Lyell hatte das Gesetz gebrochen. Er und Amy Jones waren nach Mexiko durchgebrannt. Wir hatten wunderschöne Flitterwochen, seufzte Charlies Mutter.
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- Lisa Messner
- vor 6 Jahren
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Transkript
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2 Lyell hatte das Gesetz gebrochen. Er und Amy Jones waren nach Mexiko durchgebrannt. Wir hatten wunderschöne Flitterwochen, seufzte Charlies Mutter. Aber als wir nach Hause kamen, merkte ich, dass Lyell Angst hatte. Er war ihnen doch nicht entkommen. Er guckte sich auf der Straße ständig um, fühlte sich verfolgt. Und dann, als du zwei warst, kam bei Nacht und Nebel dieser Anruf. Ein Befehl. Grandma Bone sei krank, er müsse sofort zu ihr kommen. Also stieg er ins Auto und... stürzte in den Steinbruch. Sie starrte einen Moment in die Ferne und murmelte gedankenverloren: Er war an diesem Abend nicht er selbst. Irgendwas musste passiert sein. Er wirkte fast wie in Trance. Sie wischte sich eine winzige Träne weg. Ich glaube nicht, dass Grandma Bone auch nur ein Fünkchen Liebe im Leib hat, sagte sie. Für die Darkwoods war Lyells Tod nur das Ende einer unseligen Episode. Aber an dir waren sie interessiert, Charlie. Angenommen, es stellte sich heraus, dass du eine Gabe hast? Sie wussten, dass sie sich um dich kümmern mussten, bis es klar war. Also kauften sie mir ein Haus und ließen Maisie mit einziehen. Und dann kam Grandma Bone. Um uns zu beobachten. Und kurz danach kam auch Onkel Paton, weil... na ja, ich schätze, weil er sonst nirgends hinkonnte. Ich war dankbar für alles, bis dann plötzlich die Fotos verschwanden. Das war mir unbegreiflich. Grandma Bone bestritt natürlich, sie auch nur angerührt zu haben. Charlie hörte seiner Mutter zu und zählte zwei und zwei zusammen. Ich weiß, warum die Fotos verschwunden sind, murmelte er. Grandma Bone wollte nicht, dass ich höre, was mein Vater zu sagen hatte. Aber, Charlie, da warst du doch erst zwei, sagte seine Mutter. Sie wusste doch nicht, dass du die Gabe hast, Stimmen zu hören.
3 Sie hat s geahnt, erwiderte Charlie. Liegt wahrscheinlich in der Familie. Seine Mutter lächelte, weil er so ein ernstes Gesicht machte. Sie gab ihm einen Gutenachtkuss und sagte, er solle sich wegen der Darkwoods keine Gedanken machen. Und auch nicht wegen der Bloor-Akademie. Schließlich war dein Vater auch dort. Und hatte er eine Gabe?, fragte Charlie. Oh ja, sagte seine Mutter, schon in der Zimmertür. Aber nicht so wie du, Charlie. Er hatte eine andere Art von Begabung. Er war Musiker. Als sie gegangen war, konnte Charlie nicht einschlafen. Zu viel ging ihm im Kopf herum. Es war beunruhigend, aus einer so seltsamen Familie zu kommen. Er wollte mehr wissen. Viel mehr. Aber wo anfangen? Vielleicht konnte ihm Onkel Paton ja ein paar Antworten geben. Er schien nicht so herzlos zu sein wie seine Schwestern. Das Gewitter hatte sich verausgabt. Der Regen hörte auf. Der Wind legte sich und die Kirchturmuhr der Kathedrale schlug Mitternacht. Beim zwölften Schlag fühlte sich Charlie plötzlich ganz komisch. Irgendetwas ging mit ihm vor. Es war, als schwebte er für einen Augenblick zwischen Leben und Tod. Er dachte an Lyell, den Vater, an den er sich nicht erinnern konnte. Dann war der Augenblick vorüber, und Charlie war auf einmal hellwach und unruhig. Ein paar Minuten später hörte er Onkel Paton die Treppe hinunterstapfen, zur Küche, auf einen kleinen Mitternachtsimbiss. Charlie war es inzwischen gewohnt, dass sein Onkel nachts umhergeisterte. Er wurde immer davon wach. Normalerweise drehte er sich nur um und schlief weiter. Heute Nacht aber sprang er aus dem Bett und zog sich schnell an. Als sein Onkel das Haus verließ, schlich Charlie nach unten und folgte ihm. Er hatte das schon oft tun wollen, sich aber
4 nie getraut. Heute Nacht war das anders, er fühlte sich selbstsicher und entschlossen. Paton ging schnell. Als Charlie die Haustür ganz leise hinter sich zugezogen hatte, bog sein Onkel bereits um die Ecke. Dicht an den Hauswänden entlang huschte Charlie hinter ihm her. Paton blieb stehen und guckte sich um. Charlie drückte sich ins Schattendunkel. Die Straße, in die sie eingebogen waren, hatte kleine, glockenförmige Straßenlaternen, die einen sanften Lichtschein auf das nasse Pflaster warfen. Hier standen die Bäume dichter, waren die Mauern höher. Es war eine stille, geheimnisvolle Gegend. Paton Darkwood ging weiter, aber sein zügiges Ausschreiten war jetzt in ein zielloses Schlendern übergegangen. Charlie huschte von Baum zu Baum und war bald nur noch ein paar Schritte hinter seinem Onkel. Ein kalter Wind biss Charlie in die Ohren, und er fragte sich schon, ob diese mitternächtliche Beschattungsaktion etwas bringen würde. Onkel Paton hatte sich weder in einen Vampir noch in einen Werwolf verwandelt. Vielleicht fühlte er sich im Dunkeln ja einfach nur wohler. Charlie wollte gerade umkehren und sich wieder nach Hause schleichen, als sein Onkel plötzlich anhielt. Er stand nur etwa einen Meter von einem Laternenpfahl entfernt und ein seltsames Summen ging von ihm aus. Kein richtiges Summen, denn Charlie konnte es nicht wirklich hören. Es war eher ein Summgefühl, als ob die Luft rings um seinen Onkel von unhörbarer Musik vibrierte. Das Licht der Straßenlaterne wurde heller, so grell, dass Charlie kaum noch hingucken konnte. Dann gab es einen kleinen Knall, das Glas zersprang, und glitzernde Scherben regneten auf den Bürgersteig herab. Charlie schnappte nach Luft. Er rieb sich die Augen. Vielleicht war es ja nur Zufall, dass sein Onkel gerade an dieser Stelle stand, während eine Überspannung die Laterne so grell und heiß werden ließ, dass das Glas zerbarst.
5 Paton schlenderte wieder los und Charlie huschte weiter von Baum zu Baum. Auf Höhe eines weiteren Laternenpfahls verlangsamte Paton seinen Schritt. Das Licht wurde wieder grell, aber diesmal ging sein Onkel weiter, ehe das Glas zerspringen konnte. Und dann sagte er plötzlich, ohne sich umzudrehen: Warum verfolgst du mich?
6 Die Feuerkatzen Charlie erstarrte. Sein Onkel konnte ihn doch unmöglich gesehen haben. Aber da kam die Frage wieder: Warum verfolgst du mich, Charlie? Charlie trat hinter dem Baum hervor. Wie hast du s mitgekriegt?, flüsterte er. Paton drehte sich zu ihm um. Ich habe keine Augen im Hinterkopf, falls du das dachtest. Nein, das hab ich nicht gedacht, sagte Charlie. Aber wie dann? Ich habe dich gesehen, mein Lieber, als ich um die Ecke gebogen bin. Um ehrlich zu sein, ich hatte schon fast damit gerechnet. Es hätte mich erstaunt, wenn du schlafen könntest, nach so einem grässlichen Abend, sagte Paton mit einem grimmigen Grinsen. Ist das deine Gabe, Onkel Paton?, fragte Charlie. Das elektrische Licht hochzujagen? Jämmerlich, was? Ich frage dich, wozu soll das gut sein? Ich wollte, du hättest es nicht mitgekriegt. Paton musterte seine schlanken Finger. Komm, lass uns nach Hause gehen; für heute Nacht habe ich genug unternommen. Er hakte Charlie unter und sie machten sich auf den Heimweg. Charlie sah seinen Onkel mit ganz neuen Augen. Allein durch ihre Anwesenheit den Strom in einer Lampe hochjagen, das konnten nicht viele Leute. Ja seines Wissens hatte das überhaupt noch niemand gemacht. Lichter spielten im Nachtleben einer Stadt eine wichtige Rolle. Onkel Paton konnte ganz schön einen draufmachen dort im Zentrum, wo an jedem Fleckchen Hauswand Lichter blinkten und funkelten. Hast du jemals ich meine, hast du das, was du da eben gemacht hast, schon mal mit ganz vielen Lichtern
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