bleiben allerdings nur auskömmlich, wenn sie von Zeit zu Zeit an Hand der Geldwertentwicklung überprüft und gegebenenfalls an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung angepasst werden. VIII. Europa annehmen Überall in Europa ist festzustellen, dass notarielle Tätigkeit von besonders qualifizierten Berufsträgern und Berufsträgerinnen wahrgenommen wird. Dabei erweist sich der Modus, ausschließlich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu Notaren und Notarinnen zu bestellen, den es in einigen Jurisdiktionen (Deutschland, England und Wales, aber auch in Teilen der Schweiz) gibt, als überlegene Lösung. Damit wäre in Europa eine flächendeckende und zeitnahe Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen zu sichern. Die in einigen nationalen Rechten vorhandenen räumlichen Beschränkungen der Amtstätigkeit, die zunehmend als hinderlich empfunden werden, sind mit der Entscheidung des EuGH vom (Rs. C-54/08) zu überprüfen. Bei aller gebotenen Liberalisierung ist unabdingbar, dass der Notar und die Notarin bei der Beurkundung in fremdem Recht in diesem hinreichend und nachweisbar qualifiziert ist. Die Aus- und Weiterbildung für Notarinnen und Notare innerhalb eines EU-Mitgliedstaats obliegt den Notaren und ihren beruflichen Vereinigungen in eigener Verantwortung, gegebenenfalls auf der Grundlage EU-europaweiter rahmengesetzlicher Vorgaben. Es empfiehlt sich, eine Regelung zur Ausübung des Notarberufs in Europa zu schaffen, die den Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins Nr. 46/2010 Die Stellungnahme ist vom DAV-Ausschuss Anwaltsnotariat und dem Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat des DAV erstellt worden und Ende April vom Vorstand des Deutschen Anwaltvereins beschlossen worden. Für die Veröffentlichung hat die Redaktion im Interesse der besseren Lesbarkeit Überschriften ergänzt. 732 AnwBl / 2012 Die Zukunft des Anwaltsnotariats in Deutschland und Europa, DAV-Stellungnahme

75 Aufsätze Notarrecht Wie europäisch muss das deutsche Notariat in Zukunft sein? Einbeziehung der Notare in die europäische Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie 1 Rechtsanwalt und Notar Volker G. Heinz, Berlin Die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie gilt seit Die Mitgliedstaaten der EU müssen die jeweiligen EU-ausländischen Berufsabschlüsse als gleichwertig anerkennen und den Berufsangehörigen den freien Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt gewähren. Das ist der Grundsatz. Angesichts von Zweifeln über die Gültigkeit der Richtlinie auch für Notare 2, die der EuGH in seiner unten zitierten Entscheidung geäußert hatte, will die EU-Kommission nun den Notarberuf bei der anstehenden Überarbeitung der Richtlinie ausdrücklich mit aufnehmen. Der Autor Notar in Berlin und Scrivener Notary in London hält das für richtig. Das englische Beispiel zeige, dass von einem offenen Notariat alle und gerade die Rechtsnutzer profitierten. I. Reaktionen auf EuGH und EU-Kommission Mit seinen Urteilen vom 24. Mai 2011 hat der EuGH festgestellt, dass auch Notare die europäischen Freizügigkeitsrechte der Dienstleistung und der Niederlassung in Anspruch nehmen können, weil sie nicht an der staatlichen Hoheitsgewalt teilhaben (zum deutschen Notariat: EuGH, AnwBl 2011, 592 (Leitsatz) und Volltext AnwBl Online 2011, 156). Allerdings hat der EuGH den nationalen Gesetzgebern erlaubt, diese Freiheiten einzuschränken. Diese Einschränkungen müssen aber dem europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also zum Schutz wichtiger Rechtsgüter erforderlich, geeignet und angemessen sein. Dabei bedeutet Angemessenheit, dass unter mehreren möglichen Einschränkungen nur die am wenigsten in die Freiheit eingreifende zulässig ist. Diese Urteile haben das Bundesjustizministerium, die Bundesnotarkammer, die Länder und das Nurnotariat nachhaltig erschüttert. Sie sind seitdem bemüht, die Auswirkungen des Urteils auf die deutsche Notariatsverfassung auf die Streichung des Staatsgehörigkeitserfordernisses für EU-ausländische notarielle Bewerber zu beschränken. In der Literatur ist die Reaktion wesentlich differenzierter. Soweit es sich nicht um Auftragsarbeiten des Bundesjustizministeriums und der Bundesnotarkammer handelt, ist die Literatur ganz überwiegend der Auffassung, dass der EuGH die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheiten auch für Notare festgestellt hat; wegen der Feststellung, dass Notare keine staatliche Hoheit ausüben, die nationalen Notariatsverfassungen entsprechend zu überarbeiten seien, Einschränkungen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheiten dem oben dargestellten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterlägen, die Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie aus dem Jahre 2005 auch für Notare gelte, und dass schließlich im Fokus der Überarbeitung der nationalen Notariatsverfassung die Auslandstätigkeiten des Notars, die Altersgrenze, die Bedürfnisprüfung und das Prinzip des Amtsbezirks stehen dürften. II. Der neue Vorstoß der EU-Kommission Währenddessen verfolgt die Europäische Kommission, unbeeindruckt von den Wehklagen der meisten EU-Länder (die überwiegende Mehrzahl kennt nur das Nurnotariat, das deutsche und englische Anwaltsnotariat bilden die große Ausnahme) die Novellierung der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie weiter. Der Kommissionsentwurf bezieht ausdrücklich die Notare in die Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie ein, und die Kommission wiederholt ihren bereits im Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH vertretenen Standpunkt, wonach sie grundsätzlich von den Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheiten der Notare ausgeht. Allerdings schlägt die Kommission vor, diese Freiheit dahingehend einzuschränken, dass im Ausland tätige notarielle Dienstleiter solche Tätigkeit nicht wirksam erbringen können, für die der Gaststaat das nationale Siegel verlangt. Vermutlich will die Kommission den deutschen Notarsiegelführern, also den deutschen und den in Deutschland niedergelassenen EU-ausländischen Notaren, den exklusiven Rechtsverkehr mit den deutschen Registern sichern. Diese Einschränkung ist nicht sachgerecht und ein europäischer Rückschritt. Es gibt bereits eine Fülle von im EU- Ausland errichteten Urkunden, die zum Beispiel deutsche Grundstücke oder deutsche Gesellschaften betreffen, also auch in Deutschland von deutschen Notaren hätten errichtet werden können, und die in Deutschland von deutschen Registern anerkannt werden, allerdings mit der Einschränkung, dass nach strittiger Auffassung vieler Rechtspfleger die Eintragungsanträge in der Regel von deutschen Notaren gestellt werden müssen. Warum, so frage ich mich, soll im Zuge der notariellen europäischen Dienstleistungsfreiheit der niederländische Notar, der in Den Haag in zulässiger Weise zwischen deutschen Eheleuten einen deutschsprachigen Ehevertrag beurkundet hat, nicht auch die Eintragung der Gütertrennung beantragen dürfen? Ist es wirklich erforderlich, geeignet und mit dem geringsten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit verbunden, den Registerverkehr den nationalen Notaren vorzubehalten? Im übrigen akzeptieren bereits heute eine Reihe von deutschen Registern Urkundsanträge ausländischer Notare: es gibt kein umfassendes gesetzliches nationales Siegelerfordernis. III. Deutschland mauert Das erwähnte Siegelerfordernis, an und für sich ein Schritt der Kommission auf die nationalen Notariate zu, reicht den deutschen Landesjustizverwaltungen, der Bundesnotarkammer, dem Bundesjustizministerium und dem Nurnotariat allerdings bei weitem nicht aus. Öffentlich halten sich die Bundesnotarkammer und das Bundesjustizministerium noch zurück; stattdessen haben mit deren Kenntnis und 1 Der Beitrag beruht auf einem Co-Referat des Autors auf der Frühjahrstagung der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat im DAV am 4. Mai 2012 in Celle. Die Votragsform ist für die Veröffentlichung beibehalten worden. 2 Für Notare hier stets Notare und Notarinnen. Wie europäisch muss das deutsche Notariat in Zukunft sein?, Heinz AnwBl /

76 Notarrecht Billigung zwei staatliche Organe den Kampf gegen die Kommission quasi stellvertretend aufgenommen das Niedersächsische Justizministerium, dessen Minister vor Monaten Gespräche in Brüssel ankündigte, die ihn nicht glücklich gemacht haben dürften, und der Bundesrat, der am 2. März 2012 eine Stellungnahme zum Kommissionsentwurf beschlossen hatte. In der Quintessenz wollen die Länder und der Bundesrat die Urteile des EuGH auf den Kopf stellen, das heißt den Notaren die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheiten wieder weitestgehend entziehen. Alle Vorschläge werden mit Argumenten begründet, die der EuGH ausnahmslos ausführlich behandelt und verworfen hatte. Wo bleibt der gebotene Respekt vor dem EuGH und seinen Entscheidungen? Länder und Bundesrat fordern von der EU-Kommission erstens, Notare von der Anwendung der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie gänzlich auszunehmen, da sich der marktorientierte Ansatz der Richtlinie nicht mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und den Grundprinzipien der vorsorgenden Rechtspflege vertrage. Was wären die Konsequenzen? Ausländische Notare, die sich um eine deutsche Notarstelle bewerben, erhalten keinerlei Erleichterungen durch Anerkennung ihrer bisherigen notariellen Prüfungen und Erfahrungen. Ist das sinnvoll für einen österreichischen Bewerber, der eine deutsche Rechtsanwaltszulassung besitzt? Die Argumentation des Bundesrats offenbart dreierlei: 9 die Urteile des EuGH wurden entweder nicht verstanden, oder sind in ihrer rechtspolitischen Konsequenz nicht gewollt; 9 Niemand in deutschen Justizministerien scheint sich die Mühe zu machen, ernsthaft zu hinterfragen, ob Beglaubigung und Beurkundung, wie seit Jahrzehnten beleglos wiederholt wird, tatsächlich originäre staatliche Aufgaben sind. Ohne dieses falsche Axiom bricht das gesamte Gebäude der Amtlichkeit und Hoheitlichkeit zusammen. Außerdem: Wo steht geschrieben, dass Notare Anspruch auf Einbeziehung in den grundgesetzlichen Schutzbereich der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums haben? Gesetzlich ist nichts davon belegt. Es handelt sich um das zweite, vom einfachen Gesetzgeber geschaffene und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte falsche Axiom, gleichfalls seit Jahrzehnten beleglos wiederholt. 9 Wo steht geschrieben, dass die deutschen Register nur funktionieren können, wenn hoheitlich strukturierte nationale Notare mit ihnen kommunizieren? In einem zweiten Argumentationsstrang wird daraufhingewiesen, dass in den EU-Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Notariate bestehen, es fehle daher an einem vergleichbaren Anforderungsprofil. Problematisch seien diese Unterschiede nicht nur bei der Niederlassung ausländischer Notare in Deutschland, sondern vor allem bei der vorübergehenden und gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen. Dazu nur so viel: Ich habe nicht die geringste Mühe, Anpassungsexamina für ausländische Notare zu entwerfen, deren Bestehen ein solides notarielles Wissen vermittelt, welches den erfolgreichen Bewerber befähigt, deutsche Urkunden ordnungsgemäß zu errichten und mit den Registern in einen geordneten Dialog zu treten. Eine dritte Argumentationslinie spricht die sogenannten Verwerfungen an, die sich aus den beiden Notariatsformen Anwalts- und Nurnotariat ergeben. So wäre insbesondere die Niederlassung von Nurnotaren aus dem EU-Ausland im Gebiet des Anwaltsnotariats mit den Strukturmerkmalen dieser Notariatsverfassung unvereinbar. Zunächst zum Tatsächlichen: Es wird nur ganz wenige ausländische EU-Notare geben, die sich in Deutschland niederlassen wollen. Und nur ganz wenige derartige Personen werden sich in den Gebieten des Anwaltsnotariats niederlassen wollen, insbesondere solange, im Gegensatz zu ihrem jeweiligen Heimatland, dort auch weiterhin kein Konkurrenzschutz besteht. Vor allem aber: Wenn in Deutschland sich über Jahrzehnte vier verschiedene Notariatsformen miteinander vertragen haben warum sollen Nurnotare und Anwaltsnotare nicht in einem Bundesland zusammenleben können? In Baden-Württemberg leben doch auch mehrere Notariatsformen seit Jahren friedlich miteinander! Ein vierter Hauptangriff richtet sich gegen jegliche Tätigkeit EU-ausländischer Notare: danach darf dieser EU-ausländische Notar im Aufnahmemitgliedstaat weder Beurkundungen nach dem Recht des Aufnahmemitgliedsstaates oder unter Verwendung von dessen Siegel vornehmen, noch gar darf er im Aufnahmemitgliedsstaat Urkunden nach dem Recht seines Herkunftsstaates oder unter Verwendung seines heimatlichen Siegels errichten! Mit dieser Forderung des Bundesrates kommt die ganze ungeschminkte Wahrheit ans Licht: Letztlich soll der EU-Notar im Ausland weder nach dem Recht des Aufnahmemitgliedsstaates, noch nach dem Recht seines Herkunftsstaates beurkunden dürfen; auch dürfen in Deutschland grundsätzlich nur deutsche notarielle Siegel verwendet werden. Das bedeutet, dass der ausländische Notar letztlich keinerlei nennenswerte Dienstleistungen im EU-Ausland erbringen darf, sofern er dort nicht niedergelassen ist, und dies ohne die Erleichterungen nach der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie. Mehr noch: der Bundesrat will sogar, wenn schon Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie, dann sowohl Eignungsprüfung als auch Ausgleichsmaßnahmen verlangen dürfen, also kumulativ etwas, was die Richtlinie nur alternativ vorsieht. IV. Ein Appell Fazit: Entgegen der Urteile des EuGH keine Dienstleitungsund Niederlassungsfreiheit für deutsche und EU-ausländische Notare! Und neben diesen vom Bundesrat geforderten Barrieren gegen ausländische EU-Notare natürlich unverändert Amtsbezirksprinzip, Bedarfsprüfung und notarielle Fachprüfung allein für Anwaltsnotare. Der Notarassessor hat ohne zusätzliches Examen nach wenigen Jahren einen de facto Anspruch auf Ernennung zum Notar, der Rechtsanwalt nach erfolgreicher Notariatsprüfung nicht. Kümmern sich die deutschen Justizminister um diese Verwerfungen? Nur Europa kann die wirkliche Europäisierung der EU-Notare erreichen, über den EuGH, die EU-Kommission und die Europäische Grundrechtecharta. Aber erstreiten müssen wir dies vermutlich individuell in Musterprozessen. Volker G. Heinz, Berlin/London Der Autor ist Rechtsanwalt und Notar in Berlin sowie Barrister-at-Law und Scrivener Notary in London. Er ist Mitglied im Ausschuss Anwaltsnotariat des Deutschen Anwaltvereins. Der Beitrag gibt seine persönliche Auffassung wieder. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 734 AnwBl / 2012 Wie europäisch muss das deutsche Notariat in Zukunft sein?, Heinz

77 Bücherschau Anwaltshaftung und Vergütungsrecht Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln I. Anwaltshaftung 1 Das Thema der Anwaltshaftung bietet eine solche Vielzahl von Einzelaspekten mehr als 1000-seitige Handbücher zur Materie sind anschaulicher Beleg hierfür, dass sich Doktoranden in den zurückliegenden Jahren immer neue Teilaspekte herausgegriffen haben, die zum Gegenstand von Promotionsvorhaben geworden sind. Interessanterweise ist der Aspekt der Anwaltshaftung, der für einen Laien vermutlich der nahe liegendste Ansatzpunkt ist, nämlich die inhaltlich falsche, rechtsfehlerhafte Beratung eines Die Haftung des Rechtsanwalts für Rechtsfehler Kristina Soffner, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2011, 218 S., ISBN , 58,00 Euro. Mandanten, nicht gesondert untersucht worden (sieht man einmal von einer Arbeit von Friedmann ab, die vor einigen Jahren die Frage der Bedeutung von Präjudizien für die anwaltliche Tätigkeit näher betrachtet hat hierzu Bücherschau AnwBl 2004, 244). Ein Grund hierfür mag sein, dass die meisten Anwaltshaftungsfälle gerade nicht auf fehlerhafter Rechtsanwendung beruhen, sondern eher Folge organisatorischer Versäumnisse in Anwaltskanzleien sind. Nichtsdestotrotz ist es reizvoll, die Frage zum Gegenstand einer detaillierten Untersuchung zu machen, wann der Anwalt haftet, wenn er nicht trifft, was letztinstanzlich für Recht erkannt wird. Kristina Soffner ist diesem Thema in ihrer Studie Die Haftung des Rechtsanwalts für Rechtsfehler nachgegangen, einer in Hannover entstandenen Dissertation. Vor dem Hintergrund objektiver Ungewissheit im Hinblick auf eine spätere gerichtliche Festlegung wird von ihr die Haftung des Rechtsanwalts für fehlerhafte Rechtsberatung analysiert. Im Kern geht es dabei um die Frage, was die für die anwaltliche Beratung maßgebliche Rechtslage ist. Unter Einbeziehung der Rechtsprechung zur Anwaltshaftung und der Kritik, die diese seit Jahrzehnten begleitet, begibt sich Soffner durch eine Rückbindung an die dogmatischen Grundlagen der zivilrechtlichen Vertragshaftung auf die Suche nach Antworten. Angenehm fällt auf, dass die Verfasserin sich nicht in der Systematisierung der überaus umfangreichen Kasuistik zum Anwaltshaftungsrecht verliert, sondern bewusst eine dogmatische Rückbindung an Grundprinzipien des Dienstvertragsrechts und des Schuldverhältnisses im Allgemeinen vornimmt. So analysiert sie etwa einleitend losgelöst von der Anwaltshaftung die Problematik der Risikoverteilung im Schuldverhältnis für die Parteien bei Verfehlung der Rechtslage und untersucht im Folgenden die Parameter der zivilrechtlichen Vertragshaftung zwar mit Blick auf den Anwaltsvertrag, aber doch stets unter intensiver Berücksichtigung allgemeiner Grundsätze. Ergebnis dieses Untersuchungsansatzes ist, dass sie erst nach rund drei Vierteln der Arbeit auf der Basis der skizzierten Grundlegungen Schlussfolgerungen für die anwaltliche Haftung für Rechtsfehler zieht. Sie arbeitet anschaulich heraus, dass die Beratung des Rechtsanwalts der im Sinne des 276 Abs. 2 BGB erforderlichen äußeren Sorgfalt entspricht, wenn diese eine objektiv vertretbare Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt. Erst in einem weiteren Schritt muss der Rechtsanwalt die Kluft zwischen dieser beratungsmaßgeblichen Rechtslage und der letztverbindlichen Entscheidung des Gerichts durch eine sachgerechte Prognose über die Durchsetzbarkeit der Rechtsmeinung, die sich an den Präjudizien orientieren muss, verringern. In ihrer Dogmatik erlangt die Rechtsauffassung des Anwalts höhere Wertigkeit und Bedeutung, wenngleich Soffner einräumt, dass am Ende des Prüfungsgangs nicht zwangsläufig eine andere Entscheidung über die Anwaltshaftung stehen muss als nach der gängigen anwaltshaftungsrechtlichen Rechtsprechung. Ihr Ansatz begegnet aber der bisweilen beklagten Geringschätzung der anwaltlichen Rechtsauffassung im Anwaltshaftungsrecht und ist nicht zuletzt auch deshalb anwaltsfreundlich. 2 Spezifische Arbeiten zur Haftungssituation des Strafverteidigers gab es bis in die jüngste Vergangenheit nicht. Hieran hat sich erst jüngst etwas geändert 2005 und 2006 sind zwei Dissertationen zu dieser Thematik erschienen. Die Die Haftung des Strafverteidigers Knud Dietrich, Verlag Dr. Kovac, Hamburg2011,316S., ISBN , 88,00 Euro. Arbeiten von Müller-Gerteis und Schlecht sind beide in der Bücherschau ausführlicher vorgestellt worden (AnwBl 2006, 131 und 2007, 785). Mit der Arbeit Die Haftung des Strafverteidigers von Knud Dietrich, einer bei Dencker in Münster entstandenen Dissertationsschrift, liegt nun eine weitere wissenschaftliche Studie zu diesem Ausschnittthema der Anwaltshaftung vor. Sie nimmt selbstbewusst für sich in Anspruch, die erste umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Verteidigerpflichten und der Grundlagen der Verteidigerhaftung zu sein, die sich der Thematik im Stile eines praxisbezogenen Handbuchs nähert. Der erste Teil befasst sich auf rund 130 Seiten mit Tätigkeit und Pflichten des Strafverteidigers. Nach einer Erörterung der Rechtsgrundlagen der Institute der Wahl- und Pflichtverteidigung und der aus ihnen resultierenden Rechtsbeziehungen schließt sich eine eingehende Darstellung der dem Verteidiger obliegenden Pflichten an. Hier wird der bekannte Pflichtenkanon Sachverhaltsermittlung, Rechtsprüfung, Beratung und Belehrung, Wahl des sichersten Weges auf den Strafverteidiger herunter gebrochen. Die Ausführungen münden in einer Art zusammenfassenden Leitfaden zum Erstellen und Umsetzen Anwaltshaftung und Vergütungsrecht, Kilian AnwBl /

78 Bücherschau einer pflichtgemäßen Verteidigungskonzeption in Vorbereitung der Hauptverhandlung. Diese Ergebnisse dienen als Grundlage für die sich im zweiten Teil anschließende umfassende Darstellung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Haftung des Strafverteidigers. Dabei werden die Parallelen zur allgemeinen Anwaltshaftung ebenso verdeutlicht wie auch die spezifischen Besonderheiten, die eine Verteidigerhaftung kennzeichnen. Behandelt werden dort u. a. die Fragen Anwaltshaftung in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz, der Schadensfeststellung und -bemessung insbesondere bei immateriellen Schadenspositionen oder der Umwälzbarkeit der strafrechtlichen Rechtsfolge im Regress. 3 Carolin Tronicsek untersucht in ihrer in Regensburg entstandenen Dissertation Der Verteidiger zwischen eigener Strafbarkeit und Schlechtverteidigung, welche Grenzziehungen ein Strafverteidiger beachten muss, um sich weder dem Vorwurf einer strafbaren Handlung noch dem einer schlechten Verteidigung auszusetzen. Die Arbeit arbeitet zu diesem Zweck Untergrenzen der Verteidigung heraus, die Mindestanforderungen darstellen, denen jede Strafverteidigung genügen muss. Die Verfasserin beschränkt zu diesem Zweck den Untersuchungsgegenstand auf den Fall der mandatsinternen Kenntnis von der Schuld des Mandanten, weil der Verteidiger in dieser Situation zudem dem Risiko ausgesetzt ist, sich wegen Strafvereitelung strafbar zu machen. Nach einer kurzen Einführung, die die prozessuale Stellung des Strafverteidigers skizziert und den althergebrachten Theorienstreit auffächert (der weitere Gang der Untersuchung legt die herrschende Auffassung von der Doppelstellung zu Der Verteidiger zwischen eigener Strafbarkeit und Schlechtverteidigung: Ein Beitrag zu den Pflichten des Verteidigers Carolin Tronicsek, Cuvillier-Verlag, Göttingen 2011, 211 S., ISBN , 39,00 Euro. Münchener Anwaltshandbuch Vergütungsrecht Joachim Teubel/Karin Scheungrab (Hrsg.), Verlag C.H. Beck, 2. Auflage, München 2011, 1055 S., ISBN , 109,00 Euro. Grunde), widmet sich die Verfasserin der rechtlichen Beziehung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger in seiner Funktion als Wahl- oder Pflichtverteidiger. Ein weiterer Abschnitt beleuchtet sodann die Reaktionen der Rechtsordnung auf Unzulänglichkeiten der Verteidigung in strafverfahrensund zivilrechtlicher Hinsicht. Ein kürzeres Kapitel erläutert die Strafbarkeit des Strafverteidigers wegen Strafvereitelung, bevor die Studie auf den Kern der Untersuchung zusteuert: Auf 50 Seiten stellt Tronicsek die Pflichten des Strafverteidigers dar, indem sie zunächst das allgemeine vertragsrechtliche Pflichtenprogramm eines Rechtsanwalts auffächert, bevor sie die entsprechend identifizierten Pflichten auf das Verteidigerhandeln überträgt. Das abschließende Kapitel analysiert dann einzelne Verteidigertätigkeiten und definiert jeweils, inwieweit die fragliche Tätigkeit einerseits das Risiko einer Strafvereitelung mit sich bringt ( Obergrenze ) und andererseits die Gefahr besteht, dass sie in die Haftung führt ( Untergrenze ). Mit diesem Ansatz beleuchtet Tronicsek die Beratung des Mandanten, die Weitergabe von Informationen, die Verständigung im Strafverfahren, den Einsatz von Beweismitteln, den Vortrag und das Plädoyer im Verfahren sowie das Verteidigerhandeln im Jugendstrafverfahren. II. Vergütungsrecht Ob die Anwaltsvergütung im Vergleich zur Anwaltshaftung das erfreulichere Thema ist, lässt sich, so ist man versucht zu scherzen, wohl nur individuell, aber nicht verallgemeinernd entscheiden. In jedem Falle sind Handreichungen zur Optimierung der Vergütungspraxis stets gerne gesehen und für Verlage traditionell Verkaufsschlager der Anwaltsliteratur. Das von Joachim Teubel und Karin Scheungrab herausgegebene Münchner Handbuch Vergütungsrecht, dessen Erstauflage 2007 erschienen ist, stellt eine der eher seltenen systematischen Darstellungen des anwaltlichen Vergütungsrechts dar (es wird traditionell in einer solchen Vielzahl von Kommentaren erläutert, dass das Vergütungsrecht als Teilgebiet des Anwaltsrechts in der Bücherschau nur punktuell abgedeckt werden kann). Nach nunmehr vier Jahren ist die Folgeauflage erschienen die Änderung der Herausgeberschaft beruht, Lesern des Anwaltsblatts muss dies nicht erläutert werden, auf dem allzu frühen Tod des Initiators und Herausgebers des Werks, Rembert Brieske. Das Buch hat an Umfang um mehr als 25 % auf mehr als Seiten zugelegt, der Preis im Vergleich hierzu nur um rund 10 % angezogen. Wer die Vorauflage zu Vergleichszwecken zu Rate zieht, wird zahlreiche Umstellungen innerhalb des Werkes feststellen. Die Grobuntergliederung in das Zivil-, Straf- und Öffentliche Recht ist aufgegeben worden, insgesamt 21 Rechtsgebiete werden im nun mehr als 600seitigen Hauptteil des Buches abgehandelt. Neu Berücksichtigung gefunden haben das Agrarrecht, das Aufenthalts- und Asylrecht, das IT-Recht, das öffentliche Baurecht, das Umweltrecht, das Urheber- und Medienrecht und das Vergaberecht. Dogmatisch korrekt ist das knapp 90seitige Kapitel zu Vergütungsvereinbarungen an die Spitze des Buches gewandert. Die besonderen Verfahrensarten sind komplett neu durchgemischt worden, unter dieser Überschrift finden sich nun Abschnitte zur Vergütung in der Mediation, in sonstigen Verfahren der ADR und in berufs- und disziplinarrechtlichen Verfahren. Neu ist zudem ein Kapitel zur materiell-rechtlichen Kostenerstattung. Bereits diese Hinweise auf nur einige der 45 Kapitel des Buches deuten an, dass das Werk ein umfassender Ratgeber in allen Fragen zum Vergütungsrecht ist. Dr. Matthias Kilian, Köln Der Autor ist Rechtsanwalt und Direktor des Soldan Instituts. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 736 AnwBl / 2012 Anwaltshaftung und Vergütungsrecht, Kilian

79 Magazin 738 Die Eurokrise als Verfassungskrise und warum das ein Juristenthema ist Maximilian Steinbeis, Berlin Europa am Scheideweg fragt der 69. Deutsche Juristentag provokant. Am 21. Septembr 2012 wird auf dem Juristentag in München über die Krise der Europäischen Union und die Notwendigkeit einer euopäischen Verfassung diskutiert. Warum das einthemafürjuristenist,erläutertderautor Deutscher Juristentag: Denk ich an Europa... Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Berlin Europa ist nicht mehr en vogue. Es bringt viele um den Schlaf. Doch der Rückblick auf sechs Jahrzehnte europäische Entwickluung zeigt, dass es ohne eine starke Europäische Union nicht geht. Die Krise ist daher eine Chance, meint der Autor sie bringt ihn nicht um den Schlaf. 744 Anwaltsnotariat als Vorbild für Europa Rechtsanwältin und Notarin Dörte Zimmermann, LL.M., Berlin Zwei Berufe sind mehr als einer: Anwalt und Notar das geht und könnte ein Vorbild für Europa sein. Die Autorin plädiert dafür, die Stärken des deutschen Notariats zu betonen und seine Schwäche zu reformieren. 746 Anwälte fragen nach Ethik: Zinsloses Darlehen als Honorar? DAV-Ausschuss Anwaltliche Berufsethik Seit dem Januar-Heft des Anwaltsblatts stellt der DAV-Ausschuss Anwaltliche Berufsethik in jedem Heft eine Frage: Wie würden Sie sich verhalten? Antworten bitte an Die Redaktion leitet alles an den Ausschuss weiter.

80 Report Damit andere EU-Staaten trotz ihrer hohen Schulden weiterhin Kredit bekommen, geht die Bundesrepublik Deutschland mit immer noch unvorstellbareren Summen ins Risiko. Wenn sich dieses Risiko realisiert, dann müssen die Deutschen diese Summen aufbringen: Um das von ihnen verlangen zu können, bedarf es eines Zurechnungszusammenhangs. Wo könnte der herkommen?

81 Report Die Eurokrise als Verfassungskrise Warum die Zukunft Europas ein Juristenthema ersten Ranges ist Maximilian Steinbeis, Berlin Die Eurokrise - so könnte es scheinen - ist kein Thema, zu dem Juristen viel beizutragen hätten. Es geht um Währungs- und Geldpolitik und das ist die Domäne der Ökonomen. Es geht um Staatsschulden und Rettungsmaßnahmen und das ist Sache der Politik. Das Recht spielt dabei zwar auch eine Rolle, aber die wird erstens im hochtourig laufenden europäischen Politikbetrieb laufend umgeschrieben und verlangt zweitens ein Maß an europa- und finanzrechtlichen Spezialkenntnissen, das kaum ein Normaljurist aufzubringen in der Lage wäre. Wie man aus der Eurokrise möglichst heil wieder herauskommt, ist natürlich eine Frage, die sich Juristen genauso stellen wie jeder andere mündige Zeitungsleser auch aber was ist das spezifisch Juristische daran? Oder, anders gefragt: Warum setzt der diesjährige Deutsche Juristentag in München das Thema Europa am Scheideweg so prominent auf die Agenda, dass er ihm zum Abschluss der Tagung am 21. September eine Podiumsdiskussion widmet? Die Antwort lautet: aus gutem Grund. Die Eurokrise ist längst nicht mehr nur ein Geldthema. Es geht längst nicht mehr nur darum, welches Land wofür wie viel zahlt. Die gesamte Konstruktion der Eurozone und darüber hinaus der Europäischen Union insgesamt ist in Frage gestellt. Diese Konstruktion ist bekanntlich, wie Walter Hallstein schon 1959 feststellte, die einer Rechtsgemeinschaft. Die europäische Integration ist wie keines sonst ein Juristenprojekt, von Juristen erdacht, gemacht und vorangetrieben, bestehend aus Rechtsakten, aus Verträgen, Richtlinien, Verordnungen und Umsetzungsgesetzen, die ihrerseits von Juristen interpretiert, angewandt und umgesetzt werden. Kein Rechtsgebiet ist mehr frei von europarechtlichen Bindungen und Vorgaben. Wenn die Grundlagen des Europarechts zu beben beginnen, dann bekommt jedes Rechtsgebäude Risse. Kein Jurist kann da so tun, als gehe ihn das nichts an. Die europäische Verfassungskrise, zu der sich die Eurokrise längst entwickelt hat, hat zwei Dimensionen, eine europäische und eine nationale, und beide hängen eng miteinander zusammen. Die nationale Dimension wird derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt: Erlaubt das deutsche Grundgesetz eine solch weitgehende Haftung für die Schulden anderer Staaten, wie sie die EU-Regierungschefs im Europäischen Stabilitätsmechanismus ausgehandelt haben? Ist die Entscheidung dazu hinreichend demokratisch gefällt worden? Sind umgekehrt die Bindungen des Fiskalpakts, der die ungebremste Aufnahme von Staatsschulden einhegen soll, mit der Freiheit des Parlaments vereinbar, über die finanziellen Angelegenheiten der Bundesrepublik zu entscheiden? Die Antworten auf diese Fragen werden wir am 12. September erfahren, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über Stabilitätsmechanismus und Fiskalpakt verkünden wird. All diesen Fragen liegt aber eine tieferliegende Sorge zugrunde, und die führt mitten hinein in die Konstruktion der europäischen Rechtsgemeinschaft. Recht heißt, Regeln als verbindlich anzuerkennen, die man nicht selbst aufgestellt hat. Das kann man legitimerweise nur verlangen, wenn einem die Entscheidung, dass diese Regel für einen gelten soll, auf irgendeine Weise zurechenbar ist etwa durch die Existenz von Bundestagswahlen, an denen man teilnehmen und so die regelbeschließende Mehrheit beeinflussen konnte. Das gilt ganz besonders beim AnwBl /

82 Report Maximilian Steinbeis ist Rechtsanwalt und Freier Journalist in Berlin. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse Geld: Der Pflicht, Steuern zu zahlen, unterwirft sich schon so niemand gern. Um so empfindlicher schlägt hier die Legitimationsnadel aus, wenn es am demokratischen Zurechnungszusammenhang fehlt. Das ist der Grund, warum die Parole der amerikanischen Kolonisten 1775 No Taxation withouth Representation eine veritable Revolution nach sich zog. Europa erhebt keine Steuern; das bleibt bis auf weiteres allein den Nationalstaaten vorbehalten. Aber Europa, so befürchten zumindest viele, tut womöglich etwas anderes, das auf das Gleiche hinauslaufen würde: Es verteilt Schulden. Es lässt den Staat, dem man Steuern schuldet, für Summen haften, die ein anderer Staat, dem man keine Steuern schuldet, ausgegeben hat. Damit andere EU-Staaten trotz ihrer hohen Schulden weiterhin Kredit bekommen, geht die Bundesrepublik Deutschland mit den Rettungspaketen und Stabilitätsmechanismen, mit den Anleihekäufen und Target-Salden der Europäischen Zentralbank mit immer noch unvorstellbareren Summen ins Risiko. Wenn sich dieses Risiko realisiert, dann müssen die Deutschen diese Summen aufbringen, und ob das durch Schulden, Steuern oder Inflation passiert, macht für sie keinen großen Unterschied: Um das von ihnen verlangen zu können, bedarf es eines Zurechnungszusammenhangs. Wo könnte der herkommen? Aus orthodoxer staatsrechtlicher Sicht und auch aus der des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts kann diesen Zurechnungszusammenhang nur der Bundestag herstellen. Er allein kann als gewählte Volksvertretung dafür sorgen, dass auch auf europäischer Ebene alle Staatsgewalt vom deutschen Volk ausgeht, wie es Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes verlangt dadurch, dass er die Regierung wählt und kontrolliert, dass er den Bundeshaushalt beschließt und die Kontrolle darüber behält, wie viel Geld Deutschland einnimmt und ausgibt, und wofür. Dass in Brüssel nichts passiert, was die Bundesregierung nicht will, reicht aus dieser Perspektive nicht aus: Nicht die Exekutive, sondern das Parlament übt die Budgethoheit aus. Auf Europa bezogen heißt das: Wenn Deutschland zur Lösung der Euro- und Schuldenkrise finanzielle Risiken übernimmt, muss der Bundestag die Entscheidung dafür verantworten. Nicht das Finanzministerium, und nicht das Kanzleramt. Sondern das von den 64 Millionen wahlberechtigten Deutschen gewählte Parlament. Aber was, wenn das Parlament mit dieser Aufgabe schlicht überfordert ist? In Europa wird am Verhandlungstisch entschieden, und an diesem Tisch nimmt die Regierung Platz und nicht der Bundestag. Oft, zumal wenn es um währungspolitische Notfallchirurgie geht, bleiben nur Stunden für eine Entscheidung, die obendrein durchkreuzt werden würde, wenn sie zu früh an die Öffentlichkeit dringt. Wie soll da der Bundestag mit seinen 620 Abgeordneten, mit seinen vielen Ausschüssen und seinen öffentlichen Plenardebatten die zentrale Verantwortungsrolle übernehmen? Dass der Bundestag mit dieser Rolle Schwierigkeiten hat, ist auch dem Bundesverfassungsgericht nicht entgangen. Bisher hat es indessen stets darauf bestanden, dass das Parlament eben dafür zu sorgen hat, dass es seiner Verantwortung gerecht werden kann. Das hat es bis zu einem gewissen Grad auch getan: Die parlamentarische Mitsprache in der Brüsseler Entscheidungsfindung geht heute in Deutschland weiter als in jedem anderen Mitgliedsstaat. Aber geht sie weit genug? Kann sie überhaupt weit genug gehen? Nicht wenige, auch Mitglieder des Bundestags selbst, beantworten diese Frage mittlerweile mit Nein. Wenn aber auf nationaler Ebene der Zurechnungszusammenhang nicht mehr hergestellt werden kann, dann liegt der Gedanke nicht fern, dass dies auf europäischer Ebene zu geschehen hat: ein europäisches Parlament muss her gewählt von einem europäischen Volk auf Basis einer neuen europäischen Verfassung. Wenn nicht alle 27 Mitgliedsstaaten dazu bereit sind, dann muss sich diese Verfassung eben auf ein Kerneuropa, im Zweifel die Euro-Zone, beschränken. In Deutschland findet die Idee, die Euro-Zone zu konstitutionalisieren, um den Parlamentarismus zu retten, immer mehr Anhänger, und zwar quer durch die Parteien. Eine politische Union kann Deutschland allerdings nicht alleine gründen. Ob Frankreich mit seiner gänzlich anderen Verfassungstradition dort wird der Präsident direkt gewählt, das Parlament hat viel geringeres Gewicht dieser Vision genauso viel abgewinnen kann, ist alles andere als gesagt. 740 AnwBl / 2012

83 Meinung & Kritik 69. Deutscher Juristentag Europa am Scheideweg Der 69. Deutsche Juristentag vom 18. bis 21. September 2012 wird mit einer Podiumsdiskussion am Freitag zu Ende gehen. Unter dem Thema Europa am Scheideweg Krise der Union oder Notwendigkeit einer europäischen Verfassung werden der Präsident des Europäischen Gerichtshofs Prof. Dr. Vassilios Skouris und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Andreas Voßkuhle mit dem Philosophen Prof. Dr. Jürgen Habermas und dem luxemburgischen Finanzminister Luc Frieden über die Zukunft Europas diskutieren. Moderieren wird Rechtsanwalt Dr. Thomas Mayen (Köln/Bonn), Mitglied der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentags. In der Ankündigung wird unter anderem gefragt, ob die Finanzkrise zu einer europäischen Integration führt, bei der am Ende die nationalen Parlamente entmachtet werden. Provokant wird gefragt, ob die Schwelle zu den Vereinigten Staaten von Europa überschritten worden ist. Diese und andere Fragen der europäischen Entwicklung werden in München diskutiert. Denk ich an Europa... Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Berlin Auch der Deutsche Juristentag denkt an Europa. Im September in München. Natürlich nicht in der Nacht, sondern im Forum Europa im Anschluss an die Schlusssitzung am Freitag, dem 21. September Eine Podiumsdiskussion soll stattfinden hochkarätig besetzt, verkündet das Tagungsprogramm. Das Thema: Europa am Scheideweg Krise der Union oder Notwendigkeit einer europäischen Verfassung. Ohne Fragezeichen. Hier stock ich schon. Suggeriert der Titel eine Alternative? Entweder permanent? Krise der Union oder eine europäische Verfassung? Die Erläuterung des Themas im Programmheft bringt kaum Klarheit. Dort geht es vorwiegend um kräftige Schlagworte: Ruf nach europäischem Staatskommissar, europäische Wirtschaftsregierung, zunehmende Entmachtung der nationalen Parlamente durch Fortschreiten der europäischen Integration, keine ausreichende parlamentarische Kontrolle der Exekutive, Machtverschiebung zugunsten der Exekutive, das Herzstück der demokratischen Willensbildung des Volkes betroffen. So und ähnlich geht es fort. Man möchte darüber zwar nicht rasend werden, aber es drängt zu Klarstellung und Differenzierung. Wer befindet sich in der Krise? Die europäische Währungsunion. Sicherlich nicht die Europäische Union in toto. Das Kanzlerinnenwort: Mit dem Euro fällt Europa, fällt die Europäische Union, sollte man nicht auf die Goldwaage legen. Auch der Euro ist nicht wirklich in der Krise. Natürlich, die Ursachen der Krise haben mit dem Euro zu tun und die Auswirkungen können seine Stabilität beeinträchtigen. Die Ursachen der Krise, in der sich die Währungsunion befindet, sind zu definieren. Das ist vor allem deshalb notwendig, weil nur so die Mittel und die Wege gefunden werden können, die Ausweg aus der Krise und Vorsorge zur Vermeidung einer nächsten Krise sind. AnwBl /

84 Meinung & Kritik Ursache der Krise der Währungsunion ist vor allem die dramatische Verschuldung einiger Mitgliedstaaten. Sie ist möglich geworden, jedenfalls aber gefördert worden einmal durch die mit Einführung des Euro erheblich gesunkene Verzinsung staatlicher Schuldverschreibungen jener Länder und zum anderen durch das Fehlen oder die Nichtanwendung von Instrumentarien der Europäischen Union, die diesem Verschuldungsprozess hätten entgegengestellt werden müssen. Kein unvorhersehbarer Tsunami Ursache der Krise der Währungsunion ist vor allem die dramatische Verschuldung einiger Mitgliedstaaten. Sie ist möglich geworden, jedenfalls aber gefördert worden einmal durch die mit Einführung des Euro erheblich gesunkene Verzinsung staatlicher Schuldverschreibungen jener Länder und zum anderen durch das Fehlen oder die Nichtanwendung von Instrumentarien der Europäischen Union, die diesem Verschuldungsprozess hätten entgegengestellt werden müssen. Die Staatsschuldenkrise führte in einigen Ländern notwendigerweise zu einer Bankenkrise oder jedenfalls zur Gefährdung auch so genannter systemrelevanter Banken. Für Spanien ist hinzugekommen das Platzen der Immobilienblase, die vor allem die Rekapitalisierung der Banken erforderlich gemacht hat. Zu der Immobilienblase hat in gewissem Grade auch die mit Einführung des Euro einhergehende Zinsverbilligung beigetragen. Diese Beschreibung der Ursachen ist sicherlich holzschnittartig, im Kern jedoch wohl zutreffend. Die Berichterstattung der letzten Jahre ließ vielfach den Eindruck entstehen, als ob die Krise der Währungsunion wie ein unvorhersehbarer Tsunami über Europa gekommen sei. Das erstaunt denjenigen, der die europäische Integration ein wenig länger verfolgt. Bereits Ende 1969 hatte der Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einen Beschluss gefasst, demzufolge ein Stufenplan für die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion ausgearbeitet werden sollte. Dies führte im Jahre 1970 zum Werner-Plan, der die wesentlichen Koordinaten einer Währungsunion aufzeigte. Auf dieser Grundlage fasste der Rat 1971 einen Beschluss über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion. In der zweiten Stufe sollten die wichtigsten wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf der Ebene der Gemeinschaft getroffen werden, die für die Wirtschafts- und Fiskalpolitik die notwendigen Befugnisse erhalten sollte. Dazu kam es in der Folgezeit nicht mehr. Gefördert auch durch die Ölkrise 1973/74, waren die trotz Stabilitäts- und Konvergenzversprechen der Mitgliedstaaten entstandenen Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung zu groß. Vor allem standen sich aber von Anbeginn an zwei Auffassungen über die Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion gegenüber: die Monetaristen (Frankreich, Belgien) sahen einen Währungsverbund als Vorreiter der Wirtschafts- und Währungsunion an, während die Ökonomisten (Deutschland, Niederlande) gemeinsame Maßnahmen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik für notwendig hielten, um schließlich als Schlussstein, als Krönung eine gemeinsame Währung einzuführen. Den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun Das Problem: Den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun, war natürlich auch bekannt, als mit dem Maastricht-Vertrag der Stufenplan für die Einführung einer gemeinsamen Währung vereinbart wurde. Notwendige Schritte auf dem Wege zur Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und Währungspolitik wurden erkannt, waren aber politisch nicht durchsetzbar. Die ausreichende wirtschaftliche Konvergenz der Euro-Staaten sollte vor allem durch nationale Maßnahmen verwirklicht werden, die Kontrolle durch die Organe der Union blieb schwach. Immerhin wurde zur Sicherung der angestrebten wirtschaftlichen Konvergenz mit den Kriterien der Preisstabilität, der Defizitbegrenzung und der Dauerhaftigkeit insbesondere auf deutsches Betreiben 1997 der so genannte Stabilitäts- und Wachstumspakt beschlossen, der aber auch keine automatischen Sanktionen bei Nichteinhaltung der Konvergenzkriterien vorsah. Hinzu kam, dass vor Einführung des Euro die Konvergenzkriterien durch Rat und Kommission großzügig ausgelegt, Besorgnisse nicht zuletzt der deutschen Bundesbank politisch überspielt wurden. Nicht wenigen war klar, dass die Wirtschafts- und Währungsunion auf der vorliegenden Vertragsgrundlage ein Gang ins Ungewisse war, dass ihr Erfolg an übermächtigen Schubkräften nationaler Gewohnheiten und Egoismen (Thomas Oppermann) scheitern konnte. Nationale Egoismen dominierten in der Folgezeit dann auch mehr oder weniger offen. Zu den Sündern gehörten auch Deutschland und Frankreich. Dass es zu einer Krise der Währungsunion kommen würde, war Kundigen klar. Offen war nur, wann, wie und durch wen sie verursacht würde. 742 AnwBl / 2012

85 Meinung & Kritik Noch sind wir also nicht in der,politischen Union angekommen. Den Gedanken daran zu einem Tabu zu erklären, wäre jedoch verfehlt, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass das in einem staunenswerten Prozess in sechs Jahrzehnten entstandene Europa unser Schicksal ist und bleiben wird. Die Krise als Chance Was ist zu tun? Dass eine erfolgreiche Währungsunion der Begleitung durch substanzielle Vergemeinschaftung von Haushalts-, Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik bedarf, wird immer breiteren Kreisen bewusst. Aussicht auf Realisierung einer solchen Politik besteht einstweilen nicht. Ob sie von den Mitgliedstaaten, insbesondere den der Euro-Gruppe angehörenden jemals akzeptiert werden wird, ist eine durchaus offene Frage. Aber: Die Europäische Gemeinschaft, die Europäische Union hat sich, meist ausgehend von Krisen, schon immer nur schubweise auf das Ziel immer stärkerer Integration hinbewegt, ein Ziel das von Anbeginn an nicht nur die europäischen Verträge postulierten, sondern dem sich auch das deutsche Grundgesetz verpflichtet sieht. In diesem Sinne muss die Krise als Chance gesehen werden. Der Anfang ist gemacht. Mit den Verordnungen und der Richtlinie vom November 2011 (so genanntes six-pack) hat der Stabilitätspakt schärfere Zähne bekommen. Im Hinblick auf die Erfahrungen und Fehler, die während des ersten Jahrzehnts der Wirtschafts- und Währungsunion gemacht worden sind, wurde die wirtschaftspolitische Steuerung der Union verbessert und die haushaltspolitische Überwachung im Euro-Währungsgebiet verstärkt. Mit dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, dem so genannten Fiskalpakt, werden die bisherigen Instrumente des Maastricht-Vertrages sowie des Stabilitäts- und Wachstumspakts ergänzt und wirksamer gestaltet. Zwar war es wegen der von Großbritannien und Tschechien eingenommenen Position nicht möglich, die im Fiskalpakt vorgesehenen Maßnahmen in das Unionsrecht zu integrieren. Der Parallelweg eines völkerrechtlichen Vertrages musste beschritten werden. Immerhin ist ausdrücklich vorgesehen, dass innerhalb von maximal fünf Jahren der Inhalt des Fiskalvertrages in Gemeinschaftsrecht überführt wird. Zu wünschen wäre, dass dabei ein weiterer Schritt zur dauerhaften Sicherung der Konvergenzkriterien der Wirtschafts- und Währungsunion gegangen wird. Europäische Union kein Bundesstaat Das mag die Übertragung weiterer Hoheitsrechte auf die Union erfordern, die den vom Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht gezogenen Integrationsrahmen nicht überschreiten würde, wenn das Gericht mit seiner schon im Maastricht- Urteil getroffenen Feststellung ernst macht, dass die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft konzipiert ist, folgerichtig also die Organe der Union über die zu ihrer Sicherung erforderlichen Instrumente verfügen müssen. Fiskalpakt und ESM-Vertrag sind allerdings von dieser Grenze noch deutlich entfernt. Sie übertragen keine Haushaltskompetenzen der Mitgliedstaaten auf die europäische Ebene und stellen noch weniger die Entwicklung der Europäischen Union zu einem Bundesstaat dar. Durch den ESM-Vertrag wird keine Transferunion geschaffen. Die so genannte no-bail-out -Klausel des Art. 125 AEUV bleibt die Regel, Nothilfen aus dem ESM dienen der Krisenbekämpfung und begründen keinen permanenten Finanzausgleich. Noch sind wir also nicht in der politischen Union angekommen. Den Gedanken daran zu einem Tabu zu erklären, wäre jedoch verfehlt, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass das in einem staunenswerten Prozess in sechs Jahrzehnten entstandene Europa unser Schicksal ist und bleiben wird. In diesem Sinne: Ich bin nicht um den Schlaf gebracht, denk ich an Europa in der Nacht. Prof. Dr. Hans- Jürgen Rabe, Berlin, ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Europarecht an der Universität Hamburg. Er war Präsident des DAV von 1978 bis 1983 und von 1993 bis 1998 Vorsitzender der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentags. AnwBl /

86 Kommentar Anwaltsnotariat als Vorbild Reformdruck aus Europa ist eine Chance für das deutsche Notariat Rechtsanwältin und Notarin Dörte Zimmermann, LL.M., Berlin Der Zugang zum Anwaltsnotariat muss für potentielle Bewerberinnen und Bewerber attraktiv bleiben, hierfür muss das Verfahren und die Perspektiven auf eine Bestellung verlässlicher und transparenter werden. Die Entwicklung der notariellen Fachprüfung sollte kritisch begleitet werden insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des Zugangs zum Beruf für Frauen. Die Zahlen sind insoweit bisher eher enttäuschend. Jetzt hat Europa auch das Notariat erreicht. Nachdem der EuGH im letzten Jahr zum Staatsangehörigkeitsvorbehalt geurteilt hat und nur wenige Monate später die Kommission die Notare in den Anwendungsbereich der Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen aufnehmen will, geht ein Rauschen durch den sonst für Fragen des notariellen Berufsrechts so ruhigen Blätterwald. Die Titel von Aufsätzen und Kommentaren tragen ungewohnt leidenschaftliche Titel wie Der Geist der Freiheit weht in das Notariat oder Zeitenwende durch den EuGH oder business as usual?. Festzustellen ist: Weder durch das Urteil noch durch die Pläne der Kommission ist das Notariat in Deutschland oder in den anderen europäischen Staaten bedroht. Aber: Wir sind spätestens jetzt gezwungen, durch intensive Auseinandersetzung mit den neuen europarechtlichen Vorgaben unsere Notariatsverfassung auf den Prüfstand zu stellen. In dieser Situation der erforderlichen Neubewertung halten es die Gremien des Anwaltsnotariats im Deutschen Anwaltverein (DAV) für wichtig, sich in einem Positionspapier der Stärken des Notariats als wesentlichen Baustein unserer Rechtsordnung zu versichern und sie in konzentrierter Form darzustellen. Der Vorstand des DAV hat daher im Frühjahr 2012 die Thesen zur Zukunft des Anwaltsnotariats in Deutschland und Europa verabschiedet (in diesem Heft abgedruckt, AnwBl 2012, 730). Das Thesenpapier zeigt die Stärken des Anwaltsnotariats auf und bietet es in einem sich verändernden Europa als Modell an bewusst nicht in negativer Abgrenzung zu anderen praktizierten Notariatsverfassungen, sondern durch Darstellung der besonderen Leistungsfähigkeit des Anwaltsnotariats. Die Tatsache, dass Anwaltsnotare zwei Berufe in einer Person ausüben, ist ein unschätzbarer Vorteil für das rechtssuchende Publikum: Denn aus der Zweigleisigkeit ihrer Tätigkeiten und Aufgaben erwachsen den Anwaltsnotaren sowohl eine große juristische als auch eine hohe soziale Kompetenz. Das System des Anwaltsnotariats erlaubt es zudem, in weniger dicht besiedelten Gebieten den Zugang zum Rechtsystem in hohem Maße zu gewährleisten. Die Thesen sollen damit auch den Weg in die Zukunft der vorsorgenden Rechtspflege außerhalb der verwalteten Justiz weisen mit den Anwaltsnotaren als beliehene Dienstleister, unparteiische Rechtsberater im öffentlichen Amt, Schlichter und Verbraucherschützer. Das Positionspapier macht aber auch deutlich, was ein lebensfähiges Anwaltsnotariat als Bestandsvoraussetzung benötigt: Der Zugang zum Anwaltsnotariat muss für potentielle Bewerberinnen und Bewerber attraktiv bleiben, hierfür muss das Verfahren und die Perspektiven auf eine Bestellung verlässlicher und transparenter werden. Die Entwicklung der notariellen Fachprüfung sollte kritisch begleitet werden insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung des Zugangs zum Beruf für Frauen. Die Zahlen sind insoweit bisher eher enttäuschend. Hauptaufgabe der Thesen bleibt es aber, einen Beitrag zu einer offenen und lebendig geführten Diskussion über die Zukunft unserer Notariatsverfassung in Europa zu leisten. Gilt nun die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für Notare in Europa, ist das Notariat in Deutschland gut beraten, sich auf eine sich verändernde Zukunft einzulassen und diese aktiv und mit Phantasie mitzugestalten. Wir brauchen keine Diskussion über unser bisheriges System der unterschiedlichen Notariatsformen. Wir brauchen vielmehr eine Diskussion über mögliche Öffnungen des Systems, ohne damit gleichzeitig das Notariat an sich gleich welcher Verfassung zu gefährden. Die Thesen zeigen auf, dass die Anwaltsnotare die Zukunft nicht fürchten müssen, sondern für eine Zukunft der veränderten Parameter gut aufgestellt sind. Dörte Zimmermann, LL.M., Berlin Die Autorin ist Rechtsanwältin und Notarin sowie Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat im Deutschen Anwaltverein. Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse 744 AnwBl / 2012

87 Gastkommentar Das kleine ABC des Gesetzgebers Wenn ein Mehr an Zweitstimmen ein Abgeordnetenmandat kostet Christian Bommarius, Berliner Zeitung Aber was kümmert es die Politik, wenn das höchste deutsche Gericht ihr befiehlt, das Fundament des Systems zu sanieren? Wenn die Sanierung das Fundament der Macht bedroht, dann ist es für sie offensichtlich nie spät genug. Drei Jahre haben dafür jedenfalls nicht genügt. Es gibt Wahlen ohne Demokratie, aber keine Demokratie ohne Wahlen. Die Wahl zum Bundestag ist nicht nur die wichtigste Form der politischen Willensbildung des Volkes auf Bundesebene, sie ist der Grundvorgang des Verfassungslebens, auf dem alle andere Staatsgewalt aufbaut. Sämtliche staatlichen Aufgaben und Befugnisse müssen sich letztlich auf das Staatsvolk zurückführen lassen, so verlangt es das Demokratieprinzip, und es verlangt auch, dass diese Legitimation alle paar Jahre durch Wahlen neu vergeben wird. Wahlen sind also die Conditio sine qua non, die Bedingung, ohne die Demokratie nicht gedacht werden kann. Entsprechend ist das Gesetz, nach dem sich die Wahl vollzieht, das Fundament des demokratischen Systems. Fehlt das Fundament, bricht das System zusammen. Diesen Zusammenbruch haben die Regierungsparteien im vergangenen Jahr zweimal riskiert. Und man kann nicht sagen, dass ihnen das besonders peinlich wäre. Seit dem 30. Juni 2011 hatte die Bundesrepublik kein verfassungsgemäßes Bundeswahlgesetz mehr. An jenem Tag verstrich die Frist, die das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 in seiner Entscheidung dem Gesetzgeber zur Neuregelung gesetzt hatte, mit der es wesentliche Teile des Wahlgesetzes für verfassungswidrig erklärte. Ein Wahlverfahren, hieß es in dem Urteil, das zu dem bizarren Ergebnis führen könne, dass ein Mehr an Zweitstimmen einen Verlust von Mandaten bedeute, sei widersinnig, willkürlich, verfassungswidrig und spätestens nach Ablauf von drei Jahren zu reformieren. Aber was kümmert es die Politik, wenn das höchste deutsche Gericht ihr befiehlt, das Fundament des Systems zu sanieren? Wenn die Sanierung das Fundament der Macht bedroht, dann ist es für sie offensichtlich nie spät genug. Drei Jahre haben dafür jedenfalls nicht genügt. Sie genügten nicht, obwohl die Grünen-Fraktion bereits vor der Bundestagswahl 2009 einen Gesetzentwurf vorgelegt hatte, der allen Anforderungen entsprach. Sie genügten nicht, weil insbesondere die Union die Abschaffung der Überhangmandate fürchtete, die das vom Bundesverfassungsgericht beklagte Ergebnis verhindern würde. Sie genügten nicht, weil die Union die derzeit über sämtliche 24 Überhangmandate verfügt hoffte, mit Hilfe dieser verfassungsrechtlich fragwürdigen Mandate nach der nächsten Wahl doch noch eine Mehrheit zu erringen, die ihr der Mehrheitswille der Bevölkerung verweigern könnte. Und als die Frist verstrichen war, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier schon warnte, demnächst werde Deutschland politisch lahmgelegt, und die Opposition eine Staatskrise im Anzug sah, da beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Union und der Liberalen endlich doch noch eine Reform des Bundeswahlgesetzes, die immerhin den Vorzug hatte, an den Absichten ihrer Urheber und der Verfassungswidrigkeit ihres Gehalts keinen Zweifel zu lassen. Für eine miserable Gesetzgebung genügt es nicht, das Bundesverfassungsgericht zu brüskieren und die Oppositionsparteien vor den Kopf zu stoßen. Das Urteil, miserabel zu sein, hat sich die Gesetzgebung erst verdient, wenn das von ihr produzierte Gesetz seine Verfassungswidrigkeit auf der Stirn trägt. Hier immerhin haben die Regierungsfraktionen ganze Arbeit geleistet. Das neue Wahlgesetz hat das alte zwar geändert, seine Grundübel aber nicht beseitigt. Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch das neue Wahlgesetz verworfen. Über seine Entscheidung stehen ungeschrieben die Leitsätze: Demokratie ist eine lebenslange Schule. Das verlangt, dass das Lehrpersonal der Gesetzgeber zumindest das kleine ABC beherrscht. Christian Bommarius, Berlin Der Autor ist leitender Redakteur der Berliner Zeitung. Sie erreichen den Autor unter der -Adresse AnwBl /

88 Anwälte fragen nach Ethik % Ist eine solche Vereinbarung ethisch angreifbar?

89 Anwälte fragen nach Ethik Ein interessantes Honorarmodell Die Frage nach dem richtigen Handeln stellt sich im Alltag. Lesen, nachdenken, mit Kollegen diskutieren was würden Sie tun? Strafrechtslehrer an Universitäten dürfen Verteidigungen übernehmen. Ein Professor schlägt seinem Mandanten folgendes Honorar vor (keine Erfindung, sondern ein tatsächliches Ereignis): Der Mandant gibt dem Professor ein zinsloses Darlehen mit einer Laufzeit von fünf Jahren. Der Professor verwendet das Darlehen zur Finanzierung des von ihm bewohnten Hauses. Dieser Vorschlag ist steuerlich günstig. Zinsen für ein Fremddarlehen kann er mangels Einkunftsquelle nicht abziehen. Der zu versteuernde Vorteil des zinslosen Darlehens ist geringer als der Nachteil nicht abzugsfähiger Zinsen bei einer Fremdfinanzierung. Der Professor bietet dem Mandanten eine dingliche Sicherheit auf dem Haus an. Der Mandant akzeptiert diese Vereinbarung und überweist den Darlehensbetrag. Wir wollen hier nicht über die ethischen Verhaltensregeln von Hochschullehrern diskutieren, sondern fragen, ob eine solche Vereinbarung, getroffen durch einen Anwalt oder eine Anwältin, ethisch angreifbar ist. DAV-Ausschuss Anwaltliche Berufsethik Der DAV hat einen Ausschuss Anwaltliche Berufsethik. Dieser Ausschuss will eine Diskussion darüber führen und auslösen, ob die anwaltliche Tätigkeit auch ethischen Maßstäben unterliegt, und wenn ja, welchen. Der Vorstand des DAV hat beschlossen, keinen Ethikkodex zu formulieren. Einmal fehlt hierfür die Legitimation. Zum anderen läuft ein solcher Kodex Gefahr, beschlossen und vergessen zu werden. Eine beständige Diskussion um ethische Fragen vermag das Problembewusstsein mehr zu prägen und zu schärfen. Hiervon ausgehend wird das Anwaltsblatt auf einer Seite jeweils ein oder zwei Fallkonstellationen vorstellen, die eine Diskussion um ethische Fragen auslösen könnten. Wir sind gespannt, ob die Kolleginnen und Kollegen dieses Angebot annehmen und werden über die Antworten berichten. Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Vorsitzender des DAV-Ausschusses Anwaltliche Berufsethik Dem DAV-Ausschuss Anwaltliche Berufsethik gehören an die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Dr. Michael Streck (Vorsitzender), Dr. Ute Döpfer, Dr. Joachim Frhr. von Falkenhausen, Niko Härting, Markus Hartung, Petra Hei- nicke, Hartmut Kilger, Eghard Teichmann (auch Notar) und Silke Waterschek. AnwBl /

90 Aus der Arbeit des DAV Westerwelle: DAV Türkei vorbildlich in der Welt Gründungsfeier in Istanbul Stärkung der deutsch-türkischen Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen 255. Anwaltverein ist achter Auslandsverein Aus der Arbeit des DAV Bei der Gründungsfeier des DAV Türkei in Istanbul im Juni: (v.l.n.r.) Der DAV- Präsident Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer mit Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle, Rechtsanwalt Kaya Gönencer (Schatzmeister des DAV Türkei), Rechtsanwältin Handan Ilhan (Vorsitzende des DAV Türkei), Avukat Refik Türkoglu (Vorstandsmitglied des DAV Türkei) und Dr. Arnold Hornfeld. 748 DAV Türkei Westerwelle auf Gründungsfeier in Istanbul 749 DAV-Geschäftsführung DAV ist rechts- und gesellschaftspolitische Kraft 63. Deutscher Anwaltstag 750 Das Plädoyer als große Anwaltskunst und wie es gelingt 751 Soldan Institut: Neuer Trend Kanzleigründung über Umweg 752 Das Verfahren vor dem EuGH und die Anwaltskunst 753 Die Kunst, Anwältin (und Mutter) zu sein und was besser sein könnte 754 Zankapfel Urheberrecht Anwaltstag diskutiert Gesetzespläne 755 In der Mediation ist der Anwalt eines Mandanten ein Chamäleon 756 Die Kunst, Syndikusanwalt zu sein Mix auf Anwaltstag 756 Oldtimer als Kulturgut und gute Strafverteidigung als Kunst 757 Die Grenzen der Kunst im Recht ungewöhnliche Einblicke 757 AG Strafrecht Strafrecht vor ausverkauftem Stadion 759 AG Arbeitsrecht Tagungsprogramm im Arbeitsrecht: Aus der Praxis für die Praxis 760 AG Bank- und Kapitalmarktrecht Blick über die Grenze schärft das eigene Rechtsverständnis 761 DAV-Stellungnahmen 762 Deutsche Anwaltakademie 762 Landesverband Nordrhein-Westfalen 4. Landesverbandstag: Anwälte Unternehmer in eigener Sache 763 Mitgliederversammlungen AG Anwaltsnotariat / AG Geistiges Eigentum & Medien / AG Sozialrecht / AG Medizinrecht / AG Steuerrecht / AG Strafrecht / AG Baurecht 764 Personalien Hartmut Kilger / Dieter Fasel / Lothar Schwarz / Walter Mende Der Deutsche Anwaltverein hat nun acht Auslandsvereine. Anwältinnen und Anwälte mit Bezug zu Deutschland haben sich in Frankreich, Großbritannien, Italien, Portugal, Griechenland, Brasilien und Spanien bereits zusammen getan. Die jüngste Gründung ist der DAV Türkei als 255. Anwaltverein im DAV. Gratulant bei der Gründungsfeier in Istanbul war Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle. Die Gründungsfeier des DAV Türkei, des DAV Alman Avukatlar Dernegi, fand am 6. Juni 2012 in der Sommerresidenz des deutschen Botschafters im Istanbuler Stadtteil Tarabya statt. Durch den Bundesaußenminister, einen Botschafter des Außenministeriums der Türkei, den deutschen Botschafter in der Türkei und der Generalkonsulin Deutschlands in Istanbul wurde der DAV Türkei als Brücke zwischen der lokalen und der internationalen Anwaltschaft gewürdigt. Türkei: Ein dynamischer Markt Der DAV Türkei sammelt die Interessen und schafft Raum für die Kooperation deutscher und türkischer Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland und der Türkei, erläuterte Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, DAV-Präsident, bei der Gründungsfeier. Der DAV Türkei sei als Stimme der deutsch-türkischen Anwaltschaft auch einmal mehr ein Zeugnis eines sich dynamisch entwickelnden Rechtsdienstleistungsmarktes und einer offenen, wachsenden türkischen Wirtschaft. Der DAV Türkei zeige auch so der DAV-Präsident den Ausbau deutsch-türkischer Rechtskultur. Die Tradition reiche weit zurück. So habe die Türkei zahlreichen deutschen Rechtswissenschaftlern auf der Flucht vor der Nazidiktatur Exil gewährt. Liberale, fortschrittliche Hochschulgesetze hätten dies möglich gemacht. Eine ganze Generation türkischer Studenten sei so von deutschen Juraprofessoren ausgebildet worden. Ein Beispiel sei der Berliner Rechtswissenschaftler Ernst Eduard Hirsch, der 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft aus der Richterschaft entlassen worden sei und im gleichen Jahr in der Türkei einen Ruf der Universität Istanbul auf den Lehrstuhl für Handelsrecht angenommen habe. Zehn Jahre später erwarb er die türkische Staatsangehörigkeit. Erst Ernst Reuter, dem ersten Westberliner Oberbürgermeister, der selbst als Immigrant von 1935 bis 1945 in der Türkei lebte, gelang es, Hirsch 1952 zurück nach Berlin und an die Freie Universität zu holen. Er bekam in den folgenden Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zurück, behielt aber auch die türkische Staatsbürgerschaft bis zu seinem Tod. Gemeinsamkeiten im Recht Die Motivation für die Gründung des DAV Türkei erläuterte die Vorsitzende des DAV Türkei, Rechtsanwältin Handan Ilhan. Die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft, die Zunahme internationaler Schiedsgerichtsinstitutionen sowie der grenzüberschreitende Informationsaustausch erhöhten den Bedarf des beruflichen Austausches zwischen lokalen und internationalen 748 AnwBl / 2012

91 Aus der Arbeit des DAV Anwältinnen und Anwälten. Als gemeinsame Vertreter des kontinentaleuropäischen Rechts würden die Anwälte in der Türkei und in Deutschland die Globalisierung der Anwaltschaft sowie die Freiheit der juristischen Dienstleistungen fördern. Gleichzeitig legte sie einen Mangel offen: International tätige türkische Anwälte könnten beispielsweise ihren Mandanten häufig nicht nach Deutschland begleiten, da die Visumvergabe außerordentlich schwierig sei. Respekt für hochpolitisches Projekt Seine Freude, bei der Festveranstaltung zur Gründung des Deutschen Anwaltvereins Türkei dabei zu sein, hob der Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle hervor. Damit drücke er als Außenminister nicht nur die politische Unterstützung der Bundesregierung für die Initiative des DAV aus, sondern ihm sei es auch als Rechtsanwalt und Mitglied eines Anwaltvereins, der das Wirken des DAV schon lange begleite, wichtig, die Chance bei der Internationalisierung der Anwaltschaft zu betonen. Die Türkei habe in den letzten Jahren eine beeindruckende Erfolgsgeschichte geschrieben. Die Gründung des DAV Türkei sei ein hochpolitisches Projekt, welches er mit großem Respekt betrachte. Dieses Engagement sei vorbildlich in der Welt, deswegen wollte er unbedingt bei der Gründung des DAV Türkei dabei sein. Er erwarte aber auch konstruktive Impulse des DAV Türkei zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Der Vertreter des Außenministeriums der Türkei, Botschafter Mehmet Hasan Gögüs, hob den Vorrang des Rechts auch bei Wirtschaftsbeziehungen hervor. Daher sei die Sicht aus der Anwaltschaft ganz wesentlich, sagte er vor rund 150 Gästen aus Rechtswissenschaft, Wirtschaft, Anwaltschaft und Politik. An dem Abend zeigte sich, dass auch die Vertreter der juristischen Fakultäten sowie die Vertreter der Außenhandelskammer große Hoffnung auf die Gründung des DAV Türkei setzen. Bezeichnend war, dass zahlreiche deutsch-türkische Anwälte mittlerweile auch mit Kanzleien ganz oder teilweise in Istanbul vertreten sind. Der DAV verbindet mit der Gründung auch die Hoffnung, dass damit die deutsch-türkische Anwaltschaft in der Bundesrepublik Deutschland angesprochen wird. Rechtsanwalt Swen Walentowski, DAV, Berlin DAV-Geschäftsführung Tätigkeitsbericht: DAV ist rechts- und gesellschaftspolitische Kraft Beilage mit 44 Seiten in diesem Anwaltsblatt Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins Rechtsanwalt Dr. Cord Brügmann (Foto) hat in der Mitgliederversammlung des Deutschen Anwaltvereins am 13. Juni 2012 den Tätigkeitsbericht der Geschäftsführung vorgestellt und Bilanz gezogen. Der vollständige Bericht liegt diesem Heft als Beilage bei. Die wichtigsten rechtsund gesellschaftspolitischen Themen: Rechtspolitisch war eines der bestimmenden Themen die längst überfällige Anpassung der Anwaltsgebühren. Die Debatte hat sich ausgerichtet an einem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Der DAV hat den Entwurf im Grundsatz begrüßt. Unsere Expertinnen und Experten haben allerdings einen gewissen Nachbesserungsbedarf erkannt und Änderungsvorschläge formuliert. Die Länder halten die im Gesetzentwurf ebenfalls vorgesehene Einnahmesteigerung der Justiz für unzureichend und haben ihre Zustimmung von deutlichen Verbesserungen abhängig gemacht. Dennoch gehen wir von einer Verabschiedung und dem Inkrafttreten des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode aus. Im materiellen Recht hat sich der DAV nach ausführlicher und intensiver Debatte dafür ausgesprochen, den 310 Abs. 1 BGB für das AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr zu ändern. Das deutsche AGB-Recht wird vielfach als Hemmschuh des deutschen Rechts im grenzüberschreitenden Bereich angesehen. Im Kontext der vom DAV mit initiierten und getragenen Kampagne Law Made in Germany will der DAV nicht nur für das deutsche Recht werben, sondern auch dort, wo das deutsche Recht Schwachstellen hat, für eine Änderung streiten. Die Europäische Mediations-Richtlinie hätte bis zum 20. Mai 2011 umgesetzt werden sollen. Das Mediationsgesetz ist nun in Kraft getreten. Der DAV hat sich immer gegen die Gerichtsmediation ausgesprochen. Insofern hat der DAV keine wesentlichen Einwände gegen das Gesetz, das keine Gerichtsmediation, aber eine Stärkung des Güterichters vorsieht. Auch in Europa hat sich der DAV wieder engagiert. Zurzeit steht auf der Agenda insbesondere die Überarbeitung der Berufsqualifikationsrichtlinie. Der DAV fordert, dass ihr Anwendungsbereich weiterhin auf die Anerkennung der Berufsqualifikation von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zum Zwecke der umgehenden Niederlassung unter der Berufsbezeichnung des Mitgliedsstaates beschränkt ist. Eine überarbeitete Berufsqualifikationsrichtlinie soll nicht über das RDG hinaus den Zugang zum Rechtsdienstleistungsmarkt für Nichtanwälte ermöglichen. Der DAV hat Berichte aus der Mitgliedschaft über Versuche der Rechtsschutzversicherer, Mandate auf wenige Vertragsanwälte zu kanalisieren, zum Anlass genommen, in einem DAV-Forum Rechtsschutzversicherungen im Oktober 2011 die Versicherer zu mehr Transparenz im Hinblick auf ihre Auswahlkriterien aufzufordern. Solange dies nicht geschieht, bleibt der Verdacht, dass die Versicherer sich nicht von Qualitätskriterien, sondern von Einsparmöglichkeiten leiten lassen. Wenn wir über die Vereinbarkeit von (Anwalts-)Beruf und Familie sprechen, denken wir in erster Linie an die Förderung von Kolleginnen. Das DAV- Forum Leben und Arbeiten ein Dilemma für die Anwaltschaft? im März 2012 hat gezeigt, dass es um mehr geht: Vor allem der Nachwuchs egal ob Kollegin oder Kollege fordert von ihren anwaltlichen Arbeitgebern mehr Flexibilität in Arbeitsmodellen. Das Forum markiert den Beginn einer intensiven Auseinandersetzung des DAV mit diesem Thema. Der Vorstand des DAV hat Anfang 2012 beschlossen, dass der DAV seine Positionen zur Juristenausbildung kritisch hinterfragen solle. Die Spartenausbildung scheint auf absehbare Zeit nicht umsetzbar. Dabei lässt sich der DAV leiten von der Überlegung, dass der Anwaltsberuf weiterhin für die besten Köpfe unter dem juristischen Nachwuchs attraktiv sein soll. Rechtsanwalt Dr. Cord Brügmann, Hauptgeschäftsführer des DAV AnwBl /

92 Aus der Arbeit des DAV 63. Deutscher Anwaltstag Das Plädoyer als große Anwaltskunst und wie es gelingt Wer nicht reden kann, wird nichts gewinnen Wenn es beim Bürger ein Instrument aus der Anwaltschaft gibt, das allgemein bekannt ist und sogar fasziniert, dann ist es das Plädoyer, der Schlussvortrag, vor allem der im Strafprozess. Es gibt seit der Antike eine Linie großer Gerichtsredner, die heute eher verebbt ist. Diese großen Alten fanden über den juristischen Dienst hinaus Anerkennung, ja Bewunderung, als Rhetoriker. Sie sind im allgemeinen Bewusstsein Künstler. Kein Wunder, dass es auf einem Anwaltstag, der der Kunst, Kultur und Anwaltschaft gewidmet ist, eine Kernveranstaltung für das Plädoyer gibt. Zivilverfahrensrechtsausschuss und Arbeitsgemeinschaft Strafrecht hatten sich zum Thema Anwaltskunst: Das Plädoyer zusammengetan. Der Verteidiger Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Sommer (Köln) moderierte. Er führte eine kleine Schar illustrer Persönlichkeiten an, die das Thema von verschiedenen Plätzen aus beleuchteten, nämlich Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Hirtz (Köln) für das Zivilrecht, Rechtsanwalt Dr. Heinrich Comes (Köln) für das Strafrecht, Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Volkert Vorwerk (Karlsruhe) für BGH und Plädoyer, Rechtsanwalt Micha Guttmann (Köln) für das Plädoyer und Richterin am BGH Gabriele Caliebe (Karlsruhe) für das Plädoyer im Senat und in der Instanz. Plädoyer noch zeitgemäß? Sommer positionierte einleitend das Plädoyer als Kernstück anwaltlicher Arbeit (im Strafrecht), platzierte es aber auch als zwischen Charles Laugthon und Daumier irrlichternd und stellte ernüchtert fest, dass man also die Verfahrensjuristen sich viel zu selten mit Sinn und Zweck des Instruments befassten, dem heute oft verpöntes Ritual und Pathos anhaftet. Verfahren als in Form gegossener rechtlicher Gehalt kann freilich wie alle Form des Rituals, auch in Gestalt des Pathos, nicht entbehren. Wenn das Plädoyer in jüngeren Betrachtungen des Berufsbilds nicht einmal erwähnt würde (Zuck), sei es dann noch zeitgemäß? Das bejahte vehement Hirtz, der beklagte, um die Mündlichkeit des Verfahrens, auf dem Papier Fixpunkt aller Verfahrensordnungen, sei es grottenschlecht bestellt. Man müsse das Thema bearbeiten. Die mündliche Verhandlung werde als lästig angesehen und vermeintlicher Effizienz geopfert. Die Anwälte seien für die mündliche Verhandlung da und müssten sie installieren statt zum Spruch zu nehmen. Wenn die Anwälte den Fall besser als alle anderen kennen, könnten sie Widerstand gegen die mündliche Verhandlung überwinden, Streitkultur begründen, auf Menschen eingehen, im durch Blickkontakt vorbereiteten Gespräch Einfluss und Entscheidungsprärogative gewinnen. Nur eine pflichtvergessene Anwaltschaft lässt das Plädoyer aussterben. Sie soll es befördern und reinstallieren. Wozu braucht man schließlich einen Anwalt, wenn nicht mehr plädiert wird? Mehr oder weniger gute, trockene Elogen können ohne weiteres vom Terminsvertreter zum Spruch gestellt werden. Monolog als Dialog Subtil und vorsichtig nähert sich Comes als Strafverteidiger dem Plädoyer. Hierzu arbeitet er mit sieben Blicken, die sich ergänzen, auch überschneiden und das Thema sachgerecht umstellen. Er geht aus vom Wort als dem Anfang aller Dinge. Nur das Wort löst die Konflikte und Interessen der Menschen. Also ist es nötig, und man kann nach der Beweisaufnahme nicht den Richter seinem Innenleben überlassen. Aber wäre nicht der Dialog besser als der Monolog des Plädoyers geeignet, den Richter aufmerken und von vorn neu nachdenken zu lassen. Der Dialog setzt schon eine Grundverständigung über das Thema und ein wenn auch zunächst nur zartes Vertrauensfeld voraus. Davon ist der Antagonismus der Beteiligten am und im Strafverfahren entfernt. In solcher Lage ist die Form das Verfahrensritual, das Mittel, jeden ohne Möglichkeit der Einschränkung zu Wort kommen zu lassen. Grundiert ist das durch Rollenspiel der Verteidiger, das Plädoyer. Nun fängt die Kunst an. Es gilt, in dem oft durch eine lange Verfahrensgeschichte herbeigeführten amorphen Feld von Tatsachen und Recht Unklarheiten, Widersprüche, Lücken und nur vermeintliche Wirklichkeiten zu entdecken. Es ist zu entscheiden, wie darauf mittels eines Plädoyers zu reagieren ist. Das Ob ist klar, denn man kann das Entdeckte schließlich nicht ungestört sich weiter entwickeln lassen. Ein Plädoyer kann auch ganz klein sein oder, weil man auf Vieles gerade nicht hinweist, zum Teil aus Schweigen bestehen. Reden ist manchmal auch Blech. Das soll man vermeiden. Im Übrigen: Es gibt keine Checklisten, aber einige Empfehlungen, die Comes ebenso nachdrücklich wie dezent mitteilt. Anzusprechen ist der Richter. Dessen Psychologie ist rhetorisch zu bearbeiten. Keinesfalls ist die ganze Breite des Verfahrens abzuhandeln. In der Kürze und im Akzent auf exakt markierte Punkte liegt die Würze. Von der Konfrontation durch Pointierung darf man zur Kooperation fortschreiten. Das ist oft sinnvoll. Hintergründe sind auszuleuchten, die das Ganze in einem neuen Licht erscheinen lassen. Weg mit rhetorischen Kunststücken, stattdessen sachliche Argumentation. Auch ein Bewusstsein der Berufsethik hilft, das Plädoyer erfolgreich zu gestalten. Kurz, knapp und klar Mit Blick auf die Verhandlung vor dem Senat des BGH gab Vorwerk dezidiert Regeln, die aber auch sonst passen: Konzentriere dich; schule das Wort; rede nicht aus dem Fenster, sondern im Saal; brich Kompliziertes auf Einfaches herunter; achte auf das, was der Senat (das Gericht) sagt; kitzele den Gegner, aber verletze ihn nicht; rede 750 AnwBl / 2012

93 Aus der Arbeit des DAV 63. Deutscher Anwaltstag Soldan Institut: Neuer Trend Kanzleigründung über Umweg Ergebnisse einer Langzeitstudie zum Anwaltsnachwuchs 7 keinen Unsinn und simuliere während der Vorbereitung in deinem Kopf die denkbaren Verhandlungssituationen sowie die Reaktionen darauf. Den genannten Regeln mochte Guttmann durchaus nicht widersprechen. Er betrachtete das Plädoyer aus der Perspektive des Journalisten, für den es nicht in lethargischer Breite unverständlich bleiben darf. Journalisten denken über das Plädoyer nicht groß nach, sprechen aber wohl über die Kreativität von Anwälten. Damit sich diese im Plädoyer als Kunst(ausübung) spiegele, ist gute Rhetorik unerlässlich. Die Redekunst ist freilich bei Anwälten eher nicht entwickelt. Damit der Vortrag nicht nur den Journalisten gefalle, ist der Inhalt ansprechend darzustellen, auch durch Mimik und Gestik. Schauspielern ist nicht gefragt. Oft wird viel zu lang geredet und nicht in kurzen Sätzen. Für die Satzlänge gibt es sogar ernst zu nehmende Richtwerte. Acht bis zehn Wörter in einem Satz sind in Ordnung und fördern das Verständnis, nach dem Journalisten so sehr streben. 15 Wörter sind meist schon zu viel. Mündliche Verhandlung stärken Caliebe sah die Dinge als Richterin im Senat und in der Instanz. Bei den Senaten des BGH wird das Plädoyer unterschiedlich gesehen. Manchmal wird es in der Tat nicht gebraucht. Eine wichtige Rolle für die Gestaltung spielt die im Senat übliche Einführung in die Sache. Darauf sind die Bemühungen konzentriert zu richten. Mit dem Senat zu plädieren ist ganz unangebracht, 1 Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Hirtz (Vorsitzender des Ausschusses Zivilverfahrensrecht) bejahte vehement die Frage, ob das Plädoyer noch zeitgemäß sei. 2 Als Richterin am BGH sprach sich Gabriele Caliebe für die Stärkung der mündlichen Verhandlung aus. 3 Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Volkert Vorwerk (DAV-Vorstandsmitglied) formulierte Regeln für das BGH-Plädoyer kurz, knapp und klar soll es sein. 4 Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Sommer (Geschäftsführender Ausschuss der AG Strafrecht) moderierte. 5 Rechtsanwalt Micha Guttmann näherte sich dem Thema aus einer journalistischen Perspektive. 6 Rechtsanwalt Dr. Heinrich Comes erläuterte die vielschichtigen Facetten des Plädoyers. 7 Eine gut besuchte Veranstaltung. ebenso das Nachbeten anderer Ausführungen, die schon in der Welt sind. In der Instanz sind Plädoyers oft hilfreich gewesen, vor allem solche, die durch Anfragen des Richters an den Rechtsanwalt entstanden. Die Gesprächsebene, gut gepflegt, kann das Plädoyer trefflich vorbereiten. Die mündliche Verhandlung ist der Kern des Prozesses. Sie gilt es zu stärken durch das prononcierte Wort. Nur Ablesen ist schädlich. Es wurde lebhaft und anregend diskutiert, mindestens mit der Erkenntnis, dass das fehlsame Plädoyer aus dem Gedanken an den Vorwurf des Mandanten Mein Anwalt hat überhaupt nichts gesagt leicht zu vermeiden ist. Der Zugang zum Denken des Richters andere Erkenntnis ist zwar nicht leicht zu öffnen. Aber das beste Mittel dazu ist und bleibt in allen Verfahren und in allen Instanzen das Klasse-Plädoyer, kunstvoll angerichtet. Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln Der durchschnittliche Berufseinsteiger in den Anwaltsberuf ist ein 31jähriger gestresster, aber hinreichend zufriedener Rechtsanwalt in Erstanstellung, der ein Bruttojahresgehalt von Euro in einer 47 Arbeitsstunden-Woche verdient und sich wahrscheinlich sobald er ausreichend Berufserfahrung gesammelt hat und aufgrund mangelnden Entwicklungspotentials nach etwa sieben Jahren und einem Kanzleiwechsel selbstständig machen wird. So oder ähnlich könnte eine zugegebenermaßen eigenwillige und sehr vereinfachte Erkenntnis aus den ersten Ergebnissen einer Befragung von jungen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten lauten, die der Kölner Rechtsanwalt und Direktor des Soldan Instituts, Dr. Matthias Kilian, im Rahmen des 63. Deutschen Anwaltstags vorgestellt hat. Befragt wurden die zwischen 2004 bis 2010 zugelassenen Anwälte über ihre Ausbildung, Berufswahl und die Erfahrungen seit ihrem Berufseinstieg. Die umfangreichste Untersuchung ihrer Art erlaubt es durch Vergleich, mit in den Jahren 1988, 1997 und 2004 veröffentlichten, verwandter Studien die Entwicklungen des Anwaltsberufs während der letzten 30 Jahre nachzuzeichnen. Obwohl die erhobenen Daten zunächst noch umfangreich ausgewertet werden müssen, konnte Kilian bereits Trends feststellen und auch mit dem einen oder anderen Klischee aufräumen. Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian zur Strukturentwicklung in der Anwaltschaft und der Situation junger Anwältinnen und junger Anwälte. AnwBl /

94 Aus der Arbeit des DAV Traumberuf Anwalt Rechtsanwalt sein ist nicht nur Beruf, sondern Berufung. Für zwei Drittel der Befragten bedeutete diese Weichenstellung die Wahl ihres juristischen Wunschberufs. Dies ist der höchste Wert für die Anwaltschaft seit Beginn der Langzeitstudie vor 30 Jahren. Die Berufseinsteiger sind nicht nur motiviert, sondern auch überdurchschnittlich qualifiziert. Indem die Rechtsanwälte die Prüfungsstatistik punktemäßig übertreffen, widerlegen sie das Vorurteil, gerade schlechte Examenskandidaten würden den Anwaltsberuf ergreifen (müssen). Nur am Rande sei dabei bemerkt, dass sich auch die pauschale Annahme, Frauen schrieben die besseren Examina, als falsch herausgestellt hat. Klarer Trend zur Anstellung Die Randbemerkung ist aber keine Erklärung weshalb der Blick aufs Geschlecht eine andere traurige Wahrheit zu Tage fördert. Rechtsanwältinnen verdienen heute im Durchschnitt 18 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Damit ist der sog. gender gap beim Einkommen durch die Rechtsanwaltstätigkeit größer als in anderen Berufen. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beträgt die bereinigte Lohnlücke in Deutschland lediglich 8 Prozent. Erschreckend ist dies, wenn man sich einen anderen klaren Trend vor Augen führt. Mehr als die Hälfte der Anwälte (59 Prozent) beginnen ihre Karriere inzwischen als Angestellte und nur noch 26 Prozent als Kanzleigründer (1996 war die Quote noch 32 Prozent zu 41 Prozent). Die Gründung neuer Kanzleien am Rechtsdienstleistungsmarkt ist offensichtlich schwieriger geworden zugleich wird mit der stetig zunehmenden Größe von Kanzleien die Beschäftigung angestellter Rechtsanwälte selbstverständlicher. Die Zeit der Anstellung ist allerdings oft nur von begrenzter Dauer. Schon nach siebenjähriger Berufstätigkeit verkehrt sich das oben festgestellte Verhältnis. Dann sind 60 Prozent aller Anwälte Inhaber oder Sozius einer Kanzlei und nur noch 30 Prozent bei Berufskollegen angestellt. Ebenfalls bedenkenswert ist die Beobachtung, dass das durchschnittliche Einstiegsgehalt seit ca. zehn Jahren bei ca Euro nahezu stagniert. Durchschnittlich verdienten die Befragten Euro brutto. Rechtsanwalt Jonas Regenfuß, Brüssel 63. Deutscher Anwaltstag Das Verfahren vor dem EuGH und die Anwaltskunst Anwälte aus verschiedenen Ländern berichten aus der Praxis Auf dem Podium diskutierten (v.l.n.r.) Hugh Mercer Q.C., Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Rechtsanwalt Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer und Rechtsanwalt Dr. Georg Berrisch. Das Motto des 63. Deutschen Anwaltstags Die Kunst Anwalt zu sein griff der DAV-Ausschuss Europäisches Vertragsrecht auf. Es ging um das Verfahren vor den europäischen Gerichten. Die Referenten gaben praktische Tipps. Sieht man das Plädoyer, bezogen auf des Thema des Anwaltstags, wenn nicht als Kunstwerk, so doch immerhin als Kunstfertigkeit an, dann ist es sinnvoll, dazu nicht nur die nationalen Verfahrensrechte zu traktieren, sondern über die Grenzen zu gehen und mindestens das Verfahrensrecht vor den Gerichten der Europäischen Union (EU) anzuschauen. Rechtsanwalt Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer (Köln), der die entsprechende Veranstaltung des Ausschusses Europäisches Vertragsrecht einleitete und moderierte, wies gleich zu Anfang darauf hin, dass in Erweiterung des angekündigten Themas Das Plädoyer vor dem EuGH im Ganzen von der Prozessführung vor den Gerichten der EU die Rede sein solle. Das war dann in strukturiert ansprechender Form auch wirklich der Fall, denn als Referenten waren vortreffliche und seit langem vor den Gerichten der EU erprobte Kenner des Europarechts am Werk. Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe (Berlin) führte die Hörer bis vor die Tore der Luxemburger Gerichte. Hugh Mercer Q.C. (London) betreute sie im Gerichtsgebäude und vor den Instanzen. Rechtsanwalt Dr. Georg Berrisch (Brüssel) schließlich behandelte speziell das Verfahren vor dem Gericht (früher Gericht 1. Instanz). EuGH nicht nur für Spezialisten Rabe begann: Die Prozessführung vor dem Gerichtshof der EU (Gerichtshof, Gericht, Fachgerichte Art. 19 EUV) ist nicht das tägliche Brot aller Anwälte, aber das Europäische Recht hat inzwischen das nationale Recht derart intensiv überlagert und durchdrungen, dass jeden Anwalt und jede Anwältin jederzeit die Notwendigkeit ereilen kann, vor dem EuGH zu prozessieren. Da der Gerichtshof in den für Anwälte besonders relevanten Verfahren, dem Vorlage- und Vorabentscheidungsverfahren nicht den Rechtsstreit entscheidet, sondern sich nur zu Inhalt, Auslegung und Anwendung eines europäischen Rechtssatzes äußert, arbeitet man auch am europarechtlichen Teil des Rechtsstreits besser selbst mit und ruft nicht nur den Spezialisten des Europarechts. Dann muss man aber auch das europäische Recht kennen und berücksichtigen, dass nicht nur der EuGH sondern auch nationale Gerichte es anwenden. Wichtigste Aufgabe ist, den entscheidungserheblichen Gemeinschaftsrechtssatz, in welchem Gewand er sich auch verbirgt (Verordnung, Richtlinie, nationale Rechtsnorm) herauszufinden und ihn mittels der Auslegungsregeln des europäischen Rechts in eine Vorlagefrage zu fassen, die das nationale Gericht an den EuGH weiterleiten kann. Dann ist im Schriftsatz, es gibt nur einen, alles zu konzentrieren, was noch zu sagen ist, möglichst kurz und klar gegliedert. Nichts von dem, was schon Prozessstoff ist durch die Vorlage und das nationale Verfahren, ist zu wiederholen. Das Fristenregime ist exakt zu beachten. Rechtsvergleichung hilft Mercer nimmt sich des Prozessführenden an und empfiehlt, sich der Trennung von schriftlichem Verfahren (Dauer zwei Monate) und mündlichem Verfahren bewusst zu sein. In der 752 AnwBl / 2012

95 Aus der Arbeit des DAV Sache selbst sollte die Partei Rechtsvergleichung betreiben, den Einflüssen auf das Recht nachgehen, den Kontext genau erfassen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs kurz und klar darstellen. Eine Zusammenfassung ist hilfreich, auch eine Bemerkung dazu, warum die Klärung der Streitfrage entscheidend ist. Vielleicht ist auch das nationale Verfahren erklärungsbedürftig. Das alles ist auch mit einem Blick auf die Besetzung des Gerichts (drei oder fünf Richter) vorzubereiten. Die mündliche Verhandlung, von der man sich im Vorfeld einen Eindruck verschaffen sollte (Atmosphäre), ist das Zentrum des Verfahrens. Sie sollte stets beantragt werden. Die Partei kann darin besser als sonst irgendwie erkennen, wie es um die Sache steht, was den Richtern noch unklar ist, wo sie vielleicht differieren und schließlich, wie die Richter überzeugt werden können. Das Plädoyer ist exakt und sensibel vorzubereiten. Noch konzentrierter als im Schriftsatz ist vorzutragen. Keine Wiederholungen und Einhaltung der vorgegebenen Zeit. Frei reden, akzentuiert und langsam Sprechen sind am besten. Den Übersetzern kann man einige Stichpunkte des Plädoyers vorab übermitteln. Auf Fragen des Gerichts muss man vorbereitet sein. Bei dem Gericht ist das zuvor Ausgeführte, wie Georg Berrisch darlegt, natürlich auch zu beachten. Aber das Gericht entscheidet Direktklagen, ist präziser und hebt Rechtsakte auf. Das klingt nach Verwaltungsgericht. Das gerichtliche Verfahren ist keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens, das gleichwohl gut bearbeitet werden sollte. Das Gericht prüft :rechtmäßig/rechtswidrig. In dieses Schema sind die Klagegründe einzureihen Die relevanten Fakten. sind deutlich und einfach anzuschließen. Nachdenken: Welche Klagegründe sind zu akzentuieren, welche können ausgelassen werden, wie ist mit Beweismitteln zu verfahren. Affidavits sind besser als Zeugenvernehmung (seltener). Nimmt man alles, was die Referenten und die anschließende lebhafte Diskussion natürlich viel spannender darlegten, als es hier geschildert werden kann und fügt dem die ausgehändigten Tipps für Rechtsanwälte hinzu, so sieht man schon, dass das Verfahren vor den Gerichten der EU von den Anwälten und Anwältinnen ein hohes Maß an Kunstfertigkeit erfordert. Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln Deutscher Anwaltstag Die Kunst, Anwältin (und Mutter) zu sein und was besser sein könnte Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer Frauenthema Die 15. Anwältinnenkonferenz der Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen fand anlässlich des 63. Deutschen Anwaltstags statt: Sie griff das Motto des Anwaltstags Die Kunst Anwalt zu sein Kunst, Kultur und Anwaltschaft auf unter dem Titel Die Kunst, Anwältin und Mutter zu sein auf. Unter den Gästen waren auch Rechtsanwältin Dr. Gisela Wild, die 2010 mit dem Maria-Otto-Preis des Deutschen Anwaltvereins ausgezeichnet worden ist, die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Ramona Pisal und der DAV-Präsident Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer. In ihrem Impulsreferat zeigte Sofie Geisel vom Netzwerkbüro Erfolgsfaktor Familie auf, dass es nicht nur genüge, die Vereinbarkeitsbremse von Beruf und Familie als Folge der mangelnden Betreuungsinfrastruktur in vielen Teilen Deutschlands zu beseitigen. Vielmehr müssten auch die Chancen in der Gestaltung der individuellen Arbeitszeitgestaltung genutzt werden und zwar weg von starren Arbeitszeiten hin zu einer Ergebnis- statt Präsenzkultur. Auf dem Podium diskutierten anschließend unter der Moderation der Journalistin Cornelia Benninghoven 4 3 (Köln) Kolleginnen, die (nicht nur) als Mütter einiges zu diesem Thema zu berichten hatten, und zwar die Rechtsanwältinnen Kathrin Eisenmann (Stuttgart), Dr. Margarete Gräfin von Galen (Berlin), Dr. Sabine Klett (München) und Dr. Astrid Auer-Reinsdorff (Berlin/ Lissabon). Um Leistungsträgerinnen gerade in Großkanzleien nicht wegen einer Mutterschaft zu verlieren, setzten diese Sozietäten verstärkt auf zahlreiche, sehr individuelle Arbeitszeitmodelle. Die Diskussion zeigte aber auch zahlreiche Probleme auf, die Kolleginnen daran hindern, Familie und Beruf zufriedenstellend für alle Beteiligten zu vereinbaren. So wird teilweise noch das Muttersein von Kollegen und Mandan- 1 Der DAV-Präsident Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer beim alljährlichen Frühstücksempfang auf dem Anwaltstag (rechts dahinter der BRAK-Präsident Rechtsanwalt Axel C. Filges). 2 Die Vorsitzende der AG Anwältinnen Rechtsanwältin Silvia C. Groppler begrüßte beim Frühstücksempfang. 3 Rechtsanwältin Beatrice Hesselbach (AG Anwältinnen) stellte die Broschüre der Arbeitsgemeinschaft Anwältin und Mutter klar geht das! vor. 4 Nach dem Referat von Sofie Geisel (Leiterin Netzwerkbüro Erfolgsfaktor Familie, 2.v.l.) diskutierten, moderiert von der Journalistin Cornelia Benninghoven (l.), auf dem Podium (v.l.n.r.) die Rechtsanwältinnen Kathrin Eisenmann, Dr. Margarete Gräfin von Galen, Dr. Astrid Auer-Reinsdorff (DAV-Vizepräsidentin) und Dr. Sabine Klett. AnwBl /

96 Aus der Arbeit des DAV ten per se mit Teilzeittätigkeit gleichgesetzt. Auch erhebliche Kritik an der Rahmensituation in Deutschland wurde vorgebracht. Die Betreuungssituation ist im öffentlichen Bereich in vielen Regionen Deutschlands katastrophal; die fehlende Möglichkeit, Kinderbetreuungskosten oder alle Kosten des Kindes bis Beendigung der Ausbildung vollständig von der Steuer abziehen zu können, ist nicht hinnehmbar. Zudem ist zu beklagen, dass die Kinderbetreuung nach wie vor überwiegend Frauensache ist. Zwar hätten einige Väter damit begonnen, Elternzeit zu nehmen, aber meistens nur die Mindest-Monate und gerade nicht im gleichen Umfang wie ihre Partnerinnen. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion stellten die Rechtsanwältinnen Heike Brünig-Tyrell (Köln) und Beatrice Hesselbach (Villingen-Schwenningen) die von der Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen herausgegebene Broschüre Anwältin und Mutter klar geht das! vor. Die Broschüre kann nach wie vor beim DAV bestellt werden und wird zahlreich nachgefragt. Der traditionelle Frühstücksempfang, der dieses Jahr von Rechtsanwältin Eva Kuhn aus Köln moderiert worden ist, musste wegen der zahlreichen Voranmeldungen in einen größeren Raum verlegt werden. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern begrüßte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Rechtsanwältin Silvia Groppler, Berlin, neben dem DAV-Präsidenten Prof. Wolfgang Ewer auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus dem DAV- Präsidium und DAV-Vorstand zum gemeinsamen Frühstück. Für die Bundesrechtsanwaltskammer war der Präsident, Rechtsanwalt Axel Filges, anwesend. Dies zeigt, dass die Themen der Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen neben den Fachveranstaltungen des Anwaltstags nicht nur interessant sind, sondern auch die berechtigte, angemessene Aufmerksamkeit finden und zum kollegialen Austausch einladen. Gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht hatte die Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen am 15. Juni 2012 noch eine Veranstaltung zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf organisiert, die nicht nur aufgrund der wiederum hohen Zahl der Teilnehmerinnen/Teilnehmer großen Zuspruch fand (siehe dazu AnwBl 2012, 636). Rechtsanwältin Beatrice Hesselbach, Villingen-Schwenningen 63. Deutscher Anwaltstag Zankapfel Urheberrecht Anwaltstag diskutiert Gesetzespläne AG Geistiges Eigentum & Medien bietet zwei aktuelle Blöcke Das Urteil könnte eindeutiger nicht sein: Der Gesetzentwurf ist eine absolute Katastrophe, schimpfte der Berliner Rechtsanwalt Dr. Till Kreutzer auf dem 63. Deutschen Anwaltstag in München im zweiten Teil des Themenblocks Urheber- und Medienrecht. Die Diskussion stand unter der Überschrift: Copyleft, Copyright oder Kultur-Flatrate wie weit kann, wie weit muss das Urheberrecht Kunst und Kultur schützen? Tags zuvor hatte die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fast wie bestellt ihren Gesetzentwurf zum Leistungsschutzrecht von Verlagen im Internet vorgelegt. Ihnen soll künftig ermöglicht werden, Internetanbieter für die kommerzielle Weiterverbreitung von Zeitungsartikeln durch den Kauf von Lizenzen zur Kasse zu bitten. Gemeint sind vor allem professionelle Suchmaschinen wie Google. Getroffen werden damit nach Ansicht von Kreutzer jedoch auch Menschen, die in ihren Blogs oder über den Kurznachrichtendienst Twitter auf interessante Artikel hinweisen wollen. Wie solle denn künftig die Kommunikation in diesem Bereich noch laufen, fragte Kreutzer. Vieles sei nach den geplanten Regeln völlig ungeklärt. Das sah Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer der Axel Springer AG schon qua Amt gänzlich anders: Die meisten Unsicherheiten sind beseitigt worden, widersprach Keese, sichtlich zufrieden mit den Plänen der Bundesjustizministerin. Leistungsschutzrecht für Verlage Keese und Kreutzer gehören in der aktuellen Urheberrechtsdebatte wohl zu den emsigsten Vertretern der beiden Seiten, die sich geradezu unversöhnlich gegenüberstehen. Sichtlich genervt konstatieren beide im Schlagabtausch, wie offensichtlich falsch der jeweils andere die Streitpunkte darstelle. Dabei ist der Streit um das Leistungsschutzrecht der Verlage nur ein Teil der Urheberrechtsdebatte. Christopher Lauer von der Piratenpartei möchte nach solch kontroversen Diskussionen manchmal gleich das ganze Urheberrecht abschaffen und dann einfach mal zehn Jahre schauen, was passiert. In Augenblicken, in denen er sich jedoch nach eigenem Bekunden nicht völlig aufregt über den Verlauf des aktuellen Schlagabtauschs, räumt allerdings auch er ein, dass die Werke der Urheber geschützt werden müssten und zwar mindestens bis zum Tod und wohl auch zehn Jahre darüber hinaus. Jedenfalls aber nicht 70 Jahre wie bisher. Verlagsleiter Keese zählte dagegen minutiös die Vorzüge der Gesetzespläne auf: Durch die Ansprüche würden die Rechte der Urheber nicht eingeschränkt, betonte er. Im Gegenteil: Der Entwurf sieht vor, dass Verlage die Autoren angemessen an der Vergütung beteiligen müssen. Für den privaten Gebrauch dürfen Internetnutzer weiterhin auf alle Artikel zurückgreifen. Auch gewerblichen Nutzern bleibt es gestattet, auf ihre Internetseiten einen Link zu einem Artikel zu setzen oder unter Nennung der Quelle 754 AnwBl / 2012

97 Aus der Arbeit des DAV 4 1 Christoph Keese (Konzerngeschäftsführer Axel Springer AG) und Rechtsanwalt Oliver Brexl (Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Geistiges Eigentum & Medien) diskutierten auf dem Podium über die Gesetzespläne zum Leistungsschutzrecht von Verlagen im Internet. Keese ist ein klarer Befürworter der Gesetzesentwürfe. 2 Pavel Richter (Vorstand von Wikimedia Deutschland) nutzte die Gelegenheit, um auf das Problem der verwaisten Bücher aufmerksam zu machen. 3 Rechtsanwalt und Journalist Dr. Till Kreutzer vertritt einen klaren Standpunkt in der Urheberrechtsdebatte: Der Gesetzentwurf ist eine absolute Katastrophe! 4 Christopher Lauer (Piratenpartei) würde am liebsten das gesamte Urheberrecht angesichts solcher Diskussionen abschaffen, räumt jedoch ein, dass die Werke der Urheber geschützt werden müssen auch über den Tod hinaus. daraus zu zitieren. Ohnehin gelten die Schutzfristen für Verlage nur ein Jahr, danach können sie nicht mehr auf Lizenzzahlungen pochen. Was soll gemeinfrei sein? Pavel Richter, Vorstand von Wikimedia Deutschland, nutzte die Plattform des Anwaltstags, um auf das drängende Problem der verwaisten Bücher hinzuweisen. Milliarden von Büchern könnten nicht genutzt werden, weil schlicht nicht klar sei, wem die Rechte daran gehörten. Zudem sollte staatliches Schaffen seiner Ansicht nach überhaupt nicht geschützt werden, denn dieses sei schon der Definition nach nicht kreativ. Als Beispiele nannte er Wetterdaten, die Expertise des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sowie Fotos, die die Pressestelle etwa von Ministern oder der Bundeskanzlerin macht. Wir haben nämlich bereits dafür gezahlt, betonte Richter. Mit unseren Steuern. Corinna Budras, F.A.Z., Frankfurt am Main 63. Deutscher Anwaltstag In der Mediation ist der Anwalt eines Mandanten ein Chamäleon Wenn die Parteien mit ihrem Anwalt in die Mediation gehen... Wir lieben Streiten lautete das bewusst doppeldeutige Motto, das die Arbeitsgemeinschaft Mediation für ihre Veranstaltung auf dem 63. Deutschen Anwaltstag über die Rolle des Anwalts bei dieser Form der Streitschlichtung gewählt hatte. Ich liebe Mediation, aber auch das Streiten jedes zu seiner Zeit!, war die Formel, mit der Dr. Susanne Offermann-Burckart (Hauptgeschäftsführerin der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf) ihre Haltung auf einen Nenner brachte. Für Streit sorgten auf dem Podium und im Publikum, die dem mittlerweile durch ein eigenes Gesetz geadelten Verfahren durchweg wohlwollend gegenüber standen, denn auch nicht Nutzen und Grenzen der Mediation. Ein Begriff war es vielmehr, der für Zunder sorgte: Begleitanwalt war ein Wort, das nicht nur den Präsidenten der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer, Dr. Michael Purrucker, auf die Palme brachte. Doch wie auch immer man das Kind nennt: Der Parteianwalt, von dem beispielsweise der Hamburger Rechtsanwalt Rembert Müller lieber sprach, warf mit seiner besonderen Rolle zahlreiche Fragen auf. Denn wie lässt sich der Spagat bewältigen, einerseits eine einvernehmliche Konfliktlösung voran treiben zu sollen und zugleich stets auf der Hut sein zu müssen? Schließlich darf sich der Berater oder Begleiter einer der Kontrahenten auch nicht in die Nähe von Parteiverrat oder Regressrisiken bringen, wenn er eine sich womöglich auftuende Chance für einen Sieg durch eine streitige Klage ungenutzt lässt. Offermann-Burckart sprach von einem Chamäleon : Einem Anwalt, der einer der beiden Seiten in einer Mediation zur Seite stehe, falle es angesichts des traditionellen Rollenbildes meist schon schwer, hinter statt vor seinem Mandanten zu sitzen. Er sei dessen Coach, zugleich eine Art Schiedsrichter dürfe aber auch die Rolle des einseitigen Interessenvertreters nicht verlassen: Zu jedem Zeitpunkt muss er immer aufs Neue einschätzen, ob sein Auftraggeber in der Mediation noch gut aufgehoben ist. Denn der Anwalt müsse stets den von der Rechtsprechung geforderten sichersten Weg im Blick behalten zumal manche Kunden mit der Eigenverantwortung, die ihnen da abverlangt werde, nicht sonderlich glücklich seien. Und es nach einem Vergleichsschluss auch das Phänomen der Mediationsreue gebe; etwa wenn die frühere Ehefrau erfahre, dass ihr Ex-Mann bei der Einigung über die Trennung längst eine neue Freundin hatte. Jeder will das Fruchtfleisch Rechtsanwalt Dr. Uwe Neuenhahn räumte mit der Legende aus dem Orangen-Beispiel auf. Es ist nicht die Realität, dass der eine das Fruchtfleisch zum Auspressen und der andere bloß die Schale zum Backen haben will, sagte der Münchener Wirtschaftsmediator: Mediation ist das Bohren dicker Bretter es geht um die Verteilung von sehr viel Geld. Nach seiner Erfahrung kann ein auf Konfrontation geeichter Begleitanwalt erheblich stören: Wenn alle Handball spielen und einer Fußball, ist das saublöd. Ein Gedanke, den auch Müller aufgriff: Der Anwalt des Mandanten im Hintergrund kann ein erhebliches Problem sein, warnte er: Er hat eine unglaubliche Macht und kann eine Mediation zerstören. Vom Konfliktmanagement in der Unternehmenswelt berichtete Rechtsanwalt und Mediator Uwe Bürgel, Gründer der Konsens Kanzlei in Dresden und Berlin. Es müsse doch noch einen Mittelweg zwischen direkten Verhandlungen und einer Klage vor Gericht geben, habe er früher als angestellter Syndikus immer gedacht. Man verklagt als Mittelständler nicht den Großkonzern, von dem man abhängt dann ist die Geschäftsbeziehung weg, unterstrich Bürgel. Aber auch zwischen Konzerngesellschaften sowie mit Kunden, Lieferanten, Dienstleistern und Arbeitnehmern biete sich die Mediation zunehmend an. Trotz allem musste Moderator Dr. Hans-Georg Monßen, Rechtsanwalt und Mediator, bei einer kleinen Abstimmung feststellen: Selbst im Saal stellte die Zahl der Anwälte, die ihren Kunden schon einmal von sich aus zu einer Mediation geraten hatten, nicht gerade die überwältigende Mehrheit dar. Prof. Dr. Joachim Jahn, F.A.Z., Berlin AnwBl /

98 Aus der Arbeit des DAV 63. Deutscher Anwaltstag AG Syndikusanwälte: Die Kunst, Syndikusanwalt zu sein Mix auf Anwaltstag Die Praxis einer Rechtsabteilung und die Restitution von Kunst Die Arbeitsgemeinschaft der Syndikusanwälte befasste sich auf dem Anwaltstag in zweifacher Weise mit Kunst, einmal mit richtiger Kunst und zum anderen mit Kunst im übertragenen Sinn entsprechend dem Motto des Anwaltstags. Die echte Kunst vertrat Prof. Dr. Dirk Boll, Christiés Zürich, dort Geschäftsführer und European Director sowie Lehrer am Institut für Kulturund Medienmanagement, Hamburg. Die andere Kunst, nämlich die, ein Syndikusanwalt zu sein, behandelte Rechtsanwalt Malte Wagner, Leiter des Konzernbereichs Recht der Südwestdeutschen Medien Holding (Stuttgart). Dirk Boll hielt Vortrag zum Thema Restituierte Kunstwerke und die Kunstmärkte. Aufgerufen war damit sofort die ungeheuerliche, beispiellose, räuberische, erpresserische Wegnahme von Kunst, deren Verbringung ins Ausland, die Vertreibung und Entrechtung jüdischer Künstler und jüdischer Eigentümer von Kunst durch das damals Deutschland repräsentierende nationalsozialistische Regime. Bis heute ist der Verlust an Kunst und Künstlern sowie in Kunstwissenschaft und Kunsthandel schmerzlich fühlbar. Als Objekte einer Aufarbeitung zum Besseren stehen im Licht der Betrachtung restituierte Kunstwerke, die kriegerisch entzogen, unrechtmäßig verbracht, von Machthabern des Dritten Reichs eingezogen (Entartete Kunst) oder zur Finanzierung von Flucht verkauft oder als Kriegsbeute verschleppt wurden. Vor diesem Hintergrund schilderte Dirk Boll zunächst die unmittelbare Nachkriegszeit, die der Restitution noch eher verschlossen war. Das hat sich mit zunehmender Intensität seit etwa 20 Jahren geändert. Der Wandel hat seine Gründe im Ablauf der Sperrfristen vieler Archive, in der Öffnung des Ostblocks, der Beschleunigung des Informationsaustauschs durch das Internet. Es ist auch eine Erbengeneration herangewachsen, die keine eigene Erinnerung an die Untaten hat. Außerdem tauchen immer mehr verloren geglaubte Werke seit dem Fall der Mauer in Ausstellungen und auf dem Markt auf. Schließlich und kaum zu überschätzen ist die verbesserte technische Möglichkeit der Identifizierung von Werken. Auch Jahrestage spielen eine Rolle. Einen bedeutsamen Zwischenschnitt und eine Plattform für die neuere der Restitution günstigere Entwicklung bilden die Washington Principles von Darin haben sich 44 Länder auf Grundsätze für den Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst geeinigt. Diese Grundsätze sind kein Völkerrecht, also nicht rechtsverbindlich. Sie wirken aber wie viele dem völkerrechtlichen Bereich angehörende Instrumente und Verlautbarungen durch ihre Sach- und Teilnehmerstaatenautorität. Missachtung ist schwerlich möglich. Die Grundsätze werden ständig weiter entwickelt. Ziel ist es, umfassend zu dokumentieren, zu ordnen, alle Einrichtungen, Museen 63. Deutscher Anwaltstag Oldtimer als Kulturgut und gute Strafverteidigung als Kunst Kunst und Kultur des Anwalts im Verkehrsrecht Um Kunst und Kultur ging es auf dem 63. Deutschen Anwaltstag auch in der Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht und des Ausschusses Verkehrsrecht. Die Veranstaltung zeigte, dass sich Fortbildung sowie Kunst und Kultur nicht ausschließen. Im ersten Teil der Fortbildung referierte Rechtsanwältin Gesine Reisert aus Berlin über die Kunst der Strafverteidigung im verkehrsrechtlichen Straf- und Bußgeldverfahren. Im Anschluss daran widmete sich Rechtsanwalt Michael Eckert aus Heidelberg dem Kulturgut Oldtimer. Während die Kunst der Verteidigung als so genanntes Brot-und-Butter-Geschäft die tägliche Arbeit des Verkehrsrechtlers betrifft, handelt es sich beim Oldtimerrecht eher um ein Spezialgebiet, welches allerdings nicht minder interessant ist. Bevor Reisert ihre Trickkiste der Strafverteidigung öffnete und verschiedene Kunststücke aufzeigte, um effektiv und den Interessen des Mandanten gerecht für diesen das bestmögliche Ergebnis zu erreichen, referierte sie ausführlich über die geplante Reform des Verkehrszentralregisters und des Punktesystems. Mit dem geplanten Fahreignungsregister und dem neuen Fahreignungs-Bewertungssystem möchte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Verkehrssicherheit erhöhen. Auch im Hinblick auf die Beratung der Mandanten zur Reform des Verkehrszentralregisters war dieser Überblick wichtig. Gerade für Vielfahrer droht ein schnellerer Entzug der Fahrerlaubnis. Dem zweiten Referenten gelang es trotz der Kürze der Zeit, einen Überblick über die zahlreichen möglichen Probleme im Oldtimerrecht zu geben. Zu Beginn seines Referats erläuterte Michael Eckert die Voraussetzungen für die Einordnung als Oldtimer. Handelt es sich tatsächlich um einen Oldtimer und nicht um einen Youngtimer oder gar eine Replika? So bestehen zahlreiche oldtimer-spezifische Probleme in quasi sämtlichen Rechtsgebieten. Beispielhaft genannt seien nur das Zulassungsrecht (H-Kennzeichen), das Kaufrecht (Beschaffenheitsvereinbarungen durch Zustandsbeschreibungen), das Werkvertragsrecht (Reparaturen mit Gebrauchtteilen) oder auch das Strafrecht (Betrug im Rahmen von Verkäufen). Beide Referenten zeigten den annähernd 100 Teilnehmern erneut auf, wie wichtig eine qualifizierte Fortbildung ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht, die von Rechtsanwalt Dr. Klaus Schneider aus Langenhagen (Geschäftsführender Ausschuss der AG Arbeitsrecht) moderiert wurde, dank der beiden hervorragenden Referenten rundherum gelungen war. Rechtsanwalt Dr. Frank Häcker, Aschaffenburg 756 AnwBl / 2012

99 Aus der Arbeit des DAV und Institutionen zu koordinieren, Zusammenarbeit auf allen Ebenen herzustellen, Anspruchsteller zu ermutigen sowie schließlich faire und gerechte Lösungen durch angemessene Verfahren zu erreichen. In Deutschland sind Bund und Länder am Werk mit einer Handreichung. Dirk Boll erörterte das spannend und detailreich. Für die Zuhörer besonders eindrücklich war das Vorzeigen einer ganzen Reihe herausragender restituierter Kunstwerke. Arbeitsfeld Syndikusanwalt Malte Wagner gab einen bestechenden Überblick über die Syndikustätigkeit in einem großen Medienkonzern. Die Südwestdeutsche Medien Holding ist in ihrer Vielgestaltigkeit und Ordnungsstruktur schon eine beeindruckende Veranstaltung, die vornehmlich im Raum Stuttgart/München wirkt. Etwa 12 Tageszeitungen mit 130 Regionalzeitungen, oft in eigenen Gesellschaften sortiert, 155 Fachzeitschriften und weitere Geschäftsfelder sind nicht nur zu managen, sondern auch rechtlich zu betreuen. Das geschieht durch fünf Syndikusanwälte mit dazugehörendem, überschaubarem Stab. Sie verstehen sich als interne Dienstleister und arbeiten auch an den Sachfragen aktiv mit. Sachlich rechtlich spielen Vertragsrecht, Presserecht und Urheberrecht die größte Rolle. Um alles zu überschauen, muss man schon ein Jahr angelernt werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aus M&A, der Projektorganisation sowohl hinsichtlich des Leser- als auch des Anzeigenmarkts. Natürlich gibt es viel Arbeit im Datenschutzrecht, im Wettbewerbsrecht, bei der Verteidigung der Inhalte der Zeitung und für den Schutz von Autoren und Redakteuren. Schließlich ist zu schulen, Textprüfung zu betreiben und Unterstützung bei der Recherche zu leisten. Das alles zu würdigen, sachgerecht zu bearbeiten und endlich wirksam dazu beizutragen, dass Nacht für Nacht Zeitungen hergestellt werden ist schon eine Kunst, jedenfalls nach Meinung des Unterzeichners, der die Moderation der Veranstaltung inne hatte. Mag es sich bei dieser Kunst auch nur um eine im übertragenen Sinn handeln. Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln 63. Deutscher Anwaltstag Die Grenzen der Kunst im Recht ungewöhnliche Einblicke AG Verwaltungsrecht (Sachsen/ Sachsen-Anhalt/Thüringen) Die Kunstfreiheit garantiert Art. 5 Abs. 3 GG. Jede staatliche Bevormundung, Lenkung oder Beeinträchtigung dieser Freiheit ist verboten. Sie kann durch Gesetz nicht eingeschränkt werden. Gleichwohl unterliegt die Kunstfreiheit immanenten Grenzen, die letztlich aus anderen Verfassungsgrundsätzen, insbesondere der grundrechtlichen Freiheitsbetätigung anderer, folgen. Diesem Spannungsfeld auf drei ausgewählten Themenfeldern war die Fachveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im DAV Landesgruppe Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen unter der Moderation des AG-Vorstandsmitglieds Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg gewidmet. Dr. Michael Sauthoff (Vizepräsident des OVG Greifswald) sprach über die Kunst im öffentlichen Raum: straßenund bauordnungsrechtliche Aspekte. Sauthoff umriss zunächst den Kunstbegriff sowie den Begriff des öffentlichen Raumes, wozu er nicht nur den öffentlich gewidmeten, sondern den gesamten faktisch der Öffentlichkeit zugänglichen Raum (so auch die der Öffentlichkeit zugänglichen Bereiche eines Flughafens) zählte. Wenn ein Bauwerk Kunst sei, dann stelle sich die Frage nach den Restriktionen des Rechts. Diese seien am Maßstab praktischer Konkordanz zu entwickeln. So dürfe fremdes Eigentum nicht in Anspruch genommen werden (Sprayerproblematik). Nach der Arno-Breker- Entscheidung des BVerwG vom (NJW 1995, 2648) dürfen auch die psychische Gesundheit und der soziale Frieden nicht verletzt werden. Außerdem sei das Bauordnungsrecht zu beachten. Bei Veranstaltungen im öffentlichen Straßenraum dürfe das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, das Staatsziel aus Art. 20a GG, die psychische Gesundheit, der soziale Frieden, das Eigentum und die Baukunstwerke von Nachbarn nicht entgegenstehen, gegebenenfalls bedürfe es einer straßenrechtlichen Erlaubnis. Im zweiten Themenblock sprach Rechtsanwältin Dr. Angela Rapp (Berlin) über Die Bewahrung privater Kunstsammlungen in öffentlich-rechtlichen Stiftungen. Rapp zeigte auf, dass selbst namhafte öffentliche Museen wie die Berliner Alte Nationalgalerie und die Kunsthalle in Emden einmal aus einer privaten Sammlung und Stiftung der Kunstwerke hervorgegangen waren. Die Bewahrung und Erhaltung von Kultur aber sei eine öffentliche Aufgabe. Die Öffentliche Hand aber sei unter anderem wegen ihrer Geldknappheit auf Private angewiesen. Rapp zeigte dann anhand des Stiftungsrechts auf, dass private Kunstsammlungen wirkungsvoll durch öffentlichrechtliche Stiftungen gesichert werden könnten. Denn die Pflege der Kunstsammlungen brauche Geld, etwa auch für den Bau von Museen, das bei rein privaten Kunstsammlungen, die alleine aus den Kunstwerken bestehen, in der Regel nicht zur Verfügung stehe. Zum Abschluss der Veranstaltung behandelte Univ.-Prof. Dr. Walter Frenz (Leiter des Forschungsgebietes Berg-, Umwelt- und Europarecht der RWTH Aachen) das Thema Kunst und Abfall: Wo verlaufen die Trennlinien?. Frenz stellt den objektiven und subjektiven Abfallbegriff des neuen KrWG vor und glich ihn mit dem Inhalt der Kunstfreiheitsgarantien ab. Solange das Kunstwerk nicht die Grenzen des objektiven Abfallbegriffs erreicht, hat es bei der Einstufung der Sache als Kunstwerk sein Bewenden. Eine qualitative Bewertung der Kunst finde nicht statt. Sobald aber der objektive Abfallbegriff erreicht wird, setze sich der Aspekt der abfallrechtlichen Gefahrenabwehr durch und der Künstler sei zur Gefahrenabwehr (also zur Überlassung des Abfalls an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger) verpflichtet. Nach jedem Vortrag wurde mit dem Plenum diskutiert. Den vorgetragenen Rechtsaufassungen stimmten die Zuschauer überwiegend zu. Die Arbeitsgemeinschaft hat mit ihrer Fachveranstaltung Themen aufgegriffen, die in der Rechtsprechung und Literatur bislang nur sehr zurückhaltend behandelt wurden. So konnten vielleicht wertvolle Anregungen für die künftige Fortentwicklung des Rechts gegeben werden. Rechtsanwalt Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg, Aachen AnwBl /

100 Aus der Arbeit des DAV AG Strafrecht Strafrecht vor ausverkauftem Stadion 14. Strafverteidiger-Frühjahrssymposium im April 2012 in Karlsruhe Das alle zwei Jahre stattfindende Symposium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht widmete sich wieder der revisionsrechtlichen Rechtsprechung und ihrer Auswirkung auf die Tätigkeit in der Tatsacheninstanz. Nach der Begrüßung der über 260 Teilnehmer durch den Vorsitzenden der AG Strafrecht, Rechtsanwalt Dr. Werner Leitner, sprach wie schon vor zwei Jahren der Vizepräsident des BGH Wolfgang Schlick pointiert und launig die Grußworte für den BGH. Er erinnerte dabei an Freud und Leid im Leben eines Fußballfans und legte so die Grundlage für so manche Metapher und Wortwitz in den folgenden Vorträgen. Generalbundesanwalt Harald Range hob in seinem Grußwort hervor, dass die freie Anwaltschaft wichtig sei für die Rechtsstaatlichkeit. Rechtsfortbildung im Strafrecht? Rechtsanwalt Eberhard Kempf eröffnete die Vorträge mit einem Grundlagenreferat zu Revision und Rechtsfortbildung. Anhand von zwei Eingangs- und vielen Beispielsfällen zeigte er auf, dass die Gerichte heutzutage eher bemüht seien, Rechtsfortbildung zu betreiben oder eine Rechtsprechungsänderung ad hoc vorzunehmen, als den konkreten Fall für straflos zu erklären und den Gesetzgeber vermeintliche Lücken schließen zu lassen. Der vom Reichsgericht noch als straflos geurteilte Stromdiebstahl von 1889 auf der einen Seite und auf der anderen Seite nur beispielsweise die Absenkung der Werte bei der Blutalkoholkonzentration, die Regelung der Verständigung durch den Großen Strafsenat oder die Vollstreckungslösung anderseits waren die Aufhänger für einen sehr fundierten, kurzweiligen Vortrag. In der anschließenden Diskussion pointierte Rechtsanwalt Prof. Dr. Ferdinand Gillmeister die Krux in der Beratung mit der Frage, wie man seinem Mandanten erklären soll, dass er nun ein Präzedenzfall werde. Rechtsanwalt Johann Schwenn kritisierte den Hang des 1. Strafsenats des BGH zu obita dicta Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht Rechtsanwalt Werner Leitner (M.) mit Wolfgang Schlick (Vizepräsident des BGH, l.) und Harald Range (Generalbundesanwalt beim BGH). 2 Rechtsanwalt Eberhard Kempf referierte, ebenso wie Anke Hadamitzky (Oberstaatsanwältin beim BGH). 4 Dr. Rolf Raum (Richter am BGH) und Rechtsanwältin Dr. Anne Wehnert sprachen über die Verwertung unternehmensinterner Ermittlungen Richter am BGH Prof. Dr. Bertram Schmitt und Rechtsanwalt Klaus-Ulrich Ventzke zogen nach mehr als 50 Entscheidungen des BGH zur Verständigung eine Zwischenbilanz. Schmitt stellte eine grundsätzlich unterschiedliche Wahrnehmung von Verteidigern und Tatrichtern fest im Drang zur Verständigung. Aus seiner Sicht sei die Sanktionsschwere eher nach unten hin zu weit geöffnet. Ventzke zeigte ebenfalls anhand ausgewählter Entscheidungen die Knackpunkte der gesetzlichen Regelung auf und konstatierte, dass die revisionsverfahrensrechtlich eröffneten Möglichkeiten zur Überprüfung nicht ausgeschöpft seien. Leitner hielt es in seinem Wortbeitrag für kurios, dass in einem streitig geführten Prozess selbst bei Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ein sofortiger Rechtsmittelverzicht möglich sei, nicht aber bei einer Verständigung, bei der man ja immerhin genau das bekomme, was man gewollt habe. Er warf die Frage auf, ob man nicht generell den Rechtsmittelverzicht abschaffen sollte. Das nur auf den ersten Blick scheinbar langweilige Thema Schätzungen in der Rechtsprechung des 7 BGH entpuppte sich auch aus der eigenen Sicht der beiden Referenten Richter am BGH Prof. Dr. Thomas Fischer und Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Müssig als spannendes, teils rechtsphilosophisches, dogmatisches Pionierland, obwohl es in der alltäglichen Praxis zunimmt. Vorsitzender Richter am BGH Armin Nack und Leitner widmeten sich zuletzt dem Verteidigermandat und seinen Inhalten als Beweisthema. Auch in der sehr lebhaften Diskussion zu diesen Vorträgen zeigte sich, dass es beinahe eine Glaubensfrage ist, ob der Verteidiger als Zeuge aussagen darf und soll. Nack konnte sich vorstellen, hier eine Art in camera-verfahren bei der Rechtsanwaltskammer einzuführen, bei dem darüber entschieden wird, ob der Verteidiger aussagen muss, während Leitner eine 2-Schlüssel-Theorie propagierte, bei der Mandant und Verteidiger kumulativ und eigenständig über das Schweigerecht des Verteidigers entscheiden müssen. Am zweiten Tag der Veranstaltung trugen Oberstaatsanwältin beim BGH Anke Hadamitzky und Rechtsanwalt Dr. Christoph Knauer zu Anträgen auf 758 AnwBl / 2012

101 Aus der Arbeit des DAV AG Arbeitsrecht Tagungsprogramm im Arbeitsrecht: Aus der Praxis für die Praxis 63. Tagung im Frühjahr in Dresden Beweiserhebung in der neueren Rechtsprechung des BGH vor. Hadamitzky referierte drei Grundsatzentscheidungen des 1. und 3. Strafsenats des BGH zu aktuellen Problemen der Bezeichnung einer bestimmten Beweistatsache (Stichwort: Beweisantrag ins Blaue hinein / aufs Geratewohl ), der Darlegung der Konnexität und der Zurückweisung eines Beweisermittlungsantrags in der Form der Bescheidung eines Beweisantrags. Knauer hingegen übernahm es, die gesamte Entwicklung dezidiert zu kritisieren und Linien aufzuzeigen. Unternehmensinterne Ermittlungen Beim Dauerbrenner Verwertung unternehmensinterner Ermittlungen beklagte Rechtsanwältin Dr. Anne Wehnert in ihrer Darstellung des Streitstands und unter dem steten Blick in die USA unter anderem, dass unternehmensinternen Ermittlungen anders als privaten Ermittlungen kein sonderlich großes Misstrauen entgegengebracht werde. Sie forderte die Suspendierung der arbeitsvertraglichen Pflicht zur Auskunft bei gezielter Aufklärungshilfe gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und die flankierende 9 6 Prof. Dr. Bertram Schmitt (Richter am BGH) zog eine Zwischenbilanz zur Verständigung im Strafverfahren. 7 Die Teilnehmer durften wieder mitdiskutieren. 8 Über Schätzungen in der BGH-Rechtsprechung sprach Prof. Dr. Thomas Fischer (Richter am BGH). 9 Unter den Gästen: Marie Luise Graf-Schlicker (Bundesjustizministerium). 10 Eva Schübel (Bundesanwältin beim BGH, l.), Rechtsanwältin Dr. Regina Michaelke (M.) und Dr. Yvonne Ott (Richterin am BGH). 11 Rechtsanwalt Prof. Dr. Jürgen Wessing (l.), Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm (DAV-Strafrechtsausschuss) und Rechtsanwältin Dr. Gina Greeve (Geschäftsführender Ausschuss der AG) 12 Armin Nack (Vorsitzender Richter des BGH) referierte über das Verteidigermandat und seine Inhalte als Beweisthema. gesetzliche Implementierung eines Verwendungsverbots entsprechend 97 InsO ein. Richter am BGH Rolf Raum zeichnete ein differenzierteres Bild. So empfand er die teils gedankenlose Implementierung von fremdem Recht als geradezu dreist, und kritisierte den UK- Bribery Act vor allem wegen seiner Aufoktroyierung der Vertragspartner- Prüfung. Die Ergebnisse unternehmensinterner Ermittlungen müsse der Tatrichter kritisch würdigen, weil solche Untersuchen interessengeleitet und so in ihrem Beweiswert gemindert sein können. Die arbeitsvertraglichen Auskunftspflichten im Rahmen von unternehmensinternen Ermittlungen sieht er durch die Schranke der Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG begrenzt; eine gerichtliche Erzwingung sei ebenso wie die Erzwingung entsprechender Angaben im Rahmen einer zivilprozessualen Zeugen- oder Parteieinvernahme ausgeschlossen. Leitner resümierte am Ende unter dem Beifall der Zuhörer, dass dies wieder einmal eine sehr gelungene Veranstaltung vor ausverkauftem Stadion war. Rechtsanwalt Dr. Stephan Beukelmann, München Mitte September wird die Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht in Wiesbaden stattfinden, auf der die aktuellen Trends zum Urlaubsrecht und die Folgen des Betriebsübergangs für Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag auf höchstem Niveau präsentiert werden. Ein guter Zeitpunkt, um die Highlights der letzten Frühjahrstagung in Dresden Revue passieren zu lassen. Rund 350 im Arbeitsrecht tätige Anwältinnen und Anwälte folgten der Einladung der Arbeitsgemeinschaft, im März an die Elbe zu kommen. Dort erlebten sie hochkarätige Vorträge, angefangen mit dem Bericht von Rechtsanwältin Dr. Ulrike Schweibert über die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von Leiharbeitern auf Dauerarbeitsplätzen. Höhepunkt der Konferenz war der Vortrag von Richter am Bundesarbeitsgericht Christoph Schmitz-Scholemann. Er berichtete unter dem Titel Vom Flashmob bis zum Pfandbon von Glanz und Elend im deutschen Arbeitsrecht. Schmitz-Scholemann forderte, das deutsche Arbeitsrecht müsse besser zwischen wichtigen und unwichtigen Fragen unterscheiden. Es enthalte zu viele Detailregelungen. Im Kündigungsrecht bei Schwerbehinderten etwa herrsche eine Komplikationswut. Neben den Vorträgen bot die Konferenz auch ein differenziertes Workshop-Programm. Rechtsanwältin Dr. Andrea Panzer-Heemeier thematisierte arbeitsrechtliche Problemstellungen des Whistleblowings. Rechtsanwältin Kathrin Schlegel informierte über das neue Familienpflegezeitgesetz und jüngste Entscheidungen zum Teilzeitanspruch. Über Deutschland hinaus wies der Workshop von Rechtsanwalt Dr. Dieter Straub zum Arbeitnehmerentsendegesetz. Rechtsanwalt Thomas Marx, Berlin Die Herbsttagung der AG Arbeitsrecht findet am 14./15. September 2012 in Wiesbaden statt. Mehr dazu finden Sie unter AnwBl /

102 Aus der Arbeit des DAV AG Bank- und Kapitalmarktrecht Blick über die Grenze schärft das eigene Rechtsverständnis Erfolgreiches rechtsvergleichendes Frühjahrssymposium in Paris Einen Blick über den nationalen Tellerrand bietet die Arbeitsgemeinschaft Bank- und Kapitalmarktrecht mit ihrem jährlichen Frühjahrssymposium in einem europäischen Nachbarland. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der französischen und deutschen Rechtspraxis lernten 54 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im März 2012 in Paris kennen. Die exklusive Veranstaltung war sehr beliebt und schon früh ausgebucht. In der Öffentlichkeit bekannte Rechtsfälle stellten die Rechtsanwälte Oliver Berg aus Strasbourg und Matthias Schröder aus Frankfurt am Main gegenüber. In dem Fall des inzwischen zerschlagenen französisch-belgischen Finanzkonzerns Dexia realisierten sich für die kapitalanlegende Gemeinden Währungsrisiken von 20 Milliarden Euro. Dem stellte Berg ein Produkt für französische Postsparer gegenüber, das mit einer einfachen Barriere auf die Entwicklung des Aktienmarktes spekulierte. Interessant war dabei, dass in Frankreich der Schadensersatz durch Rückabwicklung unbekannt ist. Es wird der Verlust einer Chance bewertet und dabei sehr genau die Person des Anlegers betrachtet. Dessen Schadensersatzanspruch erreicht kaum einmal die deutsche Höhe, wird jedoch dem Grunde nach einfacher bejaht. Beim Herausarbeiten der Prüfungsmatrix französischer Gerichte schloss sich der Kreis zu den über deutschen Anlegern, die mit meist komplexen Kurswetten in den Strudel der Lehman Brothers-Insolvenz gerissen wurde. Schröder zog dazu ein bissiges und durchaus ernüchterndes Fazit ( Mehr Pulverdampf war nie ) der seit über drei Jahren andauernden Bemühungen der deutschen Justiz, den medial viel beachteten Lehman-Fall juristisch aufzuarbeiten. Ein engagiertes Plädoyer für eine europäische Ratingagentur hielt Prof. Dr. Brigitte Haar von der Goethe Universität Frankfurt. Sie stellte ein Modell ohne Staatsbeteiligung auf der Basis einer privaten, gemeinnützigen Stiftung zur Diskussion, um so den Einfluss der Anbieter auf die Arbeit der Agenturen zu unterbinden. Auf erhebliche Unstimmigkeiten und Stolpersteine bei der anstehenden europäischen Umsetzung der Änderungsrichtlinie der Prospektrichtlinie wies Rechtsanwältin Julia Heise (Frankfurt am Main) hin. Der heterogene Teilnehmerkreis des Frühjahrssymposiums, der sich nicht selten in der forensischen Praxis vor den Schranken des Gerichts streitig gegenüber steht, fand während der Abendveranstaltung im Louvre gerne wahrgenommene Gelegenheit, über die Parteigrenzen des Zivilprozesses hinweg Meinungen auszutauschen und sich besser kennen zu lernen. Gerade dies machte einmal mehr die vielgelobte, besondere Qualität der Rahmenveranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft aus. Es geht auch anders... Rechtlicher Schwerpunkt des zweiten Tages war die vertiefte Aufarbeitung der Unterschiede in der Rechtsverfolgung im französischen Bankrecht durch die Rechtsanwälte Dr. Reinhard Dammann (Paris) und Tobias Schulten (Frankfurt am Main) mit der Darstellung von Schnittstellen zum Insolvenzrecht und den grenzüberschreitenden Sicherungsrechten. Dammann widmete ein eigenes Kapitel der Darstellung aktueller Fragen des französischen Haftungsrechts im Bank- und Kapitalmarktrecht. Deutlich wurde, dass das französische Haftungsrecht stark auf eine Typisierung der Kunden abstellt. Die Bank muss beweisen, dass es sich um keinen profanen Kunden handelt, sie also deshalb geringe Warnpflichten hatte. Wer die ausgefeilt begründeten, deutschen Urteile und die sich daran anschließende Kaffeesatzleserei der hiesigen Rechtsliteratur kennt, war erstaunt zu hören, dass französische Urteile auf eine Begründung verzichten, ohne dass die Justiz und der Rechtssuchende Schaden nimmt. Die Kommentatoren müssen anhand von Urteilsserien herauszufinden versuchen, wie ein vergleichbarer Fall wohl entschieden wird. Zugegeben, auch dies fordert den juristischen Kaffeesatzleser nicht weniger heraus. Das System funktioniert nach Auskunft von Dammann deshalb, weil das Gericht den Kunden sehr genau analysiert und 1 Beim Besuch der Pariser Börse verschaffte Anne Gaignard einen Überblick über den Handel bei NYSE Euronext. 2 Rechtsanwalt Dr. Oliver Berg sprach zu den in der Öffentlichkeit bekannten Rechtsfällen Vivendi und EADS in Frankreich (im Hintergrund: Rechtsanwältin Daniela A. Bergdolt, Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft). 3 Rechtsanwalt Matthias Schröder referierte über den medial viel beachteten Fall Lehmann aus deutscher Sicht. 4 Rechtsanwalt Dr. Reinhard Dammann und Rechtsanwalt Tobias Schulten gaben einen Überblick zur Rechtsverfolgung im Bankenrecht in Frankreich. 6 Rechtsanwältin Prof. Dr. Brigitte Haar stellte die Frage, ob man eine europäische Rating Agentur brauche. 7 Rechtsanwältin Julia Heise (Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft) wies auf Unstimmigkeiten bei der anstehenden Umsetzung der europäischen Änderungsrichtlinie der Prospektrichtlinie hin. 8 Die Teilnehmer in der Pariser Börse. Von alter Börsenromantik ist nicht mehr viel übrig geblieben AnwBl / 2012

103 Aus der Arbeit des DAV DAV-Stellungnahmen seine Entscheidung sehr individuell auf diesen zuschneidet. Während die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach zwei mit Vorträgen und Gesprächen gesättigten Tagen die Heimreise antraten, laufen bereits die Vorbereitungen für das Frühjahrssymposium der stark gewachsenen Arbeitsgemeinschaft Bank- und Kapitalmarktrecht zum 10. Gründungs- und Jubiläumsjahr 2013 im globalen Finanzzentrum New York. Rechtsanwalt Hartmut Strube, Köln Änderung im EU-Datenschutzrecht (47/2012) Grundsätzlich begrüßt der Deutsche Anwaltverein die Reformbemühungen der EU-Kommission, die Entwürfe für eine Datenschutz-Grundverordnung und eine Datenschutzrichtlinie vorgelegt hat. Die Ausschüsse Informationsrecht und Verfassungsrecht weisen zugleich auf eine Reihe von berufsrechtlichen, verfassungsrechtlichen und informationsrechtlichen Schwachstellen hin. So muss sichergestellt bleiben, dass der Datenschutz keine staatlichen Kontrollen der anwaltlichen Berufsausübung legitimiert und das Anwaltsgeheimnis nicht gefährdet wird. Individuelle Grundrechtsschutzmöglichkeiten müssen gewährleistet sein. Kritisch betrachtet der DAV auch, dass die EU-Kommission zusätzliche Rechtsetzungsbefugnisse zur Kontrolle und Durchsetzung des Datenschutzes bei sich bündeln will, ohne sich selbst den neuen Datenschutzregeln zu unterwerfen. Der DAV bedauert, dass der Entwurf für die Datenschutz-Grundverordnung weiterhin daran festhält, die Grundsätze für die öffentlich-rechtliche Datennutzung durch Behörden auf die Datenverarbeitung durch Private zu übertragen. EU-Marktmissbrauchs- Verordnung (50/2012) Die Marktmissbrauchs-VO [KOM(2011) 651], die die Europäische Kommission zur Neuregelung des Marktmissbrauchsregimes vorgeschlagen hat, bleibt in einzelnen Regelungen teilweise hinter ihren eigenen Zielen zurück. Aus diesem Grund schlägt der DAV-Ausschuss Bank- und Kapitalmarktrecht in seiner Stellungnahme mehrere Ergänzungen und Präzisierungen vor. Grundsätzlich wirddieinitiativedereuropäischen Kommission ausdrücklich begrüßt. Neuregelung der Sicherungsverwahrung (56/2012) Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinem Urteil vom 4. Mai 2011 weitreichende Vorgaben für die Neugestaltung des Rechts der Sicherungsverwahrung formuliert. Die Bundesregierung hat einen Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vorgelegt, in dem der Versuch unternommen wird, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes auf bundesgesetzlicher Ebene umzusetzen. Dies ist nach Auffassung des DAV-Strafrechtsausschusses teilweise gelungen. Insbesondere sind die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen an gesetzliche Leitlinien für frühzeitige und individuell ausgerichtete Therapieangebote, für eine Verbesserung der gerichtlichen Kontrolle und die Gewährleistung anwaltlichen Beistandes weitreichend umgesetzt worden. 257c StPO verfassungswidrig? (58/2012) Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die gesetzliche Regelung des Deals in der Strafprozessordnung verfassungswidrig ist. Im Fokus steht der 2009 geschaffene 272c StPO. Zu drei anhängigen Verfassungsbeschwerden hat der DAV Stellung genommen. Der Verfassungsrechtsausschuss und der Strafrechtsausschuss kommen zu dem Ergebnis, dass in den drei Fällen die Absprachen über die Verurteilung in einer verfassungswidrigen Weise getroffen worden seien. Da der verfassungswidrige Vollzug des Deals in der Norm angelegt sei, bestünden erhebliche Zweifel daran, ob die Regelung des 257c StPO überhaupt verfassungsgemäß sei. Der Deal -Paragraf gerate in Konflikt mit grundlegenden Prinzipien des Strafverfahrensrechts und verfassungsrechtlichen Gewährleistungen. Die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit und das Schuldprinzip liefen leer. Diese Schlussfolgerung wird in der Stellungnahme anhand vieler Beispiele aus der Praxis von Rechtsanwälten belegt. Verhinderung des Kindesnachzugs (62/2012) Der DAV-Ausschuss Ausländer- und Asylrecht legt in seiner Stellungnahme dar, dass die Auslegungs- und Anwendungspraxis des nationalen Rechts in Deutschland, die dann zum Ausschluss des Kindesnachzugs führt, wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei beiden Elternteilen verbleibt, mit Unionsrecht, insbesondere Artikel 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c der Familienzusammenführungsrichtlinie, nicht vereinbar ist. Alle Stellungnahmen sind abrufbar und AnwBl /

104 Aus der Arbeit des DAV Landesverband Nordrhein-Westfalen Deutsche Anwaltakademie Online-Fortbildung Seit etwas mehr als zwei Jahren ist die Möglichkeit der Online-Fortbildung für Fachanwälte in 15 FAO geregelt und wird von den Rechtsanwaltskammern anerkannt. Dementsprechend nutzen immer mehr Anwältinnen und Anwälte die Möglichkeit, sich am eigenen Computer fortzubilden. Die Deutsche Anwaltakademie baut ihr Angebot weiter aus. Neu im Programm ist zum Beispiel das Online-Seminar in zwei Blöcken: Umgang mit der Rechtsschutzversicherung am 18. und 25. September. Fachanwalt werden Nach wie vor bietet die Deutsche Anwaltakademie Lehrgänge zu allen Fachanwaltschaften an. 24 verschiedene Fachanwaltslehrgänge starten innerhalb der nächsten zwei Monate. 1. DAT-Fußballtunier Am Rande des 63. Deutschen Anwaltstages in München fand das erste DAT- Fußballturnier statt. Neben den Lawyers United, den Munich All Stars, dem Team Milbank, den P+P All Stars und Clifford Chance München war auch dasteam GrobmotorikDAA amstart. Eine Mannschaft, die durchaus für Furore sorgte. Bilder der harten Zweikämpfe finden Sie unter Auf dem Anwaltstag 2013 in Düsseldorf soll es weitergehen. 6. Deutscher Reha-Rechtstag Die Pflegereform und Reha für Angehörige von Pflegebedürftigen sind die Schwerpunkte des diesjährigen Reha- Rechtstag, der am 28. September in Kassel stattfindet. Die Themen der aktuellen Vorträge am Vormittag können in zwei Arbeitsgruppen am Nachmittag diskutiert und vertieft werden. 7. Handels- und Gesellschaftsrechtstag Bereits zum 7. Mal laden die AG Handelsrecht und die Deutsche Anwaltakademie zu dieser Veranstaltung ein. Neben der aktuellen Rechtsprechung stehen diesmal Themen wie Do s and Dont s beim Kreditvertrag, Compliance oder Umwandlungen nach dem Umwandlungssteuererlass auf dem Programm. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter Foto oben: Das Team der Deutschen Anwaltakademie organisierte erfolgreich den Anwaltstag in München. Foto unten: Zum Abschluss des 63. Deutschen Anwaltstags fand das erste DAT-Fußballturnier statt. 4. Landesverbandstag: Anwälte Unternehmer in eigener Sache Neuer Vorsitzender des Landesverbands ist Jürgen Widder In der der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen fand Anfang Mai 2012 der 4. nordrhein-westfälische Landesverbandstag statt. Die Mehrzahl der 57 Mitgliedervereine, denen über Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte angehören, war vertreten. Die Veranstaltung stand unter der Überschrift: Anwälte Unternehmer in eigener Sache. Der zweitägige Landesverbandstag wurde vom scheidenden Vorsitzenden des Landesverbands Rechtsanwalt Dr. Klaus E. Böhm eröffnet. Über die Gefahren und Risiken für die Anwaltschaft bei der Nutzung elektronischer Medien referierte Rechtsanwalt Dr. Marcus Werner aus Köln. Sein kurzweiliger Vortrag regte manche Anwältin und manchen Anwalt dazu an, über die Abläufe im eigenen Büro im Umgang mit elektronischen Medien nachzudenken. Der Versicherungsmakler Dr. Christian Zimmermann (Frechen), hielt einen sachkundigen und kompetenten Vortrag zum Thema Risikomanagement für Rechtsanwälte und Notare. Nach der Mitgliederversammlung des Landesverbandes brachte Rechtsanwalt Dr. Dag Weyland, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Hamm, die Teilnehmer auf den neusten Stand in Sachen Rechtsprechung zum Berufsrecht. Naturgemäß stieß der Vortrag Update RVG 2012 von Rechtsanwalt Norbert Schneider (Neunkirchen) zum RVG am zweiten Veranstaltungstag auf großes Interesse. In der Mitgliederversammlung des Landesverbands wurde Rechtsanwalt Jürgen Widder (Bochum) zu neuen Vorsitzenden gewählt. Er dankte seinem Vorgänger, der nach rund 18 Jahren im Amt nicht wieder kandidierte hatte, für dessen Engagement für die Allgemeinheit und die Anwaltschaft hervor. Rechtsanwalt Michael Rost, Mönchengladbach 762 AnwBl / 2012

105 Aus der Arbeit des DAV Mitgliederversammlung AG Anwaltsnotariat Der AnwaltNotarTag findet am 19. und 20. Oktober 2012 im Sheraton Pelikan Hotel Hannover, Pelikanplatz 31, Hannover statt. Am Freitag, den 19. Oktober 2012 um Uhr tagt die Mitgliederversammlung, zu der der Geschäftsführende Ausschuss der AG Anwaltsnotariat im DAV seine Mitglieder hiermit herzlich einlädt. Tagesordnung 1. Bericht des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 5. Wahl der Kassenprüferin/ des Kassenprüfers 6. Verschiedenes Nach 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung der AG Anwaltsnotariat können Anträge zur Tagesordnung von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft bis spätestens 21 Tage vor Beginn der Mitgliederversammlung gegenüber der Geschäftsstelle (Deutscher Anwaltverein, Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat, Littenstraße 11, Berlin) gestellt werden. Ihnen ist stattzugeben, wenn sie jeweils von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Mitgliederversammlung AG Geistiges Eigentum & Medien Die Mitgliederversammlung der AG Geistiges Eigentum & Medien findet am Freitag, den 26. Oktober 2012, um 9.15 Uhr im Steigenberger Hotel Berlin, Los-Angeles-Platz 1, Berlin, statt. Hierzu lädt der Geschäftsführende Ausschuss der AG Geistiges Eigentum & Medien im DAV seine Mitglieder herzlich ein. Im unmittelbaren Anschluss wird die Herbsttagung der AG Geistiges Eigentum & Medien (26. und 27. Oktober 2012, gleicher Ort) stattfinden. Tagesordnung 1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden und Arbeitsplanung Regionalgruppen/Stammtische 3. Kassenbericht der Schatzmeisterin 4. Bericht des Kassenprüfers 5. Allgemeine Aussprache 6. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 7. Wahl des Kassenprüfers/der Kassenprüferin 8. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses 9. Sonstiges Nach 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung der AG Arbeitsgemeinschaft Geistiges Eigentum & Medien können Anträge zur Tagesordnung von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft bis spätestens 21 Tage vor Beginn der Mitgliederversammlung gegenüber der Geschäftsstelle (Deutscher Anwaltverein, AG Geistiges Eigentum & Medien, Littenstraße 11, Berlin) gestellt werden. Ihnen ist stattzugeben, wenn sie jeweils von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Weitere Informationen zur Tagung und zur AG Geistiges Eigentum & Medien unter Mitgliederversammlung AG Sozialrecht Der Geschäftsführende Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im DAV lädt ein zur Mitgliederversammlung am Donnerstag, den 1. November 2012, bis Uhr im Hotel Bristol Bonn, Prinz-Albert-Straße 2, Bonn. Tagesordnung 1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Allgemeine Aussprache zu Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Wahl eines Kassenprüfers 7. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses 8. Kooperation mit dem Forum Junge Anwaltschaft ( Juniormitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft) 9. Änderung der Geschäftsordnung der Arbeitsgemeinschaft 10.Verschiedenes Anträge von Mitgliedern sind auf die Tagesordnung zu setzen, wenn sie spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung dem geschäftsführenden Ausschuss vorliegen und von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden.bitterichtensiedieanträgean den Deutschen Anwaltverein, Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht, Littenstr. 11, Berlin. Mitgliederversammlung AG Medizinrecht Die Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltvereins findet in diesem Jahr am 28. September 2012 in Lübeck statt. Eine Anzeige mit dem Programm finden Sie in diesem Heft. Traditionell findet im Zusammenhang mit der Herbsttagung die Mitgliederversammlung statt. Zur Mitgliederversammlung lädt der Geschäftsführende Ausschuss die Mitglieder hiermit herzlich ein. Die Mitgliederversammlung findet am Freitag, 28. September 2012, 18 Uhr in der Lübecker Musik- und Kongresshalle, Willy-Brandt-Allee 10, Lübeck, statt. Tagesordnung 1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht der Schatzmeisterin 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Aussprache 5. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers 7. Verschiedenes Anträge zur Tagesordnung sind nach der Satzung ( 6 Abs. 3) spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung (Eingang) an den Geschäftsführenden Ausschuss, Anschrift: Littenstraße 11, Berlin zu richten. Die Anträge müssen von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Mitgliederversammlung AG Steuerrecht Die Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht lädt ein zu ihrer diesjährigen Mitgliederversammlung am Freitag, den 9. November 2012 um 18:15 Uhr im Rahmen des 18. Steueranwaltstages 2011 im Tagungsraum des Ritz-Carlton, Potsdamer Platz 3, Berlin. Tagesordnung 1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Aussprache 5. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Beschluss über Änderung von 8 der Geschäftsordnung 7. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers AnwBl /

106 Aus der Arbeit des DAV 8. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses 9. Verschiedenes Anträge zur Tagesordnung sind nach der Satzung ( 6 Abs. 3) spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung (Eingang) an den Geschäftsführenden Ausschuss, Littenstraße 11, Berlin, zu richten. Die Anträge müssen von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Mitgliederversammlung AG Strafrecht Das diesjährige Herbstkolloquium findet am 9. und 10. November 2012 im Hotel Pullman Cologne, Helenenstraße 14, Köln, statt. Am Freitag, dem 9. November 2012 ab Uhr tagt die Mitgliederversammlung, zu der der Geschäftsführende Ausschuss der AG Strafrecht des DAV seine Mitglieder hiermit herzlich einlädt. Tagesordnung 1. Begrüßung durch den Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses; 2. Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden; 3. Kassenbericht des Schatzmeisters; 4. Prüfungsbericht des Kassenprüfers; 5. Allgemeine Aussprache zu 2 4; 6. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses; 7. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses; 8. Wahl des Kassenprüfers; 9. Verschiedenes. Nach 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung der AG Strafrecht können Anträge zur Tagesordnung von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft bis spätestens 21 Tage vor Beginn der Mitgliederversammlung gegenüber der Geschäftsstelle (Deutscher Anwaltverein, Arbeitsgemeinschaft Strafrecht, Littenstraße 11, Berlin) gestellt werden. Ihnen ist stattzugeben, wenn sie jeweils von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Mitgliederversammlung AG Baurecht Am 16. und 17. November 2012 veranstaltet die AG Baurecht ihre 40. Baurechtstagung im Maritim Hotel, Seidenstraße 34, Stuttgart. Am Samstag, den 17. November 2012 von 13:00 bis 14:00 Uhr findet die Mitgliederversammlung statt, zu der der Geschäftsführende Ausschuss der AG Baurecht seine Mitglieder hiermit herzlich einlädt. Tagesordnung 1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia 2. Jahresbericht für 2011/ Bericht des Schatzmeisters für Bericht der Kassenprüfer für Aussprache und Entlastung 6. Wahl der Kassenprüfer für Wahl zum Geschäftsführenden Ausschuss 8. Verschiedenes Anträge zur Tagesordnung sind nach der Satzung ( 6 Abs. 3) der AG Baurecht spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung an den Geschäftsführenden Ausschuss, Anschrift: Littenstraße 11, Berlin, zu richten. Ihnen ist stattzugeben, wenn sie von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Weitere Informationen zur Tagung unter: Deutsche Anwaltakademie, Frau Janine Sendatzki, Littenstraße 11, Berlin, Tel.: (0 30) , Fax: (0 30) , sendatzki@anwaltakademie.de. Personalien Hartmut Kilger Rechtsanwalt Hartmut Kilger (Tübingen, Foto rechts) ist von der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht am 23. Juni 2012 in Köln die Ehrenmitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft verliehen worden. Die Arbeitsgemeinschaft würdigte damit die Verdienste des ehemaligen Präsidenten des DAV um das Migrationsrecht. Kilger sei der erste DAV-Präsident gewesen, der sich öffentlich für die Erhöhung der Anwaltsgebühren im Bereich des Asylrechts ausgesprochen und damit ein Grundproblem des Zugangs zum Recht angesprochen habe. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Thomas Oberhäuser (Foto links) übergab die Ehrenurkunde. Die Laudatio hielt der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwalt Rainer M. Hofmann. Dieter Fasel Der Bundespräsident hat Rechtsanwalt Dieter Fasel aus Memmingen das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Mit dem Orden werden Bürgerinnen und Bürger ausgezeichnet, die im politischen, wirtschaftlich-sozialen und geistigen Bereich Wertvolles geleistet haben. Während seiner Zeit im Kammervorstand der Rechtsanwaltskammer München hat sich Fasel besonders in der Öffentlichkeitsarbeit und im Gebührenrecht engagiert. Nach seinem dortigen Ausscheiden ist er seit 2008 auch Datenschutzkontrollbeauftragter für die drei bayerischen Rechtsanwaltskammern. Lothar Schwarz Der Bundespräsident hat Rechtsanwalt Dr. Lothar Schwarz aus Dittelbrunn das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Mit dem Orden werden Bürgerinnen und Bürger ausgezeichnet, die im politischen, wirtschaftlich-sozialen und geistigen Bereich Wertvolles geleistet haben. Gewürdigt wird Schwarz als herausragender Vertreter der Anwaltschaft. Über seine Tätigkeit als Präsident der Rechtsanwaltskammer Bamberg hat er sich in den Fachausschüssen Steuerrecht, als Prüfer in der Juristenausbildung sowie in der Juristischen Gesellschaft für Ober- und Unterfranken besonders eingesetzt. Detlef Kleinert 80 Rechtsanwalt und Notar a.d. Detlef Kleinert (Hannover) wurde am 25. August Jahre alt. Er war von 1969 bis 1998 Mitglied des Bundestags und hat entsprechend den damaligen Koalitionslagen als rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion die Rechtspolitik dieser Jahrzehnte entscheidend mitgestaltet. Seinem Beruf ist er stets verpflichtet und er hat die Anliegen der Anwaltschaft wirkungsvoll im Parlament vertreten, nicht im Sinne eines einfältigen Lobbyismus, sondern weil eine starke Anwaltschaft und eine Beachtung ihrer Sichtweisen für eine gute Rechtspolitik unerlässlich sind. Die Anwaltschaft hat Detlef Kleinert viel zu verdanken hat ihn der Deutsche Anwaltverein mit dem Ehrenzeichen der Deutschen Anwaltschaft ausgezeichnet. Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Köln 764 AnwBl / 2012

107 Rechtsprechung Haftpflichtfragen 766 Das Haftungssubjekt bei der anwaltlichen Berufshaftung Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherung, München Gegen wen hat ein Anwalt einen Anwaltsregress zu führen? Diese auf den ersten Blick banale Frage kann es in sich haben. Wer Anwaltshaftungsprozesse auf der Aktivseite führen will, muss aufpassen, nicht selbst in eine Haftungsfalle zu laufen. 769 Keine Interessenkollision bei nur latentem Interessenkonflikt BGH, Urt AnwZ (Brfg) 35/11 Bei gleichgerichteten Interessen zwischen zwei Mandanten scheidet eine Interessenkollision aus. Egal ist, ob üblicherweise in der Konstellation eine Interessenkollision anzunehmen wäre allein der Einzelfall zählt. Die aktuelle BGH-Entscheidung ist Pflichtlektüre für Anwälte. 773 Gemischte Sozietät: Alle Sozien der GbR haften für alles BGH, Urt. v IX ZR 125/10 Das Fazit des BGH am Ende einer langen Rechtsentwicklung: Alle Sozien einer Anwalts-GbR haften für alles. Sonderregelungen gibt es keine. Die wichtigsten Passagen des Urteils finden sich in diesem Heft. Bedeutung und Tragweite des Urteils erläutert Deckenbrock ab Seite 723. Amtsgericht Berlin Mitte 775 Korrektur des BGH: Doch keine 1,5-Geschäftsgebühr als Regel BGH, Urt. v VIII ZR 323/11 Die Freude währte nur kurz. Die Toleranzgrenze von 20 Prozent sollte auch für die Regelgeschäftsgebühr von 1,3 gelten. Doch das BGH-Urteil aus dem Juli-Heft zur 1,5-Geschäftsgebühr ist überholt. Wie der VIII. Zivilsenat des BGH den IX. und den VI. Zivilsenat einfing, steht am Ende des Urteils.

108 Haftpflichtfragen Haftpflichtfragen Das Haftungssubjekt bei der anwaltlichen Berufshaftung Gegen wen ist der Regressanspruch zu richten? Anwälte haften auch im Regressprozess Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherung, München Alles hängt mit allem zusammen: Wer als Anwalt gegen andere Anwälte Regressprozesse führt, haftet natürlich selbst auch für Fehler. Wer einen Regress führen soll, muss sich gut überlegen, gegen wen er den Regressanspruch richten kann oder sollte. Denn die Anwaltswelt ist komplexer geworden. Vom Einzelanwalt bis zu Personengesellschaften, Kapitalgesellschaften und Mischformen ist alles vertreten irgendwo dazwischen findet man die sogenannten Scheinsozien. Und hat sich dann gar seit dem Verstoß, auf welchem der Regress basiert, die Rechtsform geändert oder wurde eine Gesellschaft gänzlich aufgelöst, kann es schwierig und damit wiederum haftungsträchtig sein, hier noch den Richtigen zu erwischen. Die Autorin gibt praktische Hilfestellungen, wobei die Anwalts-AG wegen ihrer mangelnden praktischen Bedeutung nicht behandelt wird. Der Aufsatz ist natürlich auch andersherum zu lesen. I. Verstoßprinzip In Deutschland basiert das Recht der Anwaltshaftung auf dem Verstoßprinzip. Maßgeblich hinsichtlich der Haftung ist die nach außen kommunizierte Kanzleisituation im Verstoßzeitpunkt. In erster Linie wird man sich hierbei an dem damaligen Briefkopf orientieren, unter Umständen auch am damaligen Internetauftritt oder Kanzleischild, wenn diese Daten noch rekonstruierbar sind. II. Grundfall: Ohne Rechtsformwechsel nach dem Verstoß 1. Einzelanwalt: Der Einzelanwalt haftet immer persönlich, er kann allenfalls gemäß 51 a BRAO die Haftung der Höhe nach begrenzen. Ein Einzelanwalt kann angestellte Anwälte beschäftigen. Steht der angestellte Anwalt wie es richtig wäre nicht im Briefkopf, so ändert sich nichts. Der angestellte Anwalt haftet nicht, Ansprüche sind ausschließlich gegen den Einzelanwalt zu richten. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Fehler durch den Prinzipal oder den angestellten Anwalt begangen wurde. Steht der angestellte Anwalt zwar im Briefkopf, jedoch mit einem Zusatz versehen, wonach nur ein Angestelltenverhältnis besteht, so ist es inzwischen ziemlich wahrscheinlich, dass ein Gericht dessen Haftung verneinen würde, nachdem die obergerichtliche Rechtsprechung sich bereits mehrfach so geäußert hat (vgl. OLG Dresden Urteil vom U 1686/06; OLG München Urteil vom U 2571/07; BGH Urteil vom IV ZR 42/10, AnwBl Online 2011, 189; BGH Urteil vom IV ZR 43/10, AnwBl 2011, 783). Es wäre also voraussichtlich nicht erfolgversprechend, den angestellten Anwalt in Anspruch zu nehmen. Steht der angestellte Anwalt ohne jeglichen Zusatz im Briefkopf, so ist er nach ständiger Rechtsprechung Scheinsozius und haftet aus diesem gesetzten Rechtsschein. Er kann gesamtschuldnerisch mit dem Prinzipal in Regress genommen werden oder auch nur allein, auch für Fehler des Prinzipals. 2. Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR): Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist bekanntermaßen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtsfähig. Mandatsinhaber ist konsequenterweise die GbR an sich, nicht der mandatsbearbeitende Anwalt. Für Fehler in der Mandatsbearbeitung haftet die GbR unmittelbar. Die Sozien haften nur akzessorisch analog 128 HGB (vgl. hierzu auch BGH NJW 2003, 1445); und zwar alle Sozien, nicht etwa nur der zuständige Sachbearbeiter. Der Anspruch kann gegen die GbR allein gerichtet werden, gegen die GbR und sämtliche Sozien, gegen die GbR und einzelne Sozien, nur gegen alle Sozien, nur gegen einzelne Sozien; es muss überhaupt nicht der sachbearbeitende Anwalt in Anspruch genommen werden. Auch bei der GbR kann es angestellte Anwälte geben. Hier gilt natürlich das gleiche wie für Angestellte beim Einzelanwalt. Schlimmstenfalls könnte ein Scheinsozius ganz allein mit dem Regress überzogen werden. Aufpassen müsste man allerdings im Hinblick auf 51 a Abs. 2 Satz 2 BRAO. Hiernach könnte die Haftung personenbezogen auf namentlich benannte Sozien (nicht auf Scheinsozien) beschränkt sein. Natürlich haftet die GbR selbst immer, die Haftung der Sozien ist ja gerade nur akzessorisch davon abgeleitet. Der Anwalt des Geschädigten sollte den Mandanten grundsätzlich nach etwaigen Haftungsbeschränkungen fragen. 3. Scheinsozietät: Scheinsozietäten gibt es nicht, sie sind rechtlich nicht existent (vgl. BGH Urteil vom IX ZR 161/09, AnwBl 2012, 281), deshalb kann ein Anspruch auch nicht gegen eine Scheinsozietät gerichtet werden. Man spricht zwar vom Scheinsozius, da erscheint es vielleicht konsequent, dass es auch den Begriff Scheinsozietät geben müsste. Existiert die Gesellschaft real und gibt es in ihr neben echten Sozien auch Scheinsozien, besteht keine Notwendigkeit, von einer Scheinsozietät zu sprechen; die Sozietät ist kein Scheingebilde, sondern echt. Wenn überhaupt keine Gesellschaft besteht sondern nur eine Einzelanwaltskanzlei! so entsteht dadurch, dass der Einzelanwalt angestellte Anwälte beschäftigt, die ohne rechtsscheinzerstörenden Zusatz auftreten, keine Scheinsozietät, die angestellten Anwälte haften aber als Scheinsozien. Ansprüche gegen die Scheinsozietät zu richten, wäre sinnlos und falsch. 4. Partnerschaft: Die Partnerschaft ist ebenso wie die GbR eine Personengesellschaft. Neben der Partnerschaft selbst haften grundsätzlich nach 8 Abs. 1 PartGG die Partner als Gesamtschuldner akzessorisch. Für berufliche Versehen gilt dies allerdings nach 8 Abs. 2 PartGG eingeschränkt; hiernach haften nur die mandatsbearbeitenden Partner neben der Partnerschaft. Hierin liegt haftungsrechtlich gesehen der Vorteil für den Partner gegenüber der GbR. Der Geschädigte wird im Regelfall wissen, wer mandatsbearbeitender Partner war. Unter Umständen ist entsprechende Auskunft zu verlangen, um den Anspruch nicht gegen die falschen Partner zu richten. Auch bei der Partnerschaft kann die Frage aufkommen, wer echter Partner und wer nur Angestellter ist. Klarheit schafft hier ein Blick ins Partnerschaftsregister. 766 AnwBl / 2012 Haftpflichtfragen

109 Haftpflichtfragen 5. Anwalts-GmbH: Die Anwalts-GmbH ( 59 c ff BRAO) ist juristische Person und Kapitalgesellschaft. Die einzelnen Gesellschafter haften grundsätzlich nicht (vgl. 13 Abs. 2 GmbHG), Ansprüche können im Regelfall nur gegen die Gesellschaft gerichtet werden. Der Geschäftsführer haftet nur im Ausnahmefall (OLG Nürnberg NJW-RR 2009, 140; BGH NJW-RR 2006, 993; Schnittker/Leicht BB 2010, 2971 ff.). Individualisierte Anwälte stehen zumeist nicht im Briefkopf; falls doch, so hat dies haftungsrechtlich aber keinerlei Auswirkungen. 6. LLP: Vielfach ist inzwischen die LLP nach englischem Recht anzutreffen. Die LLP ist eine Mischform sog. Hybrid aus Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft und passt kaum in das deutsche Haftungsrecht (vgl. zur LLP auch Becker AnwBl 2011, 860). Nach englischem Recht haftet die LLP aus (Mandats-)Vertrag und daneben die handelnden Personen eigenständig aus Delikt, wobei dies mit der Deliktshaftung nach deutschem Recht nicht vergleichbar ist. Eine akzessorische Haftung der Gesellschafter kennt das englische Recht nicht. In Deutschland sieht man die LLP in der praktischen Handhabung näher an der Partnerschaft als an der GmbH; so wird beispielsweise die LLP in Deutschland im Partnerschaftsregister eingetragen (vgl. Dahns NJW-Spezial 2005, 333; Henssler NJW 2009, 3136; Empfehlungen des BRAK-Ausschusses Internationale Sozietäten BRAK-Mitt. 1/2009, 22). Laut Henssler (aao) was von anderen aber in Frage gestellt wird sollen die handelnden Personen in Deutschland entsprechend englischem Deliktsrecht persönlich haften können; ein deutsches Gericht müsse sich eben damit auseinandersetzen. In der Praxis ist bisher keine entsprechende Neigung deutscher Gerichte zu erkennen. Üblicherweise werden die handelnden Gesellschafter der LLP neben der Gesellschaft in Anspruch genommen, in der Regel ohne hierbei die Anspruchsgrundlage detailliert zu thematisieren. Dahinter wird oft eine gedankliche Anlehnung an 8 Abs. 2 PartGG stehen. Die Gerichte vermeiden es bisher, sich mit dem eigentlichen Problem auseinanderzusetzen. So wird man es bis auf weiteres als ratsam betrachten müssen, neben der LLP die handelnden Personen/Gesellschafter in Anspruch zu nehmen, um sich nichts zu vergeben. Denn im Ernstfall wird das Gesellschaftsvermögen der LLP überschaubar sein und selbst versichert ist die LLP oft auch nicht, so dass es sicher sinnvoll ist, gegebenenfalls einen Titel gegen einzelne natürliche Personen zu bekommen, hinter denen ein Versicherer steht. III. Abwandlung: Rechtsformwechsel nach dem Verstoß 1. Zwei Einzelanwälte haben neue GbR gebildet: Man könnte daran denken, dass fortan jeder der bisherigen Einzelanwälte gegenseitig auch für alte Verbindlichkeiten des neuen Sozius einstehen muss. Dies ließe sich über eine analoge Anwendung der 28 Abs. 1, 128 HGB erreichen. Der BGH hat dies bereits mit Urteil vom IX ZR 65/01 (AnwBl 2004, 376) verneint. Es kann also weiterhin jeder für seine alten Haftungsfälle nur allein in Anspruch genommen werden; die neu entstandene Sozietät und die neuen Sozien haften nicht. 2. Einzelanwalt ist in GbR eingetreten: Der Einzelanwalt hat bisher schon persönlich gehaftet. Nunmehr kann sich die Frage stellen, ob sich der Kreis der Haftenden durch den Eintritt des Einzelanwalts in die GbR zu Gunsten des Gläubigers dieses bisherigen Einzelanwalts erweitert. Dies ist klar zu verneinen (BGH Urteil vom IX ZR 161/09). 130 Abs. 1 HGB analog ist in dieser Richtung nicht anwendbar; auch eine analoge Anwendung des 28 Abs. 1 HGB scheidet aus. Die Anwendung des 130 Abs. 1 HGB analog könnte aber umgekehrt eventuell dazu führen, dass der Eintretende für alte Verbindlichkeiten der GbR einzustehen hat, wie dies vielfach diskutiert wird (vgl. Sommer, Treptow, Dietlmeier NJW 2011, 1551). Bejahend insoweit LG Frankenthal (NJW 2004, 3190) und LG Hamburg (NJW 2004, 3492). 3. Einzelanwalt ist in Partnerschaft eingetreten: Haftet künftig die Partnerschaft und damit gegebenenfalls auch die anderen Partner für die Altverbindlichkeiten des früheren Einzelanwalts? 8 PartGG setzt Verbindlichkeiten der Partnerschaft voraus, lässt diese aber nicht entstehen. 130 Abs. 1 HGB und 28 Abs. 1 HGB führen hier ebenso wenig zum Ziel wie beim Eintritt des Einzelanwalts in eine GbR. Für seine Altverbindlichkeiten haftet also weiterhin nur der bisherige Einzelanwalt allein. Umgekehrt allerdings kann der bisherige Einzelanwalt, wenn er im konkreten Mandat der neue Handelnde ist, für Fehler seines Vorgängers, also des früheren befassten Partners nach 8 Abs. 2 PartGG haften (vgl. BGH Urteil vom IX ZR 12/09, AnwBl 2010, 216). 4. Einzelanwalt ist in GmbH eingetreten: 130 Abs. 1 HGB und 28 Abs. 1 HGB wären hier erst recht nicht einschlägig. Auf welchem Wege sonst die GmbH die Haftung für Altverbindlichkeiten des ehemaligen Einzelanwalts übernehmen sollte, ist nicht ersichtlich. 5. GbR ist zu Partnerschaft geworden: Die ehemalige GbR ist als Haftungssubjekt für den Gläubiger nicht mehr greifbar. Hat der Gläubiger hier einfach Pech oder müssen nun künftig die Partnerschaft und einzelne Partner welche? für Altverbindlichkeiten der früheren GbR einstehen? An die ehemaligen Gesellschafter der GbR kann sich der Gläubiger weiterhin halten, deren akzessorische Haftung wird nicht dadurch aufgehoben, dass die GbR im Zeitpunkt der Inanspruchnahme nicht mehr existiert. Maßgeblich bleibt der Verstoßzeitpunkt. Gesellschaftsrechtlich ist dies eine sogenannter identitätswahrender Rechtsformwechsel (vgl. Sommer, Treptow, Dietlmeier aao). Die Gesellschaft, zuvor als GbR, jetzt als Partnerschaft, haftet danach weiterhin für Altschulden, aber natürlich ohne Haftungskonzentration gemäß 8 Abs. 2 PartGG. Damit haften sämtliche Partner gesamtschuldnerisch akzessorisch neben der Partnerschaft. Allerdings sollen 159, 160 HGB analog anzuwenden sein, das heißt die Nachhaftung ist zeitlich begrenzt auf fünf Jahre ab Auflösung der GbR, wobei es für den Fristbeginn auf die Kenntnis des Gläubigers ankommt (BGH NJW 1992, 1615). Spätestens wäre dies jedenfalls mit Eintragung der neuen Gesellschaft im Partnerschaftsregister der Fall, falls der Gläubiger nicht zuvor durch ein Mandantenrundschreiben oder eine persönliche Information oder ähnliches Kenntnis erlangt hatte (vgl. BGH Urteil vom II ZR 284/05). 6. GbR ist zu LLP geworden: Dies ist nun kein einfacher Wechsel mehr von einer Personengesellschaft zur anderen. Gesellschaftsrechtlich findet die Umwandlung auf der Basis der 723 ff BGB statt. Sämtliche Gesellschaftsanteile der BGB-Gesellschafter sind auf die neu errichtete LLP zu übertragen, damit erlischt die GbR; die LLP ist Gesamtrechtsnachfolgerin der GbR (vgl. Schlinker NJW 2011, 2092) und Haftpflichtfragen AnwBl /

110 Haftpflichtfragen damit neuer Schuldner anstelle der vorherigen GbR. Die GbR ist nicht mehr existent und kann damit zwangsläufig nicht mehr in Anspruch genommen werden. Natürlich kann sich der Gläubiger auch hier weiterhin an die ehemaligen BGB-Gesellschafter halten, wiederum zeitlich begrenzt gemäß 159, 160 HGB analog. Auch die LLP wird in Deutschland ins Partnerschaftsregister eingetragen, was wohl spätestens die 5-Jahres-Frist beginnen lässt. 7. GbR oder Partnerschaft ist zu Anwalts-GmbH geworden: Egal, wie man den Rechtsformwechsel gesellschaftsrechtlich einordnen will (vgl. dazu Streck/Olbing in Henssler/Streck Handbuch des Sozietätsrechts, 2. Aufl. S. 609, 611), wird am Ende die GbR oder Partnerschaft als solche nicht mehr existent sein, mit der Folge, dass keine Ansprüche mehr gegen sie gerichtet werden können. Wiederum bleibt die persönliche akzessorische Haftung der ehemaligen Gesellschafter bestehen: bei der GbR mit der zeitlichen Begrenzung nach 159, 160 HGB analog; bei der Partnerschaft mit der zeitlichen Begrenzung nach 10 PartGG, 159, 160 HGB und der personellen Begrenzung nach 8 Abs. 2I PartGG (vgl. hierzu Michalski/Römermann PartGG 3. Aufl. S. 293, 294). Ob die GmbH auch als Schuldner für die alten Verbindlichkeiten in Betracht kommt, hängt davon ab, ob gesellschaftsrechtlich betrachtet Rechtsnachfolge eingetreten ist. Dies wird ein Gläubiger beziehungsweise sein Anwalt sehr schwer beurteilen können, ohne Interna zu kennen. Wirtschaftlich betrachtet wird es jedoch für den Gläubiger zumeist ohnehin nicht besonders attraktiv sein, einen Titel für Altverbindlichkeiten gegen die GmbH zu erlangen, da eigentlich der Zugriff auf die hinter den Schuldnern der Altverbindlichkeiten stehende Versicherung gewollt ist; hierfür genügen Titel gegen beliebige Altsozien oder den/die nach 8 Abs. 2 PartGG haftenden Altpartner. Der Versicherer der GmbH wird im Regelfall schon deshalb nicht zuständig sein, weil im Verstoßzeitpunkt die GmbH noch gar keinen Versicherungsschutz hatte. IV. Auflösung der Gesellschaft nach dem Verstoß 1. Auflösung der GbR: Nach ihrer Auflösung kann naturgemäß die GbR nicht mehr in Anspruch genommen werden. Die ehemaligen Sozien haften gesamtschuldnerisch persönlich weiter innerhalb der 5-Jahres-Frist. Der Beginn dieser Frist kann Unklarheiten bereiten. Die GbR ist in kein Register eingetragen, ihre Auflösung folglich ebenso wenig. Die Kenntnis des Gläubigers von der Auflösung mag also sehr zufällig sein und könnte unter Umständen recht spät liegen. Der Anwalt eines Gläubigers wird klären müssen, wann sein Mandant konkret und nachweislich Kenntnis von der Auflösung der GbR erhalten hatte, um nicht einen unnötigen Prozess zu führen oder gar einen aussichtsreichen Prozess zu unterlassen. 2. Auflösung der Partnerschaft: Die Haftungskonzentration gemäß 8 Abs. 2 PartGG setzt sich nach der Auflösung der Gesellschaft fort. In vielen Mandaten wird es nur einen mandatsbearbeitenden Partner gegeben haben, der dann als Anspruchsgegner über die Auflösung der Gesellschaft hinaus in der zeitlichen Grenze des 10 Abs. 2 PartGG, 159, 160 HGB zur Verfügung stünde. Genau dieses einen Ex-Partners noch habhaft zu werden, kann im Einzelfall Schwierigkeiten machen, wie die Praxis zeigt. Hier kann der Anwalt des Geschädigten, bei dem Versuch, dem Mandanten vermeintlich gutes zu tun, schnell selbst in die Haftung geraten. So rechtfertigt beispielsweise die Tatsache, dass der ehemals mandatsbearbeitende Partner schwer zu finden ist, nicht ein Vorgehen gegen andere Ex-Partner, nur weil diese präsenter sind. Die Haftungskonzentration nach 8 Abs. 2 PartGG kann dadurch nicht einfach ausgehebelt werden. Ein direktes Vorgehen gegen den Versicherer des mandatsbearbeitenden Ex-Partners kommt nur in den sehr engen Grenzen des 115 VVG in Betracht: der Versicherungsnehmer = Ex-Partner ist in Insolvenz oder unbekannten Aufenthalts (im Sinne von untergetaucht!) und bei einem vor dem begonnenen Versicherungsverhältnis darf der Verstoßzeitpunkt nicht vor dem liegen (vgl. Art. 1 Abs. 2 EGVVG). Der Anwalt des Geschädigten muss sich natürlich über den Verstoßzeitpunkt Gedanken machen, da er hierzu vortragen muss, er wird aber kaum wissen, seit wann der Versicherungsnehmer bei diesem Versicherer diese Versicherung hat oder hatte. Liegt also der Verstoß vor dem , könnte es mit dem Direktanspruch kritisch werden. Ein direktes Vorgehen gegen den Versicherer sollte dann nur nach ausdrücklicher Risikobelehrung des Mandanten zum Kostenrisiko und dessen nachweisbaren Einverständnis erfolgen. 3. Auflösung der RA-GmbH: Nach der Liquidation kann gegen die Gesellschaft naturgemäß nicht mehr vorgegangen werden. Geht ein Geschädigter nun leer aus? Dies kann wohl nur bedingt richtig sein. Schließlich ist die GmbH pflichtversichert ( 59 j BRAO). Und solange die Versicherungssumme für das betreffende Versicherungsjahr nicht verbraucht ist, steht sie zur Verfügung. Das Problem für den Geschädigten ist der Weg dorthin. Um sich den Deckungsanspruch pfänden und überweisen zu lassen, bräuchte es den unerreichbaren! Titel gegen die GmbH. Ein Direktanspruch gegen den Versicherer besteht nach dem Wortlaut des 115 VVG nicht; Rechtsprechung zu einer eventuell entsprechenden Anwendung fehlt; das Problem stellte sich ersichtlich in der Praxis noch nicht. Eine außergerichtliche Kontaktaufnahme zum Versicherer dürfte sicher ein Schritt in die richtige Richtung sein. 4. Auflösung der LLP: Wie oben dargestellt, ist sich die haftungsrechtliche Praxis nicht einmal bei der bestehenden LLP einig, ob und gegebenenfalls wie die Gesellschafter neben der Gesellschaft haften. Von der Klärung dieser Frage wird aber letztlich abhängen, welche Situation sich einem Geschädigten nach Auflösung der LLP bieten wird. Anders als bei der Anwalts-GmbH besteht keine Pflichtversicherung der Gesellschaft; versichert sind die einzelnen Rechtsanwälte, vereinzelt daneben die LLP. In der Praxis fehlen jegliche Erfahrungen mit der Auflösung einer LLP die Gesellschaftsform begegnet uns erst seit Assessorin Jacqueline Bräuer, München Die Autorin ist Assessorin und bei der Allianz Versicherungs- AG tätig. Der Beitrag gibt ihre persönliche Auffassung wieder. Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. 768 AnwBl / 2012 Haftpflichtfragen

111 Rechtsprechung Anwaltsrecht Keine Interessenkollision bei nur latentem Interessenkonflikt BRAO 43 a Abs. 4; BORA 3 Abs. 1 Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen verlangt im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird. Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot und ist verfassungsrechtlich unzulässig. Was den Interessen des Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, kann nicht ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten festgelegt werden. (Leitsatz der Redaktion) BGH, Urt. v AnwZ (Brfg) 35/11 Sachverhalt: [1] Die Klägerin ist eine im Bezirk der Beklagten zugelassene Rechtsanwältin. Am 18. März 2010 erteilte die Beklagte der Klägerin einen belehrenden Hinweis, in dem es unter anderem heißt: Sie vertreten Herrn Dr. A. C. in dessen Scheidungsverfahren sowie in der Folgesache Zugewinnausgleich gegen die Ehefrau Ihres Mandanten, Frau B. C..... Mit Datum vom haben Sie zudem auch für den volljährigen Sohn der Eheleute, Herrn M. C., Klage vor dem Amtsgericht Bi. auf Zahlung von Kindesunterhalt gegen Frau B. C. erhoben. Im Rahmen des gegen Sie bei der Rechtsanwaltskammer H. eingeleiteten Beschwerdeverfahrens haben Sie eine Erklärung des Herrn Dr. A. C. vom vorgelegt, in der dieser sein Einverständnis Ihnen gegenüber erklärt, dass Sie sowohl ihn als auch seinen Sohn anwaltlich vertreten. Ferner haben Sie eine Erklärung des Herrn M. C. vom überreicht, in der dieser erklärt, dass es eine Interessenkollision für ihn nicht gebe und er selbst gewollt habe, dass Sie Unterhaltsansprüche gegenüber seiner Mutter durchsetzen.... Die Vertretung des Herrn Dr. A. C. einerseits und des Herrn M. C. andererseits, jeweils gegen Frau B. C., verstößt gegen 43a Abs. 4 BRAO, 3 Abs Alt. BORA, da Sie Ihre Mandanten in derselben Rechtssache vertreten und zwischen Ihren Mandanten objektiv widerstreitende Interessen bestehen.... Das Interesse Ihres Mandanten Dr. C. in den Scheidungs- und Zugewinnausgleichsverfahren ist auf die Anerkennung einer geringen eigenen Vermögenslage zur Abwehr von Zugewinnausgleichs- und ggfls. sich anschließender Unterhaltsansprüche der Frau B. C. gerichtet. Das Interesse des Herrn M. C. besteht dagegen in der Feststellung einer hohen Vermögenslage sowohl seiner Mutter als auch seines Vaters zugunsten seiner eigenen Unterhaltsansprüche gegen diese. Denn neben dem derzeit geltend gemachten Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter B. C. bestehen grundsätzlich auch Unterhaltsansprüche des Herrn M. C. gegen seinen Vater Dr. C., weil die Voraussetzungen des 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB entfallen sind.... Das Vorliegen widerstreitender Interessen wird auch nicht durch das Einverständnis des Herrn Dr. C. und des Herrn M. C. zu deren jeweiliger Vertretung durch Sie aufgehoben.... Gemäß 3 Abs. 3 BORA sind Sie somit verpflichtet, alle Mandate, also sowohl die Mandate des Herrn Dr. A. C. als auch das Mandat des Herrn M. C., zu beenden. [2] Gegen diesen mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen und förmlich zugestellten Hinweis hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und ergänzend darauf hingewiesen, dass B. C. mit Schreiben vom 9. Februar 2010 Trennungsunterhalt von Dr. A. C. verlangt und ihren Anspruch mit Antrag vom 8. Juni 2010 eingeklagt habe; auch in diesem Verfahren werde Dr. A. C. von der Klägerin vertreten. [3] Der Anwaltsgerichtshof hat den belehrenden Hinweis aufgehoben (BRAK-Mitt. 2011, 250). Mit ihrer vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Aus den Gründen: [4] Die Berufung ist nach 112 e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig ( 112 e Satz 2 BRAO, 124 a Abs. 2, 3 VwGO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg. [5] I. Die Klage ist als Anfechtungsklage ( 112 a Abs. 1, 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 42 VwGO) statthaft. Nach 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gemäß 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, so kann er diesen auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren; er kann ihm auch aufgeben, das beanstandete Verhalten zu unterlassen. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied eine derartige missbilligende Belehrung, so stellt diese eine hoheitliche Maßnahme dar, die geeignet ist, den Rechtsanwalt in seinen Rechten zu beeinträchtigen; als solche ist sie anfechtbar (BGH, Beschluss vom 25. November 2002 AnwZ (B) 41/02, BGHZ 153, 61, 62 f.). [6] II. Das im Bescheid der Beklagten vom 18. März 2010 beschriebene Verhalten der Klägerin verstieß nicht gegen 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 BORA. [7] 1. Entgegen der Ansicht der Klägerin betreffen der Zugewinnausgleich und der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes gegen seine Eltern allerdings dieselbe Rechtssache. Rechtssache kann jede Angelegenheit sein, die zwischen mehreren Beteiligten mit jedenfalls möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll (BGH, Urteil vom 25. Juni StR 109/07, BGHSt 52, 307 Rn. 11). Maßgebend dafür, ob die Rechtssache dieselbe ist, ist der sachlich-rechtliche Inhalt der anvertrauten Angelegenheit (BGH, Urteil vom 16. November StR 344/62, BGHSt 18, 192, 193; BayObLG, NJW 1989, 2903), auch wenn dasselbe materielle Interesse Gegenstand verschiedener Ansprüche oder Verfahren ist (BGH, Urteil vom 7. Oktober StR 519/86, BGHSt 34, 191; BayObLG, NJW 1989, 2903; Fischer, StGB, 59. Aufl., 356 Rn. 5; Hartung, AnwBl 2011, 679, 680). [8] Die von der Klägerin übernommenen Mandate decken sich sachlich-rechtlich zumindest teilweise. Grundlage des Zugewinnausgleichs ist zwar die Ehe, während der Unterhaltsanspruch aus dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Eltern und Kindern folgt. Die Verwandtschaft zu miteinander verheirateten Eltern betrifft jedoch denselben Sachverhalt wie deren Ehe. Der Unterhaltsanspruch des erwachsenen Kindes richtet sich zudem grundsätzlich gegen beide Elternteile, die anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen haften ( 1606 Abs. 3 BGB); die Vermögens- Anzeige Anwaltsrecht AnwBl /

112 Rechtsprechung verhältnisse der beiden Elternteile sind bezogen auf den Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags ( 1375 Abs. 1, 1384 BGB) Gegenstand des Zugewinnausgleichs. [9] 2. Die Interessen, welche die Klägerin bei der Abwehr des Anspruchs auf Zugewinnausgleich (fortan auch: Erstmandat) einerseits und der Durchsetzung des Anspruchs auf Kindesunterhalt (fortan auch: Zweitmandat) anderseits zu vertreten hat, widersprechen einander unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles jedoch nicht. [10] a) Die Interessen, welche der Anwalt im Rahmen des ihm erteilten Auftrags zu vertreten hat, sind objektiv zu bestimmen. Grundlage der Regelung des 43 a Abs. 4 BRAO sind das Vertrauensverhältnis von Rechtsanwalt und Mandant, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (BT-Drucks. 12/4993, S. 27; vgl. auch BVerfGE 108, 150). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus (BGH, Urteil vom 8. November 2007 IX ZR 5/06, BGHZ 174, 186 Rn. 12 = NJW 2008, 1307). Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandanten. Der Rechtsverkehr muss sich darauf verlassen können, dass der Pflichtenkanon des 43 a BRAO befolgt wird, damit die angestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat gewahrt wird und die Rechtspflege funktionsfähig bleibt (BVerfGE 108, 150, 161 f.; vgl. auch BVerfG, NJW 2006, 2469 f.). [11] Im rechtlichen Ausgangspunkt stehen die Interessen eines unterhaltsberechtigten volljährigen Kindes im Widerspruch zu denjenigen seiner Eltern, die beide Unterhalt schulden und gemäß 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen haften. Ein Rechtsanwalt darf deshalb nicht zugleich die unterhaltspflichtigen Eltern bei der Abwehr des Anspruchs und das unterhaltsberechtigte Kind bei dessen Durchsetzung vertreten. [12] b) Dass die Klägerin im vorliegenden Fall nur mit der Durchsetzung des Anspruchs gegen die Ehefrau ihres Mandanten Dr. A. C. beauftragt worden war, die auch dessen Gegnerin im Zugewinnausgleichsverfahren war, ändert für sich genommen nichts am Vorliegen eines Interessenwiderstreits. Ein objektiv vorhandener Interessenwiderspruch lässt sich (entgegen Henssler, NJW 2001, 1521, 1522; Deckenbrock, Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, 2009, Rn. 279 ff.) nicht durch den schlichten Hinweis darauf auflösen, dass der Mandant mit der Mandatserteilung selbst bestimmen könne, in welche Richtung und in welchem Umfang der Anwalt seine Interessen wahrnehmen möge. Zwar werden die Mandatspflichten eines Anwalts wesentlich durch den ihm erteilten Auftrag bestimmt. Der Anwalt ist an die Weisungen seines Auftraggebers gebunden ( 665, 675 Abs. 1; vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2007 IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205 Rn. 8), wobei es dem Mandanten, der das Misserfolgs- und Kostenrisiko trägt, durchaus freisteht, Weisungen zu erteilen, welche seinen wohlverstandenen Interessen aus der Sicht eines objektiven Betrachters widersprechen (BGH, Urteil vom 20. März 1984 VI ZR 154/82, NJW 1985, 42, 43; vom 13. März 1997 IX ZR 81/96, NJW 1997, 2168, 2169 f.; vgl. Vill in Zugehör u.a., Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 841). Nicht selten sind Umfang und Ausgestaltung des Auftrags jedoch erst das Ergebnis der Erstberatung, welche dem Mandanten aufzeigen soll, welche Rechte er hat und wie er sie durchsetzen kann. Außerdem muss ein Anwalt den Mandanten auch im Rahmen eines eingeschränkten Mandats vor Gefahren warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Auftrags aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich dieser Gefahren nicht bewusst ist (BGH, Urteil vom 29. April 1993 IX ZR 101/92, NJW 1993, 2045; vom 9. Juli 1998 IX ZR 324/97, WM 1998, 2246, 2247; vom 29. November 2001 IX ZR 278/00, WM 2002, 505, 506; vgl. Vill in Zugehör u.a., Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 552 ff.). [13] Ein Anwalt, der ein volljähriges Kind bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen berät, muss darauf hinweisen, dass sich der Anspruch gegen beide Elternteile richtet. Vertritt der Anwalt bereits einen Elternteil im Rahmen einer unterhalts- oder ehegüterrechtlichen Auseinandersetzung, ist schon dieser Hinweis geeignet, dessen Interessen zu beeinträchtigen. Wenn und soweit sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs des volljährigen Kindes nach den zusammengerechneten Einkommen beider Eltern richtet, kann das Interesse des Kindes überdies darauf gerichtet sein, ein möglichst hohes Einkommen auch desjenigen Elternteils nachzuweisen, dessen Vertretung der Anwalt bereits übernommen hatte und dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse dieser daher kennt. Auch dies schließt eine gemeinsame Vertretung eines Elternteils und des volljährigen Kindes im Rahmen des Kindesunterhalts grundsätzlich aus. [14] c) Ob widerstreitende Interessen bestehen und vertreten werden, kann indessen nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Falles beurteilt werden. Maßgeblich ist, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftritt (RGSt 71, 231, 236 [zu 356 StGB]; BAG, NJW 2005, 921 f.; KG, NJW 2008, 1458, 1459; aa Hartung in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., 3 BerO Rn. 59). Was den Interessen des Mandanten und damit zugleich der Rechtspflege dient, kann nicht ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hiervon betroffenen Mandanten abstrakt und verbindlich von Rechtsanwaltskammern oder Gerichten festgelegt werden (BVerfGE 108, 150, 162; vgl. auch BVerfG, NJW 2006, 2469, 2470). Die Vorschrift des 43 a Abs. 4 BRAO schränkt (ebenso wie diejenige des 356 StGB) das Grundrecht der freien Berufsausübung der Rechtsanwälte nach Art. 12 Abs. 1 GG ein. Ihre Auslegung hat sich daran zu orientieren, dass jeder Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein muss und nicht weiter gehen darf, als die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange es erfordern. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen zudem in einem angemessenen Verhältnis stehen; denn die Gerichte sind, wenn sie Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für geboten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken (BVerfGE 54, 224, 235; 97, 12, 27; 108, 150, 160; BVerfG, NJW 2006, 2469). Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und gradliniger Rechtsbesorgung verlangt 43a Abs. 4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird (BVerfGE 108, 150, 164). Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot und ist verfassungsrechtlich unzulässig (BAG, NJW 2005, 921, 922; Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., 43 a Rn. 171, 174). 770 AnwBl / 2012 Anwaltsrecht

113 Rechtsprechung [15] Danach hat die Klägerin keine widerstreitenden Interessen vertreten. Sie ist von M. C. beauftragt worden, Unterhaltsansprüche (nur) gegen die Mutter B. C. geltend zu machen. Bei der Erteilung des Auftrags war Dr. A. C. zugegen. Er hat den Gebührenvorschuss an die Klägerin gezahlt. Die Frage des Unterhaltsanspruchs gegen beide Elternteile stellte sich nicht. Dr. A. C. kam bis dahin allein für den Unterhalt seines Sohnes auf und war bereit, dies unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits weiterhin zu tun. Fragen der Schweigepflicht waren ebenfalls nicht berührt, nachdem Dr. A. C. der Klägerin alle für die Berechnung des Kindesunterhalts erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte. Zudem wusste M. C., dass die Klägerin seinen Vater im Scheidungs- und im Zugewinnausgleichsverfahren vertrat. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände fehlt es bei der gebotenen konkret objektiven Betrachtung an einem Interessengegensatz. [16] III. Die Vertretung des Dr. A. C. im später angestrengten Verfahren auf Trennungsunterhalt kann nicht nachträglich zur Begründung des belehrenden Hinweises vom 18. März 2010 herangezogen werden. [17] 1. Ein fehlerhafter Bescheid kann zwar mit anderer Begründung aufrechterhalten werden, wenn sich ergibt, dass dies mit einer fehlerfreien Begründung möglich ist ( 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Grundsätzlich sind hierzu alle tatsächlichen Umstände heranzuziehen, die bei seinem Erlass vorlagen (Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., 108 Rn. 30). Die Klägerin hatte bereits am 9. Februar 2010, also vor Erlass des belehrenden Hinweises vom 18. März 2010, namens des Dr. A. C. den Anspruch auf Trennungsunterhalt zurückgewiesen. Der Bescheid darf durch die Berücksichtigung der geänderten Begründung jedoch nicht in seinem Wesen verändert (BVerwGE 19, 252, 257; 64, 356, 357 f.; 71, 363, 368; 95, 176, 183 f.) und die Rechtsverteidigung des Klägers darf hierdurch nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (BVerwG, NVwZ 1999, 303 Rn. 16). Unzulässig ist ein Nachschieben von Gründen insbesondere dann, wenn der Verwaltungsakt an einen anderen Sachverhalt anknüpft (Knopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl., 113 Rn. 66). [18] 2. Die Vertretung des Dr. A. C. bei der Abwehr des Anspruchs auf Trennungsunterhalt wäre daraufhin zu überprüfen gewesen, ob sie mit der Vertretung des M. C. bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Volljährigenunterhalt gegen B. C. vereinbar war. Das ist ein anderer Sachverhalt als derjenige, welcher dem belehrenden Hinweis vom 18. März 2010 zugrunde lag. Geschütztes Rechtsgut wäre neben der Rechtspflege allgemein das von M. C. erteilte Mandat gewesen, während es im belehrenden Hinweis um das Mandat des Dr. A. C. ging. [19] IV. Die Kostenentscheidung beruht auf 112 c Abs. 1 Satz 1 BRAO, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf 194 Abs. 1 BRAO, 52 Abs. 2 GKG. Betrachtung der subjektiven Mandanteninteressen. Hier ist ein wenig Kritik angebracht: Entscheidend sollten nur die tatsächlichen Interessen eines umfassend aufgeklärten Mandanten sein. Im Ergebnis stellt der BGH aber auf diese Interessen ab, weil er gerade nicht schematisch vorgeht. In dem konkreten Fall hatte eine Anwältin ein volljähriges Kind bei der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen ausschließlich gegen die Mutter vertreten. Zugleich vertrat sie den Vater in dem Scheidungsverfahren sowie in der Folgesache Zugewinnausgleich gegen die Mutter. In diesem Fall schied eine Interessenkollision aus, weil beide Mandanten einverstanden waren, der Vater den Gebührenvorschuss für den Sohn zahlte und der Vater bisher allein den Unterhalt geleistet hatte und dazu auch in der Zukunft bereit war. Eine streitige Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs gegen den Vater drohte daher nicht. Der Vater hatte letztlich den Sohn mit dessen Ansprüchen nur vorgeschickt, damit er selbst am Ende entlastet wird. Freie Anwaltswahl? Rechtsschutzversicherung darf nicht mit 150 Euro locken VVG 127, 129; BRAO 3 Abs. 3; UWG 4 Nr. 1; BGB 307 ff. Eine Klausel in Allgemeinen Rechtschutzversicherungsbedingungen, die die Wahl eines vom Versicherer empfohlenen Anwalts damit belohnt, im Versicherungsfall nicht in eine ungünstigere Schadensfreiheitsklasse zurückgestuft zu werden, verstößt gegen 127, 129 VVG und ist daher gemäß 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. (nicht rechtskräftig) OLG Bamberg, Urt. v U 236/11 Anmerkung der Redaktion: Der BGH wird nun entscheiden müssen, ob ein Entgegenkommen der Rechtsschutzversicherer bei der Selbstbeteiligung einen Eingriff in die vom VVG garantierte freie Anwaltswahl bedeutet. Das OLGBamberghatdasjetzt andersalsnochindervorinstanz das LG Bamberg (Leitsatz mit Anmerkung in AnwBI 2012, 280, Volltext AnwBI Online 2012, 97) bejaht. Konkret wird dem Versicherungsnehmer von der HUK Coburg eine Belohnung in Aussicht gestellt, wenn er einen vom Rechtsschutzversicherer empfohlenen Anwalt auswählt. Bei späteren Schadensfällen soll die Selbstbeteiligung dann niedriger ausfallen, weil der Vertrag weiterhin als schadenfrei eingestuft wird. Die vom OLG Bamberg zugelassene Revision wird die HUK Coburg wie es in einer Pressemitteilung des Unternehmens heißt einlegen. Geklagt hat die Rechtsanwaltskammer München. Zum Schluss noch eine Korrektur: Im März-Heft des Anwaltsblatts war versehentlich mit dem ein falsches Entscheidungsdatum für das Urteil aus der ersten Instanz angegeben worden, das richtige Datum lautet Der Volltext ist im Internet abrufbar unter (AnwBl Online 2012, 222). Anmerkung der Redaktion: Das Urteil des Anwaltssenats des BGH ist ein Zeichen für die Berufsfreiheit. Mit erfrischender Deutlichkeit stellt der BGH klar, dass das Verbot der Interessenkollision zwar zu den Kernpflichten des Anwalts gehört, aber auch vor dem Hintergrund von Art. 12 GG nicht überspannt werden darf. Eine typisierte Betrachtung (in Form eines abstrakten Gefährdungstatbestands) scheidet aus. Es kommt stets darauf an, ob im konkreten Fall aus Sicht der Mandanten und der Rechtspflege eine Interessenkollision droht. Abgestellt wird dabei im Ergebnis auf eine verobjektivierte Anzeige Anwaltsrecht AnwBl /

114 Rechtsprechung Rente: Befreiung für zeitlich befristete berufsfremde Tätigkeiten SGB VI 6 Abs. 5 Satz 2 Ein selbständig tätiger Rechtsanwalt kann sich für eine befristete, berufsfremde Nebenbeschäftigung (hier: Dozententätigkeit an einer Universität) auf Antrag unter den näheren Voraussetzungen des 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht für die Nebenbeschäftigung befreien lassen. (Leitsatz der Redaktion) (nicht rechtskräftig) SG Münster, Urt. v S 4 R 895/10 Anmerkung: Die Entscheidung des Sozialgerichts Münster befasst sich in sehr grundlegender Art und Weise mit dem Befreiungsrecht für zeitlich befristete berufsfremde Tätigkeiten nach 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI. Dem Klagegegenstand nach geht es dabei um eine Tätigkeit als Dozent an einer Hochschule, die von einem hauptberuflich selbständigen Rechtsanwalt ausgeübt wird. Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Bund in der Vergangenheit für verschiedene derartige befristete Tätigkeiten des klägerischen Rechtsanwalts eine Befreiung nach 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI ausgesprochen hatte, verweigerte sie für den hiesigen in Rede stehenden Lehrauftrag nunmehr eine abermalige Befreiung über 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI. Die Deutsche Rentenversicherung Bund räumt in ihrem Beklagtenvortrag dazu ein, dass sie seit dem Jahre 2010 ihre Verwaltungspraxis hinsichtlich von Befreiungen gemäß 6 Abs. 1 SGB VI und 6 Abs. 5 SGB VI erheblich abgeändert habe. Materiell rechtlich vertrete sie nunmehr zu einer Befreiung nach 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI aufgrund einer zeitlich befristeten berufsfremden Tätigkeit die Rechtsauffassung, dass eine solche aus dem Wortlaut der Norm heraus ( erstreckt sich ) nur in Frage käme, wenn der Antragsteller bereits zuvor eine Befreiung nach 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI erhalten habe. Denn es könne sich nicht etwas (nach 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI) erstrecken, wenn zuvor nicht einmal der Grundtatbestand (nach 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI) vorgelegen habe. Einen solchen Befreiungsnachweis zu erbringen, ist aber z. B. für Berufsanfänger, die im Rahmen einer wissenschaftlichen Lehrtätigkeit eine zusätzliche akademische Qualifikation anstreben, ebenso unmöglich wie für selbständige Angehörige der verkammerten Freien Berufe, weil diese im Regelfall unter keine Fallgestaltung des 2 SGB VI fallen und von daher per se keiner Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen. Das Sozialgericht Münster lehnt die vorgenannte Rechtsauffassung der Deutschen Rentenversicherung Bund grundlegend ab und führt aus, dass das Berufsbild des Syndikus gemeinhin mit rechtsberatender, rechtsentscheidender, rechtsgestaltender und rechtsvermittelnder Tätigkeit beschrieben werde. Von daher zieht das Gericht auch für die hiesige Tätigkeit zunächst eine Befreiung nach 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in Betracht. Dies deshalb, weil es aus dem Befreiungskriterium der Rechtsvermittlung heraus die Überlegung anstellt, ob die Fortbildungstätigkeit eines Rechtsanwalts an einer Hochschule nicht bereits eine berufsbezogene Tätigkeit darstellt. Mit dieser Überlegung liegt das Gericht umfänglich auf der Linie des Rundschreibens vom , in dem die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV) mit der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Handlungsempfehlung dahingehend ausgesprochen hatte, dass die Tätigkeit eines Rechtsanwalts, der z. B. Lehrveranstaltungen innerhalb seines Freien Berufes abhält (die im Regelfall nach 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung führt), berufsbezogen als anwaltliche Tätigkeit nach 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien ist. Das Sozialgericht Münster lässt seine Überlegung allerdings im Ergebnis offen, weil es der Ansicht ist, dass für die hiesige Dozententätigkeit eines selbständigen Rechtsanwalts an der Universität bereits die Befreiungsvoraussetzungen nach 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI gegeben sind. Dies ergäbe sich unter Berücksichtigung des Art. 12 GG und insbesondere des Art. 3 Abs. 1 GG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung (als Teil der systematischen Auslegung) des 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI, der gegenüber einer strengen Wortlautauslegung bzw. grammatikalischen Auslegung der Vorzug gebühre. Dieses Auslegungsergebnis wird durch das Gericht anhand einer sehr weiten Begründungskette aus der allgemeinen rechtswissenschaftlichen Methodenlehre erzielt. Das Sozialgericht Münster kommt von daher unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten über den bloßen Wortlaut des 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI hinaus zu dem Ergebnis, dass es wenig überzeugend sei, abhängig Beschäftigte und damit grundsätzlich rentenversicherungspflichtige Angehörige der Freien Berufe mit selbständig tätigen Angehörigen der Freien Berufe, die regelmäßig keiner Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlägen, im Hinblick auf ihre sozialversicherungsrechtliche Einordnung zu vergleichen. Zwar durchziehe die Abgrenzung von Beschäftigten und Selbständigen das gesamte Sozialversicherungsrecht, gerade im SGB VI werde aber hiervon eine Ausnahme gemacht, wenn beispielswiese in 2 SGB VI auch Selbständige unter näher genannten Voraussetzungen der Versicherungspflicht unterworfen werden. Auch 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI gehe nicht nur von versicherungspflichtigen Beschäftigten aus, sondern explizit von daneben versicherungspflichtigen selbständig Tätigen. Überzeugend erscheine es von daher, die grundsätzlich versicherungspflichtigen Selbständigen, die auf Antrag gemäß 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 sowie Abs. 5 S. 2 SGB VI befreit werden können, mit nichtversicherungspflichtig tätigen Selbständigen zu vergleichen. Sinn und Zweck der Vorschriften sei es nämlich zu verhindern, dass Personen mit einer doppelten Beitragszahlungspflicht belastet werden, sei es in ihrer Haupttätigkeit oder in der vorübergehend ausgeübten Nebentätigkeit gemäß 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI. Es solle die Befreiung von der Beitragspflicht durch Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bei bestehender Beitragspflicht gegenüber der berufsständischen Versorgung ermöglicht werden, um eine doppelte Beitragszahlung zu vermeiden. Offenbar handele es sich daher um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers, wenn dieser versicherungspflichtigen Selbständigen neben versicherungspflichtig abhängig Beschäftigten diese weitreichende Befreiung ermöglicht habe, nicht aber nichtversicherungspflichtig tätigen Selbständigen wie einem freiberuflichen Rechtsanwalt, und das, obwohl für diesen Personenkreis die Befreiungsvoraussetzungen des 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI bei angenommener Versicherungspflicht ebenfalls bestünden. Diese völlig zutreffende Analyse des Gerichts findet eine zusätzliche Stütze in 44 Abs. 2 SGB XI, der für Pflegepersonen die Entrichtung von Beiträgen zugunsten eines berufsständischen Versorgungswerks ebenfalls unter der Möglichkeit voraussetzt, dass die Angehörigen der Freien Berufe (als abhängig Beschäftigte) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind oder (als selbständig Tätige) befreit wären (hypothetische Befreiungsmöglichkeit). Das Sozialgericht Münster kommt von daher zu Recht zu dem Ergebnis, wenn schon ein grundsätzlich versicherungspflichtiger Beschäftigter oder ein grundsätzlich versicherungspflichtiger Selbständiger sich auf Antrag unter den näheren Voraussetzungen des 6 Abs. 5 S. 2 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht auch für eine Nebenbeschäftigung befreien lassen könnte, dass dies erst recht für einen in seiner Haupttätigkeit schon gar nicht der Rentenversicherungspflicht unterworfenen Selbständigen gelten müsse. Rechtsanwalt Jan Horn, Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV), Berlin Der Volltext ist im Internet abrufbar unter (AnwBl Online 2012, 230) 772 AnwBl / 2012 Anwaltsrecht

115 Rechtsprechung Anwaltshaftung Gemischte Sozietät: Alle Sozien der GbR haften für alles BGB 675 Abs. 1; ZPO 287; HGB 128; BRAO 51 a Abs. 2 Satz 1, 59 a Abs. 1 Satz 1 a) Eine Rechtsanwaltssozietät ist auch dann verpflichtet, über die Erfolgsaussichten eines von der Mandantin beabsichtigten Rechtsstreits zu belehren, wenn das Mandat von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung erteilt worden ist, deren Geschäftsführer und Gesellschafter selbst Rechtsanwälte und Mitglieder der beauftragten Sozietät sind. Auch in diesem Fall kann vermutet werden, die Mandantin hätte sich bei pflichtgemäßer Belehrung beratungsgerecht verhalten und wäre dem anwaltlichen Rat gefolgt. b) Wird ein Anwaltsvertrag mit einer Sozietät geschlossen, der neben Rechtsanwälten auch Steuerberater angehören, so haften für einen Regressanspruch wegen Verletzung anwaltlicher Beratungspflichten auch diejenigen Sozien persönlich, die selbst nicht Rechtsanwälte sind. BGH, Urt. v IX ZR 125/10 Aus den Gründen: [68] a) Die Beklagten zu 2 bis 8 haften für den Regressanspruch gegen die Beklagte zu 1 entsprechend 128 Satz 1 HGB. [69] Im Falle eines mit einer Sozietät geschlossenen Beratungsvertrags haften die Sozien für den gegen die Gesellschaft gerichteten Anspruch wegen Schlechterfüllung in entsprechender Anwendung des 128 Satz 1, 129 HGB persönlich (BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 358; vom 7. April 2003 II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 372 ff., 376 f.; vom 22. Januar 2004 IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361, 364). Die persönliche Haftung erstreckt sich dabei auch auf die berufshaftungsrechtlichen Verbindlichkeiten (BGH, Urteil vom 3. Mai 2007 IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rn. 29). Ob diese Haftung im Falle einer Sozietät, der Mitglieder unterschiedlicher Berufsgruppen angehören (gemischte Sozietät, vgl. 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO) auch diejenigen Sozien trifft, die in eigener Person die vertraglich geschuldete Beratung nicht vornehmen dürfen, hat der Senat bislang offen gelassen (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 IX ZR 44/10, WM 2011, 1770 Rn. 10). Die Frage ist zu bejahen, so dass auch der Beklagte zu 8 persönlich haftet. [70] aa) Auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung, wonach ein Anwaltsvertrag regelmäßig nur mit denjenigen Sozien zustande kommt, die selbst auf dem zu bearbeitenden Rechtsgebiet tätig werden dürfen (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1999 IX ZR 117/99, WM 2000, 963, 964; vom 17. Februar 2000 IX ZR 50/98, WM 2000, 1342, 1344 f.), erfasste die Haftung wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags nicht die berufsfremden Sozien, weil diese nicht Vertragspartner wurden. Diese Auffassung beruhte auf der früher zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts in ständiger Rechtsprechung angenommenen Doppelverpflichtungslehre, wonach durch den Abschluss eines Rechtsgeschäfts im Namen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zugleich eine Haftung der Gesamthand und eine persönliche Haftung der Gesellschafter begründet werden (BGH, Urteil vom 15. Juli 1997 XI ZR 154/96, BGHZ 136, 254, 258 f.). [71] Nachdem durch das Grundsatzurteil vom 29. Januar 2001 (II ZR 331/00, BGHZ 146, 341) die eigene Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts anerkannt und die Doppelverpflichtungslehre aufgegeben worden ist, kann wie ausgeführt die Sozietät selbst Partei eines Anwaltsvertrags sein (BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 IX ZR 225/04, WM 2006, 830 Rn. 9; vom 5. Februar 2009 IX ZR 18/07, WM 2009, 669 Rn. 10), und zwar auch dann, wenn dieser neben Rechtsanwälten auch Sozien anderer Berufsgruppen angehören (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 IX ZR 44/10, WM 2011, 1770 Rn. 7 ff.). Damit ist auch die auf der früheren Doppelverpflichtungslehre beruhende Beschränkung der Haftung auf diejenigen Sozien, die in eigener Person berufsrechtlich zur Bearbeitung des Mandats befugt sind, überholt (Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl., 4 Rn. 20; Mennemeyer in Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rn. 123; Jungk in Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl., 36 Rn. 23; Brandi in Kilian/Offermann-Burckart/vom Stein, Praxishandbuch Anwaltsrecht, 2. Aufl., 9 Rn. 40; Lux, DStR 2008, 1981, 1982 f; Schodder, EWiR 2008, 523, 524). Das Vertrauen der nichtanwaltlichen Sozien, für die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags nicht zu haften, wird dadurch geschützt, dass die auf der Doppelverpflichtungslehre beruhenden Grundsätze auf solche Anwaltsverträge weiterhin anwendbar sind, die vor dem Erlass der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2001 (aao) geschlossen worden sind (BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 IX ZR 145/05, WM 2008, 1563 Rn. 10; vom 5. Februar 2009, aao). [72] bb) Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (Rinkler in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 397) kann der nach früherer Rechtsprechung bestandene Ausschluss der Haftung berufsfremder Sozien nicht dadurch aufrecht erhalten werden, dass dem Anwaltsvertrag die konkludente Vereinbarung entnommen wird, die Haftung berufsfremder Sozien werde ausgeschlossen. [73] Auch wenn die Beschränkung der Haftung auf diejenigen Mitglieder einer Sozietät, die das Mandat selbst bearbeiten, unter gesetzlich näher bezeichneten Voraussetzungen selbst durch vorformulierte Vertragsbedingungen zulässig ist ( 51 a Abs. 2 Satz 2 und 3 BRAO, 67 a Abs. 2 StBerG, 54 b Abs. 2 WPO), kann ohne konkrete Anhaltspunkte den Erklärungen der Parteien ein solcher Wille zur Haftungsbeschränkung nicht entnommen werden. Die Haftung derjenigen Sozien, die mit dem Mandat nicht selbst befasst gewesen sind, stellt sich nur dann, wenn die Auslegung der Parteierklärungen ( 133, 157 BGB) ergibt, dass der Anwaltsvertrag mit der Sozietät selbst geschlossen worden ist und kein Einzelmandat des sachbearbeitenden Sozietätsmitglieds vorliegt. Ist nach dem Parteiwillen gerade ein Sozietätsmandat einer aus Rechtsanwälten und Steuerberatern bestehenden Sozietät gewollt, so gibt es regelmäßig keinen Grund für die Annahme, die persönliche Haftung solle sich auf einzelne Sozietätsmitglieder beschränken. [74] cc) Soweit angenommen wird, die Regelung des 8 Abs. 2 PartGG könne auf Sozietäten in der Rechtsform von Gesellschaften bürgerlichen Rechts übertragen werden (Zugehör/Rinkler, aao Rn. 398; Hirtz in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 8 PartGG Rn. 1; offen gelassen bei BGH, Urteil vom 7. April 2003 II ZR 56/02, BGHZ 154, 370, 377), kommt dies nicht in Betracht. Eine solche Analogie setzte nicht nur die auf der Grundlage der Doppelverpflichtungslehre vorgenommene Beschränkung der Haftung auf die anwaltlichen Sozien fort, sondern führte weiter gehend Anwaltshaftung AnwBl /

116 Rechtsprechung entgegen der Regelung des 51 a Abs. 2 Satz 1 BRAO eine Haftungskonzentration auf die mit dem Mandat befassten Sozien auch insoweit ein, als diese Rechtsanwälte sind. Ein solcher Analogieschluss ist zudem wegen des Fehlens einer Regelungslücke unzulässig, weil die Haftungskonzentration im Falle der Partnerschaftsgesellschaft gesetzlich gerade nur für diese Rechtsform geschaffen worden ist (vgl. Lux, NJW 2003, 2806, 2807; Römermann, BB 2003, 1084, 1086; ders., NJW 2009, 1560, 1561; K. Schmidt, NJW 2005, 2801, 2805) und zudem im Gegenzug für dieses Haftungsprivileg die Publizität der Gesellschaftsverhältnisse gemäß 4 Abs. 1, 7 Abs. 1 PartGG verlangt wird (Hasenkamp, DB 2003, 1166, 1167). [75] b) Da eine Hemmung der Verjährung des gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Regressanspruchs in Betracht kommt, ist auch die gegen die Beklagten zu 2 bis 8 gerichtete Klage nicht unter dem Gesichtspunkt der Verjährung abweisungsreif. [78] aa) Die Hemmung der Verjährung gegenüber der Gesellschaft erfasst nach 129 HGB grundsätzlich auch die akzessorische Haftung der Gesellschafter (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1978 II ZR 235/77, BGHZ 73, 217, 223 f; vom 22. September 1980 II ZR 204/79, BGHZ 78, 114, 119 f; vom 22. März 1988 X ZR 64/87, BGHZ 104, 76, 81 f.; vom 9. Juli 1998 IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214, 217 f. [jeweils zur Verjährungsunterbrechung]; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. April 2006 II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rn. 15; vom 12. Januar 2010 XI ZR 37/09, WM 2010, 308 Rn. 41 f.; vom 29. November 2011 X ZR 23/11, ZIP 2012, 698 Rn. 12). Wenn die Verjährung des Regressanspruchs gegen die Beklagte zu 1 wegen Verhandlungen gehemmt worden ist, müssen sich die Beklagten zu 2 bis 8 die Verjährungshemmung daher im Ausgangspunkt ebenfalls entgegenhalten lassen, ohne dass es darauf ankäme, ob die Verhandlungen zugleich über die Haftung der Beklagten zu 2 bis 8 geführt worden sind. [77] bb) Die im Verhältnis zur Gesellschaft eingetretene Hemmung der Verjährung erstreckt sich jedoch nur auf diejenigen Gesellschafter, die der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Hemmung angehören (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1978, aao S. 224 f.; MünchKomm-HGB/K. Schmidt, 3. Aufl., 129 Rn. 8; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., 129 Rn. 4; Emmerich, HGB, 2. Aufl., 129 Rn. 10; Oetker/Bosche, HGB, 2. Aufl., 129 Rn. 4) und erfasst damit nicht die gemäß 736 Abs. 2 BGB in Verbindung mit 160 HGB begrenzte Nachhaftung ausgeschiedener Sozien (vgl. dazu Zugehör/Rinkler, aao Rn. 408 ff). Aus dem Berufungsurteil kann zwar entnommen werden, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr alle Beklagten zu 2 bis 8 vor dem Berufungsgericht Gesellschafter der Beklagten zu 1 waren. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht festgestellt, welche der in Anspruch genommenen Sozien zu welchem Zeitpunkt ausgeschieden sind. Sollten Verhandlungen über den Regressanspruch stattgefunden haben, ist daher aufzuklären, welche Sozien der Beklagten zu 1 zum Zeitpunkt der Verhandlungen noch angehört haben und soweit die Sozien zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschieden waren ob die Verhandlungen sich auch auf deren persönliche Inanspruchnahme erstreckt haben. [78] V. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht die Klageforderung der Höhe nach zu überprüfen haben wird, sofern die Klage nicht wegen Verjährung abzuweisen ist. [79] 1. Nach der Fassung der Urteilsformel des Landgerichts sind die Beklagten verurteilt worden, in der Hauptsache einen Betrag von ,97 Euro zu zahlen sowie zusätzlich Ersatz für außergerichtliche Kosten zu leisten. Damit ist dem Antrag des Klägers in vollem Umfang stattgegeben worden, der die von der Schuldnerin zu tragenden Kosten des Vorprozesses mit ,97 Euro beziffert hat. Die Zurückweisung der Berufung in vollem Umfang erfordert daher die Feststellung, dass die Schuldnerin in dieser Höhe mit Kosten belastet worden ist. Im Berufungsurteil wird der Kostenschaden der Schuldnerin aus dem Vorprozess demgegenüber mit einem Betrag von ,56 Euro beziffert. Anmerkung der Redaktion: Der BGH hat sich positioniert. Zum einen hält er an seinem strengen Haftungsmaßstab hinsichtlich anwaltlicher Beratungspflichten fest. Auch wenn der Mandant selbst Rechtsanwalt ist, entbindet dies den beauftragten Anwalt nicht, diesen umfassend zu beraten (insoweit ist das Urteil im Heft nicht abgedruckt, der Volltext ist in der Anwaltsblatt-Datenbank unter AnwBl Online 2012, 235 abrufbar). Aber viel gewichtiger zum anderen: Mit der vorliegenden Entscheidung wurde eine jahrelange offene Rechtsfrage geklärt. Der Mandant kann auch den Sozius einer gemischten Sozietät neben dem Gesellschaftsvermögen für Berufsfehler in die Haftung nehmen, der die beauftragte Leistung gar nicht hätte erbringendürfen alsodenberufsfehlernieverursachenoder hätte verhindern können. Bislang hatte der BGH auch nach seiner Grundsatzentscheidung zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) diese Frage offen gelassen. Mit diesem Urteil hat er die Problematik nun konsequent gesellschaftsrechtlich gelöst. Der Mandatsvertrag wird mit der (gemischten) Sozietät geschlossen. Die Gesellschafter haften entsprechend akzessorisch gemäß 128 Satz 1, 129 HGB analog ohne Berücksichtigung, ob sie berufsrechtlich überhaupt zur Bearbeitung des Mandats befugt gewesen wären. 8 Abs. 2 PartGG bietet hier keine Hilfe. Der BGH erteilt ausdrücklich der in der Literatur vertretenen Auffassung eine Absage, die Regelung des 8 Abs. 2 PartGG auf GbR-Sozietäten zu übertragen. Anwälten bleibt nun zu hoffen, dass der auf einer Initiative des DAV beruhende Gesetzentwurf zur Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (BR-Drs. 309/12; DAV-Stellungnahmen Nr. 13/12 sowie Nr. 36/12, Hellwig, AnwBl 2012, 345, Römermann, AnwBl 2012, 288) bald umgesetzt wird. Dieser sieht eine Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen vor. Der Entwurf wurde vor der Sommerpause noch im Bundesrat beraten und ist damit nun im Bundestag angekommen. Schon jetzt ist Anwälten, die ihren Beruf in einer gemischten Sozietät ausüben, zu raten, sich mit ihrer Berufshaftpflichtversicherung zusammenzusetzen, um die haftungsrechtlichen Fragen abzuklären. Ass. jur. Jessika Kallenbach, Berlin Die Entscheidung bespricht in diesem Heft ausführlich Deckenbrock (AnwBl 2012, 723). Der Volltext ist im Internet abrufbar unter (AnwBl Online 2012, 235) 774 AnwBl / 2012 Anwaltshaftung

117 Rechtsprechung Anwaltsvergütung Korrektur des BGH: Doch keine 1,5-Geschäftsgebühr als Regel RVG 14 Abs. 1; RVG-VV Nr Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war, und ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung von 20 % der gerichtlichen Überprüfung entzogen (Fortführung von BGH, Urteile vom 13. Januar 2011 IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603; vom 8. Mai 2012 VI ZR 273/11, juris). BGH, Urt. v VIII ZR 323/11 Sachverhalt: [1] Das Amtsgericht hat die Beklagten im schriftlichen Vorverfahren mit Teil-Versäumnisurteil und Endurteil aufgrund einer Kündigung wegen Mietrückständen zur Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung sowie zur Zahlung von nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 808,25 verurteilt. Hinsichtlich weiterer 98,05 vorgerichtlicher Anwaltskosten hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass von den Klägern entgegen VV-RVG Nr eine Begründung für einen 1,3 überschreitenden Satz der Geschäftsgebühr nicht gegeben worden sei, weshalb die verlangte 1,5-fache Gebühr nicht zugesprochen werden könne. [2] Die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung weiterer 98,05 vorgerichtlicher Anwaltskosten weiter. Aus den Gründen: [3] Die Revision hat keinen Erfolg. [4] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: [5] VV-RVG Nr sehe vor, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dementsprechend sei bei der vom Gericht anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass eines Versäumnisurteils nicht nur zu prüfen, ob die verlangte Gebühr unbillig im Sinne des 14 Abs. 1 Satz 4 RVG sei, sondern auch, ob eine Überschreitung der Kappungsgrenze von 1,3 gerechtfertigt sei. Tatsachenvortrag, der die Überschreitung dieser Kappungsgrenze rechtfertige, sei vorliegend nicht erfolgt. Dementsprechend habe das Amtsgericht im angegriffenen Urteil mangels schlüssigen Vortrags zu Recht keine 1,5-fache Gebühr, sondern nur eine 1,3-fache Gebühr angesetzt. [6] Zwar stehe dem Rechtsanwalt nach der sogenannten Toleranzrechtsprechung bei der Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % zu, so dass eine sich innerhalb dieser Grenze bewegende Gebühr nicht unbillig im Sinne des 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und deshalb grundsätzlich hinzunehmen sei. Die Kammer teile aber die Ansicht des Amtsgerichts und anderer Amtsgerichte, dass die sogenannte Toleranzrechtsprechung erst dann zum Zuge kommen könne, wenn die Kappungsgrenze nach VV-RVG Nr zu Recht überschritten sei, weil es sich um eine umfangreiche oder schwierige Sache handele oder aber sich die Gebühren unterhalb dieser Grenze bewegten, so dass die Kappungsgrenze nicht tangiert sei. Ob eine Tätigkeit umfangreich oder schwierig im Sinne der VV-RVG Nr sei, sei vom Gericht genauso zu überprüfen, wie es auch sonst zu überprüfen habe, ob gesetzliche Tatbestandsmerkmale vorlägen. Andernfalls könnte ein Rechtsanwalt den Regelfall stets mit der 1,5-fachen Gebühr abrechnen, ohne darlegen zu müssen, weshalb im konkreten Fall eine höhere Gebühr als 1,3 angemessen sei. Dies könne angesichts des eindeutigen Wortlauts in VV-RVG Nr nicht richtig sein. Der eindeutige Gesetzeswortlaut sei insoweit bindend und könne auch nicht mit der Toleranzrechtsprechung umgangen werden. [7] II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand. [8] 1. Gemäß 2 Abs. 2 RVG in Verbindung mit Nr des Vergütungsverzeichnisses in der Anlage 1 zu 2 Abs. 2 RVG kann eine Geschäftsgebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, mithin überdurchschnittlich war (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006 VI ZR 261/05, NJW-RR 2007, 420 Rn. 6 mwn zu der wortgleichen Vorgängerbestimmung in Nr. 2400). Dementsprechend ist, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei der vom Gericht anzustellenden Schlüssigkeitsprüfung vor Erlass eines Versäumnisurteils zu prüfen, ob eine Überschreitung der Kappungsgrenze von 1,3 wegen überdurchschnittlichen Umfangs oder überdurchschnittlicher Schwierigkeit gerechtfertigt ist. Die Kläger haben dazu nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts vorgetragen. Übergangenen Sachvortrag zeigt die Revision nicht auf. Daher haben die Vorinstanzen zu Recht keine 1,5-fache Gebühr, sondern nur eine 1,3-fache Gebühr für gerechtfertigt gehalten. Denn die Schwellengebühr von 1,3 ist die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2006 VI ZR 261/05, aao Rn. 8; Urteil vom 13. Januar 2011 IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603 Rn. 16; BT-Drucks. 15/1971, S. 207). [9] 2. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der sogenannten Toleranzrechtsprechung nichts anderes. [10] Zwar steht dem Rechtsanwalt, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gemäß 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr ein Ermessensspielraum zu. Solange sich die vom Rechtsanwalt im Einzelfall bestimmte Gebühr innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 Prozent bewegt, ist die Gebühr nicht unbillig im Sinne des 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und daher von einem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 IX ZR 110/10, aao Rn. 18; Urteil vom 31. Oktober 2006 VI ZR 261/05, aao Rn. 5). [11] Das Berufungsgericht hat aber mit Recht angenommen, dass diese Toleranzrechtsprechung zu Gunsten des Rechtsanwalts, der eine Gebühr von mehr als 1,3 beansprucht, nur dann eingreift, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Nr für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 vorliegen (ebenso OLG Celle, ZfSch 2012, 20; AG Halle, Beschluss vom 20. Juli C 57/10, juris; AG Kehl, Urteil vom 9. September C 59/11, juris; Anzeige Anwaltsvergütung AnwBl /

118 Rechtsprechung vgl. auch FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Juli KO 225/11, juris). Das ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, nach der eine Ausnutzung des Gebührenrahmens unter den Voraussetzungen des 14 Abs. 1 RVG bis zum 2,5-fachen der Gebühr nur bei schwierigen oder umfangreichen Sachen im billigen Ermessen des Anwalts steht, während es bei der Regelgebühr von 1,3 verbleibt, wenn Umfang und Schwierigkeit der Sache nur von durchschnittlicher Natur sind (BT-Drucks. 15/1971, aao). [12] Daher ist eine Erhöhung der Regelgebühr von 1,3 auf eine 1,5-fache Gebühr hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entgegen der Auffassung der Revision nicht der gerichtlichen Überprüfung entzogen (ebenso OLG Celle, aao mwn). Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne Weiteres eine 1,5-fache Gebühr verlangen. Das verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war. Der IX. Zivilsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er ebenfalls dieser Auffassung sei und sich aus seinem Urteil vom 13. Januar 2011 (IX ZR 110/10, aao Rn. 18) nichts anderes ergebe. Der VI. Zivilsenat hat mitgeteilt, dass er im Hinblick auf die Äußerung des IX. Zivilsenats, dessen Entscheidung er sich angeschlossen hatte (Urteil vom 8. Mai 2012 VI ZR 273/11, juris), keine Bedenken gegen die in Aussicht genommene Entscheidung des VIII. Zivilsenats hat. Anmerkung der Redaktion: Die Freude währte nur kurz. Das Anwaltsblatt hatte im Juli-Heft ein Urteil des VI. Zivilsenats des BGH veröffentlicht, nach dem auch bei durchschnittlichen Sachen eine 1,5-Geschäftsgebühr abgerechnet werden könne (BGH AnwBl 2012, 662, so auch schon der IX. Zivilsenat des BGH, AnwBl 2011, 402). Der VIII. Zivilsenat des BGH korrigiert diese auf den ersten Blick gesicherte Rechtsprechung nun. Die Meinungsverschiedenheit im BGH ist damit endgültig entschieden. Der IX. und der VI. Zivilsenat haben sich dem VIII. Zivilsenat angeschlossen, wie aus den Gründen hervorgeht. Notarrecht Dienstordnung der Notare im Einklang mit dem Grundgesetz GG Art. 1, 33 Abs. 5; BNotO 1, 67, 92, 93, 94; BeurkG 54 a ff.; DONot 10 Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn den Aufsichtsbehörden im Rahmen ihrer Befugnisse nach 92, 93 BNotO ein Weisungsrecht gegenüber den Notarinnen und Notaren zugebilligt wird. Die Regelungen der Dienstordnung für Notarinnen und Notare zur Dokumentation von Verwaltungsgeschäften begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. BVerfG, Beschl. v BvR 3017/09 Der Volltext ist im Internet abrufbar unter (AnwBl Online 2012, 244) Keine Dienstleistungsfreiheit für Notare in der EU BNotO 10 a Abs. 2, 11 Abs. 2, AEUV Art. 56 Die Tätigkeit der deutschen Notare fällt nicht in den Regelungsbereich der Dienstleistungsfreiheit. Die Aufsichtsbehörde kann deshalb eine beabsichtigte Urkundstätigkeit in einem EU-Mitgliedsstaat nicht genehmigen. Jedenfalls ist die Beschränkung der Urkundstätigkeit auf den räumlichen Amtsbereich, 10 a Abs. 2, 11 Abs. 2 BNotO, mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar. (nicht rechtskräftig) KGBerlin,Urt.v Not27/11 Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Notar Volker G. Heinz, Berlin Der Volltext ist im Internet abrufbar unter (AnwBl Online 2012, 251). Fotonachweis Seiten 668 (außer Schauer, Salger), 675, 682, 689, 703, 708, 713, 715, 720, 722, 726, 727, 729, 734, 736, 740, 743, 744, 745, 764 (3. Spalte), 768: privat; Seiten 696, 749, 750, 751, 752, 753, 754, 755, 758, 759, 760, 761, 762: Andreas Burkhardt/Berlin; Seite 748: DAV Türkei; Seite 764, 2. Spalte: AG Ausländer- und Asylrecht; Seite 765: Axel Hansmann, Seiten 737, 738, 741: circlephoto-fotolia.com Impressum Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.v., Littenstr. 11, Berlin (Mitte), Tel. 0 30/ , Fax: 030 / , anwaltsblatt@anwaltverein.de. Redaktion: Dr. Nicolas Lührig (Leitung, v. i. S. d. P.), Udo Henke und Manfred Aranowski, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers. Redaktionssekretariat: Steffi Köhn, Sandra Petzschner, Kristina Wolf Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, Bonn, Tel / , Fax: 02 28/ ; kontakt@anwaltverlag.de, Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr , BLZ Anzeigen: adsales&services,ingrida.oestreich(v.i.s.d.p.),pikartenkamp 14, Hamburg, Tel. 0 40/ , Fax: 040 / , anzeigen@anwaltsblatt-media.de. Technische Herstellung: L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG, Marktweg 42 50, Geldern, Tel.: 02831/ , Fax: 02381/ , harhoff@schaffrath.de. Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft für August/September. Bezugspreis: Jährlich 140, E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 14,50 E (inkl. MwSt.). Für Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen. Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des Herausgebers. ISSN w 776 AnwBl / 2012 Notarrecht

119 Bücher & Internet Bundesverfassungsgericht Mietrecht Kurzhinweise Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts CD-ROM Verein der Richter des Bundesverfassungsgerichts (Hrsg.) 1. Aufl., C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2012, Band ,00 Euro Mietrecht aktuell und kompakt Wolf-Rüdiger Bub/Christian von der Osten 1. Aufl., C.H. Beck Verlag, München 2012, XXIV, 347 S., kart ,80 Euro Handbuch des Fachanwalts Sozialrecht Rupert Hassel/Detlef Gurgel/ Sven-Joachim Otto (Hrsg) 3Aufl., Luchterhand Verlag, Köln 2011, S., geb ,00 Euro Die Kammerrechtsprechung des BVerfG spielt in der Alltagspraxis eine häufig unterschätzte Rolle. In der Fachpresse verteilt sich diese Rechtsprechung auf die einschlägigen Gebiete. Sieht man einmal von Juris ab, ist man auf die Amtliche Satzung der Kammerentscheidungen in BVerfGK angewiesen. Nahezu alle begründeten Kammerbeschlüsse, also nicht nur Entscheidungen nach 93 c BVerfGG werden dort wiedergegeben (insgesamt bislang Beschlüsse). Band 16 enthält die Entscheidungen von Januar 2009 bis Januar Für den Anwalt besonders freulich ist es, dass diese Sammlung nicht nur in einer Printfassung erhältlich ist, sondern auch auf einer CD-ROM nach dem jeweils erreichten neuesten Stand. Das hier anzuzeigende Update der 16 Bände macht alle Entscheidungen über die Fundstelle in der Amtlichen Sammlung, das Entscheidungsdatum, das Aktenzeichen oder für einen bestimmten Zeitraum aufrufbar. Ein besonderes Merkmal ist das außerordentlich umfangreiche Stichwort- und Gesetzesregister. Diese CD-ROM ist keineswegs ein bloßes Spezialisteninstrument. Sie ist vielmehr von jedermann leicht nutzbar und sollte auch von jedermann genutzt werden. Gerade Anwälte sollten deshalb die einfach handhabbaren Register in ihre praktische Arbeit einbeziehen. Das ist kein Hinweis auf die vergleichsweise seltenen Verfassungsbeschwerdeverfahren. Die Kammerentscheidungen überlagern nämlich inzwischen das gesamte einfache Recht. Sie vermitteln damit gesicherte Fixpunkte für dessen Auslegung und Anwendung. Wer das nutzt, verschafft sich auf dem Anwaltsmarkt Wettbewerbsvorteile. Deshalb: Zur Anschaffung empfohlen. Rechtsanwalt Prof. Dr. Rüdiger Zuck, Stuttgart Das Werk gibt einen Überblick über die aktuelle instanz- und obergerichtliche Rechtsprechung im Wohn- und Gewerberaummietrecht mit den Entwicklungen seit 2010 (Stand November 2011). Die Leitsätze wurden von den Autoren teilweise neu gefasst oder umformuliert und die Aussagen der Entscheidungsgründe in den rechtlichen Kontext eingeordnet. Die aktuellen BGH-Entscheidungen zu unwirksamen Schönheitsreparaturklauseln, Betriebskostenabrechnungen, zur Zuverlässigkeit von Eigenbedarfsankündigungen oder der Modernisierungsankündigung wurden mit aufgenommen. Pachtrecht Pachtrecht Christoph Kern 1. Aufl., Erich Schmidt Verlag, Berlin 2012, S., geb. Berliner Kommentare ,00 Euro Die Weiterentwicklung des Mietrechts hat auch erhebliche Änderungen im Pachtrecht mit sich gebracht, durch Fortschritte in der Ökologie hat sich vor allem viel im Bereich des Landpachtrechts getan. Die gängigen Verfahrensvorschriften zum Landpachtverkehrs- und -verfahrensgesetz werden herausgestellt, pachtspezifische Musterverträge für Franchising, Apothekeroder Jagdpacht dokumentiert. In eigenen Kommentierungen werden ausführlich die Milchquotenregelung und der Gaststättenpachvertrag behandelt. Der Kommentar befindet sich auf dem Rechtsstand vom Sozialrechtshandbuch Bernd Baron van Maydell/Franz Ruland/ Ulrich Becker 5. Aufl., Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, 1600 S., geb ,00 Euro Sozialgerichtsgesetz Peter-Bernd Lüdtke 4. Aufl., Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, 960 S., geb. Nomos Kommentar ,00 Euro SGB XII Sozialhilfe Christian Grube/Volker Wahrendorf (Hrsg.) 4. Aufl., C. H. Beck Verlag, München 2012, XVII, 926 S., geb ,00 Euro Verwaltungsrecht Heribert Johlen/Michael Oerder (Hrsg.) 3. erw. Aufl., C.H. Beck Verlag, München 2012, XXXV, 1244 S., geb. Münchener Anwaltshandbuch ,00 Euro Verwaltungsgerichtsordnung Kopp/Schenke 18. überarb. Aufl., C.H. Beck Verlag, München 2012, XXIX, 1982 S., geb ,00 Euro M 320 AnwBl / 2012 Mantel

120 Bücher & Internet Anwaltspraxis Mediation Kurzhinweise Anwaltformulare Thomas Heidel/Stephan Pauly/Angelkia Amend 7. A u f l. Deutscher Anwaltverlag, Bonn 2012, 2880 S., geb. Formularbuch ,00 Euro Die Anwaltsbasics Mediation Christian Wermke 1. Aufl., Hemmer Verlag, Würzburg 2012, 187 S., brosch ,90 Euro RVG: Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Wilhelm Gerold/Herbert Schmidt 20. überarb. Aufl., C.H. Beck Verlag, München 2012, XXV, S., geb. Kommentar ,00 Euro In 59 Kapiteln berabeitet das Werk vom Aktienrecht bis zum Zwangsvollstreckungsrecht die gesamte Bandbreite der anwaltlichen Tätigkeit. Dabei berücksichtigt die Neuauflage neben neuer Rechtsprechung auch die grundlegende Reform des FamFG. Vor jedem Kapitel finden sich Literaturhinweise für eine vertiefende Betrachtung, im Anschluss geben die Autoren einen praxisorientierten Überblick über das jeweilige Rechtsgebiet zum Einstieg. Zu jedem Rechtsgebiet finden sich umfangreiche Schriftsatzmuster für den außergerichtlichen und gerichtlichen Bereich sowie Muster zur Vertragsgestaltung, die durch zusätzliche Übersichten und Checklisten die Mandatsbearbeitung erleichtern. Die Muster finden sich ebenfalls auf der beiliegenden CD-ROM. Fazit: Der anwaltliche Praktiker erhält durch die Mischung aus Erläuterungen und Mustern ein gutes Rüstzeug bei seiner täglichen Mandatsbearbeitung. Rechtsanwalt Martin Bretzler, Hann. Münden Anwaltsrecht RVG für Einsteiger Carmen Wolf 4. Aufl., Luchterhand Verlag, Köln 2011, 398 S., geb ,00 Euro Die typischen Abrechnungsbereiche werden hier dargestellt sowie allgemeine und spezielle Gegenstandswertbestimmungen. Dieses Buch vermittelt dem Einsteiger Grundlagenwissen zum neuen Mediationsgesetz und enthält Erläuterungen zu wesentlichen Textstellen. Vorgestellt werden verschiedene Bereiche, wie Wirtschafts- und Familienmediation oder Täter-Opfer-Ausgleich. In einem eigenen Kapitel wird das Harvard-Verhandlungskonzept erläutert, Mediationsvertragsmuster, Formulierungsvorschläge und Musterklauseln fehlen nicht. Verbraucherrecht Verbraucherrecht Marina Tamm/Klaus Tonner 1. Aufl., Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, 1700 S., geb ,00 Euro Beim Verbraucherrecht treffen sich unterschiedliche Rechtsgebiete die in diesem Buch gemeinsam dargestellt werden. Ausführlich widmet sich das Werk den verfahrensrechtlichen Besonderheiten, auch bei der Streitschlichtung. In jeweils einem eigenen Kapitel werden die Auswirkungen beim Vollstreckungsrecht und grenzüberschreitende Sachverhalte behandelt. Die Autoren bieten dem Leser unterschiedliche juristische Aspekte zum Verbraucherrecht auch aus Unternehmersicht. Ein Auszug aus den behandelten Rechtsgebieten: Datenschutzrecht, Finanz- und Versicherungsdienstleistung, Haustür- und Fernabsatzrecht, Kartellrecht, Reiserecht, Umweltrecht, Arbeitsrecht, Telekommunikation, Lebensmittelrecht, Kaufvertragsrecht, Baurecht, AGB-Recht, Urheberrecht. RVG Textausgabe mit Tabellen 31. Aufl., Deutscher Anwaltverlag, Bonn 2012, 94 S., kart. Anwaltstexte ,00 Euro BORA/FAO Berufs- und Fachanwaltsordnung Wolfgang Hartung (Hrsg.) 5. überarb. Aufl., C.H. Beck Verlag, München 2012, XXIV, 1292 S., geb ,00 Euro Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe Armin Schoreit/Ingo Michael Groß 11. Aufl., C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2012, XXVIII, 538 S., geb. Heidelberger Kommentar ,95 Euro Verkehrsrecht Hartmut Roth (Hrsg.) 3. Aufl., Nomos Verlag, Baden-Baden 2012, S., geb. Nomos Formulare, inkl. CD-ROM ,00 Euro Das verkehrsrechtliche Mandat Hubert W. van Bühren 2. Aufl., Deutscher Anwaltverlag, Bonn 2010, 488 S., kart. Band 4: Versicherungsrecht ,00 Euro M 322 AnwBl / 2012 Mantel

121 Bücher & Internet AGB Reform Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Der vielbeachtete und diskutierte Verordnungsvorschlag der europäischen Kommission für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (KOM/2011/635) soll auf grenzüberschreitende Warenkaufverträge Anwendung finden. Dies und die konträr diskutierten Vorschläge zu einer AGB-Reform werden auch Themen auf dem Deutschen Juristentag in München sein, da sie weitreichende Konsequenzen für grenzüberschreitende Geschäfts- und Vertragsbeziehungen bedeuten. I. Europäisches Kaufrecht 1. Beck Aktuell Eine umfassende Übersicht zum Gesetzgebungsverfahren bietet der Verlag unter Beck Aktuell Gesetzgebung, Vorhaben auf EU-Ebene, dann das Thema Gemeinsames Europäisches Kaufrecht und hier die Rubrik zusätzliches Material. Die Dokumente werden chronologisch gelistet und verweisen per Hyperlink jeweils auf den Volltext, beispielsweise auf Kommissionspapiere, Bundestagsdrucksachen sowie Stellungnahmen der juristischen Verbände. (DAV) stehen auf den jeweiligen Webseiten zur Verfügung. Dies meist unter Rubriken, wie Rechtspolitik, Stellungnahmen oder Positionspapiere OeffentlichesAuftragswesen/Stn_GB_D485.pdf Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA) Auch die großen Wirtschafts- und Branchenverbände haben sich bereits geäußert. Siehe unter anderem auf den Seiten des BDI und des VDMA ( hier unter VDMA-Positionen unter Politik und Initiativen ) 6. stellungnahmen Deutscher Anwaltverein Die Stellungnahmen des DAV werden numerisch gelistet. Der Ausschuss Europäisches Vertragsrecht hat die relevanten Stellungnahmen unter den folgenden Nummern publiziert: und Im Vorfeld zum 69. Deutschen Juristentag 2012 fand im Januar das Symposium AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Stärke oder Schwäche des deutschen Rechts? statt. Die Stellungnahme des DAV findet sich unter der Nummer II. Weitere Einschätzungen zu AGB-Reform 7. vertragsrecht/agb_recht_initiative Frankfurter Initiative Die Initiative wird von großen Branchenverbänden, der Industrie- und Handelskammer Frankfurt sowie einigen Unternehmensjuristen getragen. Ein Link zum Gesetzgebungsvorschlag der Initiative steht ebenso zur Verfügung, wie einige Fallbeispiele von Unternehmen und ein Link zum Vorschlag des Zivilrechtsausschusses des DAV Erkl%C3%A4rung%20pro%20AGB-Recht.pdf Eur-Lex Die Kommissionspapiere sind über die einfache Suche mit der Dokumentennummer zugänglich: Das Grünbuch der Kommission Optionen für die die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen unter KOM/2010/ 348, der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht unter KOM/2011/635 sowie die Mitteilung der Kommission ein gemeinsames europäische Kaufrecht zur Erleichterung grenzübergreifender Geschäfte im Binnenmarkt unter KOM/2011/636. Stellungnahmen Die Stellungnahmen der juristischen Verbände, wie Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Deutscher Richterbund (DRB), Deutscher Notarverein (DNotV) und dem Deutschen Anwaltverein Verbraucherzentralen (Vzbv) Die Stellungnahme wurde in zwei Teilen erstellt und jeweils im Januar sowie im Mai diesen Jahres publiziert. Teil I geht auf die allgemeinen Fragen und die Mantelregelungen ein, während sich Teil II mit den konkreten vertragsrechtlichen Regelungen des Annexes I beschäftigt Justizministerkonferenz Der Bericht über die Anhörung zum Vorschlag der EU Kommission fehlt bisher auf der Webseite, ist aber über die meisten Landesjustizministerien abrufbar. Hier ein Beispiel: NRW jumiko/beschluesse/2012/fruehjahrs konferenz12/i_8.pdf Initiative pro AGB-Recht Abweichend zu den vorgenannten Änderungswünschen äußert sich die Initiative zahlreicher Verbände aus unterschiedlichen Branchen, die vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen vertreten. Mit ihrer gemeinsamen Erklärung unterstützen sie das bestehende deutsche AGB-Recht. Für das Anwaltsblatt im Internet: Rechtsanwältin Janine Ditscheid, Dipl.-Bibliothekarin, Köln Sie erreichen die Autorin unter der -Adresse autor@anwaltsblatt.de. M 324 AnwBl / 2012 Mantel

122 Schlussplädoyer Stellt sich den Fragen des Anwaltsblatts: Rechtsanwalt Dr. Claus Recktenwald aus Bonn war Vorsitzender des Bonner Anwaltvereins von 2006 bis Er ist seit 1990 Rechtsanwalt und arbeitet als Partner der Sozietät Schmitz Knoth Rechtsanwälte in Bonn und Berlin. Seine Schwerpunkte liegen auf dem Gebiet des Aktien-, Bank- und Kapitalmarktrechts. Er ist Mitglied im Deutschen Anwaltverein, weil das alle Berufsträger seiner Sozietät sind und es die 255 Anwaltvereine so vermitteln. Warum sind Sie Anwalt geworden? Weil mein Vater Richter war. Schon einmal überlegt, die Zulassung zurück zu geben? Allenfalls über den Ruhestand nachgedacht. Ihr größter Erfolg als Anwalt? Für Richter und Kollegen gewonnene Prozesse. Ihr Stundensatz? Angemessen niedrig. Ihr Traummandat? Jedes, das dem Mandanten hilft und von ihm gewertschätzt wird. Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal nicht nachsagen? Ich hätte mich nie verglichen. Welches Lob wünschen Sie sich von einem Mandanten? Dass sein Kopf wieder frei ist. Mitglieder Service DAV-Haus Littenstr. 11, Berlin Deutscher Anwaltverein Tel.:030/ ,Fax: Redaktion Anwaltsblatt Tel.:030/ ,Fax: Deutsche Anwaltakademie Tel.:030/ ,Fax: Deutsche Anwaltadresse Tel.: 0 30/ , , Fax: adresse@anwaltverein.de DAV-Fortbildungsbescheinigung Tel.:030/ ,Fax:-163 fortbildung@anwaltverein.de Arbeitsgemeinschaften im DAV Infos unter Tel.: 0 30/ , Fax: DAV Büro Brüssel Tel.: + 32 (2) , Fax: - 13 bruessel@eu.anwaltverein.de, Deutscher Anwaltverlag Wachsbleiche 7, Bonn Tel.:0228/ ,Fax:-23 kontakt@anwaltverlag.de, Logonutzung Durch die Verwendung des DAV-Logos können sich die organisierten Kolleginnen und Kollegen als Einheit darstellen und das Corporate Identity erhöhen. Die Mitgliedschaft im Anwaltverein kann somit als Marke wahrgenommen werden. Das Logo zum Herunterladen und den Hinweis der Nutzungsrechte finden Sie im Internet unter M 328 AnwBl / 2012 Mantel

123 Weil die Zeit nicht alles heilen kann. Ich hab s! Ob auf Ihre Versicherung hundertprozentig Verlass ist, zeigt sich immer erst, wenn ein Schaden eintritt. Mit einer Berufshaftpflicht von HDI-Gerling können Sie sicher sein: Im Schadenfall können Sie auf unsere Unterstützung zählen. Das Spezialgebiet von HDI-Gerling: Vermögensschaden- Haftpflicht auf höchstem Niveau. Profitieren Sie von unserer langjährigen Schadenerfahrung, der Expertise unserer internen Fachjuristen und unserer Finanzstärke als Teil des Talanx-Konzerns. Versicherungen Deutsches Anwalt Office Große Lösung kleiner Preis! Die erste bezahlbare juristische Komplett-Datenbank. Sie haben Fragen? Dann rufen SIe gleich an! HDI-Gerling Firmen und Privat Versicherung AG Riethorst Hannover Telefon Monatlich nur j 59,75 zzgl. MwSt. Das Deutsche Anwalt Office fegt die Kostentreiber weg und sorgt für eine hochqualitative, topeffiziente Mandatsbearbeitung. Eine Revolution für kostenbewusste, kleine und mittlere Kanzleien unter 60 Euro im Monat alles in einer Online-Datenbank: - Fundiertes Fachwissen und Kommentierungen zu allen relevanten Rechtsgebieten - Mit allen Inhalten aus dem Deutschen Anwaltverlag und juristischen Werken von Haufe - Sachverhaltsrelevante Entscheidungen - Mehrere tausend direkt einsetzbare Muster, Formulare, Rechner, Tabellen und Checklisten - Effiziente Fortbildung mit mindestens einem Online-Seminar pro Monat Jetzt 4 Wochen gratis haben:

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