Differenzierung und Systemtheorie
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- Cathrin Diefenbach
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1 Differenzierung und Systemtheorie 1
2 Das ist Systemtheorie: Unterscheiden Kommunikationen als Letzteinheiten Das Spinnennetz webt mit Liebe und Sorgfalt seine Spinne. (Henning Mankell) 2
3 Ziele Theoretisch: Kommunikation sozialisieren Methodisch: Funktional analysieren Empirisch: Systemische Resonanzen bestimmen 3
4 Vorgehen/Aufbau 1. Systemtheorie bei Luhmann: Biografie, vier Label, dreistelliger Theorieanspruch, theorietechnische Konsequenzen 2. Alternativen: Gegenstand, Grundbegriff, Methode 3. Ausblick Methode: Funktionale Analyse vs ANT 4
5 1) Systemtheorie bei Luhmann 1. Biografie 2. Vier Label 3. Theorieanspruch 1: Abklärung statt Aufklärung 4. Theorieanspruch 2: Reduktion von Komplexität 5. Theorieanspruch 3: Universalität 6. Theorietechnische Konsequenzen 5
6 Biografie Geburtshaus Lüneburg 6
7 Luhmann in Bielefeld 7
8 Das Werk 8
9 Projekt 9
10 Vier Label 1. Unverständlich: Soziologie als Lehre vom zweiten Blick 2. Größenwahnsinnig: Anspruch einer universalistischen Theorie 3. Konservativ: Was ist eine angemessene Theorie? 4. Verbannung des Menschen aus der Theorie: Mensch als Umwelt sozialer Systeme Abstraktion ist, so gesehen, eine erkenntnistheoretische Notwendigkeit. Sie bleibt ein Problem beim Schreiben von Büchern und eine Zumutung für den Leser. Das gilt besonders, wenn die Theorie einen Komplexitätsgrad erreicht, der sich nicht mehr linearisieren läßt. (Luhmann 1984: 13f) 10
11 Theorieanspruch 1: Abklärung statt Aufklärung Kritik vorsoziologischer Aufklärung Komplexitätsreduktion: Die Wissenschaft legt dem Handelnden nun nicht mehr nahe, sich als Vollzugsorgan eines einzigen beschämenden Grundmotivs zu begreifen, sie fordert ihm im Gegenteil eine sehr viel komplexere Handlungsabsicht ab, wohl wissend, daß er sie nicht leisten kann. (Luhmann 1970: 71) Interdisziplinarität statt Exegese 11
12 Theorieanspruch 2: Reduktion von Komplexität Theorie muss komplexer sein als ihr Gegenstand Als komplex wollen wir eine zusammenhängende Menge von Elementen bezeichnen, wenn auf Grund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann. (Luhmann 1984: 46) 12
13 13
14 Theorieanspruch 3: Universalität Universalität der Gegenstandserfassung in dem Sinne, daß sie als soziologische Theorie alles Soziale behandelt und nicht nur Ausschnitte (Luhmann 1984: 9) Selbstreferenz und Zirkularität: Theorie muss auch in ihrem Gegenstand vorkommen 14
15 Theorietechnische Konsequenzen Rolle der Begriffe: sie mit Bezug aufeinander bestimmen Flug über den Wolken: Die Theorieanlage erzwingt eine Darstellung in ungewöhnlicher Abstraktionslage: Der Flug muß über den Wolken stattfinden, und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zu rechnen. Man muß sich auf die eigenen Instrumente verlassen. Gelegentlich sind Durchblicke nach unten möglich ein Blick auf Gelände mit Wegen, Siedlungen, Flüssen oder Küstenstreifen, die an Vertrautes erinnern; oder auch ein Blick auf ein größeres Stück Landschaft mit den erloschenen Vulkanen des Marxismus. Aber niemand sollte der Illusion zum Opfer fallen, daß diese wenigen Anhaltspunkte genügen, um den Flug zu steuern. (1984: 12f) Empirischer Anspruch: contra Punkt-für-Punkt Entsprechung 15
16 2) Alternativen: Gegenstand, Grundbegriff, Methode 1. Alternativer Gegenstand: Soziales System gegen Vorwurf der Verbannung des Menschen 2. Alternativer Grundbegriff: Kommunikation statt Handlung Systemdifferenzierung 3. Ausblick alternative Methode: Funktionale Analyse (vs ANT) 16
17 Alternativer Gegenstand: Soziales System gegen Vorwurf der Verbannung des Menschen Die Gesellschaft ist dasjenige soziale System, das die letzten grundlegenden Komplexitätsreduktionen institutionalisiert und dadurch die Prämissen für das Operieren aller anderen sozialen Systeme (Interaktionen und Organisationen) setzt. Die Selektivität der Gesellschaft ermöglicht die Selektivität aller anderen sozialen Systeme; sie ist die Grundlage jeder weiteren Differenzierung der Kommunikationsbereiche. (GLU: 63) Operationen und Prozesse statt Dinge als Letztelemente 17
18 Alternativer Grundbegriff: Kommunikation statt Handlung Systemdifferenzierung Personen handeln, Systeme kommunizieren, Kommunikation kommuniziert Kommunikation als Synthese dreier Selektionen: - Information - Mitteilung - Verstehen 18
19 (Nicht)Kommunikation (Berghaus 2003: 79) 19
20 Von drei Unwahrscheinlichkeiten der Kommunikation zu Gesellschaftstheorie Drei Unwahrscheinlichkeiten: - Kommunikation wird verstanden - Mitteilung erreicht Adressaten - Kommunikation wird akzeptiert Medien - Sprache - Verbreitungsmedien - symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Gesellschaft als Bestandsproblem - Selektionszwang - Anschlüsse 20
21 Formen der Systemdifferenzierung Von Differenzierungsformen ist die Rede, wenn es darum geht, wie in einem Gesamtsystem das Verhältnis der Teilsysteme zueinander geordnet ist (Luhmann 1997: 609) 21
22 Differenzierung Entstehung neuer Einheiten durch Aufspaltung eines ursprünglich Ganzen. Differenzierung beruht auf der Einführung neuartiger Unterscheidungen, genauer: sinnhafter Spezialisierungen im Sinne einer Verengung, Intensivierung und Abkopplung von Zusatzgesichtspunkten. In der dabei dominierenden systemtheoretischen Perspektive differenziert sich Gesellschaft funktional in Teilsysteme, die Kommunikation bzw. Anschlusshandlungen unter beschränkenden Bedingungen produzieren, ihre Leistungsfähigkeit steigern, aber auch einschneidende Folgeprobleme für andere gesellschaftliche Teilsysteme nach sich ziehen. 22
23 23
24 Definitionen Binäre Codes: bilden Leitdifferenzen, die Kommunikation orientieren, spezifizieren durch Sinngrenzen einen autopoietischen Zusammenhang Programme: Spezifizierungen der hochabstrakten Codes (Regeln, wie die Codes zu verstehen sind) Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien: Kommunikationsanweisungen: Strukturelle Kopplung: Sicherstellen des extern notwendigen Materialitätskontinuums, Umweltanpassung unter Beibehaltung autonomer Operationen Integration: die Reduktion der Freiheitsgrade von Teilsystemen, die diese den Außengrenzen des Gesellschaftssystems und der damit abgegrenzten internen Umwelt dieses Systems verdanken (Luhmann 1997: 603) 24
25 Strukturelle Kopplung 25
26 Polykontexturale Gesellschaft und Integration Die moderne Gesellschaft ist durch die Form ihrer Differenzierung bestimmt: funktional als ungleichartig, aber gleichrangig Das System mit der höchsten Versagensquote dominiert, weil der Ausfall von spezifischen Funktionsbedingungen nirgendwo kompensiert werden kann und überall zu gravierenden Anpassungen zwingt. (Luhmann 1997: 769) Folgeprobleme: Ökologie - Naturzerstörung erst als Kommunikationsereignis relevant Soziale Bewegungen: moralische Empörung ohne Theorie 26
27 In welchen Teilsystemen löst die Explosion von Deepwater Horizon 2010 im Golf von Mexiko welche Resonanzen aus? Umwelt: fragilstes Ökosystem der USA, Umwelt d. G. (kein Teilsystem) Resonanzen auslösen psychisches System: Umwelt d. G. Resonanz soziale Bewegungen: Einführung unspezifischer Probleme in Systemstrukturen Resonanz Wirtschaft: Zahlungen/Geld verdienen - Säuberungskosten - 14% US-Meeresfrüchte vom Golf - 33% einheimisches Öl - Tourismus: 3 Mrd. US-Dollar Schaden - BP: Börsenverlust ein Viertel 27
28 Resonanzen Teilsysteme Wissenschaft: Produktion neuer Erkenntnisse Medien: Information/Unterhaltung: Bilder in Öl (SZ, ) Politik: Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen/Machterhaltung Recht: Erwartungssicherheit und Entscheidung von Konflikten Moral: subinstitutionelle Orientierung und Regulierung 28
29 29
30 Funktionale Analyse: für welches Problem ist die Explosion von Deepwater Horizon die Lösung? 30
31 Funktionale Analyse Die funktionale Analyse ist die mit der Theorie sozialer Systeme assoziierte wissenschaftliche Methode. Sie erlaubt es, jedes Phänomen und jedes Gegebene als kontingent und mit anderem vergleichbar zu erfassen. Die Erkenntnis wird durch den Vergleich des Gegebenen mit alternativen Möglichkeiten konstruiert, wobei der Vergleich von einem Beobachter vorgenommen wird. (GLU 1997: 61) Für welches Problem ist X die Lösung? 31
32 Funktionale Analyse: Ziel Informationsgewinnung: Sie reguliert und präzisiert Bedingungen, unter denen Differenzen einen Unterschied ausmachen. Es handelt sich, mit anderen Worten, um einen für spezifische Intentionen eingerichteten Sonderhorizont der Lebenswelt, der das, was bei aller Informationsverarbeitung sowieso geschieht, nämlich das Abtasten von Differenzen, unter bestimmte Bedingungen setzt und damit in eine bestimmte Form bringt. Funktionale Analyse ist mithin eine Art Theorietechnik... (1984: 83) à Beziehung zwischen Problem und Problemlösung spezifizieren 32
33 Funktionale Analyse/Kausalität Justierung der Perspektive statt kausale Analyse: Setzt früher an als das Aufdecken von kausalen Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung, Zusammenhang von Problemen und Problemlösung Kontingente Problemlösung: Die Relation von Problem und Problemlösung wird dabei nicht um ihrer selbst willen erfaßt; sie dient vielmehr als Leitfaden der Frage nach anderen Möglichkeiten; als Leitfaden der Suche nach funktionalen Äquivalenten. (1984: 84) 33
34 Funktionale Analyse: Bedeutung Soziologie Alternativen denkbar machen durch Ausweitung der Denkmöglichkeiten und Limitierung des Möglichen: Funktionale Erklärung kann demzufolge nichts anderes sein als die Ermittlung (im allgemeinen) und Ausschaltung (im konkreten) von funktionalen Äquivalenten. (1984: 85) Methode und Theorie: Mit der Wahl eines Problems, das die Einheit der Differenz von Erkenntnis und Gegenstand formuliert, geht die funktionale Methode über eine bloße Methodenentscheidung hinaus und beansprucht, Theorie der Erkenntnis zu sein. (1984: 90) 34
35 35
36 Literatur Baraldi, Claudio/Giancarlo Corsi/Elena Esposito (1997) GLU - Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Ffm: Suhrkamp Berghaus, Margot (2003) Luhmann leicht gemacht. Köln/Wien: Böhlau (UTB) Joas, Hans/Wolfgang Knöbl (2004) Niklas Luhmanns Radikalisierung des Funktionalismus. in: Sozialtheorie. Zwanzig einführende Vorlesungen Ffm: Suhrkamp Kneer, Georg/Armin Nassehi (1994) Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. München: Wilhelm Fink Luhmann, Niklas (1970) Soziologische Aufklärung 1: Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. Opladen: WDV Luhmann, Niklas (1984) Soziale Systeme. Ffm Luhmann, Niklas (1986) Ökologische Kommunikation. Opladen: WDV Luhmann, Niklas (1988) Neuere Entwicklungen in der Systemtheorie. in: Merkur Luhmann, Niklas (1996) Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? in: Protest. Systemtheorie und soziale Bewegungen, Ffm: Suhrkamp Luhmann, Niklas (1997) Die Gesellschaft der Gesellschaft. Ffm: Suhrkamp Reese-Schäfer, Walter (2001) Luhmann zur Einführung. Hamburg: Junius 36
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