SWR2 DIE BUCHKRITIK. Nathanael West: "Miss Lonelyhearts" Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Dieter E.

Transkript

1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Nathanael West: "Miss Lonelyhearts" Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Dieter E. Zimmer Verlag Manesse 19,95 Euro Rezension von Waltraut Worthmann-von Rode Dienstag, 26. Februar 2013 (14: Uhr)

2 Von Waltraut Worthmann-von Rode Anfang des 19. Jahrhunderts kam das New York Evening Journal auf die Idee, eine Kummerkastentante einzustellen. Die ersten Ratgeberkolumnen schrieb Beatrice Fairfax in einer so gewitzten Art, dass täglich bis zu 1400 Briefe in der Redaktion eintrafen. Doch sie kündigte bald ihren Job, wurde durch Kolleginnen ersetzt, deren Ratschläge in Hunderten von Zeitungen mitgedruckt wurden. Der Schriftsteller Nathanael West las diese Kolumnen und machte sie zum Vorbild für seinen Roman Miss Lonelyhearts, der in den 30er Jahren erschien. Seine Protagonistin hat jedoch nichts von der hemdsärmelig-pragmatischen Art ihrer Vorgängerinnen. Hinter dem Pseudonym von Miss Lonelyhearts verbirgt sich vielmehr ein junger Mann, der schon nach wenigen Monaten kurz vor dem Burnout steht und den Trost für seine Briefschreiber nur noch im Fließbandformat in die Tasten haut: Das Leben ist lebenswert, ist es doch voller Träume und Frieden, Sanftmut und Überschwang und voll des Glaubens, der wie eine klare weiße Flamme auf einem unerbittlichen dunklen Altar brennt.

3 Das ist reiner Zynismus, das weiß Miss Lonelyhearts. Es ist bezeichnend für diesen Text, dass der junge Mann, der schon zu Beginn des Romans diese Antworten nicht mehr schreiben mag, keinen Namen hat. Man erfährt kaum mehr, als dass er seine Müdigkeit am Leben im Alkohol ertränkt und höchst zweifelhafte Affären mit Frauen hat, die er nicht liebt. Auch, wenn er sich täglich als priesterlicher Christus geriert, ist er ein hoffnungsloser, hilfloser, liebloser Helfer: Er suchte den Himmel nach einem Ziel ab. Doch der graue Himmel sah aus, als wäre er mit einem schmutzigen Radiergummi verschmiert worden. Er barg keine Engel, keine flammenden Kreuze, keine Tauben mit Olivenzweigen im Schnabel. Nathanael West hat mit Miss Lonelyhearts einen tiefschwarzen Roman geschrieben. Im Stil des Boulevardjournalismus, der in den dreißiger Jahren der USA gerade aufkam und vom Autor ebenso benutzt wie persifliert wird. Jeder Satz aufs Äußerste verknappt. Keine Philosophie, keine Psychologie wird den Personen angehängt. Dem Autor wie seiner Hauptfigur ist bewusst, dass die Kummerkasten-Tanten nur engagiert werden, um das Unglück der Menschen verkaufsfördernd auszubeuten. Die Trostlosigkeit des Romans ist für Nathanael West nicht nur Kritik an einer scheinheiligen Gesellschaft. Nicht nur Synonym der amerikanischen Depressionsjahre. Da steckt er auch selber drin der Sohn eines jüdisch-litauischen Bauunternehmers, der sich, wie Dieter Zimmer im Nachwort notiert, durch die Oberschule und die Universität gemogelt hat und immer wieder völlig vergebens davon träumte, als Schriftsteller seinen

4 Unterhalt verdienen zu können. Drei Wochen nach Erscheinen von Miss Lonelyhearts war der Verlag pleite und bis zu seinem Unfalltod mit 37 Jahren wiederholte sich für West das Pech permanent. Heute kostet ein Exemplar der ersten Ausgabe von Miss Lonelyhearts antiquarisch 1750 Dollar. Ein Pessimist schreibt hier. Aber wie! Dieser nur 123 Seiten lange Text ist ein burleskes, vorantreibendes Romankonzentrat mit verstörender Handlung. Alle Figuren auch der Chef von Miss Lonelyhearts, die Briefeschreiber oder die als Karikatur erscheinenden Frauen haben längst den Boden unter den Füßen verloren. Ihr Leid wandelt sich in Sarkasmus, Wut oder gar Hass: Miss Lonelyhearts fühlte sich so wie Jahre zuvor, als er aus Versehen auf einen kleinen Frosch getreten war. Seine herausgequollenen Eingeweide hatten ihn mit Mitleid erfüllt, doch als er sein Leiden mit den Sinnen wirklich erfasst hatte, verwandelte sich sein Mitleid in Wut, und er hieb rasend auf ihn ein, bis er tot war. Nathanael West und seine vier Romane sind fast vergessen. Doch wenn man diesen Schriftsteller liest, wird offenkundig, dass dies eben kein Amerikanisches Original aus vergangenen Zeiten ist, wie der Verlag Manesse ankündigt. Sondern ein Text, der Coolness und Zynismus auch heutiger Industrienationen aufs Korn nimmt. Und damit taufrisch und lesenswert.

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