Schwangerschaftswunsch mit Multipler Sklerose

Transkript

1 Schwangerschaftswunsch mit Multipler Sklerose VON JUSU ~ MAMA SCHULZE Ganz still und heimlich hat sich der Gedanke bei mir eingeschlichen. Plötzlich war er da. Zunächst habe ich erst einmal ein wenig abgewartet, ob er sich nicht von alleine wieder verabschiedet. Aber der Gedanke blieb und wurde mal schwächer und mal stärker. Er blieb, dieser Gedanke an ein weiteres Kind. Ich habe nämlich schon zwei Töchter und damit auch schon zwei Schwangerschaften durchlebt. Bei beiden hatte ich bereits die Diagnose Multiple Sklerose. Zwei Mal habe ich diese besonderen Umstände, die eine Schwangerschaft in Kombination mit einer Multiplen Sklerose schon erfahren. Und trotzdem waren die Gedanken beim dritten Mal ganz anders. Den positiven Schwangerschaftstest von meiner ersten Tochter hielt ich drei Wochen nach meiner Diagnose in den Händen. Drei Wochen zuvor wurde mir in einer MS-Ambulanz mitgeteilt, dass ich unheilbar krank bin. Damals war ich Anfang 30 und wurde direkt im Gespräch von dem Neurologen gefragt, ob ich zunächst mit einer Medikamententherapie beginnen oder erst einmal schwanger werden wollte. Den meisten Frauen geht es in einer Schwangerschaft besser mit der Multiplen Sklerose., erklärte er mir. Die Schubrate geht zurück und eigentlich gibt es keine Besonderheiten für MS-

2 Patientinnen. Unmittelbar nach der Schwangerschaft steigt das Schubrisiko etwas an, aber es pendelt sich kurze Zeit hinterher wieder auf das Niveau vor der Schwangerschaft ein. Falls Sie schwanger werden möchten, empfehle ich Ihnen, nun nicht mit einem MS-Medikament zu beginnen, denn das sollten Sie erst einmal einige Zeit nehmen, bis wir bewerten können, ob es Ihnen hilft. Daher sollten Sie sich überlegen, wie es mit Ihrem Schwangerschaftswunsch aussieht. Mein Mann und ich schauten uns an und entschieden uns im Bruchteil einer Sekunde, nun erst einmal den Plan Baby zu verfolgen. Dafür bekamen wir zwei Monate Zeit. Das waren viel zu wenige Tage, Stunden und Minuten, um uns Gedanken zu machen, was diese Entscheidung eigentlich bedeutet. Wir machten uns keine Gedanken darum, ob eine Schwangerschaft bei meiner MS vielleicht eine zu hohe Belastung ist, körperlich wie psychisch. Wir fragten uns nicht, was wir im Falle eines Schubs machen oder wie ein Kind mit einer kranken Mutter aufwachsen würde. Auch machten wir uns keine Gedanken darum, wie ein Baby insgesamt unsere kleine Welt auf den Kopf stellen würde. Wir probierten es einfach. Als es dann wirklich direkt geklappt hatte, waren wir einfach nur glücklich. Ich glaubte fest daran, dass nun alles gut werden würde. Diese Zuversicht trug mich die nächsten Monate ungefähr 10 cm über dem Boden. Ich hatte eine wundervolle, beschwerdefreie Schwangerschaft. Auch nach der Geburt ging es mir gut und ich stillte meine Tochter zehn Monate lang. Natürlich spürte ich die Multiple Sklerose immer mal wieder, aber es ging mir nicht schlechter und zu einem neuen Schub kam es auch nicht. Die zweite Schwangerschaft gingen wir eigentlich genau so kopflos an, wie die erste. Wir wollten schon immer zwei Kinder, die einen möglichst geringen Altersabstand haben. Und so entschieden wir uns direkt für Nummer zwei, nachdem ich Nummer eins nicht mehr stillte. Die Bedingungen bezüglich eines Therapiestarts waren schließlich die gleichen, wie kurz nach meiner Diagnose. Auch hier klappte es sofort und die Freude war wieder riesig. Schwangerschaft Nummer zwei verlief genau so freudig und unkompliziert wie Nummer eins. Es ging mir gut, auch im Wochenbett und während der Stillzeit.

3 Nun sind knapp vier Jahre vergangen seit meiner letzten Schwangerschaft. In diesen vier Jahren ist viel passiert, auch in Bezug auf meine Multiple Sklerose. Mir ging es insgesamt gut mit meiner Begleiterin, aber ich hatte auch schlechtere Tage. Neue Läsionen sind dazu gekommen und ich habe mich für eine sogenannte Basistherapie entschieden. Insgesamt ist dadurch die Unbeschwertheit mit der MS vergangen. Ich mache mir mehr Gedanken, was die Zukunft einmal für mich bereithalten wird. Ich habe spüren müssen, wie unberechenbar die Multiple Sklerose sein kann- auch, wenn ich bisher insgesamt Glück hatte und meine Beschwerden vergleichsweise minimal sind. Trotzdem: Ich denke täglich an sie. Jeden Morgen scanne ich meinen Körper, ob sich etwas verändert hat. Und jede Veränderung registriere ich penibel. Daher bin ich diesmal mit dem Schwangerschaftswunsch ganz anders umgegangen als bei den beiden ersten Malen. Diesmal hatte er aber auch mehr Zeit, zu wachsen und sich einzurichten. Ich haderte mit meinem Schicksal. Bei jeder Schwangerschaftsverkündung in meinem Freundeskreis spürte ich kleine Stiche in meinem Herzen. Warum kann ich mich nicht unbeschwert für ein drittes Kind entscheiden? Warum muss ich gerade die Multiple Sklerose haben?, fragte ich mich. Wie soll ich drei Kinder plus Multiple Sklerose schaffen? Das ist doch viel zu anstrengend. Und ich muss mich doch auch noch um die beiden größeren Kinder kümmern! Und außerdem: Zwei Mal ist es mit der MS nun gut gegangen, soll ich das Schicksal nun wirklich ein drittes Mal herausfordern? Außerdem habe ich bei den beiden ersten noch gar kein Medikament eingenommen. Wie verhält es sich nun damit? Wird das Medikament Einfluss auf das Baby haben? Ich zermarterte mir den Kopf. Aber der Wunsch noch einmal ein kleines Minimenschlein in mir wachsen zu spüren, blieb.

4 Ich wollte noch einmal dieses Wunder des Lebens erleben. Im tiefsten Herzen wusste ich, dass dafür noch Kraft, Liebe und Platz in unserer Familie übrig ist. So fiel die Entscheidung am Ende für Nummer drei- trotz

5 MS, trotz Medikament, trotz Zweifel, die diesmal definitiv da waren. Mehr dazu dann in meinen nächsten Artikeln. GZDE.MS