Scheffel-Rede von Laura Weinmann
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- Kornelius Heidrich
- vor 6 Jahren
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1 Scheffel-Rede von Laura Weinmann Guten Abend liebe Mitabiturientinnen und Mitabiturienten, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Schulleitung, liebe Familien und liebe Gäste, Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für uns alle. Die schlechte Nachricht heute Abend geht an Sie: Sie müssen auch mir jetzt zuhören und können noch nicht zum Buffet gehen. Die gute geht an mich: Ich hab einen Preis gewonnen. Die Nachricht ist nicht neu, weil ich sonst jetzt heulen würde oder so, aber jetzt habe ich die offizielle Chance, mich ganz herzlich für den Scheffel-Preis zu bedanken. Ich möchte ehrlich sein, zwischenzeitlich habe ich den Preis ziemlich verflucht, aber mittlerweile überwiegen die Dankbarkeit und der Stolz. Und es ist mir eine Ehre, heute Abend hier vor Ihnen stehen zu dürfen. Abitur also. Der Abschluss einer Ära, das Ende einer Epoche des Lebens. Für viele Schüler markiert der heutige Tag den Beginn der absoluten, der bedingungslosen Freiheit, die Ihnen sonst bisher genommen wurde. Unnötige Fächer, Klausuren, Hausaufgaben, Präsentationen, Mittagschule. All das scheint der Vergangenheit anzugehören und ist Teil des alten Lebens. Des Schullebens. Danach beginnt das große Glück, die große Freiheit hat ihren Anfang, wenn die Schule ihr Ende hat.
2 Was man mit dieser großen Freiheit anfängt? Erstmal Geld verdienen, dann reisen. Ein FSJ. Gleich studieren. Eine Ausbildung machen. So viele Dinge, die man mit dieser unfassbaren Freiheit anfangen kann. Am Ende werden wir aber alle erwachsen werden und einen Beruf haben und ein Leben führen, dass dieser großen und unabdingbaren Freiheit wahrscheinlich kaum gerecht wird. Das ist das reale Leben, das keiner von uns bisher kennt. Das ist das richtige, das wahre, das alltägliche Leben. Das Neun bis Fünf -Leben des Otto Normalbürgers. Und ich möchte hier niemandem eine Illusion nehmen, aber im Endeffekt wird der Großteil von uns einmal so ein Leben führen. Und dass dies die große Freiheit ist, bezweifle wahrscheinlich nicht nur ich. A8, München-Stuttgart, Dreieck Leonberg, 15 Kilometer stockender Verkehr. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr, immer das Gleiche. Und du mittedrin. Allein im Auto, die nervige Stimme eines viel zu gutgelaunten Radiomoderators im Ohr. Du musst noch einkaufen, im Supermarkt wird es wieder so voll sein, weil alle um die gleiche Uhrzeit einkaufen gehen, noch Staub saugen, kochen, die Kinder ins Bett bringen, bügeln. Und die Steuererklärung macht sich auch nicht von selbst. Tick tack, tick tack, tick tack, deine Lebenszeit, siehst du, wie sie scheinbar ungenutzt ist, die Freiheit, die du dir am Abiball versprochen hast, wo ist sie geblieben? Und bist du überhaupt glücklich? Das Hupen des Hintermannes holt dich
3 zurück. Du kannst fünf Meter nach vorne fahren. Fünf Meter näher am Bügelbrett, näher an zu Hause. Doch bevor Sie mich alle für eine pessimistische Schwarzmalerin halten, will ich zu David Foster Wallace, meinem Lieblingsautor, kommen. Er beginnt This is water mit folgender Parabel: Zwei junge Fische schwimmen im Meer und treffen einen älteren Fisch, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: Morgen Jungs, wie ist das Wasser? Die zwei jungen Fische schwimmen verwirrt weiter, bis einer den anderen fragt: Was zum Teufel ist Wasser? Da wir alle ja zwölf Jahre Deutschunterricht hatten, sind wir super darin, diese Parabel zu interpretieren. Wir kommen zum naheliegenden Schluss, dass die alltäglichen, gegenwärtigen Tatsachen immer die sind, die man am schwersten erkennt. Was eine Plattitüde, kann man denken, wie abgedroschen das alles hier scheint. Und dennoch glaube ich, dass uns genau diese Plattitüde zum Glück verhelfen wird. Wir alle werden erwachsen sein und ein Leben führen, das einen Alltag hat. Und wir alle werden zu einem gewissen Zeitpunkt genervt von alldem sein. Doch das müssen wir nicht, denn wir haben die Freiheit, unser Denken zu bestimmen. Wir haben die Freiheit, das Gute im Alltäglichen zu sehen. Wir haben die Freiheit, Empathie zu entwickeln und Offenheit und Disziplin und Loyalität und Toleranz. Die Freiheit, ein glückliches Leben führen zu können.
4 Denken wir uns wieder zurück in unser Auto, in den Stau, auf die A8. Die dort vergeudete Zeit, die dort vergeudete Freiheit wird uns nirgendwo bewusster. Und doch. Waren wir nicht für einen Moment erfüllt von Glück, als wir schamlos drei Lieder in Folge laut mitgegrölt haben und es keinen interessiert hat, ob überhaupt ein Ton des Ganzen gestimmt hat? Und hat nicht die ganze Familie abends am Esstisch gelacht, als wir die Geschichte des Autofahrers neben uns erzählt haben, der sich mit der Konzentration eines Neurochirurgen und dessen akribischer Präzision in der Nase gebohrt hat? Hat es nicht Spaß gemacht, im Supermarkt die wartenden Menschen an der Kasse zu beobachten und sich abends beim Bügeln zu vergewissern, dass man selbst bei Wer wird Millionär? ganz sicher die titelgebende Frage mit ICH! beantworten kann? Und denken wir an das Lächeln der Kinder, wenn Sie Gute Nacht Mama oder Hab dich lieb Papa. sagen, bevor man ihre Tür schließt. Die blauen Augen schon glasig vor Schläfrigkeit, das Gähnen unterdrückend und doch beteuernd, dass man ja noch gar nicht müde sei. Das ist die Essenz der Freiheit und des Glücks. Nicht seinen Job kündigen und nach Kuala Lumpur reisen und nackt am Strand entlangrennen, immer auf der Suche nach dem großen Abenteuer. Sein Denken so zu beherrschen, dass man sich nicht von den negativen Dingen des Alltags überwältigen lässt, sondern den Wert der Dinge erkennt, die eigentlich an einem vorbeirauschen. Unsere heutige Welt
5 scheint sich schneller zu drehen als jemals zuvor und es ist schwieriger, sich zu orientieren und seinen Platz zu finden. Und wenn man den gefunden hat, ist das immer noch keine Garantie für Glück. Doch wir müssen uns immer wieder klarmachen, wie gut wir es haben und wie viel Gutes uns jeden Tag widerfährt. Es sind die kleinen Dinge, sagt man. Und vielleicht ist es ja wirklich so. Heute Abend feiern wir unser Abitur. Wir feiern uns selbst und das Ende der Schulzeit. Doch wir sollten auch das Glück feiern, das wir bisher gehabt haben. Und heute wäre der richtige Tag, um Danke zu sagen. Danke an unsere Familien, die uns unterstützt haben, in Freud aber auch in Leid und die uns Halt geben, wenn wir ihn am dringendsten brauchen. Danke an die Schule und ihre Lehrer, die uns diesen Weg geebnet und jeden von uns mit der Macht der Bildung ausgestattet haben. Danke an viele andere Menschen, an Freunde und Bekannte, an Mitschülerinnen und Mitschüler, die uns begleitet haben und das Leben lebenswert gemacht. Wir alle gehen nun unseren eigenen Weg. Auf das jeder von uns mit dem seinigen glücklich wird. Ich wünsche uns allen nur das Beste dabei. Vielen Dank.
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