Der tönende Potemkin. Zur Rekonstruktion einer verschollenen Tonfilmversion des russischen Stummfilmklassikers Panzerkreuz Potemkin

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1 Der tönende Potemkin Zur Rekonstruktion einer verschollenen Tonfilmversion des russischen Stummfilmklassikers Panzerkreuz Potemkin

2 Im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten für die Dauerausstellung medien.welten wurden 2002 insgesamt drei komplette Sätze von Nadeltonplatten zum russischen Stummfilmklassiker Panzerkreuzer Potemkin gefunden. Nach der Überspielung der insgesamt 15 Schellacks durch die Österreichische Mediathek ist Schritt für Schritt klar geworden um welche film- und musikhistorische Sensation es sich bei der Inventar Nummer handelt.

3 Auf den Platten aus den Beständen des Technischen Museum Wien hat sich die vollständige Tonspur einer verloren geglaubten Tonfilmversion des Films erhalten, die 1930 von der deutschen Verleihfirma Prometheus in Auftrag gegeben worden ist. Was diese Aufnahmen so einzigartig macht, ist die Tatsache, dass darauf die einzig existierende zeitgenössische Einspielung der legendären Filmmusik des in Wien geborenen Komponisten Edmund Meisel zu hören ist.

4 Mit Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin nahm der neue sowjetische Film seinen Platz im Weltkino ein. Eisenstein bekam 1925 vom Staat den Auftrag einen Film zum Andenken an die erste, gescheiterte Revolution von 1905 zu machen und wählte eine kleine Episode aus diesem Geschehen, die Meuterei auf einem Panzerkreuzer der Schwarzmeerflotte.

5 Neben Eisensteins bahnbrechenden Filmsprache war es auch Edmund Meisels Komposition, die den Film von Berlin aus zu seinem weltweiten Durchbruch verhalf. Sie entstand 1926 in direkter Zusammenarbeit mit Eisenstein. Dass die Wirkung des Films durch die Musik noch wesentlich gesteigert wurde, schreibt auch der Direktor der deutschen Verleihfirma Prometheus-Film an Eisenstein, der bei der Berliner Premiere nicht anwesend sein konnte: Diese Musik war es, die den Film zu seinem höchsten Triumphe verhalf. Die Musik war teilweise so stark, dass sie in Verbindung mit den Bildern auf der Leinwand auf die Zuschauer derart wirkte, dass dieselben sich vor innerer Erregung an den Stühlen festhalten mussten. [..] Man glaubt buchstäblich mit dem Schiffe zu fahren, so ist der Takt und der Rhythmus der Maschinen nachgeahmt.

6 Der Film löste bei seiner Aufführung in Deutschland eine Kette von öffentlichen Skandalen aus, mit Polizeiaufgebot im Kino, Verboten und Protestkundgebungen. Vor allem das Militär machte gegen den Streifen mobil. Er wurde noch vor der Premiere im März 1926 verboten, dann wieder freigekämpft, nochmals verboten, geschnitten und in den Verleih geschickt und war danach einem Boykott der Großkinos ausgesetzt. Dennoch setzt er sich durch, nicht zuletzt dank der mitreißenden Musik Edmund Meisels. Mit dieser Musikvertonung lernte die Welt den Film kennen, denn Meisel dirigierte sie persönlich in zahlreichen Städten und erntete internationales Ansehen für seine Arbeit.

7 Meisel, der in Wien geboren und später in Berlin tätig war, arbeitete als Kapellmeister bei Piscators Theaterinszenierungen, bevor er sich der Filmmusik verschrieb. Sowohl beim Theater, wie auch beim Film sah er die Rolle seiner Kompositionen immer als Bestandteil des Ganzen und nie als eigenständiges Werk. Seine Vertonungen waren vor allem wegen ihrer durchschlagenden Effekte berüchtigt, die zum Teil auf ohrenbetäubendem Krach beruhten. Es kann jedoch keine Rede davon sein, dass sie um ihrer Aggressivität willen die Publikumswirkung beeinträchtigt hätte, im Gegenteil, sie hat sie verstärkt. Hierin wusste sich Meisel mit Eisenstein völlig einig, denn der Regisseur zielte auf einen Film, der wie ein Traktor die Psyche des Zuschauers umpflügt. Es kam daher auch zu einer zweiten Zusammenarbeit, in der Meisel die Musik für Eisensteins Film Oktober komponierte.

8 Neben Eisenstein hat Meisel noch mit anderen Filmregisseuren seiner Zeit zusammengearbeitet, u.a. mit Arnold Fanck, Walter Ruttmann und Ilya Trauberg. Bei der Vertonung von Traubergs Blauen Express, verwirklicht er neue melodischere Konzeptionen, die er in einer 14stündigen Mammutszession für das Nadeltonverfahren auf Platten aufnimmt. Während der Arbeit verspürt Meisel starke Schmerzen, die - wie sich herausstellte - von einer verschleppten Blinddarmentzündung stammten. Nach einer Notoperation verstarb er im Alter von 36 Jahren am 14. November 1930.

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