Grundkurs im Zivilrecht II

Transkript

1 Grundkurs im Zivilrecht II Vorlesungsbegleitende Übung

2 FALL 7: PUTZFIMMEL Paula Putz (P) kauft bei dem Elektrofachhändler Rudi Reinemacher (R) eine Spülmaschine im Sonderangebot für 300, (regulär 400, ), welche sie sofort bezahlt, und lässt diese von ihrem Schwager Dario Putz (D) in die Küche ihrer Privatwohnung einbauen. Schon vier Wochen nach Inbetriebnahme verweigert die Spülmaschine den Betrieb. Der Defekt geht auf einen Unachtsamkeitsfehler im Herstellungsprozess bei der Saubermann GmbH (S) zurück, was für R nicht erkennbar war. P verlangt umgehend unter Setzung einer Frist von 14 Tagen den Ausbau und die Rücknahme der defekten Spülmaschine und die Neulieferung einer mangelfreien Spülmaschine sowie deren Einbau. R weigert sich empört, schließlich könne er nichts dafür, dass die Spülmaschine defekt sei; die Schlamperei der S lasse er sich nicht in die Schuhe schieben. Außerdem habe ihm sein Bruder gesagt, dass er die Forderungen von P nicht erfüllen müsse, dies sei schließlich in allen einschlägigen Internetforen zu lesen. # 2

3 Nachdem die Frist ergebnislos abgelaufen ist, erklärt P gegenüber R, dass sie sich nun anderweitig eine neue Spülmaschine besorgen werde und ihm alle damit verbundenen Kosten in Rechnung stellen werde. Bei dem Elektrofachhändler Fuchs (F) kauft sie anschließend das gleiche Spülmaschinenmodell, jedoch ist dieses dort nur für den regulären Preis von 400, erhältlich. F baut die defekte Spülmaschine aus (Kosten: 30, ) und die neue wieder ein (Kosten: 50, ). Die Entsorgungskosten betragen 70,. Nach Abschluss der Arbeiten verlangt P von R Ersatz der Kosten i.h.v. 550,. Zu Recht? # 3

4 A. P gegen R SE ihv. 400 (Deckungskauf) aus 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I I. Anspruch entstanden 1. Voraussetzungen des 437 a. Kaufvertrag (+) b. Sachmangel bei Gefahrübergang 434 I 2 Nr. 2, 446 (+) 2. Voraussetzungen des 280 I 1 a. Schuldverhältnis (+), s.o. b. Pflichtverletzung Pflicht zur sachmangelfreien Leistung oder unterbliebene Nacherfüllung # 4

5 aa. Pflicht zu sachmangelfreier Lieferung, 433 I 2 (+) bb. Verletzung der Pflicht zur Nacherfüllung, 437 Nr. 1, 439 I Gem. 437 Nr. 1, 439 I wurde der ursprüngliche Leistungsanspruch der P zu einem Anspruch auf Nacherfüllung modifiziert P verlangt Lieferung eines neuen Geräts, also Nachlieferung gem. 439 I Var. 2 Gegen eine Durchsetzbarkeit des Anspruchs bestehen keine Bedenken, vgl. 439 III R hat somit auch die Pflicht zur Nacherfüllung verletzt # 5

6 3. Weitere Voraussetzungen der 280 III, 281 I a. Einordnung des Anspruchsziels SE statt der Leistung? aa. Zeitlich dynamische Abgrenzung Abgrenzung nach den zusätzlichen Erfordernissen wie Fristsetzung/Mahnung Testfrage: Wäre der Schaden entfallen, wenn im letztmöglichen Zeitpunkt (Vor Eintritt der Unmöglichkeit / Vor SE- Verlangen/Rücktritt) geleistet worden wäre? Hier wäre der Schaden durch Nacherfüllung vor SE-Verlangen der P entfallen Folglich SE statt der Leistung # 6

7 bb. Abgrenzung nach Kriterium der Leistungsäquivalenz SE statt der Leistung soll nur Schadensersatzpositionen erfassen, die funktional an die Stelle der ursprünglich geschuldeten Leistung treten Hier tritt die Pflicht zur Nacherfüllung an die Stelle der ursprünglichen Leistungspflicht, folglich SE statt der Leistung cc. ZwErg Nach beiden Ansichten SE statt der Leistung # 7

8 b. Fällige und durchsetzbare Leistungspflicht, 281 I 1 aa. Pflicht aus 433 I 2 Gem. 271 I fällig, nachdem P bereits gezahlt hat, auch durchsetzbar bb. Pflicht aus 437 Nr. 1, 439 I Var. 2 Ebenfalls fällig und durchsetzbar c. Erfolglose Nachfristsetzung Angemessene Frist von 14 Tagen gesetzt Erfolglos abgelaufen Zudem ernsthafte und endgültige Verweigerung, 281 II Var. 1 # 8

9 4. Vertretenmüssen, 280 I 1 a. Vertretenmüssen der mangelhaften Lieferung aa. Eigenes Vertretenmüssen Kein Vorsatz Keine Fahrlässigkeit, da keine Pflicht zur Prüfung der Geräte Für Garantie nichts ersichtlich bb. Zurechnung des Verschuldens der S Auf Seiten der S liegt Fahrlässigkeit vor Aber Zurechnung nur, wenn sie Erfüllungsgehilfin ist, also zur Erfüllung einer Pflicht des R tätig wird Pflicht des R ist aber nur mangelfreie Lieferung, dabei wird S nicht für R tätig Haftung des Herstellers sollte nicht über 278 erfasst werden Folglich keine Zurechnung # 9

10 cc. ZwErg R hat die mangelhafte Lieferung weder selbst zu vertreten noch ist ihr das Verschulden der S zuzurechnen b. Vertretenmüssen der unterbliebenen Nacherfüllung aa. Vorsatz Wissen und Wollen (+) Aber im Zivilrecht nach h.m. auch Bewusstsein der Rechtswidrigkeit erforderlich Dies ist hier fraglich, weil R glaubte, nicht nacherfüllen zu müssen # 10

11 bb. Fahrlässigkeit Ob Vorsatz vorliegt, kann dahinstehen, wenn zumindest Fahrlässigkeit vorliegt Der Schuldner hat sich sorgfältig über die Rechtslage zu vergewissern und ggf. Rechtsrat einzuholen R hat lediglich seinen Bruder gefragt, der sich in Internetforen informiert hat Insofern hat R sich nicht sorgfältig informiert, sodass er fahrlässig gehandelt hat cc. ZwErg R hat das Unterlassen der Nacherfüllung zu vertreten # 11

12 5. Rechtsfolge: Schaden P kann von R SE statt der Leistung nach den 249 ff verlangen P ist zu stellen, wie sie bei rechtzeitiger Nacherfüllung stünde Bei rechtzeitiger Nacherfüllung durch R wären die Kosten für das Ersatzgerät ihv 400 Euro nicht angefallen 281 I 3 (-), Verweigerung der Nacherfüllung ist immer erheblich II. Anspruch durchsetzbar R kann gem. 281 V, 346 das mangelhafte Gerät zurückverlangen du daher grundsätzlich die Einrede des 320 erheben 320 ist aber bei fehlender eigener Vertragstreue ausgeschlossen Hier kann R die Einrede daher nicht erheben # 12

13 III. Ergebnis P kann von R SE statt der Leistung ihv 400 Euro gem. 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 verlangen B. P gegen R SE ihv. 70 Euro (Entsorgung) aus 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I I. Voraussetzungen des 437 (+) II. Voraussetzungen des 280 I 1 1. Schuldverhältnis (+), s.o. 2. Pflichtverletzung In Betracht kommt nur Verletzung der Pflicht zur Nacherfüllung, weil R die mangelhafte Lieferung nicht zu vertreten hat, s.o. # 13

14 a. Reichweite der Pflicht zur Nacherfüllung R hat durch die Nicht-Rücknahme des Geräts nur eine Pflicht verletzt, wenn er die Rücknahme im Rahmen der Nacherfüllung geschuldet hätte Nach Wortlaut des 439 IV, 346 I besteht Rückgabepflicht des Käufers, nicht aber Rücknahmepflicht des Verkäufers Setzt eine erfolgreiche Nacherfüllung aber die Rücknahme einer mangelhaften Sache voraus, hat der Käufer ein berechtigtes Interesse an der Rücknahme Mit der Rückgabepflicht korrespondiert somit eine Rücknahmepflicht der Verkäufers Folglich schuldete R ird Nacherfüllung die Rücknahme des mangelhaften Gerätes # 14

15 b. Verletzung der Nacherfüllungspflicht P hat Nachlieferung verlangt, sodass die Pflicht auch fällig war Gegen Durchsetzbarkeit ist nichts ersichtlich III. Weitere Voraussetzungen 280 III, Einordnung des Anspruchsziels Entsorgungskosten wären durch rechtzeitige Nacherfüllung vermieden worden und treten an die Stelle der ursprünglichen Leistung Somit nach beiden Ansichten SE statt der Leistung # 15

16 2. Fällige und durchsetzbare Leistungspflicht (+) 3. Erfolglose Nachfristsetzung (+), zudem 281 II Var. 1 IV. Vertretenmüssen Verweigerung der Nacherfüllung zumindest fahrlässig, s.o. V. Rechtsfolge: Schaden Bei ordnungsgemäßer Nacherfüllung hätte P die Kosten für die Entsorgung ihv 70 nicht tragen müssen VI. Ergebnis P kann von R 70 Euro Entsorgungskosten gem. 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 verlangen # 16

17 C. P gegen R SE ihv. 30 (Ausbaukosten) aus 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I. Voraussetzungen des 437 (+) II. Voraussetzungen des 280 I 1 1. Schuldverhältnis (+), s.o. 2. Pflichtverletzung Verletzung der Pflicht zur Nacherfüllung a. Reichweite der Nacherfüllungspflicht (P) Erstreckt sich Pflicht zur Nacherfüllung auf den Ausbau der mangelhaften Sache? # 17

18 aa. Problemaufriss E.A. Ausbau ist notwendigerweise der Rücknahmepflicht (s.o.) vorgelagert und daher geschuldet A.A. Interesse des Käufers betrifft nicht die Rücknahme der Sache, sondern die Wiederherstellung des status quo ante, die aber nicht ird Nacherfüllung geschuldet ist, sondern nur ird Schadensersatzes bb. Richtlinienkonforme Auslegung Streit könnte jedoch dahinstehen, wenn 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB bei einem Verbrauchsgüterkauf richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass die dort genannte Lieferung einer mangelfreien Sache den Ausbau der mangelhaften Kaufsache erfasst Verbrauchsgüterkauf liegt vor, 474 I, 13, 14 # 18

19 Wesentlicher Bestandteil der VGK-RL ist Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung und Herstellung des vertragsgemäßen Zustands ohne erhebliche Unannehmlichkeiten Hat der Verbraucher die Sache bereits eingebaut, stellt es eine erhebliche Unannehmlichkeit dar, wenn der Verkäufer sie nicht wieder ausbaut bzw. die Kosten dafür trägt Folglich ist Ausbau Teil der Nacherfüllung ird Verbrauchsgüterkaufs b. Verletzung der Nacherfüllungspflicht Mit der Weigerung hat R eine fällige und durchsetzbare Pflicht verletzt # 19

20 III. Weitere Voraussetzungen der 280 III, Einordnung des Anspruchsziels Wäre die Nacherfüllung inkl. Ausbau rechtzeitig erfolgt, wären die Kosten nicht angefallen, folglich SE statt der Leistung 2. Fällige und durchsetzbare Pflicht (+) 3. Erfolglose Nachfristsetzung (+), vgl. oben IV. Vertretenmüssen (+), vgl. oben # 20

21 V. Rechtsfolge: Schaden 249 ff. Bei ordnungsgem. Nacherfüllung wären die Kosten nicht angefallen VI. Ergebnis P kann von R SE ihv 30 für den Ausbau des Gerätes gem. 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I verlangen # 21

22 D. P gegen R SE ihv 50 (Einbaukosten) aus 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I I. Voraussetzungen des 437 (+) II. Voraussetzungen des 280 I 1 1. Schuldverhältnis (+) 2. Pflichtverletzung Weigerung des Einbaus eines mangelfreien Gerätes a. Reichweite der Nacherfüllung (P) Ist der Einbau ird Nacherfüllung geschuldet? Auch hier führt die richtlinienkonforme Auslegung dazu, dass Einbau geschuldet ist ( unentgeltlich, ohne erhebliche Unannehmlichkeiten ) # 22

23 b. Verletzung der Pflicht zur Nacherfüllung (+) III. Weitere Voraussetzungen der 280 III, Einordnung des Anspruchsziels Einbaukosten wären nicht angefallen, wenn R wie geschuldet nacherfüllt hätte 2. Fällige und durchsetzbare Leistungspflicht (+) 3. Erfolglose Nachfristsetzung (+), vgl. oben # 23

24 IV. Vertretenmüssen (+), vgl. oben V. Rechtsfolge: Schaden 50 Einbaukosten wären bei ordnungsgem. Nacherfüllung nicht angefallen VI. Ergebnis P kann von R Einbaukosten ihv 50 gem. 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I verlangen # 24

25 E. Anspruch aus 439 II 439 II ist nach h.m. zwar eigene AGL Wenn der Käufer über 439 II die Kosten verlangen könnte, die ihm bei einer Selbstvornahme entstehen, würde das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung unterlaufen Daher erfasst 439 II nur Kosten, die zwar in Zusammenhang mit der Nacherfüllung stehen, aber nicht zur Pflicht zur Nacherfüllung gem. 439 I gehören F. Gesamtergebnis P kann von R die Kosten ihv von insgesamt 550 Euro verlangen gem. 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I # 25