MERKBLATT 8/13 DURCHGRIFFSANSPRÜCHE NACH DEM FRANZÖSISCHEN RECHT: DIE ACTION DIRECTE

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1 1 MERKBLATT 8/13 DURCHGRIFFSANSPRÜCHE NACH DEM FRANZÖSISCHEN RECHT: DIE ACTION DIRECTE Unser Kölner Team im Vertragsrecht: Die Kanzlei Epp & Kühl ist Ihr Partner im deutsch-französischen Rechtsverkehr. Gordian Deger, LL.M. (Köln/Paris) Rechtsanwalt Herr Deger berät unsere Mandanten in Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes sowie des deutschen und französischen Wettbewerbs- und Kartellrechts. Daneben berät er im deutschen und französischen Zivil- und Handelsrecht, insbesondere im Bereich der Gestaltung internationaler Verträge. Jeanne Ledig, LL.M. (Köln/Paris) Avocat à la Cour Frau Ledig ist im Bereich des Handelsrechts und des internationalen Privatrechts spezialisiert. Daneben berät sie unsere Mandanten im Bereich des grenzüberschreitenden Forderungseinzugs und Insolvenzrechts. Außerdem begleitet sie Mandanten bei Gerichtsverfahren in Frankreich. Gregor Roßwinkel, D.E.S.S. Rechtsanwalt Herr Roßwinkel berät insbesondere im europäischen und internationalen Vertrags- und Handelsrecht. Außerdem begleitet er unsere Mandanten bei Schiedsund Gerichtsverfahren und unterstützt sie in Fragen des Gewerblichen Rechtsschutzes und des Wettbewerbsrechts. Christophe Klinkert, D.E.S.S. Rechtsanwalt Herr Klinkert ist im Bereich des Vertragsrechts spezialisiert. Er berät und betreut unsere Mandanten insbesondere bei der Gestaltung von Verträgen und AGB. Außerdem begleitet er deutsche Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien in Frankreich. deger[at]avocat.de ledig[at]avocat.de rosswinkel[at]avocat.de klinkert[at]avocat.de INHALT: I. Was ist die action directe? II. Wer kann von der haftungsrechtlichen action directe betroffen sein? III. Wie kann man sich gegen eine action directe verteidigen? Wie verjährt die action directe? IV. Gilt die action directe auch bei internationalen Geschäften? Wir beraten deutsche Unternehmen im Frankreichgeschäft und betreuen die französischen Niederlassungen deutscher, österreichischer und Schweizer Unternehmen in allen rechtlichen Bereichen in Frankreich. Köln Konrad-Adenauer-Ufer 71 D Köln Tel (0) Fax (0) Paris 39, avenue des Champs-Elysées F Paris Tel (0) Fax (0) Strasbourg 16, rue de Reims F Strasbourg Tel (0) Fax (0) Baden-Baden Schützenstraße 7 D Baden-Baden Tel (0) Fax (0) Sarreguemines 50, rue de Grosbliederstroff F Sarreguemines Tel (0) Fax (0) V. In welchem Verhältnis steht die action directe zur Produkthaftung? VI. Praxistipp: Worauf sollten Sie sich einstellen? 1

2 I. Was ist die action directe? Der Begriff action directe ist die französische Bezeichnung für Durchgriffsansprüche in Vertragsketten: Er bezeichnet die Möglichkeit, bestimmte Rechte nicht nur gegen den eigenen Vertragspartner geltend zu machen, sondern darüber hinaus gegen weitere Personen innerhalb der Kette. Ein solcher Durchgriffsanspruch kann sich etwa auf Zahlungs- oder andere Leistungsansprüche beziehen: So kann etwa ein Subunternehmer unter bestimmten Umständen Zahlungsansprüche gegen den Bauherrn geltend machen, obwohl sein Vertragspartner nur der Hauptunternehmer ist (vgl. dazu unser Merkblatt zum Thema Subunternehmerrecht). Auch im Transport- und Versicherungsrecht gibt es direkte Leistungsansprüche. Die action directe ist daneben im Haftungsrecht bei Lieferketten von besonderer Bedeutung: Nach dem französischen Recht kann bei einer Lieferkette jeder Abnehmer nicht nur gegenüber seinem Verkäufer Mängelrechte geltend machen, sondern auch unmittelbar (direkt) den Hersteller oder jeden der Zwischenverkäufer in Anspruch nehmen. Für Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen nach Frankreich kann die action directe deshalb in vielen Fällen relevant werden, wie das folgende Beispiel zeigt: Ein deutsches Unternehmen (A) stellt Kühlaggregate für die Verwendung in Produktionsanlagen für Tiefkühlkost her. Das Unternehmen verkauft ein solches Aggregat an seine französische Tochtergesellschaft (B), die für A den Vertrieb in Frankreich organisiert. Die Tochtergesellschaft wiederum verkauft das Aggregat an ein französisches Unternehmen (C), das für einen Hersteller von Tiefkühlkost (D) eine Produktionsanlage in Frankreich baut. Verkauf Verkauf Einbau A B C D Aufgrund eines Herstellungsfehlers an dem Kühlaggregat fällt das Gerät vier Jahre nach Einbau in die Anlage aus. Es muss ein neues Gerät angeschafft und eingebaut werden, wofür bei D Kosten in Höhe von ,- EUR entstehen. Außerdem steht die Fabrik für zwei Wochen still, so dass D in dieser Zeit nicht produzieren kann und ein Teil der bereits hergestellten Produkte wegen mangelnder Kühlung verdirbt. Hierdurch entsteht D ein Schaden von weiteren ,- EUR. D verklagt daraufhin nicht nur seinen Vertragspartner C, sondern darüber hinaus A und B als Hersteller bzw. Zwischenhändler des Kühlaggregats auf Schadensersatz in Höhe von ,- EUR. II. Wer kann von der haftungsrechtlichen action directe betroffen sein? Die action directe ist nicht nur bei Ketten von Kaufverträgen anwendbar, sondern kommt auch dann zum Tragen, wenn zum Beispiel bei einem Werkliefervertrag das vom Werkunternehmer beschaffte Material fehlerhaft war: In diesem Fall kann der Besteller, der 2

3 letztendlich das Eigentum an dem Werk erwirbt, nicht nur gegen den Werkunternehmer, sondern auch gegen dessen Lieferanten vorgehen. Der Vertragstyp ist also nicht entscheidend. Es kommt vielmehr darauf an, dass eine ununterbrochene Lieferkette vorliegt. Die entsprechenden Mangelbeseitigungs- und Schadensersatzansprüche gehen mit dem Eigentum an der Ware bzw. dem Werk auf den jeweiligen Erwerber über. Dieser kann unmittelbar diejenigen Rechte ausüben, die auch seinem Lieferanten zustehen. Durch die action directe werden dem Letzterwerber zum einen ein oder mehrere zusätzliche (und normalerweise solvente) Schuldner angeboten, an die er sich halten kann. Zum anderen sorgt die Regelung dafür, dass der eigentliche Verursacher des Mangels direkt haftbar gemacht werden kann; dadurch können lange Prozessketten für die jeweiligen Rückgriffsansprüche der einzelnen Mitglieder der Produktions- oder Lieferkette (mit der Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen) vermieden und alle Tatsachen- und Rechtsfragen in einem einzigen Verfahren abgehandelt werden. III. Wie kann man sich gegen eine action directe verteidigen? Wie verjährt die action directe? Da der Erwerber der mangelhaften Sache die Rechtsstellung des vorhergehenden Glieds der Liefer- oder Herstellungskette übernimmt, kann der in Anspruch genommene Hersteller, Zwischenhändler oder Werkunternehmer dem Erwerber alle Einreden und Einwendungen entgegenhalten, die er selbst gegenüber seinem Abnehmer besitzt. So kann dem Letzterwerber zum Beispiel eine zwischen dem Hersteller und dem Zwischenhändler vereinbarte Haftungsbeschränkung entgegengehalten werden. Außerdem müssen grundsätzlich auch die Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln und sogar Schiedsvereinbarungen des Vertragsverhältnisses beachtet werden, aus dem die Rechte herrühren. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil das französische Kaufrecht eine äußerst strenge Verkäuferhaftung vorsieht: Gewerbliche Verkäufer haften ihren Kunden verschuldensunabhängig für sämtliche Schäden, die durch Sachmängel entstehen. Gegenüber gewerblichen Käufern ist allerdings eine Haftungsbeschränkung (jedoch mit Einschränkungen, wenn es sich um fachfremde Käufer handelt) möglich, die deshalb häufig vereinbart wird und eben auch im Rahmen der action directe zu berücksichtigen ist. Der Hersteller oder Zwischenhändler kann sich allerdings gegenüber der action directe nicht auf die Verjährung der Ansprüche seines Abnehmers berufen. Dies erscheint zwar systemwidrig, ist aber die aktuelle Position der französischen Rechtsprechung. Andernfalls wäre zugegebenermaßen die praktische Bedeutung der action directe erheblich geringer. Entscheidend für den Verjährungsbeginn ist die Lieferung oder Leistung an denjenigen, der den Anspruch letztendlich geltend macht. Die Verjährung tritt bei Kaufverträgen in Frankreich fünf Jahre nach Lieferung der Kaufsache ein, wobei der Anspruch allerdings innerhalb von zwei Jahren nach Entdeckung des Mangels geltend gemacht werden muss. Bei Werkverträgen variiert die Dauer der Gewährleistung zwischen 2 und 10 Jahren, je nach Art der erbrachten Leistung. Es kann deshalb dazu kommen, dass sich ein Hersteller noch Jahre nach der ursprünglichen Lieferung Rückgriffsansprüchen von Endkunden ausgesetzt sieht. In einem kürzlich vom französischen Kassationshof entschiedenen Fall wurde eine Haftung 3

4 für Schäden an einer Maschine sogar 24 Jahre nach der Auslieferung durch den Hersteller noch nicht als verjährt angesehen (Urteil des französischen Kassationshofs vom , Az ). IV. Gilt die action directe auch bei internationalen Geschäften? 1. Die action directe im innerfranzösischen Geschäftsverkehr Die action directe ist in Frankreich allgemein bekannt und anerkannt. Die Grundprinzipien ihrer Funktionsweise sind unstreitig und werden regelmäßig von den französischen Gerichten angewendet. Die Rechtsprechung qualifiziert die action directe insoweit nach dem oben Dargestellten konsequent als vertraglichen Anspruch. Deswegen könnte in dem unter Punkt I.) dargestellten Fallbeispiel die französische Tochtergesellschaft B des deutschen Herstellers A vom Endkunden D im Wege der action directe in Anspruch genommen werden. 2. Keine action directe bei Geltung des Wiener UN-Kaufrechts (CISG) Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kommt die französische Rechtsprechung jedoch zu anderen Ergebnissen. So soll die action directe gegen ausländische Hersteller und Zwischenhändler ausgeschlossen sein, wenn die grenzüberschreitende Vertragsbeziehung dem Wiener UN-Kaufrecht (CISG) unterliegt. Dies ist bei Kaufverträgen zwischen einer deutschen und einer französischen Partei immer der Fall, es sei denn, das UN-Kaufrecht wird von den Parteien ausdrücklich ausgeschlossen (was allerdings häufig geschieht). Die französischen Gerichte gehen offenbar davon aus, dass das UN-Kaufrecht Direktansprüche in der Lieferkette generell ausschließt. Wenn im Fallbeispiel in dem Kaufvertrag zwischen dem deutschen Unternehmen A und der französischen Tochtergesellschaft B das UN-Kaufrecht nicht ausgeschlossen wurde, kann das deutsche Unternehmen A nicht von D im Wege der der action directe in Anspruch genommen werden. 3. Die Action directe als deliktischer Anspruch außerhalb des UN-Kaufrechts (CISG)? Ist das Wiener UN-Kaufrecht nicht anwendbar, so wird die action directe jedenfalls im europäischen Rechtsverkehr nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht als vertraglicher Anspruch, sondern als deliktischer Schadensersatzsanspruch verstanden. Dies ist damit zu erklären, dass die meisten europäischen Rechtsordnungen einen vertraglichen Direktanspruch nicht kennen und daher die action directe regelmäßig an der Landesgrenze enden würde. Nur mit Hilfe einer deliktsrechtlichen Qualifizierung gelingt es, ausländische Lieferanten vor französischen Gerichten direkt zur Verantwortung zu ziehen. 4

5 In der französischen Rechtsprechung besteht allerdings noch erhebliche Unsicherheit über die Folgen der deliktsrechtlichen Qualifizierung der action directe. Fest steht jedoch, dass einem deliktsrechtlich zu qualifizierenden Direktanspruch eine Gerichtsstandsvereinbarung aus dem ursprünglichen Vertragsverhältnis nicht entgegengehalten werden kann. Dasselbe dürfte für Haftungsbeschränkungen gelten. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der ausländische Lieferant schlechter gestellt ist als der Lieferant bei einem rein innerfranzösischen Sachverhalt. Dies dürfte allerdings europarechtswidrig sein, so dass weitere Entwicklungen abzuwarten sind. Zu berücksichtigen ist im Zusammenhang mit dem deliktischen Anspruch auch, dass deliktische Schadensersatzansprüche nach französischem Recht umfassender sind als deutsche: Alle entstandenen Schäden, auch reine Vermögensschäden, sind zu ersetzen. Deliktische Ansprüche verjähren innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt, zu welchem der Geschädigte Kenntnis von dem Schaden und der Person des verantwortlichen Herstellers oder Händlers erlangt hat. Ob und in welchem Umfang französische Gerichte angesichts der neueren EuGH- Rechtsprechung die action directe in Vertragsketten gegenüber ausländischen Herstellern, Werkunternehmer und Zwischenhändlern zulassen werden, ist noch nicht endgültig abzusehen. Bis auf weiteres besteht jedoch ein Haftungsrisiko. V. In welchem Verhältnis steht die action directe zur Produkthaftung? Unabhängig von der Frage, ob eine action directe besteht, ist bei Lieferungen nach Frankreich zu berücksichtigen, dass die französischen Regelungen zur Produkthaftung eine Haftung für Produktfehler auch im Rahmen von B2B-Verträgen vorsehen. Zwar kann bei Verträgen zwischen Unternehmern grundsätzlich ein Haftungsausschluss vereinbart werden; dieser entfaltet allerdings anders als bei der action directe nur Wirkung zwischen den an dem Vertrag unmittelbar beteiligten Unternehmen. Anders als bei der action directe kann der Hersteller dem Endabnehmer einen mit dem Zwischenhändler vereinbarten Haftungsausschluss nicht entgegenhalten, weil der Endabnehmer nicht den vertraglichen Anspruch des Zwischenhändlers geltend macht, sondern einen eigenen gesetzlichen Anspruch aus den Vorschriften über die Produkthaftung gegen den Hersteller hat. Für Folgeschäden, die durch mangelhafte Produkte entstehen, haften damit auch ausländische Hersteller (und Zwischenhändler, die allerdings ihrerseits Regress beim Hersteller nehmen können) vollumfänglich, und zwar bis zum Ablauf von 10 Jahren nach Inverkehrbringen des Produkts, bei Verschulden sogar darüber hinaus. Die Produkthaftung gibt auch dem gewerblichen Endkunden für Mangelfolgeschäden also eine Alternative zur action directe an die Hand. In dem oben genannten Fallbeispiel könnte der deutsche Hersteller A also von D aus Produkthaftung für den Schaden in Höhe von ,- EUR für die verdorbene Tiefkühlkost in Anspruch genommen werden. Den Ersatz der Kosten für die Beseitigung des Mangels kann D auf der Grundlage der Produkthaftung dagegen nicht von A verlangen. 5

6 VI. Praxistipp: Worauf sollten Sie sich einstellen? Wie Sie anhand unseres Fallbeispiels erkennen können, besteht bei Lieferungen nach Frankreich im Fall von Mängeln nicht nur ein Haftungsrisiko gegenüber dem unmittelbaren Abnehmer, sondern auch gegenüber späteren Erwerbern. Die Entwicklung der Rechtsprechung in den nächsten Jahren können wir noch nicht eindeutig vorhersagen, wobei allerdings eine höchstrichterliche Klärung äußerst wünschenswert ist. Nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung kann sich der deutsche Lieferant nur durch die Vereinbarung des UN-Kaufrechts vor dem Risiko schützen, später im Wege der action directe von Dritterwerbern in Anspruch genommen zu werden. Es gilt daher, besonderes Augenmerk auf die Vertragsgestaltung zu legen, vor allem im Hinblick auf die Rechtswahlklausel, aber auch auf Haftungsbeschränkungen und -ausschlüsse. Außerdem bietet es sich an, zu überprüfen, ob die eigene Haftpflichtversicherungspolice Schadensersatzverpflichtungen gegenüber Endkunden abdeckt, die nicht Verbraucher sind, und über welchen Zeitraum diese Deckung gilt. Bei schadensanfälligen Produkten mag über den Abschluss einer Zusatzversicherung nachzudenken sein. In Schadensfällen ist es unbedingt empfehlenswert, an dem häufig von dem Geschädigten eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren teilzunehmen, damit Sie Ihre Rechte von vornherein bestmöglich wahren. Zudem sollte unverzüglich geprüft werden, ob möglicherweise Regressansprüche gegen die eigenen Zulieferer bestehen, die verjährungsunterbrechend geltend gemacht werden müssen. Schließlich ist auch an die Möglichkeit einer Garantieklage (appel en garantie) nach französischem Recht gegen die eigenen Zulieferer vor dem Gericht der Hauptsache zu denken. Diese Information wird Ihnen zur Verfügung gestellt von: Kühl Rechtsanwaltsgesellschaft mbh Konrad-Adenauer-Ufer 71, Köln KÖLN PARIS STRASBOURG BADEN-BADEN SARREGUEMINES Die Artikel dienen ausschließlich der generellen Information und ersetzen kein individuelles Beratungsgespräch. Ein Mandatsverhältnis kommt hierdurch nicht zustande. Jegliche Haftung wird ausgeschlossen. 6