Überblick. Allgemeine Psychologie 1. Prof. Dr. Adrian Schwaninger. Herbstsemester (aktualisiert)
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- Hertha Acker
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1 Allgemeine Psychologie 1 Herbstsemester (aktualisiert) Prof. Dr. Adrian Schwaninger Überblick Wahrnehmung: Sinnesorgane Prozesse und Grundprinzipien Sehen Hören Propriozeption Tastsinn Geschmackssinn Geruchssinn Wahrnehmung: Organisation und Interpretation Selektive Aufmerksamkeit Wahrnehmungstäuschungen Wahrnehmungsorganisation Wahrnehmungsinterpretation Prof. Dr. Adrian Schwaninger 2 1
2 Vom Auge zum Kortex Sehnerv (Axone der Ganglienzellen) Retina Colliculus superior Sehzentrum des Thalamus (Corpus geniculatum laterale, CGL) (Nach Frisby, 1979) Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) Tractus opticus Radiatio optica Sehrinde (= striärer Cortex oder primärer visueller Cortex, V1) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 3 Rezeptive Felder (RF) Durch die Verschaltung der retinalen Zellen entstehen rezeptive Felder. Als rezeptives Feld wird derjenige Bereich der Netzhaut bezeichnet, von dem aus die Aktivität einer Zelle beeinflusst werden kann. Auf der Netzhaut entspricht das der Photorezeptorenfläche, die mit der Zelle verbunden ist. Die rezeptiven Felder der Ganglienzellen bestehen aus einem Zentrum und einem Umfeld. Im primären visuellen Cortex (V1) findet man Neurone (Nervenzellen) mit Orientierungsspezifität (Antwort der Zellen auf Lichtbalken einer bestimmten Orientierung). Zellen in Retina CGL und V Simple Cell in V1 Nach Hubel & Wiesel, 1962 Prof. Dr. Adrian Schwaninger 4 2
3 Zellen mit Orientierungsspezifität Zellantwort Reiz Prof. Dr. Adrian Schwaninger 5 Primärer visueller Kortex (V1) Farbverarbeitung (Blobs) Simple Cells: Zellen, die auf hell-dunkel Unterschiede einer bestimmten Orientierung reagieren (Nach Gazzaniga et al., 1998) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 6 3
4 Spezifität von Nervenzellen Prof. Dr. Adrian Schwaninger 7 Kortikale Areale Aus Prof. Dr. Adrian Schwaninger 8 4
5 Parallelverarbeitung von Farbe, Bewegung, Form und Tiefe Colliculus ITC Superior (CS) Prof. Dr. Adrian Schwaninger (Aus Eysel, 2006) 9 Parallelverarbeitung von Bewegung, Farbe, Form, Position und Tiefe Parallelverarbeitung ist die natürliche Methode der Informationsverarbeitung im Gehirn; mit ihrer Hilfe kann man viele Aspekte eines Problems gleichzeitig angehen. Die Fähigkeit des Gehirns, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen, ermöglicht es ihm, Unterdimensionen des Sehens (Bewegung, Farbe, Form, Position und Tiefe) auf unterschiedliche neuronale Teams zu verteilen, die getrennt voneinander und gleichzeitig arbeiten. Andere neuronale Teams arbeiten dabei zusammen, um die Ergebnisse zusammenzuführen, sie mit gespeicherten Informationen zu vergleichen und Wahrnehmungen zu ermöglichen. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 10 5
6 Periphere Mechanismen des Farbensehens Die Unterscheidung von Licht verschiedener Wellenlängen wird primär durch die 3 Zapfentypen mit maximaler Empfindlichkeit für kurzwelligen (420 nm), mittelwelligen (535 nm) und langwelligen (565 nm) Bereich ermöglicht. Damit folgen die peripheren Mechanismen des Farbensehens der trichromatischen Theorie von Young, Helmholtz und Maxwell aus dem 19. Jahrhundert. Diese Dreifarbentheorie geht davon aus, dass sich jede beliebige Farbe durch die additive Mischung von 3 monochromatischen Lichtern erzeugen lässt (additive Farbmischung). Mischt man die Lichtstrahlen aller drei Primärfarben (rot, grün, blau) so erhält man weisses Licht. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 11 Subtraktive Farbmischung Beim Mischen von Farbstoffen spricht man von subtraktiver Farbmischung (z.b. Farben aus dem Malkasten mischen). Je mehr Farbstoffe zusammengemischt werden, je weniger Licht kann zurückreflektiert werden. Mischen von rot, blau und gelb führt zu braun oder schwarz. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 12 6
7 Störungen des Farbensehens Ca. 8% aller Männer haben Störungen des Rot-Grün-Sehens, was auf eine Fehlfunktion von Zapfen zurückzuführen ist. Diese Störungen sind genetisch bedingt und geschlechtsspezifisch. Nur ca. 0.4% aller Frauen haben eine Störung des Rot-Grün- Sehens. Es verschiedene weitere Farbensehstörungen, welche jedoch selten sind. Bei Stabchenmonochromaten sind z.b. alle 3 Zapfentypen beinträchtig. Hier ist Sehen auch bei Tageslicht nur mit dem Stäbchensystem möglich. Diese Menschen leiden wegen der höheren Empfindlichkeit der Stäbchen unter Blendung. Menschen welche an einer Rot-Grün Fehlsichtigkeit leiden, können die grüne Zahl in dieser Abbildung nicht erkennen. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 13 Gegenfarbentheorie Nachdem die visuelle Information die Photorezeptoren in der Retina verlässt, wird sie in Bezug auf die Gegenfarben Rot und Grün, Blau und Gelb sowie Schwarz und Weiss analysiert (Gegenfarbentheorie von Hering). In Retina und im Corpus Geniculatum Laterale (CGL) des Thalamus werden manche Nervenzellen (Neurone) durch durch Rot eingeschaltet und durch Grün abgeschaltet. Andere werden wiederum durch Grün eingeschaltet und durch Rot abgeschaltet. Doppelgegenfarbenneurone reagieren auf Farbkontrast zwischen Feldzentrum und Feldperipherie ihrer rezeptiven Felder. Sie treten erstmals in den Blobs in V1 auf. Demonstration der Gegenfarbentheorie: Fokussieren Sie eine Minute auf den Punkt auf der Flagge und schauen Sie danach auf den schwarzen Punkt in dem weissen Feld daneben. Es entsteht ein Nachbildeffekt, bei welchem Sie die Gegenfarben sehen. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 14 7
8 Farbkonstanz Farbkonstanz ist die Fähigkeit, bekannte Gegenstände auch unter stark wechselnden Lichtverhältnissen, die die von den Gegenständen reflektierten Wellenlängen verändern, mit gleichbleibender Farbe wahrzunehmen. Die unten stehende Abbildung ist eine anschauliche Darstellung der Wellenlängenverschiebung bei unterschiedlichen Beleuchtungsverhaltnissen. Es zeigt das selbe Stillleben mit Tageslichtfarbfilm bei a Tageslicht, b Glühlampenlicht und c Leuchtstoffrohrenlicht (universal weiss) aufgenommen. Der Fotograf empfand den Hintergrund jeweils als weiss und nahm die Farben der Früchte unter den verschiedenen Bedingungen annahernd gleich wie bei Tageslicht wahr (Farbkonstanz). (Aus Eyssel, 2006) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 15 Farbwahrnehmung und Kontext Farbkonstanz ist ein Beleg dafür, dass unsere Farbwahrnehmung nicht nur vom betrachteten Gegenstand abhängt, sondern auch von seiner Umgebung. Dank den Berechnungen unseres Gehirns sehen wir die Farben des Lichts, das von jedem Gegenstand reflektiert wird, im Verhältnis zu den Gegenständen in seinem Umfeld. Wenn sich der Kontext nicht ändert bleibt die Farbkonstanz erhalten. Verändert sich jedoch der Kontext, wird die gleiche Farbe unterschiedlich wahrgenommen, weil das Gehirn die Farbe eines Gegenstandes in Relation zu seinem Kontext berechnet (z.b. relevant für Künstler, Innenarchitekten und Modedesigner). Dies ist illustriert in der Abbildung rechts. Die blauen Punkte haben alle die gleiche Farbe. Sie werden jedoch sehr unterschiedlich wahrgenommen. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 16 8
9 Parallelverarbeitung von Farbe, Bewegung, Form und Tiefe Colliculus ITC Superior (CS) Prof. Dr. Adrian Schwaninger (Aus Eysel, 2006) 17 Dorsaler und ventraler Strom (Aus Goldstein, 2008) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 18 9
10 Prof. Dr. Adrian Schwaninger Bild: Anne Seeger ZHdK Doppelte Dissoziation Läsionsexperimente von Pohl (1973) und Ungerleider & Mishkin (1982) mit Menschenaffen zeigten eine Doppelte Dissoziation: Entfernung des Temporallappens führt zu Versagen bei einer Objektunterscheidungsaufgabe, wo der achteckige Klotz ausgewählt werden soll. Entfernung des Parietallappens führt zu Versagen bei einer Ortsunterscheidungsaufgabe, wo die näher zu einem Zylinder liegende Verdeckung aufgehoben werden soll. Objektunterscheidungsaufgabe Ortsunterscheidungsaufgabe (Nach Goldstein, 2008) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 20 10
11 Befunde beim Menschen (Aus Gazzaniga, et al. 1998) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 21 Patient V.K.: Schädigung im dorsalen Strom Patient V.K. hat eine Schädigung im dorsalen Strom. Dies zeigt sich in einer optischen Ataxie, d.h. der Patient kann räumliche Informationen nicht mehr richtig auswerten, um seine Hand- und Greifbewegungen zu steuern. Die Abbildung zeigt die Distanz zwischen Daumen und Zeigefinger (grip aperture) beim Greifen eines Gegenstandes durch V.K. und normale Kontrollpersonen (L.K. und B.S.) (Aus Milner & Goodale, 1993; nach Jakobson, 1991) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 22 11
12 Patientin D.F.: Schädigung im ventralen Strom Patientin D.F. erlitt wegen eines Lecks einer Propangasheizung eine Kohlenmonoxid-Vergiftung. Dies hatte eine beidseitige Schädigung im ventralen Strom zur Folge was sich in einer visuellen Formagnosie zeigt (Unfähigkeit visuelle Merkmale für die Objekterkennung zu verarbeiten). Der primäre visuelle Cortex (V1) blieb intakt. Modell Kopie von D.F. (Nach Milner & Goodale, 1995) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 23 Patientin D.F.: Wahrnehmung vs. Action Die Schädigung im ventralen Strom führt dazu, dass eine Karte nicht so ausgerichtet werden kann wie ein Briefschlitz. Weil der dorsale Strom aber intakt blieb, kann D.F. einen Brief in einen Briefschlitz einwerfen. Wahrnehmungsbedingung ( Was ) Action Bedingung ( Wie ) (Modifiziert nach Gazzaniga et al., 1998 und Goodale et al., 1991) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 24 12
13 Parallelverarbeitung von Bewegung, Farbe, Form, Position und Tiefe Parallelverarbeitung ist die natürliche Methode der Informationsverarbeitung im Gehirn; mit ihrer Hilfe kann man viele Aspekte eines Problems gleichzeitig angehen. Die Fähigkeit des Gehirns, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen, ermöglicht es ihm, Unterdimensionen des Sehens (Bewegung, Farbe, Form, Position und Tiefe) auf unterschiedliche neuronale Teams zu verteilen, die getrennt voneinander und gleichzeitig arbeiten. Andere neuronale Teams arbeiten dabei zusammen, um die Ergebnisse zusammenzuführen, sie mit gespeicherten Informationen zu vergleichen und Wahrnehmungen zu ermöglichen. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 25 Repräsentation von Objekten Hypothesen zur Repräsentation von Objekten (Gauthier, 2000) Hypothese 1: Zwei Modul-Hypothese Gesichter werden in einem spezifischen Modul verarbeitet (fusiform face area, FFA), Objekte in einem separaten generellen Modul. Hypothese 2: Kategorie spezifische Module Für jede Objektkategorie gibt es ein separates Modul. Hypothese 3: Merkmalskarten Objekte werden durch die Kombination von einfachen und komplexen visuellen Merkmalen repräsentiert. Hypothese 4: Prozesskarten In Abhängigkeit von der Erkennungsaufgabe werden verschiedene Aspekte visueller Information relevant. Auch könnte die FFA (fusiform face area) nicht speziell für Gesichter sondern genereller für Exemplar-Erkennung durch Experten zuständig sein. Nach dem heutigen Wissensstand erscheint die Kombination von Hypothese 3 und 4 am plausibelsten aufgrund von Computersimulationen und aufgrund verschiedener Befunde aus den Neurowissenschaften. Prof. Dr. Adrian Schwaninger 26 13
14 a b Befunde mit funktioneller Magnetresonanztomographie (functional magnetic resonance tomography, fmrt) beim Menschen. Häuser, Stühle und Gesichter scheinen unterschiedliche Module im Gehirn zu aktivieren (a und b). Eine detailliertere Analyse spricht aber eher für eine Repräsentation anhand von Merkmalskarten und verteilter Aktivität (c). c (Nach Ishai et al., 1999) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 27 Objekterkennung (Nach Knoblich et al., 2002; Riesenhuber & Poggio, 1999) Prof. Dr. Adrian Schwaninger 28 14
15 Prof. Dr. Adrian Schwaninger 29 Zusammenfassung Wahrnehmungen entstehen aus der Wechselwirkung zwischen vielen Neuronensystemen, die jeweils eine einfache Aufgabe ausführen. Die Verarbeitung beginnt in den mehrfachen neuronalen Schichten der Retina, anschließend übermitteln die 6 Mio. Zapfen und die 120 Mio. Stäbchen der Retina ihre Informationen über die bipolaren Zellen an die Ganglionzellen. Die Impulse wandern entlang der Axonen der Ganglionzellen, die den Sehnerv bilden, zum Thalamus und weiter zum visuellen Kortex. In der Sehrinde (primärer visueller Kortex, V1) reagieren Merkmalsdetektoren auf die besonderen Merkmale eines visuellen Reizes. Die übergeordneten Zellen eines höheren Niveaus führen diese gesammelten Daten zusammen, um sie dann in anderen Arealen des Kortex zu verarbeiten. Im dorsalen Strom wird räumliche Information verarbeitet, was für die Steuerung der Visuomotorik wichtig ist (Wo/Wie Strom). Im ventralen Strom wird v.a. Form und Farbe verarbeitet für die Wahrnehmung und Erkennung von Objekten (Was Strom). Wenn die sensorischen Signale die unterschiedlichen Verarbeitungsniveaus durchlaufen (bottom-up), werden sie von unseren Annahmen, Interessen und Erwartungen beeinflusst (top-down). Prof. Dr. Adrian Schwaninger 30 15
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